MENSCHEN MACHEN MEDIEN - Brennglas Corona Im Ringen um Reichweite - Bildkritik Griff in die Klischeekiste
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mmm.verdi.de E 2814 Jahrgang 69 MENSCHEN MACHEN Bildkritik MEDIEN Griff in die Klischeekiste Hinter dem Vorhang Medienpolitisches ver.di-Magazin Sept. 2020 Nr. 3 Vertrauensstelle Themis Brennglas Corona Im Ringen um Reichweite
INHALT IM FOKUS: BRENNGLAS CORONA BERUF 12 INTERNIERT IN EINEM 18 ES WIRD WIEDER 24 WEG VON DER VERLAGSGEBÄUDE GEDREHT „BLACK BOX“ Der Hamburger Bauer Ausfallfonds für Kinofilme Für bessere Transparenz- Foto: Petra Dreßler Konzern verspricht die und für TV-Produktionen kultur der Gremien im Aufarbeitung seiner schnellstens einrichten öffentlich-rechtlichen Nazi-Vergangenheit Rundfunk 20 NOCH ZAPPENDUSTER 13 IM NORD-WESTEN Erste Lichtblicke für die 26 HINTER DEM VORHANG 6 IM RINGEN NICHTS NEUES Kinos nach schrittweisen Seit fast zwei Jahren UM REICHWEITE Kürzungen und Ent Wiedereröffnungen arbeitet die Vertrauens- Von Günter Herkel lassungen bei Umstruk stelle Themis in Berlin turierung in Oldenburg 21 KAMPF UMS COLOSSEUM 10 TRANSAKTION GEHT WEITER 27 SCHON ENTDECKT? OHNE VIEL FEDERLESEN BERMUDAFUNK Bauer Media Group Hamburg zieht sich aus MEINUNG VER.DI UNTERWEGS Foto: Michael Bahlo vielen Ländern zurück 4 BILDKRITIK Tiefer Griff 27 ZEITUNGEN UND JEDEN MONAT in Klischeekiste ZEITSCHRIFTEN EIN NEUER PODCAST 14 RADIO POTSDAM Tarifverträge AUF M ONLINE UNHEIMLICH GEFRAGT 5 FREILASSUNG STATT abgeschlossen Trotz Umsatzeinbußen AUSLIEFERUNG mehr gearbeitet als je 27 HAUS DER zuvor SELBSTSTÄNDIGEN INTERNATIONAL Vernetzungsangebot in 16 ARD UND ZDF VOR DER Leipzig GLASKUGEL Auswirkungen der Corona- 22 VERHAFTET UND 28 EIN JUWEL IN VER.DI Krise auf die Öffentlich- VERPRÜGELT Die MedienGalerie ist Rechtlichen noch unklar Journalisten bei Protesten seit 25 Jahren ein Ort für in Weißrussland festge- politische Kunst nommen, viele Akkreditie- AKTUELL: rungen entzogen 30 ENGAGIERTER ZEITUNG, PODCAST, TV: TITELBILD SEITE 1. FOTOS: GEWERKSCHAFTER UND GERLINDE HINTERLEITNER Programmchef Tobi Brauhart 23 AKTION FÜR PHILOSOPH VON „DER STANDARD“ ÜBER von Radio Potsdam (oben l.); SHAFIQUL ISLAM KAJOL, DAS EIGENE GESCHÄFTS Journalist*innen mit Kultur- BANGLADESCH 31 WORTBRUCH BEI MODELL senator Klaus Lederer von Erst „verschwunden“, VERHANDLUNGEN Alle M-Podcast unter Christian Ditsch (oben r.) und jetzt in Haft Deutsche Welle https://mmm.verdi.de/podcast/ Medienvertreter*innen an der verweigert angemessene Baustelle des Corona-Behand- Tariferhöhungen lungszentrum auf dem Gelände der Messe Berlin von 31 IMPRESSUM Christian von Polentz 2 M 3.2020
XXXXXXXXXXXXXXX Karikatur: Klaus Stuttmann XXXXXXXXXXXXXXX Dramatische Gemengelage n v. Polentz Die Medienbranche durchlebt in Corona-Zeiten einmal mehr die Synthese zwischen gesellschaft licher Rolle und eigener Wirtschaftlichkeit. Klar erkennbar ist die Relevanz zuverlässiger Nachrich- tenvermittlung. Die Qualität der Berichterstattung – vor allem des Fernsehens linear und online, Foto: Christia aber auch der Zeitungen samt ihrer Onlineangebote – wird geschätzt. Gleich anderen Branchen wirkt Corona mit seinen Sicherheitsregelungen jedoch auch in diesem Sektor wie ein Brennglas und lässt vorhandene Probleme und Tendenzen deutlicher zutage treten. Entwicklungen beschleu- nigen sich oder werden im Fahrwasser der Pandemie bewusst vorangetrieben. Mit Blick auf die Digi- talisierung der Unternehmen weitgehend ein Positivum. Die fortschreitende Konzentration von Zeitungen und Zeitschriften zu Lasten der Vielfalt und der Abbau redaktioneller Kompetenz ist dagegen – trotz erheblicher Anzeigenverluste während der Pandemie – kri- tisch zu sehen. Die Lage der Selbstständigen, deren Arbeit maßgeblich ist für die Medien-, Film- und Kul- turproduktion, gerät zwar mehr in den Fokus. Ausreichend – und offenbar wenig nachhaltig – ist das bei Betrachtung aufgelegter staatlicher Hilfsprogramme nicht. Über diese teils dramatische Gemengelage be- richtet M im Schwerpunkt dieser Ausgabe 3/2020 und wagt einen fragenden Blick in die Zukunft, etwa nach der Finanzierung des Journalismus. Noch mehr zum Thema finden interessierte Leser*innen unter dem Stichwort „Corona“ in M Online. Die Wahrnehmung journalistischer Produkte wird nicht zuletzt durch deren Bild-Gestaltung bestimmt. Schnelle Schnappschüsse und Bildmontagen überfluten das Netz. Symbolfotos ersetzen – auch in Zeitun- gen – oft die direkt vor Ort aktuell aufgenommene Fotografie. Wie in einem solchen Fall „bildethische Fragestellungen virulent werden“, wird in der dritten Folge der „Bildkritik“ (S. 4) erläutert. Jubiläen fallen im Corona-Jahr leider weniger feierlich aus, aber es gibt sie. Die MedienGalerie von ver.di bereichert seit 25 Jahren die politische Kulturszene der Hauptstadt, ist zudem ein Ort der Begegnung von Gewerkschaftsmitgliedern (S. 28/29). Shutdown-bedingt musste sie einige Monate schließen. Anstatt im Mai wurde die Jubiläumsausstellung „Zeichen-Setzen – BildSprache für eine bessere Welt“ nun am 3. Sep- tember eröffnet und kann noch bis zum 23. Oktober angesehen werden. Karin Wenk, verantwortliche Redakteurin 3.2020 M 3
MEINUNG Bildkritik Bildkritik ist die neue Kolumne von Menschen Machen Medien. Der Journalist und Kommunikations- wissenschaftler Felix Koltermann diskutiert dort in regelmäßigen Ab- ständen den Umgang publizistischer Foto: Felix Koltermann Medien mit fotografischen Bildern. Tiefer Griff in Klischeekiste D ie Funktion von Nachrichtenbildern kel liefert diesbezüglich keine Informationen, da er ist, ein konkretes Geschehen im Bild vor allem die politische Debatte um das Thema und festzuhalten und darüber Informati- dessen gerichtliche Aufarbeitung nachzeichnet sowie onen zu vermitteln. Wie vor allem verschiedene Politiker*innen zu Wort kommen lässt. durch eine symbolhafte Verwendung dieser Bilder bildethische Fragestellungen virulent Wie so oft hilft also nur die Rückwärtssuche des Ori- werden, zeigt ein Bespiel aus der Frankfurter Rundschau. ginalbildes in der Datenbank der Agentur Agence France Presse (AFP) weiter, die das Bild des Fotografen In der gedruckten Wochenendausgabe vom 18./19. Odd Andersen vertreibt. Dabei tritt zu Tage, dass das Juli veröffentlichte die Frankfurter Rundschau (FR) Bild mehr als dreieinhalb Jahre alt ist und wir es so- einen Artikel von Pitt von Bebenburg über verringerte mit mit einem – von der FR nicht als solchem gekenn- Problematisch Sozialleistungen für Asylbewerber*innen, die in einer zeichnetem – Archivbild zu tun haben. Es entstand Sammelunterkunft leben. Der „Weniger Geld für Asyl- am 15. Oktober 2015 und zeigt – laut Bildunterschrift an der Bildverwen- suchende“ betitelte Text lief über vier Spalten und von AFP – eine Gruppe von neu angekommenen Asyl- dung ist, dass alle nahm in der im Tabloid-Format erscheinenden Zei- suchenden, die beim Berliner Landesamt für Gesund- Personen klar