Nahrungsmittelallergie - DGAKI

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Nahrungsmittelallergie - DGAKI
Allergologie, Jahrgang 44, Nr. 7/2021, S. 487

 Editorial

                                                          Nahrungsmittelallergie

                                    Liebe Kolleginnen und Kollegen,                bettet. Die Gruppe von Herrn Prof. Szépfa-
                                                                                   lusi aus Wien stellt einen Fallbericht zum
                                     ich freue mich, dass in dieser Ausgabe die
                                                                                   Einsatz von Omalizumab als Therapieoption
                                 aktualisierte S2K-Leitlinie zum Management
                                                                                   bei schwerer Erdnussallergie vor. Herr Dr.
                                 IgE-vermittelter Nahrungsmittelallergien er-
                                                                                   Lange und S. Gernert berichten über akute
                                 scheint. Die mit aktueller Literatur überarbei-
                                                                                   FPIES-Reaktionen nach Provokation. Dies
                                 tete Leitlinie enthält viele Kernaussagen in
                                                                                   ist gerade in der Pädiatrie ein Krankheitsbild,
                                 Bezug auf die Diagnostik, die sich im Ver-
                                                                                   was nicht nur durch einen schweren Verlauf
                                 gleich zur Vorversion nicht verändert haben.
                                                                                   gekennzeichnet sein kann, sondern in den
                                 Jedoch gibt es in Hinblick auf die Präven­
                                                                                   letzten Jahren auch an Häufigkeit zugenom-
                                 tion und Therapie der Nahrungsmittelallergie
                                                                                   men hat. Frau Grünhagen und Dr. Dölle-
Margitta Worm, Berlin            Neuerungen, die in die neue Leitlinie imple-
                                                                                   Bierke aus meinem Team berichten über die
                                 mentiert wurden. Aus aktuellem Anlass ha-
                                                                                   kofaktorabhängige Nahrungsmittelanaphy-
                                 ben wir ein Kapitel zur Impfung hinzugefügt,
                                                                                   laxie, die im klinischen Alltag gerade bei er-
                                 obgleich die bisher eingesetzten Impfstoffe
                                                                                   wachsenen Patienten mit einer Nahrungsmit-
                                 gegenüber C ­ OVID-19 in Bezug auf die Nah-
                                                                                   telallergie eine wichtige Rolle spielt.
                                 rungsmittelallergie keine Relevanz haben.
                                                                                        Last but not least freut es uns sehr, dass
                                     Zur Prävention einer Nahrungsmittel­
                                                                                   der Altvater der Nahrungsmittelallergie Herr
                                 aller­gie gibt es zahlreiche neue Daten und
                                                                                   Prof. Wüthrich in einer Übersichtsarbeit
                                 auch eine aktuelle Leitlinie auf europäischer
                                                                                   Aspekte der Nahrungsmittelallergie über
                                                                                   ­
                                 Ebene. Aber auch die S3-Leitlinie zur Prä-
                                                                                   6 Dekaden zusammengestellt hat.
                                 vention von allergischen Erkrankungen wird
                                                                                        Insgesamt werden Sie durch die Lektüre
                                 in den nächsten Wochen erscheinen. Neu ist
                                                                                   des Heftes das Standardvorgehen für die Be-
                                 für den Bereich der Nahrungsmittel die frü-
                                                                                   treuung von Nahrungsmittelallergiepatienten
                                 he Einführung von Hühnerei in verbackener
                                                                                   in Form der Leitlinie lesen können und die
                                 Form sowie unter bestimmten Bedingungen
                                                                                   Fallvorstellungen werden Ihnen eine aktu-
                                 die frühe Konfrontation der Kleinkinder mit
                                                                                   elle Übersicht zu praxisrelevanter Themen
                                 Erdnuss. Ein weiterer neuer Aspekt der Leit-
                                                                                   geben, die uns täglich beschäftigen.
                                 linie sind die Therapieempfehlungen. Seit
                                                                                        Wir freuen uns sehr darüber, dass die
                                 letztem Jahr gibt es in Europa ein zugelas-
                                                                                   Nahrungsmittelallergie derzeit so innovati-
                                 senes Präparat zur oralen Immuntherapie bei
                                                                                   ve Entwicklungen mit sich bringt und somit
                                 schwerer Erdnussallergie für Kinder.
                                                                                   die Versorgung unserer Patienten verbessert
                                     Obgleich die Leitlinie umfangreich ist,
                                                                                   werden kann.
                                 liefert sie hoffentlich möglichst vielen
                                                                                        Ich wünsche Ihnen viel Freude bei der
                                 Kolleg/-innen zahlreiche wichtige Hand-
                                                                                   Lektüre und verbleibe mit herzlichen Grüßen
                                 lungsempfehlungen, die für die Betreuung
                                 von nahrungsmittelallergischen Patienten im
                                                                                                         Margitta Worm, Berlin
                                 Alltag relevant sind.
© 2021
                                     Wir haben die Leitlinie in diesem Heft in
Dustri-Verlag Dr. Karl Feistle   Fallvorstellungen und eine Übersichtsarbeit
ISSN 0344-5062
DOI 10.5414/ALX02260             zum Thema Nahrungsmittelallergie einge-
Nahrungsmittelallergie - DGAKI
Leitlinie                      Allergologie, Jahrgang 44, Nr. 7/2021, S. 488-541
  Guideline
                                 Update Leitlinie zum Management
                                 IgE-vermittelter Nahrungsmittelallergien
                                 S2k-Leitline der DGAKI

                                 M. Worm1, I. Reese2, B. Ballmer-Weber3, K. Beyer4, S.C. Bischoff5, B. Bohle6,
                                 K. Brockow7, M. Claßen8, P.J. Fischer9, E. Hamelmann10, U. Jappe11,12, J. Kleine-
                                 Tebbe13, L. Klimek14, B. Koletzko15, L. Lange16, S. Lau4, U. Lepp17, V. Mahler18,
                                 K. Nemat19, M. Raithel20, J. Saloga21, C. Schäfer22, S. Schnadt23, J. Schreiber24,
                                 Z. Szépfalusi25, R. Treudler26, M. Wagenmann27, T. Werfel28 und T. Zuberbier29
                                 1-29
                                        Institutsangaben siehe Auflistung am Ende des Artikels

Schlüsselwörter                  Präambel                                                ziert? Wie häufig sind Nahrungsmittelall-
­Nahrungsmittelallergie                                                                  ergien? Was sind die Risikofaktoren einer
 – IgE-Diagnostik –                  Die Leitlinie aus dem Jahre 2015 wurde
 ­Provokationstestung –                                                                  Nahrungsmittelallergie? Wie ist die Progno-
  Ernährungsberatung –           von den Kapitelautoren nach Literatursuche              se einer Nahrungsmittelallergie? Was sind
  Therapie                       in PubMed, Metaanalysen, klinischen Studi-              die häufigsten Nahrungsmittelallergien?
                                 en und anderen wissenschaftlichen Untersu-
Key words                        chungen aktualisiert. Die Konsentierung der             Klassifikation
food allergy –
                                 Überarbeitung erfolgte durch ein interdiszi­
IgE ­diagnostics –                                                                            Immunglobulin-E(IgE)-vermittelte Nah-
­provocation testing –           plinäres Expertengremium.
                                                                                         rungsmittelallergien werden in primäre und
 nutritional counseling              Sie berücksichtigt die methodischen Vor-
                                                                                         sekundäre Nahrungsmittelallergien einge-
 – therapy                       gaben der Arbeitsgemeinschaft der Wissen-
                                                                                         teilt, die unterschiedlich schwer verlaufen
                                 schaftlichen Medizinischen Fachgesellschaf-
                                                                                         können.
                                 ten (AWMF) zur Entwicklung von Leitlinien
                                                                                         –– Primäre Nahrungsmittelallergien entste-
Erstpublikation in               für Diagnostik und Therapie und entspricht
■■■
                                                                                              hen primär (am ehesten) in Folge gast-
                                 nach dem Dreistufenkonzept der AWMF ei-
                                                                                              rointestinaler Sensibilisierungen auf vor-
                                 ner S2k-Leitlinie [1]. Die DELBI-Kriterien
Entwicklungsstufe                                                                             wiegend stabile Nahrungsmittelallergene
S2k                              finden Berücksichtigung [2].
                                                                                              (Glyko-/Lipoproteine).
                                     Die Empfehlungsstärken der einzelnen
AWMF-Leitlinien-­
                                                                                         –– Eine sekundäre Nahrungsmittelallergie
                                 Empfehlungen werden in dieser Leitlinie
Register-Nummer                                                                               entsteht infolge einer Sensibilisierung
                                 durch standardisierte Formulierungen ausge-
(061-031)                                                                                     gegenüber Aeroallergenen (z. B. Pollen-
                                 drückt (Tab. 1) [3].
                                                                                              allergenen) mit anschließenden Reakti-
Fertigstellung
Juni 2021                                                                                     onen (sog. Kreuzallergien) auf struktur-
                                                                                              verwandte, häufig instabile Allergene in
Gültigkeit                                                                                    (pflanzlichen) Lebensmitteln.
Bis 31. Dezember 2024            1. Epidemiologie und häufigste
ICD-10-Nummern
                                 Auslöser der Nahrungsmittel­                            Prävalenz von Nahrungsmittelallergien
T78.0, T78.1, L27.2,             allergie                                                    Die Prävalenz von Nahrungsmittelall-
L23.6, T78.2
                                                                                         ergien ist regional unterschiedlich und in
                                 M. Worm und U. Jappe
                                                                                         einigen Ländern in den letzten Jahren ange-
                                    Wie werden Nahrungsmittelallergien                   stiegen. So hat sich die Häufigkeit der Erd-
                                 nach ihrem Sensibilisierungsweg differen-               nuss- und Baumnussallergie in den letzten

