News Asyl - Tandem im Austausch Umsetzung NA-BE: Die wichtigsten Änderungen - KKF OCA
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Asyl News Nr. 2, Juni 2020 KKF Tandem im Austausch Seite 4 Fachinformationen Fokus: Altern anderswo Umsetzung NA-BE: Die wichtigsten Änderungen Seite 13 International Das Recht auf Asyl gilt auch in Krisenzeiten Seite 19
Editorial Übersicht Liebe Leserinnen, liebe Leser Neues aus der KKF Tandem im Austausch 4 Ende Mai schreibe ich diese Zeilen und lasse die vergangenen Wochen Revue passieren. Corona war und bleibt das alles beherrschende Thema. Zeitweise hätte man meinen können, alle anderen Krisen und Konflikte seien Fokus: Altern anderswo zum Stillstand gekommen. Syrien – wird da überhaupt noch gekämpft und vertrie- Ältere Menschen auf der Flucht 5 ben? Klimademos – aus den Augen, aus Die besondere Situation älterer Flüchtlinge 6 dem Sinn? Mittelmeerflüchtlinge – die wollen doch jetzt sowieso nicht mehr Ältere Migrierende in der Forschung 7 nach Europa kommen, oder? Die freiwillige Rückkehr älterer Menschen 8 Aber natürlich stand die Welt nicht still, lösten sich die Tragö- Wie die IOM arbeitet 9 dien nicht in Luft auf, sondern nahmen vielmehr fernab der Weltöffentlichkeit vielfach eine noch tragischere Wende. Das wissen wir natürlich, Illusionen machen wir uns diesbezüg- lich keine. Und trotzdem: unsere Sorgen, unsere Gedanken Fachinformationen und unsere Aufmerksamkeit galten mehrheitlich anderen Asylwesen Schweiz Themen, einem anderen Thema: der Corona-Pandemie und ihren Folgen. Ein Jahr neue Asylverfahren – erste Bilanz 11 Umsetzung NA-BE: Die wichtigsten Auch das AsylNews kann sich diesem nicht entziehen, und Änderungen 13 dies aus gutem Grund. Als Fachstelle des Asylbereichs wollen wir aufzeigen, wie die Corona-Krise weltweit zum Vorwand Verordnung über die Sozialhilfe im Asyl- und genommen wurde, um das Recht auf Asyl zu beschneiden Flüchtlingsbereich 14 und wie, trotz der schweizweit geltenden Hygienevorschriften, Asylpolitik in Coronazeiten 15 viele Geflüchtete nach wie vor in Zentren mit engen Platz- verhältnissen untergebracht sind und teilweise ihre Zimmer nicht verlassen dürfen. Rechtsprechung Gewalterlebnisse im Drittstaat sind relevant 17 Gleichzeitig möchten wir aber auch andere Themen wieder in den Fokus rücken und daran erinnern, dass gerade im Asyl- Vulnerabilität Minderjähriger ist zu und Flüchtlingswesen grosse Umwälzungen bevorstehen berücksichtigen 17 oder bereits stattgefunden haben. Diesen März jährte sich die Einführung der neuen Asylverfahren. Die Bilanz ist durch- International zogen. Trotz einiger positiver Erfahrungen hat sich gezeigt, dass der ausgebaute Rechtsschutz – einer der Grundpfeiler Das Recht auf Asyl gilt auch in Krisenzeiten 18 der neuen Verfahren – durch die kurzen Fristen in vielen Fällen Push-Backs in Spanien: Welche legalen nicht gewährleistet ist. Hier gilt es weiterhin, genau hinzu- Fluchtege? 19 schauen und, wo nötig, Anpassungen vorzunehmen, damit die Fairness der Verfahren nicht dem beschleunigten Tempo Gastbeitrag: Als möchten sie uns nicht mit zum Opfer fällt. ihren Sorgen belasten 20 Und trotz Corona ging wohl bei niemandem vergessen, dass bereits am 1. Juli das Grossprojekt NA-BE umgesetzt wird. Für viele unserer Leserinnen und Leser bedeutet dies einen Kurzinfos 23 Neuanfang; für viele der Geflüchteten eine neue Ausgangs- lage. Wir wünschen allen einen guten Start und hoffen nicht zuletzt, dass der Neunanfang auch eine Chance bietet für Impressum Verbesserungen zum Wohle der Geflüchteten im Kanton Bern. Redaktion Franziska Müller Gestaltung Source Associates AG Druck Druckerei Läderach Lisa Schädel, Projektleiterin Kontakt KKF-OCA, Effingerstrasse 55, 3008 Bern AsylNews, 2/2020 2
Neues aus der KKF Weiterbildung Dienstleistungen Herzlichen Dank! Die KKF bedankt sich von Herzen bei allen bisherigen Partnerinnen und Horizonte Herbst 2020 Aktualisierte FachInfos Partnern im Asyl- und Flüchtlings- bereich für ihre wertvolle Tätig- Wir freuen uns, das Weiterbildungspro- Der KKF-Fachbereich «Grundlagen und keit und die stets vertrauensvolle gramm Horizonte für das zweite Halb- Support» arbeitet regelmässig relevante Zusammenarbeit. Wir haben die jahr 2020 dieser AsylNews-Ausgabe Themenkomplexe des Asyl- und Flücht- unzähligen persönlichen Kontakte beizulegen. Rechtzeitige Anmeldungen lingsbereichs auf und stellt sie Organi- auf allen Ebenen stets geschätzt und lohnen sich, da die Kursplätze jeweils sationen und Mitarbeitenden im Asyl- wünschen allen Betroffenen, welche beschränkt sind. Im Kurs 20/7 sind nur und Flüchtlingsbereich zur Verfügung. nicht mehr im Asyl- oder Flücht- noch wenige Plätze frei. Folgende FachInfos wurden überarbeitet lingsbereich tätig sein werden, das und sind auf dem neusten Stand: Beste auf Ihrem weiteren Weg. Horizonte 20/5 • Asylsozialhilfe Gleichzeitig begrüssen wir die neuen Perspektiven für Rückkehrende • Bestrafung wegen illegalen Aufenthalts regionalen Partner und alle neu im Wege zur Wiedereingliederung • FAQ Asylsozialhilfe Asyl- und Flüchtlingswesen tätigen Dienstag, 18. August 2020 • Härtefallregelungen im Kanton Bern Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. 13.30 bis 17.00 Uhr • Invalidenversicherung Wir freuen uns auf eine intensive • Nothilfe und kreative Zusammenarbeit in Horizonte 20/6 • Quellensteuer den nächsten Jahren. Sozialhilfe im Asyl- und Flüchtlings- • Subsidiarität bereich • Verwaltungshandeln und Verfügungen. Neue Gesetzgebung und Anwendung in der Praxis www.kkf-oca.ch/fachinfos Montag, 7. September 2020 13.30 bis 17.30 Uhr Jahresbericht 2019 Jobs4refugees.ch in der Horizonte 20/7 Schleusenwärterin Türkei Nordwestschweiz NA-BE im Fokus Aktuelle Situation, aktuelle Die Personalplattform von jobs4refu- Fluchtgründe Die KKF blickt auf ein intensives Jahr gees.ch hat expandiert. Seit Mitte Mai Donnerstag, 22. Oktober 2020 zurück. Die Neustrukturierung des 2020 sind auch Profile von Stellen- 13.00 bis 17.30 Uhr Asyl- und Flüchtlingswesens im Kanton suchenden aus der Nordwestschweiz Bern (NA-BE) forderte alle Akteure und zu finden. Dank der Partnerschaft mit Horizonte 20/8 Akteurinnen des Asylbereichs. Wie die dem Verband «z’RächtCho NWCH» fin- Konstruktives Kommunizieren in der KKF mit Information, Beratung und Wei- den nun auch Arbeitgebende aus der Betreuung terbildung sowie als Austauschplattform Nordwestschweiz passende neue Mit- Grundlagen der Gesprächsführung zur Orientierung und Unterstützung in arbeitende. Zudem erlaubt ein neuer Mittwoch, 11. November 2020 dieser Übergangszeit beitragen konnte, Filter die Auswahl des Wohnkantons der 13.30 bis 17.00 Uhr lesen Sie im Jahresbericht 2019. Stellensuchenden. Wir freuen uns über die neue Partnerschaft und hoffen auf die Anmeldeformular: www.kkf-oca.ch/jahresbericht www.kkf-oca.ch/horizonte Vermittlung vieler erfolgreicher Arbeits- Auskünfte: Daphna Paz verhältnisse. Auch im Kanton Bern stre- daphna.paz@kkf-oca.ch ben wir weitere Partnerschaften an und freuen uns über Ihre Kontaktaufnahme. www.jobs4refugees.ch Kontakt: Lisa Schädel lisa.schaedel@kkf-oca.ch 3