er- tung fast die gesamte unter Seitenhälfte ein. Visua heit und Soziales (Lageso) auf die Möglichkeit der Pre- lisiert wurde das Thema über eine dreispaltig platzierte Registrierung warten. Weitere Bilder derselben Situa- kennbar sind, aber Fotografie, die eine Gruppe von Menschen hinter tion von Andersen verdeutlichen, dass die Aufnahme der konkrete Kon- mehreren Bahnen Absperrband zeigt, auf denen in einem Zelt auf dem Gelände des Lageso entstanden text der Aufnahme „FEUERWEHR – SPERRZONE“ zu lesen ist. Anstatt ist, was die dunkle Lichtsituation erklärt. Für die etwa ein Bild aus einer Sammelunterkunft zu wählen, Publikation wurde das Bild leicht beschnitten. aus dem Jahr 2015 hat die FR mit dieser Form der abstrakten Visualisierung völlig ignoriert wird. von Asylsuchenden tief in die Klischeekiste gegriffen. Problematisch an der Bildverwendung ist, dass alle Personen klar erkennbar sind, aber der konkrete Kon- Als Kontextualisierung des Bildes dienen die Bildun- text der Aufnahme aus dem Jahr 2015 völlig ignoriert terschrift „Geflüchtete, die zusammen wohnen müs- wird. Egal wo, wie und mit welchen Status die Darge- sen, sollen auch zusammen wirtschaften“ sowie die stellten heute leben, sie stehen exemplarisch für die Quellenangabe „Andersen/AFP“. Anstatt Hinweise auf Gruppe der Asylbewerber*innen. Kritisch zu sehen ist den Bildinhalt und das dort gezeigte Geschehen zu darüber hinaus die Symbolik des Absperrbandes, das liefern, greift die BU also das Kernthema des Textes Gefahr und die Notwendigkeit der Abgrenzung sug- auf. Am Dargestellten selbst ist unschwer zu erken- geriert. Alles in allem hat die FR sich hier für eine Be- nen, dass das Bild – anders als es die BU andeutet – bilderung entschieden, mit der Asylsuchende als un- keine gemeinsame Wohnsituation zeigt. Stattdessen identifizierbare Masse gezeigt werden, die in Schach sehen wir eine Gruppe vornehmlich männlicher Per- gehalten werden muss. Besser lassen sich Stereotype sonen in einem Bildausschnitt, der keinen Rück- gegenüber Asylsuchenden und Migrant*innen kaum schluss auf die Raumsituation zulässt. Auch der Arti- fördern. Felix Koltermann ‹‹ 4 M 3.2020
MEINUNG Freilassung statt Auslieferung V or einem Londoner Gericht kämpft Pressefreiheit“, wenn die britische Justiz dem Auslie- Julian Assange derzeit gegen seine ferungsersuchen nachgebe. Auslieferung an die USA. An seiner Sei- te weiß er Hunderttausende Unter- Eine „Auslieferung (...) an die USA, weil er während stützer*innen weltweit, die im Namen seines Aufenthalts in Europa journalistisch tätig war,“ der Pressefreiheit die Freilassung des Wikileaks-Grün- würde den Weg frei machen für „die Extra-Territoria- ders fordern. Die USA sehen in Assange einen Spion, liserung von Gesetzen zur Wahrung staatlicher Ge- der bis an sein Lebensende hinter Gitter gehört – ein heimhaltung“ und eine „Einladung an andere Staaten Widerspruch zu den Hauptgrundsätzen der amerika- darstellen, diesem Beispiel nachzueifern“, argumen- nischen Gesellschaft. tiert eine Gruppe von 152 Rechtsexperten sowie 15 Anwaltsverbänden aus der ganzen Welt in einem Of- Ebenso wie im deutschen Grundgesetz nimmt die fenen Brief (lawyersforassange.org/) an die britische S Pressefreiheit in der amerikanischen Verfassung einen Regierung vom 14. August 2020. Bislang respektiere prominenten Platz ein. Als grundlegendes Menschen- man in einem Rechtsstaat den Unterschied zwischen recht wurde sie bereits 1791 im ersten Verfassungszu- einem Spion und einem Verleger, mit diesem Fall päter Sieg satz fixiert. Getreu dem Grundsatz, dass die Macht des werde diese Grenze aufgelöst. Diese gefährliche Grenz- Wissens in den Händen des Volkes liegen sollte, wird überschreitung könne „zu irreparablen Schäden an ei- dem Kongress untersagt, Gesetze zu erlassen, die Mei- nem unserer höchsten Güter, der Pressefreiheit“ und Ein Gericht in den USA hat nungs- oder Pressefreiheit einschränken. Das bedeu- damit der Demokratie führen, warnen die Juristen. am 2. September 2020 tet: Jeder darf, ungeachtet der sozialen Herkunft, der entschieden, dass die politischen Einstellung oder des religiösen Glaubens, Christian Mihr von „Reporter ohne Grenzen“, der zur US-Vorratsdatenspeicherung veröffentlichen, was immer er will. Anhörung am 7. September in London war, spricht des Geheimdiensts NSA von einem „gefährlichen Präzedenzfall“ für die Pres- illegal und möglicherweise Nichts anderes hat Assange getan. Der 49-jährige sefreiheit, sollte Assange ausgeliefert werden. An die verfassungswidrig war. gebürtige Australier hat über die Plattform Wikileaks britische Regierung wurde eine Online-Petition der Das Überwachungsprogramm, geheimes Material von US-Militäreinsätzen im Irak Organisation mit rund 80.000 Unterschriften überge- bei dem die NSA die Verbin- und in Afghanistan veröffentlicht und damit zur Auf- ben, die seine Freilassung nach fast zehn Jahren Straf- dungsdaten aller Telefon deckung von Kriegsverbrechen durch amerikanische verfolgung fordern. gespräche von Millionen Soldaten beigetragen. Er erfüllt damit die Kernaufgabe Amerikaner*innen sammelte, von Journalistinnen und Journalisten, Vertreter*in- Zugleich gab es in London Kritik an Einschränkungen wurde 2013 durch den nen von Staat und Wirtschaft auf die Finger zu der Prozessöffentlichkeit. So wurde etlichen Beobach- Whistleblower Edward Snow- schauen und Fehlverhalten ans Licht zu bringen. Des- tern – darunter Parlamentariern und Vertretern von den enthüllt. Snowden sitzt halb gehe es in diesem Verfahren um die Frage, ob ein Nicht-Regierungsorganisationen – kurzfristig die Akkre- immer noch im russischen demokratischer Staat jemanden ausliefern und damit ditierung für die Online-Übertragung der Anhörung Exil fest, weil ihm in den USA der politischen Verfolgung preisgeben dürfe, betonte entzogen. Nur wenige durften direkt im Gerichtssaal Strafverfolgung droht. die Bundesvorsitzende der dju in ver.di, Tina Groll, dabei sein – „dank“ Corona. Mit einer Entscheidung und warnte vor einer „massiven Beschädigung der wird Ende des Jahres gerechnet. Karin Wenk ‹‹ Anzeige Weil sich Krisen nicht im Kalender ankündigen. Als Vorsorgespezialist für die Medienbranche kennen wir uns mit Krisenzeiten und den Besonderheiten der Branche aus. Jetzt mit der passgenauen Altersvorsorge der Presse-Versorgung schon heute für die Absicherung im Alter planen. Mehr unter: presse-versorgung.de
