Grimme Online Award - ONLINE QUALITY - Grimme-Institut
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INNOVATIV. INFORMATIV. IMMERSIV. Nominiert für den Grimme Online Award 2019 glueckauf.wdr.de Mit der Schließung der letzten Zeche ging 2018 im Westen eine Ära zu Ende. Deshalb setzt das WDR-Projekt »Einmal Kumpel sein« den Bergleuten und der Bergbaukultur aus diesem Anlass ein einzigartiges digitales Denkmal. Dadurch kann die eindrucksvolle Welt unter Tage weiterhin mit eigenen Augen erlebt und interaktiv virtuell begangen werden. Idee, Konzept und Umsetzung: Michelle Blum, © WDR/Annika Fußwinkel Stefan Domke, Thomas Hallet, David Ohrndorf Redaktionelle Verantwortung: Stefan Moll
INHALTSVERZEICHNIS 03 Editorial 05 Grußwort 06 Interview mit Prof. Dr. Christian-Mathias Wellbrock, Universität zu Köln Journalismus sollte sich stärker über den Markt finanzieren 08 Henriette Heidbrink Finanzierungsmodelle im digitalen Journalismus 10 Pauline Tillmann Die neue Währung 11 Frank Joung 34 Statement der Nominierungskommission Wie Spenden Podcasts finanzieren des Grimme Online Award 2019 12 Tanja Krämer & Christian Schwägerl NOMINIERUNGEN Grimme Online Award Die digitale Genossenschaft 36 Information 13 Martin Krohs 38 Wissen und Bildung Ist das die Zukunft? 41 Kultur und Unterhaltung 45 Spezial 14 Georg Dahm Planen mit der Pleite 46 Nicola Kleer Effekte auf den digitalen Journalismus 16 Statement der Jury des Grimme Online Award 2019 48 Preispat*innen PREISTRÄGER Grimme Online Award 50 Moderation & Showact Information 51 Thomas Schnedler 18 Krautreporter Im Auftrag der Gesellschaft 20 Wem gehört Hamburg? Wissen und Bildung 52 Alexander Fanta 22 Ultralativ Unabhängige Medien und ihre Gönner Kultur und Unterhaltung 24 Buterbrod und Spiele 53 Felix Friedrich 26 Krieg und Freitag „Wie bei einer Droge“ 28 Mensch Mutta. 30 Techniktagebuch 54 Förderer, Partner & Sponsoren Spezial 32 TINCON 56 Impressum Grimme Online Award 2019 1
MEHR KULTUR AUS UND FÜR NRW / 20 19 w es t 05 ZEHN EN ku ltu r. AUSG AB N EITE 16 S NE BA R T E PRO U N S t K Ü H R R U JAHR t THEMA 20 I WIE FRE IST DIE ? ab 17.M ai online K U N S T LS buchen SEUM A DAS MU CHE INSTANZ S MORALI JA C K S O N E L MICHA IN BON N | 4, 50 € 13 – 42 73 | IS SN 16 E|M AI 20 19 KU LT UR W ES T.D 14:52 18.04.19 kulturwest.de 12:45 15.04.19
EDITORIAL Dr. Frauke Gerlach, Direktorin Grimme-Institut Foto: Annette Etges Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Leserinnen und Leser, waren Sie vielleicht in diesem Jahr Besucherin oder Besu- stand gegen die Verkürzung und Verflachung, Widerstand cher der Digitalkonferenz re:publica oder haben über sie gegen Polarisierung und Ausgrenzung. gelesen? Dann wissen Sie: Lernen können wir aber auch von den Gremien des Grim- Die #rp19, so der Hashtag, hat sich in diesem Jahr mit me Online Award – der Nominierungskommission und der ihrem Slogan „tl;dr“ (too long; didn’t read) dem Kleinge- Jury, die Jahr für Jahr das „genaue Hinsehen“ praktizie- druckten gewidmet, „den Fußnoten und der Kraft der Re- ren und mit Leben füllen – ein Hinsehen, das längst auch cherche“, wie die Initiatorinnen und Initiatoren es nennen, Hören und Lesen ist und für alle Beteiligten eine Menge und auch dem Wissen und der konstruktiven Auseinan- Arbeit bedeutet. dersetzung. Denn: Allzu oft werden Verkürzungen, simple Und natürlich möchte ich den Autorinnen und Autoren für Parolen und Slogans dazu missbraucht, unsere – zuneh- ihre Beiträge zu dieser Publikation danken, die sich um mend digitale – Gesellschaft zu spalten oder bestehende die Frage dreht: Wie lassen sich hochwertige Inhalte im Risse zu vertiefen. Netz finanzieren? Bezug genommen wird dabei auf ein Dem mit diesem Jahresmotto der re:publica verbunde- Projekt des Grimme-Forschungskollegs an der Universi- nen Aufruf zur Wachsamkeit möchte ich mich explizit an- tät zu Köln, welches sich auseinandergesetzt hat mit der schließen. In der Tat sollten wir Widerstand leisten – ge- ökonomischen Seite des Netzes (nachzulesen unter: blog. gen die Verkürzung, die Verflachung, die sich so schnell grimme-online-award.de/category/forschung/). Auch das ins Antidemokratische wendet und manchmal im blanken ist Grimme 2019 und soll hier abgebildet werden. Hass gipfelt. Das sollte uns das Netz wert sein, schließlich gehört es mittlerweile ganz selbstverständlich zu unse- Also: ein großes Danke, viel Spaß beim Lesen und leisten rem Alltag. Dabei können wir lernen von den Nominierten Sie Widerstand! und den Preisträgerinnen und Preisträgern des Grimme Online Award, mit ihren akribisch recherchierten Inhalten, neuen Blickwinkeln und immer wieder beeindruckenden Formaten, die uns mal zu Herzen gehen, mal zum Denken anregen und, im besten Fall, all dies zusammen: Wider- Dr. Frauke Gerlach Grimme Online Award 2019 2 3
Grimme Online Award 2019 Gratulation den Nominierten und Preisträgern! Film- und Medienstiftung NRW Kaistrasse 14, 40221 Düsseldorf www.filmstiftung.de info@filmstiftung.de @filmedienrw
GRUSSWORT Nathanael Liminski, Staatssekretär und Chef der Staatskanzlei des Landes Nordrhein-Westfalen Foto: Land NRW / Ralph Sondermann Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Leserinnen und Leser, ohne Medienvielfalt ist ein demokratischer Diskurs nicht zu Umso wichtiger ist es, dass gerade auch im Netz hochwer- haben. Kommunikation und Austausch sind die Basis für tige und von Menschen gemachte journalistische Inhalte ein gutes Zusammenleben – und dazu braucht es auch kri- ihren Platz finden und es in Zukunft im digitalen Wandel tische Medien. gelingt, dafür passende Geschäfts- und Erlösmodelle zu Auch in einer digital geprägten Welt muss es Räume und entwickeln. Wege geben, die Themen auszuhandeln, die uns als Men- Und wenn das Leiden die Freude über die vielfältige Berei- schen bewegen – seien es gesellschaftspolitische The- cherung, die das Netz für unser Leben bedeutet, überla- men, Fragen der wirtschaftlichen und der kulturellen Ent- gert, denke ich immer: Gut, dass es den Grimme Online wicklung oder auch des täglichen Miteinanders. Das Netz Award gibt, der uns mittlerweile im 19. Jahr zeigt, wo wir im hat sich längst als Sphäre meinungsbildender Diskurse Netz die guten Seiten der digitalen Kommunikation finden etabliert. können. Allerdings kann man angesichts der Vielfalt im Netz auch den Überblick verlieren. Und nicht selten fühlen wir uns Danke dafür, herzlichen Glückwunsch den Preisträgerin- durch allzu polemische oder auch respektlose Beiträge he- nen und Preisträgern und natürlich auch allen Nominierten! rausgefordert oder gar abgestoßen. Als Spiegel und digita- le Verlängerung unserer analogen Gesellschaft bildet das Netz alle Facetten ab, die wir auch offline erleben und manchmal auch erleiden müssen. Nathanael Liminski Grimme Online Award 2019 4 5
