Meik Führing* Risikoberichterstattung über Humanressourcen - Eine empirische Analyse der DAX 30
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Zeitschrift für Personalforschung, 18. Jg., Heft 2, 2004 183 Meik Führing* Risikoberichterstattung über Humanressourcen – Eine empirische Analyse der DAX 30** Das Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich (KonTraG) verpflichtet Unternehmen in der Lageberichterstattung auf die Risiken der künftigen Entwicklung einzugehen. Hierzu gehören auch Risiken von Humanressourcen, die sich unter anderem aus Fehlentscheidungen bzw. -verhalten des Managements, feh- lenden Qualifikationen oder unzureichender Unterstützung durch die Funktionen des HRM ergeben können. Ziel dieses Beitrags ist es, die Risikoberichterstattung über Humanressourcen der DAX 30 hinsichtlich ihrer Aussagekraft zu analysieren und zu bewerten, sowie die empirischen Ergebnisse aus „Personalerperspektive“ kritisch zu diskutieren. Hierbei geht es vor allem darum, die Besonderheiten der Humanressour- cen im Unterschied zu anderen Unternehmensressourcen und die damit verbundenen Herausforderungen/Probleme bei der Risikoberichterstattung herauszuarbeiten. Bei diesem Beitrag handelt es sich um einen ersten Vorstoß in ein vor allem von Persona- lerseite bislang vernachlässigtes Themenfeld. Risk Reporting on Human Resources – an Empirical Analysis The ‘Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich’ (Kon- TraG) obliges companies to report on the risks affecting their future development in their management reports. The field of human resources is one important risk area and encompasses for example wrong management decisions, inadequate know-how or insufficient support of the HRM-function. The aim of the study is to analyse and to rate the DAX 30s’ risk reporting on human resources regarding their explanatory power and to discuss the empirical findings from an HR-perspective. The article fo- cuses in this context on the particularities of human resources in comparison to other resources and the resulting problems/challenges for the process of risk reporting. This study is the first approach to this subject area of risk management neglected especially by the HR profession. Key words: Risk reporting, HR Risk Management, Management Reports, DAX 30, KonTraG ___________________________________________________________________ * Dipl.-Kfm. Meik Führing, Jg. 1974, Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Trier, FB IV – BWL, Schwerpunkt: Arbeit Personal Organisation, D – 54286 Trier. E-Mail: fueh4101@uni-trier.de. ** Artikel eingegangen: 13.10.2003 revidierte Fassung akzeptiert nach doppelt-blindem Begutachtungsverfahren: 4.3.2004.
184 Meik Führing: Risikoberichterstattung über Humanressourcen 1. Relevanz und Fragestellung Das Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich (KonTraG 1998) vom 27.4.1998 verpflichtet (vor allem) börsennotierte Unternehmen zur Ein- führung eines angemessenen Risikomanagementsystems. Zusammen mit dem Trans- parenz- und Publizitätsgesetz (TransPuG) vom 19.7.2002 und dem Corporate Gover- nance Kodex vom 26.2.2002 zielen die gesetzlichen Regelungen darauf ab, durch mehr Transparenz und Publizität Verhaltensfehlsteuerungen und Schwächen im deut- schen System der Corporate Governance zu beheben und die Attraktivität gerade für internationale Anleger zu erhöhen (Bundestagsdrucksache 13/9712 1998). Neben der Einführung eines Überwachungssystems nach § 91 Abs. 2 AktG wer- den Unternehmen dazu verpflichtet, in der (Konzern)Lageberichterstattung „auch auf die Risiken der künftigen Entwicklung einzugehen“ (§§ 289 u. 315 HGB). Für diesen Abschnitt des Lageberichts wird üblicherweise der Begriff Risikobericht verwendet (erstmalig bei Küting/Hütten 1997). Davon zu unterscheiden sind interne Risikobe- richte, die eine interne Berichts- und Kommunikationsfunktion erfüllen (Wall 2003; ausführlich zu internem Risikoreporting vgl. Erben/Romeike 2003). Die gesetzlichen Vorgaben betreffen grundsätzlich sämtliche Unternehmensbereiche (IDW PS 340 2003), damit auch die Humanressourcen (IDW RS HFA 1 2002; DRS Nr. 5 2001) mit den diesbezüglichen Risiken wie Fehlentscheidungen und -verhalten des Manage- ments, Bilanzfälschungen, nicht adäquate Qualifikationen, unzureichende Personal- planung etc. und führen zu neuen Anforderungen an die HR-Profession in Wissen- schaft und Praxis. Hierzu gehört neben der Durchführung des gesamten Risikomana- gementprozesses vor allem auch die hier betrachte Abbildung von HR-Risiken im Rahmen der Lageberichterstattung. Bislang gibt es weder eine fundierte empirische Untersuchung, noch ein fundier- tes Konzept zur Risikoberichterstattung über Humanressourcen. Auch hinsichtlich anderer Risiken fehlen, abgesehen von Kajüter/Winkler (2003), Kajüter (2001) und Fröhling (2000), ebenfalls empirische Untersuchungen zur Aussagekraft der Risikobe- richterstattung, die in ihrer Bewertung allerdings auch nicht nach einzelnen Risikoka- tegorien differenzieren. Ziel dieses Beitrags ist (1) die Analyse und Bewertung der Risikoberichterstattung der DAX 30 über Humanressourcen und (2) die kritische Diskussion der Ergebnisse aus „Personalerperspektive“ sowie die Skizzierung von Ansatzpunkten für eine Ver- besserung der Risikoberichterstattung über Humanressourcen. Ausgehend von den allgemeinen zu beachtenden Grundsätzen ordnungsgemäßer Lageberichterstattung (GoL) und den Deutschen Rechnungslegungs Standards (DRS) zur Risikoberichter- stattung werden spezifische Kriterien zur Berichterstattung über Humanressourcen hergeleitet. Anhand dieser Kriterien und Anforderungen werden die Lageberichte der Berichtsjahres 2002 der DAX 30-Unternehmen analysiert und bewertet. Anschließend werden die gewonnenen Ergebnisse kritisch interpretiert und diskutiert. Dieser Beitrag schließt mit Überlegungen zur Verbesserung der derzeitigen Risikoberichterstattung über Humanressourcen.
Zeitschrift für Personalforschung, 18. Jg., Heft 2, 2004 185 2. Anforderungen an die Erstellung von Risikoberichten 2.1 Inhalte, Funktionen und Adressaten der Lageberichterstattung Grundsätzliches Ziel der Lageberichterstattung ist es, den Adressaten und Anspruchs- gruppen ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild der wirtschaftlichen Lage des Unternehmens zu vermitteln (Abb. 1). Diese übergeordnete Informations- funktion kann weiter nach Rechenschafts-, Verdichtungs- und Ergänzungsfunktion differenziert werden (Baetge/Schulze 1998). Weiterhin haben Geschäftsberichte für Unternehmen eine Marketing- und Public Relations-Funktion und stellen ein wesent- liches Element und Instrument der Unternehmenskommunikation dar. Gerade als In- strument der Investor Relations bzw. der Finanzmarktkommunikation kommt dem Lagebericht, der i.d.R. zusammen mit dem Jahresabschluss und weiteren Informatio- nen als Geschäftsbericht publiziert wird, eine zentrale Rolle zu (Rodewald 2000). Ziel der Risikoberichterstattung ist es, entscheidungsrelevante und verlässliche Informationen bezüglich der Risiken der künftigen Entwicklung zur Verfügung zu stellen. Als Ziel- gruppe der Risikoberichterstattung wird in der Gesetzesbegründung zum KonTraG konkret nur der Aufsichtsrat genannt. „Die Regelungen des § 289 Abs. 1 und des § 317 Abs. 1 dienen dazu, den Auf- sichtsrat umfassender über die Lage des Unternehmens und dessen mögliche Gefähr- dung zu unterrichten.“ (Bundestagsdrucksache 13/9712 1998, 27) Abb. 1: Inhalte, Funktionen und Adressaten der Lageberichterstattung Inhalte Lagebericht (nach §§ 289 u. 315 HGB) Geschäftsverlauf und Lage (Abs.1) Pflicht- Risiken der künftigen Entwicklung (Abs. 1) inhalt Vorgänge besonderer Voraussichtliche Forschung und Zweignieder- Soll- Bedeutung nach Bilanz- Entwicklung Entwicklung lassungen inhalt stichtag (Abs. 2-1) (Abs. 2-2) (Abs. 2-3) (Abs. 2-4) Freiwillige Sozial- und Umwelt- Angaben ... ... Personalbericht bericht Funktionen Lagebericht Rechenschaftsfunktion Verdichtungsfunktion Ergänzungsfunktion Public Relations-Funktion Adressaten Lagebericht (derzeitige und potenzielle) Financial Community Anteilseigner Fondsmanager Aufsichtsrat Mitarbeiter Lieferanten Fremdkapitalgeber Finanzanalysten ... Kunden Öffentliche Hand ...
