Nr. 92 Sommer 2012 Im Kunstrausch Im Weggla Im Gartelfieber - Stadt Nürnberg

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Nr. 92 Sommer 2012 Im Kunstrausch Im Weggla Im Gartelfieber - Stadt Nürnberg
Nr. 92   Sommer 2012

                       Im Kunstrausch

                       Im Weggla

                       Im Gartelfieber
Nr. 92 Sommer 2012 Im Kunstrausch Im Weggla Im Gartelfieber - Stadt Nürnberg
Mit Sicherheit das
            richtige  Engagement
              Mit Sicherheit das
              richtige
            für  Sie: Engagement
                  für Sie:
                  3,2 Mio. EUR für die Menschen vor Ort
                        3,2 Mio. EUR für die Menschen vor Ort
                  Für rund 630 Projekte, Vereine
                  undFür
                       Initiativen pro JahrVereine
                         rund 630 Projekte,
                        und Initiativen pro Jahr
                  Für Soziales, Kultur, Sport
                        Für Soziales, Kultur, Sport
                  Für Familien, Jung und
                  Alt,Für  Familien, Jung und
                       Kranke   und
                      Alt, Kranke und
                  Behinderte     – für alle
                      Behinderte – für alle

            GutGut
                fürfür
                    SieSie
                        – –
            gutgut
                fürfür
                    diedie
                        Region.
                           Region.

                                                                         Harald Neudert,
                                                                Leiter des Marktbereichs
                                                                              Harald
                                                                          Nürnberg    Neudert,
                                                                                   Nord
                                                                    Leiter des Marktbereichs

 s Sparkasse
                                                                              Nürnberg Nord

s Sparkasse
    Nürnberg
           Nürnberg
03089_A_Nbg_Heute_Img_E_St_210x270.indd 1                                             16.02.12 12:11
Nr. 92 Sommer 2012 Im Kunstrausch Im Weggla Im Gartelfieber - Stadt Nürnberg
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Editorial
„Sonic Nomad Sofa“ heißt das Kunstwerk, das den Titel dieser Ausgabe von „Nürnberg Heute“ ziert. Es kann
Lärm in harmonische Klänge verwandeln. Inspiriert von den 240 unterschiedlich langen PVC-Rohren, aus denen
das Musik-Sofa besteht, hat Stadtgrafiker Ralf Weglehner dem Soundobjekt einen neuen Farbanstrich verpasst.
Das von den Architekten und Designern René Rissland und Jürgen Lehmeier entworfene Kunstwerk ist „Auf
AEG“ zu bewundern. Dass das ehemalige Industriegelände sich längst zum Ort für kreative Köpfe aus den unter-
schiedlichsten Branchen gemausert hat, zeigt eine Bildergeschichte ab Seite 56. Foto: Timm Schamberger

