Neue Fenster zum Kosmos - Astroteilchenphysik in Deutschland - Komitee für Astroteilchenphysik - Spektrum CP
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Neue Fenster zum Kosmos Astroteilchenphysik in Deutschland KAT Komitee für Astroteilchenphysik Allianz für Astroteilchenphysik
Inhalt 4 8 10 16 20 3 Editorial 20 Einsteins Vermächtnis Kilometerlange Interferometer sind Gravitationswellen auf der 4 Das ganz Große und das ganz Kleine Spur. Der direkte Nachweis steht unmittelbar bevor. Astronomen nehmen das Universum in den Blick, Teilchen- physiker den Mikrokosmos – und haben doch dasselbe Ziel. 22 Astroteilchenphysik für alle Die Suche nach Antworten auf die Grundfragen der Natur 8 Die Jagd nach der Dunklen Materie begeistert Studierende ebenso wie das breite Publikum. Die normale Materie segelt wie ein Schiff auf einem Ozean Dunkler Materie. Woraus besteht diese rätselhafte Substanz? 24 Hightech und Anwendungen Zahlreiche Disziplinen – von der Medizintechnik bis 10 Neutrinos – Geisterteilchen mit kosmischer Botschaft zur Umweltforschung – profitieren von den innovativen Da sie Materie fast spurlos durchdringen, bieten Neutrinos Verfahren und Produkten der Astroteilchenphysik. einzigartige Einsichten in grundlegende Vorgänge im Kosmos. 27 Übersicht: Forschungsprojekte der Astroteilchenphysik 14 Karte: Großanlagen der Astroteilchenphysik mit deutscher Beteiligung 16 Das Universum bei extremen Energien 27 Impressum Mit riesigen Detektoren für energiereiche Teilchen werden völlig neue kosmische Landschaften sichtbar. 28 Karte: Astroteilchenphysik-Zentren in Deutschland 2 Neue Fenster zum Kosmos
Editorial Dr. Christian Spiering, Vorsitzender des Komitees für Astroteilchenphysik Liebe Leserinnen und Leser, in dieser Broschüre berichten wir über die Astroteilchenphysik, ein durch Ihre Steuergelder. Ein Grund mehr, Ihnen zu schildern, wozu junges Forschungsfeld im Schnittpunkt von Teilchenphysik, Astro- wir die Mittel verwenden. Grundlagenforschung und das Bestreben, physik und Kosmologie. Wir möchten Ihnen eine spannende und die Natur zu verstehen, sind sicherlich die bestimmende Motivation dynamische Wissenschaftsrichtung vorstellen und Ihnen ein Gefühl der meisten Wissenschaftler, sich solchen Projekten zu widmen. für die starke Rolle Deutschlands in diesem Feld vermitteln. Und wir Doch die neuen Erkenntnisse und die Entwicklung von neuer Hoch- wünschen uns, dass dieses Heft ein wenig von der Begeisterung, die technologie schaffen auch Fortschritt bei ganz praktischen Dingen, wir als Forscher verspüren, auf Sie überträgt. wie zum Beispiel für Umweltfragen oder medizinische Anwen- dungen. Davon können Sie sich auf den hinteren Heftseiten über- Die Astroteilchenphysik lässt sich vielleicht am besten durch die wis- zeugen. Zudem erfahren Sie, welche Rolle die Astroteilchenphysik senschaftlichen Fragen charakterisieren, die sie beantworten will: für die Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses spielt. ó Wie entstand das Universum, und warum besteht es nur aus Ma- Herausgeber dieser Broschüre ist das Komitee für Astroteilchen- terie und nicht zu gleichen Teilen aus Materie und Antimaterie? physik (KAT; siehe www.kat-astroteilchen.de), das aus neun gewähl- ó Woraus besteht die rätselhafte Dunkle Materie? ten Vertreterinnen und Vertretern des Felds besteht. Dieses Gremium ó Welche Rolle spielen Neutrinos für die Entwicklung des Uni- koordiniert die Zusammenarbeit der Astroteilchenphysiker/-innen versums? in Deutschland. Die Zusammenarbeit hat durch die im Jahr 2011 eta- ó Was können wir mit Hilfe von Neutrinos über das Innere der Son- blierte Helmholtz-Allianz für Astroteilchenphysik – kurz HAP – ei- ne und der Erde sowie über Sternexplosionen erfahren? nen mächtigen Schub bekommen (siehe www.hap-astroteilchen.de ó Was ist der Ursprung der kosmischen Strahlung? Wie sieht die und http://twitter.com/astrohap). Dafür erhalten die beiden größ- Landkarte des Universums bei höchsten Energien aus? ten Helmholtz-Institute auf unserem Gebiet (das Karlsruher Institut ó Was können uns Gravitationswellen über kosmische Prozesse und für Technologie KIT und das Deutsche Elektronensynchrotron DESY über die Natur der Gravitationskraft sagen? mit seinem Standort in Zeuthen bei Berlin), zusammen mit den as- soziierten Universitäten, eine fünfjährige Zusatzförderung. Bei der Suche nach Antworten sind wir in Teilbereichen schon ein Bereits vor gut zehn Jahren hat das BMBF damit begonnen, eine gutes Stück vorangekommen. Zum Beispiel wurden Neutrinos von eigene Förderlinie für die Astroteilchenphysik einzurichten, die als der Sonne und von einer weit entfernten Sternexplosion entdeckt – Verbundforschung bezeichnet wird. Den Universitätsgruppen eröff- im Jahr 2002 gab es dafür sogar einen Nobelpreis. Bei anderen Fra- nete das die Möglichkeit, sich in Zusammenarbeit mit Helmholtz- gen haben wir gute Gründe anzunehmen, dass wir von spektaku- Zentren oder Max-Planck-Instituten an längerfristigen großen For- lären Entdeckungen gar nicht mehr weit entfernt sind, etwa bei der schungsprojekten zu beteiligen und hierbei viele junge Leute an Suche nach Gravitationswellen und nach der Dunklen Materie. Auch aktuellsten Problemen der Grundlagenforschung auszubilden. Die ist die Landkarte des Hochenergie-Universums mittlerweile nicht Zahl der Universitätsgruppen und ihrer Mitarbeiter ist seither rasant mehr völlig weiß. Da, wo wir die ersten Schritte in unbekanntes Ter- angestiegen, und ohne ihre frischen Ideen und Beiträge könnten ritorium gesetzt haben, möchten wir jedoch dieses Gebiet schließ- viele Projekte gar nicht erst durchgeführt werden. Die Deutsche lich vollständig erkunden. Dazu sind weit größere (und auch kost- Forschungsgemeinschaft ergänzt das Spektrum der Forschungs- spieligere) Anlagen nötig. Über einige der großen Zukunftsprojekte förderung insbesondere durch die Ermöglichung vieler kleinerer berichten wir in diesem Heft. Projekte, die auf kürzerer Zeitskala durchgeführt werden. Astroteilchenphysik in Deutschland wird in erster Linie durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), die Helmholtz-Gemeinschaft (HGF), die Max-Planck-Gesellschaft (MPG) und die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) finanziert, also Astroteilchenphysik in Deutschland 3
