Mehr als ein Dach über dem Kopf. WIR über Leben und Wohnen - 4 2020 DAS MAGAZIN DER AWO BAYERN - AWO Unterfranken

Die Seite wird erstellt Gunnar Maurer
 
WEITER LESEN
Mehr als ein Dach über dem Kopf. WIR über Leben und Wohnen - 4 2020 DAS MAGAZIN DER AWO BAYERN - AWO Unterfranken
4•2020
                                   DAS MAGAZIN
                                   DER AWO BAYERN
                                   74. Jahrgang des „Helfer“

Mehr als ein Dach über dem Kopf.
WIR über Leben und Wohnen.

                                   DIE AWO IN
                                   UNTERFRANKEN

                                   Glücklich im Alter
                                   Alternative Wohnformen
                                   bei der AWO.

                                   Bezirksjugendwerk
                                   Politische Bildungsreise
                                   nach München.
Mehr als ein Dach über dem Kopf. WIR über Leben und Wohnen - 4 2020 DAS MAGAZIN DER AWO BAYERN - AWO Unterfranken
WIR IN BAYERN                                      WIR IN UNTERFRANKEN
Aus der AWO                                   3    Editorial                            11
AWO liebt Demokratie + Eine Frau aus Bayern        AWO Schwerpunkt Ein Heim,
für die Bundesspitze + Plädoyer für                in dem man frei sein kann            14
Menschlichkeit + Brigitte Tiator im Ruhestand +    AWO Leben                            16
Frauenpower im Freistaat                           Bezirksjugendwerk                    21
Unser Thema:                                       AWO Impulse                          23
Mehr als ein Dach über dem Kopf.               6   Menschen                             28
Gemeinsam statt einsam: Quartiersprojekte          Service                              32
bringen Menschen zusammen + Frauenhäuser:          Kreuzworträtsel                      38
Wohnen ist existenziell + Interview: Bauen für
Senioren braucht Fingerspitzengefühl

Liebe Leserinnen und Leser,

ein schwieriges und forderndes Jahr geht dem Ende entgegen. Die Corona-Pandemie hat
das Leben in einem Maße beeinträchtigt, das für uns alle undenkbar war und sie hat das
öffentliche und gesellschaftliche Leben einschneidend verändert. Die Konferenzen der AWO
konnten nicht stattfinden, Veranstaltungen wurden abgesagt und die Ortsvereine mussten
die so wichtigen Begegnungen auf ein Minimum beschränken.
Die letzten Monate haben aber auch gezeigt, dass die Arbeiterwohlfahrt in Bayern auch in
Zeiten der Krise zusammensteht und das „WIR“ lebt. Ob in unseren Pflegeeinrichtungen, in
Kitas oder in den Ortsvereinen: überall haben Haupt- und Ehrenamtliche über die Maßen
großen Einsatz gezeigt, um Menschen zu begleiten, um Kinder gut zu versorgen, während
die Eltern arbeiten müssen, und um Mitmenschen zu ermuntern, die Lebensfreude trotz
der Kontaktbeschränkungen nicht zu verlieren. Das verdient großen Respekt. Auch allen
Mitgliedern, die unsere Arbeit mit ihrem Beitrag und ihrem Engagement 2020 maßgeblich
unterstützt haben, sage ich ganz herzlich Danke.
Mit der letzten Ausgabe des Jahres wagen wir normalerweise einen Ausblick, doch dieser ist
in diesen Zeiten schwierig. Ich hoffe sehr, dass 2021 wieder mehr Freiräume und uns allen
wieder mehr persönliches Miteinander ermöglichen wird. Vor allem aber wünsche ich uns
allen, dass wir gesund bleiben. Nutzen Sie - gerade wegen Corona - die Adventszeit und
die Feiertage besonders für den Austausch mit den Menschen, die Ihnen am Herzen liegen,
verlieren Sie nicht den Mut und kommen Sie gut ins neue Jahr.

Herzlich Ihr

Thomas Beyer
Landesvorsitzender
der AWO in Bayern
Mehr als ein Dach über dem Kopf. WIR über Leben und Wohnen - 4 2020 DAS MAGAZIN DER AWO BAYERN - AWO Unterfranken
Vielfältiges Programm –
                                                              Kostenlos weiterbilden
                                                              Die kostenlose Teilnahme an dem bayern-
                                                              weiten Projekt AWO l(i)ebt Demokratie
                                                              steht allen hauptamtlichen Mitarbei-
                                                              ter*innen, ehrenamtlich Engagierten,
                                                              Mitgliedern sowie auch noch nicht in

                                                                                                                 AUS DER AWO
                                                              der AWO aktiven Menschen offen.

                                                              Aufgrund der Corona-Situation finden
                                                              die meisten der Projektangebote derzeit
                                                              digital statt. Gemeinsam mit dem Team
Abschied von Brigitte Tiator                                  des neuen Aktionsbüro Demokratie des
                                                              AWO Landesverbandes Bayern e.V. kann
In einer kleinen Feierstunde hat Landesgeschäftsführer        die digitale Technik kennen gelernt und
Andreas Czerny die langjährige Leiterin der Freiwilligen-     eingeübt werden. Jeden Dienstag von
dienste des AWO Landesverbandes, Brigitte Tiator, in          16 Uhr bis 17 Uhr findet eine telefonische
den Ruhestand verabschiedet. Brigitte Tiator hat über         Online-Sprechstunde zum Thema „Wie
Jahrzehnte tausende junge Freiwillige bei der AWO ver-        kann ich an Videokonferenzen teilneh-
antwortlich begleitet, anfangs Zivildienstleistende, später   men?“ statt. Eine formlose Voranmeldung
Freiwillige des Sozialen Jahres (FSJ) und zuletzt vor allem   im neuen Aktionsbüro Demokratie ist
Menschen im Bundesfreiwilligendienst (BFD). Landes-           erforderlich. (Kontakt siehe unten)
vorsitzender Prof. Dr. Thomas Beyer hob das große Enga-
gement hervor, mit dem Brigitte Tiator die Belange der        Die kommenden AWO l(i)ebt Demokratie
Freiwilligendienste mit den Bedürfnissen der Einsatz-         Online-Veranstaltungen:
stellen der AWO in Bayern in Einklang brachte und würdigte    • Jeden Monat: Team Toleranz, Team
ihre kompetente Zusammenarbeit mit dem Bayerischen               Erinnerungskultur, Team Umwelt
Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales (StMAS),      und Nachhaltigkeit, Team Politischer
dem Zentrum Bayern Familie und Soziales (ZBFS), dem              Lesezirkel und Team Demokratiechor
Bundesamt für zivilgesellschaftliche Aufgaben (BAFzA)         • 5.Dezember 2020 „Verschwörungs­
und dem AWO Bundesverband. Auch die Kolleginnen                  erzählungen – eine Gefahr für die
des Fachbereichs sagten mit sehr persönlichen Worten             Demokratie?“
herzlich „Auf Wiedersehen“.                                   • 27.Januar 2021 „Lange Nacht der
                                                                 Zweitzeug*innen“ zum Holocaust­
                                                                 gedenktag

Eine Frau aus Bayern für                                         Kontakt und Anmeldung:
die Bundesspitze                                              AWO Landesverband Bayern e.V.
                                                              Aktionsbüro Demokratie
Kathrin Sonnenholzner, seit 2016 stellvertre-                 zdt@awo-bayern.de
tende Landesvorsitzende der AWO in Bayern,                    089 / 54 67 54 - 140
soll ab 2021 die Bundesspitze der AWO als                     Icon Facebook und Instagram:
Co-Vorsitzende des Präsidiums verstärken. Die                 @awodemokratie
64-jährige Jesenwangerin engagiert sich seit                  www.awo-bayern.de
vielen Jahren für die AWO und bringt als SPD-
Mitglied des Bayerischen Landtages von 2003
bis 2018 politische Erfahrung in das Amt ein.
Die Wahl findet im Rahmen der für Juni 2021
geplanten Bundeskonferenz statt. Weitere
bayerische Kandidaten für das neue Präsidium
der AWO in Berlin sind Karin Hirschbeck, Vor-
sitzende des Kreisverbandes Fürth, und Stefan
Wolfshörndl, Vorsitzender des Bezirksverbands
Unterfranken. Beide gehören dem Gremium
bereits an und stellen sich erneut zur Wahl.