IM FOKUS Die Medienbranche ächzt unter den Folgen der Corona-Pandemie. Trotz wachsender Reichweiten und Klickzahlen im Netz geht vielen werbefinan- zierten Medien das Geld aus. Zugleich sind sie konfrontiert mit der digitalen Transformation des Mediengeschäfts. Der Staat legt Hilfsprogramme auf, aber über die Wirksamkeit bestehen Zweifel. Liegt die Lösung in der Förderung von gemeinnützigem Journalismus? Im Ringen um Reichweite Von Günter Herkel D as analoge Mediengeschäft stottert bedenklich. Die 642.000 Hefte verkraften, darunter etwa 372.000 Abos, meisten Verlage verlieren rasant an Auflage. Auf dem von denen wiederum mittlerweile fast 23 Prozent Anzeigenmarkt konkurrieren sie um Werbegelder mit Digitalabos Spiegel Plus sind. Härter noch erwischte es übermächtigen Internetkonzernen wie Google, Face- den Stern: knapp 378.000 Gesamtverkäufe bedeuten book & Co. Die IVW-Zahlen für das 2. Quartal dieses im Vergleich zum Vorjahr ein deftiges Minus von 18,6 Jahres spiegeln ein uneinheitliches Bild. Verlierer des Prozent. Jubeln kann dagegen Die Zeit, die inzwischen temporären Lockdowns sind vor allem jene Tages bereits 26 Prozent ihrer Abos in digitaler Form ver- zeitungen und Zeitschriften, die normalerweise treibt. Mit einem Gesamtabsatz von knapp 522.000 einen relevanten Teil ihrer Einzelverkäufe auf Flug Exemplaren erreicht die Hamburger Wochenzeitung häfen und Bahnhöfen erzielen. Corona-Gewinner gab das Allzeithoch seit ihrer Gründung. es nur wenige – es sind allenfalls Titel mit einem ho- hen Anteil an Digitalabos. Manche Verlage suchen ihr Heil in der partiellen Ko- operation mit der Konkurrenz. Zum Beispiel Springer Die Zeit drängt. Von der vorübergehenden Lahmlegung eines großen und Funke: Zwar verkaufte Springer 2013 die Tages- In den vergangenen Teils des Einzelhandels waren speziell die Boulevard- zeitungen Berliner Morgenpost und Hamburger Abend- blätter betroffen, allen voran Springers Bild. Inklusive blatt sowie diverse Zeitschriften an die Essener Verlags- 30 Jahren hat sich der Berliner Schwester B.Z. kommt die einstige Cash gruppe. Zugleich betrieb man aber im Rahmen des die Verkaufsauflage Cow des Verlags inzwischen nur noch auf gut 1,2 Mil- Joint Ventures Media Impact bis vor kurzem gemein- der Tageszeitungen lionen Exemplare – ein historischer Tiefstand. Glei- sam die Vermarktung von Anzeigen und Vertrieb. ches gilt für Die Welt, deren Auflage nach der Einstel- Ende August endete dieser Deal, jedoch kümmert sich in Deutschland von lung von Welt Kompakt und der Hamburger Regional- Media Impact weiterhin zumindest teilweise um die 27 auf jetzt noch ausgabe um dramatische 43 Prozent auf gerade mal crossmediale Vermarktung regionaler Tageszeitungen 13,5 Millionen 68.000 verkaufte Exemplare gesunken ist. und von Digitalportfolios der Funke-Gruppe. Exemplare halbiert. Ein Auflagenminus von mehr als zehn Prozent auf Freigabe durch Kartellwächter jetzt noch 120.000 verkaufte Exemplare verzeichnet das Handelsblatt. Kaum weniger Federn musste die Süd- Zum Beispiel FAZ und Süddeutsche Zeitung: Kürzlich deutsche Zeitung lassen: Sie verlor knapp neun Prozent hat das Bundeskartellamt die Gründung eines Gemein- und liegt jetzt bei rund 308.000 Exemplaren. Die FAZ schaftsunternehmens von FAZ und SZ zur Werbe wiederum landet gegenüber dem Vorjahr auf dem vermarktung überregionaler Print-Anzeigen fusions- Rekordtief von 183.000 Exemplaren. kontrollrechtlich unter Vorbehalt freigegeben. Die Chancen für eine Genehmigung stehen gut. Denn als Schlecht erging es auch den großen Magazinen. Der relevanter Werbemarkt gilt den Kartellwächtern nicht Spiegel muss einen Rückgang um 9,3 Prozent auf knapp nur der Teilmarkt der nationalen Tageszeitungen, auf 6 M 3.2020
keinen Piep, wenn Facebook für 19 Milliarden Dollar Whatsapp kauft und damit den Social-Media-Welt- markt ändert“, so Scherzer damals. Leistungsschutzrecht und Google Bewegung kam zuletzt in den langjährigen Streit um das Leistungsschutzrecht. So hatte Google Ende Juni angekündigt, von ausgewählten Verlagen Lizenzen für die Nutzung qualitativ hochwertiger Inhalte zu erwer- ben. Diese sollen für ein neues Nachrichtenformat ge- nutzt werden, das Google demnächst starten will. Bis- lang sind Verträge mit FAZ, Spiegel, Zeit, Rheinische Post und Tagesspiegel angekündigt. Damit endet offenbar die Blockade des US-Konzerns, der sich lange gewei- gert hat, Verlagen auch nur einen Cent für verlegeri- sche Leistungen zu bezahlen. Im Kern geht es um Tantiemen für kurze Anreißer- Texte, die Google Suchenden anzeigt. Wo verfügbar, so heißt es, werde Google auch für den kostenlosen Zugriff von Nutzern auf Paid Content auf den Web- sites einzelner Verlage zahlen. Wer also künftig über das projektierte Newsformat von Google einen Arti- kel ansteuert, der hinter der Paywall steht, kann die- sen auch ohne Abo lesen. Für die Verlage ein reizvol- ler Deal: Sie können auf diese Weise ihre Reichweite steigern und würden dennoch für die Inhalte bezahlt – von Google. Zwar gab das US-Unternehmen schon im Rahmen der „Google News Initiative“ Geld an Verlage, zweckge- bunden für Innovationsprojekte. Aber noch nie wur- den tägliche Inhalte von Zeitungen honoriert. Mit fast Foto: Petra Dreßler einer Dekade Verspätung kommt nun doch fast so etwas zustande, was von Politik und Verlagen seit 2010 unter dem Stichwort Leistungsschutzrecht gefordert wird. Unter dem Druck des Bundesverbandes Digital- publisher und Zeitungsverleger (BDZV) und der Ver- wertungsgesellschaft VG Media (Springer, Funke, Du- Mont, Madsack u.a.) hatte die Bundesregierung schon dem FAZ und SZ eine sehr 2013 ein entsprechendes Gesetz beschlossen. Es blieb dominante Position innehaben. Neuerdings bezieht folgenlos: Google weigerte sich, die Verlage für kurze Die Skulptur „La Lectora“, die Bonner Behörde auch Wochen- und Sonntagszei- Artikel-Anreißer zu bezahlen. Die Verlage ließen ihre von Marco Augusto Dueñas in tungen sowie Nachrichtenmagazine in ihre Betrach- Artikel – aus Furcht vor Reichweitenverlusten – trotz- Cordoba auf dem Boulevard tung ein – etwa Zeit und Spiegel, aber auch Welt am dem nicht auslisten. del Gran Capitán. Sonntag. Eine Reaktion auf die Kritik der Verlagsbran- che an der bislang praktizierten – im Internetzeitalter Die Ankündigung der neuen Kooperationen zwischen eher kleinteilig wirkenden – Marktsegment-Definition. Verlagen und Google kam nur wenige Wochen, nach- Noch anlässlich des Deals Funke-Springer vor sieben dem ein Rechtsstreit zwischen VG Media und Google Jahren hatte Stephan Scherzer, Hauptgeschäftsführer zugunsten des US-Konzerns ausgegangen war. Die des Verbands Deutscher Zeitschriftenverleger, mo- Klage der Verlage wegen Verletzung des Presseleis- niert, die Zusammenarbeit deutscher Verlage werde tungsschutzrechts wurde Anfang Juni zurückgezogen, peinlich genau überwacht, während sich die ungleich um Prozesskosten zu sparen, da sich eine Niederlage potentere digitale US-Konkurrenz unterhalb des Ra- vor Gericht abzeichnete. Gleichwohl hält die Verwer- dars der Kartellwächter ausbreite. „Das Kartellamt sagt tungsgesellschaft an ihrer Grundsatzkritik fest. Ziel 3.2020 M 7