Mit dem ALICE-Detektor am Large Hadron Collider in Genf zeichnen Forscher die Kollisionstrümmer von Bleiatomen auf, die mit annähernd Lichtgeschwindigkeit aufeinandergeschossen werden. Dabei wird der Zustand des Universums simuliert, der eine zehnmilliardstel Sekunde nach dem Urknall herrschte. Das ganz Große und das ganz Kleine Astronomen und Teilchenphysiker untersuchen eigentlich entgegengesetzte Extreme: die einen das Allergrößte, die anderen das Allerkleinste. Nachdem sie aber in immer größere Entfernungen vorstießen, haben sie erkannt, dass ihre Gebiete aufs Engste miteinander verbunden sind. A stronomen wollen das unvor- halb deren die bekannten physikalischen irdische Experimentierstätten reichen nicht stellbar große Weltall ergrün- Gesetze nicht mehr anwendbar sind, bis hin aus, die energiereichste kosmische Teilchen- den, Physiker nehmen die zum Durchmesser des beobachtbaren Teils strahlung zu erzeugen, die uns aus den Welt des Allerkleinsten unter des Universums, 1026 Meter. Oder, wenn Weiten des Weltalls erreicht. Wissenschaftler die Lupe. Während die einen man es in Zeitmaßstäben ausdrücken will: möchten das gesamte Universum als gigan- mit ihren Teleskopen Sterne, Galaxien und von 10 –43 Sekunden nach dem hypothe- tisches Labor nutzen, um die kosmischen Be- riesige Galaxienhaufen bis in Entfernungen tischen Punkt null des Urknalls bis zur Ge- schleuniger zu verstehen, um die Gültigkeit von Milliarden Lichtjahren beobachten, un- genwart, 13,7 Milliarden Jahre später. Auch grundlegender Gesetze der Physik zu über- tersuchen die anderen mit Teilchendetekto- 61 Größenordnungen! prüfen und um Regionen zu untersuchen, in ren die elementaren Bausteine unserer Welt Trotz dieser Schwindel erregenden denen Schwerkraft, Dichte und Temperatur und die Kräfte, die zwischen ihnen wirken. Spannweite der Dimensionen hängen das extrem hoch sind – etwa dort, wo Sterne ex- Die Stufenleiter von den kleinsten bis zu ganz Große und das ganz Kleine eng mitei- plodieren oder gar in sich zusammenfallen den größten Dimensionen erstreckt sich da- nander zusammen. Die Geschichte des Kos- und dann ein Schwarzes Loch bilden. bei über 61 Größenordnungen: von 10 –35 Me- mos und das kosmische Inventar lassen sich Seit rund 80 Jahren ist bekannt, dass sich tern, der so genannten Planck-Länge, unter- nicht ohne die Teilchenphysik erklären. Und das Universum ausdehnt. Einst muss der 4 Neue Fenster zum Kosmos
Der Stoff, aus dem wir Menschen sind I m Urknall entstanden nur die leichten Elemente Wasserstoff und Helium sowie in geringen Mengen Lithium, Beryllium und Bor. Alle schwereren Elemente – also auch Kohlenstoff und Sauerstoff, Grundbausteine unseres Lebens – wurden erst später in Sternen produziert. Durch Supernovae wurden sie dann ins All geschleudert. Wir ver- danken unsere Existenz dem Ende von Sternen! Der Ursprung leichter Elemente im Urknall ist gut verstanden, die Elementsynthese in Sternen bis hin zum Eisen zumindest im Prinzip. Details zur Entstehung noch schwe- rerer Elemente bis hin zum Uran sind dagegen weit weniger klar. Die Forscher gehen das Problem von mehreren Seiten an. Zunächst einmal verfeinern sie ihre Simulationen von Supernova-Explosionen. Zum anderen stellen sie die relevanten Kernprozesse an Schwerionen-Beschleunigern auf der Erde nach. Schließlich studieren sie mit Satelliten- detektoren die Gammastrahlen, die beim Zerfall der frischgebackenen Elemente aus CERN / ANTONIO SABA einem Supernova-Ausbruch emittiert werden. Solchen Fragen widmet sich das Gebiet der nuklearen Astrophysik. Teil des Weltalls, den wir heute sehen, auf nachweisen. Andererseits glauben die Phy- sen Zustand soll eines Tages eine »Große ein winziges Raumgebiet konzentriert und siker aber, dass selbst das Standardmodell Vereinheitlichte Theorie« (englisch: Grand demzufolge extrem dicht und heiß gewesen noch keine abschließende Beschreibung der Unified Theory, GUT) beschreiben und auch sein. Von diesem Urknall ausgehend expan- Welt ist. Sie wollen deshalb einen Schritt da- erklären, wie diese Urkraft schließlich doch dierte der Kosmos und kühlte sich ab. Dabei rüber hinausgehen. Dabei treffen Kosmolo- in die Grundkräfte zerfiel. entstand nach und nach die heute bekannte gie und Teilchenphysik erneut aufeinander. Noch gibt es zahlreiche Kandidaten für Materie. Im mächtigsten Teilchenbeschleu- Wenn Elementarteilchen miteinander in eine solche Theorie jenseits des Standard- niger der Welt, dem Large Hadron Collider Wechselwirkung treten, spielen drei der vier modells. Vieles spricht dafür, dass sie super- (LHC) bei Genf, können Physiker den Zu- Grundkräfte im Universum eine Rolle. (Die symmetrisch sein muss. Den so genannten stand des Universums bei weniger als einer vierte Grundkraft, die Schwerkraft oder Gra- SUSY-Theorien zufolge gibt es für jede Teil- milliardstel Sekunde nach dem Urknall vitation, macht sich nur über makroskopi- chensorte, die wir kennen, eine noch unbe- künstlich herstellen. Wenn sie zum Beispiel sche Distanzen hinweg bemerkbar.) Theore- kannte Partnersorte. Die SUSY-Zwillinge im ringförmigen Tunnel des Beschleunigers tische Überlegungen sprechen dafür, dass sind einander in fast jeder Hinsicht gleich; die schweren Kerne von Bleiatomen auf- diese drei Kräfte kurz nach dem Urknall gar sie unterscheiden sich nur in ihrer Masse einanderschießen, dann entsteht am Ort der nicht unterscheidbar, sondern noch zu einer und in ihrem Spin, also in ihrem inneren Kollision ein heißes Plasma aus Quarks und Art Urkraft verschmolzen waren. Genau die- Drehimpuls. Gluonen, wie es das Universum im Alter von billionstel und milliardstel Sekunden er- Quarks Das Standardmodell der Teilchenphysik: füllte. Die Physiker studieren das Feuerwerk sekundärer Teilchen, die bei den Kollisionen Sechs Quarks und sechs Leptonen bilden die u c t entstehen: Dadurch können sie nachvollzie- Grundbausteine der Natur. Protonen zum hen, wie sich eine hunderttausendstel Se- Beispiel bestehen aus zwei u-Quarks und d s b γ kunde nach dem Urknall die Quarks und einem d-Quark, Neutronen aus zwei d-Quarks Bosonen Gluonen zu Protonen und Neutronen ver- und einem u-Quark. Das bekannteste Lepton g H banden, also zu jenen Teilchen, aus denen ist das Elektron (e). Von den geheimnisvolls- sich in einem nachfolgenden Schritt die ten Leptonen, den Neutrinos (ν), gibt es drei Atomkerne bildeten. Sorten: Elektron-, Myon- und Tau-Neutrinos. Z0 Die beiden gewichtigsten Gründe für den Die Kräfte zwischen den Teilchen werden durch den Austausch von Bosonen vermit- Bau des LHC betrafen jedoch die Theorie, telt: Photonen (g) für die elektromagneti- W± Leptonen SPEKTRUM DER WISSENSCHAFT / MIKE BECKERS mit der sich seit vier Jahrzehnten die Ergeb- sche Kraft, Gluonen (g) für die starke Kraft, nisse sämtlicher teilchenphysikalischen Ex- perimente präzise erklären lassen: das Stan- W- und Z-Teilchen für die schwache Kraft. νe νm νt dardmodell der Teilchenphysik. Einerseits Das Higgs-Teilchen (H) ist dafür verantwort- fehlt der Schlussstein dieses theoretischen lich, dass W- und Z-Teilchen, Leptonen und e µ τ Gebäudes noch, das viel zitierte Higgs-Teil- Quarks eine Masse haben. Sein Fund würde chen. Die Experimente am LHC sollen es das Standardmodell abschließen. Astroteilchenphysik in Deutschland 5