Interview zum Grimme-Forschungsprojekt „Demokratierelevanter digitaler Journalismus“ mit Prof. Dr. Christian-Mathias Wellbrock JOURNALISMUS SOLLTE SICH STÄRKER ÜBER DEN MARKT FINANZIEREN Wie würden Sie das aktuelle Verhältnis Journalismus kommerziell erfolgreich betrei- zwischen dem Digitalen und der Demo- ben zu können. Jedes journalistische Ange- kratie beschreiben? bot sollte herausfinden, was die Bedürfnisse Auf der einen Seite hat das Internet zur De- und Motive der Konsument*innen sind, die es mokratisierung der Kommunikation geführt, erfüllen kann, und dann entsprechende Pro- durch die Tatsache, dass jeder publizieren dukte entwickeln. Also aus der anderen Rich- kann. Auf der anderen Seite tun es Menschen tung denken als es traditionell im Journalis- und Institutionen, denen nicht unbedingt an mus der Fall war, wo die Anbieterseite hehren Zielen oder Motiven gelegen ist. Na- entscheidet, was wichtig ist. Dann kann es türlich lässt sich das Internet gezielt zur Mani- sein, dass Menschen bereit sind für etwas zu pulation und zum eigenen Nutzen einsetzen zahlen, das nicht zwangsläufig journalistischer – das war in der Geschichte der Zeitung nicht Content ist, sondern zum Beispiel soziale Zu- anders. Die ersten Zeitungen hatten auch gehörigkeit oder soziale Verantwortung. nicht das Ziel, die Demokratie zu stärken, Gibt es die Gefahr, dass Menschen aus- sondern waren Partei- oder Kirchenzeitungen. geschlossen werden, weil sie sich Jour- Was wir tun können, ist die Digitalisierung ge- nalismus nicht leisten können? stalten. Wir können rechtliche, moralische Jeff Jarvis hat mal ausgerechnet, was er für und ethische Rahmen bilden, um die Gefah- publizistische Inhalte, die ihn interessieren, ren so gut es geht zu minimieren. bezahlen müsste: 3.500 Dollar im Jahr. Das Was betrachten Sie als demokratierele- heißt, tendenziell besteht diese Gefahr, dass vanten Journalismus? Und welche digita- man Bevölkerungsgruppen ausschließt, gera- len Akteure haben Sie berücksichtigt? de durch den aktuellen Trend Content direkt Journalismus ist demokratierelevant, wenn er zu monetarisieren. Auch ist die gesellschaftli- typische Funktionen erfüllt wie Information che Wirkung von Journalismus größer, wenn und Bildung, Kritik und Kontrolle und auch öf- ihn möglichst viele Menschen konsumieren fentliche Meinungsbildung. Beim Grimme- und das zu besseren Entscheidungen im de- Forschungsprojekt ging es darum, ein Gefühl mokratischen Sinne führt. Auf der anderen zu kriegen, was digitalen Journalismus erfolg- Seite müssen wir sehen, dass digitaler Jour- reich macht – sowohl im publizistischen als nalismus überhaupt finanziert wird. auch im wirtschaftlichen Sinne. In der Kategorie „Information“ sind vier Genossenschaft, Crowdfunding oder sogenannte „Indie“-Medien nominiert. Ist Stiftungen – haben Sie ermittelt, was das das ein Trend? beste Modell ist, um Journalismus zu fi- Ich würde vorhersagen, dass wir mehr journa- nanzieren? listische Gründungen sehen. Das liegt daran, Ich schätze, dass man mindestens drei bis dass im digitalen Markt die Eintrittsbarrieren fünf verschiedene Erlös-Modelle braucht, um geringer und die Kostenstrukturen günstiger
Christian-Mathias Wellbrock ist Professor für Medien- und Technologiemanagement an der Universität zu Köln. Zuvor war er u. a. Juniorprofessor an der Universität Hamburg und Visiting Assistant Professor an der Michigan State University. Seine Forschungs- und Lehrschwerpunkte sind digitaler Journalismus, Technologieakzeptanz, Plattformökono- mik und Sportökonomik. Aktuell befasst er sich mit Erfolgsbedingungen und -faktoren für journalistische Gründungen und der Bezahlabsicht und Zahlungs- bereitschaft für digitalen Journalismus. Foto: Lisa Beller sind: Heutzutage kann man sogar unterwegs ben. Was tatsächlich hilfreich wäre, wenn es auf dem Smartphone produzieren und publi- Organisationen gäbe, die eine Infrastruktur für zieren. gründende Journalist*innen schaffen: Das be- Ist denn digitaler Journalismus besser – trifft Bezahlsysteme, Buchhaltung, Steuer im Sinne von Wissensvermittlung? Dass oder Rechtliches – all das ist gut skalierbar man sich engagiert und dass man einbe- und günstiger für den Einzelnen, wenn sich zogen wird? mehrere Journalisten zusammentun. Im End- Das Potenzial ist da, weil digitaler Journalis- effekt spreche ich von einem Ökosystem für mus immersiver sein kann. Aber es muss selbstständigen digitalen Journalismus, der funktional eingesetzt werden, denn es macht dann auch ganz gute Chancen hat. keinen Sinn, aus jeder Geschichte ein Multi- Wenn Sie einen Blick in die Zukunft des media-Feature zu machen. Woran es noch Journalismus werfen – ist er pessimis- mangelt, ist eine systematische Erforschung tisch oder positiv? der Effekte – beispielsweise, ob Leute bedingt Wir haben noch keine bessere Institution ge- durch bestimmte Darstellungsformen ein grö- funden als den Journalismus, um unserer De- ßeres Bedürfnis haben, sich für diese Themen mokratie zuträglich zu sein. Also müssen wir zu engagieren oder sich für sie zu interessie- einen Weg finden, wie wir hochwertigen Jour- ren. nalismus weiterhin finanzieren können. Zu- Kann es sein, dass Journalisten die Busi- nächst – das ist meine persönliche Auffas- ness-Kompetenz fehlt, weil sie eine strik- sung – sollten wir versuchen, das über den te Trennung von Verlag und Redaktion Markt zu klären. Die große Hoffnung wäre, gelernt haben? dass der Journalismus versucht, sich selbst Es scheint in der Tat so zu sein, dass die Bu- zu helfen und nicht über die Politik geht und siness-Kompetenz nicht so ausgeprägt ist. zum Beispiel ein Leistungsschutzrecht durch- Ich möchte aber betonen, dass das nicht drückt. Dadurch, dass es Journalismus gibt, zwangsläufig negativ ist. Es hilft, sich Be- leben wir in einer besser funktionierenden De- triebswirtschafts- oder Management-Kompe- mokratie und davon profitieren auch Men- tenzen anzueignen, aber man hat begrenzte schen, die sich nicht an der Finanzierung be- Kapazitäten und je mehr Business Skills desto teiligen. Somit ist die Nachfrage nach größer die Wahrscheinlichkeit, dass journalis- Journalismus niedriger als das ökonomisch tische Fähigkeiten über Bord gehen. Das ist effizient wäre. Man kann relativ klar sagen, nicht Sinn der Sache, weil die Demokratierele- dass es eher schwieriger wird Journalismus vanz von Journalismus leiden würde. Ent- über den Markt zu finanzieren. Aber wir müs- scheidend ist, dass man offen ist für betriebs- sen es ausprobieren und dafür Bedingungen wirtschaftliches Denken, weil es notwendig schaffen. ist, um Journalismus kommerziell zu betrei- Interview: Christina Quast Grimme Online Award 2019 6 7