                                                                          WIR • Das Magazin der AWO Bayern   3
Mehr als ein Dach über dem Kopf. WIR über Leben und Wohnen - 4 2020 DAS MAGAZIN DER AWO BAYERN - AWO Unterfranken
„Menschlichkeit darf nicht
                          DIE „WIR-REDAKTION“                              unter Strafdrohung stehen“
                          Sie haben Anregungen, Lob oder                   Der Landesvorsitzende der Arbeiterwohlfahrt in
                          Kritik? Ihre Anmerkungen zum                     Bayern, Prof. Dr. Thomas Beyer, hat die bayerische
                          aktuellen Heft nehmen wir gerne auf.             Staatsregierung aufgefordert, gemeinsam mit den
                          Sie erreichen uns hier:                          Trägern von Pflegeheimen sowie den Angehörigen-
                                                                           vertretungen klare Rahmenbedingungen zu finden,
AUS DER AWO

                          Arbeiterwohlfahrt                                um Besuche in Pflegeheimen auch in den Winter-
                          Landesverband Bayern e.V.                        monaten zu ermöglichen. „Die Abschottung des
                          Edelsbergstraße 10, 80686 München                Frühjahres darf sich im Interesse aller Beteiligten
                          Telefon 089 546754–0                             nicht wiederholen. Heime sind keine Gefängnisse
                          redaktion@awo-bayern.de                          und können niemals Hochsicherheitstrakte sein“,
                                                                           ist Beyer überzeugt. Der AWO-Chef verwies nicht
                                                                           nur auf die immensen Belastungen, die eine Iso-
                                                                           lierung für Bewohner*innen und ihre Angehörigen
                                                                           mit sich bringt, sondern auch auf den enormen
                                                                           Druck, der dadurch für die Mitarbeitenden in der
                                                                           Pflege erzeugt wird. Andererseits fühle sich die
                                                                           Praxis zu sehr auf sich allein gestellt. „Wir brauchen
                                                                           jetzt klare Regeln für Besuchsmöglichkeiten in
                                                                           den Einrichtungen in Abhängigkeit vom örtlichen
                                                                           Infektionsgeschehen. Die Politik muss der Praxis
                                                                           hier Rückendeckung geben. Es darf nicht sein, dass
                                                                           die Einrichtungen, die der Menschlichkeit den
                                                                           gebotenen Raum geben, in einer permanenten
                                                                           Grauzone bis hin zur Anzeige bei der Staatsanwalt-
                                                                           schaft stehen“, formulierte Beyer seine Erwar-
                                                                           tungen an die zuständigen Ministerien.

              Gemeinsam für eine Wende
              Zu einem intensiven Meinungsaustausch kamen
              im August der Vorsitzende der SPD-Landtags-
              fraktion, Horst Arnold, und die Vorsitzende
              des Ausschusses für Arbeit, Soziales, Jugend       Nichts gegen Beziehungen
              und Familie im Landtag, Doris Rauscher, in
              die Nürnberger Geschäftsstelle des Landesver-      Peter Gaymann gehört zu den erfolgreichsten
              bandes. Neben der Würdigung der großen             Cartoonisten Deutschlands. Im neuen Tisch- und
              Leistungen der Beschäftigten des Sozialbe-         Postkartenkalender „Cartoons von der Couch“,
              reichs während der Corona-Pandemie stand           erschienen im Medhochzwei-Verlag, bringt er
              das gemeinsam mit dem Bund Naturschutz             wieder viele Beziehungs- und Therapiesituationen
              in Bayern erarbeitete AWO-Papier für eine          humor- und liebevoll auf den Punkt. WIR verlost
              sozial-ökologische Wende (WIR berichtete in        drei Tischkalender von Peter Gaymann. Einsen-
              Heft 3/2020) im Mittelpunkt des Gesprächs          deschluss ist der 31.Dezember 2020. Senden Sie
              mit AWO Landesvorsitzenden Prof. Dr.               einfach eine Mail mit Name, Anschrift und Telefon-
              Thomas Beyer.                                      nummer an petra.dreher @awo-bayern.de
                                                                 oder eine Postkarte an den AWO Landesverband,
                                                                 Edelsbergstraße 10, 80686 München. Die Gewinner
                                                                 werden schriftlich benachrichtigt. Stichwort
                                                                 „Beziehungen“.

              4   WIR • Das Magazin der AWO Bayern
Mehr als ein Dach über dem Kopf. WIR über Leben und Wohnen - 4 2020 DAS MAGAZIN DER AWO BAYERN - AWO Unterfranken
AWO Frauen und
Sozialpolitik
100 Jahre Bayerische AWO - das sind auch 100 Jahre
Geschichte bayerischer AWO Frauen, wie die im Oktober auf

                                                                                                                                  AUS DER AWO
dem Nürnberger Hauptmarkt eröffnete Ausstellung Mache-
rinnen. Helferinnen Frauen und die AWO zeigt. WIR hat den
Historiker Prof. Dr. Hermann Rumschöttel, Mitherausgeber
der Festschrift „Bayern ist ein Sozialstaat“, nach seinem
Blick auf die AWO gefragt.
Interview: Isabel Krieger

Herr Prof. Rumschöttel, was macht aus Ihrer Sicht die AWO
heute aus?
Die schwierige, aber bemerkenswert erfolgreiche Kom-
bination von drei Handlungsfeldern: Die traditionelle
Aufgabe als sozialpolitische Speerspitze im modernen
Staat, die gesellschaftlichen Leistungen einer ehrenamt-
lich engagierten Mitgliederorganisation und schließlich
die Effektivität und Produktivität eines professionellen
Dienstleistungsunternehmens. Im sehr harmonischen
Konzert der wohlfahrtspflegerischen Spitzenverbände in
unserem Freistaat spielt die AWO als „soziale Stimme“
eines Sozialen Bayern eine unverwechselbare (und un-
verzichtbare) tragende Rolle.                                        Die Festschrift „Bayern ist ein Sozialstaat“, von
                                                                 Prof. Dr. Hermann Rumschöttel und Prof. Dr. Thomas Beyer,
Welche Rolle spielten für die Entwicklung des Verbandes in       ist unter https://verlag.geiselberger.de erhältlich.
Bayern die Frauen?
AWO-Geschichte ist Frauengeschichte. Oder umgekehrt:               Die Ausstellung „Macherinnen. Helferinnen. Frauen
Die gesellschaftliche und politische Emanzipation der            und die AWO“ lädt zu einem virtuellen Rundgang auf der
Frauen im 20. Jahrhundert mit all ihren Hürden und Er-           Homepage unter www.awo-bayern.de ein.
folgen kann am Beispiel der AWO deutlich vor Augen ge-
führt werden. Die AWO war immer auch eine frauenpo-
litische Speerspitze. Ins Leben gerufen von einer
mutigen, politisch denkenden und handelnden Frau, bis        Die Arbeiterwohlfahrt ist Teil der Sozialgeschichte des Frei-
heute in der ehrenamtlichen Wohlfahrtspflege mehr-           staats. Täuscht der Eindruck, dass das Soziale Bayern bei der
heitlich von Frauen getragen und als Aktionsrahmen für       geschichtlichen Darstellung bis heute etwas kurz kommt?
nach gesellschaftlicher und politischer gleichberechtigter   Das muss man leider zugeben. Bayerische Geschichte
Mitwirkung strebender Frauen, kann man die Geschich-         des 19. und 20. Jahrhunderts in Forschung, Lehre und
te der Arbeiterwohlfahrt als eine Erfolgsgeschichte des      Darstellung war sehr lange Zeit vor allem Herrscher-
Kampfes um Gleichberechtigung verstehen. Eines               und Staatsgeschichte. Seit den 1970er Jahren sind aller-
Kampfes freilich, der noch nicht beendet ist.                dings in wachsendem Maße gesellschaftsgeschichtliche
                                                             Themen in den Fokus gerückt. „Gesellschaft“ mit ihren
                                                             wirkungsmächtigen Aktivitäten und ihren einflussrei-
                  „Die AWO ist bis heute                     chen Organisationen wird heute als wesentliches, zum
                                                             Teil als entscheidendes Element der historischen Ent-
                  eine sozialpolitische                      wicklung erkannt und beschrieben. Ein nicht unwichti-
                  Speerspitze.“                              ger Grund für die „Staats- und Kirchenlastigkeit“ der
                                                             älteren Landesgeschichte ist die Tatsache, dass die Quel-
                  Historiker Prof. Dr. Hermann
                                                             lenlage ordentlich ist. Ein Hinweis deshalb an die AWO:
                  Rumschöttel.
                                                             Man muss seine Spuren dokumentieren, wenn man will,
                                                             dass sie später ein Historiker entdeckt.

                                                                                           WIR • Das Magazin der AWO Bayern   5
Mehr als ein Dach über dem Kopf. WIR über Leben und Wohnen - 4 2020 DAS MAGAZIN DER AWO BAYERN - AWO Unterfranken
Nur ein Dach?
                   Wie wollen wir im Alter leben? Lange stellten sich die Menschen diese Frage
LEBEN UND WOHNEN

                   nicht. Der Familienverbund, das Dorf, die Nachbarschaft waren mehr oder
                   weniger verlässliche Garanten dafür, zumindest die rüstigen Jahre gut in
                   den eigenen vier Wänden verbringen zu können. Doch mit zunehmender
                   Mobilität, mit ausblutenden Ortschaften auf dem Land, mit immer weniger
                   bezahlbarem Wohnraum nicht nur in den Ballungsräumen und einer immer
                   älter werdenden Gesellschaft rückt das Thema Wohnen im Alter stärker in
                   den Blick. Die bayerische AWO hat mit dem Projekt „LiA - Leben im Alter“
????????

                   eine Bestandausnahme gemacht, welche Wohnformen und Unterstützungs-
                   angebote es für das letzte Lebensdrittel gibt – von Pflegeeinrichtungen bis
                   zum ambulanten Wohnen.