Ganz Europa bewunderte ihn schon zu seinen                         anregende Kunst- und Kulturerlebnisse verheißen.
Lebzeiten als einmaligen Künstler. 500 Jahre später                „Nürnberg Heute“ stellt die Akademie der Bilden-
hat seine Strahlkraft nicht das Geringste eingebüßt.               den Künste vor und zeigt, wie sich die Dürerstadt
Nürnbergs größter Sohn Albrecht Dürer (1471 –                      als lebendige Kunstschmiede in Szene setzt.
1528) fasziniert mehr denn je. Das Germanische
Nationalmuseum führt dies vom 24. Mai bis 2.                       Stadt-Leben hat viele Seiten. Und so spürt „Nürnberg
September 2012 in der spektakulären Ausstellung                    Heute“ wieder neuen Trends nach. Wie halten Sie
„Der frühe Dürer“ vortrefflich vor Augen. Die größ-                es denn mit der Gartenarbeit? „Urban Gardening“,
te Dürer-Schau seit 40 Jahren in Deutschland löste                 so heißt das jetzt im globalisierten Zeitalter, findet
bereits vor Beginn ein beispielloses überregionales                auch in Nürnberg immer mehr praktizierende
Medienecho aus. Nach drei Jahren intensiver For-                   Liebhaber. Und nicht nur der Klimawandel bewegt
schung eröffnen die Wissenschaftler und Forscher                   so manchen Bürger dazu, auf Elektro-Fahrzeuge
spannende Blicke auf einen alten Meister, der im-                  umzusteigen. Vor allem bei den von Elektromo-
mer noch so jung wirkt, dass es einem die Sprache                  toren unterstützten Fahrrädern zeichnet sich eine
verschlägt. Also rät „Nürnberg Heute“: Unbedingt                   starke Nachfrage ab. Bei aller Innovation wissen wir
hingehen und Dürers Welt neu entdecken!                            aber auch um die Produkte, für die Nürnberg schon
                                                                   seit langem weithin berühmt ist. Dazu gehört zwei-
Da fügt es sich gut, dass die Akademie der Bilden-                 felsohne die Bratwurst. Ein Beitrag geht diesem
den Künste – die älteste Kunstakademie Deutsch-                    Phänomen auf den Grund.
lands – in diesem Jahr ihr 350-jähriges Bestehen
feiern kann. Auch deshalb hat die Stadt 2012                       Dies und mehr finden Sie wieder in Ihrem „Nürnberg
zum Jahr der Kunst ausgerufen. Rund um Dürer                       Heute“. Viel Freude bei der Lektüre und einen
und Akademie-Jubiläum rankt sich eine Reihe von                    schönen Sommer im Jahr der Kunst wünscht Ihnen
weiteren Ausstellungen und Veranstaltungen, die                    Ihre „Nürnberg Heute“-Redaktion
Nr. 92 Sommer 2012 Im Kunstrausch Im Weggla Im Gartelfieber - Stadt Nürnberg
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     Inhalt

     4   Panorama
         Museum für den 1. FCN / Prämierte
         Kaffee-Könner / Kleiner Adler fährt
         wieder im Tiergarten

     6   Profil
         Andree Köthe und Yves Ollech
                                                     8   Ob auf Balkonien oder im Garten –
                                                         es wird gegärtnert, was das Zeug hält
         geben Einblick in ihre Sterneküche

    22   Menschen                                            Kunst in allen
         Nürnbergerin ist First Lady / Solidarität           Variationen – die
         mit iranischem Menschenrechtsanwalt /
         OB Maly löst Fußball-Wette ein
                                                             Stadt zeigt sich
                                                             zum Jubiläum der
                                                             Akademie der
    36   Report
                                                             Bildenden Künste
         Auszeichnung für restaurierte Baudenk-
         mäler / Internationale Kunsthistoriker              mit dem Jahr der
         tagen in Nürnberg / Immer mehr                      Kunst von ihrer
         Touristen / Stiftung für das Klinikum
                                                             künstlerischen
                                                             Seite
    52   Blickpunkt
         Bürgerbeteiligung beim Lärmschutz /
         NürnbergMesse wächst / Gedenken
         an Neonazi-Mordopfer / Neubauten für
         Bertolt-Brecht-Schule und Langwasser-
         Bad

                                                             14
    68   Bücher & Mehr
         Dürer als Verführer / Elektrisierende
         Musik / Fränkische Rezepte / Spaziergang
         entlang der Stadtmauer
Nr. 92 Sommer 2012 Im Kunstrausch Im Weggla Im Gartelfieber - Stadt Nürnberg
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                                                       Annamaria Böckel, Alexandra Foghammar (Text),
                                                       Christine Dierenbach (Fotos)

                                                   8 Marke Eigenbau
                                                       Urban Gardening liegt voll im Trend

                                                       Birgit Ruf, Regina Urban (Text), Stefan Hippel (Fotos)

                                                  14   Dürers Erben im Digitalzeitalter
                                                       Das Kunst-Jahr feiert das Malergenie und
                                                       die älteste Kunstakademie Deutschlands

                                                       Katja Auer (Text), Peter Roggenthin (Fotos)

                                                  26   Hier geht’s um die Wurst
                                                       Von Nürnberg aus gehen Bratwürste
                                                       millionenfach in die Welt

                                                       Gabi Eisenack (Text), Roland Fengler (Fotos)

                                                  32 Ein Platz für Kinder
                                                       Der Ausbau von Betreuungsangeboten
Ein Pass für alle Fälle – auf Entdeckungs-
                                             46
                                                       ist eine Mammutaufgabe
reise durch die Metropolregion
                                                       Clara Grau (Text), Pave GmbH (Fotos)

