MAGAZIN - Herkunftssprachen einbeziehen, Sprachkompetenzen stärken

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MAGAZIN - Herkunftssprachen einbeziehen, Sprachkompetenzen stärken
DEZEMBER 2019

                                                                MAGAZIN

                                                Herkunftssprachen
                                                 einbeziehen,
                                                   Sprachkompetenzen
                                                      stärken

                                        gkeit und Integration Köln   KONZEPTE • NACHRICHTEN
Zeitschrift des Zentrums für Mehrsprachi
                                                                     PROJEKTE • VERANSTALTUNGEN
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Impressum
Herausgeber:                                   Redaktion:                                                       Editorial-Design, Satz & Layout:
                                                                                                                Peter Liffers, agentur für unternehmenskommunikation
ZMI                                            Rosella Benati
                                                                                                                www.liffers-webdesign.de
Zentrum für Mehrsprachigkeit und Integration   Elcin Ekinci
c/o                                            Petr Frantik
                                                                                                                Bildnachweis:
Stadt Köln, Amt für Integration und Vielfalt                                                                    Titelfoto: Filmstill Ferienschule / S. Vredenburg, S. 4: KITA
Kommunales Integrationszentrum                 Die Verantwortung für den Inhalt dieser Veröffentlichung liegt   Amana, S. 9-11: BiSS-Trägerkonsortium / A. Etges,
                                                                                                                S. 22-23: L. Heitmann, S. 25 unten: K. Gebala, S. 26-27:
Kleine Sandkaul 5                              bei den Autorinnen und Autoren der jeweiligen Beiträge.
                                                                                                                Nils Brüggemann, S. 31: Filmstill: Deutsche Kinder- und
50667 Köln                                     Auflage 2.000                                                     Jugendstiftung, S. 35: R. Lepore, S. 38-39: D. Sarrazin,
www.zmi-koeln.de                               Köln, Dezember 2019                                              S. 43: S. Ortelbach, S. 42-43: C. Wengmann, S. 44:
                                                                                                                Bezirksregierung Arnsberg, S. 45 oben: C. Wengmann,
                                                                                                                alle übrigen Archiv des ZMI.

zmi-Magazin | 2019
MAGAZIN - Herkunftssprachen einbeziehen, Sprachkompetenzen stärken
Inhalt

                                                                                                 DEZEMBER 2019

                                                           MAGAZIN
                                                       4 Leitwort
                                                           Von Prof. Dr. Michael Becker-Mrotzek und Susanne Kremer-Buttkereit
                                                       6 Wer gehört wo dazu?
                                                           Von Manfred Höhne

                                                       7 Interview mit Serap Güler
                                                           Staatssekretärin für Integration des Landes Nordrhein-Westfalen „Es ist schade, wenn man die
                                                           eigene Muttersprache nicht weitergibt“. Das Gespräch führte Elcin Ekinci.

                                                           Wissenschaft und Forschung
                                                       9   Bildung durch Sprache und Schrift — BiSS auf dem Weg in den Transfer.
                                                           Von Prof. Dr. Michael Becker-Mrotzek und Prof. Dr. Hans-Joachim Roth

                                                      12   Wissenschaft und Praxis im BiSS-Programm
                                                           Interview mit Dr. Christoph Gantefort, Dr. Lotte Weinrich und Prof. Dr. Alexandra Zepter
                                                           Das Gespräch führten Rosella Benati und Petr Frantik.

                                                      14   Mehrsprachiges reziprokes Lesen. Von Dr. Christoph Gantefort

                                                      16   Von einer Didaktik der Mehrsprachigkeit profitieren alle. Von Prof. Dr. Nicole Marx

                                                      18   Migrantische Mehrsprachigkeit und die Präsenz von Herkunftssprachen im Bildungssystem.
                                                           Von Prof. Dr. Havva Engin

                                                      20   Vom „Hier“ und „Da“: Zur Verortung des HSU in der Migrationsgesellschaft.
                                                           Von Prof. Dr. Sara Hägi-Mead

                                                      22   Deutsch lernen mit Kernvokabular. Von Dr. Larissa Heitmann, Dagmar Fretter, Lena Lingk

                                                           Praxis und Projekte: Aktuelles aus dem ZMI
                                                      24   Deutsch lernen mit Spaß und Freude. Das FerienIntensivTraining - FIT in Deutsch in den
                                                           Sommerferien. Von Mandy Behne, Karoline Gebala, Arne Hinz und Lisa Möller

                                                      26   Das Netzwerk Herkunftssprachlicher Unterricht. Von Antje Hansen

                                                      28   PROMPT! - Ein Projekt des Zentrums für LehrerInnenbildung der Universität zu Köln.
                                                           Von Sandra Longo

                                                      30   Forschen und Rätseln auf vielen Sprachen in einer Lernwerkstatt. Von Natascha Berger

                                                           Stadt und Land: Ideen und Projekte aus der Region
                                                      32   „Sprache ist ein nie endendes Konzept“. Interview mit Nilgün Filiz, Amana – Kita BFmF e.V.
                                                           Das Gespräch führte Elcin Ekinci.

                                                      34   „Du wirst es hier nicht einfach haben, du musst doppelt so hart arbeiten.“
                                                           Interview mit Roberto Lepore, Handwekskammer zu Köln. Das Gespräch führte Elcin Ekinci.

                                                      36   Herkunftssprache anstelle der 2. oder 3. Fremdsprache. Das Gespräch führte Rosella Benati.

                                                      38   Integration durch ästhetische Bildung. Eine Nachlese zu Projektpräsentationen anlässliches Welt-
                                                           flüchtlingstages 2019. Von Carmen Cardaci und Detlef Sarrazin

                                                           Neue Publikationen im ZMI / Zuletzt erschienen
Das ZMI-Magazin ist die Zeitschrift des
                                                      40   Aktuelle Neuerscheinungen, vorgestellt vom ZMI
Zentrums für Mehrsprachigkeit und Integration Köln:
                                                           Veranstaltungen
                                                      41   Mehrsprachigkeit in der frühen Bildung - Sprachfest am 29. Januar 2019
                                                      44   BiSS-Regionalkonferenz am 9. Oktober 2019
                                                      44   Fortbildungstag Deutsch
                                                      45   6. Kölner Lesekonzert
                                                      45   Didakta 2019

                                                      46 Interkulturelle Glosse
                                                           Interespect leben – Was man von Kindern lernen kann

                                                                                                                                               zmi-Magazin | 2019
MAGAZIN - Herkunftssprachen einbeziehen, Sprachkompetenzen stärken
4   Leitwort

         Leitwort
                                       rotzek und
         von Prof. Dr. Michael Becker-M
         Susanne Kremer-Buttkereit

    Das Jahr 2019 war für das ZMI neben seiner inhaltlichen Arbeit zum Schwerpunkt Mehrsprachigkeit auch durch
    personelle Änderungen geprägt. Die Dienstelle Diversity ist in das neu gegründete „Amt für Integration und Viel-
    falt“ übergegangen, das direkt der Oberbürgermeisterin Henriette Reker untergeordnet ist. Künftig wird Frau Su-
    sanne Kremer-Buttkereit als stellvertretende Amtsleiterin und Leiterin des Kommunalen Integrationszentrums die
    Stadt Köln in der Steuergruppe des ZMI vertreten. Frau Nina Rehberg hat die Leitung der Abteilung Vielfalt im neu-
    en Amt übernommen und daher die Steuerungsgruppe des ZMI verlassen; sie hat die Belange des ZMI in der Stadt
    immer gut vertreten. Dafür bedanken wir uns bei ihr sehr.

    zmi-Magazin | 2019
MAGAZIN - Herkunftssprachen einbeziehen, Sprachkompetenzen stärken
Leitwort 5