                   „Die häufigste Wohnform im Alter, nämlich das Wohnen in
                   einer normalen Wohnung, spielt in der öffentlichen Diskus-
                   sion um die Versorgung älterer Menschen häufig nur eine
                   untergeordnete Rolle“ , sagt Stefanie Fraaß, die das Projekt
                   für den AWO Landesverband Bayern durchgeführt hat.
                   Dabei wünschten sich die meisten Menschen genau das.
                   „Ziel ist es deshalb, älteren Menschen – sowohl im länd-       In vielen Regionen Bayerns hat die AWO bereits Anlauf-
                   lichen Raum, in Stadtrandgebieten als auch in städtischen      stellen geschaffen, die sich mit dem Älterwerden im
                   Wohnquartieren – die Unterstützung zukommen zu lassen,         eigenen Quartier beschäftigen. So gibt es beispielsweise
                   die sie brauchen, um im Alter so lange wie möglich gut         in Augsburg, Landshut, Forchheim und Nürnberg Projekte
                   in den eigenen vier Wänden zu leben.“                          für Betreutes Wohnen und Quartiersmanagement. Ein
                                                                                  besonderes Projekt hat die AWO im oberfränkischen Coburg
                   Die Vernetzung und das Zusammenspiel von Dienstleis-           initiiert. Unter dem Dach eines eigenen Trägervereins,
                   tern, An- und Zugehörigen, Nachbar*innen und Ehren-            der am Mehrgenerationenhaus angesiedelt ist, eröffnete
                   amtlichen sind dabei ein Schlüsselfaktor. Sie ermöglichen      2009 das alternative Wohnprojekt Wilna. Die Abkürzung
                   den Aufbau von Versorgungsnetzwerken. Die Angebote             steht für „Wir leben nicht allein“. 15 abgeschlossene
                   müssen sich an den Bedürfnissen vor Ort orientieren:           barrierefreie Wohnungen sowie eine Gemeinschaftswoh-
                   Vielleicht braucht es einem Viertel zum Beispiel keinen        nung stehen hier Menschen allen Alters in einem altein-
                   Supermarkt, aber dringend einen Hausarzt. In einem             gesessenen Wohnquartier der gut 40.000 Einwohner
                   anderen hingegen eine funktionierende Nachbarschafts-          zählenden Stadt als Mietwohnungen zur Verfügung.
                   hilfe als Ergänzung bereits bestehender Infrastruktur.
                   „Im Rahmen von lokalen Verantwortungsgemeinschaf-              Die Bewohner*innen des Mehrfamilienhauses unter-
                   ten können die Akteure vor Ort die Konzepte entwickeln,        stützen sich gegenseitig im Alltag und organisieren auch
                   die passgenau sind“, fasst Fraaß zusammen.                     gemeinsame Aktivitäten. Mehr als zehn Jahre sind seit
                                                                                  der Eröffnung vergangen und Johanna Thomack vom
                                                                                  Trägerverein zieht eine positive Bilanz. „Es war ein langer
             „Wer im Alter nicht                                                  Prozess, bis wir das Haus eröffnen konnten. Wir mussten
             allein sein will,                                                    die Idee erst zu den Menschen bringen. Doch heute sind
                                                                                  alle Wohnungen vermietet. Wir haben sogar eine Warte-
             muss auf Menschen                                                    liste und Interessenten für weitere Häuser“, sagt sie. „Was
             zugehen.“                                                            uns fehlt, sind brauchbare Immobilien und Investoren
                                                                                  für ein weiteres Quartiersprojekt“, sagt Thomack.
             Ursula Schmitt
Mehr als ein Dach über dem Kopf. WIR über Leben und Wohnen - 4 2020 DAS MAGAZIN DER AWO BAYERN - AWO Unterfranken
Zusammen Leben
Ursula Schmidt ist eine der Bewohnerinnen. Vor drei
Jahren zog die rüstige 75-Jährige aus ihrem Haus in          Im Landkreis Coburg hat die AWO vor gut fünf
eine 85 Quadratmeterwohnung im Erdgeschoss und hat           Jahren ein innovatives Projekt auf den Weg gebracht:
ihren Entschluss nicht bereut. „Nach dem Tod meines          „Zusammen Leben“ soll ältere Menschen mit Familien

                                                                                                                           LEBEN UND WOHNEN
Mannes war ich alleine in einem großen Haus. Hier            zusammenbringen. Das Projekt ist am Coburger
habe ich Menschen und Geselligkeit, kann aber auch           Mehrgenerationenhaus angesiedelt. WIR hat bei
die Türe zu machen, wenn ich mag“, sagt sie.                 Projektleiterin Kristin Herbst nachgefragt.

Doch nicht nur im Haus, auch mit der Nachbarschaft gibt      Frau Herbst, was müssen Menschen mitbringen,
es mittlerweile einen guten Austausch. Zum Beispiel beim     die sich auf ein gemeinsames Wohnprojekt wie
gemeinsamen Mittagessen, zu dem regelmäßig Menschen          „Zusammen Leben“ einlassen?

                                                                                                                           ????????
zusammenkommen und von ehrenamtlichen Mitarbei-              Auf jeden Fall Offenheit und klare Vorstellungen.
ter*innen bekocht werden. Die Wohnung kann auch              Zusammen zu leben, bedeutet immer auch, sich auf
privat von den Bewohnern genutzt werden. „Die Mieter         einen anderen Menschen einzustellen. Das geht nur,
beherbergen hier beispielsweise Gäste“ sagt Johanna          wenn ich selbst genau weiß, wie ich leben möchte.
Thomack. Die Sozialpädagogin steht als Ansprechpartnerin
bereit, vermittelt, organisiert und unterstützt, wo nötig,   Wer kommt zu Ihnen?
die Hausgemeinschaft. „Es gibt natürlich auch immer          Das sind meist ältere Menschen, die nicht mehr
mal was zu klären. Alles in allem kann man aber sagen,       alleine leben wollen und Anschluss suchen. Wir
dass es ziemlich gut klappt“. Das Nachbarschaftsnetz,        sprechen aber auch gezielt Menschen an, die über
das zunächst nur für den Stadtteil konzipiert war, hat       leerstehenden Wohnraum verfügen und vielleicht
mittlerweile viele Äste, von denen auch das Coburger Mehr-   einen älteren Menschen oder eine Familie bei
generationenhaus profitiert. „Wir haben heute über           sich aufnehmen wollen.
300 Ehrenamtliche, die sich in der gesamten Stadt enga-
gieren“, sagt Thomack. „Das ist ein riesen Gewinn“.          Sie empfehlen, das Zusammenleben klar zu regeln,
                                                             etwa Hilfen vertraglich festzuhalten. Widerspricht
Für Stefanie Fraaß vom AWO Landesverband ein Beispiel,       das nicht der Idee des gemeinschaftlichen Lebens
wie das Zusammenspiel der Akteure zugunsten eines            und Wohnens?
Miteinanders der Generationen gelingen kann. 2021            Im Gegenteil. Je genauer die jeweiligen Erwartungs-
soll der Abschlussbericht des Projekts LiA erscheinen,       haltungen und Vorstellungen schon im Vorfeld aus-
mit einem Fazit, welche Aufgaben nicht nur auf die AWO       gesprochen und schriftlich fixiert werden, desto
in den nächsten Jahren zukommen. „Wenn wir als Ge-           mehr Freiräume entstehen im Alltag, weil jeder
sellschaft den Vorstellungen von Senior*innen gerecht        weiß, was er vom anderen erwarten kann und darf.
werden wollen, müsse wir uns mit dem Thema Leben
und Wohnen mehr beschäftigen“, ist sie sich sicher.          Was leisten Sie als Projektleiterin?
                                                             Wir bringen die Interessenten zusammen und
                                                             schauen, ob es passt. Dazu braucht es oft vieler
             „In unseren Wohnprojekten                       Gespräche. Manchmal hakt es an Kleinigkeiten,
                                                             beispielsweise, dass jemand eine Katze hat, der
             unterstützen sich Menschen                      potenzielle künftige Mitbewohner aber eine Haus-
             gegenseitig im Alltag. Das hilft                tierallergie. So etwas kann man schon zu Beginn
             allen, die dort leben.“                         klären. Und natürlich begleiten wir die Projekte.
                                                             Manchmal gibt es auch Krisen. Dann bieten
             Johanna Thomack und Kristin Herbst,             wir Mediation an. Oder aber die Lebensumstände
             Mehrgenerationenhaus Coburg                     verändern sich, weil jemand erkrankt. Dann
                                                             können wir als Fachstelle für pflegende Angehö-
                                                             rige zum Beispiel Unterstützung organisieren.

                                                               Infos unter www.awo-mgh-coburg.de/
                                                             ueber-uns/leben-in-gemeinschaft

                                                                                    WIR • Das Magazin der AWO Bayern   7
Mehr als ein Dach über dem Kopf. WIR über Leben und Wohnen - 4 2020 DAS MAGAZIN DER AWO BAYERN - AWO Unterfranken
Mit einer Schmink-
                                                                                                        aktion mitten in
                                                                                                        der Stadt wies das
                                                                                                        Würzburger Frauen-
                                                                                                        haus auf das Problem
LEBEN UND WOHNEN

                                                                                                        von Gewalt gegen
                                                                                                        Frauen hin.
????????