Flattr, Blendle, Readly FINANZIERUNGS- MODELLE IM DIGITALEN JOURNALISMUS Henriette Heidbrink Als der Journalismus in die Bredouille geriet, deren waren viele Nutzer*innen unzufrieden hatte es die Musik- und Filmindustrie schon mit dem Datenschutz – schließlich muss Flattr erwischt: Digitalisierung und Disruption. Man nachhalten, wer wo wie lange verweilt, um wusste, dass Medienschaffende im Netz das Geld entsprechend verteilen zu können. Reichweite aufbauen müssen, denn mehr Mit dem wachsenden Vertrauen in die Zah- Publikum bedeutet mehr Relevanz, potenziel- lungsbereitschaft des Publikums verschwan- le Bezahler*innen und ein attraktiveres Wer- den in den vergangenen fünf Jahren in Europa beumfeld. Auch überlegte man, ob sich Mo- immer mehr Inhalte hinter Bezahlschranken. delle wie Spotify oder Netflix auf den Mit der Entwicklung von Paywalls, Abos und Journalismus übertragen lassen. Tagespässen drängte sich auch die Frage Der Social-Payment-Anbieter Flattr zeigte be- auf, ob es sinnvoll sei, einzelne Artikel zu ver- reits 2010, dass Rezipient*innen im Internet kaufen. Denn das sogenannte Entbündeln ist freiwillig für Inhalte zahlen. Vor allem Podcas- eine heikle Angelegenheit: Konsument*innen ter*innen haben mit Flattr gut verdient – viel- finden es prinzipiell gut, wenn sie Rosinen pi- leicht, weil sie eine besonders intensive Be- cken dürfen. Aber der „Spiegel“ hat seine Mit- ziehung zu ihren Fans haben. Insgesamt te 2016 gestartete Allianz mit LaterPay weni- waren die Einnahmen via Flattr allerdings zu ge Monate später aufgelöst, weil die Erlöse gering und 2017 folgte ein Neustart, der aus der Einzelverkäufe zu gering und zu unbe- zwei Gründen kritisiert wurde: Zum einen ständig waren. LaterPay konzentriert sich konnte man nicht mehr bestimmen, wem derweil auf den US-Markt und entwickelt un- man Geld zukommen ließ; stattdessen wurde ter anderem Pässe, mit denen Konsument*in- das Budget anteilig an diejenigen Cont- nen ein journalistisches Angebot eine Zeit ent-Kreatoren verteilt, auf deren Websites die lang werbefrei nutzen können. Flattr-User am längsten verweilten. Zum an- Dennoch haben sich einige Verlage auf den Finanzierungsmodelle für digitalen Journalismus Steady Pocketstory Laterpay Readly RiffReporter Flattr Blendle 2010 2014 2015 2017 2020
Henriette Heidbrink hat Medienwissenschaften an der Universität Siegen studiert. Nach der Promotion im DFG-Forschungskolleg „Medienumbrüche“ war sie mehrere Jahre als Beraterin, Dozentin und Coach an der Schnittstelle von Journalismus, Organisations- kommunikation und Business Development tätig. Aktuell vertritt sie die Professur „Journalistik und Crossmedia“ im Fachbereich Media an der Hoch- schule Darmstadt. Versuch eingelassen, einzelne Artikel über tik, Wirtschaft, Kultur und Wissenschaft. Es Online-Kioske wie Blendle oder Pocketstory ist also nicht unbedingt demokratierelevanter zu verkaufen. Während unbekanntere Jour- Journalismus, der gestreamt wird, dafür nalismusprojekte darauf hoffen, dass Kiosk- scheint die Reichweite zu wachsen. besucher*innen ihre Artikel zufällig entde- Auch journalistische Initiativen haben die Evo- cken, fürchten Platzhirsche, dass ihre Marke lution der digitalen Finanzierungsmodelle vo- verwässert, dass weniger Abos abgeschlos- rangetrieben: 2017 ist Steady gestartet, ein sen oder dass bestehende Abos sogar ge- Dienst, der es Medienschaffenden ermög- kündigt werden könnten. Eine noch nicht ver- licht, eine regelmäßige finanzielle Unterstüt- öffentlichte Studie der Universitäten Hamburg zung durch ihr Publikum in variabler Höhe zu und Groningen legt nahe, dass diese Furcht organisieren. Der Erfolg spricht für sich: Von begründet sei. Die Verlage haben zudem den „Bildblog“ über „Social Media Watchblog“ bis Nachteil, dass sie keinen Zugriff auf die Daten „The Pod“ sammeln starke Stimmen ihre Bei- der Online-Kioske haben und das Marketing träge über Steady ein, das sich selbst als Mit- nicht beeinflussen können. gliedschaftsmodell beschreibt. Kann man da- Kucken, klicken, kaufen geht schnell und ein- mit Geld verdienen? Ja, wenn man fach – vor allem Blendle überzeugt mit hoher überdurchschnittliche Strahlkraft hat. Die er- Usability. Dennoch scheint es sich nicht folgreichen Projekte werden von Profis betrie- durchzusetzen. Das Unternehmen veröffent- ben oder von Newbies mit steiler Lernkurve. licht keine Umsätze, die Nutzerzahlen sollen Apropos Demokratie-Relevanz: Es soll Kon- seit dem Start gestiegen sein. Aber es bleibt sument*innen geben, die ein starkes Interes- fraglich, ob die via Blendle erzielten Erlöse die se an relevanten Themen haben – seien es Risiken aufwiegen – zumal diese durch die Brexit oder Klimakatastrophe. Aber sie schlie- Kiosk-Gebühren noch geschmälert werden. ßen keine Abos ab, weil sie bewusst verglei- Artikel aus „Welt“ und „Zeit“ sind jedenfalls chend lesen wollen. Was ihnen fehlt, ist die nicht mehr erhältlich und die meisten Men- Option titelübergreifende Themenbündel zu schen jenseits der publizistischen Szene ken- erwerben. Man könnte auch eine Staffel nen Blendle nicht mal. hochwertigen und vielstimmigen Brexit-Jour- Während Blendle für das iTunes-Prinzip steht, nalismus verkaufen. Solche Bündel ließen wurde Readly als das Netflix des Journalis- sich deutlich höher bepreisen als Einzeltexte mus angekündigt. Nach dem vierten Quartal und es ergäbe sich immerhin eine mittelfristig 2017 meldete Readly, dass über 5,7 Millionen stabile Finanzierung über die Laufzeit der Magazinausgaben bezahlt wurden. Das An- Staffel. Damit würde allerdings ein Problem gebot ist auch ohne Titel von Gruner + Jahr weiter befeuert, denn so schön gut bezahlter, und Burda relativ stark in der Unterhaltung demokratierelevanter Journalismus ist – nicht und deutlich schwächer in den Ressorts Poli- jeder kann ihn sich leisten. Grimme Online Award 2019 8 9