Tandem im Austausch Foto: zvg Carole und Runak sind eines der ersten Tandems im Projekt «zusammen hier». Die wöchentlichen Treffen möchten sie nicht mehr missen, und auch die lokale Projekt- koordinatorin Andrea Zürcher freut das geglückte Matching. «Als Andrea von ihrem neuen Projekt erzählte, war ich sofort interessiert», sagt Carole. Sie hat eine kleine Tochter, arbeitet Teilzeit als Lehrerin und hat nebenbei ein bisschen Zeit, um Neues zu entdecken. Verbindungen zum Migrationsbereich hatte sie bisher kaum. «Beim Kennenlern-Treffen war neben Carole und Runak treffen sich einmal die Woche. Sie spazieren, meiner Tandempartnerin Runak auch die Lokalkoordinato- plaudern und teilen ihr Wissen. rin von «zusammen hier» dabei; wir haben uns gegenseitig vorgestellt und den Rahmen unseres Tandems geklärt. Gleich ihre Sprachkenntnisse nun auch ausserhalb des Kurses anwen- danach stellten Runak und ich fest, dass wir sowieso beide den kann: «Ausser den Frauen im Frauentreff kenne ich fast noch einkaufen gehen mussten und nur fünf Gehminuten niemanden im Dorf, das ist traurig. Ich möchte mehr Leute voneinander entfernt wohnen. Seitdem sehen wir uns jeden kennenlernen und mit ihnen sprechen können.» Sie wünscht Montag. Ich schätze diese Begegnungen sehr.» Initiiert wurde sich später eine kleine Familie mit Kindern und freut sich dieses Frauen-Tandem von Andrea Zürcher, die selber in Lang- deshalb immer besonders, die kleine Tochter ihrer Tandem- nau wohnt und das Projekt vor Ort leitet. Interessierte Frei- partnerin zu sehen. Seit diese auf der Welt ist, steht Carole willige findet sie in ihren Netzwerken und in ihrem eigenen für ihre Familie vermehrt in der Küche. Sie will Runak bald Bekanntenkreis. einmal fragen, ob sie ihr ein paar kulinarische Tipps geben könnte, «denn Kochen ist sonst nicht so mein Ding, Runaks Runak besucht regelmässig den Frauentreff des Vereins «Lang- dagegen schon.» nau Interkulturell» und hat dort davon erfahren. Andere geflüchtete Personen erfahren von ihren Sozialarbeiterin- So ungezwungen es im Tandem läuft, ab und zu gibt es auch nen oder Deutschkursleitern vom Tandem-Angebot. Runak Unsicherheiten. So möchte Carole mit ihren Fragen Runak geniesst es, sich einmal die Woche mit Carole zu verabreden unter keinen Umständen zu nahe treten. «Ich freue mich und einfach ein bisschen Zeit mit ihr zu verbringen: «Wir gehen deshalb auf den Kurs für Tandem-Freiwillige, da werden wir zusammen spazieren und plaudern oder trinken einen Kaffee solche Unsicherheiten bestimmt miteinander besprechen kön- bei uns zu Hause. Manchmal hilft mir Carole auch mit den nen» und spricht damit den zweitägigen Fundamente-Grund- Deutschaufgaben». Runak kommt ursprünglich aus dem Irak lagenkurs an, den die KKF im Herbst anbietet. und lebt seit drei Jahren mit ihrem Mann in der Schweiz. Sie besucht einen Deutschkurs in Langnau und ist froh, dass sie Ob sie das Tandem weiterempfehlen würden? «Klar», sagt Runak und Carole ergänzt: «Ich fände es schön, wenn alle eine solche Begleitung hätten, um sich in der Gesellschaft einzu- leben». «zusammen hier» Fundamente Grundlagenkurs für Freiwillige Das Tandemprojekt «zusammen hier» richtet sich an 16./17. Oktober 2020 www.kkf-oca.ch/dienstleistungen-freiwillig-engagierte Freiwillige aus der lokalen Bevölkerung und geflüchtete Personen in den Regionen Büren a.A., Konolfingen und Langnau. Es ist kostenlos und steht allen Men- schen offen, unabhängig von Religionszugehörigkeit, Aufenthaltsstatus, Herkunft, Alter und Geschlecht. Trägerschaft des zweijährigen Pilotprojekts sind die Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn und die KKF. https://zusammen-hier.ch AsylNews, 2/2020 4
Fokus: Altern anderswo Ältere Menschen auf der Flucht Wie ergeht es älteren Menschen unterwegs auf der Flucht, in den Camps und Aufnahmelagern? Haben sie Zugang zu einem fairen und effektiven Asyl verfahren? Und unter welchen Bedingungen werden geflüchtete Menschen in der Schweiz älter? Im Fokus «Altern anderswo» beleuchtet die KKF aus verschiedenen Blickwinkeln und in unterschiedlichen Kontexten Rechte und Schutz einer vulnerablen Gruppe, die zu oft aus dem Blick gerät. Internationaler Flüchtlingsschutz Status. Biografische Brüche, Statusverlust, fehlende Unter- In diesem Fokus werfen wir einen Blick auf die internationale stützung und Gewalterfahrungen können Menschen auf der Ebene der Fluchtmigration und auf Menschen, die sich in die- Flucht einschneidend verletzen. In dieser Situation werden sem Kontext bewegen. Im internationalen Flüchtlingsschutz der aufenthalts- und arbeitsrechtliche Status und der damit und nach europäischer Gesetzgebung gelten ältere Menschen verbundene Zugang resp. Ausschluss noch entscheidender für auf der Flucht als besonders verletzliche Gruppe mit erhöhten ein gutes Altern und ein gesundes, selbstbestimmtes Alter. Schutzbedürfnissen und besonderen Rechten. Ihre Beachtung bleibt trotzdem gering, und Flüchtlingsorganisationen fehlt es Zugang und Partizipation oft an spezifischem Wissen, um ihren Schutz zu gewährleisten. Der zweite Fokus in der September-Ausgabe des AsylNews Zu starre Kategorien, das lehrt die Migrationsforschung und wendet sich der Situation älterer geflüchteter Personen in der wissen wir aus der Altersforschung, werden den individuellen Schweiz zu. Wir fragen nach Möglichkeiten und Aktivitäten, Situationen und Strategien älterer Migrierender nicht gerecht. Rechten und Spielräumen älterer Flüchtlinge, vorläufig auf- In Bezug auf ältere Personen auf der Flucht stehen jedoch genommener Personen und Sans-Papiers: Wie ist es um ihre offensichtliche Herausforderungen und Hürden im Weg – die finanzielle Absicherung im Alter bestellt? Wie offen sind die unüberbrückbare Entfernung etwa zu Wasser, Nahrung und Angebote und Einrichtungen an Wohnen, Gesundheitsvor- medizinischer Hilfe – und die praktische Nichterreichbar- sorge, Betreuung und Pflege