                                 Zitierweise: Worm M, Reese I, Ballmer-Weber B, Beyer K, Bischoff SC, Bohle B, Brockow K,
                                 ­Fischer PJ, Hamelmann E, Jappe U, Kleine-Tebbe J, Klimek L, Koletzko B, Lange L, Lau S, Lepp U,
© 2021                            Mahler V, Nemat K, Raithel M, Saloga J, Schäfer C, Schnadt S, Schreiber J, Szépfalusi Z, Treudler R,
Dustri-Verlag Dr. Karl Feistle
ISSN 0344-5062
                                  Wagenmann M, Werfel T, Zuberbier T. ■■■Update of the guideline on the management of IgE-mediated
DOI 10.5414/ALX02257              food allergies – S2k-Guideline of the DGAKI■■■. Allergologie select. ■■■. ■■■ ■■■. DOI: xxx
Nahrungsmittelallergie - DGAKI
Update Leitlinie zum Management IgE-vermittelter Nahrungsmittelallergien                        489

                                                                                  Jahrzehnten in den USA verdreifacht [4].
Konsentierte Aussagen
                                                                                  Aktuelle Daten einer europäischen Präva-
Die Prävalenz der Nahrungsmittelallergie ist altersabhängig. Eine       starker
Studie zur Prävalenz der Nahrungsmittelallergie in Deutschland zeigt    Konsens   lenzstudie, unter Beteiligung der Schweiz,
eine Häufigkeit von 4,2% bei Kindern und 3,7% bei Erwachsenen.                    jedoch nicht Deutschland und Österreich,
Bei der IgE-vermittelten Nahrungsmittelallergie gibt es primäre         Konsens   bestätigen frühere Daten zur Häufigkeit der
(vorwiegend frühkindliche) und sekundäre (vorwiegend pollenas-                    Nahrungsmittelallergie [5]. Eine Nahrungs-
soziierte) Allergien, die in ihrer Schwere unterschiedlich verlaufen.
                                                                                  mittelallergie führt zu einer Einschränkung
Eine Nahrungsmittelallergie kann die Lebensqualität stark               Konsens
einschränken und in seltenen Fällen tödlich verlaufen.                            der Lebensqualität der Betroffenen und kann
                                                                                  in seltenen Fällen tödlich verlaufen [6].
                                                                                      Um die
                                                                                  –– Inzidenz,
Abkürzungen
                                                                                  –– Prävalenz,
AAAAI         American Academy of Allergy, Asthma & Immunology                    –– aktuellen Entwicklungen,
AGATE         Arbeitsgemeinschaft Anaphylaxie – Training und Edukation            –– potenziellen Risiken sowie
ASS           Acetylsalicylsäure
                                                                                  –– prognostischen Faktoren
BAT           Basophilenaktivierungstest
BK            Berufskrankheit                                                         zur Nahrungsmittelallergie in Europa ab-
CCD           Cross-reactive carbohydrate determinants, kreuzreaktive             zuschätzen, wurden Studien von 2000 – 2012
              Kohlenhydratseitenketten
                                                                                  zu dieser Frage in einer Metaanalyse ausge-
CSACI         Canadian Society of Allergy and Clinical Immunology
                                                                                  wertet [7]. Die Punktprävalenz von selbst
DBPCFC        Double-blind placebo-controlled food challenge, doppelblind
              placebokontrollierte Nahrungsmittelprovokation                      berichteter Nahrungsmittelallergie war bis
DGES          Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland                    zu 6-mal höher als bei einer durch Provoka-
DELBI         Deutsches Instrument zur methodischen Leitlinien-Bewertung          tionstestung überprüften Nahrungsmittelall-
EAACI         European Academy of Allergy and Clinical Immunology                 ergie. Die Prävalenz der primären Nahrungs-
EGID          Eosinophilic gastrointestinal disorders, eosinophilenassoziierte    mittelallergie war grundsätzlich bei Kindern
              Erkrankungen des Gastrointestinaltrakts
                                                                                  höher als bei Erwachsenen. Die Zunahme
FDA           Food and drug administration
                                                                                  der Häufigkeit sekundärer Nahrungsmittelal-
FPIES         Food protein-induced enterocolitis syndrome,
              ­nahrungsproteininduziertes Enterokolitissyndrom                    lergien infolge von Kreuzreaktionen mit In-
GIT            Gastrointestinaltrakt                                              halationsallergenen ist auch auf ein erhöhtes
HMO            Humane Milcholigosaccharide                                        Bewusstsein und eine verbesserte Diagnostik
HMW            High molecular weight                                              zurückzuführen.
IgE            Immunglobulin E                                                        Studien zur Epidemiologie von Nah-
IgG            Immunglobulin G                                                    rungsmittelallergien in Deutschland liegen
GÖR            Gastroösophagealer Reflux
                                                                                  begrenzt vor. Eine Studie von 2004 ergab
KI             Konfidenzinterval
                                                                                  eine Prävalenz der Nahrungsmittelallergie,
KU             Kontakturtikaria
LCPUFA         Long-chain polyunsaturated fatty acids, langkettige mehrfach
                                                                                  gesichert durch doppelblinde, placebokon-
               ungesättigte Fettsäuren                                            trollierte Nahrungsmittelprovokation, von
LJ             Lebensjahr                                                         3,7% bei Erwachsenen [8] und von 4,2% bei
LMIV           Lebensmittelinformationsverordnung                                 Kindern [9]. Eine Studie zur Gesundheit Er-
LoQ            Limit of quantification, Quantifizierungsgrenze                    wachsener in Deutschland (DGES), durch-
LTP            Lipidtransferprotein                                               geführt im Zeitraum 2008 – 2012, ergab eine
MdE            Minderung der Erwerbsfähigkeit
                                                                                  Lebenszeitprävalenz der Nahrungsmittelal-
NPV            Negative predictive value, negativer prädiktiver Wert
                                                                                  lergie von 6,4% bei Frauen und 2,9% bei
NSAID          Nichtsteroidale Entzündungshemmer
nsLTP          Non-specific lipid transfer protein, nichtspezifisches
                                                                                  Männern sowie für die Gesamtkohorte der
               ­Lipidtransferprotein                                              Erwachsenen von 4,7% (95%-Konfidenz­
OAS             Orale Allergiesymptome                                            intervall 4,1 – 5,4) [10].
OIT             Orale Immuntherapie
PKD             Proteinkontaktdermatitis
PPI             Protonenpumpeninhibitor
PPV             Positive predictive value, positiver prädiktiver Wert             Tab. 1.   Empfehlungsstärken.
PR-10           Pathogenesis-related protein family 10                             Empfehlungsstärke              Syntax
SCIT            Subcutaneous immunotherapy, subkutane Immuntherapie                Starke Empfehlung                soll
SIT             Spezifische Immuntherapie                                          Empfehlung                      sollte
SLIT            Sublingual immunotherapy, sublinguale Immuntherapie
                                                                                   Empfehlung offen                kann
WDEIA           Wheat-dependent, exercise-induced anaphylaxis
Nahrungsmittelallergie - DGAKI
Worm, Reese, Ballmer-Weber et al.                                                      490