Das ZMI verlassen wird im nächsten Jahr Manfred Höhne von der Be-
zirksregierung Köln, der seit dessen Gründung im Jahre 2008 festes Mit-
glied der Steuerungsgruppe des ZMI war. Über die Jahre hat er das ZMI
mit großem Engagement, Fachkenntnis, Herz und scharfem Verstand
maßgeblich mitaufgebaut und gestaltet, um die Berücksichtigung und
Einbindung der Mehrsprachigkeit in allen Bereichen der Kölner Bildungs-
landschaft voranzutreiben. Aus diesem Grund folgt diesem Leitwort ein
persönliches Resümee, in dem Manfred Höhne auf Basis seiner reichhal-
tigen Erfahrungen seine Einschätzung zur gegenwärtigen und seine Ide-
en für die zukünftige Rolle des ZMI darlegt.
Inhaltlich stand das Jahr 2019 im Zeichen der Mehrsprachigkeit – nicht
nur in Köln. Die Bedeutung der Mehrsprachigkeit für die Entwicklung
                                                                              Prof. Dr. Michael Becker-Mrotzek,     Susanne Kremer-Buttkereit
von Kindern und Jugendlichen rückt zunehmend ins Zentrum öffentli-            Mercator-Institut                     Leiterin des Kommunalen
cher Debatten. So hat etwa Prof. Dr. Paul Lesemann (Universität Ut-           Universität zu Köln                   Integrationszentrums Stadt Köln

recht) in seiner Keynote mit dem Titel „Linguistische Superdiversität:
Herausforderungen und Chancen in der Bildung“ auf der BiSS-Jahresta-
gung am 21. und 22.11.2019 in Berlin die Mehrsprachigkeit in den Mit-
telpunkt gestellt. Er hat insbesondere gezeigt, wie mit teilweise sehr ein-
fachen Mitteln die Sprachen der Schülerinnen und Schüler in den Unter-        Ein wichtiger Baustein bei der Umsetzung ist die Einbindung der Her-
richt einbezogen werden können und wie sich dies positiv auf das ganze        kunftssprachen in Bildungsprozesse. Das ZMI hat sich den Herkunfts-
Lernen auswirken kann.                                                        sprachlichen Unterricht daher als Themenschwerpunkt für die Jahre
Eine wichtige Rolle im Zusammenhang gelebter Mehrsprachigkeit spielt          2019 und 2020 gesetzt und hierzu eine Reihe von Veranstaltungen, Pro-
der Herkunftssprachliche Unterricht (HSU), der in Köln eine lange Tra-        jekten und Angeboten initiiert. So findet beispielsweise das ZMI-Sprach-
dition hat. Dies wurde durch Publikationen und Veranstaltungen un-            fest 2020 unter dem Titel „HSU -Herkunftssprachen in der Schule“ statt.
termauert. So lud das Ministerium für Schule und Bildung des Landes           Dem diesjährigen ZMI-Magazin liegt zudem ein Beiheft mit Information
Nordrhein-Westfalen am 30. Oktober 2019 in Düsseldorf Expertin-               zum Herkunftssprachlichen Unterricht in Köln bei. Dieses Beiheft richtet
nen und Experten aus dem gesamten Bundesgebiet zu der Fachtagung              sich an alle Interessierte am HSU, die sich über Hintergründe und An-
„Herkunftssprachlicher Unterricht in Nordrhein-Westfalen – Rahmen-            meldemöglichkeiten informieren möchten.
bedingungen und Entwicklungsperspektiven“ ein, die gemeinsam Mög-             Es bietet sich an, dass wir Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, in die-
lichkeiten der Weiterentwicklung und Implementierung des HSU dis-             ser Ausgabe des ZMI-Magazins viele Beiträge präsentieren, die die Her-
kutierten. In ihrem Grußwort stellte Ministerin Yvonne Gebauer die            kunftssprachen und die Mehrsprachigkeit thematisieren.
Mehrsprachigkeit als eine besondere Kompetenz heraus, die gezielt             Serap Güler, Staatssekretärin für Integration im Ministerium für Kinder,
unterstützt und gefördert werden sollte. Der Herkunftssprachliche Un-         Familie, Flüchtlinge und Integration des Landes Nordrhein-Westfalen
terricht sei eine Anerkennung der Mehrsprachigkeit in unserer Gesell-         (MKFFI), gibt neben gesellschaftlichen Einschätzungen auch einen per-
schaft, der die allgemeinen sprachlichen Fähigkeiten der Schülerinnen         sönlichen Einblick in den Umgang mit der eigenen Herkunftssprache.
und Schüler stärke.                                                           Einen wissenschaftlichen Blick auf das Thema werfen die Beiträge von
Ein konkreter Arbeitsschwerpunkt des ZMI in Köln lag 2019 in der Um-          Nicole Marx, Sara Hägi-Mead und Havva Engin. Antje Hansen und In-
setzung der im sog. Eckpunktepapier formulierten Ziele. Auf Initiative        grid Gogolin stellen das bereits oben genannte Netzwerk HSU sowie die
des Integrationsrates hat das ZMI das Papier „Eckpunkte zur Integrati-        Koordinationsstelle Mehrsprachigkeit und Sprachliche Bildung (KoMBI)
on von neu zugewanderten Kindern und Jugendlichen in Kölner Schu-             vor. Einen Einblick in die Arbeit als Lehrerin für das Fach Türkisch anstel-
len“ erarbeitet, das am 27. September 2018 vom Kölner Rat beschlos-           le der 2. oder 3. Fremdsprache bietet das Interview mit Şeyda Şengül-
sen wurde. Dabei wurden Steuerungsgruppe und Geschäftsführung des             Karameşe, Dilek Gündoğan und Ümran Pargan.
ZMI von einer Gruppe interdisziplinärer Expertinnen und Experten der          Neben den Themen der Herkunftssprache und Mehrsprachigkeit wird in
Bezirksregierung Köln, der Stadt Köln, der Universität zu Köln und wei-       dieser Ausgabe auch ein besonderer Fokus auf die gemeinsame Initia-
terer Organisationen und Träger unterstützt und beraten. Neben einer          tive von Bund und Ländern „Bildung durch Sprache und Schrift“ (BiSS)
Beschreibung der Ausgangslage enthält das Papier weitreichende Hand-          gelegt. Der Beitrag von Hans-Joachim Roth und Michael Becker-Mrot-
lungsempfehlungen, wie die Bildungschancen neu zugewanderter Kin-             zek resümiert eine Reihe von Regionalveranstaltungen in NRW, in der
der und Jugendlicher, einige von ihnen nach Köln geflüchtet, an Schulen       die Zusammenarbeit der verschiedenen Ebenen der Bildungspraxis, der
verbessert werden können. Zur planvollen Koordinierung dieser Hand-           Bildungsadministration sowie der Wissenschaft deutlich wurden. Er-
lungsempfehlungen wurde eine Steuerungsgruppe eingerichtet, beste-            gänzt wird dieser Beitrag durch Interviews mit Lotte Weinrich, Alexand-
hend aus dem ZMI, dem Kommunalen Integrationszentrum (KI) sowie               ra L. Zepter und Christoph Gantefort, die einen Einblick in die konkrete
dem Regionalen Bildungsbüro (RBB). Die Kölner Bildungskoordinatorin-          wissenschaftliche Begleitung der Kölner BiSS-Verbünde gewährt.
nen und -koordinatoren begleiten im Rahmen dieser Steuerungsgruppe            Wir wünschen Ihnen viel Spaß und Anregungen beim Lesen des ZMI-
maßgeblich den Umsetzungsprozess.                                             Magazins 2019 und grüßen Sie herzlich! 

                                                                                                                                     zmi-Magazin | 2019
MAGAZIN - Herkunftssprachen einbeziehen, Sprachkompetenzen stärken
6   Wer gehört wo dazu?

