Neue Fenster zum Kosmos - Astroteilchenphysik in Deutschland - Komitee für Astroteilchenphysik - Spektrum CP

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Neue Fenster zum Kosmos - Astroteilchenphysik in Deutschland - Komitee für Astroteilchenphysik - Spektrum CP
Neue Fenster
           zum Kosmos
                        Astroteilchenphysik
                             in Deutschland

KAT
Komitee für Astroteilchenphysik   Allianz für Astroteilchenphysik
Neue Fenster zum Kosmos - Astroteilchenphysik in Deutschland - Komitee für Astroteilchenphysik - Spektrum CP
Inhalt

    4

    8                                            10                                  16

20

3       Editorial                                                     20 Einsteins Vermächtnis
                                                                         Kilometerlange Interferometer sind Gravitationswellen auf der
4       Das ganz Große und das ganz Kleine                               Spur. Der direkte Nachweis steht unmittelbar bevor.
        Astronomen nehmen das Universum in den Blick, Teilchen-
        physiker den Mikrokosmos – und haben doch dasselbe Ziel.      22   Astroteilchenphysik für alle
                                                                           Die Suche nach Antworten auf die Grundfragen der Natur
8       Die Jagd nach der Dunklen Materie                                  begeistert Studierende ebenso wie das breite Publikum.
        Die normale Materie segelt wie ein Schiff auf einem Ozean
        Dunkler Materie. Woraus besteht diese rätselhafte Substanz?   24 Hightech und Anwendungen
                                                                         Zahlreiche Disziplinen – von der Medizintechnik bis
10      Neutrinos – Geisterteilchen mit kosmischer Botschaft             zur Umweltforschung – profitieren von den innovativen
        Da sie Materie fast spurlos durchdringen, bieten Neutrinos       Verfahren und Produkten der Astroteilchenphysik.
        einzigartige Einsichten in grundlegende Vorgänge im Kosmos.
                                                                      27   Übersicht: Forschungsprojekte der Astroteilchenphysik
14      Karte: Großanlagen der Astroteilchenphysik                         mit deutscher Beteiligung

16      Das Universum bei extremen Energien                           27   Impressum
        Mit riesigen Detektoren für energiereiche Teilchen werden
        völlig neue kosmische Landschaften sichtbar.                  28 Karte: Astroteilchenphysik-Zentren in Deutschland

2                                                                                                                       Neue Fenster zum Kosmos
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Editorial

                                     Dr. Christian Spiering,
                                     Vorsitzender des Komitees
                                     für Astroteilchenphysik

Liebe Leserinnen und Leser,
in dieser Broschüre berichten wir über die Astroteilchenphysik, ein      durch Ihre Steuergelder. Ein Grund mehr, Ihnen zu schildern, wozu
junges Forschungsfeld im Schnittpunkt von Teilchenphysik, Astro-         wir die Mittel verwenden. Grundlagenforschung und das Bestreben,
physik und Kosmologie. Wir möchten Ihnen eine spannende und              die Natur zu verstehen, sind sicherlich die bestimmende Motivation
dynamische Wissenschaftsrichtung vorstellen und Ihnen ein Gefühl         der meisten Wissenschaftler, sich solchen Projekten zu widmen.
für die starke Rolle Deutschlands in diesem Feld vermitteln. Und wir     Doch die neuen Erkenntnisse und die Entwicklung von neuer Hoch-
wünschen uns, dass dieses Heft ein wenig von der Begeisterung, die       technologie schaffen auch Fortschritt bei ganz praktischen Dingen,
wir als Forscher verspüren, auf Sie überträgt.                           wie zum Beispiel für Umweltfragen oder medizinische Anwen-
                                                                         dungen. Davon können Sie sich auf den hinteren Heftseiten über-
Die Astroteilchenphysik lässt sich vielleicht am besten durch die wis-   zeugen. Zudem erfahren Sie, welche Rolle die Astroteilchenphysik
senschaftlichen Fragen charakterisieren, die sie beantworten will:       für die Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses spielt.
ó Wie entstand das Universum, und warum besteht es nur aus Ma-              Herausgeber dieser Broschüre ist das Komitee für Astroteilchen-
   terie und nicht zu gleichen Teilen aus Materie und Antimaterie?       physik (KAT; siehe www.kat-astroteilchen.de), das aus neun gewähl-
ó Woraus besteht die rätselhafte Dunkle Materie?                         ten Vertreterinnen und Vertretern des Felds besteht. Dieses Gremium
ó Welche Rolle spielen Neutrinos für die Entwicklung des Uni-            koordiniert die Zusammenarbeit der Astroteilchenphysiker/-innen
   versums?                                                              in Deutschland. Die Zusammenarbeit hat durch die im Jahr 2011 eta-
ó Was können wir mit Hilfe von Neutrinos über das Innere der Son-        blierte Helmholtz-Allianz für Astroteilchenphysik – kurz HAP – ei-
   ne und der Erde sowie über Sternexplosionen erfahren?                 nen mächtigen Schub bekommen (siehe www.hap-astroteilchen.de
ó Was ist der Ursprung der kosmischen Strahlung? Wie sieht die           und http://twitter.com/astrohap). Dafür erhalten die beiden größ-
   Landkarte des Universums bei höchsten Energien aus?                   ten Helmholtz-Institute auf unserem Gebiet (das Karlsruher Institut
ó Was können uns Gravitationswellen über kosmische Prozesse und          für Technologie KIT und das Deutsche Elektronensynchrotron DESY
   über die Natur der Gravitationskraft sagen?                           mit seinem Standort in Zeuthen bei Berlin), zusammen mit den as-
                                                                         soziierten Universitäten, eine fünfjährige Zusatzförderung.
Bei der Suche nach Antworten sind wir in Teilbereichen schon ein            Bereits vor gut zehn Jahren hat das BMBF damit begonnen, eine
gutes Stück vorangekommen. Zum Beispiel wurden Neutrinos von             eigene Förderlinie für die Astroteilchenphysik einzurichten, die als
der Sonne und von einer weit entfernten Sternexplosion entdeckt –        Verbundforschung bezeichnet wird. Den Universitätsgruppen eröff-
im Jahr 2002 gab es dafür sogar einen Nobelpreis. Bei anderen Fra-       nete das die Möglichkeit, sich in Zusammenarbeit mit Helmholtz-
gen haben wir gute Gründe anzunehmen, dass wir von spektaku-             Zentren oder Max-Planck-Instituten an längerfristigen großen For-
lären Entdeckungen gar nicht mehr weit entfernt sind, etwa bei der       schungsprojekten zu beteiligen und hierbei viele junge Leute an
Suche nach Gravitationswellen und nach der Dunklen Materie. Auch         aktuellsten Problemen der Grundlagenforschung auszubilden. Die
ist die Landkarte des Hochenergie-Universums mittlerweile nicht          Zahl der Universitätsgruppen und ihrer Mitarbeiter ist seither rasant
mehr völlig weiß. Da, wo wir die ersten Schritte in unbekanntes Ter-     angestiegen, und ohne ihre frischen Ideen und Beiträge könnten
ritorium gesetzt haben, möchten wir jedoch dieses Gebiet schließ-        viele Projekte gar nicht erst durchgeführt werden. Die Deutsche
lich vollständig erkunden. Dazu sind weit größere (und auch kost-        Forschungsgemeinschaft ergänzt das Spektrum der Forschungs-
spieligere) Anlagen nötig. Über einige der großen Zukunftsprojekte       förderung insbesondere durch die Ermöglichung vieler kleinerer
berichten wir in diesem Heft.                                            Projekte, die auf kürzerer Zeitskala durchgeführt werden.
    Astroteilchenphysik in Deutschland wird in erster Linie durch
das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), die
Helmholtz-Gemeinschaft (HGF), die Max-Planck-Gesellschaft (MPG)
und die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) finanziert, also

Astroteilchenphysik in Deutschland                                                                                                          3
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Mit dem ALICE-Detektor am Large Hadron Collider in Genf zeichnen Forscher die Kollisionstrümmer von Bleiatomen auf,
die mit annähernd Lichtgeschwindigkeit aufeinandergeschossen werden. Dabei wird der Zustand des Universums simuliert,
der eine zehnmilliardstel Sekunde nach dem Urknall herrschte.

Das ganz Große
und das ganz Kleine
Astronomen und Teilchenphysiker untersuchen eigentlich entgegengesetzte
Extreme: die einen das Allergrößte, die anderen das Allerkleinste. Nachdem
sie aber in immer größere Entfernungen vorstießen, haben sie erkannt, dass
ihre Gebiete aufs Engste miteinander verbunden sind.