                                                  42   Alles für den perfekten Auftritt
                                                       Die Pave GmbH sorgt für den reibungslosen
                                                       Ablauf hochkarätiger Events

                                                       Thomas Meiler (Text), Ralf Schedlbauer (Fotos)

                                                  46 Entdecker gesucht!
                                                       Ein Pass macht Kultur- und Freizeiteinrichtungen
                                                       der Metropolregion erlebbar

                                                       Edith Avram (Text), Timm Schamberger (Fotos)

                                                  56 Kreativer Aufbruch
                                                       „Auf AEG“ ist ein Mix aus Kunst, Kultur,
                                                       Forschung, Handwerk und Business eingezogen

                                                       Andreas Leitgeber, Markus Jäkel (Text),
                                                       Christine Dierenbach (Fotos)

                                                  62   Mit Strom gegen den Strom
                                                       Elektro-Fahrzeuge verbessern das Klima

                                                  72   Impressum
Nr. 92 Sommer 2012 Im Kunstrausch Im Weggla Im Gartelfieber - Stadt Nürnberg
4                                   Panorama

                                                                                      Alles Blech!
                                                                                      Eine Elektro-Droschke und weitere 350 Blechspielzeuge der von
                                                                                      1881 bis 2006 produzierenden Firma Ernst Paul Lehmann Patent-
                                                                                      werk bleiben dem Spielzeugmuseum erhalten. Da das Unternehmen
Foto: Christine Dierenbach

                                                                                      Konkurs anmelden musste, drohte eine Auktionierung der Dau-
                                                                                      erleihgabe. Dank der Unterstützung durch die Kulturstiftung der
                                                                                      Länder und des Fördervereins des Spielzeugmuseums haben die
                                                                                      Museen der Stadt Nürnberg die weltweit bedeutende Sammlung
                                                                                      erwerben können.

                                                                                                                     Museumsreife Torwart-Mütze
                                                                                                                     Ein eigenes Museum bekommt der ruhmreiche 1. FC Nürnberg.
                                                                                                                     Als erstes Stück für die Ausstellung nahm Club-Torwart Raphael
                                                                                                                     Schäfer im April 2012 die Mütze seines legendären Vorgän-
                                                                                                                     gers Heiner Stuhlfauth entgegen. Die Kappe, die bislang in der
                                                                                                                     Präsentation zur Geschichte des 1. FCN im Museum Indust-
                                                                                                                     riekultur zu sehen war, können Fans voraussichtlich ab August
                                                                                                                     2012 in dem neuen Museum bestaunen. Die Museen der Stadt
                                                                                                                     Nürnberg und der 1. FCN richten das Haus gemeinsam im neuen
                                                                                           Foto: Anestis Asnalidis

                                                                                                                     Funktionsgebäude des Clubs ein, das derzeit am Valznerweiher
                                                                                                                     gebaut wird.

                             Kaffee-Meister aus Gostenhof
                             Preisgekrönten Kaffee serviert das Team der Gosten-
                             hofer Kaffeerösterei Machhörndl. Bei den Deutschen
                             Barista-Meisterschaften im März 2012 in Mannheim
                             siegte Armin Machhörndl nach 2011 zum zweiten
                             Mal mit seinem Filterkaffee in der Kategorie „Brewers
                             Cup“. Der perfekte Milchschaum seiner Mitarbeiterin
                             Luzia Taschler überzeugte die Jury ebenfalls und wur-
                             de mit einem ersten Platz in der Kategorie „Latte Art“
                             belohnt. Die beiden Nürnberger werden Deutschland
                             im Juni bei den Internationalen Barista-
                             Meisterschaften in Wien vertreten.
                                                                                                                                                                                      Foto: Christine Dierenbach
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Panorama                                 5