              e r g e h ö r t w o d a z u ?“
            „W
             von Manfred Höhne

     Gleichberechtigtes Mitglied in einer sich stets verändernden Gesellschaft    Integration durch „Teilgabe“ ist allerdings erheblich mehr! Wie sieht der
     zu werden, geschieht nicht von alleine. Der Austausch durch Sprache und      wichtige Beitrag mehrsprachiger, mit internationaler Familiengeschichte
     Schrift, das Verstehen anderer, zunächst fremder Kulturen, wird allzu oft    hier mit uns lebenden Menschen aus? Und: Wie schaffen wir es, unsere
     zu einer emotionalen Herausforderung für alle Beteiligten. Jede Begeg-       Wahrnehmung hierfür zu schärfen? Die sprachliche Herkunft und die kul-
     nung mit Verschiedenartigkeit kann aber zugleich den Zauber der Viel-        turelle Vielfalt machen hier den Unterschied, denn die Muttersprache und
     falt offen legen und es sind besondere Momente, sich auf diesen Pro-         die dabei sichtbare Sprachkultur in Gestik, Mimik und Körpersprache von
     zess einzulassen.                                                            Kindern und Jugendlichen aus internationalen Familien ist ein Garant für
                                                                                  eine Mehrsprachigkeit in einer vielsprachigen Gesellschaft. Von den Stär-
     Aus diesem Grund ist das ZMI – Zentrum für Mehrsprachigkeit und Inte-        ken der Kinder und Jugendlichen ausgehend Konzepte der Mehrsprachig-
     gration in Köln entstanden. Das ZMI wird für die Sprachbildung und In-       keit zu entdecken und zu etablieren wird weiterhin eine zentrale Aufgabe
     tegration keine „allumfassenden“ Antworten bieten, jedoch ermöglichen        des ZMI sein müssen. Überlegenswert ist sicherlich die Zusammenarbeit
     die Initiativen, Angebote und Strukturen des ZMI einen besonderen Zu-        mit den Eltern und ihren Kompetenzen in den jeweiligen Herkunfts- oder
     gang zu Veränderungen.                                                       Muttersprachen zum Aufbau einer auf Augenhöhe praktizierten Lernge-
                                                                                  meinschaft. Die Eltern konzeptionell einzubinden und somit Partizipati-
     Nach mehr als elf Jahren Mitarbeit in der Steuerungsgruppe des ZMI gilt      on umzusetzen, ermöglicht professionelle Netzwerke für sprachliche Bil-
     mein Dank den damaligen Initiatoren aus Politik und Verwaltung, die im       dung, für Mehrsprachigkeit und umfassende Integration!
     Jahr 2008 mit Weitsicht eine Kooperation zwischen der Stadt Köln, der        Das bundesweit einmalige ZMI – Zentrum für Mehrsprachigkeit und Inte-
     Universität zu Köln und der Bezirksregierung Köln ermöglicht haben.          gration in Köln kann hierzu entscheidende Impulse geben.
     Diese Verbindung und die Zusammenarbeit, aber auch die Kraft, die hin-
     ter diesen drei großen Partnern steht, ist wichtig und wertvoll, damit die   … und nun, zum Abschluss, ein ganz besonderer Dank:
     Potenziale unserer Kölner Kinder und Jugendlichen entdeckt und weiter-       Ich danke meinen ehemaligen und aktuellen Kolleginnen und Kollegen
     hin gefördert werden. Dazu hat das ZMI im Laufe der zurückliegenden          der Geschäftsführung und der Steuergruppe. Seit 2008 waren in der
     Jahre zahlreiche Projekte und Unterstützungsangebote für die Sprachbil-      Steuergruppe, bis auf eine kurze zeitliche Ausnahme, immer Mitglieder
     dung und Integration entwickelt und prozessbegleitend evaluiert.             mit internationaler Familiengeschichte vertreten. Das alleine wäre schon
     Die Entwicklungslinien waren klar und haben weiterhin große Bedeu-           beispielhaft! Die fachlichen Auseinandersetzungen, Diskussionen und die
     tung: Die sichere Kommunikation in der Bildungssprache sowie gute Le-        Momente, in denen aufgrund der vorhandenen Mehrsprachigkeit und der
     se- und Schreibkompetenzen sind zentrale Anforderungen. Kinder und           Fachexpertise wie selbstverständlich ein interkulturelles Verstehen aus-
     Jugendliche sowie die Fachkräfte in den jeweiligen Einrichtungen werden      schlaggebend für Entscheidungen wurde - diese Begegnungen bleiben
     durch innovative Maßnahmen des ZMI bei der Bewältigung der damit             dauerhaft in Erinnerung.
     einhergehenden Aufgaben unterstützt. Somit wird die Teilhabe an zahl-
     reichen gesellschaftlichen Angeboten erleichtert und oft erst ermöglicht.    Es war eine so gute Zeit - vielen Dank! 

    zmi-Magazin | 2019
MAGAZIN - Herkunftssprachen einbeziehen, Sprachkompetenzen stärken
Interview mit Serap Güler 7

Waren Sie in Ihrer Schulzeit mit dem Konzept
Mehrsprachigkeit konfrontiert?

Ich besuchte den herkunftssprachlichen Unterricht in der Grund-
schule, es war das Ersatzfach für Religion. Das ging bis zur
sechsten oder achten Klasse der weiterführenden Schule, danach
wurde es nicht mehr angeboten. Ich fand es für mich sehr berei-
chernd. Zu Hause wurde nur Türkisch gesprochen, das hatte zwei
Gründe: Meine Eltern konnten nur schlecht Deutsch und wollten
dieses Defizit nicht an uns weitergeben. Und meine Mutter hat
gesagt, du sprichst genug Deutsch draußen, in der Schule und

          “Es ist schade, wenn man die
                                       eigene
          Muttersprache nicht weitergib
                                        t”
         Interview mit Serap Güler, Staatss
                                            ekretärin für Integration des Lan
         Das Gespräch führte Elcin Ekinci.                                    des Nordrhein-Westfalen.

mit
deinen Freunden. Für mich als Kind war das keine einfach Situ-      mir gefragt, ob ich dolmetschen kann, insbesondere wenn die
ation: auf Deutsch zu spielen und in der Schule zu lernen, aber     Gäste kein Englisch sprechen konnten. Bei meiner Bewerbung
dann die Sprache zu Hause nicht einsetzen zu dürfen. Doch im        war das aber kein Kriterium und auch beim Einstellungsgespräch
Nachhinein bin ich dafür dankbar. Auch für den herkunftssprach-     hat es keine Rolle gespielt. Doch für den Arbeitgeber war meine
lichen Unterricht, bei dem ich mich mit türkischen Gedichten be-    Mehrsprachigkeit am Ende sicherlich ein Gewinn.
schäftigt habe und mit der türkischen Literatur. Das ist etwas,
was ich nicht missen möchte.                                        War der Erwerbe der englischen Sprache anders,
                                                                    vielleicht auch leichter?
Beherrschen Sie Türkisch so gut wie Deutsch?
                                                                    Vielleicht hatte ich Vorteile, die sind mir nicht so bewusst gewesen.
Ich würde nicht sagen, dass mein Türkisch so gut ist wie mein
Deutsch. Meine Ausbildung war in deutscher Sprache, dann            Wieso haben Sie sich für das Studium der Germa-
habe ich Germanistik studiert. Das ist nochmal was anderes,         nistik entschieden?
wenn man sich so intensiv mit einer Sprache auch wissenschaft-
lich auseinander setzt. Und jetzt mache ich Politik auf Deutsch.    Ich habe am Campus Essen studiert. Deutsch war mein Lieb-
Wenn ich zu bestimmten Dingen auf Türkisch gefragt werde,           lingsfach in der Schule und ich habe mich damals gerne mit der
muss ich selbst manchmal noch einmal überlegen. Ich habe am         deutschen Sprache auseinandergesetzt, weil ich die Sprache ein-
Anfang zum Beispiel darüber nachgedacht, was „Integrations-         fach schön finde. Meine Hauptfächer waren Kommunikations-
gipfel“ auf Türkisch bedeutet, die korrekte Übersetzung lautet      wissenschaften und Germanistik.
„uyum zirvesi“. Das Umschalten zwischen den Sprachen fällt mir
manchmal nicht so leicht.                                           Warum hat Ihr Ministerium ein Gutachten zum
                                                                    Thema Mehrsprachigkeit in Auftrag gegeben?
Wurde in Ihrer Ausbildung zur Hotelfachfrau die
Mehrsprachigkeit als Ressource angesehen?                           Wir wollten wissen, wo wir stehen und wo noch Handlungs-
                                                                    felder sind. Deswegen haben wir in unserem Koalitionsvertrag
Ehrlich gesagt hat niemand nach meinen Türkischkenntnissen ge-      unter dem Kapitel „Integration“ die Mehrsprachigkeit ganz klar
fragt. Wichtig war Englisch. Ich hatte in der Schule auch Franzö-   benannt. Wir stehen als Landesregierung zur Mehrsprachigkeit.
sisch, spreche es aber selten, es müsste aufgefrischt werden. Im    Wir halten das für integrationspolitisch wichtig, weil es eine An-
praktischen Teil der Ausbildung konnte ich meine Türkischkennt-     erkennung und Wertschätzung für die Menschen ist, die hier le-
nisse oft einsetzen, das war schon hilfreich. Wenn wir beispiels-   ben. Es ist doch schade, wenn Arbeitgeber – wie in meinem Fall
weise türkische Reisegruppen hatten, dann wurde immer nach          während der Ausbildung – sich nicht für andere Sprachkennt-
                                                                                                                         zmi-Magazin | 2019
MAGAZIN - Herkunftssprachen einbeziehen, Sprachkompetenzen stärken
8   Interview mit Serap Güler

    nisse interessieren und sie nicht wertschätzen. Deutschland hat       Einwanderungsländer wie Kanada und die Vereinigten Staaten
    lange gebraucht um zu merken, dass jede Sprache wertvoll ist,         das auch nicht in dem Maße machen. Ich finde das schade, aber
    egal ob es Türkisch, Italienisch oder Griechisch ist. Jede weitere    jede Einwanderungsgesellschaft muss ihre eigene Kultur entwi-
    Sprache, trägt zur Vielfalt bei. Das wurde lange Zeit unterschätzt.   ckeln. Und die kann nicht aus der Devise bestehen, du bist herz-
    Beim herkunftssprachlichen Unterricht ist Nordrhein-Westfalen         lich willkommen, aber du musst alles andere abwerfen! Es ist
    Spitzenreiter im Vergleich zu den anderen Bundesländern. Sich         eine politische Aufgabe, das deutlich zu benennen. Zuversichtlich
    darauf auszuruhen, ist mir aber zu wenig. Durch das Gutachten         stimmt mich, wenn ich sehe, wie viele mehrsprachige Kitas es
    wollten wir schauen, was noch verbessert werden kann.                 heute gibt. Die gab es zu meiner Zeit nicht, da war die Menta-
                                                                          lität deutlich anders. Das Kind sollte Deutsch lernen und nichts
    Wie haben Sie die Veranstaltung erlebt, auf der                       Anderes. Das war zu jener Zeit vielleicht auch richtig, weil viele
    die Ergebnisse des Gutachtens präsentiert wur-                        ja auch zu Hause nicht Deutsch gesprochen haben. Ein Freund
    den?                                                                  von mir betreibt in Köln eine Kita, die eine deutsch-türkische,
                                                                          deutsch-spanische, deutsch-englische und in Duisburg sogar
    Ich glaube, sie war ein gutes Signal an die unterschiedlichen         eine deutsch-chinesische Gruppe hat. Er sagt, er kriegt gar nicht
    Akteure. So viele Expertinnen und Experten an einem Tisch zu          alle Kinder unter: Ganz viele deutsche Eltern haben ein Interes-
    haben, war uns ein zentrales Anliegen. Fremdsprachenunterricht        se daran, dass ihr Kind schon in der Kita eine weitere Sprache
    hat genauso seinen Wert wie Muttersprachenunterricht. Beides          lernt. Wenn die Möglichkeit besteht, warum sollten sie nicht eine
    ist wichtig.                                                          weitere Sprache lernen? Das ist ein großer Gewinn. Ich würde
                                                                          nicht so weit gehen, dass der muttersprachliche Unterricht ver-
    Wie geht es nach diesem Gutachten weiter?                             setzungsrelevant sein soll.