Beschleunigte Kosmos wird Quarks und Antiquarks Expansion beginnt. durchsichtig. SPEKTRUM DER WISSENSCHAFT / MIKE BECKERS, NACH: DESY ZEUTHEN vernichten sich gegenseitig; Protonen und Neutronen entstehen. Helium- GUT-Ära erste synthese Inflation (Expansion Sterne um Faktor 1050) heute 1 1000 106 109 Zeit in Jahren 10–42 10–36 10–30 10–24 10–18 10–12 10–6 1 106 1012 Zeit in Sekunden Planck-Zeit wie heute bei Stößen wie heute im LHC kosmischer Strahlen realisierbar Energiedichte Die Entwicklung des Universums: Was in den ersten 10 –43 Sekunden wenigen »überlebenden« Quarks klumpten zu Protonen und Neu- nach dem Urknall (Planck-Zeit) geschah, lässt sich physikalisch noch tronen zusammen. Die Kerne der leichtesten Elemente (vor allem nicht beschreiben. In der darauf folgenden GUT-Ära (Ära der Großen Helium) bildeten sich etwa eine Minute später. Erst nach 300 000 Vereinheitlichten Theorien) waren drei der vier Fundamentalkräfte Jahren war das Universum so kühl, dass die freien Elektronen von (elektromagnetische, starke und schwache Kraft) in einer »Urkraft« den Kernen eingefangen wurden, und es wurde durchsichtig. Sterne vereint. Von 10 –36 bis 10 –34 Sekunden blähte sich das Universum erzeugten nach einigen hundert Millionen Jahren schwere Elemente. explosionsartig um 50 Größenordnungen auf (»Inflation«). Quarks Als das Universum halb so alt war wie heute, begann sich die Expan- und Antiquarks vernichteten sich nach etwa 10 –6 Sekunden; die sion zu beschleunigen: der erste Hinweis auf »Dunkle Energie«. Seit zwei Jahrzehnten zieht keine Idee die tun. Die Astronomen schätzen, dass 90 Pro- von Dunkler Materie gehen immerhin 23 Teilchenphysiker mehr in ihren Bann als die zent unserer Galaxis aus Dunkler Materie Prozent. Der große Rest, nämlich 72 Prozent, Supersymmetrie. Einer der Gründe für ihre bestehen. muss aus Dunkler Energie bestehen. Begeisterung: SUSY könnte endlich erklären, Dies ist aber noch nicht einmal das größ- Was die Dunkle Energie betrifft, so haben woraus die Dunkle Materie besteht, über die te Rätsel, dem sich die Astronomen gegen- die Teilchenphysiker kaum etwas aus ihrem Astronomen seit den 1930er Jahren rätseln. übersehen. Vor 14 Jahren fanden sie heraus, reichhaltigen Arsenal an exotischen Teil- Schritt für Schritt haben die Astronomen dass der Löwenanteil des Universums bis- chen und Kräften anzubieten, was dieses nämlich herausgefunden, dass der größte lang praktisch übersehen wurde. Zwei Ar- Phänomen erklären könnte. Teil der Materie im Universum unsichtbar beitsgruppen unter Leitung der Physiker ist. In unseren Teleskopen sehen wir zwar Saul Perlmutter in den USA sowie Brian Dunkle Materie aus WIMPs? Sterne und Galaxien und sogar den kos- Schmidt und Adam Riess in Australien Anders ist es bei der Suche nach Dunkler mischen Staub und das Gas, das vielerorts wollten 1998 messen, wie viel die Ausdeh- Materie. Sie ist aufs Engste mit der Suche den Raum erfüllt. Doch es scheint dort noch nung des Universums von ihrem ursprüng- nach neuen Teilchen verknüpft. Diese müs- etwas anderes zu geben, und davon sogar lichen Schwung verliert. Paradoxerweise sen eine Masse haben, weil sie sich ja gerade ziemlich viel: Dunkle Materie! Diese un- stellten sie aber genau das Gegenteil fest: durch ihre Schwerkraft bemerkbar machen. sichtbare Materie macht sich durch ihre Das Universum dehnt sich seit etwa sieben Außerdem müssen sie elektrisch neutral Gravitationskraft bemerkbar. Ohne ihre An- Milliarden Jahren mit stetig anwachsender sein, dürfen nur ganz schwach mit normaler ziehungskraft würden Galaxienhaufen aus- Geschwindigkeit aus. Ein klarer Befund, für Materie in Wechselwirkung treten und Licht einanderstieben. Ohne Dunkle Materie wür- den die drei 2011 den Physik-Nobelpreis er- weder aussenden noch reflektieren – sonst den auch die Außenbezirke unserer Galaxis hielten. Eine überzeugende Erklärung für wären sie nicht »dunkel«. Neutrinos haben viel langsamer rotieren, als sie es tatsächlich den Effekt steht bisher noch aus. Allerdings, zwar einige der gewünschten Eigenschaften: um mit Goethe zu sprechen: »Denn eben wo Sie sind neutral und wechselwirken nur normale Neutrinos: Begriffe fehlen, da stellt ein Wort zur rechten schwach mit Materie. Doch obwohl sie die Materie: 5 % 0,1 – 2 % Zeit sich ein.« Hier heißt das Wort »Dunkle häufigsten Teilchen im Universum sind, tra- Dunkle Energie«. Es scheint in der Tat so, als wenn gen sie höchstens zwei Prozent zu der Ge- Materie: 23 % eine unbekannte Energie das Universum samtmasse bei. Gegenwärtig gelten darum wie einen Hefeteig auftreibt. WIMPs (Weakly Interacting Massive Particles, SPEKTRUM DER WISSENSCHAFT Dunkle Energie: 72 % Wenn man die Dunkle Energie in die Bi- schwach wechselwirkende massereiche Teil- lanz miteinbezieht und nun die Rechnung chen) als aussichtsreichste Kandidaten. Die für das gesamte Universum aufmacht, dann WIMP-Masse dürfte irgendwo zwischen dem kommt man für die »normale« Materie nur 10- und 1000-Fachen der Protonenmasse lie- Das kosmische Inventar noch auf magere 5 Prozent. Auf das Konto gen. Genau solche Teilchen werden von den 6 Neue Fenster zum Kosmos
SUSY-Theorien vorhergesagt. Weltweit sind Die Naturgesetze behandeln Materie und Forscher daher mit immer präziseren Instru- Antimaterie gleich. Darum müsste nach menten auf der Suche nach ihnen (siehe Bei- dem Urknall eigentlich genauso viel Materie trag ab S. 8). Es sind aber auch weitere Teil- wie Antimaterie vorhanden gewesen sein. chenkandidaten im Rennen, die unter ande- Aber bis jetzt hat man trotz aller Anstren- rem auf so kryptische Namen wie Axion, gungen keine nennenswerten Mengen von Q-Ball oder WIMPzilla getauft wurden. Antimaterie im Weltraum gefunden. Gegen- WIMPs müssten sich, ebenso wie Neutri- wärtig erforscht das Alpha Magnetic Spec- nos, auf Grund ihrer schwachen Wechselwir- trometer (AMS) auf der Internationalen kung sehr früh vom Rest der Materie »ent- Raumstation (ISS) die wenigen Antiteilchen, koppelt«, also praktisch nicht mehr mit ihr die vorwiegend in Reaktionen der kosmi- reagiert haben. Dazu musste die Dichte der schen Strahlung entstehen. Urmaterie einen gewissen Wert unterschrit- Wo ist die Antimaterie also geblieben? ten haben, und dieser Zeitpunkt setzte für Andrei Sacharow (1921 – 1989), weithin be- WIMPs bei etwa 10 –10 Sekunden ein, für Neu- kannt als Vater der sowjetischen Wasser- trinos bei etwa einer hundertstel Sekunde. stoffbombe sowie als späterer Bürgerrecht- Andrei Sacharow (1921 – 1989) schuf die ULLSTEIN BILD ler und Friedensnobelpreisträger, fand 1967 Theorie, die den Materieüberschuss im Universum erklärt. Wo ist die Antimaterie? erstmals eine mögliche Antwort. Sacharow Im Jahr 1930 vermutete Paul Dirac, ein Phy- nahm an, dass im Universum anfangs Mate- siker an der University of Cambridge rie und Antimaterie in gleichen Mengen Neutrinos gespielt (siehe Beitrag ab S. 10). in England, dass zu jedem Teilchen ein so vorhanden waren. Durch eine winzige Ver- Aber auch Protonen bieten eine denkbare genanntes Antiteilchen existieren