Community Building als Königsdisziplin DIE NEUE WÄHRUNG Pauline Tillmann Pauline Tillmann ist Autorin, Als ich mit Journalismus angefangen habe, funding machen und ist nach einer bestimmten Reporterin und Dozentin. wurde die Reportage als „Königsdisziplin“ be- Zeit wieder an dem Punkt, dass man Geld Mit zehn Korresponden- zeichnet – stets hieß es: reportagig, nah dran braucht. Der Nachteil: Es gibt keinen zeitlichen tinnen erzählt sie in ihrem am Protagonisten – das macht guten Journa- Druck, Unterstützer*in zu werden. Deshalb sta- digitalen Magazin „Deine lismus aus. Während ich als freie Korrespon- gnierte unsere Mitgliederzahl bei 83 und rund Korrespondentin“ die besten dentin in St. Petersburg gearbeitet habe, bin 500 Euro im Monat. Dieses Geld macht etwa Geschichten über Frauen ich zur Unternehmerin geworden und habe ein Drittel unserer Einnahmen aus, der Rest aus der ganzen Welt. das digitale Magazin „Deine Korrespondentin“ kommt von Spenden und Kooperationen mit gegründet. Meine „Königsdisziplin“ heißt jetzt Regionalzeitungen. Das reichte gerade, um die Community Building. Korrespondentinnen, den Programmierer und Denn ich bewege mich in der Start-up-Welt, in die Textchefin zu bezahlen. Es reichte nicht für der es um die Bedürfnisse des Nutzers geht. eine Aufwandspauschale für mich, obwohl ich Die immer wiederkehrende Frage lautet: Wie das Projekt in Teilzeit betreibe. sieht ein Produkt aus, das der Nutzer braucht Deshalb habe ich auf unsere prekäre Lage und für das er bereit ist, Geld auszugeben? aufmerksam gemacht: Wir brauchen mindes- Bei „Deine Korrespondentin“ findet man ge- tens 150 Mitglieder, damit ich das Projekt bündelt Geschichten über spannende Frauen nicht beerdigen muss und mir ein Honorar weltweit, die man in anderen Medien oft ver- von 500 Euro zahlen kann. Das ist ein Stun- geblich sucht. Das Problem: Es gibt jede denlohn von 12,50 Euro für die Position der Menge Content im Netz und es ist verdammt Chefredakteurin und Geschäftsführerin. Aber: schwierig, die Menschen zu überzeugen, für Wir haben es tatsächlich mit überschaubaren Online-Inhalte zu zahlen. Mitteln geschafft, unsere Mitgliederzahl in kür- Durch die Geschichten bekommen unsere zester Zeit zu verdoppeln. Leser*innen Inspiration und Anregung. Und Für mich bedeutet es, dass ich aus einer Idee sie erfahren mehr über ein bestimmtes Land, ein Unternehmen geschaffen habe, das quali- zum Beispiel welche Probleme es in puncto tativen Content produziert, und ich alle Betei- Gleichberechtigung gibt. Aber sorgt das da- ligten einigermaßen okay bezahlen kann. für, dass sie ihr Portemonnaie zücken? Wir Schließlich träumen alle Gründer*innen, ir- haben keine harte Bezahlschranke, aber wir gendwann von ihrer Idee leben zu können. Bei weisen darauf hin, dass wir auf Unterstützung mir macht das einen Teil meines Einkommens angewiesen sind, obwohl man unsere Artikel aus. Vom vielen Zuspruch und dem großarti- kostenfrei lesen kann. gen Feedback aus der Community gar nicht Nun gibt es „Steady“, um Mitglieder zu wer- zu sprechen. Für unsere Unterstützer*innen ben, die ein monatliches Paket abschließen sind wir Teil ihres Medienkonsums, den sie können – in unserem Fall 5 oder 10 Euro. Der nicht mehr missen möchten und für den sie Vorteil: Man muss kein aufwendiges Crowd- bereit sind, ihren Beitrag zu zahlen.
Vom Geldtransfer in den Dialog WIE SPENDEN PODCASTS FINANZIEREN Frank Joung Als ich anfing, über einen eigenen Podcast macht, passiert etwas. Man muss die Men- Frank Joung ist Journalist nachzudenken, war mir auch die Finanzierung schen daran erinnern, dass sie spenden woll- und Podcaster. Sein Pod- wichtig. Ich wollte mich mit „Halbe Katoffl“ ten. Nachdem ich das verstanden hatte, ge- cast „Halbe Katoffl“, in dem nicht in die Miesen podcasten. Ein Geschäfts- hen auch regelmäßig Spenden ein. Derzeit er mit Deutschen mit nicht modell zu entwickeln war nicht mein primäres habe ich über hundert Unterstützer*innen, deutschen Wurzeln spricht, Ziel, aber eine Notwendigkeit, um das Projekt von denen ich zwischen 2,50 und 19,50 Euro war 2018 für den Grimme langfristig am Leben zu halten. monatlich erhalte. Online Award nominiert. Obwohl mir Crowdfunding als ein geeigneter Sobald jemand spendet, bekomme ich eine Weg erschien, plagten mich Zweifel: Wer soll Mail. Dann schreibe ich die Person an und be- für meinen Podcast freiwillig zahlen? Wer gibt danke mich. Dabei frage ich nach, woher sie Geld für etwas, das man kostenlos bekommt? „Halbe Katoffl“ kennt. So ergibt sich meistens Und wer sollte ausgerechnet mir Geld geben? ein Austausch darüber, was die Person an „Fünf Prozent deiner Community sind bereit, dem Podcast toll findet und warum sie spen- dich zu finanzieren“, erklärte Sebastian Esser, det. Es überrascht mich immer, wie dankbar der Gründer von „Steady“. Das ist eine Platt- viele Spender*innen für meine Arbeit sind und form, auf der digitale Publisher ihre Projekte prä- wie viel Ermutigung ich durch sie erfahre. sentieren, und die hilft, aus dem Publikum auch Lange Zeit dachte ich, zusätzliche Anreize zahlende Unterstützer*innen zu gewinnen. schaffen zu müssen, damit Menschen mich Bei „Steady“ geht es um Beständigkeit: Anders unterstützen. Aus dem Dialog mit meinen Un- als bei Crowdfunding-Plattformen muss man terstützer*innen habe ich gelernt, dass sie vor keine bestimmte Summe erreichen, damit das allem aus Dankbarkeit spenden. Mittlerweile Projekt finanziert wird, sondern die Mitglieder überweisen mir Menschen direkt Geld auf spenden monatlich. Das hat den Vorteil, dass mein Konto oder per Paypal. Sie schreiben: man in jedem Fall Geld bekommt. Und solange „Danke, dass du das tust.“ „Weiter so!“ Oder: das Mitglied nicht kündigt, sind es nicht einma- „Danke für den Podcast.“ lig 10 Euro, sondern jeden Monat. Der Austausch mit den Hörer*innen gehört für Das Faszinierende ist: Es funktioniert. Bei mich zu den schönsten Dingen des Podcas- „Halbe Katoffl“ entwickelte sich die Summe tens. Erstaunlicherweise ist es der schlichte anfangs langsam – was auch daran lag, dass Akt des Geldtransfers, der den Dialog öffnet ich Scheu hatte, auf die Spendenmöglichkeit – und der beide Seiten zufriedenstellt. Der Pu- hinzuweisen. Viele Menschen, vielleicht spezi- blisher ist froh, dass er finanzielle Unterstüt- ell Journalist*innen, empfinden es als lästig, zung erhält und seine Arbeit anerkannt sieht, peinlich oder erniedrigend, für die eigene Ar- und der Spender kann einen kleinen, effek- beit die Hand aufzuhalten. tiven Teil dazu beitragen, dass das Projekt Die Wahrheit ist: Nur wenn man immer wieder weiterläuft. Die Finanzierung durch die Com- auf die Spendenmöglichkeit aufmerksam munity ist eine Win-Win-Situation. Grimme Online Award 2019 10 11
