Mittel- und Osteuropa Jahrbuch 2022 - Marktanalysen, Fakten und Trends

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 70 Jahchuss
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Ost- Au

                Mittel- und Osteuropa
                      Jahrbuch 2022
                  Marktanalysen, Fakten und Trends
Mittel- und Osteuropa Jahrbuch 2022 - Marktanalysen, Fakten und Trends
Special:
70 Jahre
Ost-Ausschuss

Partner im Jubiläumsjahr

2 | Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft e. V. – Jahrbuch 2022
Mittel- und Osteuropa Jahrbuch 2022 - Marktanalysen, Fakten und Trends
Bundeswirtschaftsminister Ludwig Erhard arbeitete an „Deutschlands
Rückkehr zum Weltmarkt“ und gab 1952 den entscheidenden Impuls zur
Gründung des Ost-Ausschusses. Foto: IMAGO / ZUMA/Keystone

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Mittel- und Osteuropa Jahrbuch 2022 - Marktanalysen, Fakten und Trends
70 Jahre Ost-Auschuss

Hans Reuter (DEMAG) wurde im Herbst 1952 Gründungsvorsitzender des Ost-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft. Bild: OA-Archiv

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Abenteuer Außenhandel
Die Entstehungsgeschichte
des Ost-Ausschusses der
Deutschen Wirtschaft
Von Andreas Metz

Der Ost-Ausschuss ist ein Kind des Kalten Krieges. Seine Anfänge      Dazu gehörten nicht zuletzt Embargolisten für den Handel mit
vor 70 Jahren fallen mit der deutschen Teilung und der Spaltung       Technologiegütern, die ab Ende 1947 für die Sowjetunion und
Europas in einen marktwirtschaftlich orientierten Westteil und ei-    ihre Verbündeten galten.
nen staatswirtschaftlichen Ostteil zusammen, die sich zunehmend           Zur Kontrolle und Koordinierung dieser Sanktionen unter ihren
in politische und wirtschaftliche Konflikte verstrickten. Ausgangs-   eigenen Verbündeten richteten die Amerikaner am 22. November
punkt seiner Gründung war die Hoffnung, in einer nach den ver-        1949 in Paris das Coordinating Committee on Multilateral Export
heerenden Zerstörungen des Zweiten Weltkrieges wirtschaftlich         Controls kurz CoCom ein. Für China, in dem von Mao Zedong am
noch weitgehend am Boden liegenden Bundesrepublik an alte             1. Oktober 1949 gerade die kommunistische Volksrepublik ausgeru-
Glanzzeiten des deutschen Osthandels anknüpfen zu können.             fen worden war, galten noch härtere Handelsauflagen, die das Chin-
    Von „Business as usual“ konnte damals keine Rede sein. Der        Com überwachte. Im Pariser Gründungsdokument heißt es: „Es ist
Ost-West-Handel sei in jenen Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg        Politik der Vereinigten Staaten, ihre wirtschaftlichen Ressourcen
ein wirkliches „Abenteuer“ gewesen, schreibt Karsten Rudolph          und Vorteile im Handel mit kommunistisch beherrschten Staaten zu
in seiner Untersuchung über das damalige Engagement deutscher         nutzen, um die nationale Sicherheit und die außenpolitischen Ziele
Industrieller. „Diese Situation machte aus Geschäftsleuten Grenz-     der Vereinigten Staaten zu fördern.“5 Auf dem Höhepunkt dieser
gänger, aus Unternehmern Außenpolitiker und aus Verbandsver-          Embargopolitik standen 1953 zwischen einem Drittel und der Hälf-
tretern Diplomaten.“1 „Diplomaten der Wirtschaft“ betitelte Sven      te aller international handelbaren Güter auf Verbotslisten.6
Jüngerkes entsprechend seine Ost-Ausschuss-Geschichte, die
zum 60-jährigen Geburtstag des Verbandes 2012 erstellt wurde.2        Treuhänder von Wirtschaft und Politik
    Kurz nach Kriegsende hatten am 20. September 1945 die vier        Angesichts dieser komplexen politischen Lage wurde jeder pri-
Siegermächte den Deutschen gar ausdrücklich jeden Geschäfts-          vate Handelskontakt mit den Staatswirtschaften jenseits des Ei-
verkehr mit dem Ausland verboten. Im April 1947 wurde dann            sernen Vorhangs unweigerlich zu einem Politikum. Unternehmer,
von den Westalliierten die Joint Export Import Agency JEIA ein-       die hier aktiv wurden, mussten eine besondere Sensibilität für
gerichtet, die alle Handelsgeschäfte überwachte und wieder erste      Politik sowie „interkulturelle Kompetenz“ mitbringen – um einen
Auslandsreisen genehmigte. Die JEIA schloss für die Bizone von        Ausdruck der Gegenwart für eine Zeit zu nutzen, in der Reisen
Amerikanern und Briten sogar erste Handels- und Zahlungsver-          beschwerlich und der Zugang zu Informationen vergleichsweise
einbarungen mit der Tschechoslowakei, Bulgarien, Ungarn, Polen        limitiert war. Westdeutsche Geschäftsleute hatten es in den Ost-
und Jugoslawien ab3. Nach Gründung der Bundesrepublik im Mai          blockstaaten oder China nicht mit ihresgleichen zu tun, sondern
1949 übernahm dann zwar das Bundeswirtschaftsministerium die          mussten sich gegen staatliche Handelsmonopole behaupten. Da-
Aufgaben der JEIA, musste aber weiterhin Einschränkungen ihres        bei waren sie ziemlich auf sich allein gestellt, denn diplomati-
Außenhandels durch die Allliierte Hohe Kommission beachten.4          sche Vertretungen der Bundesrepublik suchte man dort noch

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70 Jahre Ost-Auschuss

Wirtschaftswunder: Bundeswirtschaftsminister Ludwig Erhard (rechts) förderte den Osthandel, um die Abhängigkeit von den USA und die
Dollar-Lücke im Außenhandel zu verringern. Das Bild stammt vom Internationalen Automobilsalon unter dem Berliner Funkturm Ende 1951.
Zweiter von links ist der Regierende Bürgermeister von Berlin Ernst Reuter. Foto: IMAGO / Future Image

vergebens. In der Heimat wiederum standen westdeutsche Ost-            seiner Arbeit verdiente. Dies hätte den Ausschuss abhängig ge-
händler zwar nicht direkt im Geruch, mit dem Kommunismus zu            macht und die fragile Balance gestört. Von Seiten der Wirtschafts-
sympathisieren, konnten aber mit ihren Geschäften schnell in den       verbände und den beteiligten Unternehmern wurde zudem darauf
Verdacht einer Umgehung bestehender Embargo-Auflagen bis hin           geachtet, dass der Ost-Ausschuss die ganze Breite der deutschen
zum Landesverrat geraten.                                              Wirtschaft abbildete und die Spitzenvertreter ihre exklusiven Zu-
   Bereits das Führen von Sondierungsgesprächen mit Vertretern         gänge nicht etwa nur für einzelne Branchen oder gar zu ihrem
sozialistisch-kommunistischer Staaten konnte leicht als Aufwer-        eigenen Vorteil gebrauchten. Auf allen Ebenen war also Diploma-
tung der offiziell diplomatisch nicht anerkannten Gegenseite gese-     tie auf höchstem Niveau gefordert. Angesichts dieser Komplexität
hen werden. Kontakte mussten daher einerseits in einem gewissen        der Aufgaben, die erst im Laufe seiner Entstehungsgeschichte so
konspirativen Rahmen ablaufen und als privat deklariert werden,        richtig klar wurde, wundert es wenig, dass sich die Gründung des
sie mussten aber andererseits möglichst in Abstimmung mit der          Ost-Ausschusses drei Jahre von Ende 1949 bis Ende 1952 hinzog.
Bundesregierung und gegenüber den misstrauischen Westalliier-              Nachdem es zum Ende des Zweiten Weltkrieges in den USA
ten mit einem Mindestmaß an Transparenz geführt werden. Es             ernstzunehmende Überlegungen gegeben hatte, das besiegte Na-
bedurfte daher einer Schaltstelle, die den am Osthandel interes-       zi-Deutschland für immer ökonomisch so weit zu schwächen,
sierten deutschen Unternehmen das Leben erleichterte, zwischen         dass von ihm keine Kriegsgefahr mehr ausgehen könnte (Mor-
ihnen, den Regierungen der Zielländer und der Bundesregierung          genthau-Plan), wandelte sich unter dem Eindruck wachsender
vermittelte und dazu von allen drei Parteien akzeptierte Spielre-      Spannungen mit der Sowjetunion und angesichts des verheeren-
geln aushandelte.                                                      den Hungerwinters 1946/47 die Stimmung. Der kälteste Winter
   Das Vertrauen einer der Seiten zu verlieren, hätte dieses Gremi-    des 20. Jahrhunderts in Europa kostete Millionen Menschen das
um sofort dysfunktional gemacht. Der Begriff der Lobbyorganisa-        Leben. Allein in Deutschland soll es mehrere hunderttausend, in
tion, der in Zusammenhang mit dem Ost-Ausschuss gelegentlich           der Sowjetunion bis zu zwei Millionen Opfer gegeben haben.
verwendet wird, greift daher viel zu kurz. Der Ausschuss musste            Um in ganz Europa die kriegsversehrte Wirtschaft wieder in
vielmehr ein ehrlicher Makler oder dreifacher Treuhänder sein:         Gang zu bringen, wurde auch eine funktionierende deutsche In-
zugleich Interessenvertreter der Wirtschaft gegenüber der Politik,     dustrie gebraucht, so der neue Ansatz. Die kurze Zeit der Fabrik-
aber genauso auch respektierter und diplomatisch bewanderter           demontagen in Westdeutschland endete. Der „European Recovery
Sachwalter der Bundesregierung gegenüber der deutschen Wirt-           Plan“, nach dem US-amerikanischen Außenminister kurz „Mar-
schaft und den ausländischen Regierungen, mit denen er Projekte        shallplan“ genannt, wurde zum entscheidenden Impuls für den
besprach und Verträge aushandelte. Deshalb war es wichtig, dass        Wiederaufbau Europas.
sich der Ost-Ausschuss parteipolitisch neutral verhielt, sich nicht        Die im Marshallplan vorgesehenen Hilfsleistungen bestanden
direkt an Geschäften beteiligte und auch keine Provisionen mit         zu einem großen Teil aus Krediten sowie Lieferungen von Roh-