A
               stronomen wollen das unvor-      halb deren die bekannten physikalischen       irdische Experimentierstätten reichen nicht
               stellbar große Weltall ergrün-   Gesetze nicht mehr anwendbar sind, bis hin    aus, die energiereichste kosmische Teilchen-
               den, Physiker nehmen die         zum Durchmesser des beobachtbaren Teils       strahlung zu erzeugen, die uns aus den
               Welt des Allerkleinsten unter    des Universums, 1026 Meter. Oder, wenn        Weiten des Weltalls erreicht. Wissenschaftler
               die Lupe. Während die einen      man es in Zeitmaßstäben ausdrücken will:      möchten das gesamte Universum als gigan-
mit ihren Teleskopen Sterne, Galaxien und       von 10 –43 Sekunden nach dem hypothe-         tisches Labor nutzen, um die kosmischen Be-
riesige Galaxienhaufen bis in Entfernungen      tischen Punkt null des Urknalls bis zur Ge-   schleuniger zu verstehen, um die Gültigkeit
von Milliarden Lichtjahren beobachten, un-      genwart, 13,7 Milliarden Jahre später. Auch   grundlegender Gesetze der Physik zu über-
tersuchen die anderen mit Teilchendetekto-      61 Größenordnungen!                           prüfen und um Regionen zu untersuchen, in
ren die elementaren Bausteine unserer Welt          Trotz dieser Schwindel erregenden         denen Schwerkraft, Dichte und Temperatur
und die Kräfte, die zwischen ihnen wirken.      Spannweite der Dimensionen hängen das         extrem hoch sind – etwa dort, wo Sterne ex-
   Die Stufenleiter von den kleinsten bis zu    ganz Große und das ganz Kleine eng mitei-     plodieren oder gar in sich zusammenfallen
den größten Dimensionen erstreckt sich da-      nander zusammen. Die Geschichte des Kos-      und dann ein Schwarzes Loch bilden.
bei über 61 Größenordnungen: von 10 –35 Me-     mos und das kosmische Inventar lassen sich        Seit rund 80 Jahren ist bekannt, dass sich
tern, der so genannten Planck-Länge, unter-     nicht ohne die Teilchenphysik erklären. Und   das Universum ausdehnt. Einst muss der

4                                                                                                                         Neue Fenster zum Kosmos
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Der Stoff, aus dem wir Menschen sind

                                                                         I m Urknall entstanden nur die leichten Elemente Wasserstoff und Helium sowie in
                                                                           geringen Mengen Lithium, Beryllium und Bor. Alle schwereren Elemente – also auch
                                                                         Kohlenstoff und Sauerstoff, Grundbausteine unseres Lebens – wurden erst später in
                                                                         Sternen produziert. Durch Supernovae wurden sie dann ins All geschleudert. Wir ver-
                                                                         danken unsere Existenz dem Ende von Sternen!
                                                                             Der Ursprung leichter Elemente im Urknall ist gut verstanden, die Elementsynthese
                                                                         in Sternen bis hin zum Eisen zumindest im Prinzip. Details zur Entstehung noch schwe-
                                                                         rerer Elemente bis hin zum Uran sind dagegen weit weniger klar. Die Forscher gehen das
                                                                         Problem von mehreren Seiten an. Zunächst einmal verfeinern sie ihre Simulationen von
                                                                         Supernova-Explosionen. Zum anderen stellen sie die relevanten Kernprozesse an
                                                                         Schwerionen-Beschleunigern auf der Erde nach. Schließlich studieren sie mit Satelliten-
                                                                         detektoren die Gammastrahlen, die beim Zerfall der frischgebackenen Elemente aus
                                                CERN / ANTONIO SABA

                                                                         einem Supernova-Ausbruch emittiert werden. Solchen Fragen widmet sich das Gebiet
                                                                         der nuklearen Astrophysik.

Teil des Weltalls, den wir heute sehen, auf                           nachweisen. Andererseits glauben die Phy-        sen Zustand soll eines Tages eine »Große
ein winziges Raumgebiet konzentriert und                              siker aber, dass selbst das Standardmodell       Vereinheitlichte Theorie« (englisch: Grand
demzufolge extrem dicht und heiß gewesen                              noch keine abschließende Beschreibung der        Unified Theory, GUT) beschreiben und auch
sein. Von diesem Urknall ausgehend expan-                             Welt ist. Sie wollen deshalb einen Schritt da-   erklären, wie diese Urkraft schließlich doch
dierte der Kosmos und kühlte sich ab. Dabei                           rüber hinausgehen. Dabei treffen Kosmolo-        in die Grundkräfte zerfiel.
entstand nach und nach die heute bekannte                             gie und Teilchenphysik erneut aufeinander.          Noch gibt es zahlreiche Kandidaten für
Materie. Im mächtigsten Teilchenbeschleu-                             Wenn Elementarteilchen miteinander in            eine solche Theorie jenseits des Standard-
niger der Welt, dem Large Hadron Collider                             Wechselwirkung treten, spielen drei der vier     modells. Vieles spricht dafür, dass sie super-
(LHC) bei Genf, können Physiker den Zu-                               Grundkräfte im Universum eine Rolle. (Die        symmetrisch sein muss. Den so genannten
stand des Universums bei weniger als einer                            vierte Grundkraft, die Schwerkraft oder Gra-     SUSY-Theorien zufolge gibt es für jede Teil-
milliardstel Sekunde nach dem Urknall                                 vitation, macht sich nur über makroskopi-        chensorte, die wir kennen, eine noch unbe-
künstlich herstellen. Wenn sie zum Beispiel                           sche Distanzen hinweg bemerkbar.) Theore-        kannte Partnersorte. Die SUSY-Zwillinge
im ringförmigen Tunnel des Beschleunigers                             tische Überlegungen sprechen dafür, dass         sind einander in fast jeder Hinsicht gleich;
die schweren Kerne von Bleiatomen auf-                                diese drei Kräfte kurz nach dem Urknall gar      sie unterscheiden sich nur in ihrer Masse
einanderschießen, dann entsteht am Ort der                            nicht unterscheidbar, sondern noch zu einer      und in ihrem Spin, also in ihrem inneren
Kollision ein heißes Plasma aus Quarks und                            Art Urkraft verschmolzen waren. Genau die-       Drehimpuls.
Gluonen, wie es das Universum im Alter von
billionstel und milliardstel Sekunden er-
                                                                                                                                             Quarks

                                                                      Das Standardmodell der Teilchenphysik:
füllte. Die Physiker studieren das Feuerwerk
sekundärer Teilchen, die bei den Kollisionen                          Sechs Quarks und sechs Leptonen bilden die
                                                                                                                       u        c       t
entstehen: Dadurch können sie nachvollzie-                            Grundbausteine der Natur. Protonen zum
hen, wie sich eine hunderttausendstel Se-                             Beispiel bestehen aus zwei u-Quarks und          d        s       b                  γ
kunde nach dem Urknall die Quarks und                                 einem d-Quark, Neutronen aus zwei d-Quarks
                                                                                                                                                                Bosonen
Gluonen zu Protonen und Neutronen ver-                                und einem u-Quark. Das bekannteste Lepton
                                                                                                                                                           g
                                                                                                                                            H
banden, also zu jenen Teilchen, aus denen                             ist das Elektron (e). Von den geheimnisvolls-
sich in einem nachfolgenden Schritt die                               ten Leptonen, den Neutrinos (ν), gibt es drei
Atomkerne bildeten.                                                   Sorten: Elektron-, Myon- und Tau-Neutrinos.                                          Z0
    Die beiden gewichtigsten Gründe für den                           Die Kräfte zwischen den Teilchen werden
                                                                      durch den Austausch von Bosonen vermit-
Bau des LHC betrafen jedoch die Theorie,
                                                                      telt: Photonen (g) für die elektromagneti-
                                                                                                                                                          W±
                                                                                                                                             Leptonen

                                                                                                                                                                        SPEKTRUM DER WISSENSCHAFT / MIKE BECKERS

mit der sich seit vier Jahrzehnten die Ergeb-
                                                                      sche Kraft, Gluonen (g) für die starke Kraft,
nisse sämtlicher teilchenphysikalischen Ex-
perimente präzise erklären lassen: das Stan-                          W- und Z-Teilchen für die schwache Kraft.
                                                                                                                       νe      νm       νt
dardmodell der Teilchenphysik. Einerseits                             Das Higgs-Teilchen (H) ist dafür verantwort-
fehlt der Schlussstein dieses theoretischen                           lich, dass W- und Z-Teilchen, Leptonen und       e        µ       τ
Gebäudes noch, das viel zitierte Higgs-Teil-                          Quarks eine Masse haben. Sein Fund würde
chen. Die Experimente am LHC sollen es                                das Standardmodell abschließen.

Astroteilchenphysik in Deutschland                                                                                                                                 5
Neue Fenster zum Kosmos - Astroteilchenphysik in Deutschland - Komitee für Astroteilchenphysik - Spektrum CP
Beschleunigte
                                                                                                                                     Kosmos wird
                                                           Quarks und Antiquarks                                                                               Expansion beginnt.
                                                                                                                                     durchsichtig.

                                                                                                                                                                                                     SPEKTRUM DER WISSENSCHAFT / MIKE BECKERS, NACH: DESY ZEUTHEN
                                                         vernichten sich gegenseitig;
                                                     Protonen und Neutronen entstehen.                                      Helium-
           GUT-Ära                                                                                                                                               erste
                                                                                                                            synthese
                         Inflation (Expansion                                                                                                                   Sterne
                            um Faktor 1050)                                                                                                                                   heute
                                                                                                                                                 1   1000      106   109      Zeit in Jahren

      10–42          10–36        10–30           10–24         10–18                              10–12         10–6       1              106          1012               Zeit in Sekunden
 Planck-Zeit                                    wie heute bei Stößen                                 wie heute im LHC
                                                kosmischer Strahlen                                      realisierbar
                                                                                          Energiedichte

Die Entwicklung des Universums: Was in den ersten 10 –43 Sekunden                                           wenigen »überlebenden« Quarks klumpten zu Protonen und Neu-
nach dem Urknall (Planck-Zeit) geschah, lässt sich physikalisch noch                                        tronen zusammen. Die Kerne der leichtesten Elemente (vor allem
nicht beschreiben. In der darauf folgenden GUT-Ära (Ära der Großen                                          Helium) bildeten sich etwa eine Minute später. Erst nach 300 000
Vereinheitlichten Theorien) waren drei der vier Fundamentalkräfte                                           Jahren war das Universum so kühl, dass die freien Elektronen von
(elektromagnetische, starke und schwache Kraft) in einer »Urkraft«                                          den Kernen eingefangen wurden, und es wurde durchsichtig. Sterne
vereint. Von 10 –36 bis 10 –34 Sekunden blähte sich das Universum                                           erzeugten nach einigen hundert Millionen Jahren schwere Elemente.
explosionsartig um 50 Größenordnungen auf (»Inflation«). Quarks                                             Als das Universum halb so alt war wie heute, begann sich die Expan-
und Antiquarks vernichteten sich nach etwa 10 –6 Sekunden; die                                              sion zu beschleunigen: der erste Hinweis auf »Dunkle Energie«.