Ein neues Modell für Journalismus DIE DIGITALE GENOSSENSCHAFT Tanja Krämer und Christian Schwägerl Tanja Krämer und Christian Etwas Neues zu wagen, ein Journalismus-Pro- nen des Unternehmens – und treffen in der Schwägerl sind Mitgrün- jekt nach eigenen Vorstellungen aufzubauen jährlichen Generalversammlung gemeinsam der*innen und die Vorstände und damit ausreichend Einkommen zu erzie- Entscheidungen. von „RiffReporter“. Beide len – das sind zentrale Motive journalistischer Ein weiterer Vorteil von Genossenschaften ist, sind Journalist*innen mit Gründer*innen. Dann stellen sich sehr schnell dass das Management Sparring-Partner hat: jahrelanger Erfahrung im sehr konkrete Fragen: Es gilt, die Startfinanzie- den Aufsichtsrat, aber auch den Genossen- Print- und Onlinebereich. rung zu organisieren. Und man muss ent- schafts-Prüfverband. Diese übergeordnete In- Foto: Benjamin Eichler scheiden, was für ein Unternehmen man ei- stanz fordert einen professionellen Busi- gentlich will: Eine Gesellschaft bürgerlichen nessplan und gibt kritisch-konstruktives Rechts als Verbund von Freiberufler*innen? Feedback. Das ist sehr wertvoll. Eine UG oder eine GmbH? Diese Entschei- Noch ein großer Vorteil von Genossenschaften dung prägt alles, was nach dem Gründen ist, dass die Voraussetzungen gut sind, Kapital kommt. zu mobilisieren. Neben den stimmberechtigten Wir haben uns bei „RiffReporter“ für eine für Journalist*innen gibt es die sogenannten in- Medien noch ungewöhnliche Unternehmens- vestierenden Mitglieder, die wir „RiffSupporter“ form entschieden – die Genossenschaft. Zwei nennen. Sie haben kein Stimmrecht, gehören Jahre nach der Gründung sind 90 Journa- aber zum engeren Kreis. Auf diesem Weg un- list*innen Mitglieder von „RiffReporter“. Für terstützen uns neben Privatpersonen auch die den Einzelnen wäre es unbezahlbar, eine pro- Schweizer Demokratiestiftung, GLS Treuhand fessionell programmierte Publikationsplattform e.V. und die Schoepflin-Stiftung. Und wir su- zu schaffen. Gemeinsam aber geht das. Unse- chen weiter nach neuen Unterstützer*innen, re Genossenschaft baut die Plattform mit Ser- denn als Genossenschaft sind wir ein perma- vices wie Newsletter, Abrechnung bei Kund*in- nentes Crowdfunding. nen und digitalen Analytics auf. Sie schafft mit Die Genossenschaftsidee hat in Deutschland unserem „PolyPublisher“-Projekt ein journalis- vor rund 150 Jahren Fuß gefasst – auch als tisches Einkaufszentrum, in dem Urheber*in- Reaktion auf die Umbrüche in der Frühphase nen die Lizenzen an ihren Beiträgen zum Bei- der Industrialisierung. Heute erleben wir digita- spiel an Verlage verkaufen können. Zudem le Umbrüche von ähnlicher Dimension, die von stärken wir mit „RiffReporter Live“ Möglichkei- großen IT-Konzernen dominiert werden, bei ten, dass Journalist*innen Vorträge halten denen wenige ultrareich werden und die Mas- oder selbst Veranstaltungen anbieten. se dafür Daten oder Arbeitskraft liefert. Als di- Bei einer UG oder GmbH wären Journalist*in- gitale Plattformkooperative sehen wir uns, ge- nen Kund*innen gewesen. Das hat nicht zu rade weil wir ein kleines, junges Projekt sind, unserem Ziel gepasst, eine kooperative Bewe- als Gegenentwurf dazu. Wenn „RiffReporter“ gung zu organisieren. Bei der Genossenschaft ein Erfolg wird, profitieren davon alle, die dazu sind die 90 Mitglieder nun Miteigentümer*in- beigetragen haben.
Der Dritte Sektor IST DAS DIE ZUKUNFT? Martin Krohs Journalismus ist mehr als eine Informations- die Bedürfnisse des Medienprojekts in Über- Martin Krohs, Journalist dienstleistung: Ohne ihn könnten wir uns einstimmung zu bringen? und Philosoph, gründete nicht zu so vielen Fragen und Problemen un- Auch das von mir gegründete gemeinnützige 2015 im Anschluss an die sere Meinungen bilden – und das ist notwen- Portal „dekoder“, das Texte unabhängiger, Ukraine-Krise das mit dem dig für eine funktionierende Demokratie. Da- liberaler russischer Medien ins Deutsche Grimme Online Award aus- mit ist Journalismus mehr als ein Produkt. Er übersetzt und die einzelnen Thematiken gezeichnete Medien-Projekt ist auch ein Kulturgut, also etwas, das aus durch Kontextartikel von Wissenschaftler*in- „dekoder.org“, nachdem sich heraus einen Wert für die Gemeinschaft nen erschließt, fiel lange Zeit durch jedes er zehn Jahre in Russland besitzt. Dies zu erkennen wird heute, da die Förderraster. Dabei steht der Kulturgut-As- gelebt und gearbeitet hatte. Werbeeinnahmen wegbrechen und die Medi- pekt bei solch einem innovativen Format zwi- Foto: Mauricio Bustamante enbranche auf der Suche nach neuen Finan- schen Wissenschaft und Journalismus an zierungsmodellen ist, immer notwendiger. erster Stelle. Welche Rolle können Stiftungen und Mäzene Manche Stiftungen wollen ausschließlich Pro- bei der Finanzierung spielen? Zunächst muss jekte in Russland fördern; andere unterstüt- eine andere Frage gelöst werden: Wie finden zen gemeinnützigen Journalismus nur, wenn die passenden Partner aus Journalismus und er in Deutschland entsteht. „dekoder“ aber Drittem Sektor zueinander und schaffen es, transferiert Content von Russland in den Innovationen hervorzubringen? deutschen Sprachraum und kommt für beide Derzeit ist es meistens so, dass Stiftungen für Förderprofile nicht in Betracht – eine para- eine Förderperiode ihre Ziele definieren. Die doxe Situation. Journalismusprojekte versuchen dann, die Erst nachdem „dekoder“ trotz knapper Finan- Stiftungen davon zu überzeugen, dass sie ins zen über mehrere Jahre seinen journalisti- entsprechende Förderprofil passen. Dabei schen Wert und seine Relevanz beweisen wird die Stiftung vom Medienprojekt zum ei- konnte, hat sich die Situation entspannt: Für nen als „Kunde“ behandelt, den man davon thematisch eingegrenzte Dossiers bestehen überzeugen muss, das geplante Format zu nun einige erfolgreiche Partnerschaften mit „kaufen“; zum anderen befindet sich das Me- Stiftungen. Dennoch ist die Finanzierung des dienprojekt auch in der Rolle des Bittstellers täglichen Redaktionsbetriebs weiterhin pre- und die Stiftung in der Rolle des Gönners. kär und lässt sich kaum mehr als ein Jahr pla- Diese Überlagerung zweier verschiedener nen. Rollenmodelle hemmt die Produktivität der Alleine kann der Dritte Sektor die finanziellen Zusammenarbeit – denn wie soll eine Stif- Fragen des Journalismus nicht lösen. Aber tung, die ihr Förderprogramm formuliert, Stiftungen und Mäzene können einen wichti- überhaupt von den Projekten erfahren, die sie gen Baustein im Finanzierungsmix darstellen, vielleicht fördern wollte, wenn sie von ihnen gerade für die Medien, die sich am wenigsten wüsste? Und wie sind die Förderkriterien und für eine kommerzielle Vermarktung eignen. Grimme Online Award 2019 12 13