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stoffen, Lebensmitteln und Industriegütern. Es ging in erster Li-       Berlins manifestierte den wirtschaftlichen Bruch auf deutschem
nie um Hilfe zur Selbsthilfe. Unterstützungsleistungen wurden an        Territorium. Die Reaktion folgte unmittelbar: Mit der Abriegelung
Bedingungen geknüpft, die auch im Interesse der US-Wirtschaft           West-Berlins am 24. Juni 1948 begann die Sowjetunion einen Wirt-
lagen: Handelshemmnisse mussten abgebaut, Währungen stabili-            schaftskrieg und testete die Entschlossenheit der westlichen Besat-
siert und zwischenstaatliche Kooperationen zwischen ehemaligen          zungsmächte, ihr Wirtschafts- und Gesellschaftsmodell auch unter
Kriegsgegnern ausgebaut werden. Flankiert wurde der Marshall-           Inkaufnahme hoher eigener Kosten zu verteidigen. In West-Ber-
plan durch die Organisation für Europäische Wirtschaftliche Zu-         lin waren über Nacht 2,2 Millionen Menschen und rund 22.000
sammenarbeit (OEEC), die am 16. April 1948 in Paris ihre Arbeit         westliche Soldaten von den Nachschubwegen durch die sowje-
aufnahm und deren große Bedeutung für das Entstehen einer eu-           tisch besetzte Zone abgeschnitten. Doch die West-Alliierten und
ropäischen Gemeinschaft heute zu Unrecht etwas in Vergessen-            die Berliner-Bevölkerung hielten stand. Mit insgesamt 280.000
heit geraten ist.                                                       Flügen wurden 2,2 Millionen Tonnen an Versorgungsgütern in die
    Der Marshallplan bzw. seine Ablehnung durch die Sowjetuni-          Inselstadt West-Berlin transportiert, mindestens 150 Menschen,
on stellte die Weichen für die wirtschaftliche Spaltung Europas.        darunter 101 US-Amerikaner starben bei Flugunfällen. Am 12.
Verschiedene Wirtschaftssysteme – Marktwirtschaft im Westen,            Mai 1949 lenkten die Sowjets ein und hoben die Berlin-Blocka-
staatliche Kommandowirtschaft im Osten – begannen sich auf              de auf. Der massive Druck aus Richtung Osten hatte in Stalins
ihre jeweilige Art zu konsolidieren. Während im Osten Deutsch-          Sinne kontraproduktiv gewirkt. Der gemeinsame Feind half dabei,
lands die Fabrikdemontagen noch Jahre weitergingen und Indus-           dass sich Kriegsgegner von einst enger zusammenschlossen. Nur
triebetriebe und die Landwirtschaft zwangskollektiviert wurden,         elf Tage nach Aufhebung der Berlin-Blockade wurde am 23. Mai
entstand in Westdeutschland der „Rheinische“ Kapitalismus, bei          1949 die Bundesrepublik Deutschland gegründet.
dem Unternehmer und Politik in engem Austausch mit Verbänden                Wenige Wochen später testete die Sowjetunion am 29. August
und Gewerkschaften agierten.                                            1949 in Semipalatinsk erfolgreich ihre erste eigene Atombombe.
    Die Einführung der D-Mark am 21. Juni 1948 in den von den           Die Gefahr eines Vernichtungskrieges auf deutschem Boden und
USA, Großbritannien und Frankreich kontrollierten deutschen             in Europa wurde damit für über 40 Jahre zur realen Gefahr. Zu
Besatzungszonen und drei Tage später in den drei Westsektoren           einem Krieg kam es tatsächlich, allerdings auf der anderen Seite

Stunde Null in Deutschland. Ein Soldat schaut auf das Trümmermeer von Köln. Er steht Wache vor der Militäradministration im Kaiser-Wil-
helm-Ring 2-4. Nach der Einnahme der Stadt im März 1945 kontrollierten die US-Amerikaner und kurz darauf die Briten von hier aus die
Stadt und ihre weitere Umgebung. Später nahm hier die Ost-Ausschuss-Geschäftsstelle ihren ersten Sitz. Fotos: NS-Dokumentationszentrum der
Stadt Köln und „National Archives and Records Administration, Washington D.C.“

                                                                               Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft e.V. – Jahrbuch 2022 | 7
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70 Jahre Ost-Auschuss

Handschriftliche Notizen
vermutlich von Edgar H. P.
Meyer von Ende 1949/
Anfang 1950, mit denen erste
Überlegungen zur Besetzung
eines Ost-Ausschusses
angestellt wurden. In: RWWA
175-2-3

