Grimme Online Award - ONLINE QUALITY - Grimme-Institut

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Grimme Online Award
Grimme Online Award - ONLINE QUALITY - Grimme-Institut
INNOVATIV.
                             INFORMATIV.
                           IMMERSIV.

                         Nominiert für den Grimme Online Award 2019

                                      glueckauf.wdr.de

                                      Mit der Schließung der letzten Zeche ging 2018 im Westen eine Ära zu Ende.
                                      Deshalb setzt das WDR-Projekt »Einmal Kumpel sein« den Bergleuten und
                                      der Bergbaukultur aus diesem Anlass ein einzigartiges digitales Denkmal.
                                      Dadurch kann die eindrucksvolle Welt unter Tage weiterhin mit eigenen Augen
                                      erlebt und interaktiv virtuell begangen werden.

                                      Idee, Konzept und Umsetzung: Michelle Blum,
© WDR/Annika Fußwinkel

                                      Stefan Domke, Thomas Hallet, David Ohrndorf
                                      Redaktionelle Verantwortung: Stefan Moll
Grimme Online Award - ONLINE QUALITY - Grimme-Institut
INHALTSVERZEICHNIS

03   Editorial

05   Grußwort

06 	Interview mit Prof. Dr. Christian-Mathias
     Wellbrock, Universität zu Köln
	Journalismus sollte sich stärker über den Markt
     finanzieren

08   Henriette Heidbrink
     Finanzierungsmodelle im digitalen Journalismus

10   Pauline Tillmann
     Die neue Währung

11   Frank Joung                                      34 	Statement der Nominierungskommission
     Wie Spenden Podcasts finanzieren                      des Grimme Online Award 2019

12   Tanja Krämer & Christian Schwägerl                    NOMINIERUNGEN Grimme Online Award
     Die digitale Genossenschaft
                                                      36 Information
13   Martin Krohs                                     38 Wissen und Bildung
     Ist das die Zukunft?                             41 	Kultur und Unterhaltung
                                                      45 Spezial
14   Georg Dahm
     Planen mit der Pleite
                                                      46   Nicola Kleer
                                                           Effekte auf den digitalen Journalismus
16   Statement der Jury
     des Grimme Online Award 2019                     48   Preispat*innen

     PREISTRÄGER Grimme Online Award                  50   Moderation & Showact

    Information                                       51   Thomas Schnedler
18 Krautreporter                                           Im Auftrag der Gesellschaft
20 Wem gehört Hamburg?
	Wissen und Bildung                                  52   Alexander Fanta
22 Ultralativ                                              Unabhängige Medien und ihre Gönner
    Kultur und Unterhaltung
24 Buterbrod und Spiele                               53   Felix Friedrich
26 Krieg und Freitag                                       „Wie bei einer Droge“
28	Mensch Mutta.
30 Techniktagebuch                                    54   Förderer, Partner & Sponsoren
    Spezial
32 TINCON                                             56   Impressum

                                                                                    Grimme Online Award 2019   1
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MEHR KULTUR
                                                   AUS UND FÜR NRW
                    / 20 19
          w es t 05

                                                                                                      ZEHN EN
                  ku ltu r.

                                                                                                      AUSG AB
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                                                                                                       PRO
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                                                                   E L
                                                             MICHA
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                                                                                                                13 – 42 73
                                                                                                   | IS SN 16
                                                                                  E|M   AI 20 19
                                                              KU LT   UR W ES T.D
                                                                                                                                                14:52
                                                                                                                                     18.04.19
       kulturwest.de

                                         12:45
                              15.04.19
Grimme Online Award - ONLINE QUALITY - Grimme-Institut
EDITORIAL

Dr. Frauke Gerlach, Direktorin Grimme-Institut
Foto: Annette Etges

Meine sehr geehrten Damen und Herren,
liebe Leserinnen und Leser,

waren Sie vielleicht in diesem Jahr Besucherin oder Besu-      stand gegen die Verkürzung und Verflachung, Widerstand
cher der Digitalkonferenz re:publica oder haben über sie       gegen Polarisierung und Ausgrenzung.
gelesen? Dann wissen Sie:                                      Lernen können wir aber auch von den Gremien des Grim-
Die #rp19, so der Hashtag, hat sich in diesem Jahr mit         me Online Award – der Nominierungskommission und der
ihrem Slogan „tl;dr“ (too long; didn’t read) dem Kleinge-      Jury, die Jahr für Jahr das „genaue Hinsehen“ praktizie-
druckten gewidmet, „den Fußnoten und der Kraft der Re-         ren und mit Leben füllen – ein Hinsehen, das längst auch
cherche“, wie die Initiatorinnen und Initiatoren es nennen,    Hören und Lesen ist und für alle Beteiligten eine Menge
und auch dem Wissen und der konstruktiven Auseinan-            Arbeit bedeutet.
dersetzung. Denn: Allzu oft werden Verkürzungen, simple        Und natürlich möchte ich den Autorinnen und Autoren für
Parolen und Slogans dazu missbraucht, unsere – zuneh-          ihre Beiträge zu dieser Publikation danken, die sich um
mend digitale – Gesellschaft zu spalten oder bestehende        die Frage dreht: Wie lassen sich hochwertige Inhalte im
Risse zu vertiefen.                                            Netz finanzieren? Bezug genommen wird dabei auf ein
Dem mit diesem Jahresmotto der re:publica verbunde-            Projekt des Grimme-Forschungskollegs an der Universi-
nen Aufruf zur Wachsamkeit möchte ich mich explizit an-        tät zu Köln, welches sich auseinandergesetzt hat mit der
schließen. In der Tat sollten wir Widerstand leisten – ge-     ökonomischen Seite des Netzes (nachzulesen unter: blog.
gen die Verkürzung, die Verflachung, die sich so schnell       grimme-online-award.de/category/forschung/). Auch das
ins Antidemokratische wendet und manchmal im blanken           ist Grimme 2019 und soll hier abgebildet werden.
Hass gipfelt. Das sollte uns das Netz wert sein, schließlich
gehört es mittlerweile ganz selbstverständlich zu unse-        Also: ein großes Danke, viel Spaß beim Lesen und leisten
rem Alltag. Dabei können wir lernen von den Nominierten        Sie Widerstand!
und den Preisträgerinnen und Preisträgern des Grimme
Online Award, mit ihren akribisch recherchierten Inhalten,
neuen Blickwinkeln und immer wieder beeindruckenden
Formaten, die uns mal zu Herzen gehen, mal zum Denken
anregen und, im besten Fall, all dies zusammen: Wider-         Dr. Frauke Gerlach

                                                                                            Grimme Online Award 2019   2 3
Grimme Online Award - ONLINE QUALITY - Grimme-Institut
Grimme
Online
Award 2019
Gratulation den
Nominierten und
Preisträgern!

Film- und Medienstiftung NRW
Kaistrasse 14, 40221 Düsseldorf
www.filmstiftung.de
info@filmstiftung.de
       @filmedienrw
Grimme Online Award - ONLINE QUALITY - Grimme-Institut
GRUSSWORT

                                                Nathanael Liminski,
                                                Staatssekretär und Chef der Staatskanzlei des Landes Nordrhein-Westfalen
                                                Foto: Land NRW / Ralph Sondermann

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Leserinnen und Leser,

ohne Medienvielfalt ist ein demokratischer Diskurs nicht zu      Umso wichtiger ist es, dass gerade auch im Netz hochwer-
haben. Kommunikation und Austausch sind die Basis für            tige und von Menschen gemachte journalistische Inhalte
ein gutes Zusammenleben – und dazu braucht es auch kri-          ihren Platz finden und es in Zukunft im digitalen Wandel
tische Medien.                                                   gelingt, dafür passende Geschäfts- und Erlösmodelle zu
Auch in einer digital geprägten Welt muss es Räume und           entwickeln.
Wege geben, die Themen auszuhandeln, die uns als Men-            Und wenn das Leiden die Freude über die vielfältige Berei-
schen bewegen – seien es gesellschaftspolitische The-            cherung, die das Netz für unser Leben bedeutet, überla-
men, Fragen der wirtschaftlichen und der kulturellen Ent-        gert, denke ich immer: Gut, dass es den Grimme Online
wicklung oder auch des täglichen Miteinanders. Das Netz          Award gibt, der uns mittlerweile im 19. Jahr zeigt, wo wir im
hat sich längst als Sphäre meinungsbildender Diskurse            Netz die guten Seiten der digitalen Kommunikation finden
etabliert.                                                       können.
Allerdings kann man angesichts der Vielfalt im Netz auch
den Überblick verlieren. Und nicht selten fühlen wir uns         Danke dafür, herzlichen Glückwunsch den Preisträgerin-
durch allzu polemische oder auch respektlose Beiträge he-        nen und Preisträgern und natürlich auch allen Nominierten!
rausgefordert oder gar abgestoßen. Als Spiegel und digita-
le Verlängerung unserer analogen Gesellschaft bildet das
Netz alle Facetten ab, die wir auch offline erleben und
manchmal auch erleiden müssen.