Einflussfaktoren für die Häufigkeit der         Hauptauslöser der Nahrungs­
Nahrungsmittelallergie                          mittelallergie je nach Lebensalter
    Die Häufigkeit der Nahrungsmittelaller-          Die häufigsten Auslöser einer Nahrungs-
gie wird durch verschiedene Variablen be-       mittelallergie sind bei Kindern und Jugend-
einflusst:                                      lichen Milch- und Hühnereiweiß, Soja,
–– Alter und Geschlecht,                        Weizen, Erdnuss und Baumnüsse, bei Er-
–– familiäre Atopieanamnese,                    wachsenen pollenassoziierte Nahrungsmit-
–– Wohnort/geografische Lage,                   telallergenquellen (Apfel und anderes Kern-
–– Ernährungsgewohnheiten,                      und Steinobst inkl. Hartschalenobst, s. auch
–– Vorhandensein anderer allergischer Er-       Tab. 7), Gemüse (Sellerie, Möhre) sowie
    krankungen.                                 Krusten- und Schalentiere und Weizen. Das
    Geografisch betrachtet ist die Prävalenz    Profil von Nahrungsmittelallergenen als
bei Kindern im Vergleich zu Erwachsenen         Auslöser schwerer allergischer Reaktionen
in Nord-West-Europa am höchsten. Eine           ist exemplarisch in Abbildung 1 dargestellt.
geringere Häufigkeit der selbst berichte-
ten und bestätigten Nahrungsmittelallergie
wurde in Südeuropa gefunden. Allerdings
sollten Daten zur Häufigkeit der Nahrungs-
mittelallergie aufgrund der Heterogenität der
                                                2. Prävention der Nahrungs­
Studien bezüglich methodischer oder diag-       mittelallergie
nostischer Unterschiede innerhalb einer und
                                                K. Beyer und I. Reese
zwischen (unterschiedlichen) geografischen
Region(en) Europas vorsichtig interpretiert         Mit welchen Maßnahmen kann das Ent-
werden.                                         stehen einer Nahrungsmittelallergie beein-
    Die Häufigkeit einer Nahrungsmittelall-     flusst bzw. verringert werden?
ergie ist aus verschiedenen Gründen schwer          Primärprävention hat zum Ziel, das Ri-
zu ermitteln:                                   siko für das Auftreten von allergischen Sen-
–– Vorhandensein von Augmentationsfak-          sibilisierungen und allergischen Erkrankun-
    toren (Faktoren, die das Auftreten von      gen zu vermindern. Dazu werden entweder
    Symptomen einer Nahrungsmittelallergie      ursächliche oder prädisponierende Faktoren
    begünstigen),                               verändert oder die Toleranz des Einzelnen
–– mangelhafte Reproduzierbarkeit von           erhöht. Bei der Prävention allergischer Er-
    glaubhaft beschriebenen Symptomen,          krankungen betreffen einige wenige Emp-
–– Relevanz versteckter Allergene bzw. neu-     fehlungen ausschließlich Risikopersonen,
    artiger Lebensmittel („novel food“),        bei denen Vater, Mutter und/oder Geschwis-
–– Berücksichtigung individueller Sensibili-    ter bereits von einer allergischen Erkrankung
    sierungsprofile,                            betroffen sind. Die meisten Empfehlungen
–– natürliche Toleranzentwicklung               gelten genauso für Nichtrisikopersonen.
                                                    Die deutschsprachige S3-Leitlinie [13]
Prognose                                        zur Allergieprävention wird zurzeit aktuali-
     Daten zum Verlauf der Nahrungsmittelal-    siert. In der systematischen Literatur-Suche
lergie zeigen, dass die frühkindliche Milch-    für diese Leitlinie wurden alle allergischen
eiweißallergie eine gute Prognose bezüglich     Erkrankungen und nicht explizit die Nah-
einer spontanen Toleranzentwicklung hat,        rungsmittelallergie berücksichtigt. Da inzwi-
während eher Erdnuss- und Baumnussaller-        schen auch die Verhinderung von Nahrungs-
gien bis in das Erwachsenenalter persistieren   mittelallergien im Fokus der präventiven
können. Weitere Studien sind notwendig, um      Ansätze steht, wurden für die aktuelle Über-
die Langzeitprognose einer Nahrungsmit-         arbeitung dieser Leitlinie die Ergebnisse
telallergie zukünftig besser zu definieren.     eines systematischen Reviews der EAACI
     Eine Nahrungsmittelallergie kann in sehr   berücksichtigt, die die Grundlage für die ak-
seltenen Fällen tödlich verlaufen. Dies be-     tuellen europäischen Empfehlungen bildet
trifft vor allem Kinder und Jugendliche mit     [14].
Erdnuss- und Baumnuss-, aber auch Milch-            Eine Gegenüberstellung der deutschen
eiweißallergie [11, 12].                        und europäischen Empfehlungen findet sich
Nahrungsmittelallergie - DGAKI
Update Leitlinie zum Management IgE-vermittelter Nahrungsmittelallergien                    491

Abb. 1. Die häufigsten
Auslöser Nahrungsmit-
tel-induzierter Anaphyla-
xien. Anaphylaxie-Regis-
ter; Stand März 2019;
Gesamt Nahrungsmittel-
induzierte Anaphylaxie
n = 4350 (n = 2481, Kin-
der und Jugendliche
0 – 17 Jahre, n = 1869,
Erwachsene ab 18 Jah-
re).

                            in Tabelle 2 im Anhang. Die deutschsprachi-         Eipulver [16] gezeigt werden, während die
                            gen Empfehlungen, die zur Prävention der            Gabe von pasteurisiertem Vollei mit dem
                            Nahrungsmittelallergie konsentiert wurden,          Risiko anaphylaktischer Reaktionen ver-
                            berücksichtigen auch die Prävention ande-           bunden war [17, 18], aber keinen Vorteil für
                            rer allergischer Erkrankungen, während, die         die Interventionsgruppe zeigte [17, 18, 19].
                            Europäischen Empfehlungen der EAACI                 Da davon ausgegangen wird, dass verba-
                            ausschließlich auf die Prävention von Nah-          ckenes Hühnerei einen ähnlichen Effekt wie
                            rungsmittelallergien bei Säuglingen und             hartgekochtes Hühnerei oder hocherhitztes
                            Kleinkindern fokussiert.                            Eipulver hat, wird die Einführung und
                                An dieser Stelle werden nur die konsen-         regelmäßige Gabe von durcherhitztem Ei
                            tierten Empfehlungen zur gezielten Einfüh-          (verbacken, hartgekocht) mit der Beikost
                            rung von potenten Nahrungsmittelallergien           empfohlen. Dazu zählen unter anderem aus-
                            dargestellt und erläutert. Ausreichend Evi-         reichend durchgebackene eihaltige Back-
                            denzlage besteht für die Lebensmittel Hüh-          waren (wie Hartkekse, Brot- und Brötchen-
                            nerei und Erdnuss.                                  spezialitäten sowie Muffins und Kuchen).
                                                                                Dagegen wird abgeraten, „rohes“ Hühnerei
                            Hühnerei                                            (einschließlich Rührei und weichgekochtem
                               Hinsichtlich Hühnerei konnten günstige           Ei) mit der Beikost einzuführen.
                            Effekte durch die frühe Einführung von ge-
                            kochtem Hühnerei [15] bzw. hocherhitztem            Erdnuss
                                                                                    Die EAACI Empfehlung zur gezielten
                                                                                Einführung von Erdnussprodukten für Län-
                                                                                der mit hoher Erdnussallergie-Prävalenz
 Konsentierte Aussagen                                                          wurde nicht übernommen, da Deutschland
 Zur Prävention der Hühnereiallergie sollte           starker Konsens           derzeit nicht als solches einzuordnen ist.
 durcherhitztes (z. B. verbackenes oder hartgekoch-
 tes), aber nicht „rohes“ Hühnerei (auch kein Rührei)
                                                                                    Da bei Säuglingen mit atopischer Der-
 mit der Beikost eingeführt und regelmäßig gegeben                              matitis aus Familien mit regelmäßigem Erd-
 werden.                                                                        nusskonsum ein erhöhtes Risiko für die Ent-
 Zur Prävention der Erdnussallergie kann bei          Konsens                   wicklung einer Erdnussallergie besteht, kann
 Säuglingen mit atopischer Dermatitis in Familien
                                                                                bei dieser Konstellation eine gezielte Einfüh-
 mit regelmäßigem Erdnusskonsum im Zuge der
 Beikost-Einführung erwogen werden, Erdnusspro-                                 rung von Erdnussprodukten in altersgerech-
 dukte in altersgerechter Form (z.B. Erdnussbutter)                             ter Form (wegen der Aspirationsgefahr nicht
 einzuführen und regelmäßig weiter zu geben.                                    ganz oder in Stücken), gefolgt von einer
 Insbesondere bei Säuglingen mit moderater bis        Konsens                   regelmäßigen Gabe erwogen werden. Auf-
 schwerer AD soll zunächst eine Erdnussallergie
 ausgeschlossen werden.
                                                                                grund der Tatsache, dass es bisher nur Daten
                                                                                zur präventiven Einführung von Erdnuss bei
Nahrungsmittelallergie - DGAKI
Worm, Reese, Ballmer-Weber et al.                                                                       492

Tab. 2. Gegenüberstellung der deutschsprachigen Empfehlungen zur Prävention der Nahrungsmittelallergie und ggf. anderer aller-
gischer Erkrankungen mit den EAACI Empfehlungen zur Prävention der Nahrungsmittelallergie bei Säuglingen und Kleinkindern.