    Seit zwei Jahrzehnten zieht keine Idee die                                     tun. Die Astronomen schätzen, dass 90 Pro-          von Dunkler Materie gehen immerhin 23
Teilchenphysiker mehr in ihren Bann als die                                        zent unserer Galaxis aus Dunkler Materie            Prozent. Der große Rest, nämlich 72 Prozent,
Supersymmetrie. Einer der Gründe für ihre                                          bestehen.                                           muss aus Dunkler Energie bestehen.
Begeisterung: SUSY könnte endlich erklären,                                           Dies ist aber noch nicht einmal das größ-           Was die Dunkle Energie betrifft, so haben
woraus die Dunkle Materie besteht, über die                                        te Rätsel, dem sich die Astronomen gegen-           die Teilchenphysiker kaum etwas aus ihrem
Astronomen seit den 1930er Jahren rätseln.                                         übersehen. Vor 14 Jahren fanden sie heraus,         reichhaltigen Arsenal an exotischen Teil-
    Schritt für Schritt haben die Astronomen                                       dass der Löwenanteil des Universums bis-            chen und Kräften anzubieten, was dieses
nämlich herausgefunden, dass der größte                                            lang praktisch übersehen wurde. Zwei Ar-            Phänomen erklären könnte.
Teil der Materie im Universum unsichtbar                                           beitsgruppen unter Leitung der Physiker
ist. In unseren Teleskopen sehen wir zwar                                          Saul Perlmutter in den USA sowie Brian              Dunkle Materie aus WIMPs?
Sterne und Galaxien und sogar den kos-                                             Schmidt und Adam Riess in Australien                Anders ist es bei der Suche nach Dunkler
mischen Staub und das Gas, das vielerorts                                          wollten 1998 messen, wie viel die Ausdeh-           Materie. Sie ist aufs Engste mit der Suche
den Raum erfüllt. Doch es scheint dort noch                                        nung des Universums von ihrem ursprüng-             nach neuen Teilchen verknüpft. Diese müs-
etwas anderes zu geben, und davon sogar                                            lichen Schwung verliert. Paradoxerweise             sen eine Masse haben, weil sie sich ja gerade
ziemlich viel: Dunkle Materie! Diese un-                                           stellten sie aber genau das Gegenteil fest:         durch ihre Schwerkraft bemerkbar machen.
sichtbare Materie macht sich durch ihre                                            Das Universum dehnt sich seit etwa sieben           Außerdem müssen sie elektrisch neutral
Gravitationskraft bemerkbar. Ohne ihre An-                                         Milliarden Jahren mit stetig anwachsender           sein, dürfen nur ganz schwach mit normaler
ziehungskraft würden Galaxienhaufen aus-                                           Geschwindigkeit aus. Ein klarer Befund, für         Materie in Wechselwirkung treten und Licht
einanderstieben. Ohne Dunkle Materie wür-                                          den die drei 2011 den Physik-Nobelpreis er-         weder aussenden noch reflektieren – sonst
den auch die Außenbezirke unserer Galaxis                                          hielten. Eine überzeugende Erklärung für            wären sie nicht »dunkel«. Neutrinos haben
viel langsamer rotieren, als sie es tatsächlich                                    den Effekt steht bisher noch aus. Allerdings,       zwar einige der gewünschten Eigenschaften:
                                                                                   um mit Goethe zu sprechen: »Denn eben wo            Sie sind neutral und wechselwirken nur
 normale                       Neutrinos:                                          Begriffe fehlen, da stellt ein Wort zur rechten     schwach mit Materie. Doch obwohl sie die
Materie: 5 %                    0,1 – 2 %                                          Zeit sich ein.« Hier heißt das Wort »Dunkle         häufigsten Teilchen im Universum sind, tra-
      Dunkle                                                                       Energie«. Es scheint in der Tat so, als wenn        gen sie höchstens zwei Prozent zu der Ge-
    Materie: 23 %
                                                                                   eine unbekannte Energie das Universum               samtmasse bei. Gegenwärtig gelten darum
                                                                                   wie einen Hefeteig auftreibt.                       WIMPs (Weakly Interacting Massive Particles,
                                                       SPEKTRUM DER WISSENSCHAFT

                         Dunkle Energie: 72 %
                                                                                      Wenn man die Dunkle Energie in die Bi-           schwach wechselwirkende massereiche Teil-
                                                                                   lanz miteinbezieht und nun die Rechnung             chen) als aussichtsreichste Kandidaten. Die
                                                                                   für das gesamte Universum aufmacht, dann            WIMP-Masse dürfte irgendwo zwischen dem
                                                                                   kommt man für die »normale« Materie nur             10- und 1000-Fachen der Protonenmasse lie-
Das kosmische Inventar                                                             noch auf magere 5 Prozent. Auf das Konto            gen. Genau solche Teilchen werden von den

6                                                                                                                                                                          Neue Fenster zum Kosmos
Neue Fenster zum Kosmos - Astroteilchenphysik in Deutschland - Komitee für Astroteilchenphysik - Spektrum CP
SUSY-Theorien vorhergesagt. Weltweit sind            Die Naturgesetze behandeln Materie und
                                                                                   Forscher daher mit immer präziseren Instru-      Antimaterie gleich. Darum müsste nach
                                                                                   menten auf der Suche nach ihnen (siehe Bei-      dem Urknall eigentlich genauso viel Materie
                                                                                   trag ab S. 8). Es sind aber auch weitere Teil-   wie Antimaterie vorhanden gewesen sein.
                                                                                   chenkandidaten im Rennen, die unter ande-        Aber bis jetzt hat man trotz aller Anstren-
                                                                                   rem auf so kryptische Namen wie Axion,           gungen keine nennenswerten Mengen von
                                                                                   Q-Ball oder WIMPzilla getauft wurden.            Antimaterie im Weltraum gefunden. Gegen-
                                                                                      WIMPs müssten sich, ebenso wie Neutri-        wärtig erforscht das Alpha Magnetic Spec-
                                                                                   nos, auf Grund ihrer schwachen Wechselwir-       trometer (AMS) auf der Internationalen
                                                                                   kung sehr früh vom Rest der Materie »ent-        Raumstation (ISS) die wenigen Antiteilchen,
                                                                                   koppelt«, also praktisch nicht mehr mit ihr      die vorwiegend in Reaktionen der kosmi-
                                                                                   reagiert haben. Dazu musste die Dichte der       schen Strahlung entstehen.
                                                                                   Urmaterie einen gewissen Wert unterschrit-           Wo ist die Antimaterie also geblieben?
                                                                                   ten haben, und dieser Zeitpunkt setzte für       Andrei Sacharow (1921 – 1989), weithin be-
                                                                                   WIMPs bei etwa 10 –10 Sekunden ein, für Neu-     kannt als Vater der sowjetischen Wasser-
                                                                                   trinos bei etwa einer hundertstel Sekunde.       stoffbombe sowie als späterer Bürgerrecht-                         Andrei Sacharow (1921 – 1989) schuf die

                                                                                                                                                                                      ULLSTEIN BILD
                                                                                                                                    ler und Friedensnobelpreisträger, fand 1967                        Theorie, die den Materieüberschuss im
                                                                                                                                                                                                       Universum erklärt.
                                                                                   Wo ist die Antimaterie?                          erstmals eine mögliche Antwort. Sacharow
                                                                                   Im Jahr 1930 vermutete Paul Dirac, ein Phy-      nahm an, dass im Universum anfangs Mate-
                                                                                   siker an der University of Cambridge             rie und Antimaterie in gleichen Mengen                            Neutrinos gespielt (siehe Beitrag ab S. 10).
                                                                                   in England, dass zu jedem Teilchen ein so        vorhanden waren. Durch eine winzige Ver-                          Aber auch Protonen bieten eine denkbare
                                                                                   genanntes Antiteilchen existieren müsse. Es      letzung der Teilchen-Antiteilchen-Symme-                          Erklärung. Sacharow erkannte, dass seine
                                                                                   würde genau dieselbe Masse haben, aber die       trie entwickelte sich dieser Anfangszustand                       Erklärung nur funktionert, wenn Protonen,
                                                                                   entgegengesetzte Ladung. Tatsächlich: Zwei       in einen Zustand, bei dem eine Winzigkeit                         die Grundbausteine des Kosmos, nicht ewig
                                                                                   Jahre später wurde das Positron entdeckt –       mehr Materie vorhanden war. Während sich                          existieren, sondern eines Tages zerfallen.
                                                                                   das positiv geladene Antiteilchen des nega-      das Universum ausdehnte und dabei ab-                             Genau dies sagen auch die bisherigen Ansät-
                                                                                   tiv geladenen Elektrons. Mittlerweile kennt      kühlte, trafen Materie und Antimaterie auf-                       ze für eine Große Vereinheitlichte Theorie
                                                                                   man die Antiteilchen von praktisch jedem         einander und zerstrahlten in pure Energie.                        vorher. Allerdings soll die Halbwertszeit des
                                                                                   Elementarteilchen. Sogar ganze Antiatome         Übrig blieb nur der kleine Materieüber-                           Zerfalls mindestens 1031 Jahre betragen – was
                                                                                   haben Forscher schon hergestellt. Erstmals       schuss. Dieser, so Sacharow, sei der Stoff, aus                   1021-mal länger wäre als das bisherige Alter
                                                                                   gelang dies 1995 am europäischen Teilchen-       dem wir gemacht sind: Protonen, Neutro-                           des Universums. Anders gesagt: Protonen
                                                                                   forschungszentrum CERN, das auch die Hei-        nen, Elektronen.                                                  zerfallen extrem selten. Will man messen,
                                                                                   mat des LHC ist. In diesen Atomen kreist             Wie es zu der Symmetriebrechung ge-                           wie stabil Protonen sind, muss man also
                                                                                   nicht ein Elektron um ein Proton, sondern        kommen sein könnte, wird noch untersucht.                         sehr viele davon während einer sehr langen
                                                                                   ein Positron um ein Antiproton.                  Eine wichtige Rolle haben möglicherweise                          Zeit beobachten. Außerdem müssen sich die
                                                                                                                                                                                                      Apparaturen sehr tief unter der Erde befin-
                                                                                                                                                                                                      den, um sie von der kosmischen Strahlung
                                                                                                                                                                                                      abzuschirmen. Die nämlich zeigt sich als
                                                                                                                                                                                                      störender Effekt in den Messergebnissen.
KAMIOKA OBSERVATORY, ICRR (INSTITUTE FOR COSMIC RAY RESEARCH), UNIVERSITÄT TOKYO