                                                                                                          Von allem zu wenig
                                                                                                          In den letzten Jahren suchten jährlich
                                                                                                          etwa 1.700 Frauen in Bayern mit

                   Wohnen ist existenziell
                                                                                                          mehr als 1.700 Kindern Zuflucht in
                                                                                                          einem Frauenhaus. Bayernweit gibt es
                                                                                                          39 staatlich geförderte Frauenhäuser,
                                                                                                          darunter sieben in Trägerschaft der
                   Für Frauen, die aus einer gewalttätigen Beziehung in ein Frauenhaus geflüchtet         AWO, die 362 Plätze für Frauen und
                   sind, womöglich mit Kindern, ist Wohnen weit mehr als ein Dach über dem                437 Plätze für Kinder bereitstellen.
                   Kopf – es ist existenziell. In den vergangenen Jahren war die Situation der            Gemäß der von Deutschland ratifizierten
                   Frauenhäuser im Freistaat jedoch finanziell angespannt. Die AWO hat darauf             Istanbulkonvention müsste wenigstens
                   über Jahre hinweg immer wieder hingewiesen. Nun gibt es seit 2019 mehr                 ein „Family place“ (=2,59 Betten) pro
                   Geld für die Frauenhäuser, die damit zusätzliche Plätze schaffen können.               10.000 Einwohner*innen vorgehalten
                   Doch noch immer nicht gelöst ist das drängendste Problem: der fehlende                 werden. Nach Empfehlung des Europa-
                   Wohnraum im Anschluss. Weil sie vor allem in Ballungsräumen keine bezahlbare           rates wäre sogar ein Frauenhausplatz
                   Wohnung finden, in die sie nach der Obhut des Frauenhauses ziehen können,              pro 7.500 Einwohner*innen angemes-
                   bleibe viele Frauen dort länger, als sie selbst eigentlich wollen. Das führt dazu,     sen. Eine Bedarfsermittlungsstudie von
                   dass die Plätze in den Frauenhäusern weiterhin knapp bleiben, auch wenn                2016 zeigte: Der Freistaat ist bislang
                   Einrichtungen wie das Würzburger Frauenhaus durch die höhere Förderung                 davon weit entfernt.
                   Anfang 2021 vier zusätzliche Unterbringungsmöglichkeiten schaffen können.
                                                                                                          Die AWO ist an dem Modellprojekt
                   Etwas Entspannung bringt seit 2020 ein vom Sozialministerium gefördertes               Second-Stage an folgenden Stand­
                   Projekt mit dem Namen „Second - Stage“. Es macht den Frauenhäusern mög-                orten beteiligt:
                   lich, die Frauen bei der Wohnungssuche zu unterstützen und sie auch während            • AWO Frauenhaus Dachau gGmbH,
                   der ersten Zeit in der neuen Bleibe zu betreuen und zu begleiten. „Das sind               Frauenhaus Dachau
                   Frauen, die haben kein soziales Netz und vielfach auch keine Familie und keinen        • AWO Bezirksverband Unterfranken e.V.,
                   Beruf“, sagt Brita Richl, Leiterin des Würzburger Frauenhauses, „ohne Unter-              Frauenhaus Würzburg AWO
                   stützung ist es für sie fast unmöglich, eine Wohnung zu bekommen“. Seit Januar         • AWO Kreisverband Mittelfranken Süd
                   2020 ist am Würzburger Frauenhaus, das eines von bayernweit 17 Second-                    e.V., Frauenhaus Schwabach
                   Stage Projekthäusern ist, eine Mitarbeiterin angesiedelt, die sich um Kontakte         • AWO Kreisverband Wunsiedel e.V.,
                   mit Wohnungsbauunternehmen und Vermietern kümmert. Obwohl Corona den                      Frauenhaus Selb
                   Mietmarkt im Frühjahr komplett lahm legte, gibt es erste Erfolge: Im August            • AWO Betriebsträger und Projektent-
                   konnte eine Frau mit vier Kindern, die zuvor eineinhalb Jahre im Frauenhaus               wicklungsgesellschaft mbH Augsburg,
                   lebte, eine Second-Stage Wohnung beziehen. Weitere Gespräche laufen.                      Frauenhaus Augsburg
                                                                                                          • AWO Ortsverein e.V. Neu-Ulm,
                   „Wohnungssuchen sind sehr zeitintensiv“, sagt Frank Alibegovic, Fachbereichs-            Frauenhaus Neu-Ulm.
                   leiter Kinder, Jugend und Familie beim Bezirksverband Unterfranken „es gibt
                   wenige, die finanziell überhaupt in Frage kommen“. Doch auch nach einem
                   Umzug ist Unterstützung nötig: „Diese Frauen brauchen bei vielen Themen Hilfe.
                   Das fängt bei der Korrespondenz mit Behörden an und geht bis zur Suche nach
                   einem Kinderarzt“, berichtet Brita Richl. „Das Übergangsmanagement ist ganz
                   entscheidend. Nur so kann der Weg in ein eigenständiges Leben gelingen.“

                   8   WIR • Das Magazin der AWO Bayern
Mehr als ein Dach über dem Kopf. WIR über Leben und Wohnen - 4 2020 DAS MAGAZIN DER AWO BAYERN - AWO Unterfranken
INTERVIEW                                                                                 Leonhard Höss, Jahrgang 1963,
                                                                                          studierte Architektur und betreibt

Bauen mit Finger-                                                                         zusammen mit zwei Partnern
                                                                                          das Büro Höss Amberg + Partner

                                                                                                                                      LEBEN UND WOHNEN
                                                                                          Architekten in München, das

spitzengefühl                                                                             sich auf das Planen und Bauen
                                                                                          barrierefreier Architektur vor
                                                                                          allem für die ältere Generation
Interview: Isabel Krieger                                                                 spezialisiert hat. Infos unter
                                                                                          www.hap-architekten.de

Herr Höss, die meisten Architekten          angeschlossen. Wir versuchen,

                                                                                                                                      ????????
bauen für junge und gesunde Men-            Grundrisse zu entwickeln, die
schen. Schicke Lofts, Offices, Kitas. Ihr   unterschiedliche Nutzungsszenarien
Büro hat sich auf den Bau von Pflege-       ermöglichen, damit das Heim nicht
heimen spezialisiert. Wie baut man          schon nach wenigen Jahren wieder
für hochbetagte Menschen?                   komplett umgebaut werden muss.
Unser erstes neugebautes Heim ent-          Damit man aus zwei Einzelzimmern
stand Ende der 1980er Jahre in              ein Appartement machen oder in
Zusammenarbeit mit dem Kuratorium           einem Gebäudeflügel ohne großen
für Altenhilfe. Es war ein Modellpro-       Aufwand eine Demenzwohngruppe
jekt, in dem ein Wohngruppenkon-            oder Pflegeoase einrichten könnte.
zept umgesetzt wurde, was damals
noch ungewöhnlich war. Seither              Früher waren Heime meist zweigeteilt:
hat sich viel verändert. Es gibt immer      Es gab einen Bereich für die „Rüstigen“,   nicht riesige Fassaden bauen,
wieder Stimmen, die meinen, Heime           und einen Bereich für Menschen mit         man kann auch Flure und Eingangs-
werden nicht mehr gebraucht. Das            Pflegebedarf. Heute sind Heime fast        bereiche nutzen, indem man dort
glaube ich nicht. Es wird immer             ausschließlich Orte für Menschen, die      Lichthöfe schafft, die Tageslicht
Heime geben, denn das Pflegethema           am Ende des Lebens Pflege benötigen.       hereinlassen. In den Wohngruppen
bleibt. Man versucht heute mehr als         Was bedeutet das für die Gestaltung        wiederum darf es nicht überall hell
früher, in Heimen das Leben abzu-           der Räume?                                 sein, da muss das Lichtkonzept den
bilden. Durch Hausgemeinschaften,           Die Bewegungsflächen sind in den           Tag -Nacht-Rhythmus der Bewohner
durch kleinere Wohneinheiten mit            vergangenen Jahren etwas größer            berücksichtigen. Ein Pflegeheim ist
Küche und Gemeinschaftsbereich,             geworden, der einzelne Mensch hat          kein Krankenhaus light. Die Wohnlich-
durch Einzelzimmer, die auch in der         einen größeren Radius zugesprochen         keit muss im Vordergrund stehen.
letzten Phase des Lebens eine ge-           bekommen. Zudem ist es seit einigen
wisse Privatheit ermöglichen. Darüber       Jahren Vorschrift, dass mindestens         Alte Menschen sind verletzlich. Sie
hinaus spielt Teilhabe eine große           ein Viertel der Zimmer rollstuhl-          hören und sehen oft schlecht, sind
Rolle. Wir haben neulich ein Heim           gerecht ist. Das ist für die Betreiber     sturzgefährdet. Demente Menschen
aus den 1970er Jahren abgerissen,           nicht immer leicht, denn auch              verlieren häufig die Orientierung. Wie
das hatte noch zehn steile Stufen           bestehende Bauten müssen nach-             kann die Architektur dagegen wirken?
bis zum Eingang. Und igendwo                gerüstet werden, was mit hohen             Man kann man Räume schon
versteckt einen Aufzug. Das gibt es         Kosten und viel Aufwand verbunden          so gestalten, dass sie Sicherheit
heute nicht mehr.                           ist. Nicht selten ist da ein Neubau,       und Orientierung geben. Indem
                                            der auch energietechnisch auf dem          man sie klar strukturiert, in dem
Wie wird stattdessen gebaut?                neuesten Stand ist, besser.                man Farben verwendet, die positiv
Wenn ein Heim neu entsteht, dann                                                       wirken, in dem man Fluchttüren
natürlich barrierefrei und vom              Viele Menschen in Heimen sind bett-        dezent verkleidet, indem man
Grundriss her so gestaltet, dass es         lägerig, viele haben Demenz. Kann die      Übergänge im Boden schafft, die
ins Quartier passt. Dem geht meist          Architektur da einen positiven Beitrag     ein Signal aussenden, wenn ein
ein langer Abstimmungsprozess, mit          leisten?                                   dementer Mensch die Einrichtung
der Kommune, mit den Anwohnern              Ich denke schon. Licht etwa spielt         verlassen will. Hinter dem was
und natürlich mit dem Betreiber,            eine große Rolle. Man weiß heute,          machbar ist, stehen oft natürlich
voraus. Einige Heime haben heute            dass Tageslicht die Stimmung positiv       ethische Fragen. Wie viel Sicher-
auch eine Tagespflege oder eine             beeinflusst, gerade dann, wenn             heit braucht es, wie viel Freiheit
Cafeteria, die auch von externen            Menschen an Demenz leiden. Um              muss sein? Das ist eine Debatte,
Besuchern gerne genutzt wird,               Licht ins Haus zu holen, muss man          der sich die Pflege stellen muss.