Update Leitlinie Allergieprävention DGAKI/ GPA 20/21              EAACI Recommendation 2020
Statement: Während Schwangerschaft und Stillzeit wird eine        The EAACI Task Force suggests against restricting consumption
ausgewogene, abwechslungsreiche und Nährstoff-                    of potential food allergens during pregnancy or breastfeeding in
bedarfsdeckende Ernährung empfohlen. Diese beinhaltet auch        order to prevent food allergy in infants and young children.
den Verzehr von Gemüse, Milch/Milchprodukten (einschl.
fermentierter Milchprodukte wie Joghurt), Obst, Nüssen, Eiern
und Fisch.
Empfehlung: Diätetische Restriktionen (Meidung potenter
Nahrungsmittelallergenquellen) während der Schwangerschaft
oder Stillzeit sollen aus Gründen der Allergieprävention nicht
erfolgen. (A)
Statement: Jegliches Stillen hat viele Vorteile für Mutter und    There is no recommendation for or against using breastfeeding
Kind.                                                             to prevent food allergy in infants and young children, but
Empfehlung: Für den Zeitraum der ersten 4 – 6 Monate soll         breastfeeding has many benefits for infants and mothers and
nach Möglichkeit ausschließlich gestillt werden. (A)              should be encouraged wherever possible.
Auch mit Einführung von Beikost soll weitergestillt werden. (A)
Empfehlung: Ein Zufüttern von kuhmilchbasierter Formulanah-       The EAACI Task Force suggests avoiding supplementing with
rung in den ersten Lebenstagen sollte bei Stillwunsch der         cow’s milk formula in breastfed infants in the first week of life to
Mutter vermieden werden. (B)                                      prevent cow’s milk allergy in infants and young children
Empfehlung: Wenn nicht oder nicht ausreichend gestillt            For infants who need a breastmilk substitute, there is no
werden kann, soll eine Säuglingsanfangsnahrung gegeben            recommendation for or against the use of regular cow’s milk
werden. Für Risikokinder sollte geprüft werden, ob bis zur        based infant formula after the first week of life to prevent food
Einführung von Beikost eine Säuglingsanfangsnahrung mit in        allergy.
Studien zur Allergieprävention nachgewiesener Wirksamkeit         There is no recommendation for or against using partially or
verfügbar ist. (B)                                                extensively hydrolysed formula to prevent food allergy in infants
                                                                  and young children. When exclusive breastfeeding is not
                                                                  possible many substitutes are available for families to choose
                                                                  from, including hydrolysed formulas.
Empfehlung: Soja-basierte Säuglingsnahrungen sind zum             The EAACI Task Force suggests against introducing soy
Zweck der Allergieprävention nicht geeignet und sollen folglich   protein-based formula in the first six months of life to prevent
nicht zu diesem Zweck gegeben werden. (A)                         cow’s milk allergy in infants and young children.
Stellungnahme: Sojaprodukte können losgelöst vom Zwecke
der Allergieprävention im Rahmen der Beikost gegeben
werden.
Empfehlung: Da es keine Belege für eine allergiepräventive
Wirkung von anderen Tiermilchen, wie Ziegen- (auch nicht als
Basis von Säuglingsnahrungen), Schafs- oder Stutenmilch gibt,
sollten diese ebenfalls nicht zum Zweck der Allergieprävention
gegeben werden. (B)
Statement: Es gibt Hinweise darauf, dass die Vielfalt der
Ernährung des Kindes im ersten Lebensjahr einen protektiven
Effekt auf die Entwicklung atopischer Erkrankungen hat. Eine
vielfältige Ernährung beinhaltet auch, dass Fisch und eine
begrenzte Menge (bis zu 200 ml pro Tag) Milch bzw. Naturjo-
ghurt sowie Hühnerei im Rahmen der Beikost eingeführt
werden.
Empfehlung: Abhängig von der Bereitschaft des Säuglings
sollte mit der Fütterung von Beikost frühestens ab Beginn des
fünften und spätestens ab Beginn des siebten Lebensmonats
begonnen werden. (B)
Für einen präventiven Effekt einer diätetischen Restriktion
durch Meidung potenter Nahrungsmittelallergenquellen im
ersten Lebensjahr gibt es keine Belege. Sie sollte deshalb nicht
erfolgen. (A)
Empfehlung: Zur Prävention der Hühnereiallergie sollte           The EAACI Task Force suggests introducing well-cooked hen’s
durcherhitztes (z. B. verbackenes oder hartgekochtes), aber      egg, but not pasteurised or raw egg, into the infant diet as part of
nicht „rohes“ Hühnerei (auch kein Rührei) mit der Beikost        complementary feeding to prevent egg allergy in infants.
eingeführt und regelmäßig gegeben werden. (B)
Nahrungsmittelallergie - DGAKI
Update Leitlinie zum Management IgE-vermittelter Nahrungsmittelallergien                            493

Fortsetzung Tab. 2.

Update Leitlinie Allergieprävention DGAKI/ GPA 20/21              EAACI Recommendation 2020
Empfehlung: Zur Prävention der Erdnussallergie kann bei           In populations where there is a high prevalence of peanut allergy,
Säuglingen mit atopischer Dermatitis in Familien mit regelmäßi-   the EAACI Task Force suggests introducing peanuts into the
gem Erdnusskonsum im Zuge der Beikost-Einführung erwogen          infant diet in an age-appropriate form as part of complementary
werden, Erdnussprodukte in altersgerechter Form (z. B.            feeding in order to prevent peanut allergy in infants and young
Erdnussbutter) einzuführen und regelmäßig weiter zu geben.        children.
(C)
Empfehlung: Insbesondere bei Säuglingen mit moderater bis
schwerer AD soll zunächst eine Erdnuss-Allergie ausgeschlos-
sen werden. (A)
Hintergrund: Aufgrund der Heterogenität der Studienlage kann      There is no recommendation for or against vitamin supplementa-
keine abschließende Empfehlung zur Supplementierung von           tion or fish oil supplementation in healthy pregnant and/or
Ω-3 LCPUFAs für Schwangere, Stillende und Säuglinge zur           breastfeeding women and/or infants to prevent food allergy in
Allergieprävention gegeben werden.                                infants and young children.
Statement: Einige Studien zeigen, dass ein niedriger Versor-
gungsgrad mit Ω-3 LCPUFAs bei Schwangeren, Stillenden und
Säuglingen mit einem höheren Risiko für allergische Erkran-
kungen beim Kind, insbesondere Asthma und Wheezing,
einhergeht und dass dieses Risiko durch Supplementierung
von Ω-3 LCPUFAs gesenkt werden kann (1++ bis 2++).
Statement: Daten aus z. T. großen, randomisierten, doppel-        There is no recommendation for or against prebiotics, probiotics
blinden Interventionsstudien zeigen übereinstimmend keine         or synbiotics for pregnant and/or breastfeeding women and/or
präventiven Effekte von Pre- und Probiotika für die Endpunkte     infants alone or in combination with other approaches to prevent
Allergische Rhinitis (AR) und Asthma bronchiale. Die              food allergy in infants and young children.
überwiegende Mehrzahl aktueller Interventionsstudien zeigen
auch für das Atopische Ekzem keinen präventiven Effekt nach
Gabe von Prä- und/oder Probiotika.
Empfehlung: Präbiotika und/oder Probiotika sollen zu
Zwecken der Allergieprävention weder den Schwangeren noch
den Säuglingen verabreicht werden, auch nicht als Teil der
Säuglingsnahrung. (A)
Hintergrund: Aus Sicht der Leitliniengruppe ist trotz heteroge-   There is no recommendation for or against using emollients as
ner Interventionen in den unterschiedlichen Studien nicht         skin barriers to prevent food allergy in infants and young
gezeigt worden, dass eine Primär-Prävention bei Säuglingen        children.
mit atopischer Familienanamnese durch tägliche rückfettende
Ganzkörper Behandlung der gesunden Haut erreicht werden
kann.
Statement: Zum gegenwärtigen Zeitpunkt kann aufgrund der
vorliegenden Evidenz keine Empfehlung für eine tägliche
Rückfettung der gesunden Säuglingshaut mit dem Ziel der
Primär-Prävention von Ekzemen und Allergien – auch bei
Familien mit erhöhtem Allergierisiko – ausgesprochen werden.
Empfehlung: Säuglinge und Kinder mit sichtbar trockener
Haut sollten regelmäßig – auch mit dem Ziel der Prävention
von Ekzemen und Allergien – eingecremt werden. (Experten-
meinung)

                           Säuglingen mit leichter oder fehlender Sen-            3. Klinik und Differenzial­
                           sibilisierung im Haut-Prick-Test gegenüber             diagnostik der Nahrungs­
                           Erdnuss gibt [20], wird empfohlen, bei Säug-
                                                                                  mittelallergie
                           lingen mit moderater bis schwerer atopischer
                           Dermatitis vor gezielter Einführung von Erd-           L. Lange, B. Koletzko, M. Raithel und
                           nuss eine Erdnussallergie auszuschließen.              S.C. Bischoff
                               Zusätzlich zu den Empfehlungen der S3-
                           Leitlinie gibt es Hinweise, dass die Einnah-
                                                                                  3.1. Klinische Symptome
                           me von Antazida die Sensibilisierung und                   Was sind die (häufigsten) Symptome ei-
                           Ausprägung einer Nahrungsmittelallergie                ner Nahrungsmittelallergie? Abhängig von
                           fördern kann [21, 22].                                 –– der Aufnahme (Expositionsort) des Nah-
                                                                                      rungsmittelproteins,
Nahrungsmittelallergie - DGAKI
Worm, Reese, Ballmer-Weber et al.                                                         494