Warum ein gutes Geschäftsmodell immer vom Schlimmsten ausgeht PLANEN MIT DER PLEITE Georg Dahm Wenn alles gut läuft, sind wir zum Jahresende nah. Weil im Digitalgeschäft niemand vorher- schuldenfrei. Fünf Jahre nach dem Launch sagen kann, mit welcher Kombination aus unseres Digitalmagazins „Substanz“ – und Erlösen, Produkten und Zielgruppen ein neu- viereinhalb Jahre, nachdem wir den Redakti- es Medium erfolgreich sein wird. Dafür ist das onsbetrieb gestoppt haben, weil wir sonst in Umfeld zu sehr in Bewegung: Google und die Insolvenz geschlittert wären. Wir haben Facebook ändern ihre Algorithmen, neue also eine gewisse Expertise in den unschöne- Player drängen in den Markt, Hoffnungsträ- ren Aspekten des Gründens. ger wie das iPad werden entzaubert, totge- „Und was macht ihr, wenn es nicht klappt?“, glaubte Formate wie Newsletter und Pod- wie haben wir diese Frage gehasst. Für uns casts kommen zurück. Und schließlich der schwang darin „lasst es lieber bleiben“ mit, „pivot to paid“ – im Jahr 2019 entdecken vie- ein Verharren in der Weltuntergangsstim- le Verlage, dass man Geld für Journalismus mung der Medienbranche, in der Gründer*in- nehmen kann. nen damals noch Exoten waren. Heute se- Wir sind immer wieder überrascht, wie sehr hen wir das anders: „Was macht ihr, wenn es manche Gründer*innen daran glauben, dass nicht klappt?“ ist die essenzielle Frage – wenn ihr Medienprojekt genau so funktionieren wird, man mit „es“ nicht gleich die gesamte Unter- wie sie es sich ausgedacht haben. Als wir den nehmung meint, sondern jede einzelne An- Erscheinungstag der großen „Substanz“-Ge- nahme des Geschäftsmodells. schichten von Freitag auf Montag verlegt hat- Als wir mit „Substanz“ im November 2014 an ten, schrieb ein Medienjournalist: Damit ver- den Start gingen, hatten wir eine unerwartet liert „Substanz“ sein Alleinstellungsmerkmal. lange Entwicklungsphase hinter uns. Finanzi- Da schwingt das Denken der alten Verlags- ell standen wir so mit dem Rücken zur Wand, branche mit, in der es in der Tat ein Ereignis dass sich unsere Abokurve genauso entwi- ist, wenn der „Spiegel“ nicht mehr am Mon- ckeln musste, wie wir sie in unseren Busi- tag, sondern am Freitag erscheint. In dieser nessplan geschrieben hatten. Wir hatten kei- Branche steht Veränderung immer unter dem ne Ressourcen übrig, um an unserem Pro- Verdacht der Krisenreaktion: „Läuft wohl nicht dukt etwas zu ändern; wir konnten nicht mehr so gut bei euch, was?“ Dass es bei einem experimentieren. Start-up zum Alltagsgeschäft gehört, Hypo- Und wenn ein Journalismus-Start-up nicht thesen aufzustellen und empirisch zu prüfen, mehr experimentieren kann, ist das Ende hat sich noch nicht überall herumgesprochen.
Georg Dahm ist Mitgründer des Journalismus- Start-ups Fail Better Media, dessen Wissenschafts- magazin „Substanz“ 2015 für den Grimme Online Award nominiert war. Foto: Helen Fischer Bei uns war es die Hypothese, dass unsere ihm zu arbeiten. Damit ihr das werdet, worauf Geschichten Lesestoff für das Wochenende sich Menschen freuen in ihren Posteingän- sind. Tatsächlich hatten wir mehr Traffic unter gen, Feeds oder Podcast-Apps. Das dauert. der Woche, darauf haben wir reagiert. Worauf Wer eine Paywall nach sechs Wochen wieder wir nicht mehr reagieren konnten, waren viel abschaltet, weil von wenigen Leser*innen dramatischere Erkenntnisse. Zum Beispiel noch weniger übrig bleiben, hat nicht bewie- die, dass wir für Social-Media-Marketing und sen, dass Paywalls nicht funktionieren, son- Datenanalyse eine, besser zwei Vollzeitkräfte dern dass sein Angebot nicht stimmt. gebraucht hätten. Die gefährlichste Annahme ist: „Das muss die Oder die Erkenntnis, dass wir zwar viele po- Leute doch interessieren.“ Muss es nicht. tenzielle Kooperationspartner auftun konn- Journalist*innen neigen dazu, aus ihrem Sen- ten, es aber viele Monate dauert, bis aus ei- dungsbewusstsein einen Anspruch auf Erfolg ner Absichtserklärung ein Geschäft wird, bei abzuleiten. Oder die Erwartung, dass eine dem auch Geld fließt. Stiftung ihre Arbeit finanziert. Stiftungen be- Ein weiser Mann hat uns vor dem Start ge- wegen sich mit Kontinentaldrift-Geschwin- sagt: Es wird alles länger dauern und es wird digkeit und treffen Entscheidungen nach Kri- alles mehr kosten, als ihr denkt. Ich würde terien, die für Außenstehende weitgehend heute Start-up-Gründer*innen raten: Vom unverständlich sind. Tag des Launch an müsst ihr ein Jahr durch- Mit Eigenmitteln arbeiten, so lange ihr könnt, halten können, auch wenn alles schief geht. und erst auf Fremdfinanzierung setzen, wenn Auch wenn ihr keinen Cent verdient. ihr merkt, dass sich die Dinge in eine gute In diesem Jahr müsst ihr handlungsfähig blei- Richtung entwickeln, und ihr halbwegs ver- ben mit einem Team, das alle Gewerke ab- steht, wie euer Angebot funktioniert: Das ist deckt: Inhalt, Social Media, Marketing, Ana- heute unser Rat. Und das ist auch unser Plan lytics, Technik. Ohne dass Menschen für für die Zukunft. Es gibt schönere Dinge im Le- wenig bis gar kein Geld arbeiten – weil auch ben, als jahrelang einen KfW-Gründerkredit die ihre Familien ernähren müssen und dann abzubezahlen. Aber als Unternehmer sind wir irgendwann die Vollzeitstelle annehmen. Ihr daran gewachsen. Und als Journalisten ha- braucht diese Zeit, um Erfahrungen zu sam- ben wir noch einiges vor. meln. Sammelt Daten und lernt, sie zu verste- hen. Lernt euer Publikum zu verstehen, mit Grimme Online Award 2019 14 15
Grimme Online Award 2019 STATEMENT DER JURY Es gibt heutzutage Menschen, die um die fünf- Auf ganz eigene Weise macht das bereits jetzt zig sind und die Hälfte ihres Lebens mit dem das „Techniktagebuch“, ein Gemeinschafts- Web verbracht haben. Diese Spanne von 25 blog, das seit über fünf Jahren die Veränderun- Jahren, die eine komplette Menschengenerati- gen in der uns umgebenden Alltagstechnik er- on umfasst, bot nicht nur Nutzer*innen genü- fasst und reflektiert. Das Motto des Blogs „Ja, gend Zeit, sich an die Vielfalt der Konzepte im jetzt ist das langweilig. Aber in zwanzig Jah- Netz zu gewöhnen. Gleichzeitig hatten die An- ren!“ beschreibt den preiswürdigen Ansatz bieter*innen Gelegenheit, in der Diversität klar sehr gut – und wird ihm doch nicht gerecht. erkennbare Formate und verlässliche Stan- Denn es ist überhaupt nicht langweilig, wie die dards der Online-Publizistik zu entwickeln. Die Autor*innen ihre Beobachtungen „zu Papier“ diesjährige Jury spürte das mit Blick auf das bringen. Die Jury hätte am liebsten sofort eine Tableau der Nominierten und auch bei der Zeitreise in die Zukunft unternommen, um zu Preisfindung. sehen, ob die Einträge von heute „in zwanzig Dass Dinge im Netz mitunter ein bisschen Zeit Jahren“ durch den Reifungsprozess noch bes- brauchen, um von einer guten Idee zu einem ser geworden sind. Netz-Publizistik ist also mit- herausragenden Angebot zu werden, zeigt der unter wie guter Wein: Mit der Zeit wird die Qua- Preisträger „Krautreporter“. Das Experiment, lität noch besser. Qualitätsjournalismus auf Basis einer Genos- Die Renaissance eines gefühlt in die Jahre ge- senschaftsidee entgegen gelernter Gewohn- kommenen Formats zeigte sich bereits in den heiten konsequent kostenpflichtig anzubieten, Nominierungen: Podcasts sind nicht nur (wie- hat einige unruhige Phasen durchlebt. Nun- der) in aller Munde. Sie zeigen auch, dass unter mehr präsentiert sich das Angebot konsolidiert Rückgriff auf handwerkliche Regeln gut gebau- und stellt heraus, wie ein unabhängiger, quali- ter Radio-Features in Kombination mit Pod- tativ hochwertiger Journalismus im Netz aus- cast-Stilelementen qualitativ hochwertiger sehen kann. Audio-Content im Netz verfügbar gemacht Übrigens: Der Blick auf die diesjährigen Preis- werden kann. Wenn sich wie beim prämierten träger des Grimme Online Award zeigt nicht Podcast „Mensch Mutta.“ die Autorin nicht nur nur auf, dass das Netz insgesamt mittlerweile auf eine spannende Spurensuche der jüngeren Gegenstand historischer Betrachtungen sein ostdeutschen Geschichte macht, sondern das kann. Der Preis selbst ist längst erwachsen ge- geschickt mit der eigenen Familien-Historie worden und feiert im kommenden Jahr zwan- verknüpft, kommt dabei ein wahres Schmuck- zigstes Jubiläum. Man fragt sich: Wo sind sie, stück heraus – und obwohl es sich um ein do- die ersten Digitalhistoriker*innen, die einen kumentarisches Angebot handelt, ist man ge- Blick genau darauf werfen? Und: Wird es An- neigt zu sagen: Kino für die Ohren. gebote geben, die sich mit der Entwicklung Dazu brauchte es keinen Sender im Hinter- des Netzes systematisch befassen? grund, keine große Redaktion. Wie sich über-