                                                                                               WIR • Das Magazin der AWO Bayern   9
Mehr als ein Dach über dem Kopf. WIR über Leben und Wohnen - 4 2020 DAS MAGAZIN DER AWO BAYERN - AWO Unterfranken
Gut gedacht und
                   gemacht
LEBEN UND WOHNEN

                                                              HalliHallo
                   Viele gute Ideen haben Menschen            Damit Seniorinnen und Senioren            Klein, aber fein: Der Kerwa-Baum 2020
                   während der letzten Monate entwickelt,     auch in Zeiten von sozialem Abstand
                   um die Folgen der Corona-Krise für         andere Menschen unterstützen kön-
                   Alte, Arme und Familien mit Kindern        nen, hat Sonja Block während des
                   abzumildern. Die Bertold Kamm Stif-        Lockdowns ein Projekt zum Austausch
                   tung will dieses Engagement würdi-         gestartet. Die Idee: Senior*innen
                   gen: Mehr als ein Dutzend Zuschriften      sprechen online mit Menschen, die
                   mit Ideen aus allen Teilen des Landes      ihr Deutsch verbessern wollen. Sie
                   gingen ein. Fünf besonders gelungene       bieten den Deutsch-Lernenden in
                   Projekte hat die Jury des Stiftungsvor-    Video-Gesprächen einen geschützten
                   standes daraus nun ausgewählt. Sie         Raum, in dem diese ihre Sprach-
                   werden mit 200 Euro ausgezeichnet. Alle    kenntnisse in Ruhe anwenden können
                   anderen Projekte erhalten als Aner-        und sie dadurch verbessern. Ein tolles
                   kennung 50 Euro. Die Stiftung sagt Danke   Einzelengagement, das gewürdigt ge-       Handpuppe Purzelbaum geht YouTube
                   für so viel Engagement.                    hört. Infos unter www.hallihallo.org

                   Ein Hauch von Kerwa                        Lebensmittel für Alte und Arme
                   Traditionell startet mit der Kerwa im      Gleich zu Beginn der Pandemie hatte
                   Erlanger Ortsteil Büchenbach jedes Jahr    die AWO Nachbarschaftshilfe Otto­
                   die Kirchweih des AWO Sozialzentrums       brunn- Hohenbrunn- Neubiberg
                   in Büchenbach, das neben seinen            eine Lebensmittelaktion ins Leben
                   Bewohner*innen auch die Menschen           gerufen, um bedürftige Menschen
                   im Stadtteil einlädt. Wegen Corona         zu unterstützen. Anfangs gaben die        HalliHallo schafft Begegnungen
                   konnte die Büchenbacher Kerwa 2020         Aktiven weiter, was gespendet wurde,
                   nicht stattfinden. Umso stolzer ist das    bald unterstützten auch Betriebe
                   Sozialzentrum darauf, dass es seinen       aus der Region das Projekt, das sich
                   Bewohner*innen eine zwar etwas             schnell so etablierte, dass die „Aktion
                   kleinere und hausinterne, aber den-        Mensch“ darauf aufmerksam wurde
                   noch gelungene Kerwawoche ermög-           und es finanziell einmalig unter-
                   lichen konnte. Dabei gab es fränkische     stützte. Nun ist es Winter geworden,
                   Schmankerl, Musik und viele Aktionen       die Pandemie hält an und die Nach-
                   und die Wohnbereiche waren ge-             barschaftshilfe würde die Initiative
                   schmückt. Und natürlich durfte auch        gerne fortführen. Auch dafür gibt es
                   ein Kerwabaum nicht fehlen.                200 Euro von der Kamm Stiftung.

                                                                                                        Lebensmittelspenden in der Krise
                   Purzelbaum auf YouTube                     Eisrallye durch Füssen
                   Damit ihre Krippenkinder während           Der Lockdown in der Corona-Krise
                   des Lockdowns ihre geliebte Hand-          stellte insbesondere Familien vor
                   puppe, das Zwerglein Purzelbaum,           große Herausforderungen. Gegen
                   nicht vergessen, hatte sich Krippen-       Frust, Langeweile und Lagerkoller
                   mitarbeiterin Conny Reichert von der       entwickelten die Leiterinnen des
                   AWO Kinderkrippe Zauberwald in Burg-       AWO FamilienForums in Füssen die
                   hausen etwas Besonderes ausgedacht.        1. Füssener AWO-Eisrallye. Über
                   Sie richtete kurzerhand in ihrer Woh-      einen Zeitraum von drei Wochen
                   nung ein kleines Aufnahmestudio            konnten Familien mit Kindern
                   ein - und dann wurde gefilmt. Pur-         an einer Schnitzeljagd durch die
                   zelbaum bekam auf Youtube dann             Stadt teilnehmen. Die Lösungs­
                   sogar einen eigenen Kanal. Dort            buchstaben waren an öffentlichen
                   sind mittlerweile eine ganze Reihe         Plätzen versteckt. Am Ende gab es
                   Videos zu sehen. Die Jury ist der          für alle 77 Teilnehmer*innen ein
                                                                                                        Eisrallye quer druch Füssen
                   Meinung: Das ist tolles Engagement!        leckeres Eis.

                   10   WIR • Das Magazin der AWO Bayern
WIR                                            Inhalt
                                               12 AWO Leben
IN UNTERFRANKEN                                Wussten sie schon, dass … • AWO macht Schlagzeilen •
                                               SPD Marktbreit spendet Rosen • Spende für Gerbrunner

                                                                                                                                               EDITORIAL / INHALT
                                               Waldkindergarten
Liebe Leser*innen,
im Herbst hat uns die Corona-Pandemie
nochmals voll erwischt. Wer dachte, das
Frühjahr war schon schlimm und ­damit
sei alles überstanden, sieht sich nun ge-
täuscht. Im Sommer fielen viele uns lieb

                                                                                                                   Foto: Pat Christ
gewordene Traditionen, wie Volksfeste,
Jahrmärkte, Kirchweih oder Weinfeste           14
einfach ersatzlos aus. Das gesellschaftliche   AWO leistet Beitrag zu den Nachhaltigkeitszielen der
Leben wurde fast auf Null heruntergefah-       Vereinten Nationen.
ren. Nun im Herbst und wahrscheinlich
auch im Winter wird es nicht besser. Die
                                               14 Thema: AWO Schwerpunkt
                                               Im AWO-Seniorenzentrum Knetzgau wird kein
Weihnachtsmärkte werden fast überall           ­Bewohner bevormundet oder gegängelt
abgesagt oder finden nur in veränderter
Form statt. Kein gemütliches Beieinander,      17 AWO Leben
selbst die Kontakte bei Familienfeiern sind    Tagespflege Werntal bietet regelmäßig Fahrten an •
eingeschränkt. Wie will man denn einen         40 Jahre Arbeiterwohlfahrt in Gerbrunn • Haus Sonnen-
                                               blick bekam neues Auto • Partensteiner Einrichtungs­
Geburtstag oder ein anderes Jubiläum mit
                                               leiterin geht in Ruhestand • Jugendwerk on Tour •
nur wenigen Personen feiern? Da geht           Waldbande in Volkach • Weiter­bildung erfolgreich abge-
ganz viel menschliche Nähe verloren.           schlossen
Die Herzlichkeit der ganzen AWO-Familie
wird auf eine harte Probe gestellt. Auch

                                                                                                                   Foto: Tagespflege Werntal
beruflich sind die Einschränkungen spür-
bar, wenn man mal in die Seniorenheime
schaut oder sich die Betreuung unserer
Kleinsten im Kindergarten betrachtet.                                                               17
Kuscheln mit Maske, das geht doch über-        AWO Tagespflege Werntal: Ausflüge in Zeiten von Corona.
haupt nicht.
Aber verlieren Sie nicht den Mut, es kommen    23 AWO Impulse
auch wieder bessere Zeiten und die werden      Johanna-Kirchner-Haus wird umfassend saniert •
                                               AWO-Internetcafe für Senioren Ochsenfurt • Pflegekräfte
wir dann noch intensiver genießen.
                                               demonstrieren für bessere Rahmenbedingungen in der
Redaktionsschluss für die nächste ­Ausgabe     Pflege • Reisetipp: Geschichte und Genüsse neu entde-
ist der 2. Januar 2021.                        cken