der Erdkugel in Korea. Dort gab es nach Ende des Zweiten Welt-           Fragen zu erreichen, spielte in der Bundesregierung früh eine Rol-
krieges ebenfalls ein geteiltes Land, mit einem kommunistisch be-        le. Fünf Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges saßen immer
herrschten Norden und einem amerikanisch kontrollierten Süden.           noch zehntausende deutsche Soldaten in sowjetischen Kriegsge-
Im Sommer 1950 versuchten von der Sowjetunion militärisch                fangenenlagern ein und in ganz Osteuropa hofften Angehörige der
unterstützte Nordkoreaner das gesamte Land zu erobern. Als die           deutschen Minderheit auf Möglichkeiten zur Ausreise.
Niederlage der Südkoreaner bereits festzustehen schien, wendete
sich durch eine Armee der Vereinten Nationen unter Führung der           Beginn einer langen Reise
USA das Blatt. Diese drängte die Nordkoreaner weit zurück nach           Es ist gar nicht so einfach die Geburtsstunde des Ost-Ausschusses
Norden, bis der Kriegseintritt „Rot-Chinas“ unter Mao Zedong             der Deutschen Wirtschaft genau zu bestimmen, im Grunde müsste
schließlich das Momentum nochmals drehte. Es kam zu einem                man eher von Geburtsmonaten oder gar Jahren sprechen: Grünes
Stellungskampf rund um den 38. Breitengrad, der dann 1953 zur            Licht für die Ausschuss-Gründung gab Bundeswirtschaftsminis-
bis heute existierenden Waffenstillstandslinie wurde. Bis dahin          ter Ludwig Erhard in einer gemeinsamen Sitzung mit einigen
kostete der Krieg 940.000 Soldaten und drei Millionen Zivilisten         Unternehmens- und Verbandsvertretern am 9. Oktober 1952 in
das Leben.                                                               Bonn. Der Vorsitz des Ausschusses fiel an diesem Tag spontan
   Angesichts dieser weltpolitischen Lage im Kalten Krieg und            dem Unternehmer Hans Reuter zu. Die konstituierende Sitzung
im Bewusstsein eines immer existenzieller werdenden Konflikts            der wichtigsten Ost-Ausschuss-Gremien fand dann aber erst am
zwischen demokratisch legitimierten Marktwirtschaften und                17. Dezember 1952 in Köln statt. Und die eigentliche Gründungs-
kommunistisch-diktatorischen Staatswirtschaften erscheint die            idee war zu diesem Zeitpunkt sogar schon drei Jahre in der Welt.
deutsche Idee der Gründung eines Ausschusses zur Verbesserung                Der Ost-Ausschuss war also alles andere als eine leichte Ge-
wirtschaftlicher Kontakte mit der Sowjetunion, ihrer osteuropä-          burt. Das lag an den beschriebenen Zeitumständen und an der
ischen Satellitenstaaten und „Rot-China“ einerseits geradezu             Komplexität der Aufgaben im Grenzbereich von Wirtschaft und
wahnwitzig, andererseits aber auch naheliegend zu sein. Deutsch-         Politik. Diese Position verhilft ihm zu einer Ausnahmestellung
land war ein Hauptaustragungsort der Ost-West-Konfrontation.             in der deutschen und europäischen Wirtschaftsgeschichte. Grün-
Der „Eiserne Vorhang“ trennte jetzt die westdeutsche Wirtschaft          derväter (es waren wirklich nur Väter) gibt es zahlreiche, sowohl
von Märkten ab, die Ende der 1920er Jahre den deutschen Export           aus der Wirtschaft als auch aus der Politik. An der Entstehung
am Laufen und das rohstoffarme Land in Gang hielten. Wollte              des Ost-Ausschusses beteiligt waren in dieser Reihenfolge: die
die junge Bundesrepublik wirtschaftlich gesunden und nach dem            Mitglieder des „Außenhandelsausschusses industrieller Verbän-
Auslaufen der Marshallplan-Hilfen Ende 1952 fest auf eigenen             de“ (AIV), der Vorsitzende des Bundestagsausschusses für Au-
Beinen stehen, durfte sie sich nicht allein von den Westmärkten          ßenhandelsfragen Christian Kuhlemann (Deutsche Partei), der für
abhängig machen.                                                         Ost-West-Handel zuständige Gesandte des Bundeswirtschaftsmi-
   Hinzu kam eine politisch-strategische Überlegung, die unter           nisteriums Hans Kroll, der Hauptgeschäftsführer des Bundes-
den pragmatisch denkenden Unternehmern damals nach Aktenlage             verbandes der Deutschen Industrie (BDI) Hans-Wilhelm Beut-
keine Rolle spielte, auf die aber politische Vertreter früh ihre Hoff-   ler, Unternehmer wie Gerhard Schauke (Mannesmann-Export
nungen setzten: Wirtschaftliche Kontakte könnten zu Wegbereitern         GmbH), Wilhelm Alexander Menne (Hoechst AG), der Bremer
politischer Entspannungsprozesse werden. Auch die Hoffnung, mit          Senator Hermann Wenhold (DIHT) und letztlich „Mister Wirt-
wirtschaftlichen Zugeständnissen Verbesserungen in humanitären           schaftswunder“ Ludwig Erhard höchstpersönlich.

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Erste Sitzung des BDI-Aussen-
handels-Ausschusses 1951 im
Haus der Eisenhüttenleute in
Essen. Bis dahin nannte sich
das Gremium aus Verbands-
vertretern noch Außenhandels-
ausschuss Industrieller
Verbände AIV. Der AIV hatte
Ende 1949 die Idee zur
Ost-Ausschuss-Gründung
aufgebracht. Die beiden
Herren in der Bildmitte sind
der Ausschuss-Vorsitzende Dr.
Wilhelm R. Mann (links) und
der Geschäftsführer Edgar
H.P. Meyer. Letzterer trieb die
Ost-Ausschuss-Gründung
tatkräftig voran. Foto:
BDI-Archiv, SF 494_003 A,
C. A. Stachelscheid,
Düsseldorf-Pressehaus

Die entscheidenden Fäden in die verschiedenen Richtungen spon-          Von diesem Edgar H.P Meyer wissen wir heute praktisch
nen und verknüpften aber mit großem Geschick zwei Mitarbeiter       nichts mehr, es gibt lediglich die Angabe eines längst verstorbe-
des Ende 1949 in Köln gegründeten Bundesverbandes der Deut-         nen Zeitzeugen, er sei jüdischen Glaubens gewesen9. Auch von
schen Industrie, der dort im Kaiser-Wilhelm-Ring 2-4 auch sei-      seiner rechten Hand Karl-Wilhelm von Carnap sind nur die reinen
ne ersten Büroräume bezog: der für Außenwirtschaft zuständige       Funktionsbezeichnungen im BDI-Organigramm überliefert, die
BDI-Abteilungsleiter Edgar H.P Meyer und der ihm zugeordnete        Personalakten wurden längst vernichtet.
Referent Karl-Wilhelm von Carnap.                                       Die Gründung des Ost-Ausschusses ist also am 3. März 1950
    Die pralle Akte zur Vorgeschichte des Ost-Ausschusses mit der   ein erstes Mal gescheitert. Dass dennoch die dringende Not-
Nummer 175-2-3, die Mitarbeiter des BDI zusammengestellt ha-        wendigkeit zur Belebung des Osthandels bestand, diesbezüglich
ben und die heute im Rheinisch-Westfälischen Wirtschaftsarchiv      war sich der Teilnehmerkreis der Sitzung, darunter Vertreter von
(RWWA) einsehbar ist, enthält ca. 450 Seiten mit Briefwechseln,     BASF, Bayer, AEG, MAN, DEMAG, Klöckner, Mannesmann
Telegrammen, Gesprächsnotizen, vertraulichen Vermerken, Kon-        AG, Otto Wolff und Ferrostaal AG, völlig einig. Das Hauptrefe-
zeptentwürfen und Namenslisten. Alle Verbände, die das wirt-        rat in der Sitzung zum Osthandel hielt der Hauptgeschäftsführer
schaftliche Rückgrat der jungen „Sozialen Marktwirtschaft“ bil-     der „Vereinigung deutscher Maschinenbau-Anstalten“ (VDMA)
deten, viele Unternehmer und Unternehmen von Rang und Namen         Karl Lange. Die Intensivierung der Handelsbeziehungen mit den
treten hier in Erscheinung, zusammen mit allen wichtigen deut-      Ländern Ost- und Südosteuropas sei „eine Lebensfrage für die
schen Wirtschaftspolitikern und Verbandsvertretern dieser Zeit.     deutsche Wirtschaft“, sagte dieser und rechnete vor, dass vor dem
    Trotz der recht umfangreichen Quellenlage und diverser For-     Zweiten Weltkrieg bis zu 34 Prozent der Gesamteinfuhren der Ost-
schungsarbeiten zum Thema7, aus denen diese Analyse schöp-          länder aus Deutschland stammten. „Wir waren für die Ostländer
fen kann, lassen sich nicht alle Fragezeichen um die Ost-Aus-       der wichtigste Lieferant von Fertigerzeugnissen und gleichzeitig
schuss-Entstehung beseitigen. So bleibt spekulativ, warum bereits   ihr bester Abnehmer für Rohstoffe und Nahrungsmittel.“ Anstelle
Ende 1949 der Außenhandelsausschuss Industrieller Verbände bei      des Ost-Ausschusses wurden in Köln dann kleinere Brötchen ge-
seinem Geschäftsführer Edgar H.P. Meyer eine Vorschlagsliste für    backen. Man einigte sich darauf, erst einmal nur ein „Ost-Referat“
die Besetzung des Ost-Ausschusses anforderte, die dieser unter      im BDI einzurichten.10
dem Datum 4. Januar 1950 auch erstellte, die für den 3. März            Welche politische Entwicklung könnte die Wirtschaftsvertre-
1950 geplante Ausschussgründung dann aber kurzfristig abgesagt      ter damals zum Zögern veranlasst haben? Historisch verbürgt
wurde. In einem Anschreiben zum Protokoll der Sitzung teilte        ist, dass am 11. Februar 1950 mit einem Schreiben des repub-
Meyer lakonisch mit, dass die Ost-Ausschuss-Idee „aus Gründen,      likanischen Senators Joseph McCarthy an US-Präsident Harry
auf die hier nicht näher eingegangen werden soll, die aber im We-   Truman11, in dem McCarthy von 57 kommunistischen Sympathi-
sentlichen in der Gefahr des Mißverstehens auf der politischen      santen im US-Außenministerium sprach, die Paranoia vor einer
Ebene liegen“ zunächst aufgegeben worden sei. Ob es da eine         kommunistischen Unterwanderung des Westens gerade hohes
direkte politische Intervention gegeben hatte, kann nur vermutet    Tempo aufnahm. In den USA wurde in dieser Zeit der Blick auf
werden. In einem Schreiben, das fast ein Jahr später am 23. Janu-   Handelsbeziehungen der Verbündeten mit dem Ostblock von Wo-
ar 1951 erstellt wurde, bedauert Meyer vielsagend, dass man „im     che zu Woche kritischer. Es setzten scharfe Angriffe in der ame-
Bestreben den Osthandel zu aktivieren immer wieder durch die        rikanischen Öffentlichkeit gegen verschiedene westeuropäische
politische Entwicklung gehemmt“ worden sei8.                        Staaten ein, weil diese durch ihren anhaltenden Export von stra-

