Zeitschrift der Hessen für Erziehung, Bildung, Forschung 74.Jahr Heft12 Dezember2021 - GEW Hessen
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TITELTHEMA zum Inhaltsverzeichnis HLZ 12/2021 1 Zeitschrift der Hessen für Erziehung, Bildung, Forschung 74. Jahr Heft 12 Dezember 2021 zum Inhaltsverzeichnis TITELTHEMA: Studieren in Hessen
IN DIESER HLZ HLZ 12/2021 2 Zeitschrift der GEW Hessen Tarifeinigung für Hessen für Erziehung, Bildung, Forschung ISSN 0935-0489 Nach den ersten Kurzinformationen über die Tarifeinigung im Bereich des I M P R E S S U M TV-H in der HLZ 11/2021 gehen wir in dieser HLZ ins Detail: Herausgeber: • Die Informationen zu den Entgelt- Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Landesverband Hessen erhöhungen und den Sonderzahlungen Zimmerweg 12 und die ab dem 1.8.2022 geltende neue 60325 Frankfurt/Main Gehaltstabelle findet man auf Seite 31. Telefon (0 69) 971 2930 Fax (0 69) 97 12 93 93 • Für die Lehrkräfte und die unter- E-Mail: info@gew-hessen.de richtsbegleitend tätigen sozialpä- Homepage: www.gew-hessen.de dagogischen Fachkräfte ist die neue Verantwortlicher Redakteur: Lehrkräfteentgeltordnung von gro- Harald Freiling ßer Bedeutung, die die einseitig vom Klingenberger Str. 13 60599 Frankfurt am Main Arbeitgeber festgelegten Eingruppie- Telefon (0 69) 636269 rungsrichtlinien ablöst. Die neue ta- E-Mail: freiling.hlz@t-online.de rifvertragliche Entgeltordnung tritt am Mitarbeit: 1. 8. 2022 in Kraft. Die GEW wird ihre Christoph Baumann (Bildung), Simone Claar (Hoch- Mitglieder umfassend informieren. Ei- schule), Stefan Edelmann (Bildung), Andrea Gergen (Aus- und Fortbildung), Michael Köditz (Sozialpäd- nen ersten Überblick gibt es in dieser agogik), Annette Loycke (Recht), Dana Lüddemann HLZ auf den Seiten 32 und 33. (Gewerkschaftliche Bildung), René Scheppler (Digitali- • Informationen über die Tarifei- sierung), Andreas Werther (Sozialpädagogische Berufe), Peter Zeichner (Mitbestimmung) nigung für die Beschäftigten der TU Darmstadt findet man auf Seite 33. Gestaltung: Harald Knöfel, Michael Heckert † • Weitere Infos: www.gew-hessen.de Titelthema: Kyra Beninga, Nathalie Schäfer, Hen- ning Tauche (Landesstudierendenausschuss) Illustrationen: GEW Nordhessen tagt am 5.4.2022 Corona: In eigener Sache Ruth Ullenboom (S. 4), Thomas Plaßmann (S. 17, 19) Fotos, soweit nicht angegeben: Nach § 15 der Satzung des GEW-Be- Bei Redaktionsschluss dieser Ausgabe Christian von Polentz | transit (Titel) zirksverbands Nordhessen wird die der HLZ erreichte die Zahl der Neuin- Verlag: Bezirksdelegiertenversammlung in der fektionen mit dem SARS-CoV-2-Vi- Mensch und Leben Verlagsgesellschaft mbH Regel alle drei Jahre einberufen. Sie rus einen neuen Höchststand. Alle Ein- Niederstedter Weg 5 ist das oberste Organ des Bezirksver- schätzungen zu Gegenmaßnahmen 61348 Bad Homburg bandes und bestimmt die Richtlinien und einem möglichen neuen Lockdown Anzeigenverwaltung: seiner Arbeit, wählt den Vorstand und dürften vier Wochen später, wenn die Mensch und Leben Verlagsgesellschaft mbH Peter Vollrath-Kühne beschließt den Haushalt. Die nächs- Zeitung die Leserinnen und Leser er- Postfach 19 44 te ordentliche Bezirksdelegiertenver- reicht, obsolet sein. Diese Ausgabe der 61289 Bad Homburg sammlung der GEW Nordhessen fin- HLZ enthält deshalb keine aktuellen Telefon (06172) 95 83-0, Fax: (06172) 9583-21 E-Mail: mlverlag@wsth.de det am Dienstag, dem 5. April 2022, Beiträge zum Thema. Stellungnahmen statt. Tagungsort ist Eppos Gastro in der GEW und aktuelle Informationen Erfüllungsort und Gerichtsstand: Bad Homburg Kassel (Damaschkestraße 35). findet man unter www.gew-hessen.de. Bezugspreis: Jahresabonnement 12,90 Euro (9 Ausgaben, ein- schließlich Porto); Einzelheft 1,50 Euro. Die Kosten Rubriken Einzelbeiträge Aus dem Inhalt sind für die Mitglieder der GEW Hessen im Beitrag enthalten. 4 Spot(t)light 7 Die GEW in den sozialen Medien 5 Meldungen 21 Warum ich auch im Ruhestand Zuschriften: Für unverlangt eingesandte Manuskripte und Bilder 6 Briefe | Meldungen Mitglied der GEW bleibe wird keine Haftung übernommen. Im Falle einer Ver- 36 Jubilarinnen und Jubilare 22 Landeshaushalt: Corona-Sonder- öffentlichung behält sich die Redaktion Kürzungen vor. Namentlich gekennzeichnete Beiträge müssen 37 Magazin vermögen ist verfassungswidrig nicht mit der Meinung der GEW oder der Redaktion 24 Im Gespräch: Nachweisfrist für übereinstimmen. Titelthema: Studieren in Hessen Masernschutz geht zu Ende 8 Endlich wieder in Präsenz studieren 26 Lesen durch Schreiben: Redaktionsschluss: 10 50 Jahre BAföG: Grund zum Feiern? An der Methode liegt es nicht Jeweils am 5. des Vormonats 12 Gewerkschaften fordern Tarifvertrag 28 GEW-Stiftung gegen Kinderarbeit für studentische Hilfskräfte 29 Gender Care Gap Nachdruck: 14 Neues Hessisches Hochschulgesetz 30 Computerarbeit und Gesundheit Fotomechanische Wiedergabe, sonstige Vervielfälti- 15 Die Studis in der GEW stellen sich vor 31 Tarif- und Besoldungsrunde 2021 gungen sowie Übersetzungen des Text- und Anzei- 16 Lehrerbildungsgesetz und Studium genteils, auch auszugsweise, nur mit ausdrücklicher 32 Neue Lehrkräfteentgeltordnung Genehmigung der Redaktion und des Verlages. 18 Klassismus: Bildungsungerechtigkeit 34 Mitbestimmung in der Pandemie an Hochschulen Druck: Druck- und Verlagshaus Thiele & Schwarz GmbH 20 Die GEW und die Klimabewegung 40 Fortbildungsangebote von lea Werner-Heisenberg-Str. 7, 34123 Kassel
3 HLZ 12/2021 zum Inhaltsverzeichnis KOMMENTAR Mehr als Wissensvermittlung Drei Semester lang fanden das Campus-Leben und sind sie als Sachmittel etatisiert, nicht als Perso- das Studium aufgrund der Corona-Pandemie fast nal. Die Forderung der GEW und anderer Gewerk- ausschließlich in verschiedenen digitalen Räumen schaften, endlich einen Tarifvertrag für studentische statt. Das jetzt laufende Wintersemester ist ein Prä- Hilfskräfte abzuschließen, ist die richtige Antwort. senzsemester mit Einschränkungen. Sie zeigen sich Das Ergebnis der Tarifrunde 2021, dass studentische vor allem in der Begrenzung der Zahl der Studie- Hilfskräfte ab dem Sommersemester mindestens 12 renden in den Präsenzveranstaltungen, da die Räu- Euro pro Stunde erhalten und ab 2023 an den li- me nicht vollständig ausgelastet werden können, in nearen Entgelterhöhungen des TV-H teilnehmen, ist der Maskenpflicht und der Kontrolle der Einhaltung ein wichtiger Schritt. der 3G-Regeln. So soll wieder mehr Normalität im Für ein gutes Studium braucht es für die Studie- direkten Austausch zwischen Studierenden und Leh- renden auch eine Verlässlichkeit, dass sie ihr Studi- renden hergestellt werden, um die Mitstudierenden um mit dem vertrauten Lehrpersonal abschließen kön- kennenzulernen und die Hochschule als politischen nen. Angesichts der ausufernden Befristungspraxis an Raum zurückzugewinnen. den Hochschulen ist das keineswegs selbstverständ- Noch heute denke ich gerne an meine Zeit des Stu- lich. Die Leidtragenden sind die Studierenden, wenn diums an der Philipps-Universität Marburg vor 14 befristetet beschäftigtes Personal während der Prü- Jahren zurück: inhaltliche Debatten, Kämpfe für die fungen oder Abschlussarbeiten ausgewechselt wird. Verbesserung von Studienbedingungen, Proteste ge- Ein Studium soll nicht nur Wissen für die Arbeits- gen Studiengebühren, Arbeit