                     Herzlichst Ihr            28 Menschen
                     Matthias Ernst            Ungewöhnlicher Besuch im Bernhard-Junker-Haus •
                     Redakteur                 ­Ingrid Schinagl feierte 65. Geburtstag • Leitungswechsel
                                                im Parkwohnstift • Ehrungen • Seniorentreff unter
                                                ­freiem Himmel
                     Kontakt:
                     Tel: 0931 29938-247
                     (Di. und Do., 9–15 Uhr)   32 Service
                     Mobil: 0176 38740644      Fördererwerbung in Zeiten von Corona • Gewinnspiel •
                     E-Mail: matthias.ernst@   Veranstaltungen • Mitgliedervorteile • Rechtstipp
                     awo-unterfranken.de

                                                                           WIR • Das Magazin der AWO Bayern   11
Wussten Sie schon, dass ...
                               … die Bundesregierung bis 2025 über eine Millionen Ganztagsbe-
                               treuungsplätze schaffen und einen Rechtsanspruch auf eine ganz-
                               tägige Betreuung für alle Grundschulkinder einführen will. Klingt
                               erst mal gut, aber ein hastiges Verfahren, diesen einzuführen, birgt
AWO LEBEN

                               auch die Gefahr, dass der qualitative Anspruch daran verloren geht.
                               Denn das schadet den Kindern und der Chancengleichheit.
                               Gute Ganztagsbetreuungen dürfen keine Verwahranstalten aus
                               ­einem Eilverfahren heraus sein.
                               Daher fordern wir gemeinsam mit dem AWO Bundesverband und
                               weiteren Verbänden die Qualität beim Ausbau des Ganztages als
                               oberstes Ziel anzusetzen.

                                                                       … die AWO sich an der Aktion: „Eine gute Zukunft für alle? Daran arbeiten
                                                                       wir!“ beteiligt?
                                                                       Nachhaltigkeit bedeutet, so zu leben, dass es eine gute Zukunft für alle gibt.
                                                                       In den 17 Zielen für Nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen finden
                                                                       sich auch unsere AWO-Werte: Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit, Solidarität
                                                                       und Toleranz wieder.
                                                                       Wir wollen jetzt zeigen, wie man sie ganz praktisch im Alltag mit Leben
                                                                       füllen kann: Deshalb startet die AWO-Kampagne für eine nachhaltige Wohl-
                                                                       fahrt, mit Praxistipps, Erfahrungsberichten und Ideen für eine nachhaltige
                                                                       Zukunft von Sozialer Arbeit und Ehrenamt.
                                                                       18 000 Einrichtungen und Dienste der Arbeiterwohlfahrt sind schon dabei
                                                                       - auch wir, die AWO Unterfranken! Auf der Kampagnenseite finden sich be-
                                                                       reits viele Projekte aus der AWO-Welt: www.wirarbeitendran.awo.org

                                                                                                                     ... der AWO Garten- und
                                                                                                                     Landschaftsbetrieb MainGar-
                                                                                                                     ten umgezogen ist? Für zu-
                                                                                                                     künftigen Schriftverkehr bitte
                                                                                                                     nur noch die neue Adresse
                                                                                                                     benutzen:
                                                                                                                     MainGarten,
                                                                                                                     AWO Integrations gGmbH,
                                                                                                                     Michelfelder Str. 7,
                                                                                                                     97340 Marktbreit
                                                                                                                     Auch die E-Mail Adresse
                                                                                                                     hat sich geändert. Ab sofort
                                                                                                                     ist nur noch nachfolgende
                                                                                                                     E-Mail Adresse verfügbar:
                                                                                                                     Post@main-garten.de
            Foto: MainGarten

                                                                                                                     Sie erreichen uns auch
                                                                                                                     ­telefonisch unter:
                                                                                                                      09332 5902380

                               12   WIR • Das Magazin der AWO Bayern
AWO MACHT SCHLAGZEILEN
Foto: SPD Marktbreit

                                                                                                     Essen für Senioren

                                                                                                                                                 AWO LEBEN
                                                                                                    Unter dem Titel: „Genussvoll es-
                                                                                                    sen in Senioreneinrichtungen“
                                                                                                    berichtet die Main-Post am 11.
                       SPD Marktbreit spendet Rosen an das Haus der Senioren                        Oktober über eine Fortbildung für
                                                                                                    schmackhaftes Essen für Senioren,
                       Normalerweise gibt es jedes Jahr für die Mütter und Großmütter, welche       an der auch das AWO Senioren-
                       die Schulanfänger*innen auf ihrem ersten Tag in die Schule begleiten,        zentrum in Mömlingen teilnahm.
                       eine Rose, berichtet der Vorsitzende der SPD Marktbreit Werner Hund. Dies    Weiter heißt es: „Neben einer
                       sei schon seit 40 Jahren bei der SPD Tradition.                              guten Pflege ist eine gute Verpfle-
                       Da die Rosenaktion dieses Jahr der Corona-Pandemie zum Opfer gefallen        gung die Grundlage dafür, dass
                       war, wollte der Verein trotzdem eine Freude machen und entschied sich        sich die Menschen in den Einrich-
                       dafür, die Bewohner*innen und Mitarbeiter*innen des Haus der Senioren        tungen wohl und zu Hause fühlen
                       Marktbreit zu beschenken. Die Rosen nahm stellvertretend für alle Bewoh-     können. Die sieben unterfrän-
                       ner*innen Frau Sylvia Geenen als Vorsitzende des Heimbeirates entgegen.      kischen Coaching-Einrichtungen
                                                                                                    haben dies erkannt und sich im

                       Spende für den Waldkindergarten
                                                                                                    Coaching Seniorenverpflegung auf
                                                                                                    den Weg gemacht“. Anfangs stan-
                                                                                                    den die Themen Essatmosphäre
                       Mitten im Wald in Gerbrunn fand        Der AWO Waldkindergarten wird vo-     und Speiseplanung im Mittel-
                       vor kurzem eine Geldübergabe der       raussichtlich auch auf das Gelände    punkt. Die Teilnehmenden ent-
                       besonderen Art statt. Unter den Au-    Roman Hill ziehen und freut sich      wickelten Ideen für Ihre Einrich-
                       gen von Gerbrunns Bürgermeister        jetzt schon auf diese spannende       tungen und setzten diese in ihren
                       Stefan Wolfshörndl, Sozialdemokrat     Nachbarschaft: Nachhaltigkeit, Res-   Küchen um, wie zum Beispiel
                       und Vorstand AWO Unterfranken,         sourcen schonend, Eins mit der Na-    Menülinien ausgewogen gestalten,
                       übergaben Sabrina Lohmann und          tur, Low-Waste-Mentalität, Strom-     mehr Gemüse und Hülsenfrüchte
                       Christoph Henneberger einen Scheck     versorgung über Solar-Zellen – es     im Speiseplan, neue Rezepte aus-
                       in Höhe von 500 Euro an den AWO        gibt viele Gemeinsamkeiten der        probieren , sich um neues Geschirr
                       Waldkindergarten. „Die Gemeinde        beiden Projekte.                      kümmern, die Essatmosphäre
                       zeigt sich stets kooperativ und ent-                                         gemütlicher gestalten. Zum Ab-
                                                              „Wir sagen Danke zu dieser tollen
                       gegenkommend, wir wollen etwas                                               schluss gab es für die Teilnehmer
                                                              Spende und freuen uns auf unsere
                       zurückgeben,“ so Sabrina Lohmann,                                            ein Zertifikat.
                                                              neuen Nachbarn“, so Wolfshörndl.
                       die im Moment in Gerbrunn das
                       Tiny House Henry vermietet.                                                   Demonstration gegen Rassismus
                                                                                                    Unter der Überschrift: „Demonst-
                                                                                                    ration für Demokratie und gegen
                                                                                                    Intoleranz und Rassismus“ berich-
                                                                                                    tet InFranken am 4. Oktober über
                                                                                                    eine vielbeachtete Demonstration
                                                                                                    in Kitzingen. Weiter heißt es:
                                                                                                    „Für die Arbeiterwohlfahrt (AWO)
Foto: OV Gerbrunn

                                                                                                    sprach Gerald Möhrlein. Er unter-
                                                                                                    strich, dass rechtsradikalen Ten-
                                                                                                    denzen entgegengearbeitet und
                                                                                                    die Sensibilität in der Bevölkerung
                       Willkommene Spende für den Gerbrunner AWO-Waldkindergarten von               gestärkt werden müsse, um fried-
                       ­Sabrina Lohmann und Christoph Henneberger.                                  lich und in Solidarität zusammen-
                        Die Spende nahm AWO-Vorsitzender Stefan Wolfshörndl (links) entgegen.       leben zu können.“

                                                                                                         WIR • Das Magazin der AWO Bayern   13
AWO SCHWERPUNKT

                                                                                                                                                 Foto: Pat Christ
                  Selbst in Corona-Zeiten fühlen sie sich im AWO-Seniorenzentrum Knetzgau frei, sagen (von links) Renate Köntop,
                  Horst und Felicitas Meißner im Gespräch mit Ulrike Hahn, Bereichsleiterin bei der AWO in Unterfranken.