müsse. Es letzung der Teilchen-Antiteilchen-Symme- Erklärung. Sacharow erkannte, dass seine würde genau dieselbe Masse haben, aber die trie entwickelte sich dieser Anfangszustand Erklärung nur funktionert, wenn Protonen, entgegengesetzte Ladung. Tatsächlich: Zwei in einen Zustand, bei dem eine Winzigkeit die Grundbausteine des Kosmos, nicht ewig Jahre später wurde das Positron entdeckt – mehr Materie vorhanden war. Während sich existieren, sondern eines Tages zerfallen. das positiv geladene Antiteilchen des nega- das Universum ausdehnte und dabei ab- Genau dies sagen auch die bisherigen Ansät- tiv geladenen Elektrons. Mittlerweile kennt kühlte, trafen Materie und Antimaterie auf- ze für eine Große Vereinheitlichte Theorie man die Antiteilchen von praktisch jedem einander und zerstrahlten in pure Energie. vorher. Allerdings soll die Halbwertszeit des Elementarteilchen. Sogar ganze Antiatome Übrig blieb nur der kleine Materieüber- Zerfalls mindestens 1031 Jahre betragen – was haben Forscher schon hergestellt. Erstmals schuss. Dieser, so Sacharow, sei der Stoff, aus 1021-mal länger wäre als das bisherige Alter gelang dies 1995 am europäischen Teilchen- dem wir gemacht sind: Protonen, Neutro- des Universums. Anders gesagt: Protonen forschungszentrum CERN, das auch die Hei- nen, Elektronen. zerfallen extrem selten. Will man messen, mat des LHC ist. In diesen Atomen kreist Wie es zu der Symmetriebrechung ge- wie stabil Protonen sind, muss man also nicht ein Elektron um ein Proton, sondern kommen sein könnte, wird noch untersucht. sehr viele davon während einer sehr langen ein Positron um ein Antiproton. Eine wichtige Rolle haben möglicherweise Zeit beobachten. Außerdem müssen sich die Apparaturen sehr tief unter der Erde befin- den, um sie von der kosmischen Strahlung abzuschirmen. Die nämlich zeigt sich als störender Effekt in den Messergebnissen. KAMIOKA OBSERVATORY, ICRR (INSTITUTE FOR COSMIC RAY RESEARCH), UNIVERSITÄT TOKYO Solche Experimente führen Forscher tat- sächlich durch. Im japanischen Detektor Super-Kamiokande werden 50 000 Tonnen Wasser, die 1033 Protonen enthalten, perma- nent mit Detektoren überwacht. Diese müssten etwa 100 Zerfälle pro Jahr beobach- ten. Bis jetzt sind die Physiker allerdings noch nicht fündig geworden, sondern haben lediglich die untere Grenze für die Lebens- dauer des Protons auf stattliche 1034 Jahre hochgeschraubt. Weltweit arbeitet man da- her an noch größeren und empfindlicheren Detektoren. Einige SUSY-Theorien sagen Der Superkamiokande-Detektor in einer japanischen Zinkmine: 11 000 an den Wänden nämlich eine Halbwertszeit von 1035 Jahren befestigte Sensoren fahnden nach Lichtblitzen, die in 50 000 Tonnen hochreinem Wasser voraus. Hätten sie Recht, dann läge eine durch Protonzerfälle oder durch Neutrinoreaktionen erzeugt werden. Jahrhundertentdeckung in Reichweite. Astroteilchenphysik in Deutschland 7
Die Jagd nach Strategien zur Suche nach Dunkler Materie 1. direkter Nachweis SPEKTRUM DER WISSENSCHAFT / MIKE BECKERS, NACH: HAP / ASTRID CHANTELAUZE der Dunklen Materie Dunkle Materie 2. indirekter Nachweis γ Die normale Materie ist wie ein Schiff, das auf ν einem Ozean von Dunkler Materie segelt. Noch ist Sonne Erde Milchstraße unklar, woraus diese Substanz besteht. Eine neue 3. Produktion am Generation hochempfindlicher Detektoren könnte Large Hadron Collider in den nächsten Jahren das Rätsel lösen. W ir glauben heute, dass WIMP-Signale vortäuschen könnte. Auch die Endgültige Klarheit über den Charakter gewöhnliche Atome, zum Detektorbau verwendeten Materialien der Dunklen Materie erhoffen sich die Phy- wie wir sie aus unseren müssen höchste Reinheit haben. Ein einziger siker von der Kombination aller drei Me- Schulbüchern kennen, Fingerabdruck auf einem Sensor würde alles thoden. nur fünf Prozent des zunichtemachen. kosmischen Inventars ausmachen. Weitere Direkte Suche 23 Prozent entfallen auf die geheimnisvolle ó Indirekte Methode: Treffen irgendwo im in Untergrundlabors Dunkle Materie, die für Teleskope unsicht- Weltraum WIMPs aufeinander, vernichten Europas größtes unterirdisches Labor befin- bar ist, weil sie Licht weder aussendet noch sie sich gegenseitig. Dabei entstehen leich- det sich in den Abruzzen, 1500 Meter unter reflektiert. Dunkle Materie macht sich nur tere Endprodukte wie Neutrinos, Gamma- dem Gran-Sasso-Massiv. Dort sucht eine ita- durch ihre Gravitationswirkung auf die strahlen oder Antiteilchen, die wir als »Mar- lienische Gruppe seit 14 Jahren mit ihrem sichtbare gewöhnliche Materie bemerkbar. ker« mit unseren Detektoren nachweisen Detektor DAMA (DArk MAtter) nach WIMPs. Woraus könnte diese rätselhafte Substanz können. Solche Zusammenstöße von WIMPs Sie stellte fest, dass die in hochreinen Kris- bestehen? Aus einem unbekannten Teil- geschehen vermutlich dort besonders häu- tallen aus Natriumjodid registrierten Licht- chen? Wie im vorigen Kapitel erwähnt, haben fig, wo die Schwerkraft im Lauf der Jahrmilli- signale ihre Häufigkeit im Jahresrhythmus Physiker eine Reihe von Kandidaten anzu- arden viele WIMPs eingesammelt hat – bei- verändern: etwas mehr im Sommer, etwas bieten. Gegenwärtig favorisiert werden die spielsweise im Zentrum der Sonne oder im weniger im Winter. Das ist genau das, was WIMPs (Weakly Interacting Massive Particles, Zentralbereich der Milchstraße. Einen der man für WIMP-Reaktionen erwartet. Denn die Erde rotiert um die Sonne und verändert damit im Jahresrhythmus ihre Relativge- Die Kombination verschiedener Suchstrategien schwindigkeit zu dem »Ozean« aus Dunkler bringt Physiker auf die Spur der Dunklen Materie Materie, in dem unsere Galaxis schwimmt. Ist die erste Beute also schon im Netz? schwach wechselwirkende massereiche Teil- Detektoren, die solche Teilchen nachweisen Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Denn so chen). Doch wie lassen sie sich nachweisen? könnten, hat der Spaceshuttle Endeavour spannend dieses Ergebnis ist – es ist kaum Wie können wir das Unsichtbare sichtbar am 16. Mai 2011 bei seinem letzten Flug auf zu vereinen mit den Negativresultaten machen? Dazu gibt es drei Strategien: die Internationale Raumstation gebracht. anderer Detektoren, die mit alternativen Das Alpha Magnetic Spectrometer (AMS) Methoden inzwischen weit empfindlicher ó Direkte Methode: Man weist die Signale untersucht dort nicht nur die Zusammen- geworden sind als DAMA. nach, die entstehen, wenn ein WIMP auf setzung der kosmischen Teilchen, die auf Die Empfindlichkeit der Experimente einen Atomkern trifft und ihn leicht an- den Detektor treffen, sondern hält auch nach zur Suche nach Dunkler Materie hat sich in schubst. WIMPs reagieren jedoch ähnlich Antiteilchen Ausschau, die bei der Zerstrah- den letzten fünf Jahren etwa verdreißig- selten wie Neutrinos, außerdem sind die lung von WIMPs entstehen. facht. Am weitesten ist dabei eine Anord- Signale winzig. Darum befinden sich die nung vorgeprescht, bei der das WIMP über Detektoren tief unter der Erde, wo die kos- ó Künstliche Erzeugung: Der Theorie zufol- einen kleinen Lichtblitz nachgewiesen wird, mische Strahlung als Störquelle weit gehend ge bilden sich supersymmetrische WIMPs der bei seinem Aufprall auf flüssiges Xenon ausgeschlossen ist. Zusätzlich muss die auch dann, wenn im Large Hadron Collider entsteht. Zusätzlich werden durch Ionisa- radioaktive Strahlung des umgebenden Ge- (LHC) bei Genf Protonen mit höchster Ener- tion auch Elektronen freigesetzt. Aus der steins penibel abgeschirmt werden, weil sie gie aufeinandergeschossen werden. Kombination der beiden Messwerte – Licht 8 Neue Fenster zum Kosmos
