Zeitschrift der Hessen für Erziehung, Bildung, Forschung 74.Jahr Heft12 Dezember2021 - GEW Hessen

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Zeitschrift der Hessen für Erziehung, Bildung, Forschung 74.Jahr Heft12 Dezember2021 - GEW Hessen
TITELTHEMA                            zum Inhaltsverzeichnis   HLZ 12/2021   1

                          Zeitschrift der                 Hessen
                         für Erziehung, Bildung, Forschung

                        74. Jahr   Heft 12        Dezember 2021
                                                   zum Inhaltsverzeichnis

 TITELTHEMA:
  Studieren in Hessen
Zeitschrift der Hessen für Erziehung, Bildung, Forschung 74.Jahr Heft12 Dezember2021 - GEW Hessen
IN DIESER HLZ                                                                                                                                   HLZ 12/2021         2

                                                                                                                            Zeitschrift der GEW Hessen
                                                                     Tarifeinigung für Hessen                               für Erziehung, Bildung, Forschung
                                                                                                                            ISSN 0935-0489
                                                                Nach den ersten Kurzinformationen
                                                                über die Tarifeinigung im Bereich des     I    M       P      R      E     S        S   U       M
                                                                TV-H in der HLZ 11/2021 gehen wir in
                                                                dieser HLZ ins Detail:                    Herausgeber:
                                                                • Die Informationen zu den Entgelt-       Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft
                                                                                                          Landesverband Hessen
                                                                erhöhungen und den Sonderzahlungen        Zimmerweg 12
                                                                und die ab dem 1.8.2022 geltende neue     60325 Frankfurt/Main
                                                                Gehaltstabelle findet man auf Seite 31.   Telefon (0 69) 971 2930
                                                                                                          Fax (0 69) 97 12 93 93
                                                                • Für die Lehrkräfte und die unter-       E-Mail: info@gew-hessen.de
                                                                richtsbegleitend tätigen sozialpä-        Homepage: www.gew-hessen.de
                                                                dagogischen Fachkräfte ist die neue       Verantwortlicher Redakteur:
                                                                Lehrkräfteentgeltordnung von gro-         Harald Freiling
                                                                ßer Bedeutung, die die einseitig vom      Klingenberger Str. 13
                                                                                                          60599 Frankfurt am Main
                                                                Arbeitgeber festgelegten Eingruppie-      Telefon (0 69) 636269
                                                                rungsrichtlinien ablöst. Die neue ta-     E-Mail: freiling.hlz@t-online.de
                                                                rifvertragliche Entgeltordnung tritt am   Mitarbeit:
                                                                1. 8. 2022 in Kraft. Die GEW wird ihre    Christoph Baumann (Bildung), Simone Claar (Hoch-
                                                                Mitglieder umfassend informieren. Ei-     schule), Stefan Edelmann (Bildung), Andrea Gergen
                                                                                                          (Aus- und Fortbildung), Michael Köditz (Sozialpäd-
                                                                nen ersten Überblick gibt es in dieser    agogik), Annette Loycke (Recht), Dana Lüddemann
                                                                HLZ auf den Seiten 32 und 33.             (Gewerkschaftliche Bildung), René Scheppler (Digitali-
                                                                • Informationen über die Tarifei-         sierung), Andreas Werther (Sozialpädagogische Berufe),
                                                                                                          Peter Zeichner (Mitbestimmung)
                                                                nigung für die Beschäftigten der TU
                                                                Darmstadt findet man auf Seite 33.        Gestaltung: Harald Knöfel, Michael Heckert †
                                                                • Weitere Infos: www.gew-hessen.de        Titelthema: Kyra Beninga, Nathalie Schäfer, Hen-
                                                                                                          ning Tauche (Landesstudierendenausschuss)
                                                                                                          Illustrationen:
                    GEW Nordhessen tagt am 5.4.2022                  Corona: In eigener Sache             Ruth Ullenboom (S. 4), Thomas Plaßmann (S. 17, 19)
                                                                                                          Fotos, soweit nicht angegeben:
                    Nach § 15 der Satzung des GEW-Be-           Bei Redaktionsschluss dieser Ausgabe      Christian von Polentz | transit (Titel)
                    zirksverbands Nordhessen wird die           der HLZ erreichte die Zahl der Neuin-
                                                                                                          Verlag:
                    Bezirksdelegiertenversammlung in der        fektionen mit dem SARS-CoV-2-Vi-          Mensch und Leben Verlagsgesellschaft mbH
                    Regel alle drei Jahre einberufen. Sie       rus einen neuen Höchststand. Alle Ein-    Niederstedter Weg 5
                    ist das oberste Organ des Bezirksver-       schätzungen zu Gegenmaßnahmen             61348 Bad Homburg
                    bandes und bestimmt die Richtlinien         und einem möglichen neuen Lockdown        Anzeigenverwaltung:
                    seiner Arbeit, wählt den Vorstand und       dürften vier Wochen später, wenn die      Mensch und Leben Verlagsgesellschaft mbH
                                                                                                          Peter Vollrath-Kühne
                    beschließt den Haushalt. Die nächs-         Zeitung die Leserinnen und Leser er-      Postfach 19 44
                    te ordentliche Bezirksdelegiertenver-       reicht, obsolet sein. Diese Ausgabe der   61289 Bad Homburg
                    sammlung der GEW Nordhessen fin-            HLZ enthält deshalb keine aktuellen       Telefon (06172) 95 83-0, Fax: (06172) 9583-21
                                                                                                          E-Mail: mlverlag@wsth.de
                    det am Dienstag, dem 5. April 2022,         Beiträge zum Thema. Stellungnahmen
                    statt. Tagungsort ist Eppos Gastro in       der GEW und aktuelle Informationen        Erfüllungsort und Gerichtsstand:
                                                                                                          Bad Homburg
                    Kassel (Damaschkestraße 35).                findet man unter www.gew-hessen.de.
                                                                                                          Bezugspreis:
                                                                                                          Jahresabonnement 12,90 Euro (9 Ausgaben, ein-
                                                                                                          schließlich Porto); Einzelheft 1,50 Euro. Die Kosten
                    Rubriken                                     Einzelbeiträge
   Aus dem Inhalt

                                                                                                          sind für die Mitglieder der GEW Hessen im Beitrag
                                                                                                          enthalten.
                     4   Spot(t)light                            7 Die GEW in den sozialen Medien
                     5   Meldungen                              21 Warum ich auch im Ruhestand            Zuschriften:
                                                                                                          Für unverlangt eingesandte Manuskripte und Bilder
                     6   Briefe | Meldungen                        Mitglied der GEW bleibe                wird keine Haftung übernommen. Im Falle einer Ver-
                    36   Jubilarinnen und Jubilare              22 Landeshaushalt: Corona-Sonder-         öffentlichung behält sich die Redaktion Kürzungen
                                                                                                          vor. Namentlich gekennzeichnete Beiträge müssen
                    37   Magazin                                   vermögen ist verfassungswidrig         nicht mit der Meinung der GEW oder der Redaktion
                                                                24 Im Gespräch: Nachweisfrist für         übereinstimmen.
                    Titelthema: Studieren in Hessen
                                                                   Masernschutz geht zu Ende
                     8 Endlich wieder in Präsenz studieren      26 Lesen durch Schreiben:                 Redaktionsschluss:
                    10 50 Jahre BAföG: Grund zum Feiern?           An der Methode liegt es nicht          Jeweils am 5. des Vormonats
                    12 Gewerkschaften fordern Tarifvertrag      28 GEW-Stiftung gegen Kinderarbeit
                       für studentische Hilfskräfte             29 Gender Care Gap                        Nachdruck:
                    14 Neues Hessisches Hochschulgesetz         30 Computerarbeit und Gesundheit          Fotomechanische Wiedergabe, sonstige Vervielfälti-
                    15 Die Studis in der GEW stellen sich vor   31 Tarif- und Besoldungsrunde 2021        gungen sowie Übersetzungen des Text- und Anzei-
                    16 Lehrerbildungsgesetz und Studium                                                   genteils, auch auszugsweise, nur mit ausdrücklicher
                                                                32 Neue Lehrkräfteentgeltordnung          Genehmigung der Redaktion und des Verlages.
                    18 Klassismus: Bildungsungerechtigkeit      34 Mitbestimmung in der Pandemie
                       an Hochschulen                                                                     Druck:
                                                                                                          Druck- und Verlagshaus Thiele & Schwarz GmbH
                    20 Die GEW und die Klimabewegung             40 Fortbildungsangebote von lea          Werner-Heisenberg-Str. 7, 34123 Kassel
Zeitschrift der Hessen für Erziehung, Bildung, Forschung 74.Jahr Heft12 Dezember2021 - GEW Hessen
3     HLZ 12/2021   zum Inhaltsverzeichnis                                                                  KOMMENTAR