    Einige Handlungsempfehlungen gibt es schon und ich sehe auch,         Was bedeutet diese Ausrichtung des Ministeri-
    dass das ZMI diese bereits aufgegriffen hat und umsetzt. Es geht      ums für die Kommunalen Integrationszentren?
    auch darum, wie man die Anerkennung der Muttersprache im
    Regelunterricht aufbauen und fördern kann. Da gibt es durch-          Das Thema Mehrsprachigkeit ist bereits bei der Landeskoordi-
    aus noch Verbesserungspotential. Ich finde es super, dass das         nierungsstelle Kommunale Integrationszentren angesiedelt. Wir
    ZMI Materialien für die Schulen entwickelt und den Lehrkräf-          überlegen gerade, wie wir die Zentren stärker unterstützen kön-
    ten an die Hand gibt. Auch in der Lehrerausbildung sollte die         nen, so dass sie praxisorientierter arbeiten können. Natürlich
    Mehrsprachigkeit eine Rolle spielen. Das sind Punkte, die wir         dürfen wir nicht außer Acht lassen, dass sie regional unterschied-
    als Landesregierung jetzt nach vorne bringen wollen. Ein Beispiel     lich organisiert und strukturiert sind. Wir müssen schauen, wie
    hierfür ist die Aufstockung der Anzahl der Lehrkräfte für den         wir diesen Prozess gestalten.
    muttersprachlichen Unterricht um 50 auf nunmehr 936 Stellen
    im Haushaltsjahr 2019.                                                Wie sehen Sie die Arbeit des ZMI und ihre Fort-
                                                                          führung - auch als Beispiel für andere Städte?
    Was kann Ihr Ministerium konkret im öffentlichen
    Diskurs tun?                                                          Ich kann es nur unterstützen, dass man es auf andere Städte aus-
                                                                          weitet. Es kann natürlich auch eine Herausforderung sein, wenn
    Wir sollten uns klar dazu bekennen, die Förderung der Mutter-         unterschiedliche Akteure mit verschiedenen Zielvorstellungen zu-
    sprache als politische Aufgabe umsetzen zu wollen. Es ist bei         sammenarbeiten. Es macht aber die Stärke Kölns aus, dass alle
    weitem nicht so, dass diejenigen, die Vielfalt gut finden und ak-     Akteure letztlich an einem Strang ziehen.
    zeptieren, auch das Thema Muttersprache akzeptieren. Ich wur-
    de letztens auf einer Veranstaltung von einem Vater angespro-         Was wünschen Sie sich vom ZMI zum Thema her-
    chen. Er hätte in der Schule seines Kindes mitbekommen, dass          kunftssprachlicher Unterricht?
    Muttersprachenunterricht angeboten wird und sein Kind nicht
    daran teilnehmen kann. Sein Kind hat eine deutsch-deutsche            Ganz wichtig ist es, die Eltern mitzunehmen. Da ist viel zu tun,
    Herkunft und da ist es halt nicht so einfach. Dann hat er sich        viele kennen ihre Rechte überhaupt nicht. Wenn eine bestimmte
    aufgeregt, dass der Unterricht mit seinen Steuern bezahlt wird.       Anzahl von Eltern zusammenkommt, können sie an ihrer Schu-
    Ich habe uns immer als Solidaritätsgesellschaft verstanden. Es        le einfordern, dass herkunftssprachlicher Unterricht angeboten
    muss zur Kultur eines Einwanderungslandes gehören, die Her-           wird. Dafür muss man ein Bewusstsein schaffen. Es ist wichtig,
    kunftskultur zu fördern. Dazu gehört natürlich auch die Sprache.      dass die Herkunftssprache vermittelt wird.
    Alles andere widerspricht der Mentalität einer Einwanderungs-
    gesellschaft. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass die klassischen     Vielen Dank für das Gespräch. 

    zmi-Magazin | 2019
MAGAZIN - Herkunftssprachen einbeziehen, Sprachkompetenzen stärken
mehrwert: 9

                                     Aus Wissenschaft und Forschung

      Bildung durch Sprache und S
      BiSS auf dem Weg in den Tran chrift –
                                                                                                             sfer
     von Prof. Dr. Michael Becker-Mro
                                                                    tzek und Prof. Dr. Hans-Joachim Rot
                                                                                                                                         h, BiSS-Trägerkonsortium

2018 startete BiSS-NRW die Planung zu einer bemerkenswerten Reihe von Regionalveranstaltungen,
auf denen die Ergebnisse des Bund-Länder-Programms „Bildung durch Sprache und Schrift“ (BiSS)
zusammengetragen und einer fachlichen Öffentlichkeit präsentiert wurden. Die Veranstaltungen fanden
zwischen Mai und Oktober 2019 statt, die Regionalveranstaltung des Regierungsbezirks Köln am 9.
Oktober. Sie wurden von Seiten der Landeskoordinatorin BiSS Uta Biermann von der Landesweiten
Koordinierungsstelle Kommunale Integrationszentren (LaKI) in Kooperation mit dem Ministerium für
Schule und Weiterbildung sowie den jeweils zuständigen Stellen in den Bezirksregierungen durchgeführt.
Auf allen Veranstaltungen gab es durch das Trägerkonsortium einen Überblick zu BiSS aus Bundessicht
sowie zu den Verbänden in NRW und ihrer konkreten Arbeit. 1
Warum nun sind diese Veranstaltungen bemerkenswert? Aus un-                                                         des Erprobens in eine Phase der breiten Umsetzung ausgerollt wer-
serer Sicht sind es zwei Dinge, die eine solche Bewertung rechtfer-                                                 den soll.
tigen lassen. Zum einen ist es die besondere Kooperation aller an                                                   In der Laufzeit des Programms hat sich bundesweit ein gemeinsa-
BiSS beteiligten Akteure, zum anderen sind es das Format und die                                                    mer Prozess entwickelt, der die Zusammenarbeit der verschiedenen
Strategie, mit denen ein großes Bildungsprogramm von einer Phase                                                    Ebenen der Bildungspraxis, der Bildungsadministration sowie der

1 Vgl. https://kommunale-integrationszentren-nrw.de/biss-nordrhein-westfalen-vier-veranstaltungen-fuer-den-transfer-die-region-erfolgreich-gelaufen

                                                                                                                                                                    zmi-Magazin | 2019
MAGAZIN - Herkunftssprachen einbeziehen, Sprachkompetenzen stärken
10   Aus Wissenschaft und Forschung