                                                                                                                                                                                                         Solche Experimente führen Forscher tat-
                                                                                                                                                                                                      sächlich durch. Im japanischen Detektor
                                                                                                                                                                                                      Super-Kamiokande werden 50 000 Tonnen
                                                                                                                                                                                                      Wasser, die 1033 Protonen enthalten, perma-
                                                                                                                                                                                                      nent mit Detektoren überwacht. Diese
                                                                                                                                                                                                      müssten etwa 100 Zerfälle pro Jahr beobach-
                                                                                                                                                                                                      ten. Bis jetzt sind die Physiker allerdings
                                                                                                                                                                                                      noch nicht fündig geworden, sondern haben
                                                                                                                                                                                                      lediglich die untere Grenze für die Lebens-
                                                                                                                                                                                                      dauer des Protons auf stattliche 1034 Jahre
                                                                                                                                                                                                      hochgeschraubt. Weltweit arbeitet man da-
                                                                                                                                                                                                      her an noch größeren und empfindlicheren
                                                                                                                                                                                                      Detektoren. Einige SUSY-Theorien sagen
                                                                                   Der Superkamiokande-Detektor in einer japanischen Zinkmine: 11 000 an den Wänden                                   nämlich eine Halbwertszeit von 1035 Jahren
                                                                                   befestigte Sensoren fahnden nach Lichtblitzen, die in 50 000 Tonnen hochreinem Wasser                              voraus. Hätten sie Recht, dann läge eine
                                                                                   durch Protonzerfälle oder durch Neutrinoreaktionen erzeugt werden.                                                 Jahrhundertentdeckung in Reichweite.

                                                                                   Astroteilchenphysik in Deutschland                                                                                                                            7
Neue Fenster zum Kosmos - Astroteilchenphysik in Deutschland - Komitee für Astroteilchenphysik - Spektrum CP
Die Jagd nach                                                                                     Strategien zur Suche nach Dunkler Materie
                                                                                                  1. direkter Nachweis

                                                                                                                                                           SPEKTRUM DER WISSENSCHAFT / MIKE BECKERS, NACH: HAP / ASTRID CHANTELAUZE
der Dunklen Materie
                                                                                                                                              Dunkle
                                                                                                                                              Materie

                                                                                                  2. indirekter Nachweis

                                                                                                                                     γ
Die normale Materie ist wie ein Schiff, das auf                                                                          ν

einem Ozean von Dunkler Materie segelt. Noch ist                                                          Sonne
                                                                                                                             Erde
                                                                                                                                         Milchstraße

unklar, woraus diese Substanz besteht. Eine neue
                                                                                                                      3. Produktion am
Generation hochempfindlicher Detektoren könnte                                                                           Large Hadron Collider

in den nächsten Jahren das Rätsel lösen.

W
                       ir glauben heute, dass    WIMP-Signale vortäuschen könnte. Auch die           Endgültige Klarheit über den Charakter
                       gewöhnliche Atome,        zum Detektorbau verwendeten Materialien          der Dunklen Materie erhoffen sich die Phy-
                       wie wir sie aus unseren   müssen höchste Reinheit haben. Ein einziger      siker von der Kombination aller drei Me-
                       Schulbüchern kennen,      Fingerabdruck auf einem Sensor würde alles       thoden.
                       nur fünf Prozent des      zunichtemachen.
kosmischen Inventars ausmachen. Weitere                                                           Direkte Suche
23 Prozent entfallen auf die geheimnisvolle      ó Indirekte Methode: Treffen irgendwo im         in Untergrundlabors
Dunkle Materie, die für Teleskope unsicht-       Weltraum WIMPs aufeinander, vernichten           Europas größtes unterirdisches Labor befin-
bar ist, weil sie Licht weder aussendet noch     sie sich gegenseitig. Dabei entstehen leich-     det sich in den Abruzzen, 1500 Meter unter
reflektiert. Dunkle Materie macht sich nur       tere Endprodukte wie Neutrinos, Gamma-           dem Gran-Sasso-Massiv. Dort sucht eine ita-
durch ihre Gravitationswirkung auf die           strahlen oder Antiteilchen, die wir als »Mar-    lienische Gruppe seit 14 Jahren mit ihrem
sichtbare gewöhnliche Materie bemerkbar.         ker« mit unseren Detektoren nachweisen           Detektor DAMA (DArk MAtter) nach WIMPs.
   Woraus könnte diese rätselhafte Substanz      können. Solche Zusammenstöße von WIMPs           Sie stellte fest, dass die in hochreinen Kris-
bestehen? Aus einem unbekannten Teil-            geschehen vermutlich dort besonders häu-         tallen aus Natriumjodid registrierten Licht-
chen? Wie im vorigen Kapitel erwähnt, haben      fig, wo die Schwerkraft im Lauf der Jahrmilli-   signale ihre Häufigkeit im Jahresrhythmus
Physiker eine Reihe von Kandidaten anzu-         arden viele WIMPs eingesammelt hat – bei-        verändern: etwas mehr im Sommer, etwas
bieten. Gegenwärtig favorisiert werden die       spielsweise im Zentrum der Sonne oder im         weniger im Winter. Das ist genau das, was
WIMPs (Weakly Interacting Massive Particles,     Zentralbereich der Milchstraße. Einen der        man für WIMP-Reaktionen erwartet. Denn
                                                                                                  die Erde rotiert um die Sonne und verändert
                                                                                                  damit im Jahresrhythmus ihre Relativge-
Die Kombination verschiedener Suchstrategien                                                      schwindigkeit zu dem »Ozean« aus Dunkler
bringt Physiker auf die Spur der Dunklen Materie                                                  Materie, in dem unsere Galaxis schwimmt.
                                                                                                  Ist die erste Beute also schon im Netz?
schwach wechselwirkende massereiche Teil-        Detektoren, die solche Teilchen nachweisen           Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Denn so
chen). Doch wie lassen sie sich nachweisen?      könnten, hat der Spaceshuttle Endeavour          spannend dieses Ergebnis ist – es ist kaum
Wie können wir das Unsichtbare sichtbar          am 16. Mai 2011 bei seinem letzten Flug auf      zu vereinen mit den Negativresultaten
machen? Dazu gibt es drei Strategien:            die Internationale Raumstation gebracht.         anderer Detektoren, die mit alternativen
                                                 Das Alpha Magnetic Spectrometer (AMS)            Methoden inzwischen weit empfindlicher
ó Direkte Methode: Man weist die Signale         untersucht dort nicht nur die Zusammen-          geworden sind als DAMA.
nach, die entstehen, wenn ein WIMP auf           setzung der kosmischen Teilchen, die auf             Die Empfindlichkeit der Experimente
einen Atomkern trifft und ihn leicht an-         den Detektor treffen, sondern hält auch nach     zur Suche nach Dunkler Materie hat sich in
schubst. WIMPs reagieren jedoch ähnlich          Antiteilchen Ausschau, die bei der Zerstrah-     den letzten fünf Jahren etwa verdreißig-
selten wie Neutrinos, außerdem sind die          lung von WIMPs entstehen.                        facht. Am weitesten ist dabei eine Anord-
Signale winzig. Darum befinden sich die                                                           nung vorgeprescht, bei der das WIMP über
Detektoren tief unter der Erde, wo die kos-      ó Künstliche Erzeugung: Der Theorie zufol-       einen kleinen Lichtblitz nachgewiesen wird,
mische Strahlung als Störquelle weit gehend      ge bilden sich supersymmetrische WIMPs           der bei seinem Aufprall auf flüssiges Xenon
ausgeschlossen ist. Zusätzlich muss die          auch dann, wenn im Large Hadron Collider         entsteht. Zusätzlich werden durch Ionisa-
radioaktive Strahlung des umgebenden Ge-         (LHC) bei Genf Protonen mit höchster Ener-       tion auch Elektronen freigesetzt. Aus der
steins penibel abgeschirmt werden, weil sie      gie aufeinandergeschossen werden.                Kombination der beiden Messwerte – Licht

8                                                                                                                                Neue Fenster zum Kosmos
Neue Fenster zum Kosmos - Astroteilchenphysik in Deutschland - Komitee für Astroteilchenphysik - Spektrum CP
Das Gesteinsmassiv des Gran Sasso
                                                                                                           schirmt XENON100 vor einem
                                                                                                        Großteil der kosmischen Strahlen ab.

                                                                                                                                                                                                                                                                                                               MAX-PLANCK-INSTITUT FÜR PHYSIK / RAFAEL F. LANG
                                                                                                                                                      Abschirmungen
NATIONAL SCIENCE FOUNDATION (NSF) / ZINA DERETSKY; KLEINES FOTO: XENON COLLABORATION / ELENA APRILE

                                                                                                                                                     aus Blei und Kupfer

                                                                                                                                                                                                                                                                  Im CRESST-Experiment werden Detektoren
                                                                                                          Installation des XENON100-Detektors                                                                                                                     aus hochreinen Kristallen eingesetzt.