                  AWO leistet Beitrag zu den Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen

                  Ein Heim, in dem man frei sein kann
                  Er möchte sein Leben niederschreiben, schon lange arbeitet     nicht hätte weitergehen können. „Beide meiner Beine
                  Horst Meißner daran. „120 Seiten umfasst meine Biografie       sind spastisch gelähmt“, berichtet die Rollstuhlfahrerin.
                  inzwischen“, sagt der 83-Jährige. Fast täglich nimmt sich
                                                                                 Felicitas Meißner kann auf eine spannende Berufslauf-
                  Meißner vor, was er bisher geschrieben hat. Er ergänzt.
                                                                                 bahn zurückblicken. Die 88-Jährige studierte an der
                  Streicht aus. Korrigiert. Dies tut der aus Nürnberg stam-
                                                                                 Dresdner Kunstakademie. Sie malte in allen Techniken.
                  mende Senior im AWO-Seniorenzentrum Knetzgau, wo er
                                                                                 Porträts waren ihre Spezialität. Als Dozentin bildete sie
                  seit vier Jahren mit seiner Frau Felicitas lebt. Hier hat er
                                                                                 in Nürnberg viele Künstlerinnen und Künstler aus. Dem,
                  die Muße, die Zeit und vor allem die Freiheit, den eigenen
                                                                                 womit sie sich ihr ganzes Leben lang beschäftigt hat,
                  Lebensspuren nachzuforschen.
                                                                                 kann sie auch im Knetzgauer Seniorenzentrum nach-
                  Horst Meißner ist kein Mensch, der gern stundenlang            gehen. Ebenso wie ihr Mann Horst genießt es Felicitas
                  auf der Couch liegt. Er möchte kreativ sein. Etwas             Meißner, die Ruhe und die Freiheit zu haben, ihrer Lei-
                  schaffen. „Ich lese, schreibe und male“, berichtet der         denschaft, dem Malen, zu frönen.
                  Hermann Hesse-Fan. Selbst im Alter, beweist Meißner,
                                                                                 Welche Erlebnisse einen Senior geformt haben, was der
                  ist es möglich, sich Neues anzueignen: „Im Moment
                                                                                 neue Bewohner gern mag und was er gar nicht leiden
                  beschäftige ich mich mit Meditation.“ Weil in Knetzgau
                                                                                 kann, wie sein Tagesablauf aussah und was er gerne
                  großer Wert auf die persönliche Freiheit der Bewohner
                  gelegt wird, kann der gelernte Krankenpfleger seinen
                  Interessen ungestört nachgehen. Er wird nicht gezwun-
                  gen, sich an irgendetwas zu beteiligen, wozu er keine
                  Lust hat.
                  Viele Ältere können sich nur schwer entscheiden, in eine
                  stationäre Einrichtung zu ziehen, weiß Meißner: „Doch
                  mir war früh schon klar, dass wir in ein Pflegeheim
                                                                                                                                             Foto: AWO Bezirksverband

                  gehen werden, wenn wir Unterstützung brauchen.“ Als
                  er in der Zeitung von der Neueröffnung des Knetzgau-
                  er Seniorenzentrums las, waren die Würfel gefallen:
                  „Wir haben uns sofort angemeldet.“ Meißner selbst
                  verkraftete den Wechsel gut. Seine Frau Felicitas emp-
                  fand den Umzug anfangs allerdings schon als „radikale
                                                                                 So viel Freiheit wie möglich haben die Bewohner im
                  Umstellung“. Doch auch sie wusste, dass es „draußen“
                                                                                 ­Seniorenzentrum Knetzgau.

                  14   WIR • Das Magazin der AWO Bayern
isst – all das wird vor einem Umzug ins AWO-Senioren­       INFO: Ziele für nachhaltige Entwicklung
zentrum erfragt. Nur so, erklärt Einrichtungsleiterin
Annika Kuhbandner, kann das Team jedem Bewohner                                        2015 verabschiedeten die
in seinen Vorlieben und Abneigungen gerecht werden.                                    Vereinten Nationen die
„Bei uns steht der Bewohner an erster Stelle, nicht die                                Agenda 2030 mit 17 Zielen

                                                                                                                                                           AWO SCHWERPUNKT
Pflege, nicht die Hauswirtschaft, nicht die Abläufe“, un-                              für Nachhaltige Entwicklung
terstreicht die Sozialpädagogin. So müssen zum Beispiel                                (eng. Sustainable Develop-
nicht alle zu einem bestimmten Zeitpunkt essen: „Und        ment Goals, kurz “SDGs“), welche bis 2030 umgesetzt
niemand wird um sieben Uhr aus dem Bett geholt,             werden sollen. Auch Deutschland hat sich diesen Zie-
wenn er das nicht will.“                                    len verschrieben.
                                                            Viele der 17 Ziele für Nachhaltige Entwicklung ha-
„Doch, mir war früh schon klar, dass wir in ein             ben direkten Bezug zu täglichen Arbeit bei der AWO
­Pflegeheim gehen werden, wenn wir Unterstützung            und ihren Grundwerten. Tag für Tag leistet die AWO
 brauchen.“ (Horst Meißner)                                 vielfältige Beiträge, damit Ziele wie „kein Hunger“,
                                                            „hochwertige Bildung“ oder „weniger Ungleichhei-
                                                            ten“ endlich Wirklichkeit werden. Gleichzeitig zeigen
Für die AWO ist der Wert „Freiheit“ äußerst wichtig. Zu-
                                                            die Nachhaltigkeitsziele aber auch, wo die AWO noch
sammen mit den Werten „Gerechtigkeit“, „Toleranz“,
                                                            Nachholbedarfe hat.
„Solidarität“ und „Gleichheit“ prägt er die Arbeit des
                                                            Mit der Kampagne baut die AWO auf dieser spannen-
Verbands seit über 100 Jahren. Auftrieb gibt der AWO
                                                            den Ausgangslage auf und regt seit dem 20. Septem-
die Tatsache, dass das, wofür sie steht, gerade der Wert
                                                            ber eine verbandsweite Auseinandersetzung mit den
„Freiheit“, auch in den globalen Nachhaltigkeitszielen
                                                            Zielen für nachhaltige Entwicklung an. Alle AWO-Glie-
der Vereinten Nationen, die bis 2030 verwirklicht wer-
                                                            derungen, vom Ortsverein bis zum Landesverband und
den sollen, fest verankert ist. Frieden und Freiheit in
                                                            alle Haupt- und Ehrenamtlichen der AWO sind dazu
einer intakten Umwelt zu fördern, gehört zu den Haupt-
                                                            eingeladen, sich an der Kampagne zu beteiligen und
zielen des „Weltzukunftsvertrags“. Diesen Zielen hat
                                                            durch kreative Ideen und Aktionen Ihren Beitrag zu
sich auch die AWO verschrieben und verleiht in diesen
                                                            einer Nachhaltigen Entwicklung darzustellen.
Monaten im Rahmen einer bundesweiten Kampagne
den Nachhaltigkeitszielen Nachdruck. Oft denkt man bei      www.wirarbeitendran.awo.org
Nachhaltigkeit an den Umweltschutz. Aber dazu gehört        www.17ziele.de
z. B. auch hochwertige Bildung, die Abschaffung von
Armut oder die Gleichberechtigung von Mann und Frau.        Denn auch für die AWO in Unterfranken ist Nachhal-
Es geht also um die Frage, wie wir gemeinsam in Zu-         tigkeit ein wichtiges Thema. Als Arbeitgeber will sie
kunft leben wollen.                                         mit Menschen und Ressourcen sorgsam umgehen.

                                                                                                                               Foto: Ronald Grunert-Held

Gemeinsam etwas zusammen tun, auch das kann Freiheit sein.