                                                                 Nathanael Liminski

                                                                                                  Grimme Online Award 2019   4 5
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Interview zum Grimme-Forschungsprojekt „Demokratierelevanter digitaler Journalismus“
mit Prof. Dr. Christian-Mathias Wellbrock

JOURNALISMUS SOLLTE
SICH STÄRKER ÜBER DEN
MARKT FINANZIEREN
                   Wie würden Sie das aktuelle Verhältnis              Journalismus kommerziell erfolgreich betrei-
                   zwischen dem Digitalen und der Demo-                ben zu können. Jedes journalistische Ange-
                   kratie beschreiben?                                 bot sollte herausfinden, was die Bedürfnisse
                   Auf der einen Seite hat das Internet zur De-        und Motive der Konsument*innen sind, die es
                   mokratisierung der Kommunikation geführt,           erfüllen kann, und dann entsprechende Pro-
                   durch die Tatsache, dass jeder publizieren          dukte entwickeln. Also aus der anderen Rich-
                   kann. Auf der anderen Seite tun es Menschen         tung denken als es traditionell im Journalis-
                   und Institutionen, denen nicht unbedingt an         mus der Fall war, wo die Anbieterseite
                   hehren Zielen oder Motiven gelegen ist. Na-         entscheidet, was wichtig ist. Dann kann es
                   türlich lässt sich das Internet gezielt zur Mani-   sein, dass Menschen bereit sind für etwas zu
                   pulation und zum eigenen Nutzen einsetzen           zahlen, das nicht zwangsläufig journalistischer
                   – das war in der Geschichte der Zeitung nicht       Content ist, sondern zum Beispiel soziale Zu-
                   anders. Die ersten Zeitungen hatten auch            gehörigkeit oder soziale Verantwortung.
                   nicht das Ziel, die Demokratie zu stärken,          Gibt es die Gefahr, dass Menschen aus-
                   sondern waren Partei- oder Kirchenzeitungen.        geschlossen werden, weil sie sich Jour-
                   Was wir tun können, ist die Digitalisierung ge-     nalismus nicht leisten können?
                   stalten. Wir können rechtliche, moralische          Jeff Jarvis hat mal ausgerechnet, was er für
                   und ethische Rahmen bilden, um die Gefah-           publizistische Inhalte, die ihn interessieren,
                   ren so gut es geht zu minimieren.                   bezahlen müsste: 3.500 Dollar im Jahr. Das
                   Was betrachten Sie als demokratierele-              heißt, tendenziell besteht diese Gefahr, dass
                   vanten Journalismus? Und welche digita-             man Bevölkerungsgruppen ausschließt, gera-
                   len Akteure haben Sie berücksichtigt?               de durch den aktuellen Trend Content direkt
                   Journalismus ist demokratierelevant, wenn er        zu monetarisieren. Auch ist die gesellschaftli-
                   typische Funktionen erfüllt wie Information         che Wirkung von Journalismus größer, wenn
                   und Bildung, Kritik und Kontrolle und auch öf-      ihn möglichst viele Menschen konsumieren
                   fentliche Meinungsbildung. Beim Grimme-             und das zu besseren Entscheidungen im de-
                   Forschungsprojekt ging es darum, ein Gefühl         mokratischen Sinne führt. Auf der anderen
                   zu kriegen, was digitalen Journalismus erfolg-      Seite müssen wir sehen, dass digitaler Jour-
                   reich macht – sowohl im publizistischen als         nalismus überhaupt finanziert wird.
                   auch im wirtschaftlichen Sinne.                     In der Kategorie „Information“ sind vier
                   Genossenschaft, Crowdfunding oder                   sogenannte „Indie“-Medien nominiert. Ist
                   Stiftungen – haben Sie ermittelt, was das           das ein Trend?
                   beste Modell ist, um Journalismus zu fi-            Ich würde vorhersagen, dass wir mehr journa-
                   nanzieren?                                          listische Gründungen sehen. Das liegt daran,
                   Ich schätze, dass man mindestens drei bis           dass im digitalen Markt die Eintrittsbarrieren
                   fünf verschiedene Erlös-Modelle braucht, um         geringer und die Kostenstrukturen günstiger
Grimme Online Award - ONLINE QUALITY - Grimme-Institut
Christian-Mathias Wellbrock ist Professor für
                                                  Medien- und Technologiemanagement an der
                                                  Universität zu Köln. Zuvor war er u. a. Juniorprofessor
                                                  an der Universität Hamburg und Visiting Assistant
                                                  Professor an der Michigan State University. Seine
                                                  Forschungs- und Lehrschwerpunkte sind digitaler
                                                  Journalismus, Technologieakzeptanz, Plattformökono-
                                                  mik und Sportökonomik. Aktuell befasst er sich mit
                                                  Erfolgsbedingungen und -faktoren für journalistische
                                                  Gründungen und der Bezahlabsicht und Zahlungs-
                                                  bereitschaft für digitalen Journalismus.
                                                  Foto: Lisa Beller

sind: Heutzutage kann man sogar unterwegs         ben. Was tatsächlich hilfreich wäre, wenn es
auf dem Smartphone produzieren und publi-         Organisationen gäbe, die eine Infrastruktur für
zieren.                                           gründende Journalist*innen schaffen: Das be-
Ist denn digitaler Journalismus besser –          trifft Bezahlsysteme, Buchhaltung, Steuer
im Sinne von Wissensvermittlung? Dass             oder Rechtliches – all das ist gut skalierbar
man sich engagiert und dass man einbe-            und günstiger für den Einzelnen, wenn sich
zogen wird?                                       mehrere Journalisten zusammentun. Im End-
Das Potenzial ist da, weil digitaler Journalis-   effekt spreche ich von einem Ökosystem für
mus immersiver sein kann. Aber es muss            selbstständigen digitalen Journalismus, der
funktional eingesetzt werden, denn es macht       dann auch ganz gute Chancen hat.
keinen Sinn, aus jeder Geschichte ein Multi-      Wenn Sie einen Blick in die Zukunft des
media-Feature zu machen. Woran es noch            Journalismus werfen – ist er pessimis-
mangelt, ist eine systematische Erforschung       tisch oder positiv?
der Effekte – beispielsweise, ob Leute bedingt    Wir haben noch keine bessere Institution ge-
durch bestimmte Darstellungsformen ein grö-       funden als den Journalismus, um unserer De-
ßeres Bedürfnis haben, sich für diese Themen      mokratie zuträglich zu sein. Also müssen wir
zu engagieren oder sich für sie zu interessie-    einen Weg finden, wie wir hochwertigen Jour-
ren.                                              nalismus weiterhin finanzieren können. Zu-
Kann es sein, dass Journalisten die Busi-         nächst – das ist meine persönliche Auffas-
ness-Kompetenz fehlt, weil sie eine strik-        sung – sollten wir versuchen, das über den
te Trennung von Verlag und Redaktion              Markt zu klären. Die große Hoffnung wäre,
gelernt haben?                                    dass der Journalismus versucht, sich selbst
Es scheint in der Tat so zu sein, dass die Bu-    zu helfen und nicht über die Politik geht und
siness-Kompetenz nicht so ausgeprägt ist.         zum Beispiel ein Leistungsschutzrecht durch-
Ich möchte aber betonen, dass das nicht           drückt. Dadurch, dass es Journalismus gibt,
zwangsläufig negativ ist. Es hilft, sich Be-      leben wir in einer besser funktionierenden De-
triebswirtschafts- oder Management-Kompe-         mokratie und davon profitieren auch Men-
tenzen anzueignen, aber man hat begrenzte         schen, die sich nicht an der Finanzierung be-
Kapazitäten und je mehr Business Skills desto     teiligen. Somit ist die Nachfrage nach
größer die Wahrscheinlichkeit, dass journalis-    Journalismus niedriger als das ökonomisch
tische Fähigkeiten über Bord gehen. Das ist       effizient wäre. Man kann relativ klar sagen,
nicht Sinn der Sache, weil die Demokratierele-    dass es eher schwieriger wird Journalismus
vanz von Journalismus leiden würde. Ent-          über den Markt zu finanzieren. Aber wir müs-
scheidend ist, dass man offen ist für betriebs-   sen es ausprobieren und dafür Bedingungen
wirtschaftliches Denken, weil es notwendig        schaffen.
ist, um Journalismus kommerziell zu betrei-                                    Interview: Christina Quast