                                                                           Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft e.V. – Jahrbuch 2022 | 9
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tegischen Gütern in die Sowjetunion die „Kriegsvorbereitungen“       munistische Machtübernahme verhindert werden konnte, stand
der kommunistischen Welt unterstützen würden. In den Mittel-         einer Zusammenarbeit drei Jahre später offenbar nicht im Wege.
punkt der Kritik rückte neben Frankreich und England auch die            Am 6. Mai 1921 richtete die Sowjetunion ein Handels- und
Bundesrepublik, obwohl der Osthandel zu dieser Zeit im geteil-       Wirtschaftsbüro in Berlin ein.14 Knapp ein Jahr später folgte am
ten Deutschland objektiv gesehen nur noch ein Schatten seiner        16. April 1922 die Unterzeichnung des berühmt-berüchtigten
selbst war. Es kam sogar vor, dass die wenigen Güter, die über       Vertrags von Rapallo, mit dem Deutschland und die Sowjetunion
die bayerisch-tschechische Grenze ausgeführt werden sollten, von     gegenseitig auf Kriegsreparationen verzichteten, eine Intensivie-
amerikanischer Militärpolizei trotz vorliegender Genehmigungen       rung der gegenseitigen Wirtschaftsbeziehungen vereinbarten, die
festgehalten wurden.12                                               jeweilige Isolation durchbrachen und damit Nachbarstaaten wie
   Eine Organisation zur Verbesserung der Wirtschaftsbeziehun-       Polen und Frankreich in Alarmstimmung versetzten.
gen mit kommunistischen Staaten in einer solchen Zeit zu grün-           Bereits in dieser Frühphase der Weimarer Republik wurden
den, war definitiv kein leichtes Unterfangen. Und ohne intensive     von deutscher Seite mit der Aufnahme von Handelsbeziehungen
politische Absicherung würde diese Idee krachend scheitern, das      nicht nur materielle Vorteile, sondern auch politische Hoffnungen
muss allen Beteiligten letztlich klar geworden sein. Dass diese      verbunden. In einem Standardwerk aus dem Jahr 1921 über die
Einsicht verspätet kam, mag daran gelegen haben, dass die Idee       Geschichte der Deutsch-Russischen Handelsbeziehungen15, emp-
des Ost-Ausschusses an ein historisches Vorbild anknüpfen wollte,    fiehlt Dr. Ludwig Lehrfreund, dass „man dem russischen Volke
das in Teilen der Wirtschaft offenbar einen legendären Ruf genoss.   nur helfen könne, indem man es aus seiner Isolierung reißt und
                                                                     in wirtschaftliche Beziehungen zu ihm tritt. Je reger sich diese
Der Rußlandausschuß der Deutschen Wirtschaft                         gestalten werden, desto kleiner wird der Nimbus des russischen
Dass ein kapitalistisches Deutschland mit kommunistischen Sys-       Bolschewismus im Ausland und desto größer das Bewusstsein
temen trotz ideologischer Gegensätze Handelsgeschäfte zum bei-       seiner Unzulänglichkeit im Inland.“
derseitigen Vorteil durchführen konnte, war 1950 keine graue Ver-        Dieses Konzept einer „Entbolschewisierung“ Russlands durch
bandstheorie, sondern fußte auf den praktischen Erfahrungen der      wirtschaftliche und kulturelle Kontakte verfolgte in der Weimarer
jüngeren Vergangenheit. Nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg         Zeit auch der einflussreiche Außenminister und Friedensnobelpreis-
und dem als hart empfundenen Versailler Vertrag suchte die jun-      träger Gustav Stresemann. In einem Gespräch mit seinen britischen
ge Weimarer Republik Anfang der 1920er Jahre verzweifelt nach        und französischen Kollegen Austen Chamberlain und Aristide Bri-
Partnern, die Deutschland aus der internationalen Ächtung her-       and am 14. Juni 1927 erklärte Stresemann, dass er „jede Idee eines
ausführen konnten und als Wirtschaftspartner keine politischen       Kreuzzuges gegen Rußland“ für „töricht und unsinnig“ halte. Man
Bedingungen stellen.                                                 müsse vielmehr Russlands Wirtschaft „so eng mit dem kapitalisti-
    Die junge Sowjetunion befand sich nach der Oktoberrevolution     schen System der westeuropäischen Mächte“ verknüpfen, dass der
1917 und den Jahren des Bürgerkriegs in einer vergleichbar iso-      Weg für eine Evolution in Russland geebnet werde.16 Kurz gesagt:
lierten Lage. Deutsch-russische Handelsbeziehungen und Verträge      „Wandel durch Handel“ in seiner frühesten Ausprägung.
hatte es schon in der Kaiserzeit gegeben13. Die gemeinsame Wirt-         Unter diesen Vorzeichen erlebten die deutsch-sowjetischen
schaftsgeschichte reicht sogar 1.000 Jahre bis in die Frühzeit der   Wirtschaftsbeziehungen tatsächlich einen bemerkenswerten
Hanse zurück, als bereits im Nowgoroder Hansekontor westliche        Aufschwung. Anfang der 1920er Jahre existierte beim Reichs-
Ware (Tuch, Wein und Glas) gegen russische Rohstoffe (Pelze, Ho-     verband der Deutschen Industrie, dem BDI-Vorläuferverband,
nig, Wachs) getauscht wurden. Dass beide Länder noch im Ersten       ein Deutsch-Russischer Ausschuß, der 1928 breiter aufgestellt
Weltkrieg erbittert gegeneinander gekämpft hatten und am Beginn      und entsprechend in Rußlandausschuß der Deutschen Wirtschaft
der Weimarer Republik während der Novemberrevolution 1918 nur        umbenannt wurde. Ihm gehörten Vertreter interessierter Wirt-
mit knapper Not und unter Einsatz von massiver Gewalt eine kom-      schaftsverbände sowie „Firmen der Industrie, des Handels, des

                                                                                                         Die Firma Otto Wolff
                                                                                                         engagierte sich in den 1920er
                                                                                                         und 1930er Jahren im
                                                                                                         Russland- und im China-
                                                                                                         Geschäft. Firmengründer
                                                                                                         Otto Wolff Senior war auch
                                                                                                         im damaligen Rußlandaus-
                                                                                                         schuß aktiv. Foto: Wikimedia
                                                                                                         Commons – Fotoatelier
                                                                                                         Hermann Walter Leipzig

10 | Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft e. V. – Jahrbuch 2022
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                                                            Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft e.V. – Jahrbuch 2022 | 11
70 Jahre Ost-Auschuss