Das Gesteinsmassiv des Gran Sasso schirmt XENON100 vor einem Großteil der kosmischen Strahlen ab. MAX-PLANCK-INSTITUT FÜR PHYSIK / RAFAEL F. LANG Abschirmungen NATIONAL SCIENCE FOUNDATION (NSF) / ZINA DERETSKY; KLEINES FOTO: XENON COLLABORATION / ELENA APRILE aus Blei und Kupfer Im CRESST-Experiment werden Detektoren Installation des XENON100-Detektors aus hochreinen Kristallen eingesetzt. Ein WIMP erzeugt einen Lichtblitz und signal –, sind WIMPs gut von vermeintlichen setzt auch Signalen zu unterscheiden. Das CRESST- Elektronen frei. Experiment im Gran-Sasso-Labor weist Temperatur- und Lichtsignale in Kristallen aus Kalziumwolframat nach. Zwei weitere flüssiges Xenon Detektoren, EDELWEISS in den französi- schen Alpen sowie ein US-amerikanisches Experiment, setzen dagegen auf den Nach- und Ladung – kann man weit besser als bei ten dabei, nach ihren US-amerikanischen weis von Temperatur- und Ladungssignalen DAMA (das nur Licht misst) echte WIMP- Kollegen, den größten Beitrag. in Germaniumkristallen. Deutsche Forscher Signale von vermeintlichen unterscheiden. Einen anderen Weg als XENON schlagen sind sowohl an CRESST wie auch an EDEL- Als Material werden 100 Kilogramm flüssi- die so genannten kryogenen Experimente WEISS beteiligt. ges Xenon genutzt. Daher heißt das Expe- zur WIMP-Suche ein. Dabei werden gewisse Die Germaniumdetektoren wurden riment, das sich ebenfalls im Gran-Sasso- Kristalle bis fast auf den absoluten Tempe- noch nicht fündig, CRESST dagegen hat zwei Labor befindet, XENON100. raturnullpunkt abgekühlt – auf zehn Milli- Dutzend Signale registriert, die verdächtig Bislang hat XENON100 noch keine WIMP- kelvin, das sind minus 273,14 Grad Celsius. nach WIMP-Ereignissen aussehen und sich Kandidaten registriert. Der Detektor stößt Dann sind die Atome in ihren Positionen nicht recht durch andere Effekte erklären aber inzwischen mit seinen Ausschlussgren- regelrecht eingefroren. Stößt ein WIMP auf lassen. Mit einer verbesserten Anordnung zen in jene Region vor, die von den Super- einen solchen tiefgekühlten Kristall, regt es will die CRESST-Gruppe die Unklarheiten symmetrie-Theorien für WIMPs vorherge- ihn zu winzigen Schwingungen an, die sich ausräumen. sagt wird. Eine Entdeckung kann also ganz mit empfindlichen Detektoren als Tempe- In Zukunft wollen jedoch CRESST und nahe sein! Das XENON-Team arbeitet bereits raturanstieg nachweisen lassen. Registriert EDELWEISS an einem Strang ziehen. Die an einem zehnmal so großen Detektor na- man zwei verschiedene Messgrößen – den gemeinsame Detektormasse der beiden mens XENON1T (für: eine Tonne), der 2015 in Temperatursprung zusammen mit einem Experimente beträgt derzeit einige Dut- Betrieb gehen soll. Deutsche Gruppen leis- Lichtblitz oder, alternativ, einem Ladungs- zend Kilogramm. Ab 2015 wollen die Teams schrittweise den Ein-Tonnen-Detektor EURE- 10–39 Die Reaktionswahrscheinlichkeit der WIMPs CA errichten (European Underground Rare SPEKTRUM DER WISSENSCHAFT, NACH: CHRISTIAN SPIERING Wertebereiche, die sich aus (»Wirkungsquerschnitt«, vertikale Achse) WIMP-Wirkungsquerschnitt [cm2] 10–40 den DAMA-Resultaten ergeben Event Calorimeter Array). Andere Gruppen und ihre Masse (horizontale Achse) sind noch in Europa, den USA, Japan und China planen 10–41 unbekannt. DAMA hat die Werte zwar schon Obergrenzen: ebenfalls Anlagen von einer oder gar mehre- 10–42 eingegrenzt (blau); andere Experimente wie CDMS ren Tonnen Detektormasse. und EDELWEISS CDMS, EDELWEISS und XENON100 haben 10–43 Damit dürfte noch in diesem Jahrzehnt jedoch alle Parameterkombinationen ausge- 10–44 die Stunde der Wahrheit schlagen: Wenn bevorzugter schlossen – auch die von DAMA vorherge- XENON100 Bereich für WIMPs wirklich existieren, werden wir sie 10–45 sagten –, die oberhalb der durchgezogenen SUSY-WIMPs finden. Ansonsten wankt unser Theoriege- Kurven liegen. Die neuen Ein-Tonnen-De- 10–46 bäude, und wir müssen neue Erklärungen tektoren werden bald auch den von SUSY- 10–47 für die geheimnisvolle Dunkle Materie fin- Modellen vorhergesagten Parameterbereich 5 10 20 50 100 200 500 1000 den. So oder so steht uns eine spannende ausloten (gestrichelte Kurve). WIMP-Masse [GeV] Dekade bevor! Astroteilchenphysik in Deutschland 9
LNGS (LABORATORI NAZIONALI DEL GRAN SASSO) / V. STEIGER Blick ins Innere des Neutrino- detektors BOREXINO im italienischen Gran-Sasso- Untergrundlabor Neutrinos – Geisterteilchen mit kosmischer Botschaft Billionen von Neutrinos durchqueren in jeder Sekunde unbemerkt unseren Körper. Mit nahezu Lichtgeschwindigkeit rasen sie durch den Raum, ohne Spuren zu hinterlassen. Aber so geisterhaft diese Teilchen auch sein mögen: Sie stellen einen einzigartigen Schlüssel zu grundlegenden Fragen des Kosmos dar. D ie Geschichte der Neutrinos reimtheit gestoßen. Wenn ein Atomkern zer- Zum Glück irrte sich Pauli in der Annah- begann mit einem Überra- fiel, besaß jedes der Bruchstücke eine be- me, Neutrinos seien nicht nachweisbar. In schungswurf. Im Jahr 1930 stimmte Energie. Doch die Summe der Kernreaktoren entstehen beim radioaktiven sagte der Physiker und spä- Teilenergien war stets geringer als die Zerfall sehr viele dieser Teilchen, die dann in tere Nobelpreisträger Wolf- Gesamtenergie des Ausgangskerns. Das war die Umgebung hinausschießen. Der starke gang Pauli ihre Existenz voraus, bekannte jedoch ein Ding der Unmöglichkeit, denn Neutrinofluss bot die Möglichkeit, zumin- aber gleichzeitig: »Ich habe etwas Schreck- Energie kann nicht einfach verschwinden. dest einige wenige von ihnen aufzuspüren. liches getan: Ich habe ein Teilchen vorausge- Zur Lösung des Dilemmas vermutete Pauli, Dieses Kunststück gelang 1956 am Kernreak- sagt, das nicht nachgewiesen werden kann.« dass ein unsichtbares, bis dahin unbe- tor Savannah River in den USA. Aus dem Atomphysiker waren beim radioaktiven Zer- kanntes Teilchen – das Neutrino – diese feh- Fluss von 1024 Neutrinos löste ein knappes fall bestimmter Elemente auf eine Unge- lende Energie bei dem Zerfall davontrug. Dutzend ein Signal in dem Nachweisinstru- 10 Neue Fenster zum Kosmos