                                                                                                                     Foto: Christine Dierenbach
           „Kleiner Adler“ unter Dampf
           Darauf haben Groß und Klein lange gewartet:
                                                                               Jury kürt Kurzkrimis
           Der „Kleine Adler“ tuckert wieder durch den                         Talent für Mord und Totschlag beweisen die Fran-
           Tiergarten. Der Bau der Delfinlagune hatte den                      ken zum Glück nur auf literarischem Terrain. 115
           zoologischen Eisenbahnbetrieb mehr als drei Jahre                   Einsendungen erreichten die Jury des 1. Fränki-
           lang ausgebremst. Die Zeit nutzten Auszubildende                    schen Krimipreises, den die „Nürnberger Nachrich-
           der MAN, um den Nachbau der ersten deutschen                        ten“ und der Verlag ars vivendi ins Leben gerufen
           Eisenbahn im Maßstab 1:2 in vielen Arbeitsstun-                     haben. Den mit 1 000 Euro dotierten ersten Preis
           den zu restaurieren. Der Tiergarten investierte rund                der Jury erhielt Killen McNeill mit seiner Erzäh-
           700 000 Euro in die Erneuerung und Verlängerung                     lung „Pfarrers Kinder, Müllers Vieh“ während der
           der Trasse. Auch ein neuer Pächter wurde gefun-                     Fränkischen Kriminacht im April 2012. Siegerin des
           den. Jetzt startet der Adler bereits in der Nähe des                im Internet ermittelten Publikums-Preises ist
           Haupteingangs am Giraffengehege und fährt bis                       Claudia Blendinger mit „Leise tröp-
           zum Kinderzoo.                                                      felt das Blut“. Beide Geschichten
                                                                               finden sich auch in der Antholo-
                                                                               gie „Tatort Franken No. 3“ des
                                                                               ars vivendi Verlags.

Burggraben als Paradies für Snowboarder
Snowboarden vor mittelalterlicher Kulisse – mit dieser einmaligen Möglichkeit lockte die Red Bull „Winch Dir Was“-
Tour am 19. Februar 2012 in den Vestnertorgraben. Nach dem großen Erfolg des Mountainbike-Events Red Bull
District Ride im vergangenen Sommer zeigten diesmal rund 30 Snowboarder und Trickskifahrer auf selbst präparierten
Schanzen ihr Können. Eine spezielle Seilwinde (Winch) sorgte für genug Schwung auf dem sonst flachen Gelände.                                     Foto: Christine Dierenbach
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6   Profil

    Die Meisterköche vom Weinmarkt
    Andree Köthe und Yves Ollech gehen im „Essigbrätlein“ ihren eigenen Weg