186 Meik Führing: Risikoberichterstattung über Humanressourcen Auch wenn es offensichtlich der Intention des KonTraG entspricht, die Überwa- chungsleistung des Aufsichtsrates zu verbessern (Theisen 2003), wird in der Praxis/ Realität der Aufsichtsrat nicht die wesentliche Zielgruppe darstellen. Den Aufsichtsrats- mitgliedern stehen (oder sollten zumindest) wesentlich aussagekräftigere Informations- quellen als der Lagebericht zur Verfügung stehen, wie beispielsweise die Berichte des Vorstands nach § 90 AktG, die angefordert werden können und deren Inhalte im Rah- men des KonTraG explizit um den Bereich der Personalplanung erweitert wurden. Dagegen sind andere Anspruchsgruppen auf die Informationen des Lageberichts angewiesen. Zu nennen sind neben der „Financial Community“, zu der aktuelle und potenzielle Aktionäre sowie Multiplikatoren wie Anlageberater, Finanzanalysten, Wertpapierbörsen etc. gehören (Link 1993), auch weitere Stakeholder, wie Mitarbeiter, Kunden, Lieferanten oder die Öffentliche Hand. Besonders auf die Informationen des Lageberichts sind die Kleinanleger angewiesen, da sie nur sehr begrenzt über entspre- chende Ressourcen und/oder Machtpositionen verfügen, um sich weitere, entschei- dungsrelevante Informationen zu verschaffen bzw. zu verarbeiten. Aus Sicht der meis- ten börsennotierten Unternehmen stellen die Aktionäre offensichtlich die Hauptziel- gruppe der Berichterstattung dar – an sie richtet sich üblicherweise der Vorstandsvor- sitzende mit seinem Geleitwort zum Geschäftsbericht. 2.2 Zu berichtende Risiken Der Risikobegriff i.S. des KonTraG bezieht sich lediglich auf mögliche negative künftige Entwicklungen, die in innerem Zusammenhang mit der Fortführungsprämis- se nach § 252 Abs. 1 Nr. 2 HGB stehen (IDW RS HFA 1 2002; ausführlicher dazu Dörner/Bischof 1999; zur möglichen Erweiterung des Risikobegriffs im Zuge der EU-Modernisierungsrichtlinie vgl. Kirsch/Scheele 2004). Im Regierungsentwurf des Bundesministeriums der Justiz zum KonTraG heißt es: „Zu den den Fortbestand der Gesellschaft gefährdenden Entwicklungen gehören insbe- sondere risikobehaftete Geschäfte, Unrichtigkeiten der Rechnungslegung und Verstöße gegen gesetzliche Vorschriften, die sich auf die Vermögens, Finanz- und Ertragslage der Gesellschaft oder des Konzerns wesentlich auswirken.“ (Bundestagsdrucksache 13/9712 1998, 15) Eine weitere Präzisierung, welche konkreten Risiken prinzipiell in Frage kommen, wird bewusst nicht vorgenommen. Es wird auf die Berücksichtigung der spezifischen Situation (Bestandskraft des Unternehmens, Branche, Unternehmensstruktur und -größe etc.) verwiesen (Bundestagsdrucksache 13/9712 1998). Als eine mögliche Risi- kokategorisierung werden im DRS Nr. 5 (2001) die folgenden sieben Kategorien un- terschieden, ohne dass allerdings erläutert wird, was konkret unter diesen Risiken ver- standen wird bzw. welche Beziehungen es zwischen den einzelnen Risiken gibt: (1) Umfeld- und Branchenrisiken, (2) unternehmensstrategische Risiken, (3) leistungswirt- schaftliche Risiken, (4) Personalrisiken, (5) informationstechnische Risiken, (6) fi- nanzwirtschaftliche Risiken und (7) sonstige Risiken. Um der Querschnittsfunktion des Personals (Porter 1989) Rechnung zu tragen und die Humanressourcen, insbe- sondere das Managementhandeln als einen wesentlichen Ausgangspunkt für spätere andere Risiken (z.B. Finanzrisiken) in den Blickpunkt der Betrachtung zu stellen, wird in diesem Beitrag ein weites Begriffsverständnis möglicher HR-Risiken zugrunde ge-
Zeitschrift für Personalforschung, 18. Jg., Heft 2, 2004 187 legt (zu Managementfehlern als Hauptursache für Insolvenzen vgl. KfW 2002). Dem- zufolge umfasst die Analyse der hier untersuchten Risikoberichterstattung über Hu- manressourcen neben Risiken, die unmittelbar den Personalbereich/die Personalabtei- lung betreffen, auch Risiken wie Fehlverhalten des Managements, nicht funktionie- rende Systeme der Unternehmensüberwachung etc., die zum KonTraG, dem TransPuG und dem Corporate Governance Kodex geführt haben. In einer ursache- orientierten und auf Früherkennung ausgerichteten Systematik werden in der empiri- schen Analyse die unterschiedlichen Einzelrisiken den vier folgenden, in innerem Zu- sammenhang stehenden Kategorien zugeordnet: Verhalten, Kompetenzen, Motivation und organisatorische Einbettung (zu weiteren Systematiken von HR-Risiken vgl. Kobi 2003, 2001; Wucknitz 2002, 138 f.; Ackermann 1999). Um die Aussagekraft des Risikoberichts zu erhöhen und damit den Grundsätzen der Wesentlichkeit und Klarheit zu entsprechen, hat sich (zumindest in der Literatur) die Unterscheidung in bestandsgefährdende und sonstige wesentliche Risiken durchgesetzt (IDW RS HFA 1 2002; Baetge/Schulze 1998). Sonstige wesentliche Risiken gefährden zwar nicht unmittelbar den Fortbestand des Unternehmens, können sich aber langfris- tig, oder mit anderen Risiken kumuliert, nachteilig auf die künftige Entwicklung aus- wirken (IDW RS HFA 1 2002; Ackermann 1999) und sind damit ebenfalls als ent- scheidungsrelevant für (potenzielle) Adressaten anzusehen, zu kennzeichnen und zu berichten. Während einige Risiken (vor allem Finanzrisiken) nach anerkannten und wirtschaftlich vertretbaren Verfahren (DRS Nr. 5-10 2000) relativ genau zu quantifi- zieren sind, ist dies bei HR-Risiken kaum möglich. Hier bietet sich eine Einteilung in Risikoklassen (z.B. kleine, mittlere und große Risiken) an (Kobi 1999; Hochrein 1999). Als sinnvoller zeitlicher Horizont der Berichterstattung kann in Übereinstimmung mit dem Jahresabschluss ein Zeitraum von zwölf Monaten für bestandsgefährdende und von 24 Monaten für sonstige wesentliche Risiken angesehen werden, falls nicht bran- chenspezifische Besonderheiten oder längere Produktionszyklen einen längeren Prog- nosezeitraum notwendig machen (IDW RS HFA 1 2002; DRS Nr. 5 2001). Die Informationen, wie bestimmte Risiken hinsichtlich ihrer Eintrittswahrschein- lichkeit und des potenziellen Schadens eingeschätzt werden (IDW PS 340 2003), wer- den nur dann aussagekräftig sein, wenn die jeweiligen Annahmen und Risikopräferen- zen (Wall 2003), die zu den Einschätzungen führten, ebenfalls erläutert werden. 2.3 Grundsätzliche Anforderungen Die gesetzlichen Formulierungen des HGB zur Lageberichterstattung und damit auch zur Risikoberichterstattung bleiben sehr allgemein und lassen den Unternehmen einen erheblichen Ermessensspielraum bei der jeweiligen Erstellung der Risikoberich- te. Gleichwohl gelten auch hier die Grundsätze ordnungsgemäßer Lageberichterstat- tung (GoL). Auch gibt das Deutsche Rechnungslegungs Standards Committee (DRSC) mit dem DRS Nr. 5 zur Risikoberichterstattung und den branchenspezifi- schen Ergänzungen DRS Nr. 5-10 (2000) für Kredit- und Finanzdienstleistungsinstitu- te und DRS Nr. 5-20 (2001) für Versicherungsunternehmen gewisse Vorgaben und Orientierungspunkte. Die GoL umfassen nach dem Institut der Wirtschaftsprüfer (IDW) die drei Grundsätze der Vollständigkeit, Richtigkeit und Klarheit/Übersichtlichkeit (IDW RS