als studentische Hilfs- welt vermitteln, sondern auch die Gelegenheit bieten, kraft und am Ende als Studienabschluss ein Diplom. sich hochschulpolitisch zu engagieren und sich in ge- Seitdem hat sich viel für die Studierenden an den sellschaftliche Debatten einzubringen. Dazu gehört, hessischen Hochschulen verändert. Zu meiner Zeit die Stimme in den Gremien der Hochschule zu erhe- hat der Bologna-Prozess gerade Fahrt aufgenom- ben, sich für bessere Studienbedingungen einzusetzen men, heute gibt es nur noch Bachelor, Master und oder für einen Tarifvertrag für studentische Hilfskräf- Staatsexamen. Damit hat sich aber auch das Studi- te auf die Straße zu gehen. Dazu gehört die Stimme um verändert: mehr Leistungsdruck, denn ohne guten gegen Rechts zu erheben und die Frage zu stellen, wie BA-Abschluss bleibt der Master bei Zugangsbeschrän- wir dem Klimawandel begegnen können. Wie können kungen verwehrt. Parallel sollen die Studierenden für wir auch im Namen der Wissenschaft Bündnisse für den Arbeitsmarkt Auslandserfahrungen und Prakti- eine inklusive, gerechte und sozial-ökologische Ge- ka sammeln. Auf der Strecke bleibt, dass Studierende sellschaft schmieden? Das sind einige Fragen, denen das Studium auch finanzieren müssen. Es gibt immer wir in dieser HLZ nachgehen (S. 8-20). weniger Studierende, die BAföG-berechtigt sind, und Insgesamt muss ein Studium die überwiegend jun- auch der Höchstsatz reicht in Städten wie Frankfurt gen Erwachsenen befähigen, ihr Fachwissen einzu- nicht zum Leben: Das muss sich ändern! bringen, aber auch für ihre Belange und Interessen Um sich das Studium leisten zu können, arbei- einzutreten. Deswegen ist Studium mehr als Wis- ten viele Studierende unter anderem als studentische sensvermittlung! Hilfskräfte an den Hochschulen. Die Bedingungen sind prekär: Der Stundenlohn variiert je nach Stand- ort, die Laufzeit der Arbeitsverträge ist oft sehr kurz, bei Krankheit wird erwartet, die Stunden nachzuho- len, und es herrscht teilweise Willkür bei Aufgaben und Abhängigkeiten. Im Haushalt der Hochschulen Simone Claar ist seit der Landesdelegiertenversammlung Ende September stellvertretende Landesvorsitzende der GEW Hessen. Sie ist Mitglied der Bundesfachgruppe Hoch- Dr. Simone Claar, schule und Forschung der GEW und leitet eine Nachwuchs- stellvertretende Landesvor- gruppe an der Universität Kassel. sitzende der GEW Hessen
SPOT(T)LIGHT zum Inhaltsverzeichnis HLZ 12/2021 4 „Driving home for Christmas" „Endlich wieder Saison für mein Lieb- der Haustür drapiert. Die Rentiere hat Kreuz und Autoversicherung will, dass lingsgemüse!“, freut sich die Radio-Mo- aber gleich in der ersten Ausstellungs- ich es vor allem „besinnlich“ habe. deratorin: „Marzipankartoffeln!“ – Um nacht der Fuchs verschleppt und hin- Nach dem vierten Glas Glühwein wird mich herum fängt der Teil der Bevöl- ter der Mülltonne genüsslich zerkaut. es mir hoffentlich gelingen, versunken kerung, der als „Frau gelesen wird“ *, Morgens ist es schwer, einen Radio- in die Teelichter zu starren. Wohltätige wild an zu backen und zu werkeln. Die sender zu finden, der einem nicht auf Organisationen schicken mir massen- lieblichsten weihnachtlichen Keks- und den Keks geht. Im Klassik-Radio zwit- haft Adressaufkleber und ihre Konto- Pralinenvariationen entstehen. Nein, schert ein hoher Sopran stundenlang nummern. Woher haben die alle meine ich will das Rezept für die Mozartta- „Halleluja“, in den aufgeregten Quatsch- Adresse? Auch die Müllabfuhr und der ler mit Nougat und Marzipan nicht! Ich sendern läuft ein Christmas-Popsong Zeitungsbote hinterlassen mir herzliche wiege schon genug. nach dem anderen. Schnulzengrößen Weihnachtswünsche… Die Wurstverkäuferin trägt seit heu- fahren Schlitten, obwohl es gar keinen Seit Wochen wird auf dem Thema te ein Rentiergeweih aus Filz, der Mann Schnee mehr gibt, küssen sich unterm „Einsamkeit an den Feiertagen“ her- an der Kasse eine rote Zipfelmütze. Mistelzweig und verschenken ihr Herz umgehackt. Wer das Gefühl bisher noch Angeblich machen sie das freiwillig. an die Falsche. Eine Sängerin wartet ko- gar nicht hatte, wird es im Laufe des Ich habe aber den Filialleiter in Ver- kett auf Santa. Im Internet erfahre ich, Dezembers entwickeln, wenn er täg- dacht. Meine Nachbarn liefern sich ei- dass man „sexistische Weihnachtslieder“ lich in der Zeitung liest, dass er selbst- nen Wettstreit, wessen Haus am effekt- nicht mehr spielen sollte. Der Autor er- mordgefährdet ist. Bahnhofsmissionen vollsten und am hellsten illuminiert ist. klärt, dass der Kamin in diesen Songs fangen einsame Herzen auf, Notrufe Mal was von Lichtverschmutzung ge- nie eine Feuerstelle meint… hingegen warten auf die Opfer glückli- hört?! Die armen Wildschweine und Mindestens einmal am Tag singt cher Familienfeste. Meine Freundin, die Füchse, die hier mit uns zusammen le- dieser eine Mann im Radio davon, dass Ärztin, wird gerade im Dezember von ben, wissen gar nicht mehr, wann Tag er Weihnachten heimfährt und es kaum Patienten belagert, denen vor Weih- und wann Nacht ist. Amseln beginnen erwarten kann, Mama und Papa wie- nachtstreffen mit der Familie graut. schon Nester zu bauen. Von den Bal- derzusehen. Und um ihn herum im Stau Menschen, die sich aus gutem Grund konen im Viertel hängen rote Weih- lauter „Autofahrende“*, denen es ge- das ganze Jahr über nicht sehen, sollen nachtsmänner samt Schlitten. Beleuch- nauso geht. Es gibt nichts Schöneres zu Weihnachten Harmonie ausstrahlen. tete Sterne zieren die Haustüren. Wer ist als Christmas. Behauptet ein anderer An den Feiertagen finden man- nur so hoch in die Tanne geklettert, um Sänger. Eine Ärztin, die ich gut ken- che Menschen Zeit für den alljährli- den güldenen Lichterschmuck dort an- ne, schiebt Weihnachten immer Not- chen Kettenbrief an Verwandte, Freun- zubringen? Ich habe auch ein paar Kie- und Nachtdienste vor, um ihrer Familie de und ganz weit entfernte Bekannte. fernzweige und zwei Plüschrentiere vor zu entfliehen. Wer meint, in muslimi- Unverdrossen erzählen sie vom letzten schen Ländern den Feiertagen zu ent- Grünkohlessen, von Bandscheibenvor- kommen, irrt sich gewaltig. Auch dort fällen und Darmverschlüssen, vom En- stehen den christlichen Touristen zulie- kelzuwachs samt sonderbarer Namens- be Weihnachtsbäume im Foyer und an gebung (Schlumi, Bibbo, Lavendel), der Rezeption trägt man Rentiergeweih. schwärmen vom Urlaub in der Eifel Eine alte Großtante wünscht mir und im Harz. Auch Kulturhöhepunk- „lieberfüllte, christfrohe Feiertage“. te und Todesfälle im sozialen Umfeld Die Weihnachtspost von Ge- bleiben nicht unerwähnt. Über Clouds werkschaft, Rotem im Internet wird das Ganze mit bezau- bernden Fotos garniert: Gattin im Pool in Tunesien, in Südfrankreich und im Vogtland, Gattin am Buffet und vorm Orchestergraben. Gattin beim Corona- Test und auf einem Keramikmarkt in Verona. Gattin und Gatte mit dem Sel- fie-Stick auf der Seufzerbrücke in Ve- nedig. Das Glück strahlt ihnen auf je- dem Foto aus den Augen! – Hier endet der Text. Mein alljährlicher Kettenbrief wartet auf die letzten Sätze! Falls Sie noch nicht in meinem Verteiler stehen, holen Sie das bitte nach! Gabriele Frydrych *) In diesem Text habe ich mich ausnahms- weise mal an zwei Stellen bemüht, mich po- litisch korrekt und zeitgemäß auszudrücken!