    Es gibt Feinschmecker, die nur wegen eines Restau-                 kann der sympathisch uneitle Köthe nichts anfangen. 1997 kam
    rantbesuchs nach Nürnberg reisen. Ihr Ziel ist das                 Yves Ollech (Jahrgang 1970) von den gerühmten „Schweizer
    „Essigbrätlein“ mit seiner kreativen Sterneküche. Ver-             Stuben“ in Wertheim-Bettingen als Koch ins „Essigbrätlein“.
    antwortlich für die besonderen Gaumenfreuden sind                  Nach einem Jahr lud Köthe Ollech ein, die Aufgabe des Kü-
    Inhaber Andree Köthe und sein Küchenchef Yves Ollech.              chenchefs zu übernehmen. Seither hat das Duo eine Form der
                                                                       kreativen Küchen-Partnerschaft entwickelt, die es so wohl kein
    Die Hinweise auf der Speisekarte sind frei von aufgeblasenen       zweites Mal in Deutschland gibt.
    Worthülsen. Zum Menü gehören „Rote Bete mit Kirschen“,
    „Wildsaibling mit Rettich und Quitte“, „Kartoffelscheiben mit      Gemeinsam sind sie stets auf der Suche nach neuen Geschmacks-
    Grapefruit“, „Zander mit Brokkoli“, „Lamm mit Feldsalat“ und       erlebnissen. Nach Jahren der raffinierten Gewürzküche geht es
    „Ziegenkäseeis mit Butterkaramell“. Hinter den schlichten An-      Köthe und Ollech nun mehr darum, den Naturaromen zu ihrer
    sagen stecken raffinierte Kompositionen. So ist das „Essigbrät-    Entfaltung zu verhelfen. Seit Langem spielen wieder Gemüse
    lein“ seit Langem das erste Haus in Nürnberg, wenn es um           die Hauptrolle. Bis eine neue Kreation entsteht, können Wochen
    erlesene und innovative Küche geht.                                vergehen. Es wird probiert und experimentiert. Hätte Köthe
                                                                       mehr Platz in seiner engen Küche, würde er sofort zwei zusätzli-
    In den einschlägigen Gastro-Führern sind dem Restaurant            che Köche einstellen, um mehr Zeit für die Entwicklung neuer
    Höchstnoten gewiss. Im „Michelin“ glänzt das Haus mit zwei         Gerichte zu haben. Manchmal kann es aber auch ganz schnell
    Sternen. Die Gourmetbibel „Gault Millau“ hat „Essigbrätlein“-      gehen, wie Anfang 2012, als Yves Ollech an einem Vormittag
    Chef Andree Köthe zum „Koch des Jahres“ 2012 gekürt. Mit           einen Wirsinggang schuf, wo gleich alles stimmte. Da kommt
    18 von 20 „Gault Millau“-Punkten gehört das Haus zu den            der Schöpfer selbst ins Schwärmen, wenn er von einem „abso-
    Top-Adressen im Land. Laut „Gault Millau“ ist Köthe „der           luten Kracher“ spricht.
    Pionier der deutschen Gewürz- und derzeit so modischen
    Gemüseküche“.                                                     Dabei orientieren sich Köthe und Ollech in erster Linie an
                                                                      regionalen Erzeugnissen, am besten in Bio-Qualität. Das
    Dabei ist Köthe die Auszeichnung seiner Person allein gar nicht Knoblauchsland biete hervorragende Gemüse. Gerade arbeiten
    so recht. Seinem Küchenchef Yves Ollech                                              Köthe und Ollech an einem Kochbuch mit
    stehe sie genauso zu. Auf Augenhöhe ge-            „Gerade Kreativität 50 Gemüserezepten. Salzwasserfisch wurde
    hen die beiden in dem harten Geschäft der                                            vor Jahren aus der Küche verbannt, weil
    Spitzengastronomie ihren eigenen Weg und             braucht Freiheit“               Qualität und Frische nicht konstant waren.
    setzen Trends. In dem historischen Lokal am                                          Nürnberg liegt eben nicht am Meer. Dafür
    Weinmarkt 3 entwickeln Andree Köthe und Yves Ollech immer hat das Kreativteam in der heimischen Landschaft schwarze
    wieder neue Genüsse. 1999 kreierte Ollech „Rote Bete mit Küm- Hagebutte und Wildquitte entdeckt. Bei der Suche nach unge-
    melkaramell und Roquefortcreme“ – heute längst ein Klassiker. wöhnlichen oder vergessenen Früchten unterstützt inzwischen
    „Damals kam kein Koch in Deutschland auf die Idee, Gemüse so auch ein Biologe die Meisterköche. Unbekannte Gemüse- oder
    zu verarbeiten und zu präsentieren“, sagt Ollech.                 alte Getreidesorten zu integrieren, sieht Ollech als besonders
                                                                      reizvoll an.
    Nach Ausbildung und verschiedenen Stationen in Sterneloka-
    len hat der aus Nordhessen stammende Andree Köthe 1989            Die Meisterköche vom Weinmarkt haben ihre eigene kulinari-
    im Alter von 25 Jahren das „Essigbrätlein“ übernommen. Die        sche Handschrift entwickelt. Über die Jahre haben sie ihren Stil
    Selbstständigkeit und die „Lust, sich entfalten zu können“, reiz- immer mehr perfektioniert. Ohne Zweifel gehen die beiden mit
    ten ihn. Und er fügt an: „Gerade Kreativität braucht Freiheit.“   einem hohen intellektuellen Anspruch an ihr Koch-Werk. Der
    Mit dem in manchen Spitzenküchen üblichen Kommandoton             Zuspruch gibt ihnen Recht. 30 Prozent der Gäste – insgesamt
Nr. 92 Sommer 2012 Im Kunstrausch Im Weggla Im Gartelfieber - Stadt Nürnberg
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Andree Köthe (rechts) und Yves Ollech setzen im Restaurant „Essigbrätlein“ Maßstäbe. Foto: Christine Dierenbach