Bankgewerbes sowie der Schifffahrt und der Spedition“ an17. Ins-       Wolfgang Reuter. Als Vertreter der Sowjetregierung unterschrieb
besondere deutsche Industriebarone wie Krupp, Klöckner, von            das Präsidialmitglied des Obersten Volkswirtschaftsrates Geor-
Borsig oder der Metallhändler Otto Wolff – Vater von Otto Wolff        gi Leonidowitsch Pjatakow, nach dem das Dokument als Pjata-
von Amerongen – engagierten sich hier. Dieser Rußlandausschuß          kow-Vertrag in die Wirtschaftsgeschichte einging.20
diente den Unternehmern dazu, den sowjetischen Staatshändlern              Angesichts der tiefen Erschütterungen durch die Weltwirt-
auf Augenhöhe entgegenzutreten und festgelegte Liefer- und Zah-        schaftskrise mit über sechs Millionen Arbeitslosen in Deutschland
lungsbedingungen für alle Unternehmen durchzusetzen. Der Aus-          rettete dieses Sowjetgeschäft nicht wenigen Unternehmen die
schuss hat sich sogar zu einem „Hilfsorgan der Reichsregierung“        Existenz. Elf Prozent der gesamten deutschen Ausfuhren gingen
entwickelt und 1931/32 selbsttätig völkerrechtlich verbindliche        1931 in die Sowjetunion. Allein die deutsche Werkzeugmaschi-
Wirtschaftsvereinbarungen ausgehandelt.18                              nenindustrie lieferte 36 Prozent ihrer Exportproduktion bei den
    Seine kurze Blütezeit erlebte der Ausschuss, der sogar ver-        Kommunisten ab, für die elektrotechnische Industrie waren es im-
schiedene Zeitschriften herausgab und dem mehr als 900 Mit-            merhin noch über 20 Prozent.21
glieder angehört haben sollen, mit dem ersten Fünfjahresplan der           Laut Hans-Jürgen Perrey soll es 1930 sogar einen Versuch des
Sowjetunion (1928-1932). Das riesige, agrarisch geprägte Land          Auswärtigen Amts gegeben haben, den Rußlandausschuss schon
strebte eine rasche Industrialisierung an und versprach den Deut-      damals zu einem „Ost-Ausschuss“ weiterzuentwickeln22. Nach
schen gute Geschäfte. 1931 reiste eine 18-köpfige Industriedele-       1933 war es mit den Freiheiten der Industriellen und der Bedeu-
gation19 um den Großindustriellen Peter Klöckner nach Moskau           tung des Rußlandausschusses allerdings vorbei. Die Nazis schal-
und brachte nach 14 Tagen Interessensbekundungen für Aufträge          teten das Gremium gleich. Die Sowjetunion wurde zum ideolo-
in Höhe von mehr als zwei Milliarden Mark aus der Sowjetunion          gischen Hauptgegner23. Anstelle von Handel ging es den Nazis
mit. Mit in der Delegation: Wolfgang Reuter, Generaldirektor der       um Eroberung von „Lebensraum im Osten“. Spätestens mit dem
DEMAG, dessen Sohn Hans Reuter als erster Vorsitzender des             deutschen Überfall auf die Sowjetunion 1941 hatte sich das The-
Ost-Ausschusses von sich reden machen würde. Die finalen Ver-          ma Rußlandausschuß erledigt.
handlungen über den bilateralen Handelsvertrag fanden vom 10.              Als es Ende 1949 im „Außenhandelsausschuss Industrieller
bis zum 14. April 1931 in Berlin statt. Zu den drei deutschen Un-      Verbände“ darum ging, den Osthandel wieder zu beleben, erin-
ternehmern, die den Vertrag unterzeichneten, gehörte wiederum          nerten sich offensichtlich noch Unternehmer und Verbandsvertre-

Der frühere Geschäftsführer des Rußlandausschusses Gerhard Schauke erstellte Anfang
1950 ein Exposé zu den Aufgaben eines Ost-Ausschusses. In: RWWA 175-2-3.

12 | Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft e. V. – Jahrbuch 2022
ter an das Gremium. Es muss der Vorschlag aufgekommen sein,          senkung. Einzelne Verbände fragten hin und wieder ungeduldig
sich die Strukturen des Rußlandausschusses näher anzusehen und       beim BDI nach, was denn aus den Ausschuss-Nominierungen ge-
daraus für eine institutionelle Neuaufstellung des deutschen Ost-    worden sein, ohne dass sich bis Anfang 1951 etwas konkretes tat.
handels zu lernen. Ausschuss-Geschäftsführer Edgar H.P Meyer         Während die Wirtschaft also etwas in sich ging, baute sich gleich-
machte daraufhin tatsächlich den früheren Geschäftsführer des        zeitig im Laufe des Jahres 1950 auf Seiten der Politik Handlungs-
Rußlandausschusses Gerhard Schauke in Berlin-Grunewald,              druck auf, mehr für den bundesdeutschen Osthandel zu tun. Dies
Menzelstrasse 9, ausfindig. Dieser war mittlerweile Geschäftsfüh-    hatte verschiedene Gründe. Zum einen wuchs mit Gründung
rer der Mannesmann-Export GmbH.                                      der DDR im Oktober 1949 auch der Konkurrenzkampf der un-
    Meyer muss Schauke um die Jahreswende 1949/50 in Berlin          terschiedlichen Wirtschaftssysteme. Der DDR und ihrer Reprä-
getroffen haben und schrieb ihn daraufhin am 2. Februar 1950 im      sentanten ganz allein das Feld des Osthandels zu überlassen, war
Hinblick auf die geplante Ost-Ausschuss-Gründungssitzung am          auch politisch eine wenig verlockende Aussicht. Je länger die
3. März mit der Bitte an, ein Konzept für eben diesen Ost-Aus-       Unterbrechung des Ost-West-Handels anhalte, desto gefährlicher
schuss zu erstellen. Der Experte lieferte mit Schreiben vom 8.       werde die strukturelle Auseinanderentwicklung Ost- und Westeu-
Februar 1950 ein zweiseitiges Exposé mit dem Titel „Grundsätzli-     ropas, warnte Wirtschaftsminister Ludwig Erhard.
che Gesichtspunkte über die Bildung eines Ost-Ausschusses“ und           Außerdem führte die Konzentration der Bundesrepublik auf
legte eine einseitige Anlage mit dem Titel „Zusammensetzung des      den Westen zu einem gefährlich anwachsenden Defizit im Handel
Ost-Ausschusses“ dazu24. Schauke empfahl darin die Einrichtung       mit den USA und damit zu wachsenden Zahlungsproblemen. Die
eines „Beirats“ aus neun Mitgliedern inklusive Vorsitzender und      junge D-Mark war nur eingeschränkt konvertierbar, im Westen
Stellvertreter, dazu einen Vorstand bestehend aus insgesamt 36       wurden harte Dollars für Waren verlangt. Diese „Dollar-Lücke“
Repräsentanten von 13 Branchenverbänden, sowie eine Mitglie-         wurde notdürftig über die Marshallplan-Hilfen abgedeckt. Die
derversammlung und eine Geschäftsführung. Auch wenn man              aber würden 1952 auslaufen. Erhard wünschte sich auch deshalb
später andere Namen für die Gremien wählte, lässt sich diese vier-   „eine Umlenkung unserer Käufe aus dem Dollarraum nach dem
teilige Grundstruktur bis heute im Ost-Ausschuss wiederfinden.       Osten“.26
    Inhaltlich sollte der Ost-Ausschuss nach Schaukes Vorschlag          Kritisch sah Erhard in diesem Zusammenhang auf umfang-
eine zentrale Steuerung und Beratung für das Geschäft mit der        reiche Embargolisten der Amerikaner. Während andere Westal-
UdSSR und ihren „Satellitenstaaten“ leisten und verhindern, dass     liierte wie Frankreich und vor allem Großbritannien deutliche
deutsche Unternehmen von den Vertretern der Staatswirtschaften       Lockerungsübungen im Osthandel erkennen ließen und sogar
gegeneinander ausgespielt wurden. Es ging um Schiedsgerichts-        im Verdacht standen, die Pariser CoCom- und ChinCom-Listen
vereinbarungen und die Festlegung von Liefer- und Zahlungsbe-        zu umgehen, musste die junge Bundesrepublik die etwa um 30
dingungen. Die Tätigkeit des Ost-Ausschusses sollte laut Schauke     Prozent umfangreicheren US-Embargolisten beachten. Diese
so weit gehen, den Unternehmen individuelle Tipps für ihre Ver-      Benachteiligung war Erhard ein Dorn im Auge, der befürchtete,
handlungsführung zu geben, Hilfe bei Werbung und Dolmetscher-        im beginnenden Kampf um Marktanteile in Osteuropa abgehängt
tätigkeiten bereitzustellen, aber auch die Arbeit der Unternehmen    zu werden. Der Wirtschaftsminister war generell gegen eine Ins-
zu kontrollieren und gegebenenfalls zu sanktionieren. In dieses      trumentalisierung des Außenhandels durch die Außenpolitik und
Tagesgeschäft der Unternehmen und die Rolle eines „Zuchtmeis-        wünschte sich eine „weltoffene Handelspolitik“. Hier traf er sich
ters“ hat sich der spätere Ost-Ausschuss dann aus guten Gründen      mit den Vorstellungen der deutschen Wirtschaft. Bundeskanzler
nicht hineinbegeben. Auch der von Schauke wegen der Nähe zum         Konrad Adenauer, der ab 1951 in Personalunion das Auswärti-
Osten empfohlene Dienstsitz Berlin kam erst einmal nicht in Fra-     ge Amt übernahm, das es bis dahin wegen der eingeschränkten
ge, die Entfernung zur Bundesregierung in Bonn wäre damit auch       Souveränität der Bundesrepublik gar nicht gegeben hatte, wollte
zu einem ständigen Problem geworden.                                 zumindest die Gleichbehandlung der Bundesdeutschen in Sachen
    Andere Vorschläge fielen hingegen auf fruchtbaren Boden.         Osthandel mit den übrigen Westalliierten erreichen. Ihm ging es
Dazu gehörte neben der Gremienstruktur und der Aufgabe, den          allerdings noch mehr darum, keine Schritte zu unternehmen, die
Unternehmen allgemeine Wirtschafts- und Landesinformationen          Zweifel in den USA an der Bündnistreue der Bundesrepublik we-
an die Hand zu geben, auch eine starke Stellung der Geschäftsfüh-    cken konnten. Die Sache blieb also höchst sensibel.
rung25. Schauke setzte sich zudem dafür ein, dass der Ausschuss          1947 wurde die Wirtschaftskommission der Vereinten Natio-
Finanzierungsmöglichkeiten für Handelsgeschäfte entwickelte          nen für Europa ECE in Genf gegründet. Hier konnten sich alle Eu-
und von Beginn an Bankenvertreter und den Handel fest in seine       ropäer bei Konferenzen auf neutralem Boden treffen und Geschäf-
Strukturen integrierte. Bis dahin, das legt die Namensliste vom      te vorbereiten. Den grenzüberschreitenden Handel anzukurbeln,
4. Januar 1950 nahe, war an einen reinen Industrie-Ausschuss         war ausdrückliches Ziel der Vereinten Nationen, um das kriegs-
gedacht worden. Schaukes Vorschlag, die Arbeitsfähigkeit der         zerstörte Europa wieder auf die Beine zu bekommen. In Genf
Geschäftsstelle durch Mitgliedsbeiträge auch von Firmen sicher-      kam es Anfang der 1950er Jahre entsprechend auch zu ersten Be-
zustellen, kam ebenfalls zum Zuge, allerdings erst mit 50-jähriger   gegnungen sowjetischer Staatshändler mit deutschen Unterneh-
Verspätung: Bis zum Jahr 2000 übernahmen die den Ausschuss           mern. Diese wussten bald vom großen Interesse der Sowjets an
tragenden Verbände allein die Kosten, erst danach wurden auch        westdeutschen Produkten zu berichten. Angesichts der Tatsache,
Einzelmitgliedschaften von Unternehmen möglich.                      dass der Zweite Weltkrieg kaum fünf Jahre vergangen war, in dem
                                                                     Deutsche die westliche Sowjetunion ausgeplündert und verwüs-
Die Politik übernimmt die Initiative                                 tet, Sowjetbürger als „Untermenschen“ versklavt und 20 Milli-
Nachdem der erste Anlauf im März 1950 im Sande verlaufen war,        onen von ihnen umgebracht hatten, kommen einem diese frühen
verschwand der Name „Ost-Ausschuss“ erst einmal in der Ver-          Gesprächskontakte der rheinischen Kapitalisten und die Offenheit