IM FOKUS bleibe unverändert, „die schädigende Wirkung des Ge- allenfalls der berühmte Tropfen auf den heißen Stein. schäftsmodelles der Plattformbetreiber für die Presse- Von anderer Seite wurde kritisiert, eine Zustellförde- landschaft zu stoppen“, insistierte die VG Media. Von rung sei der ungeeignete Hilfsansatz, da sie technolo- den VG-Media-Gesellschaftern beteiligt sich nur die gisch überholte Strukturen konserviere. Margit Stumpp, Rheinische Post am neuen Lizenzprogramm von Google. medienpolitische Sprecherin der Grünen Bundestags- Die Funke Medien Gruppe hat die Verwertungsgesell- fraktion monierte, dadurch würden „falsche Anreize schaft zum 30. Juni dieses Jahres verlassen. gesetzt“, da gedruckte Zeitungen und Zeitschriften „zu- nehmend durch digitale Formate abgelöst“ würden. Und es bleibt spannend: Die neue EU-Richtlinie zum Urheberrecht im digitalen Binnenmarkt vom Frühjahr Die Kritik zeigte Wirkung. Anfang Juli zauberte der 2019 erwartet, dass in allen EU-Mitgliedsstaaten ein Haushaltsauschuss des Bundestags in nichtöffent Presseleistungsschutzrecht spätestens bis Sommer licher Sitzung einen Beschluss herbei, nachdem die 2021 beschlossen wird. Anders als in Frankreich ist die kriselnde Branche in den nächsten Jahren mit einem Umsetzung dieser Vorgabe in Deutschland noch nicht Finanzvolumen von 220 Millionen Euro gesponsert erfolgt. werden soll. Allerdings ist nun nicht mehr die Rede von „Vertriebsförderung“, jetzt geht es plötzlich um In- Vertriebs- oder Zustellförderung vestitionshilfe für die „digitale Transformation“. Da- bei fällt auf: Anders als die zunächst anvisierte Zustell- Während Lizenzeinnahmen von Google noch ausblei- förderung stehen die dafür freigegebenen Mittel nicht ben, wächst der Kostendruck auf die Verlage, vor al- unter Sperrvermerk. Zugleich ist völlig unklar, wie und lem im Vertrieb. Anfang Juni schockte der BDZV die wofür die Gelder eingesetzt werden sollen. Dass die Branche mit den Ergebnissen einer Studie der Unter- Entscheidung darüber beim eher industriefreundli- nehmensberatung Schickler. „Stark steigende Kosten chen Wirtschaftsministerium von Peter Altmaier liegt, für die Zustellung von Abonnementzeitungen bei zu- macht die Sache nicht besser. gleich sinkenden Stückzahlen gefährden den Zugang zur gedruckten Tageszeitung in Deutschland drama- Ohnehin ist jede staatliche Intervention im Medien- tisch“, so das zentrale Fazit der Studie. sektor eine heikle Angelegenheit. Selbst der Verleger- verband – für allgemeine steuerliche Erleichterungen Demzufolge konnten die Verlagshäuser 2014 noch alle durchaus empfänglich – warnt vor allzu direkten Ein- rund 11.000 deutsche Gemeinden zu betriebswirt- griffen. Kein geringerer als BDZV-Präsident und Sprin- schaftlich sinnvollen Konditionen mit Abonnements ger-Vorstandschef Mathias Döpfner warnte erst zu beliefern. Dies habe sich mittlerweile für rund 720 Ort- Jahresbeginn: „Lieber Insolvenzen bei Zeitungen als schaften geändert. Hochgerechnet wären 2025 bereits der Verlust ihrer Unabhängigkeit durch Subventio- 4.400 oder rund 40 Prozent aller deutschen Gemein- nen.“ Dabei hält er es durchaus für möglich, dass es den betroffen. Auch ein Switch aufs Digitale sei kurz- bald Landstriche ohne Papier-Regionalzeitung gebe. fristige keine Lösung. Insbesondere ältere Leserinnen Da viele Menschen nicht online lesen könnten oder und Leser seien nicht bereit oder in der Lage, von der wollten, könne man dies auch mit Digitalausgaben gedruckten auf die digitale Version umzusteigen, nicht schönreden: „Hier ist Gefahr im Verzug.“ Steu- klagte BDZV-Hauptgeschäftsführer Dietmar Wolff. Zu- ervorteile für die Zeitungszustellung als „haushalts- dem mangele es in Deutschland vielerorts an der not- nahe Dienstleistung“ lehnt er daher nicht grundsätz- wendigen Netzabdeckung. Zwar werde das Printpro- lich ab. dukt langfristig von der digitalen Tageszeitung substi- tuiert, heißt es in der Studie. Doch die Tageszeitungen Kerngeschäft Printprodukte in Deutschland benötigen noch Zeit, bis sie die Ver- luste aus dem Printgeschäft mit dem Digitalgeschäft Das Dilemma selbst digitalaffiner Verlage: Nach wie kompensieren könnten. Fünf Jahre, also etwa bis 2025, vor bilden die Printprodukte das Kerngeschäft der werde diese Übergangszeit dauern. Zur Überbrückung Branche. Noch immer erzielen die Verlage hier die dieser Durststrecke erwarten die Verlage staatliche Hil- höchsten Renditen. Noch. Was nicht darüber hinweg- fen. Einen Sündenbock hatten Schickler und der BDZV täuschen kann, dass tendenziell analog durch digital Bezahlschranken: auch ausgemacht: Niemand anders als der Bund habe verdrängt wird. Dieser Verdrängungsprozess geht ein- die Verlage mit der Einführung des auch für Zeitungs- her mit sinkenden Vermarktungserlösen, sowohl im zusteller*innen geltenden Mindestlohns in die Misere Vertrieb als auch in der Werbung. Denn überzeugende Nach wie vor gestürzt. Eine klar interessengebundene Auslegung: digitale Bezahlmodelle sind nach wie vor nicht in erscheint die Zah- Denn das lässt wohl den Umkehrschluss zu, dass das Sicht. Da grenzte es schon an purer Verzweiflung, als bisherige Geschäftsmodell zumindest teilweise auf der diverse Verlage – darunter Gruner+Jahr – inmitten der lungsbereitschaft Ausbeutung von Zustellern zu Hungerlöhnen basierte. Corona-Krise versuchten, höhere Reichweiten zu Wer- des Publikums für bezwecken mit Gratisangeboten zu koppeln. Auch digitalen Journalis- Ursprünglich wollte die Große Koalition die Medien- hier war es BDZV-Präsident Döpfner, der vor einer Ab- häuser mit einer Vertriebsförderung von 40 Millionen kehr von Bezahlschranken und kostenlosen E-Paper mus vergleichs- Euro entlasten. Viel zu wenig, maulten die Verleger, warnte. „Freibier für alle kommt immer gut an“, weise gering. ein solches Volumen sei angesichts des Problemdrucks meinte er, aber die Verlage sollten nicht in die Fehler 8 M 3.2020
BRENNGLAS CORONA der Internet-Frühphase zurückfallen. Es sei nicht nach- Deutschland von 27 auf jetzt noch 13,5 Millionen Ex- vollziehbar, „warum man in dieser Krise für Medika- emplare halbiert. Die Pressekonzentration nimmt wei- mente und Nahrung bezahlen muss, aber für Infor- ter zu: Die zehn größten Verlagsgruppen kontrollie- mationen nicht“. ren rund 60 Prozent der Tagespresse. Auch die Zahl der Ein-Zeitungs-Kreise steigt. Umso dringlicher er- Digitale Zeitungsabos Nach wie vor erscheint die Zahlungsbereitschaft des scheinen Maßnahmen zur Sicherung der lokalen und – oft kombiniert mit Print – Publikums für digitalen Journalismus vergleichsweise regionalen Medienvielfalt. Sonst drohen Monopolten- sind leicht über Apps anzu gering. Ausnahmen von dieser Regel bilden Inhalte, denzen, ein weiteres Schrumpfen regionaler Bericht- steuern. die für die User sowohl gesellschaftliche Relevanz als erstattung mitsamt negativen Folgeerscheinungen: Immer mehr Artikel von auch persönlichen oder generell praktischen Nutzwert Desinformation, Filterblasen und das Erstarken der po- Zeitungen und Zeitschriften besitzen, etwa bei Kauf- und Lebensentscheidungen litischen Ränder jenseits des demokratischen Spekt- können zudem nur nach oder bei Finanzinfos. Dies ist zumindest das Ergebnis rums. Überwindung einer Bezahl einer Studie über