mehr auswärtige als einheimische – seien treue Stammkunden.                Jahres“ ist wohl schon längst selbst ein Nürnberger. Trotz allen
Nicht wenige „Welt-Gourmet-Touristen“, so Köthe, kommen                    Erfolgs spielt er sich nicht in den Vordergrund. Auch wenn das
nur wegen des „Essigbrätleins“ nach Nürnberg. Zufällige Pas-               „Essigbrätlein“ mit seinen circa 30 Plätzen keine Chance zu
santen würden in dem historischen Sandsteingebäude mit But-                Expansion und Mehreinnahmen bietet, denkt Köthe an keine
zenscheiben wohl kaum eines der besten Restaurants Deutsch-                Veränderung in ein größeres Lokal. „Geld hat für mich nicht
lands vermuten. Eigentlich passen Ambiente und Küche nicht so              den ganz hohen Stellenwert“, erklärt der fünffache Vater.
recht zusammen. Vielleicht drückt sich aber auch so ein Grund-
muster Nürnberger Identität aus, nämlich aus der Historie                  Die Spitzenbewertungen der Gourmetführer seien natürlich eine
heraus immer wieder Neues zu entwickeln, Tradition, Boden-                 „Riesenauszeichnung“. Auch wenn dies wieder Druck erzeuge.
ständigkeit und Innovation zu verbinden.                                   Man dürfe sich nie ausruhen und müsse auch mit herben Kriti-
                                                                           ken umgehen können. Doch wenn an einem Abend aus dem
Köthe und Ollech leben mit ihren Familien gerne in Nürnberg.               Gastraum Begeisterung, vielleicht sogar Euphorie in die Küche
Durch die Stadt zu gehen, sei „immer ein tolles Erlebnis“,                 schwappt, „dann trägt das einen“, sagt Ollech.
meint Ollech. Köthe kommt „gut mit den Nürnbergern klar,
weil sie eher ein bisschen bescheiden sind“. Der „Koch des                 Siegfried Zelnhefer
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    Elfriede Tuch versteht es, der Verkehrsader Bucher
    Straße ein paradiesisches Fleckchen abzutrotzen.
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Text Annamaria Böckel / Alexandra Foghammar
Fotos Christine Dierenbach

Marke
Eigenbau
Urban Gardening liegt voll im Trend

Menschen mit grünem Daumen oder zumindest grünen Visi-
onen verwandeln Industriebrachen in blühende Gärten,
ernten Erdbeeren auf Balkonien oder servieren ihren
Party-Gästen Gazpacho mit Zutaten aus eigenem Anbau.
Urban Gardening heißt der Trend, der das Graben, Säen
und Ernten mitten in die Städte bringt.

Von Urban Gardening hat Elfriede Tuch noch nie etwas gehört,
obwohl sie eine Vorreiterin des Stadtgärtnerns ist. Vor 20 Jah-
ren begann sie, eine Baumscheibe vor ihrem Wohnhaus an der
Bucher Straße in ein kleines Paradies zu verwandeln. Pflege-
leichtes Straßenbegleitgrün ist Elfriede Tuchs Sache nicht: „Ich
wollte einen Blumengarten.“ Sie übernahm die Patenschaft für
das Erdreich rund um eine frisch gepflanzte Linde und adoptier-
te den schmalen Vorgarten vor dem Mehrparteienhaus gleich
mit. Elfriede Tuch hat in Nürnberg viele fleißige Nachahmer.
Offiziell kümmern sich derzeit 767 Paten um 1 113 Bäume im
Stadtgebiet. Interessenten, die einen Straßenbaum mit Wasser
versorgen und die Baumscheibe bepflanzen möchten, wenden
sich an den Servicebetrieb Öffentlicher Raum der Stadt Nürn-
berg. Dort gibt es nicht nur viele Tipps rund ums Grün, sondern
auch einen Pflanzgutschein über 50 Euro für die Gärtnerei der
Werkstatt für Behinderte.