Die Sonne im »Licht« der Neutrinos. Über mehrere Jahre registrierten Forscher mit dem Superkamiokande-Detektor in Japan solare Neutrinos und zeichneten die Richtung ihrer Herkunft auf. Von der Erde aus gesehen liegt die Sonnenscheibe innerhalb eines Winkels von 0,5 Grad. Da die Winkelgenauigkeit für diese Neutrinos sehr gering ist, ist das Kamio- kande-Bild der Sonne (weißer und gelber Bereich) über mehr als 20 Grad verschmiert. Die wichtige Information steckt allerdings nicht in der genauen Richtung, sondern in Anzahl und Energie der Neutrinos. LOUISIANA STATE UNIVERSITY / ROBERT SVOBODA, K. GORDAN ment aus. Der US-amerikanische Forscher Frederick Reines erhielt für den Nachweis 1995 den Physik-Nobelpreis. Heute wissen wir, dass es drei Neutrino- sorten gibt: Elektron-, Myon- und Tau-Neu- trinos. Sie sind die leichtesten bekannten Elementarteilchen. Wie groß ihre Massen genau sind, wissen Physiker nicht. Sie konn- tigem Wissen dafür, dass massereiche Sterne Sie können fast ungehindert die dicksten ten nur ermitteln, dass sie weniger als vier am Ende ihres Lebens als Supernovae explo- Materieschichten durchdringen und aus Re- Millionstel der Elektronenmasse betragen. dieren. Dadurch werden schwere Elemente – gionen entweichen, in die wir nicht hinein- Obwohl Neutrinos kaum mit Materie rea- wie Kohlenstoff, Stickstoff, Sauerstoff – in schauen können – zum Beispiel aus dem gieren, spielen sie eine wesentliche Rolle für den Weltraum geschleudert, wo sie für die Kern der Sonne. Lichtteilchen, die im Zen- die Entwicklung des Universums und für Entstehung von Planeten und Lebewesen zur tralbereich entstehen, prallen ständig auf unsere eigene Existenz. Sekundenbruchteile Verfügung stehen. Ohne Supernovae könnte Atome und benötigen deshalb mehr als nach dem Urknall trugen Neutrinos mögli- das Eisen, das im Innern von Sternen ent- 100 000 Jahre, bis sie an die Oberfläche ge- cherweise dazu bei, dass von dieser Explo- steht, niemals nach außen gelangen. Ohne langen. Neutrinos hingegen durchqueren sion nicht nur reine Energie, sondern auch Eisen wiederum gäbe es kein Hämoglobin, dieselbe Strecke nahezu ungehindert in gut Materie übrig geblieben ist. Einige Sekunden das für den Sauerstofftransport in unserem zwei Sekunden. später spielten sie eine wichtige Rolle bei der Blut unerlässlich ist. Der erste Nachweis von Sonnenneutrinos Entstehung der ersten, leichten Elemente. Besonders hervorgetan haben sich Neu- gelang Anfang der 1970er Jahre Raymond Und schließlich sorgen Neutrinos nach heu- trinos als kosmische Boten. Indem sie als Davis vom Brookhaven National Laboratory. einzige Teilchen ungehindert aus den hei- Allerdings maß Davis nur etwa ein Drittel ßen Zentralbereichen von Sternen nach au- der berechneten Neutrinorate. Dieser Be- ßen dringen, liefern sie uns entscheidende fund ließ Zweifel sowohl an der Messung wie Informationen über die dort ablaufende auch an dem Modell über die Energieerzeu- Synthese von chemischen Elementen. gung im Innern der Sonne aufkommen. An- dere Experimente bestätigten jedoch Davis’ Kosmische Botenteilchen Messungen, so dass man die Lösung des Rät- Die nächstgelegene Neutrinoquelle im Uni- sels in einer Neutrinoeigenschaft suchte. versum ist die Sonne. In ihrem Zentrum fin- Schon 1957 hatte Bruno Pontecorvo vom den Kernreaktionen statt, bei denen enorme Institut für Kernforschung in Dubna (dama- Mengen dieser Teilchen frei werden. In jeder lige Sowjetunion) angenommen, dass sich Sekunde durchqueren auf der Erde etwa 60 die unterschiedlichen Neutrinosorten inei- Milliarden solare Neutrinos eine Fläche von nander umwandeln können. Physiker spre- der Größe eines Daumennagels. Dennoch chen vom Oszillieren zwischen den unter- stößt kaum ein Dutzend von ihnen mit schiedlichen Identitäten. Davis konnte mit einem Atom im Erdinnern zusammen. Der seinem Detektor ausschließlich Elektron- Rest fliegt ungestört durch unseren Pla- Neutrinos nachweisen, die tatsächlich in CERN neten hindurch. großer Zahl im Zentrum der Sonne frei wer- Wolfgang Pauli (1900– 1958) sagte 1930 die So paradox es klingt, aber gerade deshalb den. Auf dem Weg zur Erde wandelt sich aber Existenz von Neutrinos voraus. eignen sich Neutrinos als kosmische Boten. nach Pontecorvos Theorie der größte Teil Astroteilchenphysik in Deutschland 11
LAGUNA im Größenvergleich mit der Münch- ner Frauenkirche. Der Detektor könnte mit einer fluoreszierenden Flüssigkeit, FOTO: ÁLEX MENZINSKY VOLLMUHT; DETEKTOR: LENA WORKING GROUP; MONTAGE: HAP / ASTRID CHANTELAUZE flüssigem Argon oder Wasser gefüllt sein. Die erste dieser Varianten ist im Bild links zu sehen. Sie würde tief unter der Erde in einer 100 Meter hohen Kaverne stehen. Neutrinostrahl auf LAGUNA zu lenken. Da- bei könnte man grundlegende Eigenschaf- ten der Teilchen untersuchen, die eng mit dem Ursprung des Universums zusammen- hängen. Hat das Neutrino eine Masse? Bruno Pontecorvos Theorie der Neutrino- oszillationen ist heute unbestritten. Man hat den Effekt für kosmische Neutrinos ge- von ihnen in die anderen beiden Sorten um. ein Neutrino mit einem Atom zusammen, messen wie auch für Neutrinos aus Kern- Und für diese war Davis’ Detektor blind. Es so entsteht ein schwacher Lichtblitz, der von reaktoren und Teilchenbeschleunigern. Pon- sollte noch bis zum Jahr 2001 dauern, bis Lichtsensoren an den Tankwänden aufge- tecorvo zufolge können jedoch Neutrinos die Oszillationserklärung für das solare Neu- zeichnet wird. nur oszillieren, wenn sie eine Masse haben. trinodefizit hieb- und stichfest war und alle Mit BOREXINO lassen sich die Reaktions- Leider sagen die Oszillationsbefunde nur anderen Hypothesen ausgeschlossen wer- vorgänge im Sonneninnern bis auf wenige etwas über die Differenz der drei Massen den konnten. Prozent genau überprüfen – und weil das aus, nicht über die Massen selbst. Die Masse Raymond Davis erhielt 2002 den Physik- quasi in Echtzeit möglich ist, könnten wir muss man aber kennen, wenn man abschät- Nobelpreis zusammen mit Masatoshi Ko- damit auch sehen, wenn plötzlich der Son- zen will, wie groß der Anteil der Neutrinos shiba von der Tokai-Universität in Tokio, der nenofen im Inneren schwächeln würde. Fer- an der Masse der gesamten Materie im Welt- mit seinem Kamiokande-Detektor ebenfalls ner konnten Physiker mit BOREXINO erst- all ist. Für Kosmologen ist dies eine ganz ent- solare Neutrinos gemessen hatte. Darüber mals eindeutig Neutrinos nachweisen, die scheidende Frage. hinaus war Koshiba jedoch noch eine spek- bei Kernzerfällen im Erdinnern entstehen. Es gibt jedoch Möglichkeiten, die absolu- takuläre Entdeckung gelungen: Am 23. Fe- Dabei stellte sich heraus, dass diese natür- ten Massen zu bestimmen. Dabei misst man bruar 1987 wies er mit Kamiokande zwölf lichen radioaktiven Zerfälle für etwa die die Energie der Elektronen aus dem radio- Neutrinos nach, die bei der Explosion eines Hälfte der Erdwärme verantwortlich sind. aktiven Zerfall einer Substanz und bestimmt Sterns