aktuelle digitale Geschäftsmodelle, schranke gelesen werden. die die beiden Medienforscher Christian-Mathias Schon vor Corona standen entsprechende medienpo- Wellbrock und Christopher Buschow im Auftrag der litische Strategien auf der Agenda der Staatskanzleien Landesanstalt für Medien (LfM) Nordrhein-Westfalen der Länder. Nur geschehen ist bislang wenig. Zwar ha- verfasst haben. Nutzer favorisieren demnach am ehes- ben zahlreiche Bundesländer im Rahmen ihrer Co- ten Plattform-Bezahlmodelle, bei denen sie Zugriff rona-Hilfspakete auch Förderprogramme für regionale auf ausgewählte Medienangebote haben, so Medien aufgelegt. Aber dabei handelt es sich um kurz- die Erkenntnis der Medienwissenschaftler fristige Nothilfe, die an den strukturellen Problemen in der Studie „Money for nothing and kaum etwas ändert. Ob der 220-Millionen-Euro-Topf content for free“. Eine Art Netflix der Bundesregierung positive Wirkungen auslösen oder Spotify für Journalismus. wird, erscheint ebenfalls zweifelhaft. Mit Maßnahmen Einige Beispiele für den Erfolg nach dem Gießkannenprinzip sind die Fehlentwick- solcher Plattformen existieren lungen in der Branche nicht aufzuhalten. bereits: Steady, ein Commu- nity-Förderer für Digitalpro- Gemeinnütziger Journalismus jekte wie Blogs, Online-Ma- gazine, Podcasts und You- Mehr Erfolg verspricht möglicherweise eine Förderung Tube-Kanäle. Oder Readly, der Medienvielfalt durch eine gezielte Unterstützung der digitale Zeitungs- und von nicht gewinnorientiertem Journalismus. Zwecks Zeitschriften-Kiosk. Oder Bündelung der verschiedenen Aktivitäten in diesem RiffReporter, die Plattform Bereich wurde im Herbst 2019 das Forum Gemeinnüt- für digitalen Wissenschafts- ziger Journalismus gegründet. Mittlerweile ist der lose journalismus. Verbund auf rund 30 Akteure angewachsen, darunter unter anderem Netzwerk Recherche, Correctiv, die Journalismus Rudolf Augstein Stiftung und auch die dju in ver.di. ist systemrelevant Das Ziel: die Stärkung von gemeinwohlorientiertem, nicht kommerziellem Journalismus in Deutschland, Eine Erkenntnis setzte sich wäh- als „Ergänzung zum privatwirtschaftlichen Journalis- rend der Krise zumindest durch: mus und dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk“. Dem Qualitätsjournalismus ist systemrele- gleichen Anliegen widmet sich ein Diskussionskreis vant. Die Corona-Specials von ARD und von Medienwissenschaftler*innen, Journalist*innen ZDF, die Erklärstücke vieler Printmedien, die und Politiker*innen am Institut für Journalistik an der Experten-Podcasts wie die mit dem Charité- TU Dortmund. Beim virtuellen „Treffen“ dieser Initia Virologen Christian Drosten – ohne diese Orien- tive Ende Mai wurde auch die mögliche Rolle von Stif- tierung gebende journalistische Arbeit wären viele tungen im Kontext von gemeinnützigem Journalis- Foto: 123rf/warrengoldswain und Menschen Verschwörungsideologen ausgeliefert, die mus diskutiert. Allan Swart, Retusche: Petra Dreßler mit Halbwahrheiten und abstrusen Theorien Verun- sicherung schüren. Auf diese neue Wertschätzung des Und in der Politik bewegt sich etwas: Anfang Juli Journalismus, so meint Journalistik-Professor Klaus brachte die Bundestagsfraktion der Grünen einen An- Meier von der Katholischen Uni Eichstätt, solle man trag ein, um Non-Profit-Journalismus in Deutschland auch nach der Krise zurückkommen, „wenn es darum als gemeinnützig anzuerkennen. Voraussetzung dafür geht, wie wir als Gesellschaft einen unabhängigen wäre eine Reform des Gemeinnützigkeitsrechts, die Journalismus auch finanziell langfristig ermöglichen ohnehin auf der Agenda der Bundesregierung steht. können oder gegen Angriffe von demokratiefeindli- Wie sollte eine solche Förderung erfolgen? Grüne-Me- chen Gruppierungen schützen“. dienpolitikerin Margit Stumpp hat da klare Kriterien: „Staatsfern, medienübergreifend, mittelfristig ange- Auch wenn ein Ende der Krise noch nicht in Sicht ist: legt und an Bedingungen geknüpft, die Medien und Die Zeit drängt. In den vergangenen 30 Jahren hat Journalismus sowohl zukunftsfähig machen als auch sich die Verkaufsauflage der Tageszeitungen in die Qualität sichern.“ ‹‹ 3.2020 M 9
IM FOKUS Transaktion ohne viel Federlesen Bauer Media Group Hamburg zieht sich aus vielen Ländern zurück D ie Bauer Media Group sieht sich trotz solidated Press“ mitsamt ihrer neuseeländischen Pandemie auf einem guten Weg. In Sparte übernommen. der Krise setzt man auf die Stärkung des Kerngeschäfts. Der Fokus liegt auf Durch die Schließung stehen laut einem Bericht der bunten Magazinen, Privatradios, FAZ 237 Beschäftigte – das ist geschätzt jeder Branchen Online-Vergleichsportalen und Online-Marketing. fünfte – auf der Straße. Zu den publizistischen Opfern Schwierige Auslandsmärkte wie Australien und Neu- gehört neben diversen Frauen-, Wohn- und Klatsch seeland werden ohne viel Federlesen aufgegeben. titeln auch das einzige wöchentliche Nachrichtenma- gazin, der seit 1939 erscheinende Listener. Selbst Neu- „Wir sind stolz darauf, die Hüter dieser ikonischen seelands Premierministerin Jacinda Ardern zeigte sich Marken in Australien gewesen zu sein.“ Der Dank, den geschockt über den fast über Nacht verkündeten Rück- Veit Dengler, Geschäftsführer der Bauer Media Group, zug der Deutschen. Sie warf Bauer vor, staatliche Un- an „unsere talentierten Teams für ihr Engagement“ terstützung zur Überwindung der Krise ausgeschlagen richtete, dürfte den Beschäftigten der betroffenen Zeit- zu haben. Der für Medien zuständige Minister Kris Faa- schriften bitter aufgestoßen sein. Mitte Juni gab Bauer foi sekundierte, kein Vertreter von Bauer habe sich we- seine Entscheidung bekannt, das gesamte Australien- gen der Restriktionen mit ihm in Verbindung gesetzt. und Neuseelandgeschäft an den Investor Mercury Ca- Der Verlag habe sich lieber unter dem Deckmantel der pital zu verkaufen. Mit diesem Deal wechselten rund Pandemie einer Last entledigt. Was Bauer selbstredend 50 Print- und Digitaltitel den Besitzer. Darunter auch dementiert. die Spare Pacific Magazines (Marie Claire, Men’s Health) die Bauer erst im Herbst 2019 erworben hatte. Bereits Fast zeitgleich mit dem Abschied vom australischen diese Transaktion hatte rund 60 Beschäftigte den Job Markt erfolgte auch der Verkauf des Verlagsgeschäfts gekostet. Insgesamt verlieren nach einem Bericht des in Russland. Betroffen sind Beteiligungen an fünf Guardian etwa 240 Mitarbeiter*innen – Freelancer Gesellschaften und rund 90 Zeitschriftentitel. Der Be- nicht eingerechnet – ihren Arbeitsplatz. sitzerwechsel geschah im Wege eines Management- Buyouts. Nur einen Monat zuvor hatte sich Bauer aus Der Deutschen Presse-Agentur gestand Dengler, es sei Rumänien zurückgezogen. Käufer des Portfolios aus schon länger geplant gewesen, das Australien-Geschäft mehreren Programmzeitschriften war der Schweizer zu verkaufen. Die Corona-Krise habe dies allerdings Ringier Verlag, der diese Titel erst 2007 an Bauer