5 HLZ 12/2021 zum Inhaltsverzeichnis MELDUNGEN HLZ informiert über Tarifeinigung für Hessen Nach einem ersten Tariftelegramm über die wesentlichen Inhalte der Tarifeini- gung im Geltungsbereich des TV-H und die Auswirkungen auf die Beschäftig- ten des Landes in der HLZ 11/2021 in- formieren wir in dieser HLZ umfassend über Gehaltserhöhungen, Sonderzah- lungen und die neue Entgeltordnung für Lehrkräfte (HLZ Seite 31 bis 33 und unter www.gew-hessen.de). Corona-Sondervermögen ist verfassungswidrig Das Urteil des Hessischen Staatsge- Wiesbaden, richtshofs, der die Bildung eines Co- 13. November (Foto: GEW) rona-Sondervermögens insbesondere wegen der Umgehung von Parlaments- rechten für verfassungswidrig erklär- A 13 für professionelle Grundschulpädagogik te, darf aus Sicht der GEW Hessen nicht zu weiteren Kürzungen im Lan- Am 13. und 14. November demon man ihr Gehalt mit dem der anderen deshaushalt führen. Der GEW-Landes- strierten Kolleginnen und Kollegen in Lehrämter vergleicht. Das Motto lau- vorsitzende Thilo Hartmann verwies Wiesbaden und Kassel und bei zahlrei- tete: „Der Würfel muss fallen – A 13 auf den hohen Ausgabenbedarf im Bil- chen lokalen Aktionen für die Forde- für professionelle Grundschulpädago- dungsbereich: „Es fehlt an qualifizier- rung nach Angleichung der Einkom- gik jetzt umsetzen!“ Inzwischen ha- tem Personal in den Kitas, Schulen und men der Grundschullehrkräfte an die ben neun Bundesländer A13 bzw. E 13 Hochschulen und es gibt einen erheb- ihrer Kolleginnen und Kollegen in allen für Grundschullehrkräfte eingeführt lichen Investitionsstau im Bereich der anderen Lehrämtern. Der 13. Novem- oder entsprechende Schritte eingelei- Bildungsinfrastruktur.“ Eine restriktive ber gilt als „erster Tag der unbezahlten tet. In Kassel sprachen unter anderen Haushaltspolitik habe „nichts mit Ge- Arbeit“: Vom 13. November bis zum die DGB-Regionsgeschäftsführerin Jen- nerationengerechtigkeit zu tun“. Wei- 31. Dezember arbeiten die Lehrkräf- ny Huschke und die SPD-Landtagsab- tere Analysen in dieser HLZ S.22-23. te an Grundschulen ohne Lohn, wenn geordnete Manuela Strube. Die GEW auf dem Bildungsforum der Frankfurter Buchmesse Personalrätepreis 2021 geht auch nach Frankfurt An der Auftaktveranstaltung zu meh- bildungs-, Weiterbildungs- und Einstel- reren Bildungsforen auf der Frankfurter lungsprogramm aufzulegen und damit Die „Silbermedaille“ des deutschen Per- Buchmesse nahm neben Kultusminis- kleinere Klassen zu ermöglichen, statt sonalrätepreises 2021 geht an den Ge- ter Lorz und Dr. Ilas Körner-Wellers- einmalige additive Angebote zu finan- samtpersonalrat der Beschäftigten der haus (Verband Bildungsmedien) auch zieren“. Stadt Frankfurt am Main für sein Pro- der hessische GEW-Vorsitzende Thi- Auch bei der Digitalisierung müs- jekt „AnStadt INTOLERANZ“, das nach lo Hartmann teil. Er begrüßte die An- se die Landesregierung deutlich nach- Auffassung der Jury „die Notwendig- kündigung des Kultusministers, das legen: „Viele Leihgeräte können we- keit des respektvollen Umgangs unter- UBUS-Programm deutlich auszuwei- gen der restriktiven Vorgaben für die streicht und ein klares Bekenntnis für ten, auch seine Aussage, die Ausstat- Userrechte von den Lehrkräften nicht eine Kultur des Miteinanders darstellt“. tung der Schulen mit mobilen Luftfil- sinnvoll genutzt werden und auch das Der Personalrätepreis in Gold geht tern werde „nicht am Geld scheitern“. datenschutzkonforme Videokonferenz- an den Gesamtpersonalrat der Stadt Als Alternative zu dem punktuellen system steht weiter aus.“ Die Diskussion Nürnberg für eine Dienstvereinbarung Förderprogramm „Löwenstark“ forder- steht auf YouTube zur Verfügung (htt- zum Schutz der städtischen Beschäf- te Hartmann, „ein umfangreiches Aus- ps://bit.ly/3EA4gOn). tigten vor Beleidigungen, Pöbeleien, Anfeindungen in sozialen Medien und körperlicher Gewaltanwendung. Der Personalrätepreis ist eine Initia- tive der Fachzeitschrift „Der Personal- rat“. Er würdigt seit 2010 herausragende Projekte von Interessenvertretungen im öffentlichen Dienst. Die Bewerbungs- frist für den Personalrätepreis 2022 en- det am 31.5.2022 (www.dprp.de). Bildungsforum Buchmesse: Dr. Ilas Körner-Wellershaus, Kultusminister Professor Lorz, Thilo Hartmann (GEW) und Moderatorin Karin Plötz (LitCam); Foto: Olaf Fuhrmann
BRIEFE | MELDUNGEN zum Inhaltsverzeichnis HLZ 12/2021 6 Betr.: HLZ 11/2021 kommunalen Reinigungspersonals und Outsourcing der Schulreinigung die Ansprechbarkeit im Schulalltag wa- ren die Voraussetzungen. Ein fortwährendes Ärgernis Nach der Kommodifizierung auch Bis zu meinem kürzlich begonnenen dieses öffentlichen Bereiches ließ die Ruhestand war die Schulreinigung ein Qualität der Reinigung erheblich nach. persistierendes Ärgernis im Alltag mei- Die Vergabe der Reinigungsaufgabe ner Grundschule in Kassel, seitdem der an Fremdfirmen, die Reinigung nach Schulträger Fremdfirmen beschäftigte. wirtschaftlichen, gewinnorientierten Die Alternativen - Beschäftigung von Gesichtspunkten betreiben, wirkte de- Erstmals schreiben die GEW Hessen, Fremdfirmen oder von kommunalen saströs. Der Fürsorgeaspekt der Schul- das Zentrum für Ökumene der Evan- Reinigungskräften – waren der Gegen- reinigung