188 Meik Führing: Risikoberichterstattung über Humanressourcen HFA 1 2002).1 Die Standards, Stellungnahmen etc. des IDW sind als grundsätzlich verbindliche Vorgaben für Abschlussprüfer anzusehen (Leffson 1998). Das DRSC, als Herausgeber der DRS, ist vom Bundesministerium der Justiz als privates Rechnungslegungsgremium nach § 342 HGB anerkannt. Es gilt damit die GoB-Vermutung bei Befolgung dieser Standards, die trotzdem nur den Charakter ei- ner Empfehlung haben und keine rechtlichen Konsequenzen bei Nichtbefolgung vor- sehen (Biener 1999; kritisch zu Bedeutung und Kompetenzen des DRSC vgl. Ballwie- ser 1999). Aber auch die Regeln der DRS bleiben letztlich relativ „abstrakt formuliert, um den individuellen Erfordernissen der Risikoberichterstattung verschiedener Unter- nehmen und verschiedener Branchen gerecht zu werden. Jedes Unternehmen sollte so über seine Risiken berichten, wie sie intern im Rahmen des Risikomanagements einge- teilt werden.“ (DRS Nr. 5 2001, 9) Eine derartige Vorgehensweise kann als management approach bezeichnet werden (Coenenberg 2003, 881). Auch die Standards des DRSC bedürfen der Interpretation und Operationalisierung und dienen im günstigsten Fall der Mindestabsicherung der Adressaten (Moxter 1998). 3. Bewertungskriterien und Methodik der empirischen Analyse der DAX 30 In diesem Kapitel werden die grundsätzlichen Anforderungen an die Risiko- bzw. Lageberichterstattung für den Bereich der Humanressourcen konkretisiert und opera- tionalisiert, wobei die Bewertungskriterien, den GoL folgend, in drei Teilkategorien zusammengefasst werden: (1) Vollständigkeit, (2) Richtigkeit/Plausibilität und (3) Klarheit/Übersichtlichkeit. Anhand dieser Kriterien, die letztlich nur analytisch zu trennen sind, wurden die Risikoberichte der DAX 30 des Berichtsjahres 2002 analy- siert und bewertet. 3.1 Vollständigkeit Um dem Grundsatz der Vollständigkeit zu genügen, müssen im Lagebericht „alle Angaben enthalten [sein], die für die Gesamtbeurteilung der wirtschaftlichen Lage des Unternehmens und des Geschäftsverlaufs sowie der Risiken der künftigen Entwick- lung erforderlich oder die im Rahmen der besonderen Angabepflichten nach § 289 Abs. 2 HGB zu machen sind“ (IDW RS HFA 1 2002, 3). Im Rahmen der hier unter- suchten Risikoberichterstattung über Humanressourcen werden die Angaben des La- geberichts dann als vollständig angesehen, wenn (1) die Humanressourcen in der Formulierung der Risikostrategie berücksichtigt werden, (2) auf unterschiedliche HR- Risiken eingegangen wird und (3) Angaben zum Umgang mit den jeweiligen Risiken gemacht werden. Zu 1) Eine positive Bewertung wurde hierbei gegeben, wenn die Humanressour- cen eine Rolle in den Risikogrundsätzen, der Risikopolitik oder -philosophie spielen und diese mit der Unternehmens- bzw. HR-Strategie verknüpft sind. Ebenfalls wurde 1 Andere Systematiken der GoL finden sich beispielsweise bei Kirsch/Scheele (2003) oder Baetge/Schulze (1998), die teilweise andere Bezeichnungen verwenden bzw. die Grund- sätze weiter ausdifferenzieren.
Zeitschrift für Personalforschung, 18. Jg., Heft 2, 2004 189 positiv die Benennung und Zuweisung von Verantwortlichkeiten sowie die Erläute- rung organisatorischer Aspekte (Überwachungs- und Berichtswesen, Verknüpfung mit vorhandenen Managementsystemen, etc.) berücksichtigt. Zu 2) Unter HR-Risiken wird hier die Gesamtheit der wesentlichen oder be- standsgefährdenden Risiken verstanden, die sich aus Verhalten (kriminelles Verhal- ten, Fehlentscheidungen, fahrlässiger Umgang mit sensiblen Informationen, etc.), Kompetenzen (fehlendes oder nicht adäquates Know-how, Qualifikationen, etc.), Moti- vation (fehlendes Engagement, mangelnde Loyalität, etc.) und organisatorischer Einbet- tung (mangelhafte bzw. nicht funktionierende Funktionen des HRM, unzureichende Corporate Governance, etc.) von Mitarbeitern und Management ergeben können. Die vier Ebenen, die mögliche Risiken von Humanressourcen systematisieren, sind nicht unabhängig voneinander. So kann sich z.B. eine mangelhafte Anreizgestaltung negativ auf die Motivation auswirken, was sich letztlich in einem nicht gewünschten Verhalten wie Fluktuation äußern kann. Eine sehr gute Bewertung wurde hier ver- geben für die nähere Erläuterung der Risiken, die Quantifizierung bzw. Einschät- zung ihrer Bedeutung und die Verdeutlichung der Annahmen, die zu den jeweiligen Risikoeinschätzungen (falls vorhanden) geführt haben. Zu 3) Die Risikohandhabung knüpft direkt an den berichteten Risiken an und umfasst die verschiedenen Maßnahmen zur Ausschaltung, Verminderung oder Versi- cherung dieser Risiken (IDW PS 340 2003; Ackermann 1999; Wolf/Runzheimer 2001). Maßnahmen zum Umgang mit HR-Risiken wären beispielsweise eine entspre- chende Anreizgestaltung zur Mitarbeiterbindung, Implementierung von Wissensma- nagementsystemen, Aus- und Weiterbildung oder die Schaffung einer so genannten Risikomanagementkultur (Martin/Bär 2002, 138 ff.; KPMG 1998, 8 ff.), in der Mitar- beiter mögliche Risiken frühzeitig kommunizieren können, ohne mit negativen Kon- sequenzen rechnen zu müssen. Sehr gute Bewertungen wurden hier vergeben, wenn die Maßnahmen der Risikohandhabung in Bezug zu den genannten Risiken standen, die Maßnahmen angemessen erläutert und die Auswirkungen auf die zukünftige Risi- kosituation verdeutlicht wurden. 3.2 Richtigkeit/Plausibilität Nachdem mit dem Kriterium Vollständigkeit die inhaltlichen Aspekte themati- siert wurden, geht es in diesem Punkt um die Richtigkeit der publizierten Aussagen. Eine solche Bewertung ist auf Grundlage der Informationen des Lageberichts aller- dings für den Leser kaum möglich, daher wird hier im Wesentlichen die Plausibilität der Berichterstattung beurteilt. Bewertet wird also, wie logisch und nachvollziehbar die Aussagen sind und vor allem wie konsistent die einzelnen Abschnitte des Ge- schäftsberichts als Ganzes sind bzw. zu allgemein zugänglichen Informationen (z.B. Tagespresse) über die Unternehmen (IDW RS HFA 1 2002). So wäre beispielsweise zu erwarten, dass ein Unternehmen, das die Mitarbeiter als das „wertvollste Kapital“ bezeichnet, auf diesen „zentralen Erfolgsfaktor“ auch in der Risikoberichterstattung eingeht. In Übereinstimmung mit den Vorgaben des IDW wird hier als konstruierter Vergleichsmaßstab für die Richtigkeit „die Sorgfalt eines gewissenhaften und ordentli- chen Geschäftsführers“ (IDW RS HFA 1 2002, 5) herangezogen.