                                                                                                         Grimme Online Award 2019   6 7
Grimme Online Award - ONLINE QUALITY - Grimme-Institut
Flattr, Blendle, Readly

FINANZIERUNGS-
MODELLE IM DIGITALEN
JOURNALISMUS                                                       Henriette Heidbrink

                Als der Journalismus in die Bredouille geriet,      deren waren viele Nutzer*innen unzufrieden
                hatte es die Musik- und Filmindustrie schon         mit dem Datenschutz – schließlich muss Flattr
                erwischt: Digitalisierung und Disruption. Man       nachhalten, wer wo wie lange verweilt, um
                wusste, dass Medienschaffende im Netz               das Geld entsprechend verteilen zu können.
                Reichweite aufbauen müssen, denn mehr               Mit dem wachsenden Vertrauen in die Zah-
                Publikum bedeutet mehr Relevanz, potenziel-         lungsbereitschaft des Publikums verschwan-
                le Bezahler*innen und ein attraktiveres Wer-        den in den vergangenen fünf Jahren in Europa
                beumfeld. Auch überlegte man, ob sich Mo-           immer mehr Inhalte hinter Bezahlschranken.
                delle wie Spotify oder Netflix auf den              Mit der Entwicklung von Paywalls, Abos und
                Journalismus übertragen lassen.                     Tagespässen drängte sich auch die Frage
                Der Social-Payment-Anbieter Flattr zeigte be-       auf, ob es sinnvoll sei, einzelne Artikel zu ver-
                reits 2010, dass Rezipient*innen im Internet        kaufen. Denn das sogenannte Entbündeln ist
                freiwillig für Inhalte zahlen. Vor allem Podcas-    eine heikle Angelegenheit: Konsument*innen
                ter*innen haben mit Flattr gut verdient – viel-     finden es prinzipiell gut, wenn sie Rosinen pi-
                leicht, weil sie eine besonders intensive Be-       cken dürfen. Aber der „Spiegel“ hat seine Mit-
                ziehung zu ihren Fans haben. Insgesamt              te 2016 gestartete Allianz mit LaterPay weni-
                waren die Einnahmen via Flattr allerdings zu        ge Monate später aufgelöst, weil die Erlöse
                gering und 2017 folgte ein Neustart, der aus        der Einzelverkäufe zu gering und zu unbe-
                zwei Gründen kritisiert wurde: Zum einen            ständig waren. LaterPay konzentriert sich
                konnte man nicht mehr bestimmen, wem                derweil auf den US-Markt und entwickelt un-
                man Geld zukommen ließ; stattdessen wurde           ter anderem Pässe, mit denen Konsument*in-
                das Budget anteilig an diejenigen Cont-             nen ein journalistisches Angebot eine Zeit
                ent-Kreatoren verteilt, auf deren Websites die      lang werbefrei nutzen können.
                Flattr-User am längsten verweilten. Zum an-         Dennoch haben sich einige Verlage auf den

                Finanzierungsmodelle für digitalen Journalismus

                                                                                      Steady

                                                                   Pocketstory
                           Laterpay

                                                     Readly
                                                                                    RiffReporter

                             Flattr
                                                                    Blendle

                            2010                     2014           2015              2017           2020
Henriette Heidbrink hat Medienwissenschaften an der
                                                    Universität Siegen studiert. Nach der Promotion im
                                                    DFG-Forschungskolleg „Medienumbrüche“ war sie
                                                    mehrere Jahre als Beraterin, Dozentin und Coach an
                                                    der Schnittstelle von Journalismus, Organisations-
                                                    kommunikation und Business Development tätig.
                                                    Aktuell vertritt sie die Professur „Journalistik und
                                                    Crossmedia“ im Fachbereich Media an der Hoch-
                                                    schule Darmstadt.

Versuch eingelassen, einzelne Artikel über          tik, Wirtschaft, Kultur und Wissenschaft. Es
Online-Kioske wie Blendle oder Pocketstory          ist also nicht unbedingt demokratierelevanter
zu verkaufen. Während unbekanntere Jour-            Journalismus, der gestreamt wird, dafür
nalismusprojekte darauf hoffen, dass Kiosk-         scheint die Reichweite zu wachsen.
besucher*innen ihre Artikel zufällig entde-         Auch journalistische Initiativen haben die Evo-
cken, fürchten Platzhirsche, dass ihre Marke        lution der digitalen Finanzierungsmodelle vo-
verwässert, dass weniger Abos abgeschlos-           rangetrieben: 2017 ist Steady gestartet, ein
sen oder dass bestehende Abos sogar ge-             Dienst, der es Medienschaffenden ermög-
kündigt werden könnten. Eine noch nicht ver-        licht, eine regelmäßige finanzielle Unterstüt-
öffentlichte Studie der Universitäten Hamburg       zung durch ihr Publikum in variabler Höhe zu
und Groningen legt nahe, dass diese Furcht          organisieren. Der Erfolg spricht für sich: Von
begründet sei. Die Verlage haben zudem den          „Bildblog“ über „Social Media Watchblog“ bis
Nachteil, dass sie keinen Zugriff auf die Daten     „The Pod“ sammeln starke Stimmen ihre Bei-
der Online-Kioske haben und das Marketing           träge über Steady ein, das sich selbst als Mit-
nicht beeinflussen können.                          gliedschaftsmodell beschreibt. Kann man da-
Kucken, klicken, kaufen geht schnell und ein-       mit Geld verdienen? Ja, wenn man
fach – vor allem Blendle überzeugt mit hoher        überdurchschnittliche Strahlkraft hat. Die er-
Usability. Dennoch scheint es sich nicht            folgreichen Projekte werden von Profis betrie-
durchzusetzen. Das Unternehmen veröffent-           ben oder von Newbies mit steiler Lernkurve.
licht keine Umsätze, die Nutzerzahlen sollen        Apropos Demokratie-Relevanz: Es soll Kon-
seit dem Start gestiegen sein. Aber es bleibt       sument*innen geben, die ein starkes Interes-
fraglich, ob die via Blendle erzielten Erlöse die   se an relevanten Themen haben – seien es
Risiken aufwiegen – zumal diese durch die           Brexit oder Klimakatastrophe. Aber sie schlie-
Kiosk-Gebühren noch geschmälert werden.             ßen keine Abos ab, weil sie bewusst verglei-
Artikel aus „Welt“ und „Zeit“ sind jedenfalls       chend lesen wollen. Was ihnen fehlt, ist die
nicht mehr erhältlich und die meisten Men-          Option titelübergreifende Themenbündel zu
schen jenseits der publizistischen Szene ken-       erwerben. Man könnte auch eine Staffel
nen Blendle nicht mal.                              hochwertigen und vielstimmigen Brexit-Jour-
Während Blendle für das iTunes-Prinzip steht,       nalismus verkaufen. Solche Bündel ließen
wurde Readly als das Netflix des Journalis-         sich deutlich höher bepreisen als Einzeltexte
mus angekündigt. Nach dem vierten Quartal           und es ergäbe sich immerhin eine mittelfristig
2017 meldete Readly, dass über 5,7 Millionen        stabile Finanzierung über die Laufzeit der
Magazinausgaben bezahlt wurden. Das An-             Staffel. Damit würde allerdings ein Problem
gebot ist auch ohne Titel von Gruner + Jahr         weiter befeuert, denn so schön gut bezahlter,
und Burda relativ stark in der Unterhaltung         demokratierelevanter Journalismus ist – nicht
und deutlich schwächer in den Ressorts Poli-        jeder kann ihn sich leisten.