                                                                           Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft e.V. – Jahrbuch 2022 | 13
70 Jahre Ost-Auschuss

Das Haus Kaiser-Wilhelm-Ring 2-4 in Köln kurz nach Kriegsende, das spätere Ost-Ausschuss-Quartier. Vor dem Haus parken Militärfahrzeuge,
links sieht man ein Trümmergrundstück. In dem Haus bezog 1949 der „Ausschuss für Wirtschaftsfragen der industriellen Verbände“ seine
ersten Büros. Ab 1950 firmierte er unter dem Namen Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI). Foto: Stiftung Rheinisch-Westfälisches
Wirtschaftsarchiv zu Köln, RWWA 32-F2239

auf sowjetischer Seite bis heute wie ein Wunder vor. Gleichzeitig      verantworten hatte, der Bau der 500-Kilometer langen Tscheki-
unterstreicht diese Entwicklung die verbindende Kraft, die von         ang-Kiangsi-Eisenbahn. Firmengründer Otto Wolff Senior, der
gemeinsamen Wirtschaftsinteressen ausgehen kann.                       auch im Russlandhandel intensiv mitmischte, hatte als einer der
    Auch in der Sowjetunion lebte der Mythos der Geschäfte aus         ersten Deutschen nach dem Ersten Weltkrieg eine eigene Nie-
der Weimarer Zeit fort, wie Äußerungen Anastas Mikojans, als           derlassung in Schanghai eingerichtet. 1935 reiste Wolff, wie die
sowjetischer Außenhandelsminister gleichzeitig „größter Händler        Basler Nachrichten am 27. Februar 1935 vermeldeten, für ganze
der Erde“ (Spiegel), unterstreichen. Dieser wurde nicht müde in        drei Monate in das Land. Als Wolff Senior 1940 starb, ließ die
seinem Werben um die Aufnahme von Wirtschaftsbeziehungen               chinesische Regierung von einem berühmten Kalligraphen einen
mit der jungen Bundesrepublik an die frühen 1930er Jahre zu er-        großen Grabstein mit einer bemerkenswerten Inschrift anfertigen
innern.27 Im ganzen Land standen seitdem deutsche Maschinen,           und nach Deutschland überführen. Otto Wolff habe in den chine-
deren Qualität man schätzte, die die Technologiestandards und          sischen Handelsbeziehungen mit anderen Mächten eine neue Ära
Normen setzten und für die man Ersatzteile benötigte. Zusätzlich       eingeleitet, stand dort geschrieben. Er sei der erste gewesen, der
wurden bis in die 1950er Jahre ganze Produktionsbetriebe aus der       „von einer imperialistischen Praxis“ abgegangen sei und China
DDR als Reparationen abmontiert. Der Bedarf an Ersatz- und Zu-         „als gleichberechtigt behandelt“ habe.28
lieferteilen Made in (West-)Germany stieg also weiter an.                 Neben den Sowjets sondierten auch die Chinesen ab 1950 Ge-
    Ähnliche Anknüpfungspunkte gab es auch mit dem anderen             schäftsmöglichkeiten mit der bundesdeutschen Wirtschaft, mit
großen kommunistischen Reich, das Mao Zedong am 1. Oktober             dem Unterschied, dass für sie sogar noch weit strengere US-Em-
1949 in Peking ausgerufen hatte. In „Rot-China“ wirkten neben          bargolisten galten. Die Gefahr wuchs, dass sich deutsche Unter-
einer kurzen Periode, in der das Deutsche Kaiserreich eine Kolo-       nehmer bewusst oder unbewusst instrumentalisieren ließen und
nie in der Kioutschou-Bucht als Flottenstützpunkt gepachtet hatte      diplomatische Verwicklungen auslösten. Koordination tat Not, die
(1897-1914) und in der deshalb bis heute Tsingtao-Bier gebraut         aber die junge Bundesregierung mangels diplomatischer Bezie-
wird, die intensive deutsch-chinesische Zusammenarbeit der Jahre       hungen mit den Ländern selbst schwer leisten konnte.
1934 bis 1936 nach. Das Dritte Reich kaufte Rohstoffe in China            Im Deutschen Bundestag entstand im Laufe des Jahres 1950
ein und leistete im Gegenzug umfangreiche Hilfe zur industriellen      offenbar die Idee, ein staatlich kontrolliertes „Osthandelskon-
und militärischen Entwicklung, bis Hitler 1937 ein Bündnis mit         tor“29 im Umfeld der Treuhandstelle für den Interzonenhandel an-
dem chinesischen Kriegsgegner Japan einging.                           zusiedeln. Diese war eine staatliche Tarnorganisation. Unmittel-
    Besonders tiefen Eindruck hinterließ aus dieser Kooperati-         bar nach Gründung der DDR hatte die Bundesregierung nämlich
onszeit beispielsweise ein Projekt, das die Firma Otto Wolff zu        direkte Wirtschaftskontakte mit DDR-Offiziellen verboten, um