für ihre Bedürfnisse? Welche keit von staatlichen Stellen. Diese Hindernisse können und Organisations- und Vernetzungskanäle kommen ihnen ent- müssen abgebaut werden, damit ältere Menschen gleichen gegen? Und vor allem: Wie und wo bringen sie als Akteure und Zugang finden zu einem fairen und effektiven Asylverfahren Expertinnen des Alterns in der Migration ihre Ressourcen und und menschenrechtskonformen Aufnahmebedingungen wie Kompetenzen ein, um Ungleichheit zu bekämpfen und Altern andere Gruppen von Flüchtlingen. in der Migration menschenwürdig zu gestalten? Der dritte Fokus im AsylNews vom Dezember nimmt das Altern von Vielfalt und Aufenthaltsstatus geflüchteten Personen auf dem Schauplatz des Kantons Bern Altern ist ein Prozess, Migration eine Erfahrung. Wie sie gelebt und insbesondere unter NA-BE unter die Lupe. und erlebt werden, wie ihre Biografien sich fortschreiben und verschränken, hängt von verschiedenen Faktoren und Einflüssen ab: Persönliche Voraussetzungen spielen ebenso eine Rolle wie soziale und materielle Ressourcen und sozialer 5
Fokus: Altern anderswo Die besondere Situation Ältere Migrierende bilden die Schnittmenge der beiden zentra- len – und als problematisch eingestuften – gesellschaftlichen älterer Flüchtlinge Prozesse «demographische Alterung» und «internationale Migration», sodass sie zunehmend in den Fokus der Alters- und Ältere Menschen haben keinen Zugang Migrationsforschung geraten. Die spezifische Situation von zu einem fairen und effektiven Asylver- Menschen, die auf der Flucht und im Asyl altern, wird dabei noch kaum beleuchtet. fahren. Die Hürden sind für sie nicht zu Humanitäre Zuwanderung spielt in der Schweiz eine wichti- schaffen, nicht auf den Fluchtwegen und in ge Rolle. In den 1990er-Jahren war eine starke Zunahme von den Camps, nicht in den Unterkünften der Asylsuchenden zu verzeichnen. Unter den Asylsuchenden sind potentiellen Aufnahmeländer. Zugang zu ältere Menschen deutlich unterrepräsentiert. Als ein zahlen- mässig relativ kleiner und sehr spezifischer Teil der Bevölke- Zuflucht ist deshalb oberste Priorität, um rung mit transnationaler Migrationserfahrung finden ältere soziale und ökonomische Aspekte über- Flüchtlinge bis heute wenig Aufmerksamkeit, sie werden von haupt erst diskutieren zu können. der Gesellschaft kaum wahrgenommen. «Ältere Flüchtlinge waren zu lange unsichtbar.», sagte die ehe- Hürden abbauen malige UN-Hochkommissarin für Flüchtlinge, Sadako Ogata, Die Weltbevölkerung altert, der Anteil der älteren Flüchtlinge, 1999. Auch heute, zwanzig Jahre später, sind sie es immer international je nach Kontext definiert als Personen über 55 noch. Ältere Menschen auf der Flucht gelten als besonders ver- oder 60, wird zunehmen. Ältere Flüchtlinge sind besonders letzlich und werden von Institutionen und Organisationen im gefährdet. Auf der Flucht sind sie vielen zusätzlichen Heraus- Migrationsbereich der Gruppe der vulnerablen Personen zuge- forderungen ausgesetzt. Und auch im Flüchtlingslager und in ordnet (vgl. die Aussagen von IOM, S. 9). Doch wird ihnen nicht den Aufnahmeländern stehen sie vor zahlreichen Hinder- so viel Aufmerksamkeit geschenkt wie Kindern, Frauen und nissen. Gemäss UNCHR laufen ältere Menschen Gefahr, die traumatisierten Flüchtlingen. Daher haben Organisationen, Registrierungsstellen nicht erreichen zu können, weil diese zu die Flüchtlinge unterstützen, tendenziell weniger Wissen über die Bedürfnisse älterer Flüchtlinge als über Anliegen anderer Flüchtlingsgruppen. Zahlreiche Hürden verbauen älteren Menschen den Zugang Konjunktur der Interessen zu einem fairen und effektiven Zwar bemühten sich Institutionen wie die UNO-Flüchtlings- hilfe und NGOs wie European Council on Refugees (ECRE) in Asylverfahren. den 1990er-Jahren darum, Wissen über ältere Menschen auf der Flucht zu generieren und das Thema zu lancieren. Das Inte- weit weg liegen oder weil das lange Anstehen in einer Schlange resse verebbte, bevor es zu Programmen und Finanzierungen zu kräftezehrend ist. Das gleiche Problem besteht bei Versor- gungsstellen für Nahrung, Wasser und medizinischer Hilfe. In Flüchtlingslagern und in den Aufnahmeländern können Die spezifische Situation von ungünstig gestaltete Unterkünfte die Bewegungsfreiheit von Menschen, die auf der Flucht körperlich eingeschränkten Flüchtlingen stark einschränken. altern, wird kaum beleuchtet. Zuflucht gewähren Die besondere Situation älterer Flüchtlinge verdient Beach- zum Schutze älterer Menschen auf der Flucht kam. So blieb tung, damit ältere Menschen auf der Flucht Zugang zu einem der Bedarf an Unterstützungsleistungen für diese Gruppe am fairen und effektiven Asylverfahren und menschenrechtskon- bewährten Platz, in den Transitländern. formen Aufnahmebedingungen haben. Demographie und Migration im Blickfeld www.uno-fluechtlingshilfe.de Statistisch gesehen sind ältere Flüchtlinge sowohl in der > Hilfe weltweit > Flüchtlingsschutz > Ältere Flüchtlinge Schweiz wie international eine Minderheit. Obwohl ältere Menschen schon länger Thema wissenschaftlicher und poli- tischer Diskussionen sind, erfahren ältere Migranten und Migrantinnen erst in jüngster Zeit verstärkte Aufmerksamkeit. AsylNews, 2/2020 6
Fokus: Altern anderswo Ältere Migrierende in der schen befinden, deren Kinder ausgewandert sind. King und Vullnerati (7) verwenden den Begriff «Orphan Pensioners» – Forschung verwaiste Rentnerinnen und Rentner, um zu zeigen, inwieweit diese älteren Menschen der sozialen Unterstützung beraubt Verschiedene europäische Studien widmen bleiben, wenn ihre Kinder ausgewandert sind. Mit den Mög- sich älteren Menschen mit Migrationerfah- lichkeiten der Familienzusammenführung von Migrantinnen und Migranten, die in Europa und der Schweiz etabliert sind, rung. Mit wenigen Ausnahmen konzentrieren und ihrer Eltern befasst sich ein weiterer Forschungszweig. sie sich auf die Situation der Arbeitsmig- Diese Studien bringen die Hürden zutage, die den Verfahren rantinnen und -migranten, die vor der Rente der Familienzusammenführung im Wege stehen (8). stehen und sich damit konfrontiert sehen, In ihrem Bericht im Auftrag der Eidgenössischen Kommis- im Einwanderungsland älter zu werden. sion für Migrationsfragen und des Nationalen Forums «Alter und Migration» (9) untersuchen Hildegard Hungerbühler und Wissenschaftliche Untersuchungen machen deutlich, dass Corinna Bisegger die Lebenssituation von Menschen, die in Migration, entgegen der verbreiteten Annahme, kein vorü- einem anderen Land geboren