190 Meik Führing: Risikoberichterstattung über Humanressourcen 3.3 Klarheit/Übersichtlichkeit Dieser Punkt bezieht sich auf die Art und Weise der Darstellung und Präsentati- on der Risikoberichte und die Lesefreundlichkeit. Grundsätzlich sind sämtliche Anga- ben im Lagebericht „klar, eindeutig und in verständlicher Sprache“ (IDW RS HFA 1 2002, 5) zu machen. In Übereinstimmung mit IDW RS HFA 1 (2002) wurden bei der Bewertung der Risikoberichte die folgenden Aspekte positiv bewertet: klare Struktur und Sprache, die Verwendung von Zwischenüberschriften, Hervorhebung zentraler Begriffe, die übersichtliche grafische Aufbereitung von Daten, zusammenfassende Bewertungen, der angemessene Detaillierungsgrad bedeutsamer Sachverhalte, inter- temporäre Vergleichsmöglichkeiten durch Vorjahreszahlen und -kenngrößen. 3.4 Methodik der Bewertung Die Bewertung der einzelnen Aspekte erfolgte ordinalskaliert mit den Noten 1-6 (von sehr gut bis ungenügend) ohne weitere Abstufungen. Die Bewertung bezieht sich immer auf das übergeordnete Ziel der Risikoberichterstattung: die Vermittlung eines aussagkräftigen Bildes bezüglich der Risiken der künftigen Entwicklung. Die Note 6 (ungenügend) wurde grundsätzlich in allen Kategorien dann vergeben, wenn in den untersuchten Abschnitten des Lageberichts kein Hinweis auf den jeweili- gen Aspekt zu finden war.2 Berücksichtigt wurden hierbei nur die als „Risikobericht“, „Risikomanagement“ o.ä. gekennzeichneten Abschnitte. Dahinter steckt die Überle- gung, dass der Leser erwarten kann, in diesem klar gekennzeichneten Bereich die risi- korelevanten Informationen zu bekommen, ohne jede Seite der teilweise sehr umfang- reichen Geschäftsberichte durchzuarbeiten. In den Fällen, in denen im Risikobericht auf andere Abschnitte des Geschäftsberichts verwiesen wurde, wurden diese Ab- schnitte zusätzlich bei der Bewertung berücksichtigt. Diese Vorgehensweise entspricht auch den DRS, die eine geschlossene Darstellung empfehlen (DRS Nr. 5 2001) und der grundsätzlichen Vorgabe des IDW, dass bei der Aufstellung eines Lageberichts Angaben im Anhang „nicht von einer Darstellung im Lagebericht [entheben], wenn erst durch diese ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Gesamtbild des Geschäftsverlaufs und der Lage vermittelt werden kann“ (IDW RS HFA 2002, 4). Die Note 5 (mangelhaft) wurde grundsätzlich dann vergeben, wenn lediglich die Nennung einzelner Aspekte (z.B. nur „Risiko durch menschliches Versagen“) ohne weitere Erklärungen oder Einschätzungen erfolgte. Ein Ziel dieses Beitrags ist die Bewertung der Risikoberichterstattung der DAX 30 über Humanressourcen. Dazu gehört auch, neben der Bewertung der oben darge- stellten Einzelkriterien, eine Gesamtbewertung der jeweiligen Risikoberichte. Hierzu ist es notwendig, die Einzelkriterien hinsichtlich ihrer Relevanz bezüglich der Vermitt- lung eines aussagekräftigen Bildes über die Risiken der künftigen Entwicklung zu ge- wichten. Es ergeben sich in diesem Zusammenhang zumindest zwei wesentliche Her- ausforderungen bzw. Probleme. Zum einen ist jede Bewertung mit einem Bewer- 2 Aus mathematisch-rechnerischen Gründen wurde bei Klarheit/Übersichtlichkeit auch dann die Note 6 vergeben, wenn wie beispielsweise bei Altana im gesamten Risikobericht kein Hinweis auf den HR-Bereich zu finden ist. Aus inhaltlichen Gründen wäre die Be- wertung des Nichts hinsichtlich der Klarheit/Übersichtlichkeit eigentlich nicht möglich.
Zeitschrift für Personalforschung, 18. Jg., Heft 2, 2004 191 tungsspielraum und einem gewissen Maß an Subjektivität verbunden. Dies gilt vor al- lem für die beiden Kategorien Richtigkeit/Plausibilität und Klarheit/Übersichtlichkeit. Zum anderen muss eine Entscheidung über die Gewichtung getroffen werden, für die es keine allgemeingültigen bzw. gesetzlichen Vorgaben gibt. Warum wird dem einen Kriterium eine Gewichtung von 10 % zugewiesen und nicht von 8 % oder 15 %? Um diesen beiden Problemen zu begegnen, ist eine pragmatische, plausible und transpa- rente Vorgehensweise von großer Bedeutung, so dass es zumindest zu möglichst nachvollziehbaren Ergebnissen kommt. Aus diesem Grund werden die Kriterien wie folgt mit 10 bzw. 20 % gewichtet (s.a. Abb. 3): Die größte Bedeutung wird mit insgesamt 40 % den vier möglichen HR- Risikobereichen (jeweils 10 %) und damit dem Kern der Risikoberichterstattung i.S. des KonTraG zugemessen. Mit 20 % wurden die Angaben zur Risikohandhabung und mit 10 % die Ausführungen zur Risikostrategie gewichtet, denen aus Sicht der Adres- saten ebenfalls eine gewisse Entscheidungsrelevanz beigemessen werden kann, da diesbezügliche Angaben, die die eigentliche Risikodarstellung ergänzen, dazu beitra- gen, die Risikosituation und künftige Lage des Unternehmens besser einschätzen zu können. Mit 20 % geht die Bewertung der Richtigkeit/Plausibilität und mit 10 % die Klarheit/Übersichtlichkeit ein. Die hier gewählte Vorgehensweise ist vergleichbar mit der Vorgehensweise eines Wirtschaftsprüfers bei der Bewertung von Lageberichten: Relativ abstrakte Beurtei- lungsgrundsätze, Hilfskonstrukte und Maßstäbe, z.B. die Sorgfalt eines gewissenhaften und ordentlichen Geschäftsführers (IDW RS HFA 1 2002), werden angewendet zur Prüfung/Bewertung von höchst unterschiedlichen und nicht im Detail vergleichbaren Einzelfällen. In einer derartigen Vorgehensweise liegen Stärken und Schwächen zugleich. Einerseits ist es möglich, den jeweiligen unternehmensspezifischen Gege- benheiten Rechnung zu tragen, andererseits ist es kaum möglich, klar definierte und detaillierte Skalen anzugeben, die in jedem Fall zu objektiven und intersubjektiv ein- deutigen Einschätzungen führen. Da die einzige Alternative zu diesem Scoring-Modell die reine Bestandsaufnahme (Anzahl der Seiten, Nennung von HR-Risiken etc.) wäre und die Ergebnisse einer solchen Vorgehensweise (vgl. z.B. Studie von Koch/Martina 2003 zu Personal und Corporate-Social-Responsibility-Berichten) kaum Aussagen ü- ber die Qualität der Berichterstattung erlauben würden, wurde hier der Bewertung der Vorzug gegeben. Um in der Gesamtbewertung nicht als mangelhaft oder sogar ungenügend bewer- tet zu werden, musste mindestens eine 4,2 erzielt werden – ab 4,3 gilt ein Risikobe- richt als „nicht ausreichend“. 4. Ergebnisse der Auswertung Insgesamt berichten die DAX 30 über 177 Risiken, die sich zugeordnet in die Wertkettensystematik nach Porter (1989)3 wie folgt verteilen (Abb.2): Umfeldrisiken 48 (27,1%), Infrastrukturrisiken (Finanzrisiken, rechtliche Risiken etc.) 46 (26,0%), 3 Anders als bei Porter (1989) wurde für diese Fragestellung zusätzlich die Kategorie Cor- porate Governance- und Managementrisiken eingeführt und der Bereich Personalwirt- schaft um die Risiken für und durch Personal ergänzt.