ver- beschleunigt. Werbe- und Vertriebsumsätze seien in äußert hatte. der Pandemie dramatisch zurückgegangen. Ohnehin sei Australien „einer der schwierigsten Magazinmärkte Der einigermaßen radikale Rückzug vom Auslands der Welt“, so der Bauer-Manager. Der Anteil des Werbe- geschäft ist Teil einer radikalen Umstrukturierung der marktes liege in diesem Bereich bei unter einem Prozent. Gruppe. Künftig soll das Haus vor allem auf den vier Säulen Publishing, Audio, Online-Vergleichsportale Rückzug aus Neuseeland und Marketing-Services für kleine und mittelständi- sche Unternehmen stehen. Schwierigen Auslands- Zwei Monate zuvor, Anfang April, hatte Bauer in der märkten will man die kalte Schulter zeigen. Ziel ist es, Medienbranche Neuseelands für ein mittleres Erd nur noch in Ländern tätig zu sein, in denen eine beben gesorgt. Nur eine Woche nach dem Verhängen Marktführerschaft besteht oder erreichbar ist. Diesen eines landesweiten Lockdowns reagierte der Verlag mit Strategiewechsel hatte Bauer bereits 2018 angekün- der Ankündigung, die Geschäftsaktivitäten an seinem digt. Die Corona-Pandemie scheint dies nun zu be- entlegensten Standort einzustellen. Die von der Re- schleunigen. gierung erlassenen Restriktionen, wonach Zeitschrif- ten als „nichtessentielle Waren“ vorübergehend we- Hauptgeschäft im Publishing der im Supermarkt verkauft noch per Post verschickt werden durften, dienten der deutschen Verlagsgruppe Das Kerngeschäft macht Bauer weiterhin im Bereich offenbar als willkommener Vorwand, das längst be- Publishing. Allein 1,8 von 2,24 Milliarden Euro des schlossene Aus vorzuziehen. Erst 2012 hatte Bauer für Gesamtumsatzes 2018 erzielte die Gruppe laut jüngs- 500 Millionen australische Dollar die „Australian Con- tem Geschäftsbericht mit den Segmenten Magazine, 10 M 3.2020
BRENNGLAS CORONA Online, Druckereien und Services. Bei den Zeitschrif- An RTL II, dem Schmuddelkind der RTL-Gruppe, ist ten heißt der Claim „We think popular“. Eine saloppe Bauer mit 31,5 Prozent beteiligt. Spezialisiert ist der Umschreibung des Umstands, dass das Portfolio spe- Sender auf Formate wie „Hartz und herzlich“ oder „Ar- ziell Produkte der Yellow Press, billigen Frauentitel und mes Deutschland“. Erst in diesem Frühjahr legte der Regenbogenformate aufweist. Gegen dieses Billighei- Medienwissenschaftler Bernd Gäbler seine im Auftrag mer-Image setzt sich Bauer CEO Dengler ungerührt der Otto-Brenner-Stiftung verfasste Analyse solcher zur Wehr: „Wir machen Medien für die breite Masse Sendungen vor. Seine Studie „Armmutszeugnis. Wie und nicht für gewisse Eliten oder Nischen“, konterte das Fernsehen die Unterschichten vorführt“ belegt er unlängst im Interview mit der dpa. eindrucksvoll, wie speziell Privatsender vom Schlage RTL II Menschen ohne Bildung, Job und Aussicht auf ein besseres Leben unter dem Deckmantel von TV-Do- kus bloßstellen. „Medien für die breite Masse“? Man könnte auch sagen: Sozialpornos. Nische Tageszeitungsgeschäft In dem Tageszeitungsmarkt stieg Bauer vergleichsweise spät ein. Kurz nach der Wende sicherte man sich 1991 beim Bieterwettbewerb der Treuhandanstalt die Mag- deburger Volksstimme. Das im Norden Sachsen-Anhalts erscheinende Blatt hat derzeit eine verkaufte Auflage von knapp 148.000 Exemplaren. Anfang 2020 übernahm die Gruppe überraschend im Rahmen des Print-Ausverkaufs bei DuMont auch die Mitteldeutsche Zeitung (MZ) in Halle – die Zeitung er- scheint mit nahezu identischer Auflage im Süden Foto: Mathias Thurm Sachsen-Anhalts. Kartellrechtliche Probleme gab es bei diesem Deal nicht – die Verbreitungsgebiete über- schneiden sich nicht. Sie sind identisch mit denen der früheren DDR-Bezirkszeitungen, aus denen sie hervor- S gingen. Abgesehen von der Altmark Zeitung, einer schwächelnden Nachwende-Gründung aus dem Hause itz Bis Ende Juli schloss die Gruppe eine umfangreiche Ippen mit knapp 12.000 Auflage, existiert jetzt im Standortverlagerung seiner deutschen Printobjekte ab. kleinsten östlichen Bundesland nur noch dieses Duo- Die im Branchenjargon „Yellows“ und „Women’s pol Bauers. der Bauer Media Group Weeklies“ genannten Titel, (Freizeitwoche, Woche Heute, (Heinrich Bauer Verlag KG) in Das Neue, Schöne Woche) werden jetzt in Hamburg ge- Wie aus einer Reportage der Süddeutschen Zeitung her- Hamburg. bündelt. Wie viele von den 80 betroffenen Mitarbei- vorgeht, fällt in den beteiligten Verlagen jetzt häufi- Die 1875 gegründete Verlags- ter*innen den Umzug von der Rastatter Tochter Pabel ger das Wort „Synergien“. Wie das aussehen könnte, gruppe beschäftigt heute Moewig an die Elbe mitgemacht haben, ist noch nicht lässt sich im benachbarten Thüringen studieren: Dort rund 11.000 Mitarbeiter*in- bekannt. Durch die „fokussierte Steuerung des Portfo- gibt seit der Wende die Funke-Mediengruppe (früher: nen weltweit. Am 2. Dezem- lios“, so eine Verlagsmitteilung, sollen „Spielräume für WAZ-Gruppe) gleich drei Blätter heraus, die sich in- ber 2010 übernahm Yvonne Produkt- und Geschäftsinnovationen“ entstehen. haltlich nur noch unwesentlich unterscheiden. Auch Bauer, Tochter von Heinz die Redaktionen von Volksstimme und MZ fürchten Heinrich Bauer, die Unter- Aktiv auf dem Rundfunkmarkt nun um ihre Eigenständigkeit. Als erstes wird es wohl nehmensleitung. zur Vereinheitlichung der Redaktionssysteme kommen. Auch bei den elektronischen Medien mischt Bauer mächtig mit. Mit täglich 24 Millionen Hörer*innen ist „Wir werden unsere unternehmerischen Kräfte bün- die Gruppe das größte Radiohaus Europas. In Polen deln, damit wir auch künftig regionale und lokale Be- erreichen die drei Sender RMF FM, RMF MAXXX und richterstattung auf höchstem Niveau liefern können“, RMF Classic rund zehn Millionen Hörer, was einem versicherte Marco Fehrecke, in Personalunion Ge- Marktanteil von mehr als 30 Prozent entspricht. Seit schäftsführer bei den Verlagen beider Zeitungen, nach dem Kauf von 21 Sendern der SBS Broadcasting Group der Übernahmegenehmigung durch das Bundeskar- im Jahr 2015 ist man auch Marktführer in Skandina- tellamt. Wer die Verlagspolitik von Bauer kennt, muss vien. In Großbritannien belegt Bauer mit seinen 80 daran zweifeln. Die Volksstimme, so berichtet die Süd- Sendern derzeit den zweiten Platz unter den privaten deutsche, sei unter Bauer jahrelang „auf Verschleiß ge- Rundfunkunternehmen. In Deutschland hält Bauer fahren“ worden. Relevante Investitionen in digitale ein Viertel der Anteile an Radio Hamburg, das mit täg- Geschäftsmodelle habe es nicht gegeben. Gemessen lich einer Million Hörer*innen das reichweitenstärkste am Gesamtumsatz des Hauses bleibt das Tageszei- Medium der Hansestadt ist. tungsgeschäft eine Nische. 3.2020 M 11