wurden, im Laufe ihres Lebens bergehendes Phänomen ist, das mit der Rückkehr in das Her- in die Schweiz gekommen sind und hier altern. Sie kommen zum kunftsland endet. Im Gegenteil: Die meisten Migrantinnen und Schluss, dass es zwar migrationsspezifische Besonderheiten Migranten bleiben nach der Pensionierung im Land, in dem gebe, die ältere Migrationsbevölkerung jedoch nicht als homo- gene Gruppe behandelt werden könne. Denn die Bezeichnung «ältere Migrationsbevölkerung» fasse eine Personengruppe, Entgegen der weit verbreiteten die in sich so unterschiedlich sei wie die Bevölkerung im Ruhe- Ansicht ist Migration kein stand im allgemeinen. Heute setzt sich die Gruppe der älteren Migrantinnen und vorübergehendes Phänomen. Migranten in der Schweiz aus Menschen aus mehr als 160 Ländern zusammen. Und auch wenn die Herkunftsregion und sie als Erwachsene gelebt haben (1), oder sie pendeln zwischen die Einwanderungsgründe unterschiedlich sind, haben doch diesem Lebensort und ihrem Herkunftsland hin und her (2). alle Migrierenden eine Erfahrung gemeinsam: Sie haben ihre Mehrere Studien zeigen die prekären Lebensbedingungen von gewohnte Umgebung verlassen und haben Verluste erlebt. Migrantinnen und Migranten im Alter auf, sowohl in Bezug auf ihre wirtschaftliche Situation (3) wie auf ihre Gesundheit (4). Je prekärer der Status, desto Eine Studie hebt vor allem die als schwierig erfahrene Kommu- nikation zwischen Geriatriefachleuten und Klienten und Kli- eingeschränkter der Zugang zu entinnen sowie die mangelnde interkulturelle Sensibilität der sozialer Sicherung. Einrichtungen und Angebote für ältere Menschen hervor (5). Mängel stellt diese Studievor allem in der Gesundheitspolitik Ihr Aufenthaltsstatus ist entscheidend für ihr Leben und verantwortlicher Institutionen fest. So würden sie sich einer- Altern hier. Denn, je prekärer der Status, desto beschränk- seits zu wenig einstellen auf die Bedürfnisse der Bewohner ter der Zugang zu Mobilität, Aufenthaltssicherheit, Bildung, und Bewohnerinnen mit Migrationshintergrund und hätten Gesundheitsvorsorge und sozialer Sicherung. es andererseits bislang verpasst, auf formelle und anerkannte Weise das Potential migrantischer Fachkräfte zu mobilisieren. (1) Sayad, 1991; Dietzel-Papakiriakou, 1993; Toullier et Baudet, 1998; Bolzman, Fibbi, 1993; 2001; Bolzman, C., Poncioni-Derigo, R., et Vial, M.,2004 Eine andere Forschungslinie zu älteren Migrierenden befasst (2) Attias-Donfut, 2006; Serra-Santana, 2000; Schaeffer, 2001 sich mit ihren Familienbeziehungen und fragt nach der Rolle (3) Bolzman, Fibbi, Vial, 1999 der Familie bei der Unterstützung älterer Personen. Diverse (4) Pitaud, 1999; Patel, 2003 (5) Christen-Gueissaz et al., 2011 Untersuchungen heben den innerfamilialen Austausch und (6) Brubaker, 1990 die konkrete Solidarität hervor, speziell in Familien, die ihren (7) King, Vullnerati, 2006 Ursprung im Süden haben. In den Beziehungen zwischen den (8) Bolzmann et al., 2008 (9) Hungerbühler, Hildegard und Bisegger, Corinna, 2012: «Und so Generationen seien die gegenseitigen Erwartungen zwischen sind wir geblieben …», Ältere Migrantinnen und Migranten in der den älteren Eltern und den Kindern ein Schlüsselfaktor (6). Schweiz Aus anderer Perspektive weisen einige Studien auf die Ver- lassenheit hin, in der sich viele zurückbleibende ältere Men- 7
Fokus: Altern anderswo Die freiwillige Rückkehr Wie Frau N. mit sechzig zurückkehrt älterer Menschen Bei ihrem ersten Termin bei der Rückkehrberatung Bern wirk- te die sechzigjährige Tamilin Frau N. gebrochen und viel älter, Ältere Migrantinnen und Migranten machen als sie es tatsächlich war. So verletzlich Frau N. jedoch wirkte, nicht die Mehrheit der freiwilligen Rückkeh- so entschlossen war sie, ihrem Leben noch einmal eine neue Wende zu geben und in ihr Herkunftsland zurückzukehren. renden aus. Die Rückkehrberatungsstelle des Kantons Bern (RKB) organisiert jedoch Frau N. flüchtete vor über zehn Jahren gemeinsam mit ihrem jedes Jahr die Rückkehr einiger älterer Men- erwachsenen Sohn vor dem Bürgerkrieg in Sri Lanka und schen. Sie haben alle ihre eigenen Gründe, in wurde in der Schweiz vorläufig aufgenommen. Beide verloren im Krieg zahlreiche Familienmitglieder und Bekannte. Doch ihr Herkunftsland zurückkehren zu wollen. auch in der Schweiz sollte die Familie vor Schicksalsschlägen nicht verschont bleiben. Der Sohn nahm sich das Leben und Die Frage des Lebensalters allein ist kein entscheidender Fak- Frau N., die bereits vor ihrer Flucht gesundheitlich angeschla- tor bei der Organisation einer Rückkehr. Um eine Rückkehr in gen war, erkrankte an einer schweren Depression. Würde zu organisieren, die tatsächlich Möglichkeiten bietet, sich im Herkunftsland wieder zu integrieren, muss die RKB Foto: IOM alle Aspekte berücksichtigen, die zu einer besonderer Verletz- lichkeit rückkehrender Menschen führen können: Wie steht es mit ihrer Mobilität? Können sie sich während der Reise selbst versorgen? Verfügen sie über Schrift- und Sprachkompetenz in mehreren Sprachen? Gibt es medizinische Probleme? In Bezug auf die Ankunft im Zielland stellen sich dann die Fragen der Betreuung und Pflege Begleitung und Betreuung: Kann sie von der Familie oder einer sozialen Einrichtung geleistet werden, zuhause oder in einem Heim? Auch die Auszahlung der AHV- und BVG-Renten muss geklärt werden. Auch nach der Pensionierung bleiben Migrierende Pionierin- nen und Pioniere. Da sie sich nicht auf bewährte Modelle des Alterns beziehen können, müssen sie neue Strategien entwi- Beim Monitoringbesuch in ihrer Wohnung bespricht Frau N. mit der lokalen IOM-Mitarbeiterin, Mary Lambert, ihre gesundheitliche ckeln. Um neue Wege zu finden, verbinden sie ihr Wissen über Siutation. das Altern mit ihren Kompetenzen der Selbstorganisation. Alle älteren Personen, mehrheitlich Frauen, die bisher mit Unter- stützung der RKB zurückgekehrt sind, hatten eine klare Vor- Frau N. verblieben in Sri Lanka zwei erwachsene Söhne, die stellung, wie ihre Rückkehr ablaufen und welche Aktivitäten inzwischen verheiratet waren. Zu ihnen wollte Frau N. nun sie zurück im Herkunftsland ergreifen wollten, um sich wieder definitiv zurückkehren. Sie selbst und ihre Familie waren einzufinden. überzeugt, dass es ihr an ihrem Herkunftsort im Kreis ihrer Familie trotz schlechterer medizinischer Versorgung besser gehen würde als in der Schweiz. Für die Organisation und Beratung zu dieser freiwilligen Rückkehr suchte Frau N. zusammen mit ihrer ebenfalls in der Schweiz lebenden Nichte die Rückkehrberatungsstelle Bern (RKB) auf. Wenige Wochen später konnte sie die Rückreise mit einer medizinischen Begleitperson aus Sri Lanka antreten, die von der Internationalen Organisation für Migration (IOM) organisiert worden war. Bei ihrer Ankunft in der Hauptstadt Colombo wurde Frau N. von ihrem Bruder empfangen. Das Wiedersehen sei für alle Familienmitglieder sehr emotional gewesen, wie Frau N.’s Nichte später berichtete. AsylNews, 2/2020 8