192 Meik Führing: Risikoberichterstattung über Humanressourcen Operationelle Risiken 42 (23,7%), Personal- und Personalwirtschaftsrisiken 11 (6,2%), Risiken aus Corporate Governance, Strategie- und Managementrisiken 9 (5,1 %), Technologieentwicklungs- und Beschaffungsrisiken jeweils 8 (4,5%), Marketing- und Vertriebsrisiken 3 (1,7%) und schließlich Ausgangslogistikrisiken 2 (1,7%). Auf die hier im Fokus stehenden Humanressourcen entfallen damit 20 Nennun- gen: 11 zu Personal und Personalwirtschaft sowie 9 zu Corporate Governance- und Managementrisiken. Auch wenn diese Darstellung keine direkten Aussagen über die jeweilige Bedeutung der berichteten Risiken zulässt – dies liegt auch daran, dass nicht nur bei den HR-Risiken in den meisten Fällen eine quantitative oder qualitative Risi- koeinschätzung fehlt -, zeigen sich doch bestimmte Schwerpunktsetzungen. Mit 48 Umfeldrisiken und den 46 Infrastrukturrisiken, die bei den DAX 30 im Wesentlichen aus Finanzrisiken (Liquiditäts-, Zins- und Währungsrisiken) bestehen, entfällt über die Hälfte der Nennungen auf externe Risiken. Aus den Formulierungen in den Risiko- berichten wird deutlich, dass die Unternehmen die Ursachen für diese externen Risiken Abb. 2: Häufigkeit der berichteten Risiken4 Umfeldrisiken (v.a. rechtliche, politische, marktliche Risiken) 48 (27,1%) 9 (5,1%) Risiken aus Corporate Governance, Strategie- und Managementrisiken 46 (26,0%) Infrastrukturrisiken: Finanzrisiken, Rechtsstreitigkeiten, ... Ge w 11 (6,2%) Personal- und Personalwirtschaftsrisiken in n spa 8 (4,5%) Technologieentwicklungsrisiken nne 8 (4,5%) Beschaffungsrisiken Eingangs- Operatio- Marketing- Ausgangs- Kunden- Gew logistik- nelle u. Vertriebs- logistik- dienst- inn risiken Risiken risiken risiken risiken pan s ne 42 (23,7%) 3 (1,7%) 2 (1,7%) Gesamtanzahl der Nennungen: 177 (100%) berichtete Risiken 4 In der Auswertung, die zur Abb. 2 führte, wurden nur die Risiken berücksichtigt, die je- weils explizt als solche (z.B. Personal-, Mitarbeiter- oder HR-Risiken) bezeichnet wurden. In der darauffolgenden detaillierteren und fokussierten Analyse (s. Abb. 3) wurden dage- gen auch die Formulierungen der Risikoberichte in die Bewertung einbezogen, in denen auch indirekt die Humanressourcen als Risikoelemente enthalten sind, wie beispielsweise bei Risiken aus Lieferverzögerungen, Qualitätsmängeln, Haftungsrisiken. Diese Vorge- hensweise wurde gewählt, um einerseits einen Überblick über die explizit berichteten Ri- siken zu geben, andererseits aber auch der Querschnittsfunktion des Faktors Personal Rechnung zu tragen.
Zeitschrift für Personalforschung, 18. Jg., Heft 2, 2004 193 Abb. 3: Bewertung der Risikoberichterstattung der DAX 30 über Humanressourcen Vollständigkeit: Aussagekraft der Berichterstattung über: Risiken d. organisatorischen Risikohandhabung 20% Kompetenzrisiken 10% Motivationsrisiken 10% Verhaltensrisiken 10% Risikostrategie 10% Einbettung 10% Klarheit/ Richtigkeit/ Übersicht- Plausibilität lichkeit Gesamt- DAX 30 (in 2002) 20% 10% bewertung adidas-Salomon 3 3 6 6 5 3 4 2 3,9 Allianz 6 4 6 6 4 3 5 3 4,5 Altana 6 6 6 6 6 6 6 6 6,0 BASF 6 6 4 5 5 3 4 2 4,2 Bayer 3 4 5 5 5 3 3 2 3,6 BMW 6 5 5 5 5 4 4 2 4,4 Commerzbank 6 4 5 5 5 4 4 1 4,2 DaimlerChrysler 3 6 3 6 4 5 3 2 4,0 Dt. Bank 6 5 4 6 4 4 5 2 4,5 Dt. Börse 6 5 6 6 5 5 5 2 5,0 Dt. Post 6 6 6 6 6 6 6 6 6,0 Dt. Telekom 5 6 6 6 4 4 4 3 4,6 E.ON 6 6 6 6 5 5 5 3 5,2 Fresenius 6 6 6 6 6 6 6 6 6,0 Henkel 6 6 6 6 6 5 5 4 5,4 HVB 6 4 6 6 5 4 4 2 4,5 Infinion Technologies 6 6 6 6 6 6 6 6 6,0 Linde 2 5 5 5 4 4 3 2 3,7 Lufthansa 6 4 6 6 6 6 5 2 5,2 MAN 6 6 6 6 5 5 5 4 5,3 Metro 2 5 5 5 5 3 3 2 3,6 MLP 3 4 5 4 5 4 2 1 3,4 Münchener Rück 3 4 4 4 4 2 2 1 2,8 RWE 6 6 6 6 5 5 5 3 5,2 SAP 4 6 3 4 5 4 3 3 3,9 Schering 6 6 6 6 6 5 5 4 5,4 Siemens 4 4 4 5 4 3 3 1 3,4 ThyssenKrupp 4 6 4 4 5 4 3 3 4,0 TUI 6 6 6 6 6 6 6 6 6,0 Volkswagen 5 5 5 5 6 4 3 2 4,2 Durchschnitt 5,0 5,2 5,2 5,5 5,1 4,4 4,2 2,9 4,6 nicht in ihrem Verantwortungs- oder Einflussgebiet sehen. Hier zeigt sich ein Phäno- men, das als ein „präventiver self-serving bias“ bezeichnet werden kann: Während Er- folge, wie positive Kursentwicklung, Umsatzwachstum, etc., also die Entwicklungen,
194 Meik Führing: Risikoberichterstattung über Humanressourcen die sich positiv auf die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage auswirken, intern attribu- iert werden und Vorstand und Mitarbeitern ausführlich gedankt wird, werden bereits im Vorgriff mögliche zukünftige Misserfolge extern attribuiert und eher auf konjunk- turelle Entwicklungen als auf strategische Fehlentscheidungen und Missmanagement zurückgeführt. Bemerkenswert ist auch, dass es bei den gesamten DAX 30 nur 3 Nennungen zu möglichen Marketing- und Vertriebsrisiken gibt. Bemerkenswert deshalb, weil nach eigenen Angaben für alle Unternehmen die jeweiligen Marken, das Image und die Kunden von zentraler Bedeutung sind. Als ein wesentliches Ergebnis der Analyse der Risikoberichte der DAX 30- Unternehmen lässt sich festhalten, dass 17 Risikoberichte nicht ausreichend dazu bei- tragen, die nach § 289 Abs. 1 bzw. § 315 Abs. 1 HGB geforderten aussagekräftigen In- formationen zu (HR-)Risiken der künftigen Entwicklung zu vermitteln (Abb. 3). Als Gesamtdurchschnittsnote der DAX 30 ergibt sich eine 4,6. Bei 5 Unterneh- men (Altana, Deutsche Post, Fresenius, Infineon Technologies, TUI) findet sich in den Risikoberichten keinerlei Verweis auf mögliche Risiken oder deren Handhabung. Entsprechend wurde ein ungenügend vergeben. Aber auch bei den übrigen Risikoberichten zeigen sich erhebliche Mängel. Zum einen wurde auf bestimmte Aspekte überhaupt nicht eingegangen und zum anderen bleibt es häufig bei der bloßen Nennung eines HR-Risikos. Weiterhin finden sich viel- fach allgemeine und austauschbare Formulierungen. Im Folgenden wird näher auf die einzelnen untersuchten Kriterien eingegangen. 4.1 Vollständigkeit Risikostrategie Abb. 4: Notenverteilung Risikostrategie Note 1 2 3 4 5 6 Anzahl - 2 5 3 2 18 Als positives Beispiel, mit einem gut bewertet, ist hier die Metro AG hervorzuhe- ben, die bezüglich der HR-Risikostrategie formuliert: „Die METRO Group ist für die Realisierung ihrer strategischen Ziele auf qualifizierte Fach- und Führungskräfte angewiesen. Es ist eine dauerhafte Herausforderung, dieses Personal in einem intensiven Wettbewerb für den Konzern zu gewinnen und an ihn zu binden. Vor allem in Expansionsländern besteht großer Bedarf an qualifiziertem Personal, was entsprechende Anstrengungen für unternehmensinterne Qualifikationen erfordert. Die auf allen Ebenen des Konzern vorangetriebene Aus- und Weiterbildung für Mitarbei- ter sichert die unverzichtbar fachliche Kompetenz des Personals. Personalführung sowie Schulungen und Personalentwicklungsmaßnahmen bewirken, dass die Mitarbeiter auf al- len Stufen des Unternehmens eine unternehmerische Denk- und Handlungsweise entwi- ckeln. Dazu dient auch die Verankerung von variablen, am Geschäftserfolg bemessenen Gehaltsbestandteilen bei mindestens drei Führungsebenen. Die direkte Beteiligung am Unternehmenserfolg (EVA) steigert die Identifikation der Mitarbeiter mit der METRO Group und schärft den Blick für Chancen und Risiken bei allen unternehmerischen Ent- scheidungen.“ (Metro 2003, 23)