                                                                                                           Grimme Online Award 2019   8 9
Community Building als Königsdisziplin

                                DIE NEUE
                                WÄHRUNG                                                   Pauline Tillmann

Pauline Tillmann ist Autorin,   Als ich mit Journalismus angefangen habe,        funding machen und ist nach einer bestimmten
Reporterin und Dozentin.        wurde die Reportage als „Königsdisziplin“ be-    Zeit wieder an dem Punkt, dass man Geld
Mit zehn Korresponden-          zeichnet – stets hieß es: reportagig, nah dran   braucht. Der Nachteil: Es gibt keinen zeitlichen
tinnen erzählt sie in ihrem     am Protagonisten – das macht guten Journa-       Druck, Unterstützer*in zu werden. Deshalb sta-
digitalen Magazin „Deine        lismus aus. Während ich als freie Korrespon-     gnierte unsere Mitgliederzahl bei 83 und rund
Korrespondentin“ die besten     dentin in St. Petersburg gearbeitet habe, bin    500 Euro im Monat. Dieses Geld macht etwa
Geschichten über Frauen         ich zur Unternehmerin geworden und habe          ein Drittel unserer Einnahmen aus, der Rest
aus der ganzen Welt.            das digitale Magazin „Deine Korrespondentin“     kommt von Spenden und Kooperationen mit
                                gegründet. Meine „Königsdisziplin“ heißt jetzt   Regionalzeitungen. Das reichte gerade, um die
                                Community Building.                              Korrespondentinnen, den Programmierer und
                                Denn ich bewege mich in der Start-up-Welt, in    die Textchefin zu bezahlen. Es reichte nicht für
                                der es um die Bedürfnisse des Nutzers geht.      eine Aufwandspauschale für mich, obwohl ich
                                Die immer wiederkehrende Frage lautet: Wie       das Projekt in Teilzeit betreibe.
                                sieht ein Produkt aus, das der Nutzer braucht    Deshalb habe ich auf unsere prekäre Lage
                                und für das er bereit ist, Geld auszugeben?      aufmerksam gemacht: Wir brauchen mindes-
                                Bei „Deine Korrespondentin“ findet man ge-       tens 150 Mitglieder, damit ich das Projekt
                                bündelt Geschichten über spannende Frauen        nicht beerdigen muss und mir ein Honorar
                                weltweit, die man in anderen Medien oft ver-     von 500 Euro zahlen kann. Das ist ein Stun-
                                geblich sucht. Das Problem: Es gibt jede         denlohn von 12,50 Euro für die Position der
                                Menge Content im Netz und es ist verdammt        Chefredakteurin und Geschäftsführerin. Aber:
                                schwierig, die Menschen zu überzeugen, für       Wir haben es tatsächlich mit überschaubaren
                                Online-Inhalte zu zahlen.                        Mitteln geschafft, unsere Mitgliederzahl in kür-
                                Durch die Geschichten bekommen unsere            zester Zeit zu verdoppeln.
                                Leser*innen Inspiration und Anregung. Und        Für mich bedeutet es, dass ich aus einer Idee
                                sie erfahren mehr über ein bestimmtes Land,      ein Unternehmen geschaffen habe, das quali-
                                zum Beispiel welche Probleme es in puncto        tativen Content produziert, und ich alle Betei-
                                Gleichberechtigung gibt. Aber sorgt das da-      ligten einigermaßen okay bezahlen kann.
                                für, dass sie ihr Portemonnaie zücken? Wir       Schließlich träumen alle Gründer*innen, ir-
                                haben keine harte Bezahlschranke, aber wir       gendwann von ihrer Idee leben zu können. Bei
                                weisen darauf hin, dass wir auf Unterstützung    mir macht das einen Teil meines Einkommens
                                angewiesen sind, obwohl man unsere Artikel       aus. Vom vielen Zuspruch und dem großarti-
                                kostenfrei lesen kann.                           gen Feedback aus der Community gar nicht
                                Nun gibt es „Steady“, um Mitglieder zu wer-      zu sprechen. Für unsere Unterstützer*innen
                                ben, die ein monatliches Paket abschließen       sind wir Teil ihres Medienkonsums, den sie
                                können – in unserem Fall 5 oder 10 Euro. Der     nicht mehr missen möchten und für den sie
                                Vorteil: Man muss kein aufwendiges Crowd-        bereit sind, ihren Beitrag zu zahlen.
Vom Geldtransfer in den Dialog

WIE SPENDEN
PODCASTS
FINANZIEREN                                                                  Frank Joung

Als ich anfing, über einen eigenen Podcast            macht, passiert etwas. Man muss die Men-           Frank Joung ist Journalist
nachzudenken, war mir auch die Finanzierung           schen daran erinnern, dass sie spenden woll-       und Podcaster. Sein Pod-
wichtig. Ich wollte mich mit „Halbe Katoffl“          ten. Nachdem ich das verstanden hatte, ge-         cast „Halbe Katoffl“, in dem
nicht in die Miesen podcasten. Ein Geschäfts-         hen auch regelmäßig Spenden ein. Derzeit           er mit Deutschen mit nicht
modell zu entwickeln war nicht mein primäres          habe ich über hundert Unterstützer*innen,          deutschen Wurzeln spricht,
Ziel, aber eine Notwendigkeit, um das Projekt         von denen ich zwischen 2,50 und 19,50 Euro         war 2018 für den Grimme
langfristig am Leben zu halten.                       monatlich erhalte.                                 Online Award nominiert.
Obwohl mir Crowdfunding als ein geeigneter            Sobald jemand spendet, bekomme ich eine
Weg erschien, plagten mich Zweifel: Wer soll          Mail. Dann schreibe ich die Person an und be-
für meinen Podcast freiwillig zahlen? Wer gibt        danke mich. Dabei frage ich nach, woher sie
Geld für etwas, das man kostenlos bekommt?            „Halbe Katoffl“ kennt. So ergibt sich meistens
Und wer sollte ausgerechnet mir Geld geben?           ein Austausch darüber, was die Person an
„Fünf Prozent deiner Community sind bereit,           dem Podcast toll findet und warum sie spen-
dich zu finanzieren“, erklärte Sebastian Esser,       det. Es überrascht mich immer, wie dankbar
der Gründer von „Steady“. Das ist eine Platt-         viele Spender*innen für meine Arbeit sind und
form, auf der digitale Publisher ihre Projekte prä-   wie viel Ermutigung ich durch sie erfahre.
sentieren, und die hilft, aus dem Publikum auch       Lange Zeit dachte ich, zusätzliche Anreize
zahlende Unterstützer*innen zu gewinnen.              schaffen zu müssen, damit Menschen mich
Bei „Steady“ geht es um Beständigkeit: Anders         unterstützen. Aus dem Dialog mit meinen Un-
als bei Crowdfunding-Plattformen muss man             terstützer*innen habe ich gelernt, dass sie vor
keine bestimmte Summe erreichen, damit das            allem aus Dankbarkeit spenden. Mittlerweile
Projekt finanziert wird, sondern die Mitglieder       überweisen mir Menschen direkt Geld auf
spenden monatlich. Das hat den Vorteil, dass          mein Konto oder per Paypal. Sie schreiben:
man in jedem Fall Geld bekommt. Und solange           „Danke, dass du das tust.“ „Weiter so!“ Oder:
das Mitglied nicht kündigt, sind es nicht einma-      „Danke für den Podcast.“
lig 10 Euro, sondern jeden Monat.                     Der Austausch mit den Hörer*innen gehört für
Das Faszinierende ist: Es funktioniert. Bei           mich zu den schönsten Dingen des Podcas-
„Halbe Katoffl“ entwickelte sich die Summe            tens. Erstaunlicherweise ist es der schlichte
anfangs langsam – was auch daran lag, dass            Akt des Geldtransfers, der den Dialog öffnet
ich Scheu hatte, auf die Spendenmöglichkeit           – und der beide Seiten zufriedenstellt. Der Pu-
hinzuweisen. Viele Menschen, vielleicht spezi-        blisher ist froh, dass er finanzielle Unterstüt-
ell Journalist*innen, empfinden es als lästig,        zung erhält und seine Arbeit anerkannt sieht,
peinlich oder erniedrigend, für die eigene Ar-        und der Spender kann einen kleinen, effek-
beit die Hand aufzuhalten.                            tiven Teil dazu beitragen, dass das Projekt
Die Wahrheit ist: Nur wenn man immer wieder           weiterläuft. Die Finanzierung durch die Com-
auf die Spendenmöglichkeit aufmerksam                 munity ist eine Win-Win-Situation.