Fokus: Altern anderswo Frau N. erwarb sich von ihrer Reintegrationshilfe, die über Wie die IOM im Kontext der die Rückkehrberatungsstelle beim Staatssekretariat für Mig- ration (SEM) beantragt wurde, ein TukTuk, für das sie einen freiwilligen Rückkehr arbeitet Fahrer engagierte. Damit generiert sie heute ein zwar beschei- denes, aber regelmässiges Einkommen und kann so zum Die Rückkehrberatung des Kantons Bern Familieneinkommen beitragen. Mit einer Zusatzhilfe konnte (RKB) arbeitet mit der Internationalen ein zusätzliches Zimmer im Haus des Sohnes gebaut werden. Zudem erhielt Frau N. während sechs Monaten medizinische Organisation für Migration (IOM) zusam- Rückkehrhilfe für Medikamente und Therapien. men, um Projekte für Personen zu ent- wickeln, die aufgrund ihres Alters, ihrer Die Geschichte von Frau N. steht exemplarisch für viele ältere familiären Situation oder ihres Gesund- anerkannte Flüchtlinge und vorläufig aufgenommene Perso- nen, die sich dazu entschliessen, freiwillig in ihr Herkunfts- heitszustands als besonders verletzlich land zurückzukehren – und die die Möglichkeit dazu haben. gelten. Die Mitarbeitenden der IOM Bern Denn damit die freiwillige Rückkehr überhaupt eine Option geben Auskunft über ihren Ansatz und ihre ist, ist es neben der generellen und individuellen (Sicherheits-) Praxis. Lage vor Ort gerade für ältere Rückkehrende fast unerläss- lich, dass ein Familiennetz vorhanden ist, das sie aufnehmen und unterstützen kann. Dieses Glück haben längst nicht alle. E-Mail-Interview: Joëlle Hediger Insbesondere für ältere und andere vulnerable abgewiesene Asylsuchende, die kein Unterstützungsnetz vor Ort haben, Wie aufmerksam sind die Mitarbeitenden der Internationa- kann die Rückkehr in ihr Herkunftsland eine existentielle len Organisation für Migration Bern (IOM) gegenüber dem Bedrohung darstellen. Thema Alter, wenn es um die freiwillige und einvernehmliche Rückkehr geht? Die Rolle und Aufgabe der IOM-Mitarbeitenden bei der Orga- nisation der freiwilligen Rückkehr ist, alle Aspekte persön- licher und kontextbezogener Verletzlichkeit einer Person zu erfassen. Deshalb betrachten wir Alter nicht nur als Lebens- alter, also als objektive Variable, sondern berücksichtigen alle subjektiven Faktoren, die auf ein frühes Altern hinweisen. Auf- grund der indiduellen Situation einer Person und ihrer Verletz- lichkeitsfaktoren, klären wir im Herkunftsland die lokalen Gegebenheiten ab in Bezug auf die sozialen Verhältnisse, die Altersversicherung und die individuellen Voraussetzungen für eine Person. Wenn IOM Mitarbeitende feststellen, dass der präventive Schutz vor Verletzlichkeit lokal nicht gegeben ist, können sie gemäss der Richtlinie des Staatsekretariats für Migra- tion (SEM) ein Unterstützungsgesuch für Härtefälle stel- len und so für die Betroffenen spezifische Unterstützung und Leistungen im Rahmen der Rückkehrhilfe erwirken. Welchen spezifischen Ansatz verfolgt IOM, wenn es um ältere Rückkehrende geht? Ältere Menschen gehören wie andere vulnerable Personen zu einer Kategorie, die unsere besondere Aufmerksamkeit ver- langt. Das IOM-Handbuch enthält einen eigenen Abschnitt zu «älteren Menschen». Als IOM Bern sind wir uns der Pro- blematik bewusst, auch wenn die Zahl der Betroffenen bis- her zu gering ist, um eine vertiefte Analyse vorzunehmen. 9
Fokus: Altern anderswo IOM Bern beteiligt sich an Präventionsprojekten zur Bekämp- Welches sind die wichtigsten Aspekte und Hürden, die bei der fung des Menschenhandels oder zur Rückkehrbegleitung Organisation der Rückkehr älterer Menschen berücksichtigt unbegleiteter Minderjähriger. Wie wichtig ist das Thema der werden müssen? älteren Migrantinnen und Migranten, ihrer Gesundheit und ihrer sozialen Lage für die Organisation? Die Beachtung folgender Aspekte halten wir für unumgänglich: Alle Gesundheitsfragen können im Zusammenhang mit dem • Eine nachhaltige Lebensperspektive im Herkunftsland Alter eine spezielle Verletzlichkeit darstellen, sowohl in der (Zugang zu Unterstützungsquellen und medizinischer Ver- Schweiz als auch im Herkunftsland, und werden von uns sorgung im Krankheitsfall; demtsprechend berücksichtigt. Im Hinblick auf die Organi- sation einer freiwilligen – und nachhaltigen – Rückkehr orga- • Die Dimension sozialer, gemeinschaftlicher und familiärer nisieren wir in diesem Fall entweder lokale Mittel oder eine Reintegration; individuelle Reintegrationshilfe. • Alle anderen Aspekte wie auch extreme Gesundheitsbedin- Ab welchem Alter gelten Migrierende gemäss internationaler gungen stellen an sich kein Hindernis dar, sondern erfordern Standards und Konventionen als alte Menschen? eine spezielle Organisation der Rückreise mit angemessener Betreuung; Offiziell gibt es dazu keine präzisen und verfügbaren Infor- mationen. • Da ältere Menschen oft unter multiplen medizinischen Prob- lemen leiden, können medizinische Untersuchungen länger Gibt es bei der freiwilligen Rückkehr signifikante Unterschiede dauern, wodurch sich die Organisation der Rückreise ver- zwischen Männern und Frauen? längert; Generell gibt es unter den Rückkehrenden wohl mehr • Je nach Integration und Lebenssituation (soziales Netz, Ein- Männer. Für die Schweiz verfügen wir nicht über die sig- kommen, usw.) dauert es länger, die Situation der Person im nifikanten Daten, die wir in Korrelation mit der Variable Herkunftsland abzuklären; Alter bringen könnten. Der Grund für allfällige Unter- schiede ist jedoch – objektiv und subjektiv – nicht alters- • Ältere Menschen haben oft keinen Zugang zu modernen bedingt, sondern hat mit den vielfältigen Gründen und Kommunikationsmitteln (Internet, soziale Medien), was Faktoren zu tun, die Menschen zur Migration bewegen. ihre Kontakte im Herkunftsland einschränken kann; Würden Sie sagen, dass das Alter ein echtes Handicap dar- • Wenn Personen in Konflikt stehen mit ihrer Familie, ist es stellen kann bei der Organisation der freiwilligen Rückkehr schwierig, im Herkunftsland sicherzustellen (möglicherwei- und der Rückkehrhilfe? se mit den Sozialdiensten vor