           Mehr als Wissensvermittlung
    Drei Semester lang fanden das Campus-Leben und             sind sie als Sachmittel etatisiert, nicht als Perso-
    das Studium aufgrund der Corona-Pandemie fast              nal. Die Forderung der GEW und anderer Gewerk-
    ausschließlich in verschiedenen digitalen Räumen           schaften, endlich einen Tarifvertrag für studentische
    statt. Das jetzt laufende Wintersemester ist ein Prä-      Hilfskräfte abzuschließen, ist die richtige Antwort.
    senzsemester mit Einschränkungen. Sie zeigen sich          Das Ergebnis der Tarifrunde 2021, dass studentische
    vor allem in der Begrenzung der Zahl der Studie-           Hilfskräfte ab dem Sommersemester mindestens 12
    renden in den Präsenzveranstaltungen, da die Räu-          Euro pro Stunde erhalten und ab 2023 an den li-
    me nicht vollständig ausgelastet werden können, in         nearen Entgelterhöhungen des TV-H teilnehmen, ist
    der Maskenpflicht und der Kontrolle der Einhaltung         ein wichtiger Schritt.
    der 3G-Regeln. So soll wieder mehr Normalität im              Für ein gutes Studium braucht es für die Studie-
    direkten Austausch zwischen Studierenden und Leh-          renden auch eine Verlässlichkeit, dass sie ihr Studi-
    renden hergestellt werden, um die Mitstudierenden          um mit dem vertrauten Lehrpersonal abschließen kön-
    kennenzulernen und die Hochschule als politischen          nen. Angesichts der ausufernden Befristungspraxis an
    Raum zurückzugewinnen.                                     den Hochschulen ist das keineswegs selbstverständ-
       Noch heute denke ich gerne an meine Zeit des Stu-       lich. Die Leidtragenden sind die Studierenden, wenn
    diums an der Philipps-Universität Marburg vor 14           befristetet beschäftigtes Personal während der Prü-
    Jahren zurück: inhaltliche Debatten, Kämpfe für die        fungen oder Abschlussarbeiten ausgewechselt wird.
    Verbesserung von Studienbedingungen, Proteste ge-             Ein Studium soll nicht nur Wissen für die Arbeits-
    gen Studiengebühren, Arbeit als studentische Hilfs-        welt vermitteln, sondern auch die Gelegenheit bieten,
    kraft und am Ende als Studienabschluss ein Diplom.         sich hochschulpolitisch zu engagieren und sich in ge-
    Seitdem hat sich viel für die Studierenden an den          sellschaftliche Debatten einzubringen. Dazu gehört,
    hessischen Hochschulen verändert. Zu meiner Zeit           die Stimme in den Gremien der Hochschule zu erhe-
    hat der Bologna-Prozess gerade Fahrt aufgenom-             ben, sich für bessere Studienbedingungen einzusetzen
    men, heute gibt es nur noch Bachelor, Master und           oder für einen Tarifvertrag für studentische Hilfskräf-
    Staatsexamen. Damit hat sich aber auch das Studi-          te auf die Straße zu gehen. Dazu gehört die Stimme
    um verändert: mehr Leistungsdruck, denn ohne guten         gegen Rechts zu erheben und die Frage zu stellen, wie
    BA-Abschluss bleibt der Master bei Zugangsbeschrän-        wir dem Klimawandel begegnen können. Wie können
    kungen verwehrt. Parallel sollen die Studierenden für      wir auch im Namen der Wissenschaft Bündnisse für
    den Arbeitsmarkt Auslandserfahrungen und Prakti-           eine inklusive, gerechte und sozial-ökologische Ge-
    ka sammeln. Auf der Strecke bleibt, dass Studierende       sellschaft schmieden? Das sind einige Fragen, denen
    das Studium auch finanzieren müssen. Es gibt immer         wir in dieser HLZ nachgehen (S. 8-20).
    weniger Studierende, die BAföG-berechtigt sind, und           Insgesamt muss ein Studium die überwiegend jun-
    auch der Höchstsatz reicht in Städten wie Frankfurt        gen Erwachsenen befähigen, ihr Fachwissen einzu-
    nicht zum Leben: Das muss sich ändern!                     bringen, aber auch für ihre Belange und Interessen
       Um sich das Studium leisten zu können, arbei-           einzutreten. Deswegen ist Studium mehr als Wis-
    ten viele Studierende unter anderem als studentische       sensvermittlung!
    Hilfskräfte an den Hochschulen. Die Bedingungen
    sind prekär: Der Stundenlohn variiert je nach Stand-
    ort, die Laufzeit der Arbeitsverträge ist oft sehr kurz,
    bei Krankheit wird erwartet, die Stunden nachzuho-
    len, und es herrscht teilweise Willkür bei Aufgaben
    und Abhängigkeiten. Im Haushalt der Hochschulen
    Simone Claar ist seit der Landesdelegiertenversammlung
    Ende September stellvertretende Landesvorsitzende der
    GEW Hessen. Sie ist Mitglied der Bundesfachgruppe Hoch-                                   Dr. Simone Claar,
    schule und Forschung der GEW und leitet eine Nachwuchs-                                   stellvertretende Landesvor-
    gruppe an der Universität Kassel.                                                         sitzende der GEW Hessen
Zeitschrift der Hessen für Erziehung, Bildung, Forschung 74.Jahr Heft12 Dezember2021 - GEW Hessen
SPOT(T)LIGHT                                                                                 zum Inhaltsverzeichnis        HLZ 12/2021       4

„Driving home for Christmas"
      „Endlich wieder Saison für mein Lieb-       der Haustür drapiert. Die Rentiere hat       Kreuz und Autoversicherung will, dass
      lingsgemüse!“, freut sich die Radio-Mo-     aber gleich in der ersten Ausstellungs-      ich es vor allem „besinnlich“ habe.
      deratorin: „Marzipankartoffeln!“ – Um       nacht der Fuchs verschleppt und hin-         Nach dem vierten Glas Glühwein wird
      mich herum fängt der Teil der Bevöl-        ter der Mülltonne genüsslich zerkaut.        es mir hoffentlich gelingen, versunken
      kerung, der als „Frau gelesen wird“ *,          Morgens ist es schwer, einen Radio-      in die Teelichter zu starren. Wohltätige
      wild an zu backen und zu werkeln. Die       sender zu finden, der einem nicht auf        Organisationen schicken mir massen-
      lieblichsten weihnachtlichen Keks- und      den Keks geht. Im Klassik-Radio zwit-        haft Adressaufkleber und ihre Konto-
      Pralinenvariationen entstehen. Nein,        schert ein hoher Sopran stundenlang          nummern. Woher haben die alle meine
      ich will das Rezept für die Mozartta-       „Halleluja“, in den aufgeregten Quatsch-     Adresse? Auch die Müllabfuhr und der
      ler mit Nougat und Marzipan nicht! Ich      sendern läuft ein Christmas-Popsong          Zeitungsbote hinterlassen mir herzliche
      wiege schon genug.                          nach dem anderen. Schnulzengrößen            Weihnachtswünsche…
          Die Wurstverkäuferin trägt seit heu-    fahren Schlitten, obwohl es gar keinen           Seit Wochen wird auf dem Thema
      te ein Rentiergeweih aus Filz, der Mann     Schnee mehr gibt, küssen sich unterm         „Einsamkeit an den Feiertagen“ her-
      an der Kasse eine rote Zipfelmütze.         Mistelzweig und verschenken ihr Herz         umgehackt. Wer das Gefühl bisher noch
      Angeblich machen sie das freiwillig.        an die Falsche. Eine Sängerin wartet ko-     gar nicht hatte, wird es im Laufe des
      Ich habe aber den Filialleiter in Ver-      kett auf Santa. Im Internet erfahre ich,     Dezembers entwickeln, wenn er täg-
      dacht. Meine Nachbarn liefern sich ei-      dass man „sexistische Weihnachtslieder“      lich in der Zeitung liest, dass er selbst-
      nen Wettstreit, wessen Haus am effekt-      nicht mehr spielen sollte. Der Autor er-     mordgefährdet ist. Bahnhofsmissionen
      vollsten und am hellsten illuminiert ist.   klärt, dass der Kamin in diesen Songs        fangen einsame Herzen auf, Notrufe
      Mal was von Lichtverschmutzung ge-          nie eine Feuerstelle meint…                  hingegen warten auf die Opfer glückli-
      hört?! Die armen Wildschweine und               Mindestens einmal am Tag singt           cher Familienfeste. Meine Freundin, die
      Füchse, die hier mit uns zusammen le-       dieser eine Mann im Radio davon, dass        Ärztin, wird gerade im Dezember von
      ben, wissen gar nicht mehr, wann Tag        er Weihnachten heimfährt und es kaum         Patienten belagert, denen vor Weih-
      und wann Nacht ist. Amseln beginnen         erwarten kann, Mama und Papa wie-            nachtstreffen mit der Familie graut.
      schon Nester zu bauen. Von den Bal-         derzusehen. Und um ihn herum im Stau         Menschen, die sich aus gutem Grund
      konen im Viertel hängen rote Weih-          lauter „Autofahrende“*, denen es ge-         das ganze Jahr über nicht sehen, sollen
      nachtsmänner samt Schlitten. Beleuch-       nauso geht. Es gibt nichts Schöneres         zu Weihnachten Harmonie ausstrahlen.
      tete Sterne zieren die Haustüren. Wer ist   als Christmas. Behauptet ein anderer             An den Feiertagen finden man-
      nur so hoch in die Tanne geklettert, um     Sänger. Eine Ärztin, die ich gut ken-        che Menschen Zeit für den alljährli-
      den güldenen Lichterschmuck dort an-        ne, schiebt Weihnachten immer Not-           chen Kettenbrief an Verwandte, Freun-
      zubringen? Ich habe auch ein paar Kie-      und Nachtdienste vor, um ihrer Familie       de und ganz weit entfernte Bekannte.
      fernzweige und zwei Plüschrentiere vor      zu entfliehen. Wer meint, in muslimi-        Unverdrossen erzählen sie vom letzten
                                                  schen Ländern den Feiertagen zu ent-         Grünkohlessen, von Bandscheibenvor-
                                                  kommen, irrt sich gewaltig. Auch dort        fällen und Darmverschlüssen, vom En-
                                                  stehen den christlichen Touristen zulie-     kelzuwachs samt sonderbarer Namens-
                                                  be Weihnachtsbäume im Foyer und an           gebung (Schlumi, Bibbo, Lavendel),
                                                  der Rezeption trägt man Rentiergeweih.       schwärmen vom Urlaub in der Eifel
                                                      Eine alte Großtante wünscht mir          und im Harz. Auch Kulturhöhepunk-
                                                    „lieberfüllte, christfrohe Feiertage“.     te und Todesfälle im sozialen Umfeld
                                                            Die Weihnachtspost von Ge-         bleiben nicht unerwähnt. Über Clouds
                                                                       werkschaft, Rotem       im Internet wird das Ganze mit bezau-
                                                                                               bernden Fotos garniert: Gattin im Pool
                                                                                               in Tunesien, in Südfrankreich und im
                                                                                               Vogtland, Gattin am Buffet und vorm
                                                                                               Orchestergraben. Gattin beim Corona-
                                                                                               Test und auf einem Keramikmarkt in
                                                                                               Verona. Gattin und Gatte mit dem Sel-
                                                                                               fie-Stick auf der Seufzerbrücke in Ve-
                                                                                               nedig. Das Glück strahlt ihnen auf je-
                                                                                               dem Foto aus den Augen! – Hier endet
                                                                                               der Text. Mein alljährlicher Kettenbrief
                                                                                               wartet auf die letzten Sätze! Falls Sie
                                                                                               noch nicht in meinem Verteiler stehen,
                                                                                               holen Sie das bitte nach!
                                                                                                                    Gabriele Frydrych
                                                                                               *) In diesem Text habe ich mich ausnahms-
                                                                                               weise mal an zwei Stellen bemüht, mich po-
                                                                                               litisch korrekt und zeitgemäß auszudrücken!
Zeitschrift der Hessen für Erziehung, Bildung, Forschung 74.Jahr Heft12 Dezember2021 - GEW Hessen
5      HLZ 12/2021   zum Inhaltsverzeichnis                                                                                MELDUNGEN