geriet aus dem Blickfeld, der gelischen Kirche in Hessen-Nassau stand immerwährender Diskussionen. Sorgfaltsaspekt wurde marginalisiert. und Kurhessen-Waldeck, pax chris- Mit kommunalen Reinigungskräf- Der hohe Zeitdruck, unter dem meist ti und die DFG-VK Hessen einen ge- ten konnten Absprachen über bestimm- zu wenige Beschäftigte eine zu große meinsamen Schulwettbewerb zum te Reinigungsnotwendigkeiten flexibel Fläche zu reinigen hatten, ließ Ober- Thema „Die Waffen nieder“ aus. getroffen werden, ohne große Umstän- flächlichkeit einziehen. Hinzu kam, Gruppen mit mindestens drei Schü- de. Individuelle Wünsche bezogen auf dass die Mitarbeiter:innen dieser Fir- lerinnen und Schülern können bis unterschiedliche Klassengemeinschaf- men häufig die Beschäftigung nur als zum 9. Mai 2022 Arbeiten einreichen. ten konnten unproblematisch kom- Übergangstätigkeit betrachteten; Fluk- • Weitere Infos: www.gew-hessen. muniziert und berücksichtigt werden. tuation war an der Tagesordnung. Die de und in dieser HLZ auf Seite 37 Gab es nach großen Bastelarbeiten un- Mitarbeiter:innen identifizierten sich verhältnismäßigen Reinigungsbedarf, zumeist weder mit der Tätigkeit noch wurde gemeinsam mit den Reinigungs- mit der Schule. Durch die Arbeitszeiten Aus dem Hauptpersonalrat kräften aufgeräumt, Schüler:innen blieben sie für Kinder und Lehrer:innen der Lehrerinnen und Lehrer und Lehrer:innen konnten ihren Bei- weitgehend anonym, sodass auch kein trag leisten für einen saubere Umge- notwendiges Beziehungsgeflecht auf- • Das Hessische Kultusministerium bung. Es gab ein Beziehungsgeflecht gebaut werden konnte. (HKM) bekräftigte auf Anfrage des zwischen allen Beteiligten. Wir konn- Hygiene kann als Lehre von der Ge- Hauptpersonalrats der Lehrerinnen ten die Arbeit des Reinigungspersonals sunderhaltung des Einzelnen und der und Lehrer (HPRLL), dass die Teilnah- wertschätzen, dies direkt rückmelden. Allgemeinheit definiert werden, als Ge- me an einer Umfrage zum Impfstatus Kinder und in der Schule Arbei- samtheit der Maßnahmen zur Erhaltung von Lehrkräften freiwillig ist und alle tende kannten sich untereinander. Die und Verbesserung der Gesundheit und Rückmeldungen anonymisiert ausge- Verursacher:innen von Verunreinigun- des Wohlbefindens sowie als Maßnah- wertet werden. gen konnten schnell herausgefunden me zur Vermeidung und Bekämpfung • Mobile Luftfilteranlagen können werden und gemeinsam mit den Rei- von Infektionskrankheiten. Auf dieser weiterhin über die WI-Bank finanziert nigungskräften für deren Beseitigung Grundlage ist Hygiene mit der Beschäf- werden. Bezüglich der schleppenden sorgen. Reinigung wurde nicht nur als tigung von Fremdfirmen für die Rei- Umsetzung verweist das HKM auf die Dienstleistung oder als Ware gesehen, nigung der Schulen schwer vereinbar. Zuständigkeit der Schulträger. sondern alle am Schulleben Beteiligten • Der HPRLL thematisiert die deut- Ursula Winkenjohann sahen, dass Sorge getragen wurde für Grundschullehrerin im Ruhestand, im Be- liche Diskrepanz zwischen dem „Di- uns. Und auch wir sahen, dass wir alle gi-Truck“, der hessische Grundschu- rufsleben auch Ausbilderin am Studiense- mit unserem Verhalten dafür mit Ver- minar und pädagogische Mitarbeiterin an len anfährt, und der unzureichenden antwortung trugen. Das feste Team des der Universität Kassel digitalen Ausstattung der Schulen, die man mit der Umsetzung der Ideen, die im „Digi-Truck“ erworben werden Aus der Landesfachgruppe Schulaufsicht können, im Regen stehen lässt. Die Fachgruppe Schulaufsicht, Schul- Außerdem fordert die Fachgruppe, • Für den Quereinstieg Grundschu- psychologie und Schulentwicklung im gewerkschaftsintern und nach außen le stehen erneut 40 Plätze zur Verfü- GEW-Landesvorstand fordert das Kul- im Kontext von Schulleitung auf den gung. Ethik wurde herausgenommen, tusministerium auf, die Schulaufsicht Begriff der „Führung“ zu verzichten. der Sachunterricht bleibt als Kernfach in Hessen und die Lehrkräfteakademie Sinnvoll und richtig sei der Begriff erhalten. Voraussetzungen für die Be- so auszustatten, dass sie ihren Auf- „Leitung“ im Sinn von „Leadership“. Er werbung sind ein Diplom, ein Ma- gaben bei der Begleitung, Beratung signalisiere, dass es eine Persönlichkeit gister oder ein akkreditierter Bache- und Kontrolle im Fach Islamischer gibt, die die Verantwortung für das je- lor bzw. Master und eine mindestens Religionsunterricht tatsächlich nach- weilige System übernimmt, die Kom- fünfjährige Berufserfahrung. kommen können. Bisher gebe es keine petenzen aller Mitarbeiterinnen und • Der HPRLL erneuerte die Forde- schulfachlichen Aufsichtsbeamtinnen Mitarbeiter achtet und sie anregt, sich rung, dass Lehrkräfte nach dem 2. und Aufsichtsbeamten, die befähigt in dessen Entwicklungsprozess einzu- Staatsexamen am 1. August und nicht sind, islamischen Religionsunterricht bringen. Der Begriff „Führung“ sei in erst am Ende der Sommerferien einge- nach der Verfassung, dem Schulgesetz Deutschland historisch und emotional stellt werden, da sie keinen Anspruch und dem Erlass zum Religionsunter- belastet und eng mit den Attributen auf ALG I oder ALG II haben. richt qualifiziert zu beurteilen. „Befehl“ und „Gehorsam“ verknüpft.