Ort), dass sie eine angemessene Betreuung erhalten; Eher als ein Handicap an sich ist das Alter ein zusätlicher Vulnerabilitätsfaktor im Zusammenhang mit anderen. Eine • Manchmal können Menschen aufgrund medizinischer Person mag aufgrund eines Lebens in Instabilität und Schwie- Probleme oder Angst nicht mit dem Flugzeug reisen. Dann rigkeiten mit 65 Jahren in einen physischen und psychischen müssen wir andere Transportmöglichkeiten finden; Gesundheitszustand sein, der als prekär bezeichnet werden kann. Doch das Lebensalter ist nicht der ausschlaggebende • Die Abhängigkeit von externer materieller Unterstützung Faktor. Entscheidender sind die medizinischen Probleme und kann ein grosses Hindernis darstellen für die Reintegra- die soziale Integration im Herkunftsland. tion älterer Menschen, insbesondere in Ländern, in denen In bestimmten Fällen kann das Alter jedoch schon ein Handi- Renten- und Versicherungssysteme schlichtweg keine Option cap darstellen. Im Zusammenhang mit der Reintegration im sind. Herkunftsland impliziert das Lebensalter nämlich, dass die Person oft nicht in der Lage sein wird, eine einkommensschaf- fende Tätigkeit aufzunehmen, folglich von den öffentlichen Institutionen vor Ort oder vom familiären und sozialen Netz abhängig bleiben wird. Ohne Unterstützung von dieser oder jener Seite kann sie sich auf längere Frist in einer sehr verletz- lichen sozioökonomischen Situation wiederfinden. AsylNews, 2/2020 10
Fachinformationen Asylwesen Schweiz Tempo vor Fairness Die Schweizerische Flüchtlingshilfe SFH zieht eine kritische- re Bilanz. Zwar befürwortet sie das neue System und dessen Zielsetzung, rasche und faire Verfahren durchzuführen bei Ein Jahr neue Asylverfahren gleichzeitiger Stärkung der Rechte der Asylsuchenden durch kostenlose Rechtsvertretung und Beratung ab Verfahrensbe- – eine erste Bilanz ginn. Doch werde der Akzent seitens des SEM derzeit einseitig auf das Tempo gelegt – zu Lasten von Fairness und Qualität. Seit Inkrafttreten des neuen Asylgesetzes Insbesondere vulnerablen Personen mit psychischen oder am 1. März 2019 wird ein Grossteil der physischen Leiden blieben in den beschleunigten Verfahren oftmals nicht genügend Zeit, diese zu beweisen und Sachver- Asylgesuche in beschleunigten Verfahren halte würden nur ungenügend abgeklärt. Die Rechtsprechung behandelt. Während das Staatssekretariat des Bundesverwaltungsgerichtes (BVGer) belege diese Kritik. für Migration (SEM) nach einem Jahr eine So liege die Rückweisungsquote nach Beschwerden gegen den positive Bilanz zieht, weisen verschiedene erstinstanzlichen Entscheid im ersten Jahr bei Fällen nach neuem Recht mit 15 Prozent deutlich höher als jene in den ver- öffentliche Institutionen und zivilgesell- gangenen Jahren (4.8 Prozent zwischen 2007 und 2018). Die schaftliche Organisationen auf Mängel im hohe Rückweisungsrate verweist auf die kurzen Behandlungs- neuen System hin. fristen und damit den Zeitdruck im beschleunigten Verfahren (siehe dazu auch S.12). Die Schweiz nimmt international eine Vorreiterrolle ein mit Effizienz vor Qualität ihren beschleunigten Verfahren. Asylsuchende, deren Gesuch Auch die Richterinnen und Richter des BVGer unterliegen seit in einem Dublin- oder beschleunigten Verfahren behandelt März 2020 einem enormen Zeitdruck. Bei Nichteintretensent- wird, bleiben neu für die Dauer des Verfahrens (max. 140 Tage) scheiden stehen dem Gericht fünf Arbeitstage, bei beschleu- in einem Bundesasylzentrum (BAZ). Dies betraf 2019 vier von nigten Verfahren zwanzig und bei erweiterten Verfahren fünf Gesuchen und damit deutlich mehr als die ursprünglich dreissig Kalendertage zur Verfügung, um zu einem Urteil zu erwarteten 60 Prozent aller Gesuche. Erhalten Asylsuchende gelangen. Im ersten Jahr gelang es dem BVGer, bei 70 Prozent im beschleunigten Verfahren einen negativen Asylentscheid oder müssen gemäss Dublin-Abkommen die Schweiz verlas- sen, verbleiben sie bis zur Ausreise in den BAZ. Nur Personen Bei Nichteintretensentscheiden mit einem Schutzstatus und Asylsuchende, für die es ein erwei- stehen dem Gericht fünf Arbeits- tertes Verfahren braucht, werden den Kantonen zugeteilt. tage zur Verfügung, um zu einem Damit die Rechtsstaatlichkeit trotz kürzerer Verfahrens- und Beschwerdefristen gewährleistet bleibt, haben sämtliche Asyl- Urteil zu gelangen. suchende Anspruch auf eine kostenlose Rechtsberatung und Rechtsvertretung. der Fälle diese gesetzlich vorgegebenen Fristen einzuhalten, bei den weiteren Fällen gab es gemäss Gericht nur gering- Aus Behördensicht erfolgreich fügige Verzögerungen. Es stellt sich die Frage, ob so kurze Das Staatssekretariat für Migration (SEM) zieht ein Jahr nach Fristen nicht die Entscheidqualität beeinträchtigen. Gerade der Einführung der beschleunigten Asylverfahren eine posi- beim BVGer, das als zweite Instanz einen zentralen Pfeiler des tive Bilanz. So werden die Asylverfahren im Durchschnitt rechtsstaatlichen Kontroll- und Schutzmechanismus darstellt, innerhalb von 50 Tagen und somit deutlich rascher als früher muss diese weiterhin Prioriät haben. abgeschlossen. Zudem ist die Zahl der freiwillig ausreisenden Personen klar gestiegen. Einen Grund dafür sieht das SEM Wenig Handlungsspielraum für den Rechtsschutz unter anderem in der Einführung eines degressiven Modells Damit die rechtsstaatlich korrekte und faire Durchführung der Rückkehrhilfe, wonach Personen in beschleunigten Ver- der Verfahren sowie die Qualität der Asylentscheide gewähr- fahren eine höhere Unterstützung erhalten, je früher sie sich leistet ist, fordert die SFH daher mehr Zeit für die einzelnen für eine freiwillige Rückkehr in ihre Herkunftsländer entschei- Verfahrensschritte und eine flexiblere Handhabung der Fris- den. Zudem führe auch der kostenlose Rechtsschutz während ten. Ausserdem müsse die siebentägige Beschwerdefrist in den der gesamten Verfahrensdauer zu einer höheren Akzeptanz beschleunigten Verfahren erweitert werden. Dass das SEM der Asylentscheide. sogar deutlich mehr Fälle im beschleunigten Verfahren ent- Grundsätzlich sei die Einführung der beschleunigten Ver- scheidet als ursprünglich vorgesehen, wirft ebenfalls kritische fahren daher ein Erfolg, wie das SEM Anfang Februar 2020 Fragen auf: Gemäss SFH werden bisher noch viele komplexe bekannt gab. Es gebe aber auch noch einige Herausforderun- Fälle dem beschleunigten Verfahren zugewiesen, so dass keine gen zu bewältigen, beispielsweise in den Abläufen der Zusam- sauberen Einzelfallabklärungen durchgeführt werden können. menarbeit mit den Rechtsvertretungen. Dass in den Abläufen und Prozessen der Zusammenarbeit mit 11