3. Klinik und             –– der zugrunde liegenden Erkrankung,             me. Bei schweren Nahrungsmittelallergien
Differenzial­             –– der Häufigkeit und Art der Exposition          können respiratorische und/oder Herzkreis-
diagnostik der               sowie                                          laufsymptome auftreten. Bei Kindern treten
Nahrungs­                 –– der Dosis                                      respiratorische Symptome häufiger auf (z. B.
mittelallergie                                                              Giemen oder Dyspnoe), bei Erwachsenen
                              können unterschiedliche Symptome ei-
                                                                            Herzkreislaufsymptome. Interessanterwei-
                          ner IgE-vermittelte Nahrungsmittelallergie
                                                                            se sind die gastrointestinalen Symptome bei
                          hervorgerufen werden [23, 24]. Die meisten
                                                                            systemischer Nahrungsmittelallergie weniger
                          Symptome werden nicht ausschließlich bei
                                                                            häufig. Bei seronegativen IgE-vermittelten
                          einer Nahrungsmittelallergie beobachtet und
                                                                            Nahrungsmittelallergien kann nur lokal im
                          können auch durch andere Erkrankungen
                                                                            Gewebe ortsständiges IgE (Entopie) zu iso-
                          bzw. nicht-IgE vermittelte Allergietypen ent-
                                                                            lierten Organreaktionen führen (z. B. orale
                          stehen.
                                                                            Schleimhautschwellung etc. [26, 27, 28, 29,
                              Der Kontakt von Nahrungsmittelprotei-
                                                                            30]. Obwohl die IgE-vermittelte Reaktion
                          nen mit dem Immunsystem erfolgt am häu-
                                                                            eine Sofortreaktion ist, kann an dem Gastroin-
                          figsten oral/gastrointestinal, kann aber auch
                                                                            testinaltrakt (GIT) je nach Digestion, Resorp-
                          –– perkutan (über die Haut, z. B. Kontakt­
                                                                            tions- und/oder Reaktionsort die Symptoma-
                              urtikaria), bzw. Sensibilisierungsweg für
                                                                            tik rasch (oberer GIT) oder erst mit mehreren
                              Erdnussallergie [20]
                                                                            Stunden Verzögerung (mittlerer und unterer
                          –– inhalativ (über die Atemwege, z. B. Bä-
                                                                            GIT) auftreten [26, 27, 29, 31, 32].
                              ckerasthma, s. unter 7.) oder
                          –– parenteral (über das Gefäßsystem, z. B.
                              bei Kontamination von Injektionslösung
                              mit Nahrungsproteinen)                        3.2. Manifestationen und
                              erfolgen.                                     ­Differenzialdiagnosen

                              Der Expositionsweg spielt für die klini-          Welche anderen Erkrankungen können
                          schen Symptome eine wichtige Rolle. Je nach       die Symptome einer Nahrungsmittelallergie
                          beteiligtem Organsystem können diverse            verursachen? Welche klinischen Manifesta-
                          Symptome – oft in Kombination – beobach-          tionen einer Nahrungsmittelallergie gibt es?
                          tet werden (modifiziert nach [25]) (Tab. 3 und
                          4). Bei seropositiven IgE-vermittelten Aller-         Nahrungsmittel können zahlreiche Er-
                          gien mit positivem IgE-Nachweis im Haut-          krankungen hervorrufen. Diese beruhen auf
                          test und/oder im Blut (oft Atopie) finden sich    unterschiedlichen pathophysiologischen Me-
                          variable Symptombilder aus extraintestinalen      chanismen mit Beteiligung zum Teil mehre-
                          und intestinalen Symptomen. Am häufigsten         rer verschiedener Organsysteme (s. auch 7.,
                          treten Haut- und Schleimhautsymptome auf,         Tab. 18).
                          zum Beispiel als Urtikaria oder Angioöde-             Eine Übersicht über die Manifestationen
                                                                            von Nahrungsallergien und Differenzialdiag-
                                                                            nosen findet sich in Tabelle 5.
Konsentierte Aussagen
Symptome IgE-vermittelter Nahrungsmittelallergien sind            starker
                                                                            Nichtallergische Mechanismen
vielgestaltig und betreffen verschiedene Organsysteme (vor        Konsens       Nahrungsmittelzusatzstoffe und natür-
allem Haut und oropharyngeale Schleimhaut, Magen-Darm-                      liche Aromastoffe können möglicherwei-
Trakt, Atemwege, Herz-Kreislauf-System).
                                                                            se ebenfalls Mastzellen aktivieren und das
Für die Diagnose einer Nahrungsmittelallergie sollte eine klare   starker
und reproduzierbare Assoziation der Beschwerden zur               Konsens   klinische Bild einer IgE-vermittelten Nah-
Aufnahme definierter Nahrungsmittel und eine Besserung der                  rungsmittelallergie imitieren (postuliert wer-
Symptome bei Karenz, u.a. in Verbindung mit einer IgE-Sensibi-              den u. a. Aktivierung G-Protein-gekoppelter
lisierung an Haut, Blut oder Darm etc. vorliegen.
                                                                            Rezeptoren, Veränderungen im Eicosanoid-
Bei im Blut oder an der Haut IgE-negativen Patienten sind u.a.
auch lokale seronegative IgE-vermittelte Allergiereaktionen                 stoffwechsel, verstärkte Mediatorenbildung/-
möglich.                                                                    ausschüttung). Natürliche Aromastoffe,
Bei intermittierender Verträglichkeit gegenüber Nahrungsmitteln   Konsens   Schwefelverbindungen, Verbindungen der
sollten u. a. auch augmentationsfaktorenabhängige Allergien                 Benzoesäure, histaminhaltige Nahrungsmit-
wie die nahrungsabhängige anstrengungsinduzierte Anaphyla-
xie erwogen werden.                                                         tel und Glutamat sind vereinzelt als Auslö-
                                                                            ser nichtallergischer Nahrungsmittelunver-
Nahrungsmittelallergie - DGAKI
Update Leitlinie zum Management IgE-vermittelter Nahrungsmittelallergien                    495

Tab. 3. Symptome einer Nahrungsmittelallergie.                                   Tab. 4. Symptome bei verzögerter Reaktion
                                                                                 oder chronischer Exposition.
Zielorgan                Symptome
Systemisch; Kreislauf    Anaphylaxie                                              Übelkeit
                         Hypotension, Schock                                      Erbrechen
                         Tachykardie (selten Bradykardie bei Anaphylaxie)         Bauchschmerz
                         Benommenheit, Schwindel                                  Gastroösophagealer Reflux (GÖR), Dysphagie
                         Synkope                                                  und Bolusereignisse
Haut                     (flüchtiges) Erythem („flush“)                           Inappetenz und Nahrungsverweigerung
                         Ekzem(-verschlechterung)                                 Diarrhö, Malassimilation, Enterocolitis
                         Urtikaria                                                Hämatochezie (Blut im Stuhl)
                         Juckreiz                                                 Gedeihstörung und Gewichtsverlust
                         Angioödem
                         Exanthem
Augen                    Juckreiz
                         Rötung (konjunktivale Injektionen)
                         Tränenfluss                                                Die Bedeutung von salicylathaltigen Nah-
                         periorbitales Ödem                                     rungsmitteln bei Acetylsalicylsäure(ASS)-
Oberer                   nasale Kongestion                                      Intoleranz ist aufgrund eines geringen
­Respirationstrakt       Juckreiz                                               Vorkommens der Salicylsäure in Nahrungs-
                         Schnupfen (Rhinorrhö)                                  mitteln unwahrscheinlich [33, 34]. Eine Mei-
                         Larynxödem, Stridor
                                                                                dung salizylathaltiger Gemüse- und Obstsor-
                         Heiserkeit
                                                                                ten ist nicht zu empfehlen [34].
                         trockener Husten
Unterer                  Husten
­Respirationstrakt       thorakales Engegefühl
                         Schweratmigkeit, Atemnot (Dyspnoe)
                         pfeifende Atemgeräusche (Giemen)                       4. Diagnostik der Nahrungs­
                         Zyanose
                                                                                mittelallergie
Oropharynx               Schwellungen der Lippen, Zunge und/oder des
                         Gaumens (Angioödeme)
                                                                                J. Kleine-Tebbe
                         oraler und/oder pharyngealer Juckreiz (Pruritus)
                         Zungenschwellung                                          Wie kann eine Nahrungsmittelallergie
Gastrointestinaltrakt    Übelkeit                                               zuverlässig diagnostiziert werden?
                         Erbrechen
                         kolikartige Bauchschmerzen                             Vorgehen bei Verdacht auf Nahrungsmit­
                         gastroösophagealer Reflux (GÖR)
                                                                                telallergie
                         Diarrhö
                                                                                    Bei Verdacht auf eine IgE-vermittelte
                                                                                Nahrungsmittelallergie beruht die Diagnos-
                                                                                tik auf mehreren Komponenten (Abb. 2):
Konsentierte Aussagen
Differenzialdiagnostisch sollten bei Verdacht auf Nahrungs­           starker
                                                                                –– Anamnese (ggf. mit Ernährungs- und
mittelallergie vor allem Infektionen, chronisch entzündliche          Konsens       Symptomprotokoll) (4.1.),
Erkrankungen inkl. eosinophile Gastroenteritiden und Mastozyto-                 –– Sensibilisierungstest (umgangssprach-
se, Kohlenhydratmalabsorptionen oder funktionelle bzw.                              lich „Allergietest“),
somatoforme Störungen in Betracht gezogen werden.
                                                                                    – IgE-Bestimmung (4.2.) und/oder
Für die Differenzialdiagnostik bei Verdacht auf Nahrungsmittel­       starker
allergie sollten in Abhängigkeit der Symptome und des Alters des      Konsens       – Haut-Prick-Test (4.3.),
Patienten andere Erkrankungen berücksichtigt werden.                            –– Ermittlung der klinischen Relevanz (In-
Bei Verdacht auf nicht-IgE-vermittelte gastrointestinale Unverträg-   Konsens       terpretation),
lichkeitsreaktionen sollte ein Gastroenterologe (bzw. pädiatrischer                 – Plausibilität anhand der (anamnesti-
Gastroenterologe) in die Diagnostik einbezogen werden.
                                                                                        schen) klinischen Angaben,
                                                                                    – ggf. diagnostische Eliminationsdiät
                                                                                        und
                                                                                    – Provokationstest (4.4.).
                            träglichkeitsreaktionen beschrieben worden.
                            Zusätzlich können Augmentationsfaktoren                Die Testreihenfolge und die Auswahl der
                            erforderlich sein, sodass orale Provokationen       Testreagenzien orientieren sich an
                            negativ ausfallen, wenn diese nicht berück-         –– der Anamnese,
                            sichtigt werden.                                    –– dem Alter des Patienten und
Nahrungsmittelallergie - DGAKI
Worm, Reese, Ballmer-Weber et al.                                                                     496