                                                                                                      Verantwortlichen vor Ort und das Ministe-
                                                                                                      rium gab die BiSS-Landeskoordinatorin Uta
                                                                                                      Biermann einen Überblick über die Arbeit
                                                                                                      der Verbünde in Nordrhein-Westfalen. An-
                                                                                                      schließend hatten die Besucher*innen die
                                                                                                      Möglichkeit, sich das im Detail an „Markt-
                                                                                                      ständen“ anzusehen. Die Verbünde hatten
                                                                                                      dazu professionelle Informationsposter an-
                                                                                                      gefertigt und standen bereit, Fragen zu ihrer
                                                                                                      Arbeit zu beantworten. Neben den Postern
                                                                                                      hatten die Verbundkoordinator*innen auch
                                                                                                      eine Reihe von Materialien mitgebracht, so-
                                                                                                      dass sich eine intensive Gesprächsatmo-
                                                                                                      sphäre entfaltete. Es folgte ein Überblick
                                                                                                      über das Bundesprogramm BiSS durch Mit-
                                                                                                      glieder des Trägerkonsortiums, jeweils mit
                                                                                                      einer Betrachtung von Themen und Forma-
                                                                                                      ten, die sich für den Transfer anbieten. Wie
                                                                                                      auch schon in den Präsentationen aus den
                                                                                                      Verbänden ging es nicht nur um Inhaltliches
                                                                                                      und die BiSS-Produkte im Themenfeld der
                                                                                                      sprachlichen Bildung, sondern in gleicher In-
                                                                                                      tensität auch um Formate und Strukturen.
                                                                                                      Letzteres betrifft insbesondere die Koope-
                                                                                                      ration. Dabei wurde auf der Ebene der Ver-
     Wissenschaft als eigenes Merkmal für den        Genau diese Grundstimmung des komple-            bünde das zuvor thematisierte spezifische
     Erfolg des BiSS-Programms hat hervortreten      xen Beziehungsgeflechts im Bildungswe-           Merkmal von BiSS-NRW sichtbar: die enge
     lassen. Nun ist es nicht ungewöhnlich, dass     sen war bei den Regionalveranstaltungen in       Kooperation mit den regionalen Hochschu-
     Menschen, die in Schulen und Kitas arbei-       NRW gerade nicht zu spüren. Die Koopera-         len. An dieser Stelle wurde erkennbar, dass
     ten, auch Kontakte zur Ebene der überge-        tion der verschiedenen Ebenen hat im Rah-        ein relativ enges Netz an Hochschulen in ei-
     ordneten Administration und gegebenenfalls      men von BiSS eine Selbstverständlichkeit ge-     nem Bundesland für Programme wie BiSS
     auch zu Wissenschaftler*innen haben. Aller-     wonnen, die tatsächlich bemerkenswert ist:       eine wichtige strukturelle Grundlage bieten
     dings sind solche Beziehungen nach wie vor      Man ist miteinander im Gespräch, ohne die        kann.
     häufig von Berührungsängsten oder auch          unterschiedlichen fachlichen und strukturel-     Mit diesen Kooperationen lassen sich die
     Vermeidungsbewegungen durchzogen; das           len Zwänge und Bedingungen auszublen-            Anforderungen von Innovationen im Bil-
     gilt insbesondere dann, wenn Hierarchien        den. Der durchaus unterschiedliche Blick auf     dungssystem ganz anders bewältigen. Die
     im Raum sind und die Bildungsadministra-        dieselbe Bildungswirklichkeit wird weniger       seit einigen Jahren bekannte Einsicht aus
     tion auch Aufsichtsaufgaben wahrnimmt so-       als Trennlinie erfahren, sondern als multiper-   der Schulentwicklungsforschung, dass sich
     wie immer mal wieder Entscheidungen trifft,     spektivischer Blick wahrgenommen, der für        die komplexen Herausforderungen an gelin-
     die vor Ort durchaus nicht immer nachvoll-      den Bereich der sprachlichen Bildung einen       gende Bildungsprozesse nicht mehr über das
     zogen werden oder Zustimmung auslösen.          reicheren Zugang ermöglicht und die prä-         Engagement einzelner Lehrkräfte und auch
     Das Verhältnis zur Wissenschaft ist ebenfalls   zisere Einordnung von Beobachtungen, Er-         nur einzelner Schulen bewältigen lassen,
     häufig ambivalent, wenn diese als weit ent-     gebnissen und Erfahrungen ermöglicht. An-        führte auch bei BiSS zu einer Grundstruk-
     fernt und über der Wirklichkeit schwebend       erkennung und Wertschätzung der unter-           tur der Arbeit in Verbünden. Gerade eine
     wahrgenommen wird („Elfenbeinturm“)             schiedlichen fachlichen Expertisen sind so-      sprachliche Bildung, die zwar vornehmlich
     oder ihre Akteure als nervige Datenräuber       mit die wesentliche Grundlage für diesen im      die Verbesserung der Kompetenzen der 25
     und Zeitdiebe wahrgenommen werden; sie          Laufe der letzten sieben Jahre aufgebauten       Prozent von Schüler*innen ohne hinreichen-
     fliegen ab und an in Schulen oder Kitas ein,    Beziehungstypus der Kooperation, die sich        de sprachliche Kompetenz als Aufgabe hat,
     führen Tests und Interviews durch und rü-       um die Gemeinsamkeit eines Gegenstan-            kann es sich nicht leisten, mit einem isolier-
     cken dann zwei Jahre später mit irgendwel-      des herum gruppiert: dem der sprachlichen        ten Einsatz von Fördertools für die Zielgrup-
     chen Ergebnissen an, wenn die betroffenen       Bildung.                                         pe der sogenannten „schwachen Leser“ zu
     Kinder und Jugendlichen schon längst nicht      Wie sind die Regionalveranstaltungen ab-         arbeiten, sondern muss auf größere Arran-
     mehr da sind.                                   gelaufen? Nach einer Begrüßung durch die         gements sprachlicher Bildung setzen. Denn

     zmi-Magazin | 2019
Aus Wissenschaft und Forschung 11

es geht weder darum, eine neue Förderpoli-
tik zu installieren, noch darum, den bekann-
ten Schereneffekt zu bedienen (die „Guten“
werden immer besser, wohingegen sich bei
den „Schwachen“ wenig tut). Maßnahmen
der sprachlichen Bildung brauchen eine ei-
gene Situierung im einzelnen System – sei
es eine Schule oder eine Kita. Und diese be-
ziehen sie aus Kooperationen, die die einzel-
nen Institutionen überschreiten.
Eine solche Situierung ergibt sich nicht von
allein, sondern sie will begleitet sein, da es
nicht allein ausreicht, sich für eine Maßnah-
me zu entscheiden und diese dann nach Plan
umzusetzen. Sie muss tatsächlich ihren eige-
nen Platz im System finden, d. h. es braucht
eine Passung zum jeweiligen Bildungsalltag,
die die Anforderungen an die Durchführung
solcher Maßnahmen aus Gründen der Wirk-          nur erfolgreich sein und die Komplexität des    in BiSS die Landeskoordination angesiedelt
samkeit genauso erfüllen (Stichwort Kon-         Arbeitens in Verbünden gelingen lassen,         ist, wurde das lebendig gehalten und für die
zepttreue) wie die der Bedingungen vor Ort.      wenn der Kitt an den Schnittstellen mit be-     Sprachbildungsarbeit in NRW weitergeführt.
Das meint der Ausdruck Situierung. Genau         dacht wird, sprich wenn die für das Gelin-      2013 konnte BiSS daran anknüpfen und hat
dafür ist Kooperation von hoher Bedeu-           gen bedeutsame Prozesskomponente per-           inzwischen durch das neu aufgesetzte Kon-
tung, ebenso eine wissenschaftliche Be-          sonell abgesichert ist. Denn Kooperation in     zept der Verbundkoordinator*innen, die
gleitung, die zum einen Evaluationsschritte      komplexen Strukturen benötigt Kommuni-          zum Teil auch direkt an den kooperieren-
durchführt und Daten zur Entwicklung von         kation. Deren Aufwand ist oft nicht direkt      den Hochschulen angesiedelt sind, eine ei-
Schülerkompetenzen bereitstellt, zum ande-       sichtbar, sondern taucht – als typisches Ele-   gene stabile Netzwerkstruktur aufgebaut,
ren aber auch Prozesse auf dem Weg der Si-       ment immaterieller Arbeit – in den üblichen     die für den Transfer bereitsteht und ein ko-
tuierung in den Blick nimmt, die den Erfolg      Kosten-Nutzen-Rechnungen gar nicht auf.         operatives Arbeiten in Verbünden sicher-
der Implementierung von Maßnahmen ähn-           Im Hinblick auf den Transfer wurden die Ver-    stellt sowie eine gemeinsame thematische
lich stark beeinflussen wie die Genauigkeit      anstaltungen nicht nur zur Information inte-    Linie in die Sprachbildungsarbeit in NRW
ihres Einsatzes.                                 ressierter Kolleg*innen und Einrichtungen       hineinbringt.
Das Geheimnis solcher erfolgreichen Koope-       genutzt, sondern auch für die Transfervorbe-
rationen liegt also nicht etwa darin, dass al-   reitung und -planung. Die Teilnehmer*innen
le dasselbe machen, sondern alle Beteilig-       hatten die Möglichkeit, konkrete Interes-
ten ihre jeweilige Expertise in den gemein-      sensbekundungen dazu abzugeben, was sie
samen Prozess einbringen und aus ihren je-       in einer möglichen Transferphase bearbeiten        info
weils unterschiedlichen Blickwinkeln durch-      wollen. Die Planungen für BiSS-Transfer in
aus auch kritisch betrachten und gemeinsam       NRW beruhen somit auf einer breiten Basis          Kontakt

reflektieren. In NRW hat sich im Feld der        von Informationen auf der einen und auf der        Prof. Dr. Michael Becker-Mrotzek
                                                                                                    Mercator-Institut
sprachlichen Bildung erkennbar eine solche       Berücksichtigung von Wünschen und Erwar-           Universität zu Köln
                                                                                                    Gronewaldstr. 2 | 50931 Köln
Kooperationskultur entwickelt, die die Be-       tungen auf der anderen Seite. Eine genaue          Email:
wältigung komplexer Aufgaben durch kom-          Umsetzungsplanung wird im Land noch                michael.becker-mrotzek@uni-koeln.de

plexe Prozesse gelingen lässt.                   erarbeitet.
Strukturell wichtiges Element dabei waren        In NRW zeigt sich die Bedeutung einer vor-
und sind die Verbundkoordinator*innen. Für       handenen Struktur. Wie zu Beginn von BiSS          Prof. Dr. Hans-Joachim Roth
deren Arbeit hatte das Land – im Übrigen         immer auch auf noch bestehende Erfahrun-           Universität zu Köln
                                                                                                    Humanwissenschaftliche Fakultät
als einziges Bundesland in diesem Umfang         gen, Strukturen und Kompetenzen zurückge-          Interkulturelle Bildungsforschung
                                                                                                    Gronewaldstr. 2 | 50931 Köln
– die weise Entscheidung getroffen, erheb-       griffen werden konnte, die im Rahmen des           Email:
                                                                                                    hans-joachim.roth@uni-koeln.de
liche Stellenanteile zur Verfügung zu stellen.   letzten BLK-Programms Förderung von Kin-
Gerade in einem bevölkerungsreichen wie          dern und Jugendlichen mit Migrationshin-
geographisch ausgedehnten Land wie Nord-         tergrund (FörMig) entstanden waren (2004-
rhein-Westfalen kann ein solches Programm        2012). Insbesondere in der LaKI, bei der auch