in der Großen Magellanschen Wolke Zurzeit planen europäische Physiker das dadurch – wie zu Zeiten Paulis, nur viel präzi- frei geworden waren. Die Neutrinos dieser Experiment LAGUNA (Large Apparatus for ser – die fehlende Energie. Daraus wiederum Supernova bestätigten eindrucksvoll die Grand Unification and Neutrino Astrophy- lässt sich die Neutrinomasse berechnen. Das Vorstellungen über die Explosion von Ster- sics). Es soll 10- bis 20-mal größer sein als bisher genaueste Experiment dieser Art lief nen am Ende ihrer Entwicklung. Der 23. Fe- BOREXINO. Damit könnte es von einer Su- an der Universität Mainz. Aus ihm ergab sich, bruar 1987 wird daher häufig als die eigent- pernova in unserem Milchstraßensystem ei- dass die Masse der Elektron-Neutrinos weni- liche Geburtsstunde der Neutrino-Astrono- nige zehntausend Neutrinos registrieren – ger als zwei Elektronvolt beträgt. Das ist eine mie angesehen. eine Goldgrube für die Astrophysik ebenso unter Teilchenphysikern gebräuchliche Mas- wie für die Teilchenphysik! Der Detektor seneinheit, in der das Elektron eine Masse Erforschung des könnte darüber hinaus mit zehnfach verbes- von 511 000 Elektronvolt besitzt. Inneren der Sonne serter Empfindlichkeit nach dem Protonzer- Derzeit entsteht am Karlsruher Institut Die solare Neutrino-Astronomie hat inzwi- fall suchen, den die Großen Vereinheitlich- für Technologie das Instrument KATRIN schen eine Präzision erreicht, von der man ten Theorien vorhersagen. (»Karlsruhe Tritium Neutrino«-Experiment). vor 20 Jahren nur träumen konnte. Das ge- LAGUNA würde auch den dünnen Neu- Mit einem riesigen Spektrometer wird genwärtig empfindlichste Experiment auf trinonebel aufspüren, der von allen jemals KATRIN Elektronen aus dem Zerfall des ra- diesem Gebiet heißt BOREXINO. Herz dieser explodierten Supernovae übrig geblieben dioaktiven Wasserstoffisotops Tritium mit Anlage im italienischen Untergrundlabor sein muss und der Informationen über frü- zehnmal höherer Genauigkeit vermessen als Gran Sasso in den Abruzzen ist ein kugelför- he Phasen des Universums enthält. Außer- seine Vorgänger. Wenn KATRIN 2014 anläuft, miger Tank, der mit 300 000 Litern einer dem wäre es möglich, vom europäischen Be- wird es Neutrinomassen bis herunter zu speziellen Flüssigkeit gefüllt ist. Stößt darin schleunigerzentrum CERN in Genf einen 0,2 Elektronvolt nachweisen können. Damit 12 Neue Fenster zum Kosmos
deckt es den gesamten Massenbereich ab, der für Kosmologen interessant ist. Eine der faszinierendsten Fragen wollen europäische Physiker mit ihrem Experiment GERDA (Germanium Detector Array) klären. Sie geht auf eine Theorie des italienischen Physikers Ettore Majorana von der Universi- tät Neapel aus dem Jahr 1937 zurück. Majo- rana stellte damals die Hypothese auf, dass Neutrinos ihre eigenen Antiteilchen sein könnten. Wenn Neutrinos Majorana-Teil- chen wären, dann dürften sie neueren Theo- rien zufolge eine entscheidende Rolle dafür gespielt haben, dass sich im Urknall Materie und Antimaterie nicht vollständig gegen- KATRIN COLLABORATION seitig vernichtet haben. Bei vollständiger Vernichtung gäbe es heute überhaupt keine Materie im Universum, sondern ausschließ- lich Strahlung. Es muss folglich einen klei- nen Überschuss an Materie gegenüber der Mit dem KATRIN-Spektrometer wollen Forscher die Masse des Elektron-Neutrinos genauer Antimaterie gegeben haben. Wie dieser als je zuvor vermessen. Bruch der vollständigen Symmetrie damals zu Stande kam, ist eine der weitreichendsten Fragen sowohl der Teilchenphysik als auch der Kosmologie. Lässt sich Majoranas Hypothese über- prüfen? Die Antwort lautet: Ja. Es gibt näm- lich einen radioaktiven Zerfallsprozess, der nur für Majorana-Neutrinos möglich ist, den so genannten neutrinolosen doppelten Beta-Zerfall. Der zweifelsfreie Nachweis die- ses Prozesses würde nicht nur die Majorana- Natur des Neutrinos beweisen, sondern auch, dass es eine Masse hat und wie groß KAI FREUND, UNIVERSITÄT TÜBINGEN diese Masse ist. Weltweit wird in den nächsten zwei bis vier Jahren ein halbes Dutzend Experimente einen möglichen ersten Hinweis auf diesen Der Detektor GERDA befindet sich in einem mit spezieller Folie ausgekleideten Wassertank, der Störsignale abschirmt. Zerfall überprüfen können, der vor knapp Gegenteil. Mit verbesserten Experimenten zehn Jahren von einem deutsch-russischen tritt die Neutrinoforschung gerade in eine Team gemeldet wurde. Spitzenreiter ist neue Phase ein. Für das kommende Jahr- hier das GERDA-Experiment. Es wurde unter zehnt verspricht sie Antworten auf eine Rei- der Leitung von deutschen Max-Planck- he grundlegender Fragen, mit denen sie die und Universitätsinstituten ebenfalls im gesamte Spannbreite von der subatomaren PUBLIC DOMAIN Gran-Sasso-Labor gebaut und misst dort seit Welt bis hin zum gesamten Universum ab- 2011 die Zerfälle von Germanium-76. schreitet – eine Entwicklung, von der wohl Mehr als ein halbes Jahrhundert nach ih- selbst unkonventionelle Denker wie Wolf- Ettore Majorana (1906 – 1938) postulierte, rer Entdeckung haben die rätselhaften Neu- gang Pauli oder Ettore Majorana nicht ein- Neutrinos seien ihre eigenen Antiteilchen. trinos nichts an Faszination verloren – im mal träumen konnten. Astroteilchenphysik in Deutschland 13
SNOLab Ontario ADMX Soudan Mine Minnesota LIGO Washington Homestake Mine Süd-Dakota Telescope Array Utah VERITAS WIPP Arizona Neumexiko LIGO MAGIC Louisiana La Palma HAWC Mexiko Großanlagen der Astroteilchen- physik Pierre Auger Observatory Argentinien Axion-Suche Untergrundlabors Unterwasser-Eis-Neutrino-Teleskope Gammastrahl-Teleskope Luftschaueranlagen für geladene kosmische Strahlen Gravitationswellen-Interferometer Die wichtigsten Astroteilchen-Experimente in europäischen Untergrundlabors SA E (Sonnenneutrino ) L S S BUST (Superno aneutrino ) COBRA (Doppel-Beta-Zerfall – rotot p) XENON (Dunkle Materie) CUORE (Doppel-Beta-Zerfall – im Bau) XENON T (Dunkle Materie – im Bau) L DRI T (Dunkle Materie – Ent i klung) ERDA (Doppel-Beta-Zerfall) BOREXINO (Sonnenneutrino ) Zeplin (Dunkle Materie) CRESST (Dunkle Materie) L D (Superno a-Neutrino ) C EMMA (ko mi e Stra lung) DAMA LIBRA (Dunkle Materie) LA UNA (p-Zerfall Neutrino- DarkSi e (Dunkle Materie – geplant) (A tro)p ik – geplant) WAR (Dunkle Materie) 14 eue enster u os os
Jakutsk CUPP Finnland Baikal Neutrino Telescope Tunka + Baksan Neutrino Observatory GAMMA Y2L Armenien Südkorea KAGRA Kamioka MACE ARGO Observatory Indien Tibet AS-gamma China JinPing Underground Laboratory GRAPES India Neutrino Indien Observatory H.E.S.S. Namibia CANGAROO Australien SPEKTRUM DER WISSENSCHAFT / EMDE-GRAFIK BUL Boulby ALPS DESY, Hamburg Amundsen-Scott South Pole Station GEO600 Hannover Antarktis Kascade-Grande IceTop + KIT, Karlsruhe IceCube CAST CERN, Genf KATRIN (+) LSM Modane VIRGO Pisa LSC Canfranc LNGS Gran Sasso Antares Toulon LSC NEXT (Doppel-Beta-Zerfall – im Bau) ArDM (Dunkle Materie – im Bau) LSM NEMO (Doppel-Beta-Zerfall) EDELWEISS (Dunkle Materie) EURECA (Dunkle Materie – geplant) Astroteilchenphysik in Deutschland 15