Fachinformationen den Rechtsvertretungen Verbesserungen nötig sind, räumt «Die systemischen Mängel, die mit dem Zeitdruck des Ver- auch das SEM ein. Hierzu fordert die SFH eine Zusammenarbeit fahrenstaktes auftreten, kann auch die Rechtsvertretung, die auf Augenhöhe, bei der dem Rechtsschutz ein grösserer Hand- von Beginn des Verfahrens an zur Verfügung gestellt wird, lungsspielraum eingeräumt wird. Ansonsten könne dieser nicht ausreichend kompensieren», sagt Rechtsanwältin Mullis. seine zentrale Aufgabe im neuen System nur begrenzt wahr- Dies gelte umso mehr, wenn berücksichtigt werde, dass die nehmen und ein wichtiges Ziel der neuen Asylverfahren, näm- zugewiesene Rechtsvertretung nach Eröffnung eines negativen lich rasche und faire Verfahren, könne nicht erreicht werden. Entscheides das Mandat niederlegen kann. Im beschleunig- ten Verfahren bedeutet das, dass während einer laufenden BVGR, Asyl, 23.03.2020: Bundesverwaltungsgericht hält neue Fristen Beschwerdefrist von lediglich sieben Arbeitstagen mitgeteilt weitgehend ein wird, der bisherige Rechtsbeistand stehe für eine Beschwerde www.bvger.ch > Medien > Medienmitteilungen nicht zur Verfügung. Die betroffene Person muss sich in die- sem Fall entweder an eine externe Rechtsvertretung wenden SEM, 06.02.2020: Beschleunigte Asylverfahren: Erste Bilanz www.sem.admin.ch/sem > Aktuell > News oder selbständig eine Beschwerde einreichen. «Das ist eine Mandatsniederlegung zur Unzeit und wäre mir durch meine SFH, 04.02.2020: Beschleunigung darf nicht auf Kosten von Fairness anwaltschaftlichen Standesregeln untersagt». und Qualität gehen www.fluechtlingshilfe.ch > Medien > Medienmitteilungen 2020 In der Praxis müsse auch Annina Mullis Anfragen von Asylsu- chenden nach externer Rechtsvertretung meistens ablehnen, da derart kurzfristig nicht genügend Zeit vorhanden sei für Aktenstudium, Instruktionsgespräch und Redaktion einer Die unentgeltliche Rechtshilfe kann die Beschwerde. Dementsprechend müsse angenommen werden, kurzen Fristen nicht kompensieren dass Betroffenen nach einem negativen Entscheid regelmässig der Zugang zu (ausreichender) juristischer Beratung und Ver- Die auf 15 Prozent gestiegene Rückweisungsquote des Bundes- tretung fehle. verwaltungsgerichts (BVGer) kann als Gradmesser für unvoll- ständige Sachverhaltsabklärungen durch das SEM gelesen werden. Gemäss den Zahlen, die vom BVGer Ende Februar Reisefreiheit für Flüchtlinge weiter 2020 veröffentlicht wurden, stellte die Beschwerdeinstanz die meisten Abklärungslücken bei den jeweilig geltend gemachten eingeschränkt Asylgründen. gemachten Asylgründen an sich fest. An zwei- Anerkannte Flüchtlinge und vorläufig aufgenommene ter Stelle steht die mangelhafte Untersuchung medizinischer Flüchtlinge haben grundsätzlich Anspruch auf einen Probleme der Beschwerdeführenden – dies sei nicht zuletzt Reiseausweis, mit welchem sie ins Ausland und wieder dem Umstand geschuldet, dass die Verfahrensabläufe in den zurück in die Schweiz reisen können. Lediglich Reisen BAZ nicht auf das Erkennen psychischer Probleme ausgerichtet in den Herkunfts- oder Heimatstaat sind nicht erlaubt, seien, sagt Annina Mullis, Rechtsanwältin und Vorstandsmit- weil diese der Flüchtlingeigenschaft widersprechen glied der Demokratischen Juristen und Juristinnen Schweiz. würde. Eine Missachtung kann zur Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft und dem Widerruf des Asyls Obwohl viele Asylsuchende durch Erlebnisse im Herkunfts- oder der vorläufigen Aufnahme in der Schweiz führen. staat oder auf der Flucht unter Traumafolgestörungen leiden, Seit 1. April 2020 sind die Gesetzes- und Verordnungsän- stünden insbesondere somatische und übertragbare Krank- derungen in Kraft, welche die Reisefreiheit für Flücht- heiten im Fokus der medizinischen Abklärungen im BAZ. Dies linge weiter einschränken. So können in Zukunft auch zeige bereits ein Blick auf den standardisierten Gesundheits- Reisen in bestimmte Nachbarstaaten der Heimat- oder fragebogen, in welchem lediglich eine von neunzehn Fragen Herkunftsländer verboten werden, wenn der Verdacht implizit auf die psychische Verfassung abziele: «Schlafen Sie besteht, dass hierdurch das Heimatreiseverbot umgan- gut?» gen werden soll. Wer trotzdem eine entsprechende Reise antreten will, kann bei Vorliegen von wichtigen per- Die kurzen Behandlungsfristen im beschleunigten Verfahren sönlichen Gründen wie Tod oder schwerer Krankheit reichten regelmässig nicht aus, um die Indizierung psychia- enger Familienangehöriger ein Gesuch an die kantonale trisch-psychologischer Behandlung zu erkennen, geschweige Migrationsbehörde stellen. Diese leitet das Gesuch an denn eine Therapie zu beginnen und einen Fachbericht ein- das Staatssekretariat für Migration (SEM) zur Beurtei- zuholen. Auch die Beschaffung von Beweismitteln im Her- lung weiter. kunftsstaat kann einige Zeit in Anspruch nehmen, weshalb Welche Länder von der neuen Regelung genau betroffen es besonders stossend erscheint, wenn – wie bei Fällen von sein werden, ist zurzeit noch nicht bekannt. Das SEM Annina Mullis geschehen – in Aussicht gestellte medizinische muss diese noch definieren und bekannt geben. Erst Unterlagen und Beweismittel nicht abgewartet und stattdessen dann wird das Reiseverbot wirksam. in antizipierter Beweiswürdigung als unerheblich verworfen werden. AsylNews, 2/2020 12
Fachinformationen Umsetzung NA-BE: lektivunterkünfte Eschenhof (Gampelen), Bözingen (Biel) und Aarwangen. Aufgrund der Massnahmen gegen die Coro- Die wichtigsten Änderungen na-Pandemie verzögerte sich die Umplatzierung in die Zent- ren, bis Juli soll sie aber nach Plan abgeschlossen sein. Alle drei Per 1. Juli 2020 wird die Neustrukturierung Rückkehrzentren werden im Auftrag der Sicherheitsdirektion des Asyl- und Flüchtlingsbereiches im des Kantons Bern von der ORS Service AG geführt. Der finan- zielle Rahmen der Nothilfe bleibt gleich, die Ausrichtung wird Kanton Bern umgesetzt. Die groben Leit- jedoch mit strikteren Anwesenheitsregelungen verknüpft sein. planken sind bekannt – viele Detailfragen hingegen sind noch ungeklärt. Unterbringung in Kollektivunterkünften Mit NA-BE werden auch die neuen Transferkriterien für den Die Abkürzung NA-BE für «Neustrukturierung des Asyl- und Wechsel von einer Kollektivunterkunft in eine individuelle Flüchtlingsbereichs im Kanton Bern» ist seit über zwei Jah- Wohnung wirksam. Fortan sollen Asylsuchende, vorläufig auf- ren im bernischen Asylwesen in aller Munde. 