14 | Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft e. V. – Jahrbuch 2022
Telegramm an Edgar H.P. Meyer an seine Privatadresse in Düsseldorf mit der Einladung zu einer kurzfristigen, vertraulichen Abstimmungsrun-
de nach Frankfurt mit dem Leiter der Gruppe West-Ost im Bundeswirtschaftsministerium Hans Kroll. In: RWWA 175-2-3

eine De-facto-Anerkennung des zweiten deutschen Staates zu un-          eines staatlichen Osthandelskontors oder die Übertragung der
terlaufen. Da die Bundesregierung nicht mit Ost-Berlin sprechen         damit verbundenen Aufgaben auf die Treuhandstelle für den In-
konnte, der Interzonenhandel aber weiterlaufen und beaufsichtigt        terzonenhandel wird abgelehnt.“ Außerdem empfahl von Carnap
werden sollte, etablierte das Bundeswirtschaftsministerium am 2.        die Entsendung einer privaten Wirtschaftsdelegation nach China.
November 1949 die angeblich nichtstaatliche Treuhandstelle und          Bei der „Rotchinesischen Regierung“ sollten dazu entweder der
gliederte diese formal dem DIHT an, ohne dass dieser selbst ir-         Ost-Asiatische Verein in Hamburg oder der „Vertrauensmann“ der
gendwelche Einflussmöglichkeiten geltend machen konnte.                 Firma Otto Wolff in China vorfühlen.30
    Presseberichte zum „Osthandelskontor“ müssen für Meyer und             Das Gespräch mit dem Bundestags-Ausschussvorsitzenden
von Carnap wie ein Weckruf gewirkt haben. Sie fürchteten eine           Kuhlemann am 19. Januar 1951 verlief offensichtlich erfolgreich.
weitgehende Bürokratisierung des Osthandels, holten stattdessen         Dieser kannte den alten Rußlandausschuss und ermutigte den
die Ost-Ausschuss-Pläne wieder aus der Schublade und fädelten           BDI, seine Pläne zur institutionellen Neugründung wieder auf-
ein Treffen zwischen dem BDI-Geschäftsführer Hans-Wilhelm               zunehmen. Nunmehr war Rückenwind von Seiten des Bundesta-
Beutler und dem Vorsitzenden des Bundestagsausschusses für              ges zu erwarten, der im weiteren Verlauf der Vorbereitungen noch
Außenhandelsfragen Christian Kuhlemann ein. Dieser gehörte              nützlich sein würde31.
der konservativen Deutschen Partei an, die der Koalition unter
Bundeskanzler Konrad Adenauer angehörte und in der Regierung            Verschärfte US-Embargopolitik
einen Minister stellte.                                                 Zeitlich parallel zu dieser Entwicklung wurde auch Erhards Bun-
    Der Aktennotiz zur Vorbereitung des Gesprächs zufolge, die          deswirtschaftsministerium aktiv: Am 12. Februar 1951 erhielt
von Carnap erstellte, sollte Beutler den Politiker bezüglich einer      Edgar Meyer ein Telegramm, mit dem er zu einer Sitzung am
„Aktivierung des … direkten Warenaustauschs mit den Ländern             14. Februar um 11 Uhr ins Bundeswirtschaftsministerium nach
des Ostblocks einschließlich China“ konsultieren. Die Einrich-          Frankfurt am Main geladen wurde. Es ging um eine Aussprache
tung eines staatlichen „Osthandelskontors“ solle verhindert wer-        über aktuelle Probleme des deutsch-chinesischen Warenverkehrs,
den, heißt es ausdrücklich im Vermerk: „Sobald sich die Situation       die der „Herr Gesandte Dr. Kroll“ leiten wollte.32 Hans Kroll war
ändert, dürfte eine Zusammenfassung der westdeutschen Interes-          als Diplomat im Auswärtigen Amt in den 1920er Jahren herum-
sen gegenüber den staatlichen Handelsgesellschaften in den Ost-         gekommen. Unter anderem arbeitete er auch einige Zeit am Ge-
blockländern zweckmäßig erscheinen. Hierfür hat unser Ost-Re-           neralkonsulat in Odessa. Nach dem Krieg beriet er zunächst den
ferat bereits Vorarbeiten geleistet, um im gegebenen Augenblick         CDU-Ministerpräsidenten Karl Arnold in Nordrhein-Westfalen
einen Ost-Ausschuss … in Aktion treten zu lassen. Die Gründung          und wurde dann Ende 1949/Anfang 1950 von Seiten des Bun-

                                                                               Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft e.V. – Jahrbuch 2022 | 15
70 Jahre Ost-Auschuss

Hans Kroll wurde 1949 erster bundesdeutscher Gesandter bei den        Ernst-Wilhelm von Carnap (geb. 1911) betreute als Referent für
CoCom-Ausschüssen in Paris und musste die US-Embargopolitik in        Außenwirtschaft im BDI gemeinsam mit seinem Chef Edgar H.P.
Deutschland vermitteln. Auf Seiten des Bundeswirtschaftsministeri-    Meyer die Ost-Ausschuss-Gründung. Das Bild stammt von einem
ums spielte er die entscheidende Rolle bei der Gründung des           BDI-Betriebsausflug aus den 1960er Jahren. Aus: BDI-Archiv,
Ost-Ausschusses. Foto: BArch, Bild 183-92106-0014, o.Ang.             Fotograf unbekannt

deswirtschaftsministeriums zur Koordinierung aller Fragen des         Carnap exakt sieben Namen von Unternehmen und Verbänden an
West-Ost-Handels zur OEEC nach Paris entsandt. Dort vertrat er        den Gesandten Kroll. Mit Blick auf die Anfang 1950 groß ge-
als erster bundesdeutscher Gesandter die Bundesregierung auch         starteten Ost-Ausschuss-Pläne nimmt sich dieser Arbeitskreis
in den CoCom-Ausschüssen, in denen die Embargo-Politik der            bescheiden, aber wohl angemessen konspirativ aus. Immerhin
USA und ihrer Verbündeten festgelegt wurde.                           begann damit der kontinuierliche Austausch zwischen Wirtschaft
    Meyer konnte die kurzfristige Einladung nicht annehmen,           und Politik zu Osthandelsfragen.
schickte aber seine rechte Hand von Carnap nach Frankfurt.               Wegen seiner Pariser Aufgaben wusste Kroll zu berichten,
Kroll informierte dort über den amerikanischen Sanktionsdruck         wie kritisch dort die US-Vertreter westdeutschen Versuchen ge-
und warnte eindringlich vor Umgehungsversuchen: „Sie werden           genüberstanden, mit der Sowjetunion und China ins Geschäft zu
rücksichtslos von den USA auf die Schwarze Liste gesetzt…“ Wie        kommen. Unbedachte Aktivitäten einzelner Unternehmer oder
brisant diese ersten Abstimmungen über Osthandelsfragen damals        kommerzieller Osthandelsgesellschaften, die in dieser Zeit die
waren, illustriert der Beginn des Protokolls, das mit „Vertraulich“   bestehende Osthandels-Lücken zu füllen versuchten, konnten
überschrieben war: „Von Vertretern des BWM (Anm. Bundes-              sich leicht zu einer außenpolitischen Großkrise auswachsen. Kroll
wirtschaftsministerium) wurde zu Beginn der Sitzung ausdrück-         wusste daher, dass eine enge Kooperation des Bundeswirtschafts-
lich darauf hingewiesen, dass eine Weitergabe der Erörterungen        ministeriums und der Wirtschaftsverbände dringend notwendig
an die Presse oder durch Rundschreiben an Verbände und Kam-           war. Das gemeinsame Ziel, Freiräume zu erhalten und diese dann
mern unerwünscht sei und eine Wiederholung derartiger Ausspra-        so auszunutzen, dass das Verhältnis zu den USA politisch nicht
chen gefährden könne.“33                                              gefährdet wurde, verband jetzt beide Seiten. Man brauchte ein-
    Von Carnap nutzte das Frankfurter Treffen, um Kroll für eine      ander.
„vertrauliche Besprechung im kleinen Kreis…über die künftige
Gestaltung des Ostgeschäfts“ in Köln zu gewinnen34. Das Ge-           Steigender Sanktionsdruck
spräch, an dem knapp ein Dutzend Mitglieder des BDI-Außen-            Als Leiter der Gruppe West-Ost im Bundeswirtschaftsministeri-
handels-Ausschusses teilnahmen, darunter auch Otto Wolff von          um und CoCom-Vertreter der Bundesregierung wurde Kroll zum
Amerongen, fand am 4. April 1951 im Hotel Excelsior statt. Im         wichtigsten Ansprechpartner der Osthändler in spe. Immer wieder
Ergebnis wurde beschlossen, einen „Arbeitskreis für Fragen des        kam es zu vertraulichen Abstimmungsrunden mit ihm und der seit
West-Ost-Geschäfts“ für Abstimmungen mit Kroll zu gründen.            März 1951 existierenden Bundesstelle für den Warenverkehr der
Mit Schreiben vom 13. April 1951 übermittelten Meyer und von          gewerblichen Wirtschaft (des späteren BAFA), in denen alle Be-