          HLZ informiert über
          Tarifeinigung für Hessen
    Nach einem ersten Tariftelegramm über
    die wesentlichen Inhalte der Tarifeini-
    gung im Geltungsbereich des TV-H und
    die Auswirkungen auf die Beschäftig-
    ten des Landes in der HLZ 11/2021 in-
    formieren wir in dieser HLZ umfassend
    über Gehaltserhöhungen, Sonderzah-
    lungen und die neue Entgeltordnung
    für Lehrkräfte (HLZ Seite 31 bis 33 und
    unter www.gew-hessen.de).

           Corona-Sondervermögen
           ist verfassungswidrig
    Das Urteil des Hessischen Staatsge-                                                                                                 Wiesbaden,
    richtshofs, der die Bildung eines Co-                                                                                               13. November
                                                                                                                                        (Foto: GEW)
    rona-Sondervermögens insbesondere
    wegen der Umgehung von Parlaments-
    rechten für verfassungswidrig erklär-              A 13 für professionelle Grundschulpädagogik
    te, darf aus Sicht der GEW Hessen
    nicht zu weiteren Kürzungen im Lan-         Am 13. und 14. November demon­             man ihr Gehalt mit dem der anderen
    deshaushalt führen. Der GEW-Landes-         strierten Kolleginnen und Kollegen in      Lehrämter vergleicht. Das Motto lau-
    vorsitzende Thilo Hartmann verwies          Wiesbaden und Kassel und bei zahlrei-      tete: „Der Würfel muss fallen – A 13
    auf den hohen Ausgabenbedarf im Bil-        chen lokalen Aktionen für die Forde-       für professionelle Grundschulpädago-
    dungsbereich: „Es fehlt an qualifizier-     rung nach Angleichung der Einkom-          gik jetzt umsetzen!“ Inzwischen ha-
    tem Personal in den Kitas, Schulen und      men der Grundschullehrkräfte an die        ben neun Bundesländer A13 bzw. E 13
    Hochschulen und es gibt einen erheb-        ihrer Kolleginnen und Kollegen in allen    für Grundschullehrkräfte eingeführt
    lichen Investitionsstau im Bereich der      anderen Lehrämtern. Der 13. Novem-         oder entsprechende Schritte eingelei-
    Bildungsinfrastruktur.“ Eine restriktive    ber gilt als „erster Tag der unbezahlten   tet. In Kassel sprachen unter anderen
    Haushaltspolitik habe „nichts mit Ge-       Arbeit“: Vom 13. November bis zum          die DGB-Regionsgeschäftsführerin Jen-
    nerationengerechtigkeit zu tun“. Wei-       31. Dezember arbeiten die Lehrkräf-        ny Huschke und die SPD-Landtagsab-
    tere Analysen in dieser HLZ S.22-23.        te an Grundschulen ohne Lohn, wenn         geordnete Manuela Strube.

           Die GEW auf dem Bildungsforum der Frankfurter Buchmesse                               Personalrätepreis 2021
                                                                                                 geht auch nach Frankfurt
    An der Auftaktveranstaltung zu meh-         bildungs-, Weiterbildungs- und Einstel-
    reren Bildungsforen auf der Frankfurter     lungsprogramm aufzulegen und damit         Die „Silbermedaille“ des deutschen Per-
    Buchmesse nahm neben Kultusminis-           kleinere Klassen zu ermöglichen, statt     sonalrätepreises 2021 geht an den Ge-
    ter Lorz und Dr. Ilas Körner-Wellers-       einmalige additive Angebote zu finan-      samtpersonalrat der Beschäftigten der
    haus (Verband Bildungsmedien) auch          zieren“.                                   Stadt Frankfurt am Main für sein Pro-
    der hessische GEW-Vorsitzende Thi-              Auch bei der Digitalisierung müs-      jekt „AnStadt INTOLERANZ“, das nach
    lo Hartmann teil. Er begrüßte die An-       se die Landesregierung deutlich nach-      Auffassung der Jury „die Notwendig-
    kündigung des Kultusministers, das          legen: „Viele Leihgeräte können we-        keit des respektvollen Umgangs unter-
    UBUS-Programm deutlich auszuwei-            gen der restriktiven Vorgaben für die      streicht und ein klares Bekenntnis für
    ten, auch seine Aussage, die Ausstat-       Userrechte von den Lehrkräften nicht       eine Kultur des Miteinanders darstellt“.
    tung der Schulen mit mobilen Luftfil-       sinnvoll genutzt werden und auch das           Der Personalrätepreis in Gold geht
    tern werde „nicht am Geld scheitern“.       datenschutzkonforme Videokonferenz-        an den Gesamtpersonalrat der Stadt
    Als Alternative zu dem punktuellen          system steht weiter aus.“ Die Diskussion   Nürnberg für eine Dienstvereinbarung
    Förderprogramm „Löwenstark“ forder-         steht auf YouTube zur Verfügung (htt-      zum Schutz der städtischen Beschäf-
    te Hartmann, „ein umfangreiches Aus-        ps://bit.ly/3EA4gOn).                      tigten vor Beleidigungen, Pöbeleien,
                                                                                           Anfeindungen in sozialen Medien und
                                                                                           körperlicher Gewaltanwendung.
                                                                                               Der Personalrätepreis ist eine Initia-
                                                                                           tive der Fachzeitschrift „Der Personal-
                                                                                           rat“. Er würdigt seit 2010 herausragende
                                                                                           Projekte von Interessenvertretungen im
                                                                                           öffentlichen Dienst. Die Bewerbungs-
                                                                                           frist für den Personalrätepreis 2022 en-
                                                                                           det am 31.5.2022 (www.dprp.de).
    Bildungsforum Buchmesse: Dr. Ilas Körner-Wellershaus, Kultusminister Professor Lorz,
    Thilo Hartmann (GEW) und Moderatorin Karin Plötz (LitCam); Foto: Olaf Fuhrmann
Zeitschrift der Hessen für Erziehung, Bildung, Forschung 74.Jahr Heft12 Dezember2021 - GEW Hessen
BRIEFE | MELDUNGEN                                                                        zum Inhaltsverzeichnis       HLZ 12/2021      6