                                                                                                                                        zmi-Magazin | 2019
12   Aus Wissenschaft und Forschung

                 h af t u n d Pr ax is im B iS S- Pro g ramm
        Wissensc                                          konsortium                                       BiSS-Träger
                                Wei nric h, Dr. Chr isto ph Gan tefo rt und Prof. Dr. Alexandra L. Zepter,
        Interview mit Dr. Lotte
                                             ati und Petr Frantik.
        Das Gespräch führten Rosella Ben

      Was waren Ihre Beweggründe, sich als           sondern auch Bilderbuchtexte für die Gene-       und überprüft werden, und dies in einem
      wissenschaftliche Begleitung des Ver-          rative Textproduktion zu nutzen. Dadurch         Kontext der Zusammenarbeit von Universi-
      bundes zu beteiligen? 		                       sollten die sprachschöpferischen Anteile         tät, Schule und der Bezirksregierung. Die-
      Weinrich: Viele Jahre habe ich mit der (ab-    des Konzeptes erhöht und das „Generative         ser Austausch ist ein sehr erkenntnisgewin-
      geordneten) Lehrerin Monika Lüth zusam-        Erzählen“ als neues DemeK-Element einge-         nender Prozess für alle, von dem ich auch
      men Ferienschulen mit Studierenden ge-         führt werden.                                    persönlich viel lerne.
      plant und durchgeführt. In diesem Kontext
      habe ich überhaupt erst das große Poten-       Gantefort: Nun, nach meiner Promotion            Welche Aspekte umfasst Ihre Be-
      tial entdeckt, das in der Zusammenarbeit       im Jahr 2013 war das Engagement im BiSS-         gleitung an der Schnittstelle von
      von Schule und Universität liegt. Ein gutes    Verbund eine hervorragende Gelegenheit,          Wissenschaft und Praxis?
      Beispiel dafür ist die Genese von DemeK        sowohl konzeptionell als auch forschungs-        Weinrich: Die Zusammenarbeit zwischen
      (Deutschlernen in mehrsprachigen Klassen)      bezogen arbeiten zu können. In konzeptio-        Lehrkräften an Schule und Hochschule kos-
      selbst: Gerlind Belke hatte als Forscherin     neller Hinsicht war ich sehr daran interes-      tet Zeit und verlangt Geduld, da anfangs
      und Gedichtsammlerin die inspirierende         siert, gemeinsam mit Praktiker*innen neu-        Zweifel bestehen, ob überhaupt wechsel-
      Idee, literarische Mustertexte für gramma-     ere Ansätze mehrsprachiger institutioneller      seitig voneinander gelernt werden kann.
      tisches Lernen zu nutzen. Aber erst DaF-       Bildung zu entwickeln und zu erproben. Zu-       Ich habe auch erfahren, dass meine sprach-
      erfahrenen Grundschullehrerinnen wie Mo-       gleich und nicht zuletzt hat sich ein relevan-   didaktischen Ideen, für die Studierende
      nika Lüth, Rosella Benati und anderen ist es   tes Forschungsfeld geöffnet: Einerseits mit      leicht zu begeistern sind, bei routinierten
      gelungen, diesen Gedanken nach und nach        Blick auf die Effekte der von uns entwickel-     Lehrkräften erst einmal auf Zurückhaltung
      zu einem umfassenden Sprachbildungskon-        ten Intervention „mehrsprachiges rezipro-        stoßen. Hilfreich für die Vertrauensbildung
      zept zu modellieren. Mit der maßgeblichen      kes Lesen“ und zum anderen in Bezug auf          ist auf jeden Fall der kollegiale Austausch
      Unterstützung von Silvia Beu entstand ein      Aspekte der Grundlagenforschung, so zum          am runden Tisch. Noch wirkungsvoller wa-
      Fortbildungsangebot für interessierte Schu-    Beispiel zum Zusammenhang zwischen ei-           ren in unserem Verbund aber die gemein-
      len, mit dem das DemeK-Handwerkszeug           ner mehrsprachigen familiären Lernumwelt         samen Hospitationen an den BiSS-Schulen
      in der Bezirksregierung Köln verbreitet        und der Entwicklung des Leseverstehens           während unserer Literaturwochen. Dort ha-
      und verankert werden konnte. Ein großer        im Grundschulalter. An dieser Stelle möch-       ben wir als Gruppe in den unterschiedlichen
      Vorteil der Verwurzelung des Konzeptes in      te ich die produktive Zusammenarbeit zwi-        Lernsettings hospitiert und uns anschlie-
      der Schulpraxis ist, dass die Lehrkräfte den   schen der Bezirksregierung Köln, den betei-      ßend über unsere Beobachtungen ausge-
      Sprachförderbedarf ihrer Kinder gut ken-       ligten Schulen und unserem Institut beto-        tauscht. Das war ungemein lehrreich und
      nen. Sie können ihnen daher passgenaue         nen, mit welcher die Datenerhebungen erst        hat uns daran erinnert, eine gemeinsame
      Lernangebote machen, die erfahrungs-           möglich geworden sind.                           Passion zu haben: guten Deutschunterricht.
      gemäß auch funktionieren. Als Nachteil
      kann sich bei dieser nie „fertig“ vorgege-     Zepter: Ich wurde von Lotte Weinrich an-         Gantefort: Im Rahmen der wissenschaftli-
      benen Konzeption erweisen, dass in den         gesprochen, die schon lange das Projekt in       chen Begleitung des Verbundes haben wir
      über 160 DemeK-Schulen parallel so viele       der Grundschule begleitete. Als die Frage        über die gesamte Grundschulzeit zweier Ko-
      unterschiedliche Unterrichtspraktiken exis-    entstand, inwiefern Methoden von DemeK           horten von Schülerinnen und Schülern die
      tieren, dass der Leitgedanke von DemeK         für die Sekundarstufe weitergedacht wer-         Lesefähigkeiten in Deutsch und Türkisch so-
      verwischt oder sogar unkenntlich wird. Ein     den können, hat sie den Kontakt zwischen         wie die kognitiven Fähigkeiten der Lernen-
      Ziel der BiSS-Verbundarbeit von Schule und     mir und Petra Heinrichs hergestellt und          den erheben können. Im Vordergrund stan-
      Universität bestand daher darin, aus der       nach einem gemeinsamen Gespräch war              den dabei die Effekte des Konzeptes, die
      Fülle an DemeK-Handlungsroutinen jene          für mich schnell klar, dass ich gerne an dem     wir jährlich im Rahmen einer gemeinsamen
      herauszufiltern, die sprachtheoretisch und     Projekt teilnehmen werde. Ich finde an die-      Klausurtagung mit allen Beteiligten bespro-
      schulpraktisch sinnvoll erscheinen. Außer-     sem Verbund insbesondere die Verschrän-          chen haben. Im Sinne einer formativen Eva-
      dem wollte ich meine Verbundpartnerinnen       kung interessant, bei der didaktische Kon-       luation wurde es so möglich, das Konzept
      davon überzeugen, nicht nur Gedichte,          zepte sowohl entwickelt als auch erprobt         laufend anzupassen.