                                                                                                     Grimme Online Award 2019         10 11
Ein neues Modell für Journalismus

                              DIE DIGITALE
                              GENOSSENSCHAFT
                              Tanja Krämer und Christian Schwägerl

Tanja Krämer und Christian    Etwas Neues zu wagen, ein Journalismus-Pro-         nen des Unternehmens – und treffen in der
Schwägerl sind Mitgrün-       jekt nach eigenen Vorstellungen aufzubauen          jährlichen Generalversammlung gemeinsam
der*innen und die Vorstände   und damit ausreichend Einkommen zu erzie-           Entscheidungen.
von „RiffReporter“. Beide     len – das sind zentrale Motive journalistischer     Ein weiterer Vorteil von Genossenschaften ist,
sind Journalist*innen mit     Gründer*innen. Dann stellen sich sehr schnell       dass das Management Sparring-Partner hat:
jahrelanger Erfahrung im      sehr konkrete Fragen: Es gilt, die Startfinanzie-   den Aufsichtsrat, aber auch den Genossen-
Print- und Onlinebereich.     rung zu organisieren. Und man muss ent-             schafts-Prüfverband. Diese übergeordnete In-
Foto: Benjamin Eichler        scheiden, was für ein Unternehmen man ei-           stanz fordert einen professionellen Busi-
                              gentlich will: Eine Gesellschaft bürgerlichen       nessplan und gibt kritisch-konstruktives
                              Rechts als Verbund von Freiberufler*innen?          Feedback. Das ist sehr wertvoll.
                              Eine UG oder eine GmbH? Diese Entschei-             Noch ein großer Vorteil von Genossenschaften
                              dung prägt alles, was nach dem Gründen              ist, dass die Voraussetzungen gut sind, Kapital
                              kommt.                                              zu mobilisieren. Neben den stimmberechtigten
                              Wir haben uns bei „RiffReporter“ für eine für       Journalist*innen gibt es die sogenannten in-
                              Medien noch ungewöhnliche Unternehmens-             vestierenden Mitglieder, die wir „RiffSupporter“
                              form entschieden – die Genossenschaft. Zwei         nennen. Sie haben kein Stimmrecht, gehören
                              Jahre nach der Gründung sind 90 Journa-             aber zum engeren Kreis. Auf diesem Weg un-
                              list*innen Mitglieder von „RiffReporter“. Für       terstützen uns neben Privatpersonen auch die
                              den Einzelnen wäre es unbezahlbar, eine pro-        Schweizer Demokratiestiftung, GLS Treuhand
                              fessionell programmierte Publikationsplattform      e.V. und die Schoepflin-Stiftung. Und wir su-
                              zu schaffen. Gemeinsam aber geht das. Unse-         chen weiter nach neuen Unterstützer*innen,
                              re Genossenschaft baut die Plattform mit Ser-       denn als Genossenschaft sind wir ein perma-
                              vices wie Newsletter, Abrechnung bei Kund*in-       nentes Crowdfunding.
                              nen und digitalen Analytics auf. Sie schafft mit    Die Genossenschaftsidee hat in Deutschland
                              unserem „PolyPublisher“-Projekt ein journalis-      vor rund 150 Jahren Fuß gefasst – auch als
                              tisches Einkaufszentrum, in dem Urheber*in-         Reaktion auf die Umbrüche in der Frühphase
                              nen die Lizenzen an ihren Beiträgen zum Bei-        der Industrialisierung. Heute erleben wir digita-
                              spiel an Verlage verkaufen können. Zudem            le Umbrüche von ähnlicher Dimension, die von
                              stärken wir mit „RiffReporter Live“ Möglichkei-     großen IT-Konzernen dominiert werden, bei
                              ten, dass Journalist*innen Vorträge halten          denen wenige ultrareich werden und die Mas-
                              oder selbst Veranstaltungen anbieten.               se dafür Daten oder Arbeitskraft liefert. Als di-
                              Bei einer UG oder GmbH wären Journalist*in-         gitale Plattformkooperative sehen wir uns, ge-
                              nen Kund*innen gewesen. Das hat nicht zu            rade weil wir ein kleines, junges Projekt sind,
                              unserem Ziel gepasst, eine kooperative Bewe-        als Gegenentwurf dazu. Wenn „RiffReporter“
                              gung zu organisieren. Bei der Genossenschaft        ein Erfolg wird, profitieren davon alle, die dazu
                              sind die 90 Mitglieder nun Miteigentümer*in-        beigetragen haben.
Der Dritte Sektor

IST DAS
DIE ZUKUNFT?
Martin Krohs

Journalismus ist mehr als eine Informations-      die Bedürfnisse des Medienprojekts in Über-       Martin Krohs, Journalist
dienstleistung: Ohne ihn könnten wir uns          einstimmung zu bringen?                           und Philosoph, gründete
nicht zu so vielen Fragen und Problemen un-       Auch das von mir gegründete gemeinnützige         2015 im Anschluss an die
sere Meinungen bilden – und das ist notwen-       Portal „dekoder“, das Texte unabhängiger,         Ukraine-Krise das mit dem
dig für eine funktionierende Demokratie. Da-      liberaler russischer Medien ins Deutsche          Grimme Online Award aus-
mit ist Journalismus mehr als ein Produkt. Er     übersetzt und die einzelnen Thematiken            gezeichnete Medien-Projekt
ist auch ein Kulturgut, also etwas, das aus       durch Kontextartikel von Wissenschaftler*in-      „dekoder.org“, nachdem
sich heraus einen Wert für die Gemeinschaft       nen erschließt, fiel lange Zeit durch jedes       er zehn Jahre in Russland
besitzt. Dies zu erkennen wird heute, da die      Förderraster. Dabei steht der Kulturgut-As-       gelebt und gearbeitet hatte.
Werbeeinnahmen wegbrechen und die Medi-           pekt bei solch einem innovativen Format zwi-      Foto: Mauricio Bustamante

enbranche auf der Suche nach neuen Finan-         schen Wissenschaft und Journalismus an
zierungsmodellen ist, immer notwendiger.          erster Stelle.
Welche Rolle können Stiftungen und Mäzene         Manche Stiftungen wollen ausschließlich Pro-
bei der Finanzierung spielen? Zunächst muss       jekte in Russland fördern; andere unterstüt-
eine andere Frage gelöst werden: Wie finden       zen gemeinnützigen Journalismus nur, wenn
die passenden Partner aus Journalismus und        er in Deutschland entsteht. „dekoder“ aber
Drittem Sektor zueinander und schaffen es,        transferiert Content von Russland in den
Innovationen hervorzubringen?                     deutschen Sprachraum und kommt für beide
Derzeit ist es meistens so, dass Stiftungen für   Förderprofile nicht in Betracht – eine para-
eine Förderperiode ihre Ziele definieren. Die     doxe Situation.
Journalismusprojekte versuchen dann, die          Erst nachdem „dekoder“ trotz knapper Finan-
Stiftungen davon zu überzeugen, dass sie ins      zen über mehrere Jahre seinen journalisti-
entsprechende Förderprofil passen. Dabei          schen Wert und seine Relevanz beweisen
wird die Stiftung vom Medienprojekt zum ei-       konnte, hat sich die Situation entspannt: Für
nen als „Kunde“ behandelt, den man davon          thematisch eingegrenzte Dossiers bestehen
überzeugen muss, das geplante Format zu           nun einige erfolgreiche Partnerschaften mit
„kaufen“; zum anderen befindet sich das Me-       Stiftungen. Dennoch ist die Finanzierung des
dienprojekt auch in der Rolle des Bittstellers    täglichen Redaktionsbetriebs weiterhin pre-
und die Stiftung in der Rolle des Gönners.        kär und lässt sich kaum mehr als ein Jahr pla-
Diese Überlagerung zweier verschiedener           nen.
Rollenmodelle hemmt die Produktivität der         Alleine kann der Dritte Sektor die finanziellen
Zusammenarbeit – denn wie soll eine Stif-         Fragen des Journalismus nicht lösen. Aber
tung, die ihr Förderprogramm formuliert,          Stiftungen und Mäzene können einen wichti-
überhaupt von den Projekten erfahren, die sie     gen Baustein im Finanzierungsmix darstellen,
vielleicht fördern wollte, wenn sie von ihnen     gerade für die Medien, die sich am wenigsten
wüsste? Und wie sind die Förderkriterien und      für eine kommerzielle Vermarktung eignen.