                                                Betr.: HLZ 11/2021                          kommunalen Reinigungspersonals und
                                                Outsourcing der Schulreinigung              die Ansprechbarkeit im Schulalltag wa-
                                                                                            ren die Voraussetzungen.
                                                Ein fortwährendes Ärgernis                      Nach der Kommodifizierung auch
                                                Bis zu meinem kürzlich begonnenen           dieses öffentlichen Bereiches ließ die
                                                Ruhestand war die Schulreinigung ein        Qualität der Reinigung erheblich nach.
                                                persistierendes Ärgernis im Alltag mei-     Die Vergabe der Reinigungsaufgabe
                                                ner Grundschule in Kassel, seitdem der      an Fremdfirmen, die Reinigung nach
                                                Schulträger Fremdfirmen beschäftigte.       wirtschaftlichen, gewinnorientierten
                                                Die Alternativen - Beschäftigung von        Gesichtspunkten betreiben, wirkte de-
      Erstmals schreiben die GEW Hessen,        Fremdfirmen oder von kommunalen             saströs. Der Fürsorgeaspekt der Schul-
      das Zentrum für Ökumene der Evan-         Reinigungskräften – waren der Gegen-        reinigung geriet aus dem Blickfeld, der
      gelischen Kirche in Hessen-Nassau         stand immerwährender Diskussionen.          Sorgfaltsaspekt wurde marginalisiert.
      und Kurhessen-Waldeck, pax chris-            Mit kommunalen Reinigungskräf-           Der hohe Zeitdruck, unter dem meist
      ti und die DFG-VK Hessen einen ge-        ten konnten Absprachen über bestimm-        zu wenige Beschäftigte eine zu große
      meinsamen Schulwettbewerb zum             te Reinigungsnotwendigkeiten flexibel       Fläche zu reinigen hatten, ließ Ober-
      Thema „Die Waffen nieder“ aus.            getroffen werden, ohne große Umstän-        flächlichkeit einziehen. Hinzu kam,
      Gruppen mit mindestens drei Schü-         de. Individuelle Wünsche bezogen auf        dass die Mitarbeiter:innen dieser Fir-
      lerinnen und Schülern können bis          unterschiedliche Klassengemeinschaf-        men häufig die Beschäftigung nur als
      zum 9. Mai 2022 Arbeiten einreichen.      ten konnten unproblematisch kom-            Übergangstätigkeit betrachteten; Fluk-
      • Weitere Infos: www.gew-hessen.          muniziert und berücksichtigt werden.        tuation war an der Tagesordnung. Die
      de und in dieser HLZ auf Seite 37         Gab es nach großen Bastelarbeiten un-       Mitarbeiter:innen identifizierten sich
                                                verhältnismäßigen Reinigungsbedarf,         zumeist weder mit der Tätigkeit noch
                                                wurde gemeinsam mit den Reinigungs-         mit der Schule. Durch die Arbeitszeiten
        Aus dem Hauptpersonalrat                kräften aufgeräumt, Schüler:innen           blieben sie für Kinder und Lehrer:innen
        der Lehrerinnen und Lehrer              und Lehrer:innen konnten ihren Bei-         weitgehend anonym, sodass auch kein
                                                trag leisten für einen saubere Umge-        notwendiges Beziehungsgeflecht auf-
      • Das Hessische Kultusministerium         bung. Es gab ein Beziehungsgeflecht         gebaut werden konnte.
      (HKM) bekräftigte auf Anfrage des         zwischen allen Beteiligten. Wir konn-           Hygiene kann als Lehre von der Ge-
      Hauptpersonalrats der Lehrerinnen         ten die Arbeit des Reinigungspersonals      sunderhaltung des Einzelnen und der
      und Lehrer (HPRLL), dass die Teilnah-     wertschätzen, dies direkt rückmelden.       Allgemeinheit definiert werden, als Ge-
      me an einer Umfrage zum Impfstatus           Kinder und in der Schule Arbei-          samtheit der Maßnahmen zur Erhaltung
      von Lehrkräften freiwillig ist und alle   tende kannten sich untereinander. Die       und Verbesserung der Gesundheit und
      Rückmeldungen anonymisiert ausge-         Verursacher:innen von Verunreinigun-        des Wohlbefindens sowie als Maßnah-
      wertet werden.                            gen konnten schnell herausgefunden          me zur Vermeidung und Bekämpfung
      • Mobile Luftfilteranlagen können         werden und gemeinsam mit den Rei-           von Infektionskrankheiten. Auf dieser
      weiterhin über die WI-Bank finanziert     nigungskräften für deren Beseitigung        Grundlage ist Hygiene mit der Beschäf-
      werden. Bezüglich der schleppenden        sorgen. Reinigung wurde nicht nur als       tigung von Fremdfirmen für die Rei-
      Umsetzung verweist das HKM auf die        Dienstleistung oder als Ware gesehen,       nigung der Schulen schwer vereinbar.
      Zuständigkeit der Schulträger.            sondern alle am Schulleben Beteiligten
      • Der HPRLL thematisiert die deut-                                                    Ursula Winkenjohann
                                                sahen, dass Sorge getragen wurde für        Grundschullehrerin im Ruhestand, im Be-
      liche Diskrepanz zwischen dem „Di-        uns. Und auch wir sahen, dass wir alle
      gi-Truck“, der hessische Grundschu-                                                   rufsleben auch Ausbilderin am Studiense-
                                                mit unserem Verhalten dafür mit Ver-        minar und pädagogische Mitarbeiterin an
      len anfährt, und der unzureichenden       antwortung trugen. Das feste Team des       der Universität Kassel
      digitalen Ausstattung der Schulen, die
      man mit der Umsetzung der Ideen,
      die im „Digi-Truck“ erworben werden                       Aus der Landesfachgruppe Schulaufsicht
      können, im Regen stehen lässt.            Die Fachgruppe Schulaufsicht, Schul-           Außerdem fordert die Fachgruppe,
      • Für den Quereinstieg Grundschu-         psychologie und Schulentwicklung im         gewerkschaftsintern und nach außen
      le stehen erneut 40 Plätze zur Verfü-     GEW-Landesvorstand fordert das Kul-         im Kontext von Schulleitung auf den
      gung. Ethik wurde herausgenommen,         tusministerium auf, die Schulaufsicht       Begriff der „Führung“ zu verzichten.
      der Sachunterricht bleibt als Kernfach    in Hessen und die Lehrkräfteakademie        Sinnvoll und richtig sei der Begriff
      erhalten. Voraussetzungen für die Be-     so auszustatten, dass sie ihren Auf-        „Leitung“ im Sinn von „Leadership“. Er
      werbung sind ein Diplom, ein Ma-          gaben bei der Begleitung, Beratung          signalisiere, dass es eine Persönlichkeit
      gister oder ein akkreditierter Bache-     und Kontrolle im Fach Islamischer           gibt, die die Verantwortung für das je-
      lor bzw. Master und eine mindestens       Religionsunterricht tatsächlich nach-       weilige System übernimmt, die Kom-
      fünfjährige Berufserfahrung.              kommen können. Bisher gebe es keine         petenzen aller Mitarbeiterinnen und
      • Der HPRLL erneuerte die Forde-          schulfachlichen Aufsichtsbeamtinnen         Mitarbeiter achtet und sie anregt, sich
      rung, dass Lehrkräfte nach dem 2.         und Aufsichtsbeamten, die befähigt          in dessen Entwicklungsprozess einzu-
      Staatsexamen am 1. August und nicht       sind, islamischen Religionsunterricht       bringen. Der Begriff „Führung“ sei in
      erst am Ende der Sommerferien einge-      nach der Verfassung, dem Schulgesetz        Deutschland historisch und emotional
      stellt werden, da sie keinen Anspruch     und dem Erlass zum Religionsunter-          belastet und eng mit den Attributen
      auf ALG I oder ALG II haben.              richt qualifiziert zu beurteilen.           „Befehl“ und „Gehorsam“ verknüpft.
Zeitschrift der Hessen für Erziehung, Bildung, Forschung 74.Jahr Heft12 Dezember2021 - GEW Hessen
7      HLZ 12/2021     zum Inhaltsverzeichnis                                                 GEW HESSEN