     zmi-Magazin | 2019
Aus Wissenschaft und Forschung 13

Zepter: Wir haben uns auf bestimmte              unserer Untersuchungen, die wir durch die        Zepter: Wir haben bisher insgesamt vier
sprachliche Handlungen fokussiert und di-        Kooperation mit der Praxis erreichen konn-       Themenhefte entwickelt, die dann direkt zur
daktische Konzepte entwickelt, um Opera-         ten, hat demnach eine hohe Bedeutung.            Erprobung ins Feld gegangen sind. Das ers-
toren wie Beschreiben, Erzählen oder Ar-                                                          te Themenheft fokussierte auf die Sprach-
gumentieren zu fördern. In diesem Rahmen         Zepter: Die Bedeutung ist zweierlei. In der      handlung Beschreiben. Darauf aufbauend
sind entsprechende Themenhefte entstan-          Wissenschaft geht es sowohl um Theorie-          sind Themenhefte zu „Begründen und Ar-
den, in denen für die Sprachförderung ins-       bildung als auch um empirische Forschung         gumentieren“ sowie „Erzählen“ entstan-
besondere DemeK-Methoden genutzt wer-            und beides ist notwendig miteinander ver-        den. Ein weiteres Themenheft zum „Darstel-
den. Aus wissenschaftlicher Perspektive war      zahnt. Die Praxis ist letztlich auch ein Feld,   len und Präsentieren“ wird bald erscheinen.
für mich hierbei interessant, zu der theore-     um theoretische Konzepte in Erfahrung ba-        Es gab dabei immer eine Phase der Erpro-
tischen Fundierung der Konzepte beizutra-        sieren zu können. Man könnte sagen: „Pra-        bung und der Überarbeitung. Ein Gelingen
gen. Dies im Rahmen einer Zusammenar-            xis ist die Schwester der Empirie“. In diesem    dieser Kooperation sehe ich darin, dass sich
beit, in dem ich Wissen über den wissen-         Sinne sind die Erfahrungen, die in der Pra-      diese Themenhefte in der Praxis bewähren
schaftlichen Fachdiskurs und empirische          xis gemacht werden, aus meiner Perspektive       und wir Rückmeldungen erhalten, dass mit
Forschungsdaten beisteuere und von der           hochrelevant für die Entwicklung von Theo-       ihnen gearbeitet werden und interessante
anderen Seite Praxiserfahrungen zum Ein-         rie und von Forschungsfragen, die wieder-        Entwicklungsprozesse angebahnt werden
satz der DemeK-Methoden eingebracht              um die empirische Forschung leiten können.       können.
werden. Eine solche Verschränkung der Per-       Hierbei interessiert mich einerseits die Wirk-
spektiven ist sehr produktiv für die konzep-     samkeit der Methoden, aber auch aus einer        Vielen Dank für das Gespräch. 
tionelle Arbeit.                                 eher qualitativen Forschungsperspektive,
                                                 wie sich bestimmte sprachliche Lernprozesse
Welche Bedeutung hat die Koopera-                gestalten. Der Gewinn des Austausches ist
tion mit der Praxis für die Wissen-              also beiderseitig: Die wissenschaftliche For-
schaft?                                          schung, die sich mit Formen des Lehrens und
Weinrich: Für meine Vorstellung von Leh-         Lernens beschäftigt, braucht diesen Aus-
rerInnenbildung ist die enge Kopplung von        tausch mit der Praxis und umgekehrt sind
Forschung, Lehre und Schulpraxis unver-          für die Praxis Impulse aus der Wissenschaft
zichtbar. Die PISA-Krise hat gezeigt: Unsere     und neueste Erkenntnisse, welche Metho-             info
Lehramtsabsolventinnen und -absolventen          den sich empirisch bewährt haben, hilfreich.
waren auch deshalb so unzureichend auf                                                              Kontakt
ihre zukünftigen Sprachbildungsaufgaben          Können Sie ein exemplarisches Bei-
vorbereitet, weil die Uni die „Pädagogische      spiel für gelingenden Transfer zwi-                Dr. Lotte Weinrich

Hochschule“ hinter sich lassen wollte und        schen Theorie und Praxis nennen?                   Universität zu Köln
                                                                                                    Institut für deutsche
daher gar nicht mehr wusste, was in Schule       Weinrich: Ja, ein gutes Beispiel ist das Kon-      Sprache und Literatur II
los war. 			                                     zept der Literaturwoche, das wir in unse-          Classen-Kappelmannstr. 24

                                                 rem BiSS-Verbund entwickelt haben. Aus             50931 Köln
                                                                                                    Lotte.Weinrich@uni-koeln.de
Gantefort: Im vorliegenden Fall hat es sich      einer Idee haben die Lehrerinnen und Leh-
weniger um eine „Einbahnstraße“ im Sin-          rer mit ihrem ganzen Professionswissen zu
ne eines ausschließlichen Transfers von der      den ausgewählten Bilderbüchern DemeK-              Dr. Christoph Gantefort

Wissenschaft in die Praxis gehandelt. Viel-      Sprachbildungsangebote entwickelt, die je-         Universität zu Köln
                                                                                                    Mercator-Institut für Sprachförderung und
mehr konnten aus meiner Sicht alle Betei-        de der Erprobungsschulen bisher in positive        Deutsch als Zweitsprache
ligten voneinander profitieren. Gemeinsame       Schwingungen versetzen konnte.                     Innere Kanalstraße 15

Hospitationen im Unterricht und die Ver-                                                            50823 Köln

bundtreffen haben z. B. die Möglichkeiten        Gantefort: Ja, vielleicht stellt die in Kürze      Christoph.Gantefort@mercator.uni-koeln.de

und Grenzen der Implementierung des Kon-         über das BiSS-Programm erscheinende Bro-
zeptes immer wieder deutlich gemacht. Un-        schüre zur Implementierung des mehrspra-           Prof. Dr. Alexandra L. Zepter

terrichtspraxis entspricht ja oft gerade nicht   chigen reziproken Lesens ein gelungenes            Universität zu Köln
                                                                                                    Philosophische Fakultät
den Laborbedingungen, die aus wissen-            Beispiel dar. Unter der Autor*innenschaft
                                                                                                    Institut für Deutsche Sprache und Literatur II
schaftlicher Perspektive zwar wünschens-         aller Beteiligten erhalten Praktiker*innen         Classen-Kappelmann-Str. 24
wert sind, um eindeutige Resultate zu er-        Impulse dazu, wie Leseverstehen auf der            50931 Köln

zielen, die aber in der Realität selten an-      Basis der Gesamtsprachigkeit gefördert             Email: azepter@uni-koeln.de

zutreffen sind. Die „ökologische Validität“      werden kann.

                                                                                                                                    zmi-Magazin | 2019
14   Aus Wissenschaft und Forschung

                ehrs p rachiges rezip rokes Lesen
              M
              von Dr. Christoph Gantefort

     Leseverstehen auf der Basis des gesamten sprachlichen Repertoires von mehrsprachig aufwachsenden Grund-
     schülerinnen und Grundschülern entwickeln – mit dieser Zielsetzung haben wir im Jahr 2014 mit dem Start des
     Programms „Bildung durch Sprache und Schrift“ (BiSS) unsere Arbeit in einem Verbund aus vier Grundschulen
     aufgenommen. Der Verbund wurde von Seiten der Bezirksregierung Köln koordiniert. Das Mercator-Institut für
     Sprachförderung und Deutsch als Zweitsprache hat dabei als externer Kooperationspartner für die wissenschaft-
     liche Begleitung fungiert.