                                                                                                                                                                                            Ein WIMP
                                                                                                                                                                                          erzeugt einen
                                                                                                                                                                                          Lichtblitz und
                                                                                                                                                                                                               signal –, sind WIMPs gut von vermeintlichen
                                                                                                                                                                                            setzt auch         Signalen zu unterscheiden. Das CRESST-
                                                                                                                                                                                         Elektronen frei.
                                                                                                                                                                                                               Experiment im Gran-Sasso-Labor weist
                                                                                                                                                                                                               Temperatur- und Lichtsignale in Kristallen
                                                                                                                                                                                                               aus Kalziumwolframat nach. Zwei weitere
                                                                                                                                                                      flüssiges Xenon                          Detektoren, EDELWEISS in den französi-
                                                                                                                                                                                                               schen Alpen sowie ein US-amerikanisches
                                                                                                                                                                                                               Experiment, setzen dagegen auf den Nach-
                                                                                                      und Ladung – kann man weit besser als bei              ten dabei, nach ihren US-amerikanischen weis von Temperatur- und Ladungssignalen
                                                                                                      DAMA (das nur Licht misst) echte WIMP-                 Kollegen, den größten Beitrag.                    in Germaniumkristallen. Deutsche Forscher
                                                                                                      Signale von vermeintlichen unterscheiden.                 Einen anderen Weg als XENON schlagen sind sowohl an CRESST wie auch an EDEL-
                                                                                                      Als Material werden 100 Kilogramm flüssi-              die so genannten kryogenen Experimente WEISS beteiligt.
                                                                                                      ges Xenon genutzt. Daher heißt das Expe-               zur WIMP-Suche ein. Dabei werden gewisse             Die Germaniumdetektoren wurden
                                                                                                      riment, das sich ebenfalls im Gran-Sasso-              Kristalle bis fast auf den absoluten Tempe- noch nicht fündig, CRESST dagegen hat zwei
                                                                                                      Labor befindet, XENON100.                              raturnullpunkt abgekühlt – auf zehn Milli- Dutzend Signale registriert, die verdächtig
                                                                                                         Bislang hat XENON100 noch keine WIMP-               kelvin, das sind minus 273,14 Grad Celsius. nach WIMP-Ereignissen aussehen und sich
                                                                                                      Kandidaten registriert. Der Detektor stößt             Dann sind die Atome in ihren Positionen nicht recht durch andere Effekte erklären
                                                                                                      aber inzwischen mit seinen Ausschlussgren-             regelrecht eingefroren. Stößt ein WIMP auf lassen. Mit einer verbesserten Anordnung
                                                                                                      zen in jene Region vor, die von den Super-             einen solchen tiefgekühlten Kristall, regt es will die CRESST-Gruppe die Unklarheiten
                                                                                                      symmetrie-Theorien für WIMPs vorherge-                 ihn zu winzigen Schwingungen an, die sich ausräumen.
                                                                                                      sagt wird. Eine Entdeckung kann also ganz              mit empfindlichen Detektoren als Tempe-              In Zukunft wollen jedoch CRESST und
                                                                                                      nahe sein! Das XENON-Team arbeitet bereits             raturanstieg nachweisen lassen. Registriert EDELWEISS an einem Strang ziehen. Die
                                                                                                      an einem zehnmal so großen Detektor na-                man zwei verschiedene Messgrößen – den gemeinsame Detektormasse der beiden
                                                                                                      mens XENON1T (für: eine Tonne), der 2015 in            Temperatursprung zusammen mit einem Experimente beträgt derzeit einige Dut-
                                                                                                      Betrieb gehen soll. Deutsche Gruppen leis-             Lichtblitz oder, alternativ, einem Ladungs- zend Kilogramm. Ab 2015 wollen die Teams
                                                                                                                                                                                                               schrittweise den Ein-Tonnen-Detektor EURE-
                                                                                                                                                                10–39
                                                                                                      Die Reaktionswahrscheinlichkeit der WIMPs                                                                CA errichten (European Underground Rare
                                                                                                                                                                                                            SPEKTRUM DER WISSENSCHAFT, NACH: CHRISTIAN SPIERING

                                                                                                                                                                                   Wertebereiche, die sich aus
                                                                                                      (»Wirkungsquerschnitt«, vertikale Achse)
                                                                                                                                                       WIMP-Wirkungsquerschnitt [cm2]

                                                                                                                                                                10–40            den DAMA-Resultaten ergeben   Event Calorimeter Array). Andere Gruppen
                                                                                                      und ihre Masse (horizontale Achse) sind noch                                                             in Europa, den USA, Japan und China planen
                                                                                                                                                                10–41
                                                                                                      unbekannt. DAMA hat die Werte zwar schon                                   Obergrenzen:                  ebenfalls Anlagen von einer oder gar mehre-
                                                                                                                                                                10–42
                                                                                                      eingegrenzt (blau); andere Experimente wie                                            CDMS               ren Tonnen Detektormasse.
                                                                                                                                                                                        und EDELWEISS
                                                                                                      CDMS, EDELWEISS und XENON100 haben                        10–43                                             Damit dürfte noch in diesem Jahrzehnt
                                                                                                      jedoch alle Parameterkombinationen ausge-                 10–44                                          die Stunde der Wahrheit schlagen: Wenn
                                                                                                                                                                                               bevorzugter
                                                                                                      schlossen – auch die von DAMA vorherge-                                     XENON100      Bereich für    WIMPs wirklich existieren, werden wir sie
                                                                                                                                                                10–45
                                                                                                      sagten –, die oberhalb der durchgezogenen                                                SUSY-WIMPs      finden. Ansonsten wankt unser Theoriege-
                                                                                                      Kurven liegen. Die neuen Ein-Tonnen-De-                   10–46                                          bäude, und wir müssen neue Erklärungen
                                                                                                      tektoren werden bald auch den von SUSY-                   10–47                                          für die geheimnisvolle Dunkle Materie fin-
                                                                                                      Modellen vorhergesagten Parameterbereich                        5     10 20       50 100 200 500 1000 den. So oder so steht uns eine spannende
                                                                                                      ausloten (gestrichelte Kurve).                                               WIMP-Masse [GeV]            Dekade bevor!

                                                                                                      Astroteilchenphysik in Deutschland                                                                                                                                                                   9
Neue Fenster zum Kosmos - Astroteilchenphysik in Deutschland - Komitee für Astroteilchenphysik - Spektrum CP
LNGS (LABORATORI NAZIONALI DEL GRAN SASSO) / V. STEIGER
                                                                                                           Blick ins Innere des Neutrino-
                                                                                                           detektors BOREXINO im
                                                                                                           italienischen Gran-Sasso-
                                                                                                           Untergrundlabor

Neutrinos – Geisterteilchen
mit kosmischer Botschaft
Billionen von Neutrinos durchqueren in jeder Sekunde unbemerkt unseren Körper.
Mit nahezu Lichtgeschwindigkeit rasen sie durch den Raum, ohne Spuren zu
hinterlassen. Aber so geisterhaft diese Teilchen auch sein mögen: Sie stellen einen
einzigartigen Schlüssel zu grundlegenden Fragen des Kosmos dar.

D
                ie Geschichte der Neutrinos     reimtheit gestoßen. Wenn ein Atomkern zer-        Zum Glück irrte sich Pauli in der Annah-
                begann mit einem Überra-        fiel, besaß jedes der Bruchstücke eine be-     me, Neutrinos seien nicht nachweisbar. In
                schungswurf. Im Jahr 1930       stimmte Energie. Doch die Summe der            Kernreaktoren entstehen beim radioaktiven
                sagte der Physiker und spä-     Teilenergien war stets geringer als die        Zerfall sehr viele dieser Teilchen, die dann in
                tere Nobelpreisträger Wolf-     Gesamtenergie des Ausgangskerns. Das war       die Umgebung hinausschießen. Der starke
gang Pauli ihre Existenz voraus, bekannte       jedoch ein Ding der Unmöglichkeit, denn        Neutrinofluss bot die Möglichkeit, zumin-
aber gleichzeitig: »Ich habe etwas Schreck-     Energie kann nicht einfach verschwinden.       dest einige wenige von ihnen aufzuspüren.
liches getan: Ich habe ein Teilchen vorausge-   Zur Lösung des Dilemmas vermutete Pauli,       Dieses Kunststück gelang 1956 am Kernreak-
sagt, das nicht nachgewiesen werden kann.«      dass ein unsichtbares, bis dahin unbe-         tor Savannah River in den USA. Aus dem
Atomphysiker waren beim radioaktiven Zer-       kanntes Teilchen – das Neutrino – diese feh-   Fluss von 1024 Neutrinos löste ein knappes
fall bestimmter Elemente auf eine Unge-         lende Energie bei dem Zerfall davontrug.       Dutzend ein Signal in dem Nachweisinstru-

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Die Sonne im »Licht« der Neutrinos. Über
       mehrere Jahre registrierten Forscher mit dem
       Superkamiokande-Detektor in Japan solare
       Neutrinos und zeichneten die Richtung ihrer
       Herkunft auf. Von der Erde aus gesehen liegt
       die Sonnenscheibe innerhalb eines Winkels
       von 0,5 Grad. Da die Winkelgenauigkeit für
       diese Neutrinos sehr gering ist, ist das Kamio-
       kande-Bild der Sonne (weißer und gelber
       Bereich) über mehr als 20 Grad verschmiert.
       Die wichtige Information steckt allerdings
       nicht in der genauen Richtung, sondern in
       Anzahl und Energie der Neutrinos.