       Social Media und die GEW
    Jürgen Habermas hat in seiner jüngs-               Nachdem Elke Hoeft in den Un-Ru-
    ten Veröffentlichung „Überlegungen             hestand gegangen ist, besteht die Gra-
    und Hypothesen zu einem erneuten               fikabteilung der Landesgeschäftsstel-
    Strukturwandel der politischen Öffent-         le jetzt aus Joyce Abrahams und (neu
    lichkeit“ die Qualität des öffentlichen        im Team) Dennis Kahlenberg. Wir er-
    Diskurses in der mediatisierten und di-        stellen die klassischen Druckerzeugnis-
    gitalisierten Öffentlichkeit untersucht.       se (Broschüren, Flyer, Plakate), pfle-
    Sein Fazit bezüglich der sozialen Netz-        gen die Homepage des Landesverbands
    werke und ihres Einflusses auf die Öf-         und helfen beim Aufbau und der Pfle-
    fentlichkeit ist ernüchternd: Das „gro-        ge der Internetseiten der Kreis- und Be-
    ße emanzipatorische Versprechen“ des           zirksverbände. Außerdem wollen wir
    Internets werde „heute von den wüs-            die Social-Media-Kanäle des Landes-
    ten Geräuschen in fragmentierten, in           verbands ausbauen und intensiver be-
    sich selbst kreisenden Echoräumen              spielen. Aktuell nutzen wir Facebook,
    übertönt“. Dennoch sind die sozialen           Instagram und YouTube. Bei allen drei
    Netzwerke ein Ort des Austausches und          Plattformen gilt es spezifische Anforde-
    nicht notwendigerweise an eine solche          rungen und Zielsetzungen zu berück-
    negative Verwendung gebunden. Ob-              sichtigen. Die Inhalte können wir zwar
    wohl Plattformen wie Facebook oder             von der Homepage übernehmen, sie be-
    Instagram mit der Aufmerksamkeit der           dürfen jedoch einer grafischen Aufwer-
    Nutzer Profite generieren, können wir          tung und inhaltlichen Akzentuierung.
    als politische Organisation nicht auf              Aktuell haben wir vor allem die Ta-
    die sozialen Netzwerke verzichten. Ne-         rifrunde Hessen 2021 und die A13-Ak-
    ben den Nachteilen wie mangelhaften            tionen (HLZ S. 5) durch Beiträge und
    Datenschutzrichtlinien und profitorien-        Storys begleitet, um zusätzliche Auf-
    tierter Vermarktung gibt es auch Vortei-       merksamkeit für gesellschaftlich re-
    le für die GEW, die dafür sprechen, So-        levante Themen zu erzeugen. Wir er-
    cial-Media-Kanäle zu betreiben:                fahren so aber auch, was unseren
    • Wir treten mit unseren Mitglie-              Abonnent:innen wichtig ist. Die Funk-
    dern und denjenigen, die es vielleicht         tionen der jeweiligen Plattform ermög-
    noch werden wollen, in einen direkte-          lichen es, Fragen einzufügen oder Stim-
    ren Austausch.                                 mungsbilder zu erzeugen. GIFs (kleine
    • Unsere Inhalte werden schneller und          bewegte Bildschnipsel) und Hashtags
    unkomplizierter einem breiten Publi-           verbessern den Wiedererkennungswert.
    kum zugänglich gemacht. Nutzerinnen                Die sozialen Medien sind Teil der
    und Nutzer, die nicht direkt auf unse-         gesellschaftlichen Kommunikation und
    re Homepage zugreifen können oder              wichtiges Werkzeug zur Mobilisierung
    wollen, haben trotzdem die Möglich-            und Informationsverbreitung. Wir hof-
    keit, Informationen über bevorstehen-          fen, dass mittels Social Media interes-
    de Aktionen zu erhalten.                       sierte Kolleginnen und Kollegen einen
    • Die von uns organisierten Veran-             Zugang zur Arbeit der GEW Hessen fin-
    staltungen werden von anderen Grup-            den und im besten Fall Mitglieder wer-
    pen aufgenommen und geteilt.                   den. Im Laufe der Tarifkampagne 2021
        So können wir unsere Reichweite            hat genau das stattgefunden. Die Zahl
    vergrößern und ein interaktives Netz-          der Abonnent:innen unserer Kanäle
    werk im gewerkschaftlich-politischen           nimmt stetig zu. Die Facebook-Seite
    Rahmen begründen.                              gefällt rund 1.500 Personen und der In-
                                                   stagram-Kanal überschreitet demnächst
                                                   die Marke von 700 Abonnent:innen.
                                                   Rund 100 Personen kamen in den letz-
                                                   ten drei Monaten hinzu. Kreis- oder Be-
                                                   zirksverbänden, die ebenfalls einen So-
                                                   cial-Media-Auftritt planen, helfen wir
                                                   gerne bei der Planung, Umsetzung und
                                                   grafischen Aufbereitung, so wie wir das
                                                   bereits für die Homepages als Service
                                                   angeboten haben.
                                                   Joyce Abrahams, Dennis Kahlenberg
    Unsere Profis für Grafik, Web und Social Me-
    dia: Joyce Abrahams und Dennis Kahlenberg
Zeitschrift der Hessen für Erziehung, Bildung, Forschung 74.Jahr Heft12 Dezember2021 - GEW Hessen
TITELTHEMA                                                                                zum Inhaltsverzeichnis       HLZ 12/2021      8

                      Endlich wieder Präsenzbetrieb
             Zur Situation an den Hochschulen nach 18 Monaten Pandemie
     Seit zwei Monaten läuft das neue Semester unter gesonderten       müdend zugleich. Insbesondere für Pendler:innen stellte
     Hygienebedingungen. Doch diese müssen auch sozialverträglich      sich eine Zeitersparnis ein und die Hochschulen haben ei-
     und datenschutzrechtlich gestaltet sein. Schon vor der Pande-     nen Sprung hinsichtlich Digitalisierung der Lehre gemacht,
     mie war die Situation an den Hochschulen keine gute, aber jetzt   doch dies insbesondere deshalb, weil sie im Vorfeld wenig
     braucht es soziale Auffangmechanismen statt Leistungsdruck.       gerüstet waren. Die Pandemie wurde stark auf dem Rücken
                                                                       der Einzelnen ausgetragen, sowohl der Lehrenden, für die zu
             Diskutieren statt auf Kacheln starren                     Beginn der Pandemie die Umstellung der Lehre auf den Di-
                                                                       gitalbetrieb sehr viel Mehrarbeit bedeutete, als auch der Stu-
     Ein seltsames Gefühl, wieder in den Gängen der Hochschu-          dierenden, von denen sich viele insbesondere zu Beginn der
     le zu den Seminarräumen zu eilen. Selbst zu Zeiten meines         Pandemie mit finanziellen Unsicherheiten konfrontiert sahen.
     Auslandssemesters war ich nicht so lange nicht in den Ge-         Aber Bildung besteht nicht nur darin, erfolgreich Abschlüs-
     bäuden der Hochschule gewesen wie nun aufgrund der Pan-           se zu generieren. Es geht auch um das gemeinsame Disku-
     demie. Ich frage mich, was ich am meisten vermisst habe. In       tieren, um soziales Lernen. Und das fällt tatsächlich nun im
     erster Linie waren es die zufälligen Begegnungen, das spon-       Nachgang der Pandemie schwer.
     tane gemeinsam Diskutieren nach einem Seminar, das Fei-               Die Atmosphäre in den Seminarräumen ist angespannt
     erabendbier an der Studi-Trinkhalle. All dies fiel über ein       und zeugt von Unsicherheit. Gehemmte Diskussionsbereit-
     Jahr lang weg. Was blieb, waren die Prüfungen, die Hausar-        schaft, Fremdeln und Frustration zeigen, wie stark die Nach-
     beiten, die Seminare. Statt als Bildungsorte, die immer auch      wirkungen einer Pandemie nun wirklich sind. Die psychoso-
     eine Lernumgebung für Erkenntnisgewinn und gemeinsames            ziale Belastung ist hoch und die Hochschulen müssen dieser
     Denken sein sollten, ist die Hochschule zu einer Lernfabrik       mit Angeboten und einem Ernstnehmen der Situation Rech-
     und Produktionsstätte von Abschlüssen verkommen. Mehr             nung tragen. Gerade weil die Rückkehr zum Präsenzunter-
     als ein Jahr befanden wir Studierenden uns in einem repe-         richt so unerlässlich und wichtig ist, stellte sich besonders
     titiven, abstumpfenden Trott.                                     zum Beginn des Wintersemesters die Frage, wie man sie ge-
         Den ganzen Tag vor dem Bildschirm zu verbringen und           staltet. Insbesondere zu Beginn der Pandemie wurden die
     auf Kacheln zu starren, war nicht genug fordernd und er-          Mitbestimmungsrechte der akademischen Gremien häufig
                                                                       übergangen, Studierende als größte Statusgruppe selten in
                                                                       den Prozess der Meinungsbildung und der Umsetzung der
                                                                       Maßnahmen einbezogen. Und weiterhin herrscht Unsicher-
                                                                       heit über die Rückkehr an die Hochschulen, auch in der Aus-
                                                                       gestaltung der Hygienemaßnahmen.