     Unsere Arbeit wurde stark durch die Werke von Ofelia García     Wir sind von theoretischen Überlegungen ausgegangen, wo-
     beeinflusst. Sie hat maßgeblich dazu beigetragen, den Begriff   nach Strategien, die das verstehende Lesen unterstützen, sich
     Translanguaging zu prägen (vgl. García 2009; Otheguy, Gar-      als unabhängig von Fähigkeiten in Wortschatz oder Gramma-
     cía & Reid 2015). Im Kontext des Translanguaging-Ansatzes       tik erweisen (vgl. Gantefort & Sanchez-Oroquieta 2015). Die
     wird die Auffassung vertreten, dass die natürliche Art und      leitende Idee: Je mehr Schülerinnen und Schüler im Austausch
     Weise der Kommunikation mehrsprachiger Menschen mehr-           zu deutsch- oder türkischsprachigen Texten beide Sprachen
     sprachig ist. Der Wahl sprachlicher Mittel liegt demnach kein   integriert verwenden, desto effektiver ist die Aneignung soge-
     „entweder oder“ (etwa Deutsch oder Türkisch) sondern ein        nannter hierarchiehoher Kompetenzen im Leseverstehen. Auf
     „und“ im Sinne einer situationsadäquaten Mischung der Spra-     der Basis dieses Grundgedankens wurde das schon seit länge-
     chen zu Grunde.                                                 rem etablierte Konzept des reziproken Lesens (vgl. Palinczar &
     Diese Art der Verständigung, so Garcia, wird jedoch in Bil-     Brown 1984) weiterentwickelt, welches im Rahmen der BiSS-
     dungskontexten durch oftmals willkürliche einsprachige Nor-     Expertise (vgl. Schneider et al. 2012) empfohlen, aber bislang
     men sanktioniert. Dadurch entsteht eine Benachteiligung mehr-   vor allem einsprachig realisiert wurde.
     sprachig aufwachsender Schülerinnen und Schüler. Während
     einsprachig Deutsch aufgewachsene Kinder ihr gesamtes           Das Konzept
     sprachliches Repertoire für das Lernen in der Schule nutzen
     können, können mehrsprachige Kinder und Jugendliche nur         Im reziproken Lesen erarbeiten sich Schülerinnen und Schüler
     einen Ausschnitt ihres Repertoires einbringen. Translangua-     gemeinsam abschnittsweise einen Text und tauschen sich auf
     ging meint also nicht nur die wissenschaftliche Beschreibung    gelenkte und ritualisierte Weise dazu aus. Sie übernehmen
     komplexer mehrsprachiger Sprachverwendungsweisen, son-          dabei bestimmte Rollen. Die Interaktion der Lernenden unter-
     dern auch deren didaktische Nutzung in Schule und Unterricht    stützt dabei eine effektive Aneignung von Leseverstehen (vgl.
     (vgl. García & Wei 2014).                                       Rosenshine & Meister 1994). Dieses Verfahren wurde von
     In den vier an dem Programm beteiligten Schulen bot sich uns    uns modifiziert: Die Kinder werden ermuntert, im Austausch
     ein hervorragendes Setting, ein auf dem Translanguaging-        zum Text neben Deutsch auch alle weiteren ihnen verfügba-
     Ansatz beruhendes Konzept zur Förderung des Leseverste-         ren Sprachen zu nutzen. Konkret klären sie schwierige Wörter
     hens zu entwickeln und zu erproben. In diesen Schulen war       und Textstellen, stellen Fragen an den Text und beantwor-
     es bereits gelebte Praxis, die Mehrsprachigkeit der Lernenden   ten diese. Sie fassen den Textabschnitt zusammen und stellen
     zu fördern und einzubinden: Zunächst durch eine Alphabeti-      Überlegungen dazu an, wie der Text weitergehen könnte. Die
     sierung in Deutsch und Türkisch und im Verlauf der Grund-       Lernenden arbeiten in Gruppen zusammen, innerhalb derer
     schulzeit durch koordiniertes Lernen in beiden Sprachen (vgl.   sie neben dem Deutschen mindestens eine weitere Sprache
     Bezirksregierung Köln 2014).                                    teilen. In dieser Konstellation ist es sinnvoll bzw. pragmatisch

     zmi-Magazin | 2019
Aus Wissenschaft und Forschung 15

angemessen, die Sprachen zu mischen und sich nicht auf die        deutlich zeigen sich diese Effekte, wenn das mehrsprachige re-
sprachlichen Mittel des Deutschen oder Türkischen zu be-          ziproke Lesen in Lerngruppen durchgeführt wurde, deren Lehr-
schränken.                                                        kräfte nicht direkt in die Verbundarbeit eingebunden waren.
Im Anschluss an diese Interaktionen auf Gruppenebene bear-        Aus der bisherigen Forschung ist bekannt, dass sich vorschuli-
beiten die Lernenden Aufgaben, die die Wahl standard- und         sche Aktivitäten in der Familie, die sich auf die Schriftsprache
bildungssprachlicher Mittel in Deutsch oder Türkisch erfordern.   beziehen, positiv auf die Entwicklung der Lesekompetenz im
Wenn die Kinder etwa die Ergebnisse der Lesearbeit im Ple-        Schulalter auswirken (vgl. z. B. Scarborough & Dobrich 1994).
num präsentieren oder einen schriftlichen Text verfassen, er-     Praktiken wie das gemeinsame Betrachten von Bilderbüchern
höht sich die kommunikative Reichweite des sprachlichen Han-      oder das Vorlesen von Geschichten werden unter dem Begriff
delns und der Grad der Kontexteinbettung sinkt (vgl. Cummins      „familiäre Lernumwelt“ zusammengefasst (vgl. Sénéchal &
2000). Es müssen also sprachliche Mittel gewählt werden,          LeFevre 2002). Im Rahmen der Begleitforschung haben wir
die von den Adressatinnen und Adressaten des sprachlichen         uns der Frage gewidmet, inwiefern sich eine mehrsprachige
Handelns geteilt werden und ein Verstehen auch in kontextre-      familiäre Lernumwelt auf die Entwicklung des Leseverstehens
duziertem Zusammenhang ermöglichen. Dies sind dann eher           auswirkt - zum Beispiel, wenn die Geschichten nicht nur in
standardsprachliche Mittel des Deutschen. Aber auch für die       Deutsch, sondern auch in anderen Sprachen vorgelesen oder
bildungssprachliche Verwendung des Türkischen lassen sich         wenn die Sprachen im Gespräch mit dem Kind gemischt wer-
durch die Einbindung des Herkunftssprachlichen Unterrichts        den.
authentische Situationen schaffen. Mehrsprachiges reziprokes      Zu diesem Zweck füllten die Eltern einen Fragebogen aus, in
Lesen vereint demnach zwei Prinzipien: Lernen auf Basis der       dem sie neben der Häufigkeit solcher Aktivitäten auch anga-
Gesamtsprachigkeit und die Förderung bildungssprachlicher         ben, welche ihrer Sprachen zu welchem Anteil genutzt wurden.
sowie metasprachlicher Fähigkeiten.                               Wir sind auf der Grundlage theoretischer Überlegungen davon
Eine in Kürze erscheinende Broschüre des BiSS-Programms lei-      ausgegangen, dass auch Aktivitäten in anderen Sprachen sich
tet die Lehrkräfte darin an, das mehrsprachige reziproke Lesen    positiv auf das Leseverstehen im Deutschen auswirken. Die Er-
ein- und durchzuführen. Sie wird ergänzt werden durch spezi-      gebnisse zeigen tatsächlich, dass die Effekte der Nutzung von
fische Sprachhilfen in der BiSS-Tooldatenbank.                    Deutsch und anderen Sprachen in etwa gleich stark ausfallen
                                                                  und auch bis zum dritten Schuljahr bestehen bleiben. Durch
Forschungsergebnisse
                                                                  diese (vergleichsweise kleine) Studie wird deutlich, dass litera-
                                                                  litätsnahe Aktivitäten in der Familie auch dann einen positiven
In der wissenschaftlichen Begleitung des Projektes wurden die     Einfluss auf das Leseverstehen im Deutschen haben, wenn sie
Lesefähigkeiten der Lernenden in Deutsch und Türkisch im Ver-     in anderen Sprachen durchgeführt werden.
lauf der gesamten Grundschulzeit erhoben. Ergänzend erfasst
wurden die kognitiven Grundfähigkeiten der Kinder sowie ihre      Fazit
familiäre Lernumwelt im Vorschulalter. Durch den Vergleich mit
einer Kontrollgruppe sollten die Effekte des mehrsprachigen       Mehrsprachige Bildung hat Potenzial, sowohl in der Familie
reziproken Lesens auf die Entwicklung des Leseverstehens er-      als auch in der Schule. So kann man die bislang vorliegenden
forscht werden. Zudem war von Interesse, wie sich Leseverste-     Ergebnisse der wissenschaftlichen Begleitung des mehrspra-
hen im Deutschen und Türkischen während der Grundschulzeit        chigen reziproken Lesen zusammenfassen. Es zeigt sich da-
gegenseitig beeinflussen und welche Wirkung eine mehrspra-        mit, dass Praktiken der Sprachmischung („Translanguaging“)
chige familiäre Lernumwelt auf die Entwicklung des Lesever-       sowohl im Rahmen der schulischen Bildung als auch in der
stehens im Deutschen hat.                                         Familie zur Entwicklung konventioneller schriftsprachlicher Fä-
Der Vergleich mit der Kontrollgruppe zeigt durchaus positive      higkeiten beitragen können. 
Effekte: In den Lerngruppen, deren Lehrkräfte direkt in die
Verbundarbeit eingebunden waren, ergeben sich deutlichere
Zuwächse des Leseverstehens im Deutschen als in der Kontroll-     Literatur
gruppe. Insbesondere im dritten Schuljahr fallen diese Effekte    Bezirksregierung Köln (2014). Koordinierte Alphabetisierung im Anfangsunter-
                                                                  richt. Das KOALA-Konzept an Kölner Schulen (vorläufiges Exemplar). Unveröffent-
recht markant und statistisch signifikant aus. Das belegt, dass   lichtes Manuskript.
eine mehrsprachige Interaktion der Lernenden sich positiv auf     Cummins, J. (2000). Language, power, and pedagogy: Bilingual children in the
das Leseverstehen auswirken kann (vgl. dazu auch Schüler-         crossfire. Bilingual education and bilingualism. Clevedon: Multilingual Matters.

Meyer et al. 2019 als eine interessante Studie zur mehrspra-      Gantefort, C. & Sánchez Oroquieta, M. J. (2015). Translanguaging-Strategien
                                                                  im Sachunterricht der Primarstufe: Förderung des Leseverstehens auf Basis der
chigen Förderung mathematischer Kompetenzen). Weniger             Gesamtsprachigkeit. Transfer Forschung ↔ Schule, 1 (1), 24–37.

                                                                                                                                zmi-Magazin | 2019
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