                                                                                                                                                      LOUISIANA STATE UNIVERSITY / ROBERT SVOBODA, K. GORDAN
       ment aus. Der US-amerikanische Forscher
       Frederick Reines erhielt für den Nachweis
       1995 den Physik-Nobelpreis.
          Heute wissen wir, dass es drei Neutrino-
       sorten gibt: Elektron-, Myon- und Tau-Neu-
       trinos. Sie sind die leichtesten bekannten
       Elementarteilchen. Wie groß ihre Massen
       genau sind, wissen Physiker nicht. Sie konn-      tigem Wissen dafür, dass massereiche Sterne    Sie können fast ungehindert die dicksten
       ten nur ermitteln, dass sie weniger als vier      am Ende ihres Lebens als Supernovae explo-     Materieschichten durchdringen und aus Re-
       Millionstel der Elektronenmasse betragen.         dieren. Dadurch werden schwere Elemente –      gionen entweichen, in die wir nicht hinein-
          Obwohl Neutrinos kaum mit Materie rea-         wie Kohlenstoff, Stickstoff, Sauerstoff – in   schauen können – zum Beispiel aus dem
       gieren, spielen sie eine wesentliche Rolle für    den Weltraum geschleudert, wo sie für die      Kern der Sonne. Lichtteilchen, die im Zen-
       die Entwicklung des Universums und für            Entstehung von Planeten und Lebewesen zur      tralbereich entstehen, prallen ständig auf
       unsere eigene Existenz. Sekundenbruchteile        Verfügung stehen. Ohne Supernovae könnte       Atome und benötigen deshalb mehr als
       nach dem Urknall trugen Neutrinos mögli-          das Eisen, das im Innern von Sternen ent-      100 000 Jahre, bis sie an die Oberfläche ge-
       cherweise dazu bei, dass von dieser Explo-        steht, niemals nach außen gelangen. Ohne       langen. Neutrinos hingegen durchqueren
       sion nicht nur reine Energie, sondern auch        Eisen wiederum gäbe es kein Hämoglobin,        dieselbe Strecke nahezu ungehindert in gut
       Materie übrig geblieben ist. Einige Sekunden      das für den Sauerstofftransport in unserem     zwei Sekunden.
       später spielten sie eine wichtige Rolle bei der   Blut unerlässlich ist.                            Der erste Nachweis von Sonnenneutrinos
       Entstehung der ersten, leichten Elemente.            Besonders hervorgetan haben sich Neu-       gelang Anfang der 1970er Jahre Raymond
       Und schließlich sorgen Neutrinos nach heu-        trinos als kosmische Boten. Indem sie als      Davis vom Brookhaven National Laboratory.
                                                         einzige Teilchen ungehindert aus den hei-      Allerdings maß Davis nur etwa ein Drittel
                                                         ßen Zentralbereichen von Sternen nach au-      der berechneten Neutrinorate. Dieser Be-
                                                         ßen dringen, liefern sie uns entscheidende     fund ließ Zweifel sowohl an der Messung wie
                                                         Informationen über die dort ablaufende         auch an dem Modell über die Energieerzeu-
                                                         Synthese von chemischen Elementen.             gung im Innern der Sonne aufkommen. An-
                                                                                                        dere Experimente bestätigten jedoch Davis’
                                                         Kosmische Botenteilchen                        Messungen, so dass man die Lösung des Rät-
                                                         Die nächstgelegene Neutrinoquelle im Uni-      sels in einer Neutrinoeigenschaft suchte.
                                                         versum ist die Sonne. In ihrem Zentrum fin-       Schon 1957 hatte Bruno Pontecorvo vom
                                                         den Kernreaktionen statt, bei denen enorme     Institut für Kernforschung in Dubna (dama-
                                                         Mengen dieser Teilchen frei werden. In jeder   lige Sowjetunion) angenommen, dass sich
                                                         Sekunde durchqueren auf der Erde etwa 60       die unterschiedlichen Neutrinosorten inei-
                                                         Milliarden solare Neutrinos eine Fläche von    nander umwandeln können. Physiker spre-
                                                         der Größe eines Daumennagels. Dennoch          chen vom Oszillieren zwischen den unter-
                                                         stößt kaum ein Dutzend von ihnen mit           schiedlichen Identitäten. Davis konnte mit
                                                         einem Atom im Erdinnern zusammen. Der          seinem Detektor ausschließlich Elektron-
                                                         Rest fliegt ungestört durch unseren Pla-       Neutrinos nachweisen, die tatsächlich in
CERN

                                                         neten hindurch.                                großer Zahl im Zentrum der Sonne frei wer-
       Wolfgang Pauli (1900– 1958) sagte 1930 die           So paradox es klingt, aber gerade deshalb   den. Auf dem Weg zur Erde wandelt sich aber
       Existenz von Neutrinos voraus.                    eignen sich Neutrinos als kosmische Boten.     nach Pontecorvos Theorie der größte Teil

       Astroteilchenphysik in Deutschland                                                                                                        11
LAGUNA im Größenvergleich mit der Münch-
                                                                                                                                                                                                   ner Frauenkirche. Der Detektor könnte
                                                                                                                                                                                                   mit einer fluoreszierenden Flüssigkeit,
FOTO: ÁLEX MENZINSKY VOLLMUHT; DETEKTOR: LENA WORKING GROUP; MONTAGE: HAP / ASTRID CHANTELAUZE

                                                                                                                                                                                                   flüssigem Argon oder Wasser gefüllt sein.
                                                                                                                                                                                                   Die erste dieser Varianten ist im Bild links zu
                                                                                                                                                                                                   sehen. Sie würde tief unter der Erde in einer
                                                                                                                                                                                                   100 Meter hohen Kaverne stehen.

                                                                                                                                                                                                   Neutrinostrahl auf LAGUNA zu lenken. Da-
                                                                                                                                                                                                   bei könnte man grundlegende Eigenschaf-
                                                                                                                                                                                                   ten der Teilchen untersuchen, die eng mit
                                                                                                                                                                                                   dem Ursprung des Universums zusammen-
                                                                                                                                                                                                   hängen.

                                                                                                                                                                                                   Hat das Neutrino eine Masse?
                                                                                                                                                                                                   Bruno Pontecorvos Theorie der Neutrino-
                                                                                                                                                                                                   oszillationen ist heute unbestritten. Man
                                                                                                                                                                                                   hat den Effekt für kosmische Neutrinos ge-
                                                                                                 von ihnen in die anderen beiden Sorten um.        ein Neutrino mit einem Atom zusammen,           messen wie auch für Neutrinos aus Kern-
                                                                                                 Und für diese war Davis’ Detektor blind. Es       so entsteht ein schwacher Lichtblitz, der von   reaktoren und Teilchenbeschleunigern. Pon-
                                                                                                 sollte noch bis zum Jahr 2001 dauern, bis         Lichtsensoren an den Tankwänden aufge-          tecorvo zufolge können jedoch Neutrinos
                                                                                                 die Oszillationserklärung für das solare Neu-     zeichnet wird.                                  nur oszillieren, wenn sie eine Masse haben.
                                                                                                 trinodefizit hieb- und stichfest war und alle         Mit BOREXINO lassen sich die Reaktions-     Leider sagen die Oszillationsbefunde nur
                                                                                                 anderen Hypothesen ausgeschlossen wer-            vorgänge im Sonneninnern bis auf wenige         etwas über die Differenz der drei Massen
                                                                                                 den konnten.                                      Prozent genau überprüfen – und weil das         aus, nicht über die Massen selbst. Die Masse
                                                                                                    Raymond Davis erhielt 2002 den Physik-         quasi in Echtzeit möglich ist, könnten wir      muss man aber kennen, wenn man abschät-
                                                                                                 Nobelpreis zusammen mit Masatoshi Ko-             damit auch sehen, wenn plötzlich der Son-       zen will, wie groß der Anteil der Neutrinos
                                                                                                 shiba von der Tokai-Universität in Tokio, der     nenofen im Inneren schwächeln würde. Fer-       an der Masse der gesamten Materie im Welt-
                                                                                                 mit seinem Kamiokande-Detektor ebenfalls          ner konnten Physiker mit BOREXINO erst-         all ist. Für Kosmologen ist dies eine ganz ent-
                                                                                                 solare Neutrinos gemessen hatte. Darüber          mals eindeutig Neutrinos nachweisen, die        scheidende Frage.
                                                                                                 hinaus war Koshiba jedoch noch eine spek-         bei Kernzerfällen im Erdinnern entstehen.           Es gibt jedoch Möglichkeiten, die absolu-
                                                                                                 takuläre Entdeckung gelungen: Am 23. Fe-          Dabei stellte sich heraus, dass diese natür-    ten Massen zu bestimmen. Dabei misst man
                                                                                                 bruar 1987 wies er mit Kamiokande zwölf           lichen radioaktiven Zerfälle für etwa die       die Energie der Elektronen aus dem radio-
                                                                                                 Neutrinos nach, die bei der Explosion eines       Hälfte der Erdwärme verantwortlich sind.        aktiven Zerfall einer Substanz und bestimmt
                                                                                                 Sterns in der Großen Magellanschen Wolke              Zurzeit planen europäische Physiker das     dadurch – wie zu Zeiten Paulis, nur viel präzi-
                                                                                                 frei geworden waren. Die Neutrinos dieser         Experiment LAGUNA (Large Apparatus for          ser – die fehlende Energie. Daraus wiederum
                                                                                                 Supernova bestätigten eindrucksvoll die           Grand Unification and Neutrino Astrophy-        lässt sich die Neutrinomasse berechnen. Das
                                                                                                 Vorstellungen über die Explosion von Ster-        sics). Es soll 10- bis 20-mal größer sein als   bisher genaueste Experiment dieser Art lief
                                                                                                 nen am Ende ihrer Entwicklung. Der 23. Fe-        BOREXINO. Damit könnte es von einer Su-         an der Universität Mainz. Aus ihm ergab sich,
                                                                                                 bruar 1987 wird daher häufig als die eigent-      pernova in unserem Milchstraßensystem ei-       dass die Masse der Elektron-Neutrinos weni-
                                                                                                 liche Geburtsstunde der Neutrino-Astrono-         nige zehntausend Neutrinos registrieren –       ger als zwei Elektronvolt beträgt. Das ist eine
                                                                                                 mie angesehen.                                    eine Goldgrube für die Astrophysik ebenso       unter Teilchenphysikern gebräuchliche Mas-
                                                                                                                                                   wie für die Teilchenphysik! Der Detektor        seneinheit, in der das Elektron eine Masse
                                                                                                 Erforschung des                                   könnte darüber hinaus mit zehnfach verbes-      von 511 000 Elektronvolt besitzt.
                                                                                                 Inneren der Sonne                                 serter Empfindlichkeit nach dem Protonzer-          Derzeit entsteht am Karlsruher Institut
                                                                                                 Die solare Neutrino-Astronomie hat inzwi-         fall suchen, den die Großen Vereinheitlich-     für Technologie das Instrument KATRIN
                                                                                                 schen eine Präzision erreicht, von der man        ten Theorien vorhersagen.                       (»Karlsruhe Tritium Neutrino«-Experiment).
                                                                                                 vor 20 Jahren nur träumen konnte. Das ge-             LAGUNA würde auch den dünnen Neu-           Mit einem riesigen Spektrometer wird
                                                                                                 genwärtig empfindlichste Experiment auf           trinonebel aufspüren, der von allen jemals      KATRIN Elektronen aus dem Zerfall des ra-
                                                                                                 diesem Gebiet heißt BOREXINO. Herz dieser         explodierten Supernovae übrig geblieben         dioaktiven Wasserstoffisotops Tritium mit
                                                                                                 Anlage im italienischen Untergrundlabor           sein muss und der Informationen über frü-       zehnmal höherer Genauigkeit vermessen als
                                                                                                 Gran Sasso in den Abruzzen ist ein kugelför-      he Phasen des Universums enthält. Außer-        seine Vorgänger. Wenn KATRIN 2014 anläuft,
                                                                                                 miger Tank, der mit 300 000 Litern einer          dem wäre es möglich, vom europäischen Be-       wird es Neutrinomassen bis herunter zu
                                                                                                 speziellen Flüssigkeit gefüllt ist. Stößt darin   schleunigerzentrum CERN in Genf einen           0,2 Elektronvolt nachweisen können. Damit