                                                                                                Grimme Online Award 2019        12 13
Warum ein gutes Geschäftsmodell immer vom Schlimmsten ausgeht

PLANEN
MIT DER
PLEITE             Georg Dahm

              Wenn alles gut läuft, sind wir zum Jahresende     nah. Weil im Digitalgeschäft niemand vorher-
              schuldenfrei. Fünf Jahre nach dem Launch          sagen kann, mit welcher Kombination aus
              unseres Digitalmagazins „Substanz“ – und          Erlösen, Produkten und Zielgruppen ein neu-
              viereinhalb Jahre, nachdem wir den Redakti-       es Medium erfolgreich sein wird. Dafür ist das
              onsbetrieb gestoppt haben, weil wir sonst in      Umfeld zu sehr in Bewegung: Google und
              die Insolvenz geschlittert wären. Wir haben       Facebook ändern ihre Algorithmen, neue
              also eine gewisse Expertise in den unschöne-      Player drängen in den Markt, Hoffnungsträ-
              ren Aspekten des Gründens.                        ger wie das iPad werden entzaubert, totge-
              „Und was macht ihr, wenn es nicht klappt?“,       glaubte Formate wie Newsletter und Pod-
              wie haben wir diese Frage gehasst. Für uns        casts kommen zurück. Und schließlich der
              schwang darin „lasst es lieber bleiben“ mit,      „pivot to paid“ – im Jahr 2019 entdecken vie-
              ein Verharren in der Weltuntergangsstim-          le Verlage, dass man Geld für Journalismus
              mung der Medienbranche, in der Gründer*in-        nehmen kann.
              nen damals noch Exoten waren. Heute se-           Wir sind immer wieder überrascht, wie sehr
              hen wir das anders: „Was macht ihr, wenn es       manche Gründer*innen daran glauben, dass
              nicht klappt?“ ist die essenzielle Frage – wenn   ihr Medienprojekt genau so funktionieren wird,
              man mit „es“ nicht gleich die gesamte Unter-      wie sie es sich ausgedacht haben. Als wir den
              nehmung meint, sondern jede einzelne An-          Erscheinungstag der großen „Substanz“-Ge-
              nahme des Geschäftsmodells.                       schichten von Freitag auf Montag verlegt hat-
              Als wir mit „Substanz“ im November 2014 an        ten, schrieb ein Medienjournalist: Damit ver-
              den Start gingen, hatten wir eine unerwartet      liert „Substanz“ sein Alleinstellungsmerkmal.
              lange Entwicklungsphase hinter uns. Finanzi-      Da schwingt das Denken der alten Verlags-
              ell standen wir so mit dem Rücken zur Wand,       branche mit, in der es in der Tat ein Ereignis
              dass sich unsere Abokurve genauso entwi-          ist, wenn der „Spiegel“ nicht mehr am Mon-
              ckeln musste, wie wir sie in unseren Busi-        tag, sondern am Freitag erscheint. In dieser
              nessplan geschrieben hatten. Wir hatten kei-      Branche steht Veränderung immer unter dem
              ne Ressourcen übrig, um an unserem Pro-           Verdacht der Krisenreaktion: „Läuft wohl nicht
              dukt etwas zu ändern; wir konnten nicht mehr      so gut bei euch, was?“ Dass es bei einem
              experimentieren.                                  Start-up zum Alltagsgeschäft gehört, Hypo-
              Und wenn ein Journalismus-Start-up nicht          thesen aufzustellen und empirisch zu prüfen,
              mehr experimentieren kann, ist das Ende           hat sich noch nicht überall herumgesprochen.
Georg Dahm ist Mitgründer des Journalismus-
                                                  Start-ups Fail Better Media, dessen Wissenschafts-
                                                  magazin „Substanz“ 2015 für den Grimme Online
                                                  Award nominiert war.
                                                  Foto: Helen Fischer

Bei uns war es die Hypothese, dass unsere         ihm zu arbeiten. Damit ihr das werdet, worauf
Geschichten Lesestoff für das Wochenende          sich Menschen freuen in ihren Posteingän-
sind. Tatsächlich hatten wir mehr Traffic unter   gen, Feeds oder Podcast-Apps. Das dauert.
der Woche, darauf haben wir reagiert. Worauf      Wer eine Paywall nach sechs Wochen wieder
wir nicht mehr reagieren konnten, waren viel      abschaltet, weil von wenigen Leser*innen
dramatischere Erkenntnisse. Zum Beispiel          noch weniger übrig bleiben, hat nicht bewie-
die, dass wir für Social-Media-Marketing und      sen, dass Paywalls nicht funktionieren, son-
Datenanalyse eine, besser zwei Vollzeitkräfte     dern dass sein Angebot nicht stimmt.
gebraucht hätten.                                 Die gefährlichste Annahme ist: „Das muss die
Oder die Erkenntnis, dass wir zwar viele po-      Leute doch interessieren.“ Muss es nicht.
tenzielle Kooperationspartner auftun konn-        Journalist*innen neigen dazu, aus ihrem Sen-
ten, es aber viele Monate dauert, bis aus ei-     dungsbewusstsein einen Anspruch auf Erfolg
ner Absichtserklärung ein Geschäft wird, bei      abzuleiten. Oder die Erwartung, dass eine
dem auch Geld fließt.                             Stiftung ihre Arbeit finanziert. Stiftungen be-
Ein weiser Mann hat uns vor dem Start ge-         wegen sich mit Kontinentaldrift-Geschwin-
sagt: Es wird alles länger dauern und es wird     digkeit und treffen Entscheidungen nach Kri-
alles mehr kosten, als ihr denkt. Ich würde       terien, die für Außenstehende weitgehend
heute Start-up-Gründer*innen raten: Vom           unverständlich sind.
Tag des Launch an müsst ihr ein Jahr durch-       Mit Eigenmitteln arbeiten, so lange ihr könnt,
halten können, auch wenn alles schief geht.       und erst auf Fremdfinanzierung setzen, wenn
Auch wenn ihr keinen Cent verdient.               ihr merkt, dass sich die Dinge in eine gute
In diesem Jahr müsst ihr handlungsfähig blei-     Richtung entwickeln, und ihr halbwegs ver-
ben mit einem Team, das alle Gewerke ab-          steht, wie euer Angebot funktioniert: Das ist
deckt: Inhalt, Social Media, Marketing, Ana-      heute unser Rat. Und das ist auch unser Plan
lytics, Technik. Ohne dass Menschen für           für die Zukunft. Es gibt schönere Dinge im Le-
wenig bis gar kein Geld arbeiten – weil auch      ben, als jahrelang einen KfW-Gründerkredit
die ihre Familien ernähren müssen und dann        abzubezahlen. Aber als Unternehmer sind wir
irgendwann die Vollzeitstelle annehmen. Ihr       daran gewachsen. Und als Journalisten ha-
braucht diese Zeit, um Erfahrungen zu sam-        ben wir noch einiges vor.
meln. Sammelt Daten und lernt, sie zu verste-
hen. Lernt euer Publikum zu verstehen, mit