Konsentierte Aussagen
Spezifische Tests auf IgE-Sensibilisierungen sollen durch die Anamnese gelenkt werden.                                        starker
                                                                                                                              Konsens
Der Nachweis einer IgE-Sensibilisierung gegenüber Nahrungsmitteln und Aeroallergenen soll mittels spezifischer                Konsens
IgE-Bestimmung und/oder Haut-Prick-Test erfolgen.
Spezifische IgE-Bestimmung und Haut-Prick-Test unterstützen die Diagnose einer Nahrungsmittelallergie im Zusam-               starker
menhang mit der Anamnese und/oder Nahrungsmittelprovokation.                                                                  Konsens
Der Nachweis einer Sensibilisierung mittels spezifischer IgE-Bestimmung oder Haut-Prick-Test beweist nicht die                starker
klinische Relevanz des getesteten Nahrungsmittels und soll allein nicht zu einer therapeutischen Elimination führen.          Konsens
Der fehlende Nachweis einer Sensibilisierung (negatives spe­zi-                                                               Konsens
fisches IgE/Haut-Prick-Test) schließt eine klinisch relevante IgE-
vermittelte Nahrungsmittelallergie häufig, aber nicht sicher aus.

Tab. 5. Manifestationen und Differenzialdiagnosen der Nahrungsmittelallergie. Modifiziert nach [24].

Immun­            Erkrankung                    Klinische Charakteristika                  Typische            Prognose
pathologie                                                                                 ­Altersgruppe
IgE-vermittelt    akute Urtikaria/              ausgelöst durch Ingestion oder direkten     Kinder >          abhängig vom
                  Angioödem                     Hautkontakt                                 ­Erwachsene       auslösenden
                                                                                                              ­Nahrungsmittel
                  Rhinokonjunktivitis/          begleitet nahrungsproteinbedingte         Säugling >           abhängig vom
                  Asthma bronchiale             allergische Reaktionen, selten isolierte ­Erwachsener, außer auslösenden
                                                Atemwegssymptome (Ausnahme:               bei berufsbedingten ­Nahrungsmittel
                                                inhalative Exposition gegen Aerosol des Erkrankungen
                                                Nahrungs­proteins, oft berufsbedingt)
                  Anaphylaxie                   rasch progrediente Multisystem­reaktion jedes Alter            abhängig vom
                                                                                                               auslösenden
                                                                                                               ­Nahrungsmittel und
                                                                                                                Grunderkrankung
                  verzögerte nahrungs-          Anaphylaxie drei bis sechs Stunden        Erwachsene >          unklar
                  mittelinduzierte              nach Ingestion; ausgelöst durch           Kinder
                  Anaphylaxie gegen             Antikörper gegen Galactose-α-1,3-
                  Säugetierfleisch [267]        Galactose
                  nahrungsabhängige,            Nahrungsmittel löst Anaphylaxie nur dann Beginn im späten       vermutlich dauerhaft
                  risikofaktorabhängige         aus, wenn Augmentationsfaktoren wie       Kindesalter/­
                  Anaphylaxie                   Anstrengung, aber auch Alkohol oder       Erwachsenenalter
                                                Acetylsalicylsäure (ASS) vor oder nach
                                                Nahrungs­aufnahme vorhanden sind
                  sekundäre                     oropharyngealer Juckreiz; mildes, auf     Beginn nach der       kann persistieren; kann
                  ­Kreuzallergie                die Mundhöhle beschränktes Ödem,          Manifestation der     mit den Jahreszeiten
                   (­vorwiegend                 seltener Urtikaria perioral oder          Pollenallergie        variieren
                   ­pollenassoziierte           generalisiert,                            (Erwachsener >
                    Nahrungsmittel­             Atemwegssymptome (Husten);                junges Kind)
                    allergien)                  – selten systemische Reaktionen (inkl.
                                                Anaphylaxie) bei manchen pollenasso-
                                                ziierten Allergien
                  gastrointestinale             nach Ingestion, – je nach ­Resorptions- jedes Alter             abhängig vom
                  ­allergische                  und/oder Reaktionsort – auftretendes                            auslösenden
                   ­Sofortreaktion              Bolusgefühl, Erbrechen, Übelkeit, bzw.                          ­Nahrungsmittel
                    ­(allergische               ­abdominelle Koliken, Diarrhö oder
                     ­Ösophagitis, Gastritis,    Enterocolitis
                      Enteritis oder Colitis)
gemischt              atopisches Ekzem/         mit Nahrungsmittel assoziiert bei 30 bis   Säugling > Kind >   in der Regel
IgE- und              Dermatitis                50% [268] der Kinder mit moderatem/        Erwachsene          ­Toleranzentwicklung
zellvermittelt                                  schwerem Ekzem
                  eosinophilenassoziierte       Symptome variieren; abhängig vom           jedes Alter         wahrscheinlich
                  Erkrankungen des              betroffenen Teil des Gastrointestinal-                         persistierend
                  Gastrointestinaltraktes       traktes und dem Grad der ­eosinophilen
                  (EGID)                        Entzündung
Update Leitlinie zum Management IgE-vermittelter Nahrungsmittelallergien                           497

Fortsetzung Tab. 5.

Immun­            Erkrankung                Klinische Charakteristika                 Typische              Prognose
pathologie                                                                            ­Altersgruppe
Zellvermittelt    nahrungsprotein­          schleimige, blutige Stühle bei             Säuglinge            in der Regel Toleranz-
                  induzierte Proktitis/     ­Säuglingen                                                     entwicklung
                  Proktokolitis
                  nahrungsprotein­        akute Exposition: schwere ­Manifestation    Säuglinge –             in der Regel
                  induziertes             mit Erbrechen, (blutiger) Diarrhö und       ­Kleinkinder, seltener ­Toleranzentwicklung
                  ­Enterokolitis-Syndrom  Exsikkose bis Schock;                        Erwachsene [269]
                   (FPIES)                chronische Exposition: Erbrechen,
                                          Diarrhö, Gedeihstörung, Lethargie,
                                          Reexposition nach Karenz: ­Erbrechen,
                                          Diarrhö, Hypotension ein bis drei
                                          Stunden nach Ingestion
                  nahrungsprotein­        Diarrhö, Erbrechen, Gedeihstörung,          Säuglinge –           in der Regel Toleranz-
                  induzierte Enteropathie Ödeme; keine Kolitis                        ­Kleinkinder >        entwicklung bei
                                                                                       Erwachsene           Kindern
                  Zöliakie                  multiple Manifestationen, mono-,           jedes Lebensalter    persistierend
                                            oligo- und polysymptomatisch,                                   (­lebenslange strenge
                                            ausgelöst durch Gluten bei ­genetischer                         Glutenmeidung
                                            Prädisposition                                                  notwendig)
nichtallergisch   Kohlen­hydrat­            Diarrhö (osmotisch), Meteorismus,         Laktasemangel         meist persistierend
(nicht­immuno-    malassimilation/­-        Bauchschmerz ein bis vier Stunden         typischerweise ab     (Laktose, Glukose-
logische          absorption (Laktose,      nach Aufnahme, auch Obstipation           Schulalter, sonst     Galaktose); Fruktose,
Intoleranz)       Fruktose, Sorbit,         möglich                                   jedes Alter Fruktose- Sorbit
                  selten: Saccharose,                                                 malabsorption/
                  Glukose-Galaktose)                                                  Sorbit: jedes Alter,
                                                                                      sehr selten:
                                                                                      ­kongenitaler
                                                                                       ­Laktasemangel,
                                                                                        Glukose-Galaktose-
                                                                                        Intoleranz,
                                                                                        Saccharose-
                                                                                        Isomaltase-­
                                                                                        Malabsorption

                             –– den verfügbaren Testungen (Darstellung                 korrespondierenden Symptomen klinisch
                                in den Unterabschnitten).                              relevant ist.