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teiligten sich gemeinsam über alliierte Vorbehaltslisten für Güter       Die Stalin-Note hatte auch einen wirtschaftlichen Teil:
beugten und um „Pauschalgenehmigungen“, „Positivlisten“ und          „Deutschland werden für die Entwicklung seiner Friedenswirt-
„Freiheit für Ersatzteile“ sprachen.                                 schaft, die der Hebung des Wohlstandes des deutschen Volkes
    Je länger der Korea-Krieg andauerte, bei dem sich die            dienen soll, keinerlei Beschränkungen auferlegt. Deutschland
US-Amerikaner auf Seiten der Südkoreaner den durch die Sowje-        werden auch keinerlei Beschränkungen in Bezug auf den Han-
tunion und China unterstützten Nordkoreanern entgegenstellten,       del mit anderen Ländern, die Seeschifffahrt und den Zutritt zu
desto länger wurden die Embargolisten, die sie in Paris mit ihren    den Weltmärkten auferlegt.“ Das hörte sich im Vergleich zur Em-
Verbündeten abstimmten. Anfang 1952 wurde in den USA dann            bargo-Politik der USA lukrativ an, passte aber nicht wirklich zur
der „BattleAct“ erlassen, benannt nach einem US-Senator und          Realität im östlichen Teil Deutschlands. Dort wurde zeitgleich ge-
Autor des Gesetzes. Es sah ein Embargo für die Ausfuhr soge-         rade der erste Fünfjahresplan umgesetzt. Bauern wurden zwangs-
nannter strategischer Güter und Beschränkungen für die Liefe-        kollektiviert, das freie Unternehmertum weiter kriminalisiert und
rung aller anderen Güter aus den USA in die UdSSR und andere         das 1950 gegründete Ministerium für Staatssicherheit arbeitete an
sozialistische Länder vor. Außerdem wurde festgelegt, dass ame-      einem repressiven Überwachungsapparat.37
rikanische Militär-, Wirtschafts- und Finanzhilfe nur denjenigen         Fast zeitgleich mit der Stalin-Note lud die Sowjetunion An-
Ländern gewährt werden sollte, die ein ähnliches Embargo ver-        fang April 1952 Ost und West und die Staaten der Dritten Welt
hängten, was umgekehrt auch hieß, bei Embargoverstößen diese         zu einer „Weltwirtschaftskonferenz“ nach Moskau ein. Dies war
Hilfen aufs Spiel zu setzen.                                         durchaus im Sinne der Vereinten Nationen, die von Genf aus seit
    Zu einer großen Krise kam es hier im Zusammenhang mit der        1947 beständig für mehr Zusammenarbeit beim Wiederaufbau
beabsichtigten Lieferung eines kompletten Walzwerkes durch           warben. Während aus England und anderen westeuropäischen
die Schloemann AG nach Ungarn. Nachdem alliierte Stellen seit        Ländern hochrangige Politiker und Unternehmer nach Moskau
Sommer 1951 die vertraglich vereinbarte und von den zuständi-        reisten, machten sich mit Billigung der Bundesregierung von
gen Behörden bereits genehmigte Ausfuhr der Anlagen blockiert        Westdeutschland aus 19 weniger prominente Geschäftsleute auf
hatten, ging die Hauptlieferung des Walzwerkes schließlich auf       den Weg. Dennoch bekam der überraschte Kroll als Leiter der
unmittelbare Anweisung Krolls am 23. Januar 1952 bei Nacht-          Gruppe West-Ost im Bundeswirtschaftsministerium nach der
und Nebel über die Grenze. Die Ausfuhrgenehmigung kam am 22.         Konferenz aus der Reisegruppe vier Warenaustauschabkommen
Januar und war bis zum 23. Januar 1952, 24:00 Uhr, befristet. Der    mit staatlichen Export- und Importorganisationen aus der Sow-
Battle-Act sollte exakt am 24. Januar 1952 in Kraft treten.          jetunion, China, Rumänien und Bulgarien „zur persönlichen,
    Die Aktion des Bundeswirtschaftsministeriums schlug hohe         streng vertraulichen Kenntnis“ vorgelegt. Von diesen hatte auch
Wellen. US-Außenminister John Foster Dulles übermittelte Bun-        die Presse Wind bekommen und berichtete offenbar euphorisch
deskanzler Adenauer sogar in einem persönlichen Gespräch eine        von guten Geschäften. Kroll gab sich alle Mühe, die Erwartun-
scharfe Warnung: „Die amerikanische Öffentlichkeit und der           gen einzufangen. Gegenüber seinem Chef Erhard betonte er, dass
Kongreß seien in der Frage des Ost-West-Handels besonders emp-       es sich um „völlig lose Rahmenabreden“ handelte, die noch zu
findlich, und man müsse mit der Streichung jeglicher Auslands-       prüfen seien. Die Gefahr wurde aber immer offensichtlicher, dass
hilfe rechnen, wenn ein Land gegen wesentliche Teile des für den     sich Teile der deutschen Wirtschaft verselbständigten. So lieferte
Ost-West-Handel aufgestellten Programms verstoße.“35 Das war         die Moskauer Weltwirtschaftskonferenz den letzten Impuls, der
harter Tobak angesichts der Tatsache, dass die Bundesrepublik da-    für die Gründung des Ost-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft
mals der einzige europäische Verbündete der USA war, der nicht       noch gebraucht wurde.38
nur die Pariser CoCom-Auflagen, sondern zusätzlich die weit-
gehenderen US-Gesetze beachtete. Entgegen der Wahrnehmung            Bundesregierung in der Zwickmühle
jenseits des Atlantiks befand sich der westdeutsche Osthandel        Die Bundesregierung fand sich im April 1952 in einer veritablen
in jenen Jahren in einem Allzeittief und bewegte sich nur knapp      Zwangslage wieder. Von allen Seiten wuchs der Druck: Moskau
oberhalb der Wahrnehmungsschwelle.36                                 lockte, die USA drohten, die Wirtschaft drängelte und auch der
                                                                     Bundestag wurde unruhig. Angesichts der sich verschärfenden
Moskauer Weltwirtschaftskonferenz als Wendepunkt                     Embargo-Politik hatte die oppositionelle SPD bereits am 12. De-
In diese spannungsreiche Zeit platzten im Frühjahr zwei Initia-      zember 1951 einen Antrag zur Förderung des Osthandels in den
tiven Stalins: Am 10. März 1952 übergab die Sowjetunion die          Bundestag eingebracht und eine Plenardebatte darüber gefordert.
sogenannte „Stalin-Note“ an die Regierungen der USA, Großbri-        In seiner Sitzung am 6. Mai 1952 forderte der Bundestag dann mit
tanniens und Frankreichs. Unter Beteiligung einer gesamtdeut-        breiter Mehrheit die Bundesregierung auf, „dafür zu sorgen, dass
schen Regierung sollte ein Friedensvertrag ausgearbeitet und ein     die Bundesrepublik auch im West-Ost-Handel volle Handlungsfrei-
neutrales Gesamtdeutschland geschaffen werden, so das Angebot.       heit“ erhält. Die Embargo-Listen sollten „international gleichmäßig
Bis heute ist unter Historikern umstritten, ob dies eine ernstge-    abgebaut werden“ und mit der Sowjetunion und deren Verbündeten
meinte Offerte oder ein Propagandatrick war. Adenauer und die        „normale Wirtschaftsbeziehungen“ aufgenommen werden.
Westalliierten waren von letzterem überzeugt, aber es kam durch-         Washington war ebenfalls an einer wirtschaftlich stabilen Bun-
aus zu ernsthaften Gesprächen, in denen die Westmächte auf der       desrepublik interessiert, für die der Export auch nach Osten wichtig
Vorbereitung von gesamtdeutschen freien Wahlen durch eine            war, um Arbeitsplätze zu sichern, Geld für den Wiederaufbau des
UN-Kommission bestanden. Die Sowjetunion hingegen wollte             Landes zu erwirtschaften und das bestehende, gefährliche Dollar-
Wahlen unter Aufsicht der Siegermächte durchführen, also auch        defizit im Außenhandel abzubauen. Die USA sahen aber gleichzei-
unter eigener Kontrolle. Nach Stalins Tod am 5. März 1953 wurde      tig den Osthandel aus politisch-strategischen Gründen so kritisch,
das Thema schließlich beerdigt.                                      dass sogar die weitere wirtschaftliche und politische Unterstützung

                                                                           Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft e.V. – Jahrbuch 2022 | 17
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