                                                                                                       Grimme Online Award 2019   14 15
Grimme Online Award 2019

STATEMENT
DER JURY
              Es gibt heutzutage Menschen, die um die fünf-      Auf ganz eigene Weise macht das bereits jetzt
              zig sind und die Hälfte ihres Lebens mit dem       das „Techniktagebuch“, ein Gemeinschafts-
              Web verbracht haben. Diese Spanne von 25           blog, das seit über fünf Jahren die Veränderun-
              Jahren, die eine komplette Menschengenerati-       gen in der uns umgebenden Alltagstechnik er-
              on umfasst, bot nicht nur Nutzer*innen genü-       fasst und reflektiert. Das Motto des Blogs „Ja,
              gend Zeit, sich an die Vielfalt der Konzepte im    jetzt ist das langweilig. Aber in zwanzig Jah-
              Netz zu gewöhnen. Gleichzeitig hatten die An-      ren!“ beschreibt den preiswürdigen Ansatz
              bieter*innen Gelegenheit, in der Diversität klar   sehr gut – und wird ihm doch nicht gerecht.
              erkennbare Formate und verlässliche Stan-          Denn es ist überhaupt nicht langweilig, wie die
              dards der Online-Publizistik zu entwickeln. Die    Autor*innen ihre Beobachtungen „zu Papier“
              diesjährige Jury spürte das mit Blick auf das      bringen. Die Jury hätte am liebsten sofort eine
              Tableau der Nominierten und auch bei der           Zeitreise in die Zukunft unternommen, um zu
              Preisfindung.                                      sehen, ob die Einträge von heute „in zwanzig
              Dass Dinge im Netz mitunter ein bisschen Zeit      Jahren“ durch den Reifungsprozess noch bes-
              brauchen, um von einer guten Idee zu einem         ser geworden sind. Netz-Publizistik ist also mit-
              herausragenden Angebot zu werden, zeigt der        unter wie guter Wein: Mit der Zeit wird die Qua-
              Preisträger „Krautreporter“. Das Experiment,       lität noch besser.
              Qualitätsjournalismus auf Basis einer Genos-       Die Renaissance eines gefühlt in die Jahre ge-
              senschaftsidee entgegen gelernter Gewohn-          kommenen Formats zeigte sich bereits in den
              heiten konsequent kostenpflichtig anzubieten,      Nominierungen: Podcasts sind nicht nur (wie-
              hat einige unruhige Phasen durchlebt. Nun-         der) in aller Munde. Sie zeigen auch, dass unter
              mehr präsentiert sich das Angebot konsolidiert     Rückgriff auf handwerkliche Regeln gut gebau-
              und stellt heraus, wie ein unabhängiger, quali-    ter Radio-Features in Kombination mit Pod-
              tativ hochwertiger Journalismus im Netz aus-       cast-Stilelementen qualitativ hochwertiger
              sehen kann.                                        Audio-Content im Netz verfügbar gemacht
              Übrigens: Der Blick auf die diesjährigen Preis-    werden kann. Wenn sich wie beim prämierten
              träger des Grimme Online Award zeigt nicht         Podcast „Mensch Mutta.“ die Autorin nicht nur
              nur auf, dass das Netz insgesamt mittlerweile      auf eine spannende Spurensuche der jüngeren
              Gegenstand historischer Betrachtungen sein         ostdeutschen Geschichte macht, sondern das
              kann. Der Preis selbst ist längst erwachsen ge-    geschickt mit der eigenen Familien-Historie
              worden und feiert im kommenden Jahr zwan-          verknüpft, kommt dabei ein wahres Schmuck-
              zigstes Jubiläum. Man fragt sich: Wo sind sie,     stück heraus – und obwohl es sich um ein do-
              die ersten Digitalhistoriker*innen, die einen      kumentarisches Angebot handelt, ist man ge-
              Blick genau darauf werfen? Und: Wird es An-        neigt zu sagen: Kino für die Ohren.
              gebote geben, die sich mit der Entwicklung         Dazu brauchte es keinen Sender im Hinter-
              des Netzes systematisch befassen?                  grund, keine große Redaktion. Wie sich über-
Die Jury zum Grimme
                                                                                                        Online Award 2019
                                                                                                        (von links nach rechts):
                                                                                                        Kai Heddergott (selbst-
                                                                                                        ständiger Kommunikations-
                                                                                                        berater), Lorenz Maroldt
                                                                                                        (Chefredakteur Tages-
                                                                                                        spiegel), Brigitte Baetz (freie
                                                                                                        Medienjournalistin), Daniel
                                                                                                        Fiene (Rheinische Post),
                                                                                                        Aylin Kazi (Studentin),
                                                                                                        Lorenz Lorenz-Meyer
                                                                                                        (Hochschule Darmstadt),
                                                                                                        Lena Thiele (Miiqo Studios)

haupt in diesem Jahrgang die Angebote               die Grundlage für die Debatte zu einem gesell-
durchgesetzt haben, die abseits der großen          schaftlich hoch relevanten Thema.
Häuser entstanden sind, als Teamwork oder           Den Blick von einem alle Welt interessierenden
von Einzelpersonen, manches Mal mithilfe der        (sporthistorischen) Ereignis auf Nebenschau-
Crowd, immer mit viel Leidenschaft und oft          plätze zu richten war das Konzept von „Buter-
ohne große Ressourcen.                              brod und Spiele“. Im zeitlichen Umfeld der
Auch die Videoessays des in diesem Jahr prä-        Fußball-Weltmeisterschaft 2018 in Russland
mierten YouTube-Angebots „Ultralativ“ und das       machten sich die Autoren auf einen Weg ab-
ebenfalls ausgezeichnete kanalübergreifende         seits der Spielorte. Finanziert hatten das inter-
Satire-Format „Krieg und Freitag“ zeugen von        essierte Nutzer*innen durch Crowdfunding –
der Qualität individueller Angebote. Während        und wurden belohnt mit einer absolut
auf der einen Seite zwei Studenten hochwertig       zeitgemäß aufbereiteten und journalistisch
produzierte Videos ins Netz stellen und „das In-    hochwertigen Reportage-Reise. Die Qualität
ternet und den ganzen absurden Rest“ erklä-         der Texte und Fotos macht das Ganze dann
ren, kommentiert auf der anderen Seite ein          zu einem der Preisträger.
„Einzelkämpfer“ nebenberuflich mit Strich-          Dass das Netz aber nicht nur zu historischen
männchen crossmedial Themen der Zeit. Und           Betrachtungen taugt, sondern auch für den
beide Formate erhalten dafür einen Award.           Blick nach vorne, zeigt die Prämierung der
Und Leidenschaft braucht es zum Beispiel,           TINCON. Dieses Event-Format gäbe es nicht
wenn die Basis für ein gelungenes Angebot die       ohne das Internet. Es macht das Internet mit
Auswertung und Verknüpfung größerer Daten-          Blick auf die nachwachsende Generation zum
bestände ist. Unter den Nominierungen, bei          Thema und bietet einen Diskursraum für junge
denen existierende Datenbestände verfügbar          Menschen zwischen 13 und 21 Jahren. Den
gemacht wurden oder die Auszählung von              Beitrag zur gesellschaftlichen Debatte, wie das
Häufigkeiten zu neuen Aussagen und Per-             Netz unser Leben mitbestimmt und wie das
spektiven führt, zeigt das aus Sicht der Jury auf   künftig sein sollte, hat die Jury als preiswürdig
preiswürdigste Art „Wem gehört Hamburg?“.           erachtet.
Auf der Basis von durch Nutzer*innen bereit-        Insgesamt lässt sich feststellen: Wegweisende
gestellten Daten zu Miet- und Eigentums-            Technikspielerei muss keine Bedingung für ei-
immobilien wurde der Versuch unternommen,           nen Grimme Online Award sein, dieses Jahr
eine Schneise der Transparenz in das Dickicht       gehen die prämierten Angebote eher auf den
des Wohnungsmarkts zu schlagen. Das Kon-            Kern des (guten) Journalismus zurück und wer-
zept des Crowd-Newsrooms ist für andere             den für genau diese Qualität ausgezeichnet. Die
Städte, in denen man Gleiches untersucht,           Jury ist gespannt, welche neuen Formate sich
adaptierbar – und bietet mit seiner netzpubli-      im kommenden Jubiläumsjahr zeigen, und freut
zistischen Aufbereitung auch in Partnermedien       sich auf frische Ideen der Online-Publizistik.

                                                                                                   Grimme Online Award 2019           16 17
PREISTRÄGER           Kategorie: Information

       KRAUTREPORTER
       Preis verliehen für Konzept und Umsetzung

       Internetadresse:                                  Anbieter:
       krautreporter.de                                  Krautreporter eG

       Verantwortliche Personen:
       Theresa Bäuerlein (Konzept und Umsetzung)         Ruben Grimm (Umsetzung)
       Philipp Daum (Umsetzung)                          Sara Hesse (Umsetzung)
       Sebastian Esser (Konzept und Umsetzung)           Gregory Igelmund (Umsetzung)
       Christian Fahrenbach (Umsetzung)                  Silke Jäger (Umsetzung)
       Bent Freiwald (Umsetzung)                         Christoph Koch (Umsetzung)
       Vera Fröhlich (Umsetzung)                         Alexander Krützfeldt (Umsetzung)
       Leon Fryszer (Umsetzung)                          Josa Mania-Schlegel (Umsetzung)
       Christian Gesellmann (Umsetzung)                  Susan Mücke (Umsetzung)
       Esther Göbel (Umsetzung)                          Philipp Schwörbel (Konzept und Umsetzung)
       Martin Gommel (Umsetzung)                         Alexander von Streit (Konzept und Umsetzung)
       Rico Grimm (Konzept und Umsetzung)