7 HLZ 12/2021 zum Inhaltsverzeichnis GEW HESSEN Social Media und die GEW Jürgen Habermas hat in seiner jüngs- Nachdem Elke Hoeft in den Un-Ru- ten Veröffentlichung „Überlegungen hestand gegangen ist, besteht die Gra- und Hypothesen zu einem erneuten fikabteilung der Landesgeschäftsstel- Strukturwandel der politischen Öffent- le jetzt aus Joyce Abrahams und (neu lichkeit“ die Qualität des öffentlichen im Team) Dennis Kahlenberg. Wir er- Diskurses in der mediatisierten und di- stellen die klassischen Druckerzeugnis- gitalisierten Öffentlichkeit untersucht. se (Broschüren, Flyer, Plakate), pfle- Sein Fazit bezüglich der sozialen Netz- gen die Homepage des Landesverbands werke und ihres Einflusses auf die Öf- und helfen beim Aufbau und der Pfle- fentlichkeit ist ernüchternd: Das „gro- ge der Internetseiten der Kreis- und Be- ße emanzipatorische Versprechen“ des zirksverbände. Außerdem wollen wir Internets werde „heute von den wüs- die Social-Media-Kanäle des Landes- ten Geräuschen in fragmentierten, in verbands ausbauen und intensiver be- sich selbst kreisenden Echoräumen spielen. Aktuell nutzen wir Facebook, übertönt“. Dennoch sind die sozialen Instagram und YouTube. Bei allen drei Netzwerke ein Ort des Austausches und Plattformen gilt es spezifische Anforde- nicht notwendigerweise an eine solche rungen und Zielsetzungen zu berück- negative Verwendung gebunden. Ob- sichtigen. Die Inhalte können wir zwar wohl Plattformen wie Facebook oder von der Homepage übernehmen, sie be- Instagram mit der Aufmerksamkeit der dürfen jedoch einer grafischen Aufwer- Nutzer Profite generieren, können wir tung und inhaltlichen Akzentuierung. als politische Organisation nicht auf Aktuell haben wir vor allem die Ta- die sozialen Netzwerke verzichten. Ne- rifrunde Hessen 2021 und die A13-Ak- ben den Nachteilen wie mangelhaften tionen (HLZ S. 5) durch Beiträge und Datenschutzrichtlinien und profitorien- Storys begleitet, um zusätzliche Auf- tierter Vermarktung gibt es auch Vortei- merksamkeit für gesellschaftlich re- le für die GEW, die dafür sprechen, So- levante Themen zu erzeugen. Wir er- cial-Media-Kanäle zu betreiben: fahren so aber auch, was unseren • Wir treten mit unseren Mitglie- Abonnent:innen wichtig ist. Die Funk- dern und denjenigen, die es vielleicht tionen der jeweiligen Plattform ermög- noch werden wollen, in einen direkte- lichen es, Fragen einzufügen oder Stim- ren Austausch. mungsbilder zu erzeugen. GIFs (kleine • Unsere Inhalte werden schneller und bewegte Bildschnipsel) und Hashtags unkomplizierter einem breiten Publi- verbessern den Wiedererkennungswert. kum zugänglich gemacht. Nutzerinnen Die sozialen Medien sind Teil der und Nutzer, die nicht direkt auf unse- gesellschaftlichen Kommunikation und re Homepage zugreifen können oder wichtiges Werkzeug zur Mobilisierung wollen, haben trotzdem die Möglich- und Informationsverbreitung. Wir hof- keit, Informationen über bevorstehen- fen, dass mittels Social Media interes- de Aktionen zu erhalten. sierte Kolleginnen und Kollegen einen • Die von uns organisierten Veran- Zugang zur Arbeit der GEW Hessen fin- staltungen werden von anderen Grup- den und im besten Fall Mitglieder wer- pen aufgenommen und geteilt. den. Im Laufe der Tarifkampagne 2021 So können wir unsere Reichweite hat genau das stattgefunden. Die Zahl vergrößern und ein interaktives Netz- der Abonnent:innen unserer Kanäle werk im gewerkschaftlich-politischen nimmt stetig zu. Die Facebook-Seite Rahmen begründen. gefällt rund 1.500 Personen und der In- stagram-Kanal überschreitet demnächst die Marke von 700 Abonnent:innen. Rund 100 Personen kamen in den letz- ten drei Monaten hinzu. Kreis- oder Be- zirksverbänden, die ebenfalls einen So- cial-Media-Auftritt planen, helfen wir gerne bei der Planung, Umsetzung und grafischen Aufbereitung, so wie wir das bereits für die Homepages als Service angeboten haben. Joyce Abrahams, Dennis Kahlenberg Unsere Profis für Grafik, Web und Social Me- dia: Joyce Abrahams und Dennis Kahlenberg
TITELTHEMA zum Inhaltsverzeichnis HLZ 12/2021 8 Endlich wieder Präsenzbetrieb Zur Situation an den Hochschulen nach 18 Monaten Pandemie Seit zwei Monaten läuft das neue Semester unter gesonderten müdend zugleich. Insbesondere für Pendler:innen stellte Hygienebedingungen. Doch diese müssen auch sozialverträglich sich eine Zeitersparnis ein und die Hochschulen haben ei- und datenschutzrechtlich gestaltet sein. Schon vor der Pande- nen Sprung hinsichtlich Digitalisierung der Lehre gemacht, mie war die Situation an den Hochschulen keine gute, aber jetzt doch dies insbesondere deshalb, weil sie im Vorfeld wenig braucht es soziale Auffangmechanismen statt Leistungsdruck. gerüstet waren. Die Pandemie wurde stark auf dem Rücken der Einzelnen ausgetragen, sowohl der Lehrenden, für die zu Diskutieren statt auf Kacheln starren Beginn der Pandemie die Umstellung der Lehre auf den Di- gitalbetrieb sehr viel Mehrarbeit bedeutete, als auch der Stu- Ein seltsames Gefühl, wieder in den Gängen der Hochschu- dierenden, von denen sich viele insbesondere zu Beginn der le zu den Seminarräumen zu eilen. Selbst zu Zeiten meines Pandemie mit finanziellen Unsicherheiten konfrontiert sahen. Auslandssemesters war ich nicht so lange nicht in den Ge- Aber Bildung besteht nicht nur darin, erfolgreich Abschlüs- bäuden der Hochschule gewesen wie nun aufgrund der Pan- se zu generieren. Es geht auch um das gemeinsame Disku- demie. Ich frage mich, was ich am meisten vermisst habe. In tieren, um soziales Lernen. Und das fällt tatsächlich nun im erster Linie waren es die zufälligen Begegnungen, das spon- Nachgang der Pandemie schwer. tane gemeinsam Diskutieren nach einem Seminar, das Fei- Die Atmosphäre in den Seminarräumen ist angespannt erabendbier an der Studi-Trinkhalle. All dies fiel über ein und zeugt von Unsicherheit. Gehemmte Diskussionsbereit- Jahr lang weg. Was blieb, waren die Prüfungen, die Hausar- schaft, Fremdeln und Frustration zeigen, wie stark die Nach- beiten, die Seminare. Statt als Bildungsorte, die immer auch wirkungen einer Pandemie nun wirklich sind. Die psychoso- eine Lernumgebung für Erkenntnisgewinn und gemeinsames ziale Belastung ist hoch und die Hochschulen müssen dieser Denken sein sollten, ist die Hochschule zu einer Lernfabrik mit Angeboten und einem Ernstnehmen der Situation Rech- und Produktionsstätte von Abschlüssen verkommen. Mehr nung tragen. Gerade weil die Rückkehr zum Präsenzunter- als ein Jahr befanden wir Studierenden uns in einem repe- richt so unerlässlich und wichtig ist, stellte sich besonders titiven, abstumpfenden Trott. zum Beginn des Wintersemesters die Frage, wie man sie ge- Den ganzen Tag vor dem Bildschirm zu verbringen und staltet. Insbesondere zu Beginn der Pandemie wurden die auf Kacheln zu starren, war nicht genug fordernd und er- Mitbestimmungsrechte der akademischen Gremien häufig übergangen, Studierende als größte Statusgruppe selten in den Prozess der Meinungsbildung und der Umsetzung der Maßnahmen einbezogen. Und weiterhin herrscht Unsicher- heit über die Rückkehr an die Hochschulen, auch in der Aus- gestaltung der Hygienemaßnahmen. Wildwuchs bei