                                                                                                 12                                                                                                                            Neue Fenster zum Kosmos
deckt es den gesamten Massenbereich ab,
                der für Kosmologen interessant ist.
                   Eine der faszinierendsten Fragen wollen
                europäische Physiker mit ihrem Experiment
                GERDA (Germanium Detector Array) klären.
                Sie geht auf eine Theorie des italienischen
                Physikers Ettore Majorana von der Universi-
                tät Neapel aus dem Jahr 1937 zurück. Majo-
                rana stellte damals die Hypothese auf, dass
                Neutrinos ihre eigenen Antiteilchen sein
                könnten. Wenn Neutrinos Majorana-Teil-
                chen wären, dann dürften sie neueren Theo-
                rien zufolge eine entscheidende Rolle dafür
                gespielt haben, dass sich im Urknall Materie
                und Antimaterie nicht vollständig gegen-

                                                                                                                                                             KATRIN COLLABORATION
                seitig vernichtet haben. Bei vollständiger
                Vernichtung gäbe es heute überhaupt keine
                Materie im Universum, sondern ausschließ-
                lich Strahlung. Es muss folglich einen klei-
                nen Überschuss an Materie gegenüber der         Mit dem KATRIN-Spektrometer wollen Forscher die Masse des Elektron-Neutrinos genauer
                Antimaterie gegeben haben. Wie dieser           als je zuvor vermessen.
                Bruch der vollständigen Symmetrie damals
                zu Stande kam, ist eine der weitreichendsten
                Fragen sowohl der Teilchenphysik als auch
                der Kosmologie.
                   Lässt sich Majoranas Hypothese über-
                prüfen? Die Antwort lautet: Ja. Es gibt näm-
                lich einen radioaktiven Zerfallsprozess, der
                nur für Majorana-Neutrinos möglich ist,
                den so genannten neutrinolosen doppelten
                Beta-Zerfall. Der zweifelsfreie Nachweis die-
                ses Prozesses würde nicht nur die Majorana-
                Natur des Neutrinos beweisen, sondern
                auch, dass es eine Masse hat und wie groß

                                                                                                                                                             KAI FREUND, UNIVERSITÄT TÜBINGEN
                diese Masse ist.
                   Weltweit wird in den nächsten zwei bis
                vier Jahren ein halbes Dutzend Experimente
                einen möglichen ersten Hinweis auf diesen

                                                                Der Detektor GERDA befindet sich in einem mit spezieller Folie ausgekleideten Wassertank,
                                                                der Störsignale abschirmt.

                                                                Zerfall überprüfen können, der vor knapp      Gegenteil. Mit verbesserten Experimenten
                                                                zehn Jahren von einem deutsch-russischen      tritt die Neutrinoforschung gerade in eine
                                                                Team gemeldet wurde. Spitzenreiter ist        neue Phase ein. Für das kommende Jahr-
                                                                hier das GERDA-Experiment. Es wurde unter     zehnt verspricht sie Antworten auf eine Rei-
                                                                der Leitung von deutschen Max-Planck-         he grundlegender Fragen, mit denen sie die
                                                                und Universitätsinstituten ebenfalls im       gesamte Spannbreite von der subatomaren
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                                                                Gran-Sasso-Labor gebaut und misst dort seit   Welt bis hin zum gesamten Universum ab-
                                                                2011 die Zerfälle von Germanium-76.           schreitet – eine Entwicklung, von der wohl
                                                                   Mehr als ein halbes Jahrhundert nach ih-   selbst unkonventionelle Denker wie Wolf-
                Ettore Majorana (1906 – 1938) postulierte,      rer Entdeckung haben die rätselhaften Neu-    gang Pauli oder Ettore Majorana nicht ein-
                Neutrinos seien ihre eigenen Antiteilchen.      trinos nichts an Faszination verloren – im    mal träumen konnten.

                Astroteilchenphysik in Deutschland                                                                                                      13
SNOLab
                                                                 Ontario

                                                       ADMX                Soudan Mine
                                                                             Minnesota
                                                      LIGO
                                                    Washington             Homestake Mine
                                                                              Süd-Dakota
                                                               Telescope Array
                                                                   Utah

                                                   VERITAS           WIPP
                                                     Arizona       Neumexiko             LIGO                                                  MAGIC
                                                                                     Louisiana                                                 La Palma

                                                                    HAWC
                                                                    Mexiko

Großanlagen
der Astroteilchen-
physik

                                                                                                Pierre Auger Observatory
                                                                                                       Argentinien

         Axion-Suche
         Untergrundlabors
         Unterwasser-Eis-Neutrino-Teleskope
         Gammastrahl-Teleskope
         Luftschaueranlagen für geladene kosmische Strahlen
         Gravitationswellen-Interferometer

Die wichtigsten Astroteilchen-Experimente in europäischen Untergrundlabors

            SA E (Sonnenneutrino )                    L S        S
            BUST (Superno aneutrino )                 COBRA (Doppel-Beta-Zerfall – rotot p)              XENON      (Dunkle Materie)
                                                      CUORE (Doppel-Beta-Zerfall – im Bau)               XENON T (Dunkle Materie – im Bau)
     L      DRI T (Dunkle Materie – Ent i klung)
                                                       ERDA (Doppel-Beta-Zerfall)                        BOREXINO (Sonnenneutrino )
            Zeplin (Dunkle Materie)
                                                      CRESST (Dunkle Materie)                            L D (Superno a-Neutrino )
C           EMMA (ko mi e Stra lung)                  DAMA LIBRA (Dunkle Materie)
            LA UNA (p-Zerfall Neutrino-               DarkSi e (Dunkle Materie – geplant)
            (A tro)p ik – geplant)                    WAR (Dunkle Materie)

14                                                                                                                              eue enster u    os os
Jakutsk
                                  CUPP
                                 Finnland

                                                                                                   Baikal Neutrino
                                                                                                      Telescope
                                                                                              Tunka
        +
                                            Baksan Neutrino
                                              Observatory
                                              GAMMA                                                                  Y2L
                                              Armenien                                                             Südkorea
                                                                                                                                    KAGRA Kamioka
                                                                    MACE             ARGO                                            Observatory
                                                                        Indien        Tibet

                                                                                 AS-gamma          China JinPing
                                                                                               Underground Laboratory

                                                              GRAPES         India Neutrino
                                                               Indien         Observatory

                      H.E.S.S.
                      Namibia
                                                                                                                        CANGAROO
                                                                                                                           Australien

                                                                                                                                                       SPEKTRUM DER WISSENSCHAFT / EMDE-GRAFIK
                                                                                                   BUL Boulby
                                                                                                                     ALPS DESY, Hamburg
        Amundsen-Scott South Pole Station                                                                           GEO600 Hannover
                               Antarktis                                                                          Kascade-Grande
                   IceTop                                                                                       +                KIT, Karlsruhe
IceCube                                                                                  CAST CERN, Genf          KATRIN (+)
                                                                                               LSM Modane             VIRGO Pisa
                                                                                    LSC Canfranc                          LNGS Gran Sasso
                                                                                                         Antares
                                                                                                          Toulon