Die Jury zum Grimme Online Award 2019 (von links nach rechts): Kai Heddergott (selbst- ständiger Kommunikations- berater), Lorenz Maroldt (Chefredakteur Tages- spiegel), Brigitte Baetz (freie Medienjournalistin), Daniel Fiene (Rheinische Post), Aylin Kazi (Studentin), Lorenz Lorenz-Meyer (Hochschule Darmstadt), Lena Thiele (Miiqo Studios) haupt in diesem Jahrgang die Angebote die Grundlage für die Debatte zu einem gesell- durchgesetzt haben, die abseits der großen schaftlich hoch relevanten Thema. Häuser entstanden sind, als Teamwork oder Den Blick von einem alle Welt interessierenden von Einzelpersonen, manches Mal mithilfe der (sporthistorischen) Ereignis auf Nebenschau- Crowd, immer mit viel Leidenschaft und oft plätze zu richten war das Konzept von „Buter- ohne große Ressourcen. brod und Spiele“. Im zeitlichen Umfeld der Auch die Videoessays des in diesem Jahr prä- Fußball-Weltmeisterschaft 2018 in Russland mierten YouTube-Angebots „Ultralativ“ und das machten sich die Autoren auf einen Weg ab- ebenfalls ausgezeichnete kanalübergreifende seits der Spielorte. Finanziert hatten das inter- Satire-Format „Krieg und Freitag“ zeugen von essierte Nutzer*innen durch Crowdfunding – der Qualität individueller Angebote. Während und wurden belohnt mit einer absolut auf der einen Seite zwei Studenten hochwertig zeitgemäß aufbereiteten und journalistisch produzierte Videos ins Netz stellen und „das In- hochwertigen Reportage-Reise. Die Qualität ternet und den ganzen absurden Rest“ erklä- der Texte und Fotos macht das Ganze dann ren, kommentiert auf der anderen Seite ein zu einem der Preisträger. „Einzelkämpfer“ nebenberuflich mit Strich- Dass das Netz aber nicht nur zu historischen männchen crossmedial Themen der Zeit. Und Betrachtungen taugt, sondern auch für den beide Formate erhalten dafür einen Award. Blick nach vorne, zeigt die Prämierung der Und Leidenschaft braucht es zum Beispiel, TINCON. Dieses Event-Format gäbe es nicht wenn die Basis für ein gelungenes Angebot die ohne das Internet. Es macht das Internet mit Auswertung und Verknüpfung größerer Daten- Blick auf die nachwachsende Generation zum bestände ist. Unter den Nominierungen, bei Thema und bietet einen Diskursraum für junge denen existierende Datenbestände verfügbar Menschen zwischen 13 und 21 Jahren. Den gemacht wurden oder die Auszählung von Beitrag zur gesellschaftlichen Debatte, wie das Häufigkeiten zu neuen Aussagen und Per- Netz unser Leben mitbestimmt und wie das spektiven führt, zeigt das aus Sicht der Jury auf künftig sein sollte, hat die Jury als preiswürdig preiswürdigste Art „Wem gehört Hamburg?“. erachtet. Auf der Basis von durch Nutzer*innen bereit- Insgesamt lässt sich feststellen: Wegweisende gestellten Daten zu Miet- und Eigentums- Technikspielerei muss keine Bedingung für ei- immobilien wurde der Versuch unternommen, nen Grimme Online Award sein, dieses Jahr eine Schneise der Transparenz in das Dickicht gehen die prämierten Angebote eher auf den des Wohnungsmarkts zu schlagen. Das Kon- Kern des (guten) Journalismus zurück und wer- zept des Crowd-Newsrooms ist für andere den für genau diese Qualität ausgezeichnet. Die Städte, in denen man Gleiches untersucht, Jury ist gespannt, welche neuen Formate sich adaptierbar – und bietet mit seiner netzpubli- im kommenden Jubiläumsjahr zeigen, und freut zistischen Aufbereitung auch in Partnermedien sich auf frische Ideen der Online-Publizistik. Grimme Online Award 2019 16 17
PREISTRÄGER Kategorie: Information KRAUTREPORTER Preis verliehen für Konzept und Umsetzung Internetadresse: Anbieter: krautreporter.de Krautreporter eG Verantwortliche Personen: Theresa Bäuerlein (Konzept und Umsetzung) Ruben Grimm (Umsetzung) Philipp Daum (Umsetzung) Sara Hesse (Umsetzung) Sebastian Esser (Konzept und Umsetzung) Gregory Igelmund (Umsetzung) Christian Fahrenbach (Umsetzung) Silke Jäger (Umsetzung) Bent Freiwald (Umsetzung) Christoph Koch (Umsetzung) Vera Fröhlich (Umsetzung) Alexander Krützfeldt (Umsetzung) Leon Fryszer (Umsetzung) Josa Mania-Schlegel (Umsetzung) Christian Gesellmann (Umsetzung) Susan Mücke (Umsetzung) Esther Göbel (Umsetzung) Philipp Schwörbel (Konzept und Umsetzung) Martin Gommel (Umsetzung) Alexander von Streit (Konzept und Umsetzung) Rico Grimm (Konzept und Umsetzung) Begründung der Jury: Die „Krautreporter“ überzeugt, die Vorbildcharakter für andere betreiben im besten Sinne konstruktiven Jour- On- und Offline-Medien hat. „Krautreporter“ nalismus – ohne ihn als solchen zu bezeich- protokolliert die Erfahrungen von Sterbe- nen. Sie konkurrieren nicht mit den großen begleiter*innen, informiert über die fehlenden Nachrichtenportalen und gerade daraus Fortschritte in der Grundlagenphysik, führt in schöpfen sie ihre publizistische Kraft. Die Re- die Mysterien der klassischen Musik ein oder daktion erhebt nicht den Anspruch, erklären klärt über die Vorteile von künstlich gezüchte- zu können, was die Welt im Innersten zusam- tem Laborfleisch auf. menhält, doch sie nimmt ihren Claim „Verste- Mit großen Worten waren die „Krautreporter“ he die Zusammenhänge“ ernst. Die Leser*in- an den Start gegangen und hatten sich damit nen diskutieren mit der Redaktion auf neben Spendengeldern auch einige Kritik ein- Augenhöhe, ihre Fragen und Anregungen gehandelt. Sie wollten nichts weniger als den werden von den „Krautreporter“-Autor*innen „kaputten Journalismus“ im Internet reparie- aufgenommen. In vorbildlicher Weise wird hier ren. Fünf Jahre und etliche strukturelle, perso- auf die Lebenswelt der Leser*innen eingegan- nelle und inhaltliche Veränderungen später gen, ohne ihnen nach dem Mund zu reden. lässt sich feststellen: Die „Krautreporter“ ha- Die Jury des Grimme Online Award hat die ben zu sich selbst gefunden und das in aus- thematische Breite und Tiefe des Angebots zeichnungswürdiger Art und Weise.