                                                                       Wildwuchs bei Hygienevorschriften und 3G-Regel
                                                                       Viele Fragen waren bis zum Beginn des Wintersemesters un-
                                                                       geklärt und immer noch herrscht große Skepsis. Wie schaf-
                                                                       fen wir es, trotz Präsenz die Fallzahlen niedrig zu halten?
                                                                       Wer kontrolliert am Campus? Wie steht es um ausländische
                                                                       Studierende? Wird ihr Impfnachweis anerkannt?
                                                                           In Hessen herrscht ein ziemlicher Wildwuchs im Umgang
                                                                       mit der Pandemie. Jede Hochschule kann eigene Regelun-
                                                                       gen treffen. An meiner Hochschule, der Goethe-Universität,
                                                                       gilt wie an allen Hochschulen außer der Technischen Hoch-
                                                                       schule Mittelhessen die 3G-Regelung. Die Kontrolle erfolgt
                                                                       durch Mitarbeitende externer Dienstleistungsunternehmen,
                                                                       d.h. in der Regel schlecht bezahlte, uniformierte Sicherheits-
                                                                       kräfte. Die Justus-Liebig-Universität lässt die Einhaltung von
                                                                       3G durch die Lehrenden kontrollieren, eine günstigere und
                                                                       vielleicht weniger einschüchternde Variante, aber mit einer
                                                                       zusätzlichen Belastung der Beschäftigten. Mancherorts wer-
                                                                       den Selbsttests akzeptiert, die von den Hochschulen gestellt
                                                                       werden. Ein für ihre Mitglieder kostenfreies Testzentrum be-
                                                                       treibt die Technische Universität Darmstadt. Zweifelsohne
                                                                       steht außer Frage, dass Hygieneregeln unter den Pandemie-
                                                                       bedingungen erforderlich sind. Unterstützt werden könnte
                                                                       dies durch kostenlose medizinische Schutzmasken und kos-
Zeitschrift der Hessen für Erziehung, Bildung, Forschung 74.Jahr Heft12 Dezember2021 - GEW Hessen
9     HLZ 12/2021    zum Inhaltsverzeichnis                                                           STUDIEREN IN HESSEN

    tenlose Corona-Tests für Beschäftigte und Studierende, so-       terfragt werden, ob Gruppen- und Seminargrößen angepasst
    lange diese Maßnahmen erforderlich sind.                         und Lehrangebote und Prüfungen an sich auf den Prüfstand
        Die Hochschulleitungen haben unisono die erfolgreiche        gestellt werden müssen. Auch bei den vielfach prekären Be-
    Rückkehr zum Präsenzbetrieb verkündet, doch erreichen uns        schäftigungsbedingungen an Hochschulen darf es kein „Wei-
    Rückmeldungen, dass die Maßnahmen nicht adäquat umge-            ter so!“ geben. Auch die baulichen Voraussetzungen sollten
    setzt werden, über Unsicherheiten auf allen Seiten und den       überdacht werden. Ist die große Massenvorlesung ein Aus-
    Ausschluss vulnerabler Gruppen. Es ist wichtig, dass sich        laufmodell? Alle reden in diesem Zuge von „Blended Lear-
    Hochschulen weiter an Impfkampagnen beteiligen und Stu-          ning“, wo Lernphasen digitalisiert und Präsenz primär für In-
    dierenden und Beschäftigten Impfangebote machen. Aus             teraktion und Zusammenarbeit genutzt werden sollen.
    Rücksicht auf vulnerable Personen und auf Personen, die              Sicherlich ist es richtig, dass das Studium mehr nach un-
    nicht geimpft werden können, muss es für Lehrveranstaltun-       seren Lebensrealitäten im Spannungsverhältnis zwischen Job,
    gen auch hybride Formate geben. Dafür braucht es deutlich        Familie und Freizeit und nach den individuellen Anforderun-
    mehr technisches Personal. Für die Finanzierung dieser Maß-      gen des Lernen strukturiert werden sollte. Aber nach den Er-
    nahmen muss das Land aufkommen. Stichprobenartige Kon-           fahrungen mit den bisherigen Reformprozessen steckt auch
    trollen können eine praktikable Lösung sein, allerdings ist      in der Digitalisierung die Gefahr von Sparmaßnahmen. Was
    es datenschutzrechtlich bedenklich, wenn Nachweise in Stu-       wir an positiven Errungenschaften und Erfahrungen im di-
    dienausweisen oder durch Markierungen vermerkt werden.           gitalen Bereich gesammelt haben, muss als didaktisches Zu-
        Zweifellos bietet der Umgang mit der Pandemie auch           satzangebot zur Präsenzlehre sinnvoll in den akademischen
    Chancen für die Hochschulen. War es noch zeitgemäß, wie          Kontext überführt werden und darf nicht zu einer Aushöh-
    wir lernten? Ist es nicht symptomatisch, dass die Hochschu-      lung der Hochschule als sozialem Lernort führen, den wir in
    len erst so spät wieder in den Fokus der Politik gerieten? Das   der Pandemie schmerzlich vermissten.
    zieht natürlich auch Fragen der Prioritätensetzung, von Rah-     Nathalie Schäfer in Zusammenarbeit mit Tobias Cepok und
    menbedingungen und Finanzierung nach sich. So muss hin-          Cecilia Schweitzer

          HLZ-Titelthema: Studieren in Hessen
    Die HLZ-Redaktion bedankt sich beim Landesausschuss der
    Studentinnen und Studenten der GEW Hessen (LASS) für die
    Gestaltung des Titelthemas dieser HLZ. Der Dank geht ins-
    besondere an Kyra Beninga, Nathalie Schäfer und Henning
    Tauche, das Sprecher:innen-Team der Studierenden in der
    GEW Hessen, die ihre Arbeit auf Seite 15 vorstellen, und den
    GEW-Hochschulreferenten Tobias Cepok. Die weiteren Beiträ-
    ge befassen sich mit diesen Themen aus der Arbeit des LASS:
    • Nathalie Schäfer reflektiert die Erfahrungen von Studie-
    renden aus 18 Monaten digitalem Studium und bei der Rück-
    kehr zum Präsenzbetrieb. Kerstin Bach ergänzt die Perspek-
    tive einer wissenschaftlichen Mitarbeiterin (S. 13).
    • Durch die Corona-Krise hat sich die wirtschaftliche Lage
                                                                                                                                     Kassel,
    vieler Studierender massiv verschlechtert. Aber auch ohne                                                                        12.10.2021
    die Pandemie sind 50 Jahre BAföG kein Grund zum Feiern.                                                                          (Foto: GEW)
    Das meint das Bündnis #BAföG50 (S. 10 f.).
    • Henning Tauche beleuchtet auf Seite 12 f. die Notwendig-
    keit und den Stand der Auseinandersetzungen um die Ein-
    beziehung der studentischen Hilfskräfte in den Tarifver-
    trag Hessen oder einen eigenständigen TVStud.
    • In ihren Stellungnahmen zur anstehenden Novellierung
    des Hessischen Hochschulgesetzes haben die GEW Hessen
    und die Landes-Asten-Konferenz gleichermaßen die Interes-
    sen der Beschäftigten wie der Studierenden im Blick (S.14).
    • Kyra Beninga erklärt, warum sich auch Studierende drin-
    gend um die Novellierung des Hessischen Lehrerbildungs-
    gesetzes kümmern sollten (S.16 -17).
    • Mit Klassenstrukturen und Bildungsungerechtigkeit an
    Hochschulen befasst sich der Beitrag von Jutta Hergenhan
    und Henning Tauche (S.18-19).
    • Das Spannungsfeld von Gewerkschaften und jungen Kli-                                                                           Fulda,
    ma-Aktivist:innen und die Rolle der jungen Mitglieder der                                                                        24.9.2021
    GEW sind die Themen von Maximilian Nowak (S. 20)                                                                                 (Foto: GEW)
Zeitschrift der Hessen für Erziehung, Bildung, Forschung 74.Jahr Heft12 Dezember2021 - GEW Hessen
TITELTHEMA                                                                                     zum Inhaltsverzeichnis        HLZ 12/2021      10