LSC          NEXT (Doppel-Beta-Zerfall – im Bau)
             ArDM (Dunkle Materie – im Bau)
LSM          NEMO (Doppel-Beta-Zerfall)
             EDELWEISS (Dunkle Materie)
             EURECA (Dunkle Materie – geplant)

      Astroteilchenphysik in Deutschland                                                                                                          15
Quellen kosmischer Strahlen mit Energien
LINKS: NRAO / CALTECH; RECHTS: WALTER JAFFE, LEIDEN OBSERV. / HOLLAND FORD, JHU / NASA, STSCI

                                                                                                                                                                                                von mehr als einer Milliarde Gigaelektron-
                                                                                                                                                                                                volt gibt es vermutlich nur außerhalb
                                                                                                                                                                                                unserer eigenen Galaxis. Die Bilder zeigen
                                                                                                                                                                                                NGC 4261, eine so genannte aktive Galaxie,
                                                                                                                                                                                                in deren Kern ein Schwarzes Loch von
                                                                                                                                                                                                mehreren Milliarden Sonnenmassen sitzt.
                                                                                                                                                                                                Das Schwarze Loch saugt Materie auf
                                                                                                                                                                                                Spiralbahnen in sich hinein. Ein Teil der
                                                                                                                                                                                                dabei freigesetzten Energie beschleunigt
                                                                                                                                                                                                Teilchen – entweder nahe dem Galaxienkern
                                                                                                                                                                                                oder entlang der riesigen Materieströme
                                                                                                 190 Bogensekunden                   1,7 Bogensekunden                                          (»Jets«, linkes Bild), die bis zu einer Million
                                                                                                     44 000 Lichtjahre                  400 Lichtjahre                                          Lichtjahre lang werden können.

                                                                         Das Universum
                                                                         bei extremen Energien
                                                                                                Wenn Sterne explodieren oder Schwarze Löcher Materie verschlingen,
                                                                                                schleudern sie energiereiche Teilchen ins All und auch in Richtung Erde.
                                                                                                Mit riesigen Detektoren für kosmische Strahlen, Gammastrahlen
                                                                                                und Neutrinos kommen ihnen Physiker auf die Spur und entdecken völlig
                                                                                                neue kosmische Landschaften.

                                                                                                V
                                                                                                               or genau 100 Jahren, im Au-      schwererer Elemente, zu einem Prozent aus
                                                                                                               gust 1912, stieg der österrei-   Elektronen. Gut zwei Jahrzehnte später stell-
                                                                                                               chische Physiker Victor Hess     te man erstaunt fest, dass einige dieser kos-
                                                                                                               mit einem Ballon in eine         mischen Partikel Schwindel erregende Ener-
                                                                                                               Höhe von über 5000 Metern        gien aufweisen. Einige übertreffen die Ener-
                                                                                                auf. Er wollte prüfen, ob die ionisierende      gie der Teilchen im Superbeschleuniger LHC
                                                                                                Strahlung, die radioaktive Stoffe im Material   um das Zehnmillionenfache! Wie schafft die
                                                                                                der Erdkruste aussenden, mit wachsender         Natur das?
                                                                                                Entfernung von der Erdoberfläche abnimmt.           Und nicht genug damit: Die Gesamtener-
                                                                                                Doch das Gegenteil war der Fall: Ab 1000        gie der kosmischen Strahlung unserer Milch-
                                                                                                Meter Höhe stieg die Strahlung stetig an. Ir-   straße ist etwa genauso groß wie die Energie,
                                                                                                gendetwas Ionisierendes, das aus dem Kos-       die in galaktischen Magnetfeldern oder in
                                                                                                mos kam, schien die Erdatmosphäre zu            Sternenlicht steckt. Purer Zufall oder eine
                                                                                                bombardieren!                                   feine Balance? Wie immer die Antwort lau-
                                                                                                   Als Hess 1936 für seine Entdeckung den       ten mag: Kosmische Strahlen sind offenbar
                                                                                                                                                                                                                                                      PUBLIC DOMAIN

                                                                                                Nobelpreis bekam, hatten er und seine Fach-     keine Randerscheinung, sondern ein zen-
                                                                                                kollegen bereits herausgefunden, dass der       trales Phänomen des Kosmos! Ihre Herkunft
                                                                                                größte Teil dieser kosmischen Strahlung aus     ist eines der großen Rätsel der Astrophysik.
                                                                                                elektrisch geladenen Teilchen besteht: zu           Teilchen mit extrem hohen Energien          Ein Aufstieg mit dem Ballon führte
                                                                                                99 Prozent aus Protonen, also den Kernen        können nur bei den gewaltigsten kosmi-          Victor Hess (Mitte) 1912 zur Entdeckung der
                                                                                                von Wasserstoffatomen, und Atomkernen           schen Ereignissen entstehen – zum Beispiel      kosmischen Strahlung.

                                                                                                16                                                                                                                          Neue Fenster zum Kosmos
Das Alpha Magnetic     mische Strahlen und Gammastrahlen –
                                                                                  Spectrometer           nicht durch Gaswolken oder sonstige mate-
                                                                                  AMS (Pfeil) auf der    rielle Hindernisse aufgehalten werden. Die
                                                                                  Internationalen        Kehrseite der Medaille ist freilich, dass sie
                                                                                  Raumstation dient      viel schwerer nachzuweisen sind.
                                                                                  der Suche nach            Um möglichst viel über die kosmischen
                                                                                  Antimaterie im Uni-    Quellen herauszufinden, versuchen die
                                                                                  versum. Mit ihm        Wissenschaftler, alle drei hochenergetischen
                                                                                  lässt sich das Spek-   Strahlungsarten einzufangen: kosmische
                                                                                  trum niederener-       Strahlung, Gammastrahlen und Neutrinos.
                                                                                  getischer kosmi-
                                                                                  scher Strahlen mit     Fahndung im Weltall
                                                                                  bisher unerreichter    und auf der Erde
                                                                                  Präzision messen.      Unter den Teilchen der kosmischen Strah-
NASA

                                                                                                         lung, die pro Sekunde auf einen Quadratme-
                                                                                                         ter treffen, ist im Schnitt immerhin eines,
       wenn Gasströme in den Strudel eines mas-           Energie. Falls die Gammastrahlung von          dessen Energie 100 GeV oder mehr beträgt.
       sereichen Schwarzen Lochs geraten, sich            denselben Quellen stammt wie die kos-          Da reicht schon ein Detektor auf einem Sa-
       dabei stark erhitzen und die Energie teilwei-      mische Teilchenstrahlung, würde sie uns di-    telliten aus, um genügend davon einzufan-
       se in die Beschleunigung von Kernteilchen          rekt deren Herkunft preisgeben. Doch ist       gen. Das gegenwärtige Topexperiment für
       umgesetzt wird. Die kosmische Strahlung,           dies tatsächlich der Fall?                     GeV-Energien ist das Alpha Magnetic Spec-
       die auf die Erde trifft, erzählt uns von sol-         Die entscheidenden Hinweise könnten         trometer (AMS), das am 16. Mai 2011 mit
       chen atemberaubenden Prozessen, verrät             Neutrinos geben. Da sie nur bei Kernreak-      dem letzten Flug des Spaceshuttles zur In-
       uns aber leider nicht, wo sie stattfinden.         tionen entstehen, haben sie ihre Reise einst   ternationalen Raumstation gebracht wurde.
       Elektrisch geladene Teilchen werden näm-           gemeinsam mit einem Atomkern begon-                Doch mit zunehmender Energie fällt der
       lich auf ihrer weiten Reise immer wieder           nen. Anders gesagt: Jede Quelle hochener-      Fluss der kosmischen Strahlung steil ab: Nur
       durch Magnetfelder abgelenkt. Die Rich-            getischer Neutrinos ist immer auch eine        etwa einmal im Jahr wird ein Quadratmeter
       tung, aus der sie auf die Erde treffen, ist also   Quelle kosmischer Strahlung. Und die Neu-      von einem Teilchen getroffen, dessen Ener-
       nicht die Richtung, aus der sie ursprünglich       trinos verraten uns deren Position, da sie     gie eine Million GeV erreicht! Und rund eine
       stammen – im Unterschied zu Licht, das uns         auf ihrem Weg durchs All nicht von Magnet-     Million Jahre müsste man warten, um mit
       auf gerader Linie erreicht.                        feldern abgelenkt und – anders als kos-        einem Quadratmeter Detektorfläche ein

       Wo sind die Quellen?
       Nur für die Teilchen der allerhöchsten Ener-          Wissenschaftler überprüfen einen
       gien haben die Wissenschaftler eine Chance,           der 1660 wassergefüllten Tanks
       die Position der Quellen zumindest grob zu            des Pierre-Auger-Observatoriums in
       ermitteln, denn ihre Ablenkung ist relativ            der argentinischen Pampa.
       gering. Leider sind derart energiereiche Teil-
       chen äußerst selten: Auf einen Quadratkilo-
       meter der Erdoberfläche trifft nur alle fünf
       bis zehn Jahre eines dieser superenergeti-
       schen Geschosse.
          Glücklicherweise dürften die vermuteten
       Quellen neben den geladenen Partikeln
       auch neutrale Teilchen oder Strahlung aus-
       senden: Neutrinos und Gammastrahlen.
       Diese kosmischen Boten breiten sich gerad-
       linig aus, so dass ihre Herkunftsrichtung zu-
       rück auf ihre Quellen weist.
          Tatsächlich haben die Forscher schon
                                                                                                                                                         ASPERA / AUGER COLLABORATION

       mehr als 150 Quellen am Himmel entdeckt,
       die extrem harte Gammastrahlen aussen-
       den, mit Energien bis zu einigen hundert-
       tausend Gigaelektronvolt (1 GeV = 1 Milliar-
       de Elektronvolt), dem Zigfachen der LHC-

       Astroteilchenphysik in Deutschland                                                                                                          17
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