Hygienevorschriften und 3G-Regel Viele Fragen waren bis zum Beginn des Wintersemesters un- geklärt und immer noch herrscht große Skepsis. Wie schaf- fen wir es, trotz Präsenz die Fallzahlen niedrig zu halten? Wer kontrolliert am Campus? Wie steht es um ausländische Studierende? Wird ihr Impfnachweis anerkannt? In Hessen herrscht ein ziemlicher Wildwuchs im Umgang mit der Pandemie. Jede Hochschule kann eigene Regelun- gen treffen. An meiner Hochschule, der Goethe-Universität, gilt wie an allen Hochschulen außer der Technischen Hoch- schule Mittelhessen die 3G-Regelung. Die Kontrolle erfolgt durch Mitarbeitende externer Dienstleistungsunternehmen, d.h. in der Regel schlecht bezahlte, uniformierte Sicherheits- kräfte. Die Justus-Liebig-Universität lässt die Einhaltung von 3G durch die Lehrenden kontrollieren, eine günstigere und vielleicht weniger einschüchternde Variante, aber mit einer zusätzlichen Belastung der Beschäftigten. Mancherorts wer- den Selbsttests akzeptiert, die von den Hochschulen gestellt werden. Ein für ihre Mitglieder kostenfreies Testzentrum be- treibt die Technische Universität Darmstadt. Zweifelsohne steht außer Frage, dass Hygieneregeln unter den Pandemie- bedingungen erforderlich sind. Unterstützt werden könnte dies durch kostenlose medizinische Schutzmasken und kos-
9 HLZ 12/2021 zum Inhaltsverzeichnis STUDIEREN IN HESSEN tenlose Corona-Tests für Beschäftigte und Studierende, so- terfragt werden, ob Gruppen- und Seminargrößen angepasst lange diese Maßnahmen erforderlich sind. und Lehrangebote und Prüfungen an sich auf den Prüfstand Die Hochschulleitungen haben unisono die erfolgreiche gestellt werden müssen. Auch bei den vielfach prekären Be- Rückkehr zum Präsenzbetrieb verkündet, doch erreichen uns schäftigungsbedingungen an Hochschulen darf es kein „Wei- Rückmeldungen, dass die Maßnahmen nicht adäquat umge- ter so!“ geben. Auch die baulichen Voraussetzungen sollten setzt werden, über Unsicherheiten auf allen Seiten und den überdacht werden. Ist die große Massenvorlesung ein Aus- Ausschluss vulnerabler Gruppen. Es ist wichtig, dass sich laufmodell? Alle reden in diesem Zuge von „Blended Lear- Hochschulen weiter an Impfkampagnen beteiligen und Stu- ning“, wo Lernphasen digitalisiert und Präsenz primär für In- dierenden und Beschäftigten Impfangebote machen. Aus teraktion und Zusammenarbeit genutzt werden sollen. Rücksicht auf vulnerable Personen und auf Personen, die Sicherlich ist es richtig, dass das Studium mehr nach un- nicht geimpft werden können, muss es für Lehrveranstaltun- seren Lebensrealitäten im Spannungsverhältnis zwischen Job, gen auch hybride Formate geben. Dafür braucht es deutlich Familie und Freizeit und nach den individuellen Anforderun- mehr technisches Personal. Für die Finanzierung dieser Maß- gen des Lernen strukturiert werden sollte. Aber nach den Er- nahmen muss das Land aufkommen. Stichprobenartige Kon- fahrungen mit den bisherigen Reformprozessen steckt auch trollen können eine praktikable Lösung sein, allerdings ist in der Digitalisierung die Gefahr von Sparmaßnahmen. Was es datenschutzrechtlich bedenklich, wenn Nachweise in Stu- wir an positiven Errungenschaften und Erfahrungen im di- dienausweisen oder durch Markierungen vermerkt werden. gitalen Bereich gesammelt haben, muss als didaktisches Zu- Zweifellos bietet der Umgang mit der Pandemie auch satzangebot zur Präsenzlehre sinnvoll in den akademischen Chancen für die Hochschulen. War es noch zeitgemäß, wie Kontext überführt werden und darf nicht zu einer Aushöh- wir lernten? Ist es nicht symptomatisch, dass die Hochschu- lung der Hochschule als sozialem Lernort führen, den wir in len erst so spät wieder in den Fokus der Politik gerieten? Das der Pandemie schmerzlich vermissten. zieht natürlich auch Fragen der Prioritätensetzung, von Rah- Nathalie Schäfer in Zusammenarbeit mit Tobias Cepok und menbedingungen und Finanzierung nach sich. So muss hin- Cecilia Schweitzer HLZ-Titelthema: Studieren in Hessen Die HLZ-Redaktion bedankt sich beim Landesausschuss der Studentinnen und Studenten der GEW Hessen (LASS) für die Gestaltung des Titelthemas dieser HLZ. Der Dank geht ins- besondere an Kyra Beninga, Nathalie Schäfer und Henning Tauche, das Sprecher:innen-Team der Studierenden in der GEW Hessen, die ihre Arbeit auf Seite 15 vorstellen, und den GEW-Hochschulreferenten Tobias Cepok. Die weiteren Beiträ- ge befassen sich mit diesen Themen aus der Arbeit des LASS: • Nathalie Schäfer reflektiert die Erfahrungen von Studie- renden aus 18 Monaten digitalem Studium und bei der Rück- kehr zum Präsenzbetrieb. Kerstin Bach ergänzt die Perspek- tive einer wissenschaftlichen Mitarbeiterin (S. 13). • Durch die Corona-Krise hat sich die wirtschaftliche Lage Kassel, vieler Studierender massiv verschlechtert. Aber auch ohne 12.10.2021 die Pandemie sind 50 Jahre BAföG kein Grund zum Feiern. (Foto: GEW) Das meint das Bündnis #BAföG50 (S. 10 f.). • Henning Tauche beleuchtet auf Seite 12 f. die Notwendig- keit und den Stand der Auseinandersetzungen um die Ein- beziehung der studentischen Hilfskräfte in den Tarifver- trag Hessen oder einen eigenständigen TVStud. • In ihren Stellungnahmen zur anstehenden Novellierung des Hessischen Hochschulgesetzes haben die GEW Hessen und die Landes-Asten-Konferenz gleichermaßen die Interes- sen der Beschäftigten wie der Studierenden im Blick (S.14). • Kyra Beninga erklärt, warum sich auch Studierende drin- gend um die Novellierung des Hessischen Lehrerbildungs- gesetzes kümmern sollten (S.16 -17). • Mit Klassenstrukturen und Bildungsungerechtigkeit an Hochschulen befasst sich der Beitrag von Jutta Hergenhan und Henning Tauche (S.18-19). • Das Spannungsfeld von Gewerkschaften und jungen Kli- Fulda, ma-Aktivist:innen und die Rolle der jungen Mitglieder der 24.9.2021 GEW sind die Themen von Maximilian Nowak (S. 20) (Foto: GEW)
TITELTHEMA zum Inhaltsverzeichnis HLZ 12/2021 10 50 Jahre BAföG: Talfahrt stoppen Gerechtigkeitslücken schließen, Strukturreformen anpacken Das BAföG trat vor 50 Jahren in Kraft mit dem Ziel, eine Studierende aus sozio-ökonomisch benachteiligten Hinter- Ausbildungsfinanzierung zu schaffen, die Chancengleichheit gründen an die Hochschulen streben, führen nicht zu einer im Bildungswesen ermöglicht. Aber das BAföG hält sein Ver- Erhöhung der Gefördertenquote: Im Gegenteil, sie sinkt, ob- sprechen nicht ein: Es ist zu niedrig, es führt zu Verschul- wohl mehr Menschen aus finanziell benachteiligten Haus- dung, es erreicht zu wenig Personen und insbesondere die halten studieren. Personen nicht, die es am dringendsten bräuchten. Um die- Das Bundesministerium für Bildung und Forschung sem Missstand zu begegnen, hat sich ein Bündnis gegrün- (BMBF) verweist darauf, dass viele an sich Förderberechtig- det, um das Thema BAföG in den politischen Diskurs zu rü- te keinen Antrag stellen und die Zahlen deshalb so niedrig cken. Es fordert eine radikale Reform! seien. Der wahre Grund, dass die Inanspruchnahme so nied- Das BAföG wird 50! Das Bundesausbildungsförderungsge- rig ist, ist jedoch in der Struktur des BAföG zu suchen. His- setz – kurz BAföG – trat 1971 in der BRD in Kraft