IM FOKUS Zu den neuen Standbeinen mit Zukunft zählen bei Bauer der schnelle Alle diese neuen Pflanzen wachsen unter dem Dach von Bauer Xcel wachsende Markt der Online-Vergleichsportale und Marketing-Ser- Media, laut Verlags-Eigenlob mit 140 Millionen Unique Usern „eines vices für kleinere und mittlere Unternehmen (KMU). Während der der am schnellsten wachsenden Digitalmedia-Unternehmen. In Bereich des analogen Publizierens im Gesamtportfolio der Gruppe Deutschland gehören dazu unter anderem das Foodportal mehr und mehr an Bedeutung einbüßt, wird hier auch international „LECKER.de“. das Frauenportal „Wunderweib.de“ und „Praxisvita. noch einiges investiert. Darunter auch für Projekte, die man bei Bauer de“, die Plattform rund um Gesundheit und Medizin. nicht unbedingt vermutet. Zum Beispiel in Großbritannien „The De- brief“, laut Website „a safe space for black women and women of co- Welche Folgen hat Corona auf die Zahlen der Gruppe? Mitte Juni er- lour music executives“ (= ein Netz für schwarze Frauen und weibli- wartete Geschäftsführer Dengler, Ende 2020 bei 90 Prozent des ge- che People of Colour aus der Musikbranche). Oder in Schweden die planten Umsatzes zu landen, beim Nettoergebnis allerdings nur bei „Zmarta Group“, laut Verlagsangaben einer der führenden Finanz- 70 Prozent vom ursprünglich angepeilten Volumen. Für Dengler keine dienstleister in Nordeuropa. Oder in Polen das „Sunrise System“, ein schlechte Bilanz, wie er im dpa-Interview verriet: „Bauer hat eine gute Spezialist für Digitalmarketing sowie „Rankomat.pl“, Polens größte Krise.“ Günter Herkel ‹‹ Online-Vergleichsplattform für Versicherungen. neut bekräftigt, dass sie die Geschichte historisch unabhängig aufar- beiten lassen will. Auf die Unternehmensseite der Bauer Media Group unter dem Button „Historie“ erfahren Leser*innen, dass Ludolph Bauer 1875 mit gerade mal 23 Jahren eine Druckerei für Visitenkarten in Hamburg gegründet habe. Sie war der Beginn des heute „größten Zeitschriftenverlags Europas“. Die Rede ist noch vom Anzeigenblatt Rothenburgsorter Zei- tung, dem Extrablatt am Montag und 1926 schließlich der Rundfunk- Foto: Bauer Media Group Kritik. Weiter geht es nach dem Zweiten Weltkrieg mit der Erfolgs geschichte des Konzerns. Kein Wort über die Zeit des Nazi-Regimes, in der Alfred Bauer Mitglied der NSDAP wurde, in der er Menschen jüdi- scher Abstammung Immobilien und Grundstücke zu niedrigen Preisen abkaufte. Keine Zeile über die Programmzeitschrift Funk-Wacht, in der Nazismus und Kriegsvorbereitung verherrlicht, Menschenrechtsverlet- In diesem Gebäude druckte Heinrich Bauer Zeitschriften. Entstanden ist zungen ausgeblendet worden sind. Und nachdem die Funk Wacht nicht das Foto Mitte der Zwanzigerjahre. Später waren hier die Zwangsarbeiter mehr rentabel herausgegeben werden konnte, diente ein Teil des Ver- untergebracht. lagsgebäudes im Hamburger Meßberghof (im Kontorhausviertel) von 1943 bis 1945 der Internierung italienischer Zwangsarbeiter. Deren Miete kassierte Bauer, wie die Wochenzeitung Die Zeit in ihrer Ausgabe Ende Interniert in einem August 2020 berichtete. Verlagsgebäude Der Zeit-Artikel basiert auf den Recherchen der langjährigen Betriebs- rätin der Bauer Media Group Kersten Artus und ihres Ehemanns Holger Artus. Sie initiierten auch die Gedenkkundgebung am 8. September, dem Jahrestag des Waffenstillstands zwischen Italien und den Alliier- ten nach dem Sturz Benito Mussolinis 1943. Es folgte die deutsche Be- Der Hamburger Bauer Konzern verspricht die setzung Norditaliens, Massenverhaftungen hunderttausender italieni- Aufarbeitung seiner Nazi-Vergangenheit scher Soldaten und ihre Deportation. Über 12.000 von ihnen seien nach Hamburg verschleppt und in Zwangsarbeitslagern inhaftiert worden. A m 8. September fand vor der Bauer Media Group im Ham- Bis heute tut sich das Unternehmen schwer mit der Aufarbeitung seiner burger Kontorhausviertel eine Kundgebung mit 80 Teil- Vergangenheit. Gegenüber der Zeit erklärt Imke Weiland, Sprecherin nehmer*innen statt. Sie erinnerte an die italienischen des Unternehmens: „Unser Plan war, im laufenden Jahr einen Historiker Zwangsarbeiter, die im damaligen Heinrich-Bauer-Haus mit Recherchen zur NS-Zeit zu beauftragen.“ Durch die Corona-Pande- untergebracht waren. In einem Grußwort des Kulturse- mie habe sich alles ein wenig verzögert, „es gab andere Prioritäten.“ nators und in Redebeiträgen unter anderem aus der Hamburgischen Bür- Jetzt sei der Verlag allerdings wieder in Gesprächen mit Experten, die gerschaft, des Italienischen Generalkonsuls und von ver.di wie auch von Arbeit solle noch dieses Jahr beginnen. Eine Bewertung des Verhaltens einem Mitglied der Bauer-Konzernleitung wurde deutlich, dass es ein ge- „von Heinrich und Alfred Bauer in der NS-Zeit“ solle jedoch erst erfol- meinsames Anliegen ist, die Geschichte der Menschenrechtsverbrechen gen, wenn die Untersuchungen abgeschlossen seien. Wann das sein an diesem Ort sichtbar zu machen: Im Februar 2021 wird eine Stolper- könnte, ist offen. wen ‹‹ schwelle vor dem Verlagsgebäude verlegt. Die Bauer Media Group hat er- Mehr Infos: https://kurzelinks.de/6ocv 12 M 3.2020
BRENNGLAS CORONA Im Nord-Westen nichts Neues Kürzungen und Entlassungen bei Umstrukturierung in Oldenburg D er Neubau des Verlagshauses der Nordwest-Zeitung (NWZ) ist trotz der Coronapandemie pünktlich fer- tig geworden. Im Oktober soll der Umzug aus der Ol- denburger Innenstadt in den nördlichen Stadtteil Etzhorn beginnen. Dennoch will bei den Beschäf- tigten in Niedersachsen keine rechte Freude aufkommen. Denn be- reits im Mai hatte die Geschäftsführung der Nordwest-Zeitung Ver- lagsgesellschaft mbH & Co. KG verkündet, dass es aufgrund der Pan- demie zu Kürzungen, Umstrukturierungen und sogar Entlassungen kommen werde. Fotos: Michael Bahlo Die Zeitungsbranche galt schon vor Corona als krisengeschüttelt. Und auch in Oldenburg war bereits im vergangenen Jahr von Kürzungen die Rede. Dann stieg die Reichweite von Zeitungen in der Corona- Krise noch einmal deutlich an. Vor allem die Klickzahlen im Inter- Protest bei der NWZ Oldenburg am 31. August 2020 net. Andererseits brachen die Anzeigenerlöse im analogen Printge- schäft weg. Sie liegen seit Jahresbeginn deutlich niedriger als zuvor, weil viele Unternehmen ihre Werbung reduziert oder zwischenzeit- Als eines der ersten Unternehmen der Branche hatte der Verlag 2004 lich ganz eingestellt hatten. Für das Gesamtjahr werden im Anzeigen- die neuen Möglichkeiten auf dem Sektor der Arbeitnehmerüberlas- geschäft Umsatzeinbußen um bis zu zwei Fünftel befürchtet. Unter sung genutzt und mit der „Nordwest-Personaldienstleistungsgesell- den Printmedien mit redaktionellem Inhalt sind die Anzeigenblätter schaft“ (NWP) eine eigene Zeitarbeitsfirma gegründet, die Redakti- besonders betroffen. Ein Trend, der jedoch schon vor der Pandemie ons- und Verlagsbeschäftigte an den Mutterkonzern verlieh. Eine Pra- begann. Nun gehen aber auch die Verkäufe zurück, weil es weniger xis, die erst 2012 auf Druck des Betriebsrates wieder abgeschafft wurde. Publikumsverkehr gibt, beispielsweise an Bahnhöfen. Acht Prozent Einen Tarifvertrag haben die Angestellten des Verlages dennoch bis der Verkaufsstellen