Tulpen und Narzissen im Frühjahr, Rosen im Sommer und As-
tern im Herbst – fast das ganze Jahr über blüht es in Elfriede
Tuchs Beet am Rand der vierspurigen und vielbefahrenen Stra-
ße. Manchem Autofahrer, der an der roten Ampel hält, ringt
das bunte Beet ein Lächeln und Respekt vor der gärtnerischen
Leistung ab. „Es gibt Leute, die sagen: ‚Das ist das schönste
Beet in Nürnberg‘“, erzählt Elfriede Tuch voller Stolz. Gelegent-
lich ärgert sie sich, wenn wieder einmal über Nacht eine Pflan-
ze verschwunden ist, mitsamt der Wurzel ausgegraben, oder
uneinsichtige Hundebesitzer ihre Lieblinge mitten im Beet ihr
Geschäft verrichten lassen. Dennoch hat die 75-jährige Rentne-
rin die viele Arbeit und das Geld, die sie in ihren kleinen Garten
steckt, noch nie bereut. „Ich mache das für mich und für viele,
die hier vorbeifahren und sich freuen“, sagt sie.
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     Nicht neben, sondern auf grauem Asphalt stehen die         sation wie Tetrapaks und Bäckerkisten als Pflanzbe-
     Aktivisten von Bluepingu, einem 2009 gegründeten           hälter. Allerorten entstehen Anlagen, ähnlich den
     Zusammenschluss von etwa zwei Dutzend Leuten,              Community Gardens in den USA in denen eine jun-
     die „für ein ökologisches, faires und nachhaltiges         ge umweltbewusste Avantgarde Natur und Gemein-
     Franken“ eintreten. Mit Unterstützung des Umwelt-          schaft erleben möchte. Den wohnortnahen Anbau
     referats der Stadt sind sie seit Mai 2012 dabei, auf ei-   gesunder Lebensmittel verstehen die Stadtgärtner
     nem 3 500 Quadratmeter großen Parkplatz des ehe-           auch als Antwort auf die globalen Herausforderun-
     maligen Quelle-Geländes einen mobilen Stadtgarten          gen wie knapper werdende Ressourcen.
     nach dem Vorbild des Prinzessinnen-Gartens in Ber-
     lin anzulegen. Nomadengärten beleben bewusst tem-          Auf der Brache an der Wandererstraße setzen die
     porär ungenutzte Flächen mit fragwürdiger Boden-           von einem Biohändler gespendeten, mit Bio-Erde,
     qualität und recyceln Hinterlassenschaften der Zivili-     Samen und Setzlingen befüllten Reissäcke nicht nur
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farblich Akzente. „Wir bauen ökologisch Obst und        ner. 1919 bis 1922, als die Siedlung erbaut wurde,
Gemüse an und wollen dabei auch das Bewusstsein         gehörte die Selbstversorgung mit Feldfrüchten und
für alte Sorten fördern“, erklärt Joanna Nogly. Wenn    Obst zum Alltag. Supermärkte mit Gemüseabteilun-
die Saat in den unkonventionellen Behältnissen auf-     gen, die sich gegenseitig in den Preisen unterbieten,
geht, werden die Pflanzer Workshops anbieten zum        gab es noch nicht. Auch für das Ehepaar Schoberth,
Gemüse Einlegen und Marmelade Kochen. „Unser            das seit 36 Jahren gemeinsam rund 250 Quadratme-
Stadtgarten soll ein Ort der Begegnung werden“,         ter Grund bewirtschaftet, ist Erde unter den Finger-
betont das Bluepingu-Mitglied, „wir möchten ge-         nägeln keine Modeerscheinung. Monika Schoberth
meinschaftlich picknicken und auch speziell Kinder      wuchs in der Siedlung auf, schon ihre Eltern bauten
und Jugendliche zum Gärtnern animieren.“ Bevor          hier Gemüse auf Flächen an, die damals noch bis in
die Do-it-yourself-Kost der Ernte entgegen reifen       den Wiesengrund der Pegnitz reichten.
kann, braucht es allerdings noch allerlei: „Wir su-
chen nicht nur Leute, die mitmachen, sondern brau-      Setzlinge von Kohlrabi und Kopfsalat sowie Erdbeer-
chen auch noch Gerätschaften wie Schubkarren,           pflanzen bilden in den acht Schoberthschen Beeten
Spaten, Kisten, Eimer, und einen Bauwagen oder          den ersten Frühlingsflor, später kommen Gurken,
Container“, zählt Joanna Nogly auf. Auch wenn die       Tomaten und Zucchini hinzu. Finanziell lohnt sich
auf zwei Jahre geschlossene Pacht auslaufen würde,      das für die beiden Ruheständler nicht. „Die Setzkar-
sehen die Stadtgärtner von Bluepingu die Nachhal-       toffeln kosten so viel wie die Kartoffeln im Laden“,
tigkeit ihres Projekts nicht gefährdet. Die auf Pa-     stellt Monika Schoberth fest. „Aber kleine Kartof-
letten stehenden Pflanzgefäße sind transportabel        feln frisch aus dem Boden mit Knoblauch und dazu
– und an Industriebrachen mangelt es nicht in der       was vom Grill...“ Gärtnern hat eben auch etwas mit
Weststadt.                                              gutem Geschmack zu tun.