       Begründung der Jury: Die „Krautreporter“          überzeugt, die Vorbildcharakter für andere
       betreiben im besten Sinne konstruktiven Jour-     On- und Offline-Medien hat. „Krautreporter“
       nalismus – ohne ihn als solchen zu bezeich-       protokolliert die Erfahrungen von Sterbe-
       nen. Sie konkurrieren nicht mit den großen        begleiter*innen, informiert über die fehlenden
       Nachrichtenportalen und gerade daraus             Fortschritte in der Grundlagenphysik, führt in
       schöpfen sie ihre publizistische Kraft. Die Re-   die Mysterien der klassischen Musik ein oder
       daktion erhebt nicht den Anspruch, erklären       klärt über die Vorteile von künstlich gezüchte-
       zu können, was die Welt im Innersten zusam-       tem Laborfleisch auf.
       menhält, doch sie nimmt ihren Claim „Verste-      Mit großen Worten waren die „Krautreporter“
       he die Zusammenhänge“ ernst. Die Leser*in-        an den Start gegangen und hatten sich damit
       nen diskutieren mit der Redaktion auf             neben Spendengeldern auch einige Kritik ein-
       Augenhöhe, ihre Fragen und Anregungen             gehandelt. Sie wollten nichts weniger als den
       werden von den „Krautreporter“-Autor*innen        „kaputten Journalismus“ im Internet reparie-
       aufgenommen. In vorbildlicher Weise wird hier     ren. Fünf Jahre und etliche strukturelle, perso-
       auf die Lebenswelt der Leser*innen eingegan-      nelle und inhaltliche Veränderungen später
       gen, ohne ihnen nach dem Mund zu reden.           lässt sich feststellen: Die „Krautreporter“ ha-
       Die Jury des Grimme Online Award hat die          ben zu sich selbst gefunden und das in aus-
       thematische Breite und Tiefe des Angebots         zeichnungswürdiger Art und Weise.
GRIMME ONLINE AWARD
Beschreibung: Mit einer großen Crowdfun-
ding-Aktion gründeten sich die „Krautrepor-
ter“ 2014 als unabhängiges Portal für qualita-
tiv hochwertigen Online-Journalismus. Nach
verschiedenen Umstrukturierungen trägt nun
eine Genossenschaft die Kernredaktion.
Abonnent*innen können Hintergrundberichte
und Reportagen zu relevanten Themen lesen.
Wert gelegt wird sowohl auf die Meinung der
Genossenschaftsmitglieder als auch auf die
der Abonnent*innen: Sie können nicht nur
kommentieren, sondern sollen auch Ideen
und Informationen einbringen.

                                                            Grimme Online Award 2019   18 19
PREISTRÄGER           Kategorie: Information

       WEM GEHÖRT
       HAMBURG?
       Preis verliehen für Idee, Recherche und journalistische Umsetzung

       Internetadresse:                                 Anbieter:
       wem-gehoert-hamburg.de                           Correctiv

       Verantwortliche Personen:
       Margherita Bettoni (Recherche und journalistische Umsetzung)
       Anne-Lise Bouyer (Idee, Recherche und journalistische Umsetzung)
       Justus von Daniels (Idee, Recherche und journalistische Umsetzung)
       Ruth Fend (Recherche und journalistische Umsetzung)
       Elisa Harlan (Umsetzung)
       Knut Hühne (Umsetzung)
       Ivo Mayr (Umsetzung)
       Jonathan Sachse (Idee, Recherche und journalistische Umsetzung)
       Benjamin Schubert (Umsetzung)
       Jonas Seufert (Umsetzung)
       Simon Wörpel (Recherche und journalistische Umsetzung)

       Begründung der Jury: Der Wohnungsmarkt           zur Profitmaximierung und Tricks zu exor-
       in Städten ist zunehmend geprägt von stark       bitanten Mietsteigerungen an den Gesetzen
       steigenden Mieten. Undurchsichtige Eigen-        vorbei.
       tumsverhältnisse und unseriöse Vermieter*in-     Neben der Relevanz des Themas zeichnet
       nen machen den Mieter*innen zu schaffen          das Projekt vor allem die interaktive Recher-
       und bringen die gesamte Branche in Verruf.       che über den extra eingerichteten Newsroom
       „Correctiv“ hat es sich zum Ziel gesetzt, hier   aus. Auch die journalistische Umsetzung so-
       Transparenz herzustellen und die Verhältnisse    wie die Visualisierung und der sensible Um-
       auf der Basis von Datenanalysen und Einzel-      gang mit den gewonnenen Daten haben die
       fallauswertungen auszuleuchten – Stadt für       Jury überzeugt. Hervorzuheben sind zudem
       Stadt, jeweils mit einem lokalen Kooperati-      die Veranstaltungen mit Mieter*innen, Vermie-
       onspartner.                                      ter*innen und Verbänden, die zur Projektidee
       Bereits beim Hamburger Modellprojekt ge-         gehören. Dort werden die Ergebnisse der digi-
       meinsam mit dem „Hamburger Abendblatt“           talen Recherche mit der Stadtgesellschaft
       konnten so wertvolle Erkenntnisse gewonnen       und der Politik diskutiert. „Wem gehört Ham-
       werden für eine der wichtigsten gesellschaft-    burg?“ ist ein herausragendes Beispiel dafür,
       lichen Debatten derzeit. Offengelegt wurden      wie Journalismus im Netz und unter Nutzung
       verschachtelte Unternehmensstrukturen, die       digitaler Tools seiner gesellschaftlichen Aufga-
       systematische Verdrängung von Mieter*innen       be und Verantwortung gerecht werden kann.
GRIMME ONLINE AWARD
Beschreibung: Gemeinsam mit dem „Ham-
burger Abendblatt“ hat das Recherchekollek-
tiv „Correctiv“ mehr Transparenz in den Ham-
burger Wohnungsmarkt gebracht. In einem
eigens eingerichteten Crowd-Newsroom ha-
ben sie Angaben von mehr als 1.000 Mie-
ter*innen ausgewertet und so Eigentumsda-
ten zu über 15.000 Wohnungen recherchiert.
In den Hintergrundgeschichten wird klar, an
wen die Stadt ihr Eigentum verkauft, wessen
Profitgier die Mieten in die Höhe treibt und
was ein undurchsichtiger Wohnungsmarkt mit
Geldwäsche zu tun hat.

                                                          Grimme Online Award 2019   20 21
PREISTRÄGER           Kategorie: Wissen und Bildung

       ULTRALATIV
       Preis verliehen für Idee und Umsetzung

       Internetadresse:
       youtube.com/ultralativ

       Verantwortliche Personen:
       Fynn Kröger (Idee und Umsetzung)
       Paul Schulte (Idee und Umsetzung)

       Begründung der Jury: Animiert, knapp und          bot, das unterhaltsam ist, dem es aber nicht
       kritisch: Paul Schulte und Fynn Kröger schaf-     an inhaltlicher Tiefe mangelt – ganz im Gegen-
       fen mit ihren Videos ein eigenständiges For-      teil: Um komplizierte Themen für Jugendliche
       mat, mit dem sie sich als Teil der kleinen, me-   verständlich zu machen, nutzen Schulte und
       dienkritischen Szene auf YouTube genau dort       Kröger Referenzen aus aktuellen, „trendigen“
       mit ihrem Medium auseinandersetzen.               Mainstream-Themen des Internets. Hierbei
       Mit Verbildlichungen und klaren Argumenten        scheuen sie sich auch nicht davor, die Influen-
       behandeln sie in den durchschnittlich zwei- bis   cer- und YouTuber-Elite sowie ihren Einfluss
       fünfminütigen Videos aktuelle und relevante       und ihr Handeln zu kritisieren. Zusätzlich set-
       Themen aus dem und rund ums Internet. Auch        zen sie sich in ihrem knappen Format namens
       komplexe Sachverhalte erklärt das YouTube-        „Wochenschau“ regelmäßig mit aktuellen Ge-
       Duo so knapp zusammengefasst, dass jeder          schehnissen der YouTube-Sphäre auseinan-
       die Zeit finden sollte, sich zu informieren.      der. Das junge Format sorgt mit satirisch-pro-
       Hierbei schafft es durch eine professionelle      vokativer,    jedoch     durchdachter     Kritik
       und ansprechende visuelle Aufbereitung der        gegenüber den Online-Vorbildern der Jugend
       Themen eine bemerkenswerte Stringenz und          für mehr Transparenz in der oftmals undurch-
       Qualität, die im übersaturierten YouTube-Kos-     sichtigen und kommerzialisierten Internet-
       mos oft nicht gegeben ist.                        Szene.
       Ausgehend von einer tiefen Recherche bietet
       „Ultralativ“ ein leicht konsumierbares Ange-
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