und löste torisch zeigt sich eindeutig, dass die Gefördertenquote durch damit sein Vorgängermodell ab. Sein erklärtes Ziel in seiner bestimmte gesetzliche Entscheidungen stark beeinflusst wird. ursprünglichen Form war es, Schüler:innen und Studieren- Nach Abschaffung des Vollzuschusses im Jahr 1974 und der den aus einkommensschwächeren Bevölkerungsschichten bei Einführung des Schuldenzwangs bei Bezug im Jahr 1982 der Finanzierung ihrer Ausbildung unter die Arme zu grei- sank die Gefördertenquote besonders stark. Auf der anderen fen. So war es ursprünglich als ein Vollzuschuss konzipiert Seite war sie während des Vollzuschusses besonders hoch. und mit einem Rechtsanspruch verbunden. Das ist logisch, da die Angst vor Verschuldung das höchs- Dies schlug sich in den Quoten der Bezieher:innen nie- te Hemmnis nicht nur der Inanspruchnahme der Finan- der: Vor 50 Jahren bezogen noch 44,6 % aller Studierenden zierung darstellt, sondern sogar für das Studieren an sich! das BAföG, fast die Hälfte derer, die sich einschrieben, pro- Die Elternfreibetragsgrenze, die regelt, wann BAföG in An- fitierten von der Finanzierung. spruch genommen werden kann, muss als weiteres struktu- relles Problem gewertet werden. Die Elternfreibeträge erfas- sen die unteren und mittleren Mittelstandsschichten kaum Gefördertenquote auf historischem Tiefstand und müssten daher massiv erhöht werden, damit das BAföG Heute sieht die Situation anders aus: Über die Jahrzehn- wieder mehr Menschen in der unteren und mittleren sozio- te sank die Gefördertenquote bis 2021 auf einen histori- ökonomischen Schicht erreicht. schen Tiefstand von nur noch 11 % der Studierenden, bei Schüler:innen sind es gerade einmal 1,5 %. Auch wenn Die Architektur des BAföG bröckelt ausländische Studierende aus der Gesamtzahl immatriku- lierter Studierender herausgerechnet werden wie dies die Die Architektur des BAföG bröckelt auch deshalb, weil der Gegner:innen eines BAföG-Ausbaus fordern, ändert sich an Höchstsatz des BAföG, der derzeit bei 861 Euro liegt und den dieser Bilanz nur ganz wenig. auch nicht alle Beziehenden in voller Höhe erhalten, kaum Auch der kontinuierliche Anstieg der Zahl der Studie- zum Leben ausreicht. So reicht die Wohnkostenpauschale von renden in Deutschland und die Tatsache, dass immer mehr 325 Euro in den wenigsten Universitätsstädten noch, um ein WG-Zimmer zu zahlen. Ursprünglich sollte anhand der Sozi- alerhebung des Deutschen Studentenwerks (DSW) alle zwei Jahre überprüft werden, wie hoch der Bedarf der Beziehen- den ist. Doch die schleppende Erhöhung gegenüber den im- mer stärker steigenden Lebenskosten führt dazu, dass das BAföG einen viel zu geringen Satz hat. Mit den viel zu niedrigen BAföG-Sätzen befasste sich kürzlich auch das Bundesverwaltungsgericht in den Bera- tungen über eine Klage aus dem Wintersemester 2014/2015 und kam dabei zu einem eindeutigen Urteil: „Nach Überzeugung des Bundesverwaltungsgerichts ist die Fest- legung des Bedarfssatzes (…) mit dem verfassungsrechtlichen Teilhaberecht auf gleichberechtigten Zugang zu staatlichen Aus- bildungsangeboten nicht vereinbar.“ Das Bundesverwaltungsgericht legte diese Auffassung dem zuständigen Bundesverfassungsgericht zur Prüfung vor. Auch dieses Urteil unterstreicht nochmals, wie notwendig die deutliche Anhebung der Sätze ist. Die GEW hat deshalb im Mai 2021 ihren studentischen Mitgliedern empfohlen, Wi- derspruch gegen ihren letzten BAföG-Bewilligungsbescheid einzulegen und so die Ansprüche für die Nachzahlungen für Quelle: Bündnis BAföG 50, https://bafoeg50.de/
11 HLZ 12/2021 zum Inhaltsverzeichnis STUDIEREN IN HESSEN den Fall zu sichern, dass das Bundesverfassungsgericht dem Bundesverwaltungsgericht in seiner Argumentation folgt. Vor dem Hintergrund des niedrigen Satzes und der vielen Studierenden, die in der Corona-Krise in eine Notlage gera- ten sind, ist es zynisch, dass das BMBF fast eine Milliarde an nicht ausgegebenen Geldern an das Finanzministerium zurückgegeben hat. Es ist deutlich geworden: Das BAföG ist nicht krisenfest. Durch das jahrelange Herunterwirtschaften, durch die versagte Öffnung des BAföG und angesichts von Corona-Soforthilfen von maximal 500 Euro sahen sich vie- le Studierende gezwungen, auf ein kreditbasiertes Studien- finanzierungsmodell zurückzugreifen. Der KfW-Studienkredit, den das BMBF in der Coronakrise einem heißen Stein gleicht? Soll dieser dann als Vollzuschuss ausgebaut hat, ist ein echter Krisengewinner der Coronapan- gewährt werden? Gerade für Kinder aus Arbeiter:familien ist demie, die KfW-Kreditanträge haben sich zwischen 2019 und ein Berufsstart mit Schuldenberg ein Hemmnis, Anträge zu 2020 vervierfacht. Dabei handelt es sich nach Vergleichsun- stellen. Unter den Koalitionsparteien liegen die Auffassun- tersuchungen des Centrums für Hochschulentwicklung (CHE) gen sichtlich auseinander: Die Grünen priorisieren die Eltern um den teuersten Studienfinanzierungskredit. Akademische unabhängigkeit, die SPD den Vollzuschuss, der wiederum der Bildung wird so zur Ware. Dieser Tendenz gilt es sich mit al- FDP ein Dorn im Auge ist. ler Macht entgegenzustellen. Das BAföG als Herzstück der Studienfinanzierung muss krisenfest gemacht werden und endlich wieder an den Lebens- BAföG-Bündnis für Kurswechsel realitäten und Bedarfen der Studierenden und Schüler:innen Wie auch immer eine neue Regierung das BAföG gestaltet, ansetzen, von denen es sich im Laufe der 50 Jahre seines Be- sie wird vom Bündnis #BAföG50 kritisch begleitet, das im stehens schrittweise abgekoppelt hat. letzten Jahr seiner Forderung nach substanziellen Reformen, Vollzuschuss, Elternunabhängigkeit, deutlicher Anhebung Bildungsgerechtigkeit beginnt in der Schule und Öffnung für Schüler:innen lautstark Ausdruck verlieh. Das Bündnis #BAföG50 hat sich im Dezember 2020 ge- Die Probleme des BAföG sind offenkundig: Neben der deut- gründet. Im Bündnis sind verschiedene studentische, gewerk- lichen bedarfsgerechten Anhebung der Sätze, der Umwan- schaftliche und politische Jugendorganisationen aktiv, dar- delung in einen Vollzuschuss und der Anpassung der Eltern- unter auch die GEW-Studis. Unser gemeinsames Ziel ist es, freibeträge muss das BAföG auch wieder für Schüler:innen allen Menschen die Bildung zu ermöglichen, die sie wollen. ab Klasse 10 geöffnet werden. Bildungsgerechtigkeit beginnt Mündigkeit lässt sich nur mit einer selbstbestimmten Bildung in der Schule. Die Hürden für das Schüler:innen-BAföG sind erreichen. Wer den Kampf für ein besseres BAföG unterstüt- so hoch, dass sie kaum zu überwinden sind. Das muss sich zen möchte, sollte auch die entsprechende Petition unterstüt- ändern! Die finanzielle Situation der Eltern darf nicht dar- zen: https://bafoeg50.de/petition/. über entscheiden, wer über die 9. Klasse hinaus die Schule Nathalie Schäfer besuchen kann. Ferner muss das Studium an deutschen Hochschulen für alle Studierenden unabhängig von ihrer Jahr Koalition Die Chronologie des BAföG Herkunft förderfähig werden. Die Förderdauer muss erhöht werden, Barrieren durch Altersgrenzen oder Bürokratie müs- Das BAföG beginnt als Vollzuschuss und 1971 SPD/FDP sinkt bis 1981 kontinuierlich. sen abgeschafft werden. Deshalb muss die neue Bundesregierung eine Struktur- 1974 SPD/FDP Der Darlehensbetrag wird eingeführt. reform liefern, damit das Gesetz dem Grundrecht auf freie BAföG-Kahlschlag: BAföG gibt es nur 1982 CDU/FDP Berufswahl in vollem Umfang Rechnung tragen kann. Auf noch als Volldarlehen. dem Weg des BAföG zu einem elternunabhängigen staat- Möllemann (FDP) wandelt das BAföG zur 1990 CDU/FDP lichen Studienhonorar muss es in ein Sockelmodell umge- heutigen Darlehensform um. baut werden, das einen elternunabhängigen Betrag beinhal- umfangreiche Reform: Verschuldungs- SPD/ tet, der sukzessive erhöht werden muss. Doch dies kann nur 2001 obergrenze 10.000 €, Kindergeld nicht Grüne geschehen, wenn das BAföG und seine Problematik im bil- mehr als Einkommen dungspolitischen Diskurs wahrgenommen und auf die poli- Auslandsstudium möglich, Minijobs nicht tische Agenda gesetzt werden. 