                                        50 Jahre BAföG: Talfahrt stoppen
                                Gerechtigkeitslücken schließen, Strukturreformen anpacken
                Das BAföG trat vor 50 Jahren in Kraft mit dem Ziel, eine        Studierende aus sozio-ökonomisch benachteiligten Hinter-
                Ausbildungsfinanzierung zu schaffen, die Chancengleichheit      gründen an die Hochschulen streben, führen nicht zu einer
                im Bildungswesen ermöglicht. Aber das BAföG hält sein Ver-      Erhöhung der Gefördertenquote: Im Gegenteil, sie sinkt, ob-
                sprechen nicht ein: Es ist zu niedrig, es führt zu Verschul-    wohl mehr Menschen aus finanziell benachteiligten Haus-
                dung, es erreicht zu wenig Personen und insbesondere die        halten studieren.
                Personen nicht, die es am dringendsten bräuchten. Um die-           Das Bundesministerium für Bildung und Forschung
                sem Missstand zu begegnen, hat sich ein Bündnis gegrün-         (BMBF) verweist darauf, dass viele an sich Förderberechtig-
                det, um das Thema BAföG in den politischen Diskurs zu rü-       te keinen Antrag stellen und die Zahlen deshalb so niedrig
                cken. Es fordert eine radikale Reform!                          seien. Der wahre Grund, dass die Inanspruchnahme so nied-
                Das BAföG wird 50! Das Bundesausbildungsförderungsge-           rig ist, ist jedoch in der Struktur des BAföG zu suchen. His-
                setz – kurz BAföG – trat 1971 in der BRD in Kraft und löste     torisch zeigt sich eindeutig, dass die Gefördertenquote durch
                damit sein Vorgängermodell ab. Sein erklärtes Ziel in seiner    bestimmte gesetzliche Entscheidungen stark beeinflusst wird.
                ursprünglichen Form war es, Schüler:innen und Studieren-        Nach Abschaffung des Vollzuschusses im Jahr 1974 und der
                den aus einkommensschwächeren Bevölkerungsschichten bei         Einführung des Schuldenzwangs bei Bezug im Jahr 1982
                der Finanzierung ihrer Ausbildung unter die Arme zu grei-       sank die Gefördertenquote besonders stark. Auf der anderen
                fen. So war es ursprünglich als ein Vollzuschuss konzipiert     Seite war sie während des Vollzuschusses besonders hoch.
                und mit einem Rechtsanspruch verbunden.                         Das ist logisch, da die Angst vor Verschuldung das höchs-
                    Dies schlug sich in den Quoten der Bezieher:innen nie-      te Hemmnis nicht nur der Inanspruchnahme der Finan-
                der: Vor 50 Jahren bezogen noch 44,6 % aller Studierenden       zierung darstellt, sondern sogar für das Studieren an sich!
                das BAföG, fast die Hälfte derer, die sich einschrieben, pro-   Die Elternfreibetragsgrenze, die regelt, wann BAföG in An-
                fitierten von der Finanzierung.                                 spruch genommen werden kann, muss als weiteres struktu-
                                                                                relles Problem gewertet werden. Die Elternfreibeträge erfas-
                                                                                sen die unteren und mittleren Mittelstandsschichten kaum
                   Gefördertenquote auf historischem Tiefstand
                                                                                und müssten daher massiv erhöht werden, damit das BAföG
                Heute sieht die Situation anders aus: Über die Jahrzehn-        wieder mehr Menschen in der unteren und mittleren sozio-
                te sank die Gefördertenquote bis 2021 auf einen histori-        ökonomischen Schicht erreicht.
                schen Tiefstand von nur noch 11 % der Studierenden, bei
                Schüler:innen sind es gerade einmal 1,5 %. Auch wenn
                                                                                         Die Architektur des BAföG bröckelt
                ausländische Studierende aus der Gesamtzahl immatriku-
                lierter Studierender herausgerechnet werden wie dies die        Die Architektur des BAföG bröckelt auch deshalb, weil der
                Gegner:innen eines BAföG-Ausbaus fordern, ändert sich an        Höchstsatz des BAföG, der derzeit bei 861 Euro liegt und den
                dieser Bilanz nur ganz wenig.                                   auch nicht alle Beziehenden in voller Höhe erhalten, kaum
                    Auch der kontinuierliche Anstieg der Zahl der Studie-       zum Leben ausreicht. So reicht die Wohnkostenpauschale von
                renden in Deutschland und die Tatsache, dass immer mehr         325 Euro in den wenigsten Universitätsstädten noch, um ein
                                                                                WG-Zimmer zu zahlen. Ursprünglich sollte anhand der Sozi-
                                                                                alerhebung des Deutschen Studentenwerks (DSW) alle zwei
                                                                                Jahre überprüft werden, wie hoch der Bedarf der Beziehen-
                                                                                den ist. Doch die schleppende Erhöhung gegenüber den im-
                                                                                mer stärker steigenden Lebenskosten führt dazu, dass das
                                                                                BAföG einen viel zu geringen Satz hat.
                                                                                   Mit den viel zu niedrigen BAföG-Sätzen befasste sich
                                                                                kürzlich auch das Bundesverwaltungsgericht in den Bera-
                                                                                tungen über eine Klage aus dem Wintersemester 2014/2015
                                                                                und kam dabei zu einem eindeutigen Urteil:
                                                                                „Nach Überzeugung des Bundesverwaltungsgerichts ist die Fest-
                                                                                legung des Bedarfssatzes (…) mit dem verfassungsrechtlichen
                                                                                Teilhaberecht auf gleichberechtigten Zugang zu staatlichen Aus-
                                                                                bildungsangeboten nicht vereinbar.“
                                                                                Das Bundesverwaltungsgericht legte diese Auffassung dem
                                                                                zuständigen Bundesverfassungsgericht zur Prüfung vor.
                                                                                Auch dieses Urteil unterstreicht nochmals, wie notwendig
                                                                                die deutliche Anhebung der Sätze ist. Die GEW hat deshalb
                                                                                im Mai 2021 ihren studentischen Mitgliedern empfohlen, Wi-
                                                                                derspruch gegen ihren letzten BAföG-Bewilligungsbescheid
                                                                                einzulegen und so die Ansprüche für die Nachzahlungen für
Quelle: Bündnis BAföG 50, https://bafoeg50.de/
11     HLZ 12/2021    zum Inhaltsverzeichnis                                                            STUDIEREN IN HESSEN

     den Fall zu sichern, dass das Bundesverfassungsgericht dem
     Bundesverwaltungsgericht in seiner Argumentation folgt.
         Vor dem Hintergrund des niedrigen Satzes und der vielen
     Studierenden, die in der Corona-Krise in eine Notlage gera-
     ten sind, ist es zynisch, dass das BMBF fast eine Milliarde
     an nicht ausgegebenen Geldern an das Finanzministerium
     zurückgegeben hat. Es ist deutlich geworden: Das BAföG ist
     nicht krisenfest. Durch das jahrelange Herunterwirtschaften,
     durch die versagte Öffnung des BAföG und angesichts von
     Corona-Soforthilfen von maximal 500 Euro sahen sich vie-
     le Studierende gezwungen, auf ein kreditbasiertes Studien-
     finanzierungsmodell zurückzugreifen.
         Der KfW-Studienkredit, den das BMBF in der Corona­krise     einem heißen Stein gleicht? Soll dieser dann als Vollzuschuss
     ausgebaut hat, ist ein echter Krisengewinner der Coronapan-     gewährt werden? Gerade für Kinder aus Arbeiter:familien ist
     demie, die KfW-Kreditanträge haben sich zwischen 2019 und       ein Berufsstart mit Schuldenberg ein Hemmnis, Anträge zu
     2020 vervierfacht. Dabei handelt es sich nach Vergleichsun-     stellen. Unter den Koalitionsparteien liegen die Auffassun-
     tersuchungen des Centrums für Hochschulentwicklung (CHE)        gen sichtlich auseinander: Die Grünen priorisieren die Eltern­
     um den teuersten Studienfinanzierungskredit. Akademische        unabhängigkeit, die SPD den Vollzuschuss, der wiederum der
     Bildung wird so zur Ware. Dieser Tendenz gilt es sich mit al-   FDP ein Dorn im Auge ist.
     ler Macht entgegenzustellen.
         Das BAföG als Herzstück der Studienfinanzierung muss
     krisenfest gemacht werden und endlich wieder an den Lebens-
                                                                                BAföG-Bündnis für Kurswechsel
     realitäten und Bedarfen der Studierenden und Schüler:innen      Wie auch immer eine neue Regierung das BAföG gestaltet,
     ansetzen, von denen es sich im Laufe der 50 Jahre seines Be-    sie wird vom Bündnis #BAföG50 kritisch begleitet, das im
     stehens schrittweise abgekoppelt hat.                           letzten Jahr seiner Forderung nach substanziellen Reformen,
                                                                     Vollzuschuss, Elternunabhängigkeit, deutlicher Anhebung
         Bildungsgerechtigkeit beginnt in der Schule                 und Öffnung für Schüler:innen lautstark Ausdruck verlieh.
                                                                         Das Bündnis #BAföG50 hat sich im Dezember 2020 ge-
     Die Probleme des BAföG sind offenkundig: Neben der deut-        gründet. Im Bündnis sind verschiedene studentische, gewerk-
     lichen bedarfsgerechten Anhebung der Sätze, der Umwan-          schaftliche und politische Jugendorganisationen aktiv, dar-
     delung in einen Vollzuschuss und der Anpassung der Eltern-      unter auch die GEW-Studis. Unser gemeinsames Ziel ist es,
     freibeträge muss das BAföG auch wieder für Schüler:innen        allen Menschen die Bildung zu ermöglichen, die sie wollen.
     ab Klasse 10 geöffnet werden. Bildungsgerechtigkeit beginnt     Mündigkeit lässt sich nur mit einer selbstbestimmten Bildung
     in der Schule. Die Hürden für das Schüler:innen-BAföG sind      erreichen. Wer den Kampf für ein besseres BAföG unterstüt-
     so hoch, dass sie kaum zu überwinden sind. Das muss sich        zen möchte, sollte auch die entsprechende Petition unterstüt-
     ändern! Die finanzielle Situation der Eltern darf nicht dar-    zen: https://bafoeg50.de/petition/.
     über entscheiden, wer über die 9. Klasse hinaus die Schule                                                  Nathalie Schäfer
     besuchen kann. Ferner muss das Studium an deutschen
     Hochschulen für alle Studierenden unabhängig von ihrer
                                                                      Jahr    Koalition           Die Chronologie des BAföG
     Herkunft förderfähig werden. Die Förderdauer muss erhöht
     werden, Barrieren durch Altersgrenzen oder Bürokratie müs-                           Das BAföG beginnt als Vollzuschuss und
                                                                      1971    SPD/FDP
                                                                                          sinkt bis 1981 kontinuierlich.
     sen abgeschafft werden.
         Deshalb muss die neue Bundesregierung eine Struktur-         1974    SPD/FDP     Der Darlehensbetrag wird eingeführt.
     reform liefern, damit das Gesetz dem Grundrecht auf freie                            BAföG-Kahlschlag: BAföG gibt es nur
                                                                      1982   CDU/FDP
     Berufswahl in vollem Umfang Rechnung tragen kann. Auf                                noch als Volldarlehen.
     dem Weg des BAföG zu einem elternunabhängigen staat-                                 Möllemann (FDP) wandelt das BAföG zur
                                                                      1990   CDU/FDP
     lichen Studienhonorar muss es in ein Sockelmodell umge-                              heutigen Darlehensform um.
     baut werden, das einen elternunabhängigen Betrag beinhal-                            umfangreiche Reform: Verschuldungs-
                                                                               SPD/
     tet, der sukzessive erhöht werden muss. Doch dies kann nur       2001                obergrenze 10.000 €, Kindergeld nicht
                                                                               Grüne
     geschehen, wenn das BAföG und seine Problematik im bil-                              mehr als Einkommen
     dungspolitischen Diskurs wahrgenommen und auf die poli-                              Auslandsstudium möglich, Minijobs nicht
     tische Agenda gesetzt werden.                                    2008- CDU/SPD       als Einkommen angerechnet, Erhöhung
         Auch beim Thema BAföG befinden wir uns während der            2010 CDU/FDP       Bedarfssätze (2008: 10 %, 2010: 2 %), Er-
     Verhandlungen über eine Ampel-Koalition in einer spannen-                            höhung Freibeträge (2008: 8 %, 2010: 3 %)
                                                                                                                       