                                 Die diagnostischen Tests ermitteln eine              Ein einzelner Test (IgE-Test oder Haut-
                             erhöhte Allergiebereitschaft (d. h. Sensibili-       test) kann ausreichen, um die Sensibilisie-
                             sierung). Das gelingt durch:                         rung gegen ein Nahrungsmittel zu prüfen.
                             –– direkten Nachweis von allergenspezifi-            Häufig werden mehrere Tests zum Sensibi-
                                 schem IgE gegen Nahrungsmittelextrak-            lisierungsnachweis eingesetzt (Abb. 2). Ihre
                                 te-/allergene im Serum (4.2.) oder durch         Ergebnisse stimmen qualitativ nicht immer
                                                                                  überein; in dem Fall ist das positive Ergeb-
                             –– positive Hauttests (Prick-Test) (4.3.) mit
                                                                                  nis eher richtig als das (falsch-)negative.
                                 Nahrungsmittel(extrakte)n als indirek-
                                                                                  Bei gleichgerichteten Ergebnissen (konkor-
                                 ter Hinweis auf funktionelles, d. h. zur
                                                                                  dant positiv oder negativ) erhöht sich die
                                 Kreuzvernetzung fähiges, allergenspezi-
                                                                                  diagnostische Treffsicherheit, zumal meist
                                 fisches IgE auf Mastzellen in der Haut.
                                                                                  unterschiedliche Reagenzien eines Nah-
                                 Grundsätzlich sind die qualitativen Aus-         rungsmittels (Nativzubereitungen, Extrakte,
                             sagen (positiv vs. negativ) von IgE-Tests und        Einzelallergene) im Haut- bzw. IgE-Test ein-
                             Prick-Test ebenbürtig:                               gesetzt werden.
                             –– Ein negatives Ergebnis dient dem Aus-
                                 schluss einer Sensibilisierung.                  Interpretation der Testungen
                             –– Ein positives Ergebnis entspricht einer              Bei der Interpretation von Sensibilisie-
                                 Sensibilisierung, die allerdings nur bei         rungstests haben die Vorgeschichte, Anam-
Worm, Reese, Ballmer-Weber et al.                                                         498

4. Diagnostik der          nese sowie Klinik eine zentrale Bedeutung:        Welche Aspekte sind bei der Anamnese bei
Nahrungs­                  Nur bei eindeutiger Übereinstimmung zwi-          Verdacht auf eine Nahrungsmittelallergie zu
mittelallergie             schen den klinischen Angaben des Patienten        berücksichtigen?
                           und dem Testergebnis (Prick-Test/IgE-Be-
                           stimmung) kann eine Nahrungsmittelaller-          Praktisches Vorgehen bei der Erhebung
                           gie diagnostiziert bzw. ausgeschlossen wer-       der Anamnese
                           den. Ist eine solche Übereinstimmung (z. B.           Die allergologische Anamnese bei Ver-
                           durch unklare oder unergiebige Anamnese)          dacht auf eine Nahrungsmittelallergie folgt
                           nicht oder nicht eindeutig gegeben, soll die      allgemeinen Grundsätzen der Gesprächsfüh-
                           klinische Relevanz mithilfe einer oralen Pro-     rung. Hilfreich ist es, Patienten bereits vor
                           vokation überprüft werden (Abb. 2) (s. auch       dem ersten Termin einen speziellen Fragebo-
                           bei 4.4.).                                        gen auszuhändigen, der zum ersten anamnes-
                               Der Begriff „Allergietest“ (für Haut- oder    tischen Gespräch mitgebracht oder während
                           IgE-Tests) ist in diesem Zusammenhang             der Wartezeit ausgefüllt werden kann.
                           missverständlich und birgt die größte Quelle          Die Anamneseerhebung (Tab. 6) umfasst:
                           für Fehlinterpretationen diagnostischer Er-       –– die Familienanamnese,
                           gebnisse: Ein positives Ergebnis zum Beispiel     –– die Eigenanamnese und
                           gegenüber Nahrungsmitteln (d. h. Sensibili-       –– die spezielle Ernährungsanamnese.
                           sierung) kann nur bei Kenntnis der klinischen
                           Reaktion erfolgreich interpretiert werden.            Berichtete Symptome sollten mit ihrem
                               Als Faustregel gilt, dass nur die Hälfte      örtlichen, zeitlichen und situativen Auftreten
                           der in der Bevölkerung nachweisbaren atopi-       erfasst werden. Für die Einordnung der Pati-
                           schen Sensibilisierungen wirklich mit Symp-       entenangaben ist es wichtig zu erfahren, ob
                           tomen assoziiert und damit klinisch relevant      Zeiten völliger Beschwerdefreiheit vorkom-
                           sind. Dadurch zeigen sämtliche Sensibili-         men, aber auch welche Nahrungsmittel üb-
                           sierungstests eine unbefriedigende diagnos-       licherweise verzehrt und vertragen werden.
                           tische Spezifität (etwa 50%) und begrenzte
                           positive Vorhersagekraft („positive ­predictiv    Unterstützende Maßnahmen
                           value“, PPV), die stark von der jeweiligen
                                                                                  Ein Ernährungs- und Symptomtagebuch
                           Allergenquelle und der Prävalenz einer Nah-
                                                                             ist sinnvoll, damit Patienten ihre Gewohnhei-
                           rungsmittelallergie bei den untersuchten Ko-
                                                                             ten und Beschwerden gezielter selbst beob-
                           horten abhängt.
                                                                             achten. Vor allem bei chronischen Beschwer-
                               Bei gastrointestinaler Allergiemanifesta-
                                                                             den sind Aufzeichnungen des Patienten bzw.
                           tion können spezielle lokale Diagnostikmaß-
                                                                             dessen Eltern über zwei bis drei Wochen
                           nahmen in Betracht gezogen werden, wie
                                                                             mithilfe eines Ernährungs- und Symptom-
                           zum Beispiel mukosale oder endoskopische
                                                                             tagebuchs hilfreich. Ein solches Tagebuch
                           Provokation und endoskopische Lavage.
                                                                             berücksichtigt die Aufnahme von Speisen,
                                                                             Getränken, aber auch Süßigkeiten, Kaugum-
                           4.1. Anamnese und Ernährungs-                     mis etc., Besonderheiten (z. B. Essen im
                                                                             Restaurant) sowie in zeitlichem Zusammen-
                           und Symptomprotokoll
                                                                             hang auftretende Beschwerden. Symptom­
                           M. Worm, I. Reese und L. Klimek                   art und -intensität sollten mit Datum, ggf.
                                                                             Uhrzeit, Dauer der Beschwerden aufgelistet
                              Welche Bedeutung hat die Anamnese bei
                                                                             werden. Im Tagebuch sollte auch der Medi-
                           Verdacht auf eine Nahrungsmittelallergie?
                                                                             kamentenverbrauch aufgezeichnet werden.
                                                                             Die Aufzeichnungen werden anschließend
Konsentierte Aussagen
                                                                             durch eine allergologisch erfahrene Ernäh-
Eine detaillierte Anamnese soll Grundlage für die Diagnostik der   starker
Nahrungsmittelallergie sein.                                       Konsens
                                                                             rungsfachkraft oder einen Allergologen aus-
Die strukturierte Anamnese soll Auslöser, den Zeitverlauf, Symp-   starker   gewertet. So können die Bedeutung vorlie-
tome, Schweregrad, Reproduzierbarkeit, Risiko- und Augmenta-       Konsens   gender (oder fehlender) Sensibilisierungen
tionsfaktoren, die Familienanamnese, Begleiterkrankungen und                 relativiert oder bestätigt und die Entschei-
andere allergische Erkrankungen berücksichtigen.
                                                                             dung für spezifische Provokationstestungen
Bei chronischen Symptomen kann ein Ernährungs- und                 starker
Symptomprotokoll geführt werden.                                   Konsens
                                                                             oder andere Maßnahmen erleichtert werden.
                                                                             Weiterhin sollte berücksichtigt werden, dass
Update Leitlinie zum Management IgE-vermittelter Nahrungsmittelallergien                       499

                                                        Berücksichtigung von Augmentations­
                                                        faktoren
                                                            In der Anamnese sollten auch Augmen-
                                                        tationsfaktoren berücksichtigt werden. Diese
                                                        können eine allergische Reaktion verstärken
                                                        und sind in einigen Fällen sogar obligato-
                                                        risch für die Auslösung von Symptomen
                                                        (z. B. bei der weizenabhängigen anstren-
                                                        gungsinduzierten Anaphylaxie). Die bekann-
                                                        testen Augmentationsfaktoren sind:
                                                        –– körperliche Anstrengung und
                                                        –– die Anwendung nichtsteroidaler Entzün-
                                                            dungshemmer (NSAID).