waren im Frühling dieses Jahres geschlossen, heißt heute nicht. Der Konzern ist seit 2011 Mitglied ohne Tarifbindung es vom Verband der Zeitschriftenverleger (VDZ). (OT) im Verband Nordwestdeutscher Zeitungsverlage und kommt so in den Genuss der Dienstleistungen des Verbandes, ohne selbst Tarif- Im März und April war deshalb auch bei der NWZ Kurzarbeit ange- vertragspartei sein zu müssen. Stattdessen zahlt die NWZ nach einer sagt. Doch damit nicht genug. Trotz schlechter Prognosen hatte der Vergütungsordnung, die der Arbeitgeber seinerzeit in einer Einigungs- Betriebsrat die im Mai angekündigten Entlassungen noch abwenden stelle gegen den Betriebsrat erzwungen hat. wollen und der Geschäftsführung einen umfangreichen Einsparplan vorgestellt. Der wurde zwar zur Kenntnis genommen, aber nicht als In der konzerneigenen Druckerei WE-Druck wird zwar noch nach Ta- Grundlage weiterer Entscheidungen in Betracht gezogen. „Wir sind rif bezahlt, doch auch dort möchte man sparen. Falls der Betriebsrat der Meinung, dass es Alternativen gab“, sagt der Vorsitzende des Be- nicht klein beigebe, drohte Geschäftsführer Harold Grönke kürzlich, triebsrats Jan Lehmann. Der Betriebsrat ist enttäuscht über das Vor- könne er auch einfach verkaufen. Rechtsanwalt Helmut Platow von gehen der Geschäftsführung. ver.di begleitet die Betriebsräte seit vielen Jahren und kennt das Ge- schäftsgebaren des Oldenburger Medienkonzerns. In diesem Fall hält Schon seit Jahren trägt die Belegschaft Einsparmaßnahmen mit, in er einige Kündigungen für anfechtbar: „Falls die Kollegen an anderer der Hoffnung das Unternehmen und die Arbeitsplätze in ihrer bishe- Stelle im Betrieb weiterarbeiten können, werden wir das prüfen.“ Für rigen Form erhalten zu können. Denn der Konzern ist stetig in Bewe- den Großteil der 26 Gekündigten sei der juristische Weg allerdings gung. Über die Jahre wurden immer neue Geschäftsfelder dazuge- keine Lösung, wenn die Anzeigenproduktion bei der NWZ endgültig kauft. Und so gehören heute neben Tageszeitungen und Wochenblät- zum behaupteten Zeitpunkt stillgelegt würde. Daher hat der Betriebs- tern auch Anteile an Hörfunk, Fernsehen, Online-Medien sowie eine rat nun andere Wege beschritten. Für die Mitarbeiter*innen, die ihre Druckerei und eine Logistikfirma zum Konzern. Arbeitsstelle verlieren, soll für 12 Monate eine Transfergesellschaft 3.2020 M 13
IM FOKUS XXXXXXXXXXXXXXX eingerichtet werden. Die Kolleg*innen erhalten eine sellschaft selbst. Für den Arbeitgeber ist das ein Null- Abfindung und verzichten auf ihre Kündigungsfrist. summenspiel“, bemängelt Platow. Die Kündigungen betreffen vor allem die Druckvor- stufe, die komplett ausgelagert werden soll. Unter den Auch die Redaktion ist von den Kürzungen betroffen. Gekündigten sind auch drei Mitglieder des Betriebs- Entlassungen gibt es zwar keine, dennoch soll ein Um- rates. Mit ihnen und den anderen Kolleg*innen will bau stattfinden. Drei kleinere Außenredaktionen sol- die Geschäftsführung am liebsten gar nicht erst in das len geschlossen werden, freie Stellen werden nicht neue Gebäude ziehen. Daher soll die Transfergesell- nachbesetzt. Der Umfang des Mantels soll reduziert schaft auch schon im Oktober beginnen. werden. Gleichzeitig möchte Grönke Ressourcen vom Überregionalen ins Lokale verschieben und den Lo- „Das ist aus unserer Sicht unsozial, da die Kündigungs- kalteil ins erste Buch der Zeitung rücken. Auch die be- frist von bis zu 7 Monaten dann vollständig mit in die triebliche Vereinbarung zur Altersteilzeit läuft zum Transfergesellschaft einbracht werden muss. Zweck der Jahresende aus. Zwar machen Konzern und Corona es Kündigungsfrist ist es, für einen bestimmten Zeitraum den Kollegen schwer, sich zu organisieren, aber so mit dem bisherigen Einkommen sicher kalkulieren zu ganz ohne gewerkschaftlichen Protest läuft dann der können. Die NWZ verlangt demgegenüber von ihren Umbau auch bei der NWZ nicht ab. So protestierten Arbeitnehmer*innen, dass sie vom ersten Tag an auf die Beschäftigen Ende August auch im Rahmen einer die Kündigungsfrist verzichten und nur noch 80 Pro- aktiven Mittagspause vor dem Verlagsgebäude (Foto), zent ihres bisherigen Nettoeinkommens erhalten. Da um die Verhandlungen rund um den neuen Sozial- sie in den restlichen Monaten der Transfergesellschaft plan angemessen zu begleiten. 50 bis 70 Kolleg*innen auch nur dieses Einkommens erhalten, davon jedoch versammelten sich, darunter auch einige ehemalige 60 oder 67 Prozent durch die Agentur für Arbeit getra- Beschäftigte. „Die Solidarität war groß“, freut sich gen werden, finanzieren sie praktisch die Transferge- auch Betriebsrat Lehmann. Julia Hoffmann ‹‹ Radio Potsdam unheimlich gefragt Trotz Umsatzeinbußen mehr gearbeitet als je zuvor „E „s gibt uns noch, weil wir ein sehr gu- dann nicht mehr senden?“ Den gesamten Vertrieb tes Jahr 2019 hatten. Aber wenn ich habe sie sofort ins Homeoffice geschickt, da die Mit- die Umsätze sehe: Lange halten wir arbeiter*innen dort auch schon vor Corona tageweise das auch nicht durch“, sagt Juliane zu Hause gearbeitet hätten und die nötige Infrastruk- Adam. Sie ist Geschäftsführerin der tur daher vorhanden gewesen sei. Die Kontaktvermei- Brandenburger Lokalradios GmbH, die den Lokalsen- dung im Studio habe sich dann recht unkompliziert der „Radio Potsdam“ betreibt. 30 Prozent Umsatzein- organisieren lassen, doch die Angst, die komplette Be- bußen musste man hier wegen der Corona-Krise ver- legschaft könnte nach einem Corona-Fall unter Qua- kraften, 100.000 Euro fehlen allein aus dem Bereich rantäne gestellt werden, blieb. der Eventbewerbung. Zwar habe man alternative Um- sätze generieren können, doch die reichten lange nicht, Wenn der Bürgermeister plötzlich um das Loch zu stopfen. Und das Werbegeschäft laufe im Studio steht nur schleppend wieder an, so die Senderchefin. Aber so weit kam es nicht. Zum Glück, denn: „Gerade Der Corona-Lockdown im März hatte auch die Beleg- in dieser Lockdown-Zeit waren wir als lokales Medium schaft von Radio Potsdam kalt erwischt: „Es herrschte unglaublich gefragt, weil der Bedarf vor allem an ein großes Durcheinander und große Verunsiche- regionalen Informationen so hoch war“, sagt Adam. rung“, erinnert sich Adam. „Da war zum Einen die „Einer der ulkigsten Momente war, als unser Oberbür- Angst um die Umsätze – die Werbestornierungen flat- germeister plötzlich mit dem Kaffeebecher in der Hand terten stündlich ins Haus – und zum Anderen die hier bei uns im Studio stand und sagte: Können wir Frage, wie man die Abläufe aufrecht erhalten kann: auf Sendung gehen bitte, ich muss meine Bürgerin- Juliane Adam, Wo gibt es Masken, wer kann nähen, was ist, wenn je- nen und Bürger informieren.“ Auch die Arbeitsagen- Geschäftsführerin der Bran mand aus dem Team Corona bekommt? Können wir tur sei auf Radio Potsdam zugekommen, um die Be- denburger Lokalradios GmbH 14 M 3.2020
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