Zeitschrift für Personalforschung, 18. Jg., Heft 2, 2004 195 Es fehlen lediglich Hinweise auf die grundsätzlichen Verantwortlichkeiten bzw. die Organisation des Risikomanagements der Humanressourcen. Als zu wenig aussa- gekräftig (Note 5) wurden dagegen beispielsweise die folgenden Ausführungen der Volkswagen AG bewertet. „Mit der Gründung der AutoUni strebt Volkswagen neben der fachlichen Entwicklung die Bindung von Spitzenkräften an das Unternehmen an.“ (Volkswagen 2003, 40) In 18 Fällen wurde das „wertvollste Kapital“ (adidas-Salomon 2003, 108) über- haupt nicht in der Risikostrategie erwähnt bzw. es gab insgesamt nichts, was als Risi- kostrategie zu bezeichnen wäre. Verhaltensrisiken Abb. 5: Notenverteilung Verhaltensrisiken Note 1 2 3 4 5 6 Anzahl - - 1 8 6 15 21 Unternehmen berichten nicht ausreichend über mögliche Verhaltensrisiken. Das ist insofern bemerkenswert, als dass zu den Verhaltensrisiken auch mögliche Risi- ken aus Fehlentscheidungen und Fehlverhalten des Managements etc. gehören, also die Aspekte, die ein wesentlicher Anlass für das KonTraG waren. Offensichtlich wer- den hier Risiken, die prinzipiell für jedes Unternehmen relevant sein können, dem Le- ser bewusst oder unbewusst vorenthalten. Auf mögliche Gründe dafür wird anschlie- ßend in Kapitel 5 eingegangen. Noch am besten schneidet die adidas-Salomon AG ab, die z.B. darauf verweist, dass „kriminelle Machenschaften [...] zu schwer wiegenden Geschäftsunterbrechun- gen“ (adidas-Salomon 2003, 88) führen können. Eher den Charakter einer Definition haben Angaben wie die der Deutschen Börse AG: „Das Vertraulichkeitsrisiko umfasst das Risiko des Ausspähens von Daten und des Ein- dringens in die Systemlandschaft der Deutsche Börse Systems AG und der Clearstream Services S.A..“ (Deutsche Börse 2003, 127) Hier erhält der Leser keine aussagekräftigen Informationen darüber, wie gravie- rend das Vertraulichkeitsrisiko von den Verantwortlichen eingeschätzt wird oder wel- che Annahmen/Erfahrungen dahinterstehen. Kompetenzrisiken Abb. 6: Notenverteilung Kompetenzrisiken Note 1 2 3 4 5 6 Anzahl - - 2 5 7 16 Bei der Bewertung der Risikoberichterstattung über Risiken aus fehlenden bzw. nicht adäquaten Kompetenzen ergibt sich eine Durchschnittsnote von 5,2 und nur 7 Unternehmen erhalten die Note befriedigend oder ausreichend. Vergleichsweise aus- sagekräftig ist der folgende Abschnitt der SAP AG, aber auch hier bleiben die Ausfüh- rungen letztlich zu oberflächlich bzw. zu allgemein.
196 Meik Führing: Risikoberichterstattung über Humanressourcen „Angesichts der derzeitigen Lage auf den Arbeitsmärkten geht die SAP davon aus, ihren Bedarf an Fach- und Führungskräften in ausreichendem Maße decken zu können. Eine unzureichende Verfügbarkeit oder Verteuerung benötigter Personalressourcen könnte die Unternehmensentwicklung dennoch beeinträchtigen.“ (SAP 2003, 59) Es wäre generell zu erwarten, dass Risiken, die aus fehlenden Kompetenzen i.w.S. resultieren, eine besondere Berücksichtigung finden würden. Der vielfach ausgerufene war for talents, der prognostizierte Fachkräfte- und Akademikermangel stellt Unterneh- men in bestimmten Bereichen bereits heute vor die große Herausforderung, entspre- chend qualifizierte Mitarbeiter zu rekrutieren und zu binden. Motivationsrisiken Abb. 7: Notenverteilung Motivationsrisiken Note 1 2 3 4 5 6 Anzahl - - - 4 8 18 Die Berichterstattung über mögliche Risiken aus fehlender Motivation, mangeln- dem Engagement etc. erhält mit der Durchschnittsnote 5,5 die schlechteste Bewertung aller Einzelkriterien. 18 Unternehmen ignorieren in ihrer Berichterstattung diesen Ri- sikobereich, obwohl z.B. die Allianz AG (ähnliches gilt für die Deutsche Telekom 2003 und Siemens 2003) an anderer Stelle im Geschäftsbericht die „tief greifende Re- strukturierung der Dresdner Bank“ (Allianz 2003, 79) und die damit verbundene Strei- chung von Arbeitsplätzen „in großem Umfang (Allianz 2003, 79) berichtet. Es ist kaum vorstellbar, dass größere Umstrukturierungen oder Personalabbaumaßnahmen keinen negativen Einfluss auf die Motivation und Loyalität der Mitarbeiter haben wer- den. Risiken der organisatorischen Einbettung Abb. 8: Notenverteilung Risiken der organisatorischen Einbettung Note 1 2 3 4 5 6 Anzahl - - - 7 14 9 21 Unternehmen benennen zumindest mögliche Risiken aus fehlerhaften Prozes- sen des HRM bzw. der Arbeitsorganisation, ohne allerdings eine Einschätzung über die Auswirkungen auf die Risikosituation zu geben. Aussagekräftige Angaben finden sich nur ansatzweise und sind nicht weiter ausführenswert. Risikohandhabung Abb. 9: Notenverteilung Risikohandhabung Note 1 2 3 4 5 6 Anzahl - 1 6 10 7 6 Im Vergleich zu voranstehenden Kriterien werden für die Darstellung der Risiko- handhabung bessere Noten vergeben (Durchschnittsnote 4,4). Nur 13 Unternehmen werden diesbezüglich mit nicht ausreichend bewertet. Auch wenn i.d.R. die direkten
Zeitschrift für Personalforschung, 18. Jg., Heft 2, 2004 197 Risiken nicht aussagekräftig dargestellt werden, so scheint es doch für die Unterneh- men von großer Bedeutung zu sein, im Lagebericht zu kommunizieren, dass sie (wel- chen Risiken auch immer) angemessen entgegentreten. Demnach wäre die Bezeich- nung Risikomanagementbericht zutreffender, eine Bezeichnung, die 11 Unternehmen auch konsequenterweise verwenden. Das beste Ergebnis erzielte die Münchener Rück, die in ihrem Risikobericht die Bedeutung eines ursachebezogenen Risikomanagements betont und mit Hilfe gezielter Seminare und Informationsveranstaltungen darauf hinarbeitet, einen offenen Umgang mit Risiken zu erreichen (Münchener Rück 2003, 171). Verbindlich geregelte unter- nehmensinterne und -externe Verhaltensweisen und „Trennung von Management- und Kontrollfunktion“ (Münchener Rück, 172) sollen das Risiko doloser Handlungen reduzieren, Sicherheitsbeauftragte sollen für angemessene Arbeitssicherheit sorgen usw. Eine Vielzahl der Maßnahmen im Rahmen der Risikohandhabung sind keine neuen Maßnahmen bzw. erweitern lediglich bestehende Systeme und Konzepte. Sie werden aber aus der Perspektive des Risikomanagements neu ausgerichtet und ein er- folgreicher Umgang mit Risiken wird damit ein Teilziel des HRM. 4.2 Richtigkeit/Plausibilität Abb. 10: Notenverteilung Richtigkeit/Plausibilität Note 1 2 3 4 5 6 Anzahl - 2 8 6 9 5 Die Bewertungen hinsichtlich des Kriteriums Richtigkeit/Plausibilität fallen bes- ser aus als bei dem Kriterium Vollständigkeit. Gleichwohl erreichen nur 10 Unter- nehmen hierbei ein gutes bzw. befriedigendes Ergebnis. In vielen Fällen bleiben die Aussagen so allgemein, nichtssagend und ohne weiteres auf andere Unternehmen ü- bertragbar, dass die Angaben zumindest nicht offensichtlich unrichtig/unplausibel er- scheinen. Ein typischer Satz dafür ist der folgende: „Im Zuge unserer geschäftlichen Aktivitäten sind wir einer Reihe von Risiken ausgesetzt, die untrennbar mit unserem unternehmerischen Handeln verbunden sind.