Quellen kosmischer Strahlen mit Energien LINKS: NRAO / CALTECH; RECHTS: WALTER JAFFE, LEIDEN OBSERV. / HOLLAND FORD, JHU / NASA, STSCI von mehr als einer Milliarde Gigaelektron- volt gibt es vermutlich nur außerhalb unserer eigenen Galaxis. Die Bilder zeigen NGC 4261, eine so genannte aktive Galaxie, in deren Kern ein Schwarzes Loch von mehreren Milliarden Sonnenmassen sitzt. Das Schwarze Loch saugt Materie auf Spiralbahnen in sich hinein. Ein Teil der dabei freigesetzten Energie beschleunigt Teilchen – entweder nahe dem Galaxienkern oder entlang der riesigen Materieströme 190 Bogensekunden 1,7 Bogensekunden (»Jets«, linkes Bild), die bis zu einer Million 44 000 Lichtjahre 400 Lichtjahre Lichtjahre lang werden können. Das Universum bei extremen Energien Wenn Sterne explodieren oder Schwarze Löcher Materie verschlingen, schleudern sie energiereiche Teilchen ins All und auch in Richtung Erde. Mit riesigen Detektoren für kosmische Strahlen, Gammastrahlen und Neutrinos kommen ihnen Physiker auf die Spur und entdecken völlig neue kosmische Landschaften. V or genau 100 Jahren, im Au- schwererer Elemente, zu einem Prozent aus gust 1912, stieg der österrei- Elektronen. Gut zwei Jahrzehnte später stell- chische Physiker Victor Hess te man erstaunt fest, dass einige dieser kos- mit einem Ballon in eine mischen Partikel Schwindel erregende Ener- Höhe von über 5000 Metern gien aufweisen. Einige übertreffen die Ener- auf. Er wollte prüfen, ob die ionisierende gie der Teilchen im Superbeschleuniger LHC Strahlung, die radioaktive Stoffe im Material um das Zehnmillionenfache! Wie schafft die der Erdkruste aussenden, mit wachsender Natur das? Entfernung von der Erdoberfläche abnimmt. Und nicht genug damit: Die Gesamtener- Doch das Gegenteil war der Fall: Ab 1000 gie der kosmischen Strahlung unserer Milch- Meter Höhe stieg die Strahlung stetig an. Ir- straße ist etwa genauso groß wie die Energie, gendetwas Ionisierendes, das aus dem Kos- die in galaktischen Magnetfeldern oder in mos kam, schien die Erdatmosphäre zu Sternenlicht steckt. Purer Zufall oder eine bombardieren! feine Balance? Wie immer die Antwort lau- Als Hess 1936 für seine Entdeckung den ten mag: Kosmische Strahlen sind offenbar PUBLIC DOMAIN Nobelpreis bekam, hatten er und seine Fach- keine Randerscheinung, sondern ein zen- kollegen bereits herausgefunden, dass der trales Phänomen des Kosmos! Ihre Herkunft größte Teil dieser kosmischen Strahlung aus ist eines der großen Rätsel der Astrophysik. elektrisch geladenen Teilchen besteht: zu Teilchen mit extrem hohen Energien Ein Aufstieg mit dem Ballon führte 99 Prozent aus Protonen, also den Kernen können nur bei den gewaltigsten kosmi- Victor Hess (Mitte) 1912 zur Entdeckung der von Wasserstoffatomen, und Atomkernen schen Ereignissen entstehen – zum Beispiel kosmischen Strahlung. 16 Neue Fenster zum Kosmos
Das Alpha Magnetic mische Strahlen und Gammastrahlen – Spectrometer nicht durch Gaswolken oder sonstige mate- AMS (Pfeil) auf der rielle Hindernisse aufgehalten werden. Die Internationalen Kehrseite der Medaille ist freilich, dass sie Raumstation dient viel schwerer nachzuweisen sind. der Suche nach Um möglichst viel über die kosmischen Antimaterie im Uni- Quellen herauszufinden, versuchen die versum. Mit ihm Wissenschaftler, alle drei hochenergetischen lässt sich das Spek- Strahlungsarten einzufangen: kosmische trum niederener- Strahlung, Gammastrahlen und Neutrinos. getischer kosmi- scher Strahlen mit Fahndung im Weltall bisher unerreichter und auf der Erde Präzision messen. Unter den Teilchen der kosmischen Strah- NASA lung, die pro Sekunde auf einen Quadratme- ter treffen, ist im Schnitt immerhin eines, wenn Gasströme in den Strudel eines mas- Energie. Falls die Gammastrahlung von dessen Energie 100 GeV oder mehr beträgt. sereichen Schwarzen Lochs geraten, sich denselben Quellen stammt wie die kos- Da reicht schon ein Detektor auf einem Sa- dabei stark erhitzen und die Energie teilwei- mische Teilchenstrahlung, würde sie uns di- telliten aus, um genügend davon einzufan- se in die Beschleunigung von Kernteilchen rekt deren Herkunft preisgeben. Doch ist gen. Das gegenwärtige Topexperiment für umgesetzt wird. Die kosmische Strahlung, dies tatsächlich der Fall? GeV-Energien ist das Alpha Magnetic Spec- die auf die Erde trifft, erzählt uns von sol- Die entscheidenden Hinweise könnten trometer (AMS), das am 16. Mai 2011 mit chen atemberaubenden Prozessen, verrät Neutrinos geben. Da sie nur bei Kernreak- dem letzten Flug des Spaceshuttles zur In- uns aber leider nicht, wo sie stattfinden. tionen entstehen, haben sie ihre Reise einst ternationalen Raumstation gebracht wurde. Elektrisch geladene Teilchen werden näm- gemeinsam mit einem Atomkern begon- Doch mit zunehmender Energie fällt der lich auf ihrer weiten Reise immer wieder nen. Anders gesagt: Jede Quelle hochener- Fluss der kosmischen Strahlung steil ab: Nur durch Magnetfelder abgelenkt. Die Rich- getischer Neutrinos ist immer auch eine etwa einmal im Jahr wird ein Quadratmeter tung, aus der sie auf die Erde treffen, ist also Quelle kosmischer Strahlung. Und die Neu- von einem Teilchen getroffen, dessen Ener- nicht die Richtung, aus der sie ursprünglich trinos verraten uns deren Position, da sie gie eine Million GeV erreicht! Und rund eine stammen – im Unterschied zu Licht, das uns auf ihrem Weg durchs All nicht von Magnet- Million Jahre müsste man warten, um mit auf gerader Linie erreicht. feldern abgelenkt und – anders als kos- einem Quadratmeter Detektorfläche ein Wo sind die Quellen? Nur für die Teilchen der allerhöchsten Ener- Wissenschaftler überprüfen einen gien haben die Wissenschaftler eine Chance, der 1660 wassergefüllten Tanks die Position der Quellen zumindest grob zu des Pierre-Auger-Observatoriums in ermitteln, denn ihre Ablenkung ist relativ der argentinischen Pampa. gering. Leider sind derart energiereiche Teil- chen äußerst selten: Auf einen Quadratkilo- meter der Erdoberfläche trifft nur alle fünf bis zehn Jahre eines dieser superenergeti- schen Geschosse. Glücklicherweise dürften die vermuteten Quellen neben den geladenen Partikeln auch neutrale Teilchen oder Strahlung aus- senden: Neutrinos und Gammastrahlen. Diese kosmischen Boten breiten sich gerad- linig aus, so dass ihre Herkunftsrichtung zu- rück auf ihre Quellen weist. Tatsächlich haben die Forscher schon ASPERA / AUGER COLLABORATION mehr als 150 Quellen am Himmel entdeckt, die extrem harte Gammastrahlen aussen- den, mit Energien bis zu einigen hundert- tausend Gigaelektronvolt (1 GeV = 1 Milliar- de Elektronvolt), dem Zigfachen der LHC- Astroteilchenphysik in Deutschland 17
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