2019 wurden genommene Personen und anerkannte Flüchtlinge erst in eine neue regionale Partner für die Betreuung, Unterbringung, Individualunterkunft wechseln können, wenn sie mindestens Fallführung und Integration im Asyl- und Flüchtlingsbe- Sprachniveau Stufe A1 erreicht haben und eine Erwerbstätig- reich gesucht und im März 2020 wurde der Entscheid auch in keit oder Ausbildung im Rahmen von mindestens 60 Prozent der Region (Emmental-Oberaargau) definitiv bestätigt. Die absolvieren. Ausnahmen sind lediglich für vulnerable Perso- Beschwerde der Heilsarmee Flüchtlingshilfe gegen die Vergabe nen vorgesehen. Eine Rückplatzierung von Personen, die diese des Zuschlags an die ORS Service AG wurde vom Berner Ver- Kriterien nicht erfüllen, sich aber bereits in der zweiten Phase waltungsgericht abgelehnt. Damit ist klar, dass die definitive (Unterbringung in Wohnungen, Wohngemeinschaften usw.) Übergabe per 1. Juli 2020 in allen Regionen erfolgt. Aber was befinden, ist jedoch nicht vorgesehen. ändert sich genau im Sommer? Auszahlung der Sozialhilfe Neue Zuständigkeiten Höhe und Umfang der finanziellen Leistungen für anerkannte Ab Mitte 2020 ist die Gesundheits-, Sozial- und Integrations- und vorläufig aufgenommene Flüchtlinge sind wie bis anhin an direktion (GSI), konkret das Amt für Integration und Soziales die Regelungen der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe (AIS), für alle Personen des Asyl- und Flüchtlingsbereiches (SKOS) angelehnt. Asylsuchende und vorläufig aufgenomme- zuständig. Ausgenommen sind einzig abgewiesene Asylsu- ne Ausländerinnen und Ausländer, die seit weniger als sie- chende, diese bleiben auf kantonaler Ebene in der Zuständig- ben Jahren in der Schweiz sind, erhalten weiterhin die tiefer keit des Amtes für Bevölkerungsdienste (ABEV), welches der angelegte Asylsozialhilfe. In der Deckung des Grundbedarfs Sicherheitsdirektion (SID) angehört. sind kaum Abweichungen zum heutigen System vorgesehen. Die GSI delegiert die operative Verantwortung für die Aus- Weitere Aspekte der finanziellen Abgeltung wie Einkommens- richtung der Sozialhilfe, die Unterbringung, die Betreuung freibeträge, Erwerbsunkosten, Integrations- und Motivations- und die Integrationsförderung an öffentlich-rechtliche und zulagen oder situationsbedingten Leistungen sind noch nicht private Trägerschaften, die sogenannten regionalen Partner. abschliessend geklärt. Die Übertragung von vorläufig aufgenommenen Auslände- Kantonale Rückkehrzentren rinnen und Ausländern an die Gemeinden nach sieben Jahren Personen, die einen rechtskräftigen Wegweisungsentscheid Aufenthalt (VA7+) wird zudem an strengere Integrationskrite- erhalten haben, werden ab April 2020 gestaffelt in spezielle rien geknüpft. So sollen nicht erwerbstätige VA7+ nicht mehr Rückkehrzentren transferiert. Vorgesehen sind die drei Kol- automatisch an die Gemeinden übertragen werden. Ab 1. Juli 2020 zuständig für die Unterbringung und Betreuung im Asyl- und Flüchtlingsbereich Perimeter Regionaler Partner Bern-Stadt und Umgebung Kompetenzzentrum Integration der Stadt Bern (KI), [Betrieb der Kollektivunterkünfte durch die Heilsarmee Flüchtlingshilfe (HAF)] Bern-Mittelland Schweizerisches Rotes Kreuz Kanton Bern (SRK) Bern Jura und Seeland Schweizerisches Rotes Kreuz Kanton Bern (SRK) Emmental-Oberaargau ORS Service AG Berner Oberland Asyl Berner Oberland (ABO) 13
Fachinformationen Neue Gesetze und grosse Unsicherheit Verordnung über die Die Grundlage für die Umstrukturierung und Ausrichtung der Sozialhilfe wird in neuen Gesetzen konsolidiert. Während Sozialhilfe im Asyl- und auf Gesetzesstufe alle notwendigen Änderungen erfolgt sind, befanden sich die präzisierenden Verordnungen im Mai 2020 Flüchtlingsbereich teilweise noch in Bearbeitung. Es ist deshalb aktuell nicht möglich, die Änderungen per 1. Juli 2020 abschliessend zu beurteilen. Ebenso sind die regionalen Partner noch in der Aufbauphase und es kann in vielen Bereichen noch nicht auf- Auf den Verordnungsentwurf, den die gezeigt werden, wie die Konzepte von NA-BE, insbesondere die Gesundheits-, Sozial- und Integrations- Integrationsförderung mit dem Ziel einer raschen Integration direktion der Kantons Bern (GSI) Anfang in den Arbeitsmarkt, in der Praxis effektiv umgesetzt werden. 2020 in die Vernehmlassung schickte, gab Kontinuität bei UMA/UMF es kritische Rückmeldungen, insbesondere Am wenigsten spürbare Änderungen dürfte es im Bereich der zum vorgesehenen Betrag für die Grund- unbegleiteten minderjährigen Asylsuchenden und Flüchtlinge bedarfsdeckung. Nun kürzt der Regierungs- geben. Den Zuschlag für deren Betreuung hat die bisherige rat des Kantons Bern die Sozialhilfe für Organisation Zentrum Bäregg GmbH erhalten. Sie kann ihren Auftrag somit fortführen. vorläufig Aufgenommene weniger stark als vorgesehen. Es muss alles darangesetzt werden, dass die Arbeitsmarkt- integration von Personen aus dem Asylbereich gelingt. Das ist unbestritten. Dessen ungeachtet muss die Sozialhilfe ein menschenwürdiges Leben in bescheidenem Rahmen gewährleisten. Deshalb ist es erfreulich, dass die GSI die kritischen Rückmeldungen zur neuen Verordnung über die Sozialhilfe im Asyl- und Flüchtlingsbereich (SAFV) sowie zur Änderung der Verordnung über die öffentliche Sozial- hilfe (SHV) geprüft und die Höhe des Grundbedarfs für den Lebensunterhalt (GBL) überarbeitet hat. Die gegenüber der Vernehmlassungsvorlage angepassten Unterstützungsansätze sehen für eine vorläufig aufgenom- mene Person im Privathaushalt (unabhängig ihrer Aufent- haltsdauer) neu 696 Franken als Grundbedarf pro Monat vor. Damit stellt sich weiterhin die Frage, ob unter den vom Kanton vorgesehenen Bedingungen eine Integration der Betroffenen überhaupt möglich ist. Denn auch wenn die Kürzung für vorläufig aufgenommene Personen nach sieben Jahren Aufenthalt in der Schweiz nun geringer aus- fällt als vorgesehen: Der bisherige Betrag von 977 Fran- ken ist bereits sehr tief. Die nun vorgesehene Kürzung um 30 Prozent verunmöglicht die Teilhabe am sozialen Leben, was einer gelingenden Integration entgegensteht. Mit Inkrafttreten der rechtlichen Grundlagen zur Neu- strukturierung des Asyl- und Flüchtlingsbereichs im Kan- ton Bern wechselt die Zuständigkeit für den Asylsozialhilfe- bereich per 1. Juli 2020 von der Sicherheitsdirektion (SID) zur Gesundheits-, Sozial- und Integrationsdirektion (GSI). AsylNews, 2/2020 14
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