“ (E.ON 2003, 38) Auffällig sind dagegen Inkonsistenzen zwischen den Angaben im Risikobericht und anderen Abschnitten des Geschäftsberichts. So ergibt sich beispielsweise für die Deutsche Bank auch deshalb nur ein mangelhaft, da im Risikobericht in keiner Weise auf die möglichen negativen Folgen (Imageschaden, Strafzahlungen etc.) aus dem be- reits bei der Erstellung des Geschäftsberichts drohenden Verfahren gegen die Vor- standssprecher Josef Ackermann im Zusammenhang mit der Mannesmann-Affaire (Bönisch/Dohmen 2003) und Rolf Breuer aufgrund offenherziger Einschätzungen zur finanziellen Lage des Medienmoguls Kirch eingegangen wird. 4.3 Klarheit/Übersichtlichkeit Abb. 11: Notenverteilung Klarheit/Übersichtlichkeit Note 1 2 3 4 5 6 Anzahl 4 12 6 3 - 5
198 Meik Führing: Risikoberichterstattung über Humanressourcen Mit Abstand die besten Benotungen erhalten die Risikoberichte hinsichtlich des Kriteriums Klarheit/Übersichtlichkeit, 16 Unternehmen erzielen eine gute bzw. sehr gute Bewertung. Auch wenn es in einzelnen Fällen noch Verbesserungspotenziale gibt, ist das durchschnittliche Niveau als durchaus zufriedenstellend und überzeugend zu bewerten. Aufgrund des auffälligen Kontrasts vor allem zu den nicht genügend aussagekräftigen Inhalten (s. Vollständigkeit) drängt sich der Verdacht auf, dass ver- sucht wird, fehlende oder mangelhafte Inhalte durch ein ansprechendes Layout zu ka- schieren bzw. zu kompensieren. 4.4 Zusammenfassende Bewertung der Analyse Auch im fünften Jahr nach Inkrafttreten des KonTraG trägt der überwiegende Teil der Risikoberichte der DAX 30 nicht ausreichend dazu bei, aussagekräftige Informatio- nen zu Risiken der künftigen Entwicklung zu vermitteln. Dies gilt insbesondere für die hier näher untersuchten HR-Risiken. Eine wesentliche Zielsetzung des KonTraG, näm- lich „eine intensive Kommunikation [...] mit den Marktteilnehmern über Unterneh- menspolitik und -entwicklung sowie mehr Transparenz und Publizität in allen Berei- chen“ (Bundestagsdrucksache 13/9712 1998, 11) zu erreichen und damit die Erwar- tungslücke zu verringern, wird damit (noch) nicht erfüllt. In verschiedenen Fällen ist da- her kaum nachvollziehbar, warum die Testate der Wirtschaftsprüfer nicht eingeschränkt wurden (zu Einschränkungen von Bestätigungsvermerken vgl. IDW PS 400 2003). Im Vergleich zu den Vorjahren sind eindeutige Verbesserungen hinsichtlich der Aussagekraft zu beobachten, die sich aber im Wesentlichen auf die Berichterstattung über finanzielle Risiken (Liquiditäts-, Zins- oder Währungsänderungsrisiken etc.) be- ziehen. Trotzdem zeichnet sich eine zunehmend systematische Auseinandersetzung auch mit anderen Risikokategorien ab. Dieser Entwicklung in der Praxis entspricht, dass auch in der Literatur zunehmend auf operationale Risiken (z.B. Hölscher/Elfgen 2002; van den Brink 2001; Brösel/Rothe 2003), dazu werden zumeist die HR-Risiken gezählt, eingegangen wird. Allerdings sind die Humanressourcen noch als ein im We- sentlichen unerschlossenes Risikogebiet einzuordnen, was als ein wesentlicher Grund für die spärliche und mangelhafte Risikoberichterstattung über Humanressourcen an- gesehen werden kann. Bislang dominieren in Wissenschaft und Praxis Vertreter aus dem „Dunstkreis“ Controlling das Themenfeld Risikomanagement, die es aus einer „Controlling-Perspektive“ strukturieren und behandeln. Controlling-Perspektive meint hier pointiert eine zahlenorientierte, technokratisch-mechanistische Sichtwei- se, die von klaren Ursache-Wirkungszusammenhängen, der Messbarkeit und Steuer- barkeit betrieblicher Entscheidungen und Prozesse ausgeht. Ausdruck dieser Sicht- weise sind beispielsweise Risikochecklisten (Seidel 2002; Bihr/Deyle 2000), die eine einfache Steuerung und Machbarkeit suggerieren. Die derzeitige Situation lässt sich plakativ wie folgt beschreiben: Die „Entdeckung des Menschen“ im Rahmen des Ri- sikomanagements hat für „die Controller“ gerade erst begonnen, aber es ist wohl davon auszugehen, dass versucht wird, mit den bekannten Instrumenten und einer mechanistischen Sichtweise nun auch Risiken von Humanressourcen zu erfassen und zu managen. Es erscheint daher angebracht, die „Personalerperspektive“ einzu- bringen, d.h. eine sozialwissenschaftliche Sichtweise, um die Besonderheiten der
Zeitschrift für Personalforschung, 18. Jg., Heft 2, 2004 199 Humanressourcen im Unterschied zu anderen Unternehmensressourcen deutlich zu machen. 5. Besonderheiten der Humanressourcen und Konsequenzen für die Risikoberichterstattung Die Humanressourcen, oder das Personal, nehmen eine Sonderrolle ein, da sie als einzige Ressource zugleich Objekt- und Subjektcharakter haben (Neuberger 1997, 19 ff.; kritisch zur Betrachtung des Personals als Ressource vgl. Martin 2003) und damit eine zentrale Rolle bei der Transformation der gesamten Unternehmensressourcen in Wettbewerbsvorteile spielen (Freiling 2001; Ridder et al. 2001). Einerseits stellen sie selbst eine Ressource im strategischen Vermögen (Nolte/Bergmann 1998) dar, ande- rerseits disponieren sie über sich und die Erschließung, Entwicklung und Verknüp- fung von anderen Ressourcen (z.B. finanziellen, physischen, technologischen und or- ganisationalen Ressourcen, in der Systematik nach Hofer/Schendel 1978). Im Gegensatz zu anderen Ressourcen verfolgen die Humanressourcen eigene In- teressen, sie agieren und reagieren. Die daraus resultierenden Probleme und Heraus- forderungen werden im Folgenden anhand des Prozesses der Risikoberichterstattung verdeutlicht (Abb. 12). Abb. 12: Besonderheiten der Humanressourcen und Risikoberichterstattung Kausale Soziale Eigen- Ambiguität Komplexität interessen erzeugt Intransparenzen, Eigenhandeln Informationsprobleme der Subjekte ermöglichen Corporate Governance, Interne Management Risikoberichte Abbildung Risiko- Betriebliche Prozesse management- Aufbereitung Konsistenz system Externe Risikoberichte Interne und externe Folgen und Konsequenzen