                                                                                       WIR • Das Magazin der AWO Bayern   15
SCHWERPUNKT

                                                                                                                                   Foto: Ronald Grunert-Held
              Gemeinsam kochen ist eine willkommene Abwechslung im Tagesablauf.
              ­ eswegen behandelt die AWO Unterfranken ihre Mitar-
              D                                                         Köntop, die im April nach Knetzgau kam. Zuvor wohnte
              beiter*innen achtsam und nachhaltig. Ermöglicht wer-      die Witwe jahrelang alleine in einer Wohnung in Lands-
              den Fort- und Weiterbildungen, Mitarbeitende werden       berg am Lech. Den Haushalt zu führen, bereitete der
              unterstützt, unabhängig vom Geschlecht, in ihrer beruf-   79-Jährigen jedoch immer größere Mühe. „Ich habe
              lichen Laufbahn und insbesondere Frauen werden hier       Osteoporose“, erzählt sie. Auch kam sie kaum noch aus
              Möglichkeiten geboten. „Wir konnten durch nachhalti-      ihrer Wohnung, die im oberen Geschoss gelegen war.
              ges Wirtschaften die Gehälter unserer Mitarbeiter*innen   So entschloss sie sich, ins AWO-Seniorenzentrum einzu-
              in den letzten Jahren deutlich erhöhen. Zudem wollen      ziehen. Die ersten Wochen seien bitter gewesen: „Doch
              wir die Umwelt schützen. Das tun wir z. B. durch die      jetzt bin ich endlich angekommen.“
              durchdachte Bestellung von Arbeitsmaterial und Le-
                                                                        Weil die AWO Senioren so viel Autonomie wie nur irgend
              bensmitteln“, so Martin Ulses der Geschäftsführer der
                                                                        möglich zubilligen möchte, entwickelte der Verband ein
              AWO Unterfranken.
                                                                        völlig neues Wohnkonzept für ältere Menschen, die auf
                                                                        Unterstützung angewiesen sind. „Wir wollen Senioren
              „Bei uns wurde und wird kein Bewohner isoliert“
                                                                        den Horror vor dem Pflegeheim nehmen“, betont Ulrike
              (Annika Kuhbandner)
                                                                        Hahn, Bereichsleiterin Senioren und Reha bei der AWO
                                                                        in Unterfranken. Das neue, offene Konzept gegenüber
              „Aber wir sind noch nicht am Ziel. Wir strengen uns je-   den Behörden durchzusetzen, sei freilich alles andere
              den Tag an, noch besser zu werden und deshalb heißt       als einfach gewesen. Dominiert doch in der Altenhilfe
              die Kampagne #wirarbeitendran“, so Ulses. Diese Kam-      der Gedanke „Sicherheit“ weit vor dem der „Freiheit“.
              pagne bringt die globalen Ziele der Nachhaltigkeit und
              die AWO Werte zusammen.                                   Doch wenn die Hauptsorge der Frage gilt, ob Senioren so
                                                                        untergebracht sind, dass bloß nichts „passiert“, droht
              In Knetzgau bedeutet dies ganz konkret, selbst in Coro-   die Gefahr einer massiven Freiheitsbeschneidung. Die
              na-Zeiten so viel Freiheit wie möglich zu garantieren.    AWO versucht mit ihren Häusern der jüngsten Genera-
              „Bei uns wurde und wird kein Bewohner isoliert“, be-      tion, das Verhältnis zwischen Freiheit und Sicherheit so
              tont Kuhbandner.                                          auszutarieren, dass sich kein Bewohner bevormundet,
              Dass Senioren direkt nach dem Umzug ins Senioren-         getriezt und gegängelt fühlt. Wie gut das in Knetzgau
              heim in eine Krise geraten, lässt sich in vielen Fällen   gelungen ist, bestätigt Horst Meißner: „Ich fühle mich
              nicht vermeiden. Es ist nun mal traurig, das bisherige    hier völlig frei, sicher und geborgen.“
              Zuhause aufgeben zu müssen. Das erfuhr auch Renate

              16   WIR • Das Magazin der AWO Bayern
Ausflüge in Zeiten von Corona

Tagespflege Werntal bietet
­regelmäßig Fahrten an
Um den Alltag für die Tagesgäste der AWO Tagespflege

                                                                                                                                                              AWO LEBEN
Werntal so abwechslungsreich wie möglich zu gestalten,
bieten die Mitarbeitenden regelmäßig Ausflüge in die Um-
gebung an. Die wurden schon vor der Corona-Pandemie
sehr gerne wahrgenommen und viele Gäste freuen sich
besonders auf die Zeit außerhalb des festen Betreuungs-
ortes. „Meist machen wir diese jetzt an verschiedenen
Tagen, sodass die Gruppen nicht zu groß sind und der
Mindestabstand gewahrt werden kann“, beschreibt Leiterin
Helga Vierether die derzeitige Situation. Das entlastet die
Mitarbeitenden in der Tagespflege und in den Kleingruppen
kann man besser auf jeden Gast eingehen.
Der letzte Ausflug ging in die Wallfahrtskirche nach
Fährbrück. Die beeindruckende Kirche löste sofort Er-
innerungen bei einzelnen Teilnehmenden aus, die von
ihren Erlebnissen in früheren Jahren berichteten. „Das
macht die Ausflüge so lebendig“, sagt Vierether, die im-
mer wieder begeistert ist, wie die Menschen aufblühen,
                                                              Das Organisationsteam hinter den Ausflügen.
wenn sie an Orte zurückkehren, an die sie besondere
Erinnerungen haben. Sie dankte Pater Jakob, der eine
sehr intensive Andacht speziell für die Teilnehmenden         Mit dem Angebot der Ausflüge leistet man wertvolle
hielt und auch der Köchin der Tagespflege, Birgit Ham-        Unterstützung und schafft besondere Erlebnisse für die
mer-Eichelbrönner, die ein „fantastisches“ Picknick ge-       Gäste der AWO Tagespflege Werntal. Nicht nur deshalb
zaubert hatte, das allen wunderbar schmeckte.                 fühlen sich viele Gäste sehr wohl.

                                                                                                                                 Fotos: Tagespflege Werntal

Ein Picknick gehört bei den Ausflügen der AWO Tagespflege Werntal, wie hier neben der Wallfahrtskirche Fährbrück,
immer mit dazu.

                                                                                         WIR • Das Magazin der AWO Bayern   17
40 Jahre Arbeiterwohlfahrt
                                in Gerbrunn
                                Es war im Jahr 1980, genau am 18.Januar, als ein Ortsver-
                                ein der Arbeiterwohlfahrt in Gerbrunn gegründet wurde.
                                Mit Richard Brückner als Vorsitzendem und gleich zirka 50
AWO LEBEN

                                Mitgliedern begann der Ortsverein seine im Sinn der Ar-
                                beiterwohlfahrt soziale Tätigkeit, die bis heute anhält und
                                die aus dem Gemeindegeschehen Gerbrunns nicht mehr
                                wegzudenken ist.
                                Von Anfang an standen und stehen bis heute Angebo-

                                                                                                                                                         Foto: Günter Zettl
                                te für Senioren im Mittelpunkt der Ortsvereinsarbeit:
                                regelmäßige Seniorennachmittage mit Kaffee und
                                selbst gebackenen Kuchen und mit Vorträgen zu Ge-
                                sundheit und anderen Themen und Aktivitäten, wie
                                Singen, Spielen, Gymnastik, Vorlesen; dann Besuche            Die Vorsitzenden der AWO Gerbrunn in den letzten
                                bei Mitbürgern bei Geburtstagen oder Krankheit, zum           ­Jahren: Manfred Zink (2015-2019) und Hildegunde
                                Mutter­tag und im Advent; weiterhin Ausflüge, Tages-           Hofmann (seit 2019).
                                                                                              daran teil. Inzwischen ist diese Mittagsbetreuung eine
                                                                        Willy Lang †, Vor-
                                                                                              Pflichtaufgabe der Gemeinden; 2016 bekam sie die
                                                                        sitzender der AWO
                                                                                              Form der „offenen Ganztagsschule“; der AWO-Ortsver-
                                                                        Gerbrunn von
                                                                                              ein übernahm die Trägerschaft. Heute werden zirka 125
                                                                        1988 bis 2000,
                                                                                              Kinder betreut.
                                                                        Ehrenvorsitzender,
                                                                        Ehrenbürger der       Im Jahr 2000 übergab Willy Lang den Ortsvereinsvor-
                                                                        Gemeinde Ger-         sitz an Elke Hauck-Göbel. Willy Lang wurde für seine
                                                                        brunn, Träger des     hervorragenden Verdienste um den Ortsverein, die Ge-
                                                                        Bundesverdienst-      meinde und seine Mitmenschen zum Ehrenvorsitzenden
                                                                        kreuzes.              des Ortsvereins ernannt. Den Vorsitz des Ortsvereins
                                                                                              übernahm im Jahr 2015 Manfred Zink, im Jahr 2019
            Foto: Ingrid Wolf

                                                                                              Hildegunde Hofmann.
                                                                                              Aktuell können etliche Aktivitäten des AWO-Ortsvereins
                                                                                              wegen der Corona-Pandemie nicht durchgeführt wer-
                                                                                              den, insbesondere die Veranstaltungen für Senioren.
                                und ­Halbtagesfahrten mit geführten Besichtigungen            Hoffen wir, dass es bald wieder die von vielen sehr ver-
                                von Denkmälern, Kirchen, Burgen, Städten; geführte            missten Angebote der AWO Gerbrunn geben wird, so die
                                Museums­besuche; Besuch von Konzerten. Höhepunkte             Vorsitzende in einer Stellungnahme zum Jubiläum.
                                waren stets das jährliche Sommer- oder
                                Herbstfest und Weihnachtsfeier.
                                Im Jahr 1988 übernahm Willy Lang den
                                Vorsitz des Ortsvereins. Im Jahr 1999 wurde
                                der Ortsverein eingetragener Verein (e.V.).
                                Der Verein hatte zu diesem Zeitpunkt 180
                                Mitglieder. Heute sind es zirka 160 Mit-
                                glieder. 1993 übernahm der Ortsverein auf
                                                                                                                                                              Foto: Wolfgang Pavel

                                Initiative von Willy Lang, Ralf Dieter Wolf
                                und Elke Hauck-Göbel die Durchführung
                                der Mittagsbetreuung für Schüler*innen der
                                Gerbrunner Eichendorff-Schule. Diese war
                                vorher eine freiwillige Leistung von Schule      Alt und Jung in der AWO Gerbrunn: hier Kinder der Mittagsbetreuung
                                und Gemeinde. Anfangs nahmen 20 Kinder           und Senioren in der jährlichen Weihnachtsfeier (2016).

                                18   WIR • Das Magazin der AWO Bayern
Sie können auch lesen