2008- CDU/SPD als Einkommen angerechnet, Erhöhung Auch beim Thema BAföG befinden wir uns während der 2010 CDU/FDP Bedarfssätze (2008: 10 %, 2010: 2 %), Er- Verhandlungen über eine Ampel-Koalition in einer spannen- höhung Freibeträge (2008: 8 %, 2010: 3 %) den Zeit: Im viel beschworenen Sondierungspapier lässt der Erhöhung Bedarfssätze und Freibeträge einzige Satz zum BAföG zwar auf eine Strukturreform hof- 2014- (je 7 %), aufenthaltsberechtigte und ge- CDU/SPD fen, doch geht dieser Satz merklich wenig ins Detail: „Das 2017 duldete ausländische Studierende können BAföG wollen wir reformieren und dabei elternunabhängi- BAföG beziehen ger gestalten.“ Erhöhung der Bedarfssätze (2019: 5 %, Das lässt zwar auf Veränderung hoffen, aber in welche 2020: 2 %), geringfügige Erhöhung wei- 2019 CDU/SPD Richtung wird sie gehen? Wird das gesamte BAföG elternun- terer Zuschläge, Änderung der Rückzahl- abhängig oder nur ein Sockel? Wie hoch kann ein solcher modalitäten Sockel angehoben werden, dass er nicht einem Tropfen auf Quelle: Bündnis BAföG 50, https://bafoeg50.de
TITELTHEMA zum Inhaltsverzeichnis HLZ 12/2021 12 Wenn Sachmittel streiken… GEW Hessen: Aktiv für den TVStud Im Jahr 2009 waren etwa 9.000 studentische und wissen- Trotz dieser denkbar schlechten Voraussetzungen ist 2020 schaftliche Hilfskräfte an hessischen Hochschulen beschäf- aus einer Mischung von Corona-Koller, Überstundenfrust und tigt. Diese Zahl hat sich in den letzten zehn Jahren fast ver- digitalem Vernetzungsschub eine bundesweite Kampagne von doppelt: Derzeit sind in Hessen über 16.000 Hilfskräfte im Hilfskräften ins Leben gerufen worden, deren erklärtes Ziel es Einsatz. Damit machen sie etwa ein Viertel, an größeren Uni- ist, einen Tarifvertrag für studentische Beschäftigte (TVStud) versitäten wie Frankfurt oder Gießen sogar ein Drittel aller nach Berliner Vorbild zu erstreiken. Darauf aufbauend kam Hochschulbeschäftigten aus. Die Tendenz ist eindeutig: Im- es auch in Hessen zur Gründung und Vernetzung von Hilfs- mer mehr Aufgabenbereiche werden an teilzeitbeschäftigte kräftereferaten und TVStud-Gruppen. Hilfskräfte ausgelagert, sei es in der Forschung oder Lehre, im technischen Support oder in der Verwaltung. Hilfskräfte Die TVStud-Bewegung im Tarifstreit in Hessen sind personalpolitisch gesehen billige und dabei oft hoch- qualifizierte Arbeitskräfte. Im Haushalt der Hochschulen fir- Ihrem deutlichen und vor allem auch lauten Auftreten ist es mieren sie als Sachmittel. zu verdanken, dass die Gewerkschaften GEW und ver.di die Die geringe Bezahlung und die oft schlechten Arbeitsbe- Forderung nach einer Tarifierung studentischer Hilfskräfte als dingungen von studentischen Beschäftigten sind kein Ge- prominentes Thema in die Verhandlungen mit der Tarifge- heimnis. An vielen Hochschulen in Hessen liegt der Stun- meinschaft der Länder im Bereich des Tarifvertrags der Län- denlohn kaum über dem Mindestlohn. Die Nichteinhaltung der (TV-L) aufnahmen. Auch in Hessen, das seit 2004 nicht von arbeitsrechtlichen Mindeststandards, illegale Urlaubs- mehr Teil der TdL ist, hat die TVStud-Bewegung im Zuge der regelungen oder unbezahlte Überstunden sind keine Einzel- gerade abgeschlossenen Tarifverhandlungen im Bereich des fälle. Kurze Vertragslaufzeiten, fehlende Vertretungsbefugnis Tarifvertrags Hessen (TV-H) trotz geringem Mobilisierungs- der Personalräte und der Umstand, dass für Hilfskräfte der grad für viel Sichtbarkeit gesorgt (HLZ S.33). Vom Verhand- Studienort gleichzeitig Arbeitsplatz ist, kumulieren sich in lungsauftakt in Wiesbaden über die Warnstreikaktionen in einer besonderen Vulnerabilität dieser Beschäftigtengruppe. Darmstadt, Wiesbaden, Frankfurt und Kassel bis zur letzten Dies müsste eigentlich in einer hohen Unzufriedenheit der Verhandlungsrunde in Dietzenbach: An fast allen Veranstal- Hilfskräfte resultieren. Aber das Gegenteil scheint der Fall. tungen und Streikaktionen waren auch Hilfskräfte beteiligt. Aus einer Studie im Auftrag der Max-Traeger-Stiftung der Mit der Begründung, nicht als „Türöffner“ für die TdL fun- GEW aus dem Jahr 2012 geht hervor, dass Hilfskräfte über- gieren zu wollen, sperrte sich das CDU-geführte Innenminis- aus zufriedene Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind. terium während der Verhandlungen gegen die Einbeziehung (1) Dafür macht die Studie die folgenden Ursachen aus: von Hilfskräften in den TV-H. Trotzdem konnten dem Ar- • Es handelt sich bei der Hilfskrafttätigkeit oft um das ers- beitgeber im Rahmen der Tarifeinigung und des Kodex für te Arbeitsverhältnis. Gute Arbeit an Hochschulen einige Zugeständnisse abge- • Die Beschäftigung als Hilfskraft wird nur als Durchgangs- rungen werden: Dazu zählen ein Mindeststundensatz von 12 stadium im Rahmen der eigenen Qualifikation verstanden. Euro, eine Erhöhung der Entgelte in Anlehnung an den TV- • Der direkte Zugang zu den Professuren wird als besonde- H, hochschulöffentliche Stellenausschreibungen sowie ein- res Privileg wahrgenommen und überwiegt den Ärger über heitliche Urlaubsregelungen. Zwar bringen diese Regelungen die schlechten Arbeitsbedingungen. nicht an allen hessischen Hochschulen substanzielle Verbes- serungen mit sich, nivellieren jedoch den Flickenteppich an Vorgaben und Stundensätzen in Hessen. Es ist ein Schritt in die richtige Richtung, aber von dem Ziel – der Tarifierung von studentischer Arbeit im Hochschul- bereich – sind wir immer noch weit entfernt. TVStud: Wie geht es weiter? Nun gilt es zu klären, wie es mit TVStud in Hessen weiter- gehen soll. Es bestünde schließlich die Möglichkeit, jenseits des TV-H einen eigenständigen TVStud auszuhandeln. Dies wäre in Hinblick auf die Blockadehaltung des Innenminis- teriums und den derzeitigen Mobilisierungsgrad eine Herku- lesaufgabe. Aber auch ein Ausharren bis zur nächsten Ta- rifrunde 2024 scheint keine Option zu sein. Zum Zeitpunkt des Redaktionsschlusses stand zudem noch nicht fest, ob sich die TdL auf tarifliche Regelungen für Hilfskräfte einlassen wird. Impulse aus den Verhandlungen mit der TdL könnten dann gegebenenfalls auch für Hessen von Bedeutung sein. 12. Oktober 2021: TV-H-Warnstreik in Darmstadt (Foto: GEW)
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