200 Meik Führing: Risikoberichterstattung über Humanressourcen Voraussetzung für eine aussagekräftige Risikoberichterstattung über Humanres- sourcen ist die Kenntnis über Folgen und Wirkungen der Interaktionen des Personals und deren Bedeutung für wirtschaftliche Erfolgsgrößen. Ohne die Kenntnis über Ur- sache-Wirkungszusammenhänge der Transformation des vertraglich gebundenen abs- trakten Arbeitsvermögens im Arbeitsprozess zur Arbeitsleistung (Neuberger 1997), d.h. über die Umsetzung des Potenzials in „rentengenerierende Handlungen“ (Kaiser 2001), wird es kaum möglich sein, angemessen über HR-Risiken zu berichten. Gerade der Personalbereich ist aber durch komplexe, nicht eindeutige und nur schwer beob- achtbare Wirkungszusammenhänge zu charakterisieren, d.h. durch das Wechselspiel zwischen sozialer Komplexität und kausaler Ambiguität sowie den daraus resultieren- den Informationsproblemen und Intransparenzen (Coff 1997; Grant 1991). Für das Risikomanagement der Humanressourcen bedeutet dies, dass es mit großen Schwie- rigkeiten verbunden ist, die Risikosituation zutreffend im Risikomanagementsystem abzubilden. So wird es zum einen beispielsweise bei teamorientierten Arbeits- und Entscheidungsprozessen (Barney 2002) schwierig sein abzuschätzen, welche Mitarbei- ter künftig wie zur Teamleistung beitragen, welche Qualifikationen benötigt werden, und wie sich eine mögliche Fluktuation auf die Gesamtleistung auswirken wird bzw. welche Gründe in Einzelfällen überhaupt zu unerwünschter Fluktuation führen (soziale Komplexität). Zum anderen wird es aufgrund kausaler Ambiguität kaum möglich sein, eindeutig die HRM-Praktiken zu bestimmen, die die Arbeitsleistung positiv wie nega- tiv beeinflussen, da i.d.R. eine Vielzahl von Praktiken und Instrumenten miteinander verknüpft werden und erst im Zusammenspiel wirken (Wright et al. 1994; Kaiser 2001). Es ist daher in einer Einzelbetrachtung zumeist nicht absehbar, wie sich be- stimmte Formen der Arbeitsorganisation, Anreizgestaltung oder Personalführung z.B. auf die Fluktuationsneigung und den aus einer Fluktuation resultierenden Schaden einzelner Schlüsselpersonen bzw. ganzer Gruppen von Schlüsselpersonen („Herden- verhalten“) auswirken. Zu den daraus resultierenden Informationsproblemen und Intransparenzen kommt das den jeweiligen Eigeninteressen folgende Eigenhandeln der Subjekte (Neuber- ger 1997). Mitarbeiter versuchen, sich der unmittelbaren ökonomischen Verwertung zu entziehen (Ridder et al. 2001, 23), indem sie bestehende Intransparenzen nutzen, Informationsasymmetrien aufbauen und sich so einer Bewertung, mit entsprechenden Konsequenzen, als Risikofaktor verweigern. Damit verbunden sind „management dilem- mas“ (Coff 1997), wie adverse selection, moral hazard oder shirking. Hinzu kommt, dass z.B. der Vorstand, der nach dem KonTraG die Verantwortung für das Risikoma- nagement hat, sich selbst und seine möglichen Handlungen (strategische Fehlent- scheidungen, Bilanzfälschungen etc.) als mögliche Risiken einschätzen und öffentlich in den Risikoberichten dokumentieren müsste, was kaum zu erwarten ist. Die vorangehenden Argumente weisen auf die Begrenzungen und Probleme bei der Analyse und Bewertung von HR-Risiken hin und deuten das an, was eine Risiko- berichterstattung über Humanressourcen nicht leisten können wird. Aus Sicht der (po- tenziellen) Anleger ergibt sich daraus eine grundsätzlich unbefriedigende Situation, da sie sich kein eindeutiges und umfassendes Bild der HR-Risikosituation des Unterneh- mens machen können. Ähnliches gilt für die Unternehmensführung, deren Hand- lungs- und Entscheidungsspielräume aufgrund der Intransparenzen etc. eingeschränkt
Zeitschrift für Personalforschung, 18. Jg., Heft 2, 2004 201 sind. Hinsichtlich der Wettbewerbsposition und der Sicherung bestehender Wettbe- werbsvorteile sind diese Besonderheiten der Humanressourcen und die daraus resul- tierenden Konsequenzen/Limitationen für das Risikomanagement nicht nur negativ zu sehen (in der Abbildung durch den Januskopf angedeutet), denn sie schützen gleichzeitig vor einer Imitation erfolgreicher HRM-Praktiken bzw. dem Abwerben be- stimmter Schlüsselpersonen durch die Konkurrenz (Barney 1991). Selbst wenn es den Unternehmen möglich wäre, Risiken im HR-Bereich und damit Angriffspunkte und Schwachstellen zu benennen, sollten sie dies nicht unbedingt auch tun, zumal dann auch die Gefahr einer selbsterfüllenden Prognose (Küting/Hütten 1997) bestehen würde. Insofern sagen die schlechten Ergebnisse der vorliegenden Analyse noch nichts über die Qualität des nach § 91 Abs.2 AktG einzurichtenden Überwachungssys- tems aus. Möglicherweise wurde zwar ein angemessenes Risikomanagement und eine angemessene interne Revision (Bundestagsdrucksache 13/9712 1998) implementiert, deren Strukturen und Ergebnisse aber nicht entsprechend im Rahmen der Lagebe- richterstattung kommuniziert. Umgekehrt setzt eine angemessene Risikoberichterstat- tung ein funktionierendes Risikomanagementsystem voraus, wenn die Angaben wahr- heitsgemäß sind. Eine solche Diskrepanz zwischen dem, was kommuniziert wird, und dem, was tatsächlich vorhanden ist, lässt sich mit Hilfe des resource-based view erklä- ren, der in den wertvollen, einzigartigen und unternehmensspezifischen Ressourcen und den daraus resultierenden (Kern)Kompetenzen die Quelle für Wettbewerbsvortei- le sieht (vgl. Barney 2002, Freiling und die historischen Beiträge von Penrose 1959/1980 und Wernerfelt 1984). Die Formulierung der Risikoberichte kann damit aus ressourcenorientierter Sichtweise als eine Gratwanderung angesehen werden: zwischen der Entsprechung der gesetzlichen Anforderungen und dem berechtigten Interesse der Anleger auf der einen Seite und dem Schutz des tacit knowledge, des impliziten Wissens (Nolte/Bergmann 1998) auf der anderen Seite. Die zentrale Frage in diesem Zusammenhang, an der das grundsätzliche Dilemma des resource-based view deutlich wird, lautet: Welche Infor- mationen können und sollen nach außen kommuniziert werden, ohne damit beste- hende oder künftige Wettbewerbsvorteile zu gefährden? Im Rahmen der Risikobe- richterstattung spielt neben dem Aspekt des Könnens damit der Aspekt des Wollens eine wichtige Rolle. Grundsätzlich wird es aus ressourcenorientierter Perspektive sinnvoll sein, nur so viel wie notwendig der die Risikosituation des Unternehmens betreffenden Informationen zu kommunizieren. Ausmaß und die Intensität der Kommunikation diesbezüglicher Informationen werden dabei vor allem von der je- weiligen Machtposition der Informationsnachfrager bzw. deren Bedeutung für das Unternehmen abhängig sein. Großanleger und institutionelle Anleger, die über eine starke Verhandlungsmacht verfügen, werden i.d.R. individuelle Informationen auf An- frage bekommen bzw. verfügen über Ressourcen (Analysten, Informationssysteme etc.), um zusätzliche risikorelevante Informationen zu bekommen. Dagegen fehlt ge- rade den nicht organisierten Kleinanlegern das Drohpotenzial, wesentliche, über die Angaben im Lagebericht hinausgehenden Informationen einzufordern. Auch sind die Kosten der Informationsbeschaffung auf anderen Wegen (z.B. eigene Recherchen) vergleichsweise hoch. Somit ergibt sich aufgrund der typischen Macht- und Informa- tionsverteilung eine relativ stabile Situation. Die besser informierten Großanleger
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