GRIMME ONLINE AWARD Beschreibung: Mit einer großen Crowdfun- ding-Aktion gründeten sich die „Krautrepor- ter“ 2014 als unabhängiges Portal für qualita- tiv hochwertigen Online-Journalismus. Nach verschiedenen Umstrukturierungen trägt nun eine Genossenschaft die Kernredaktion. Abonnent*innen können Hintergrundberichte und Reportagen zu relevanten Themen lesen. Wert gelegt wird sowohl auf die Meinung der Genossenschaftsmitglieder als auch auf die der Abonnent*innen: Sie können nicht nur kommentieren, sondern sollen auch Ideen und Informationen einbringen. Grimme Online Award 2019 18 19
PREISTRÄGER Kategorie: Information WEM GEHÖRT HAMBURG? Preis verliehen für Idee, Recherche und journalistische Umsetzung Internetadresse: Anbieter: wem-gehoert-hamburg.de Correctiv Verantwortliche Personen: Margherita Bettoni (Recherche und journalistische Umsetzung) Anne-Lise Bouyer (Idee, Recherche und journalistische Umsetzung) Justus von Daniels (Idee, Recherche und journalistische Umsetzung) Ruth Fend (Recherche und journalistische Umsetzung) Elisa Harlan (Umsetzung) Knut Hühne (Umsetzung) Ivo Mayr (Umsetzung) Jonathan Sachse (Idee, Recherche und journalistische Umsetzung) Benjamin Schubert (Umsetzung) Jonas Seufert (Umsetzung) Simon Wörpel (Recherche und journalistische Umsetzung) Begründung der Jury: Der Wohnungsmarkt zur Profitmaximierung und Tricks zu exor- in Städten ist zunehmend geprägt von stark bitanten Mietsteigerungen an den Gesetzen steigenden Mieten. Undurchsichtige Eigen- vorbei. tumsverhältnisse und unseriöse Vermieter*in- Neben der Relevanz des Themas zeichnet nen machen den Mieter*innen zu schaffen das Projekt vor allem die interaktive Recher- und bringen die gesamte Branche in Verruf. che über den extra eingerichteten Newsroom „Correctiv“ hat es sich zum Ziel gesetzt, hier aus. Auch die journalistische Umsetzung so- Transparenz herzustellen und die Verhältnisse wie die Visualisierung und der sensible Um- auf der Basis von Datenanalysen und Einzel- gang mit den gewonnenen Daten haben die fallauswertungen auszuleuchten – Stadt für Jury überzeugt. Hervorzuheben sind zudem Stadt, jeweils mit einem lokalen Kooperati- die Veranstaltungen mit Mieter*innen, Vermie- onspartner. ter*innen und Verbänden, die zur Projektidee Bereits beim Hamburger Modellprojekt ge- gehören. Dort werden die Ergebnisse der digi- meinsam mit dem „Hamburger Abendblatt“ talen Recherche mit der Stadtgesellschaft konnten so wertvolle Erkenntnisse gewonnen und der Politik diskutiert. „Wem gehört Ham- werden für eine der wichtigsten gesellschaft- burg?“ ist ein herausragendes Beispiel dafür, lichen Debatten derzeit. Offengelegt wurden wie Journalismus im Netz und unter Nutzung verschachtelte Unternehmensstrukturen, die digitaler Tools seiner gesellschaftlichen Aufga- systematische Verdrängung von Mieter*innen be und Verantwortung gerecht werden kann.
GRIMME ONLINE AWARD Beschreibung: Gemeinsam mit dem „Ham- burger Abendblatt“ hat das Recherchekollek- tiv „Correctiv“ mehr Transparenz in den Ham- burger Wohnungsmarkt gebracht. In einem eigens eingerichteten Crowd-Newsroom ha- ben sie Angaben von mehr als 1.000 Mie- ter*innen ausgewertet und so Eigentumsda- ten zu über 15.000 Wohnungen recherchiert. In den Hintergrundgeschichten wird klar, an wen die Stadt ihr Eigentum verkauft, wessen Profitgier die Mieten in die Höhe treibt und was ein undurchsichtiger Wohnungsmarkt mit Geldwäsche zu tun hat. Grimme Online Award 2019 20 21
PREISTRÄGER Kategorie: Wissen und Bildung ULTRALATIV Preis verliehen für Idee und Umsetzung Internetadresse: youtube.com/ultralativ Verantwortliche Personen: Fynn Kröger (Idee und Umsetzung) Paul Schulte (Idee und Umsetzung) Begründung der Jury: Animiert, knapp und bot, das unterhaltsam ist, dem es aber nicht kritisch: Paul Schulte und Fynn Kröger schaf- an inhaltlicher Tiefe mangelt – ganz im Gegen- fen mit ihren Videos ein eigenständiges For- teil: Um komplizierte Themen für Jugendliche mat, mit dem sie sich als Teil der kleinen, me- verständlich zu machen, nutzen Schulte und dienkritischen Szene auf YouTube genau dort Kröger Referenzen aus aktuellen, „trendigen“ mit ihrem Medium auseinandersetzen. Mainstream-Themen des Internets. Hierbei Mit Verbildlichungen und klaren Argumenten scheuen sie sich auch nicht davor, die Influen- behandeln sie in den durchschnittlich zwei- bis cer- und YouTuber-Elite sowie ihren Einfluss fünfminütigen Videos aktuelle und relevante und ihr Handeln zu kritisieren. Zusätzlich set- Themen aus dem und rund ums Internet. Auch zen sie sich in ihrem knappen Format namens komplexe Sachverhalte erklärt das YouTube- „Wochenschau“ regelmäßig mit aktuellen Ge- Duo so knapp zusammengefasst, dass jeder schehnissen der YouTube-Sphäre auseinan- die Zeit finden sollte, sich zu informieren. der. Das junge Format sorgt mit satirisch-pro- Hierbei schafft es durch eine professionelle vokativer, jedoch durchdachter Kritik und ansprechende visuelle Aufbereitung der gegenüber den Online-Vorbildern der Jugend Themen eine bemerkenswerte Stringenz und für mehr Transparenz in der oftmals undurch- Qualität, die im übersaturierten YouTube-Kos- sichtigen und kommerzialisierten Internet- mos oft nicht gegeben ist. Szene. Ausgehend von einer tiefen Recherche bietet „Ultralativ“ ein leicht konsumierbares Ange-
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