     den Zeit: Im viel beschworenen Sondierungspapier lässt der                           Erhöhung Bedarfssätze und Freibeträge
     einzige Satz zum BAföG zwar auf eine Strukturreform hof-         2014-               (je 7 %), aufenthaltsberechtigte und ge-
                                                                            CDU/SPD
     fen, doch geht dieser Satz merklich wenig ins Detail: „Das       2017                duldete ausländische Studierende können
     BAföG wollen wir reformieren und dabei elternunabhängi-                              BAföG beziehen
     ger gestalten.“                                                                      Erhöhung der Bedarfssätze (2019: 5 %,
         Das lässt zwar auf Veränderung hoffen, aber in welche                            2020: 2 %), geringfügige Erhöhung wei-
                                                                      2019   CDU/SPD
     Richtung wird sie gehen? Wird das gesamte BAföG elternun-                            terer Zuschläge, Änderung der Rückzahl-
     abhängig oder nur ein Sockel? Wie hoch kann ein solcher                              modalitäten
     Sockel angehoben werden, dass er nicht einem Tropfen auf                Quelle: Bündnis BAföG 50, https://bafoeg50.de
TITELTHEMA                                                                                  zum Inhaltsverzeichnis       HLZ 12/2021      12

                                                  Wenn Sachmittel streiken…
                        GEW Hessen: Aktiv für den TVStud
        Im Jahr 2009 waren etwa 9.000 studentische und wissen-                Trotz dieser denkbar schlechten Voraussetzungen ist 2020
        schaftliche Hilfskräfte an hessischen Hochschulen beschäf-       aus einer Mischung von Corona-Koller, Überstundenfrust und
        tigt. Diese Zahl hat sich in den letzten zehn Jahren fast ver-   digitalem Vernetzungsschub eine bundesweite Kampagne von
        doppelt: Derzeit sind in Hessen über 16.000 Hilfskräfte im       Hilfskräften ins Leben gerufen worden, deren erklärtes Ziel es
        Einsatz. Damit machen sie etwa ein Viertel, an größeren Uni-     ist, einen Tarifvertrag für studentische Beschäftigte (TVStud)
        versitäten wie Frankfurt oder Gießen sogar ein Drittel aller     nach Berliner Vorbild zu erstreiken. Darauf aufbauend kam
        Hochschulbeschäftigten aus. Die Tendenz ist eindeutig: Im-       es auch in Hessen zur Gründung und Vernetzung von Hilfs-
        mer mehr Aufgabenbereiche werden an teilzeitbeschäftigte         kräftereferaten und TVStud-Gruppen.
        Hilfskräfte ausgelagert, sei es in der Forschung oder Lehre,
        im technischen Support oder in der Verwaltung. Hilfskräfte
                                                                           Die TVStud-Bewegung im Tarifstreit in Hessen
        sind personalpolitisch gesehen billige und dabei oft hoch-
        qualifizierte Arbeitskräfte. Im Haushalt der Hochschulen fir-    Ihrem deutlichen und vor allem auch lauten Auftreten ist es
        mieren sie als Sachmittel.                                       zu verdanken, dass die Gewerkschaften GEW und ver.di die
            Die geringe Bezahlung und die oft schlechten Arbeitsbe-      Forderung nach einer Tarifierung studentischer Hilfskräfte als
        dingungen von studentischen Beschäftigten sind kein Ge-          prominentes Thema in die Verhandlungen mit der Tarifge-
        heimnis. An vielen Hochschulen in Hessen liegt der Stun-         meinschaft der Länder im Bereich des Tarifvertrags der Län-
        denlohn kaum über dem Mindestlohn. Die Nichteinhaltung           der (TV-L) aufnahmen. Auch in Hessen, das seit 2004 nicht
        von arbeitsrechtlichen Mindeststandards, illegale Urlaubs-       mehr Teil der TdL ist, hat die TVStud-Bewegung im Zuge der
        regelungen oder unbezahlte Überstunden sind keine Einzel-        gerade abgeschlossenen Tarifverhandlungen im Bereich des
        fälle. Kurze Vertragslaufzeiten, fehlende Vertretungsbefugnis    Tarifvertrags Hessen (TV-H) trotz geringem Mobilisierungs-
        der Personalräte und der Umstand, dass für Hilfskräfte der       grad für viel Sichtbarkeit gesorgt (HLZ S.33). Vom Verhand-
        Studienort gleichzeitig Arbeitsplatz ist, kumulieren sich in     lungsauftakt in Wiesbaden über die Warnstreikaktionen in
        einer besonderen Vulnerabilität dieser Beschäftigtengruppe.      Darmstadt, Wiesbaden, Frankfurt und Kassel bis zur letzten
            Dies müsste eigentlich in einer hohen Unzufriedenheit der    Verhandlungsrunde in Dietzenbach: An fast allen Veranstal-
        Hilfskräfte resultieren. Aber das Gegenteil scheint der Fall.    tungen und Streikaktionen waren auch Hilfskräfte beteiligt.
        Aus einer Studie im Auftrag der Max-Traeger-Stiftung der             Mit der Begründung, nicht als „Türöffner“ für die TdL fun-
        GEW aus dem Jahr 2012 geht hervor, dass Hilfskräfte über-        gieren zu wollen, sperrte sich das CDU-geführte Innenminis-
        aus zufriedene Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind.          terium während der Verhandlungen gegen die Einbeziehung
        (1) Dafür macht die Studie die folgenden Ursachen aus:           von Hilfskräften in den TV-H. Trotzdem konnten dem Ar-
        • Es handelt sich bei der Hilfskrafttätigkeit oft um das ers-    beitgeber im Rahmen der Tarifeinigung und des Kodex für
        te Arbeitsverhältnis.                                            Gute Arbeit an Hochschulen einige Zugeständnisse abge-
        • Die Beschäftigung als Hilfskraft wird nur als Durchgangs-      rungen werden: Dazu zählen ein Mindeststundensatz von 12
        stadium im Rahmen der eigenen Qualifikation verstanden.          Euro, eine Erhöhung der Entgelte in Anlehnung an den TV-
        • Der direkte Zugang zu den Professuren wird als besonde-        H, hochschul­öffentliche Stellenausschreibungen sowie ein-
        res Privileg wahrgenommen und überwiegt den Ärger über           heitliche Urlaubsregelungen. Zwar bringen diese Regelungen
        die schlechten Arbeitsbedingungen.                               nicht an allen hessischen Hochschulen substanzielle Verbes-
                                                                         serungen mit sich, nivellieren jedoch den Flickenteppich an
                                                                         Vorgaben und Stundensätzen in Hessen.
                                                                             Es ist ein Schritt in die richtige Richtung, aber von dem
                                                                         Ziel – der Tarifierung von studentischer Arbeit im Hochschul-
                                                                         bereich – sind wir immer noch weit entfernt.

                                                                                      TVStud: Wie geht es weiter?
                                                                         Nun gilt es zu klären, wie es mit TVStud in Hessen weiter-
                                                                         gehen soll. Es bestünde schließlich die Möglichkeit, jenseits
                                                                         des TV-H einen eigenständigen TVStud auszuhandeln. Dies
                                                                         wäre in Hinblick auf die Blockadehaltung des Innenminis-
                                                                         teriums und den derzeitigen Mobilisierungsgrad eine Herku-
                                                                         lesaufgabe. Aber auch ein Ausharren bis zur nächsten Ta-
                                                                         rifrunde 2024 scheint keine Option zu sein. Zum Zeitpunkt
                                                                         des Redaktionsschlusses stand zudem noch nicht fest, ob sich
                                                                         die TdL auf tarifliche Regelungen für Hilfskräfte einlassen
                                                                         wird. Impulse aus den Verhandlungen mit der TdL könnten
                                                                         dann gegebenenfalls auch für Hessen von Bedeutung sein.
  12. Oktober 2021: TV-H-Warnstreik in Darmstadt (Foto: GEW)
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