                                                            Aber auch Alkohol, Fieber, akute Infekti-
                                                        onen, allergische Beschwerden während der
                                                        Pollensaison und Schlafentzug [36] wurden
                                                        als Augmentationsfaktoren beschrieben [37].

Abb. 2. Diagnostisches Vorgehen bei Verdacht
auf Nahrungsmittelallergie: im Erwachsenenalter         4.2. Auslösende Allergene und
Sensibilisierungsnachweis häufig mit Hauttests
(linke Hälfte), im Kindesalter bevorzugt mithilfe der
                                                        In-vitro-Diagnostik
spezifischen IgE-Bestimmung (rechte Hälfte, zu-
sätzliche Erläuterung s. Text).                         J. Kleine-Tebbe, B. Ballmer-Weber,
                                                        U. Jappe, J. Saloga und M. ­Wagenmann
                                                            Wie kann der Schweregrad einer nah-
bestimmte Medikamente (z. B. Protonen-                  rungsabhängigen allergischen Reaktion be-
pumpeninhibitoren (PPI) oder alkalisierende             stimmt werden? Was sind sinnvolle Indikati-
Medikamente) die Entstehung einer Sen-                  onen für eine sIgE-Bestimmung? Wie ist die
sibilisierung begünstigen können [22, 35].              Bedeutung der Diagnostik mit Einzelallerge-
Nach erfolgter Diagnostik wird mithilfe ei-             nen einzustufen? Welche Bedeutung haben
ner Nach­anamnese das weitere diagnostische             Sensibilisierungen gegenüber bestimmten
und therapeutische Vorgehen geplant.                    Einzelallergenen? Welches sind die wich-

Tab. 6.   Vorgehen bei der Erhebung der Anamnese.

 Anamnese
 Eigenanamnese             bekannte allergische Erkrankungen
                           Medikamente
                           körperliche Anstrengung
                           akute Infektionserkrankungen
                           psychische Belastung
 Familienanamnese   allergische Erkrankungen bei Verwandten ersten Grades
 Symptome bzw.      wann
 spezifische Auslöser
                    wo
                    wodurch
                    wie lange
                    wie oft
                    wiederholt
 Ernährungsanamnese Karenzmaßnahmen und Umfang, Toleranz von Nahrungsmitteln mit nachge-
                    wiesener Sensibilisierung erfassen
 Ernährungs- und    Dokumentation von Ernährung und Beschwerden
 ­Symptomtagebuch
Worm, Reese, Ballmer-Weber et al.                                                            500

4. Diagnostik der          tigsten Allergene bei einer Nahrungsmittelal-            Die diagnostische Tauglichkeit wird ge-
Nahrungs­                  lergie? Was muss bei der Interpretation der          trennt je nach Allergenquelle, Allergen und
mittelallergie             serologischen Diagnostik beachtet werden?            Testverfahren bewertet (Tab. 13).

                           4.2.1. Serologische IgE-Bestimmung
                                                                                4.2.1.1. Indikation zur IgE-Bestimmung
                           zum Sensibilisierungsnachweis
                                                                                    Abhängig vom
                              Allergenspezifisches IgE im Serum gegen
                                                                                –– Alter,
                           Nahrungsmittel entspricht einer Sensibilisie-
                                                                                –– den Symptomen und
                           rung. Fehlendes spezifisches IgE schließt sie
                                                                                –– verdächtigten Allergenquellen (Tab. 7)
                           (meistens) aus, sofern ein Extrakt verwendet
                                                                                    ergeben sich verschiedene Indikationen
                           wird, in dem sämtliche wichtigen Allergene
                                                                                für die In-vitro-Diagnostik [40]:
                           enthalten sind [38].
                              Abhängig von Testaufbau, Reagenzien
                                                                                Verdacht/Ausschluss einer
                           und verwendeten Allergenen können die
                                                                                ­Nahrungsmittelallergie
                           spezifischen IgE-Ergebnisse verschiedener
                           Hersteller voneinander abweichen.                        Bei begründetem Verdacht oder zum ge-
                              Zur IgE-Testung werden                            zielten Ausschluss einer Nahrungsmittelal-
                           –– einzelne Nahrungsmittel (Allergen­                lergie ist die spezifische IgE-Bestimmung
                              quellen, Tab. 7),                                 sinnvoll. Diese Indikation setzt allerdings
                           –– eine Kombination diverser Nahrungsmit-            voraus, dass im verwendeten Extrakt sämt-
                              tel (Such- oder Panel-Test) und zuneh-            liche relevanten Allergene repräsentiert sind.
                              mend                                                  Gruppentests für spezifisches IgE (z. B.
                           –– Einzelallergene (Tab. 8, 9, 10, weitere In-       gegen Erdnuss, Fisch, Hühnereiweiß, Kuh-
                              formationsquellen in Tab. 11) verwendet           milcheiweiß, Soja und Weizen) gestatten
                              [39].                                             einen rationellen Ausschluss oder Nachweis
                                                                                einer Sensibilisierung im Sinn einer erhöhten
                                                                                Allergiebereitschaft. Sie dienen so als Basis
                                                                                für die Aufschlüsselung nach Einzelallergen-
Konsentierte Aussagen
                                                                                quellen. Ein ungezieltes Screening ohne be-
Statt am quantitativen Testergebnis sollte der Schweregrad      starker
der klinischen Reaktion anhand der Anamnese und/oder            Konsens         gründeten Verdacht einer Nahrungsmittelall-
Provokationstestung bestimmt werden.                                            ergie wird nicht empfohlen.
Sinnvolle Indikationen zur IgE-Bestimmung sind:                 Konsens
––der begründete Verdacht einer IgE-vermittelten Nahrungs-                      Bedrohliche Reaktionen auf
  mittelallergie,
––der gezielte Ausschluss einer IgE-vermittelten Nahrungs-                      ­Nahrungsmittel
  mittelallergie,                                                                   Bei schweren anaphylaktischen Reaktio-
––eine bedrohliche Reaktion auf Nahrungsmittel,
                                                                                nen ist die spezifische IgE-Bestimmung ge-
––der Verdacht der Sensibilisierung auf hauttestungeeignete
  Nahrungsmittel,                                                               gen das verdächtige bzw. auszuschließende
––Bedingungen, die eine Hauttestung bzw. ihre Auswertung                        Nahrungsmittel vorzuziehen und ein Haut-
  nicht zulassen (z. B. Urticaria factitia, generalisierte                      test nach individueller Risiko-Nutzen-Erwä-
  Hauterkrankung, Gabe von Medikamenten, die das
                                                                                gung durchzuführen.
  Hauttestergebnis beeinträchtigen),
––sehr junge Patienten (Säuglings- oder Kleinkindesalter),                      Sensibilisierung gegenüber Hauttestung
––ein zu erwartender diagnostischer Mehrwert molekularer                        geeigneten Nahrungsmitteln
  Allergiediagnostik.
                                                                                   Ist der Hauttest als Sensibilisierungs-
Gesamt-IgE sollte als Interpretationshilfe bestimmt werden.     Konsens
Bei bestimmten Fragestellungen sollte die IgE-Diagnostik        starker
                                                                                nachweis nicht geeignet, wird eine spezifi-
mit Einzelallergenen zum Nachweis einer Sensibilisierung        Konsens         sche IgE-Bestimmung empfohlen (z. B. bei
eingesetzt werden.                                                              hautirritierenden Nahrungsmitteln wie Ge-
Die In-vitro-Diagnostik mit Einzelallergenen kann besonders     Mehrheitliche   würzen).
bei instabilen oder unterrepräsentierten Nahrungsmittelaller-   Zustimmung
genen die Testempfindlichkeit erhöhen.
Sensibilisierungen gegen bestimmte Allergenkomponenten          Starker
                                                                                Bedingungen, die eine Hauttestung bzw.
(s. Tab. in 4.2.) können mit systemischen allergischen          Konsens         deren Auswertung nicht zulassen
Reaktionen assoziiert sein. Ihre Bestimmung erhöht die                             Spezifische IgE-Bestimmungen sind bei
analytische Spezifität im Vergleich zu den Nahrungsmittel-
extrakten.
                                                                                unzureichender Hauttestfähigkeit sinnvoll.
                                                                                Dazu gehören urtikarieller Dermographis-
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