Dass der Eigenanbau von Gemüse und Blumen               Jede Mietpartei setzt bei der Nutzung der Außenflä-
nicht nur dem aktuellen Zeitgeist entspricht, son-      chen ihre eigenen Prioritäten, wie der Blick über den
dern schon vor hundert Jahren die Nachbarschaft         Gartenzaun zeigt. Hinten links wird ein Spielhäus-
ins Freie lockte, zeigt die erste von der städtischen   chen für den Nachwuchs gezimmert. Aufsteigende
Wohnungsbaugesellschaft WBG gebaute Siedlung            Rauchschwaden künden davon, dass die türkische
in Mögeldorf. Inmitten eines Dreiecks, das Wohn-        Familie mit einem der mittleren Grundstücke Ver-
blöcke entlang von Wagenseil- und Wurfbeinstraße        wandtschaft zum Grillen eingeladen hat. Und auch
begrenzen, liegen die Gartenparzellen der Anwoh-        bei Monika und Helmut Schoberth wird nicht nur

                                                                                                                Zu Füßen des
                                                                                                                Business Towers liegen
                                                                                                                die idyllischen Gärten
                                                                                                                der WBG-Siedlung in
                                                                                                                Mögeldorf (linke Seite).

                                                                                                                Auf ihrer Parzelle ist
                                                                                                                Monika Schoberth für
                                                                                                                die Erdbeeren zuständig,
                                                                                                                ihr Mann Helmut für die
                                                                                                                Kletterrose am Spalier
                                                                                                                (diese Seite).
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     gegraben, geharkt und gezupft. Eine kleine Hütte                   52 Euro Pacht pro Jahr zahlen die Nutzer des inter-
     in der Mitte ihres Gartens nutzen die leidenschaftli-              kulturellen Gartens, die aus Aserbeidschan, Rumä-
     chen Kartler im Sommer regelmäßig zum Schafkop-                    nien, Vietnam, Togo und weiteren sechs Nationen
     fen mit Freunden.                                                  stammen. Für Klaus Brock, den ersten Vorsitzenden,
                                                                        ist Morn Oung ein Paradebeispiel für das Funktio-
     Gänzlich ohne Zäune oder Hecken zwischen den                       nieren des Vereinszwecks, der neben der gemein-
     Parzellen kommt der Interkulturelle Garten im Stadt-               schaftlichen Boden-Kultivierung interkulturelles
     teil Langwasser aus. 19 Gärtnerinnen und Gärtner                   Lernen, Völkerverständigung und Integration in den
     teilen sich die im Sommer 2011 angelegte Anbau-                    Mittelpunkt stellt: „Als wir uns vergangenes Jahr
     fläche. Morn Oung kam vor über drei Jahrzehnten                    kennenlernten, waren seine Deutschkenntnisse viel
     aus Kambodscha und hat an der Ecke Breslauer und                   geringer“, erzählt Klaus Brock.
     Glogauer Straße sein Gartenglück gefunden. 21 Qua-
                                                                        Interkulturell geht es auch im Garten des Famili-
                                                                        enzentrums Imbuschstraße in Langwasser zu. Den
                                                                        Kindergarten, der hier unter einem Dach mit einer
                                                                        Krippe, einem Hort und einem Schülertreff behei-
                                                                        matet ist, besuchen 80 Mädchen und Jungen aus
                                                                        rund zehn Nationen. Alisa, Daniel, Francis und Emily
                                                                        haben sich heute zum Gärtnern gemeldet. Vorsich-
                                                                        tig streuen sie Radieschen-Samen in die Erde und
                                                                        setzen kleine Salatpflanzen in Kisten. „Immer ab-
                                                                        wechselnd eine rote und eine grüne“, sagt Hermann
                                                                        Pelzner. Der 72-jährige ehemalige Buchhändler ar-
                                                                        beitet regelmäßig mit den Nachwuchsgärtnern im
                                                                        Außengelände. „Weil wir keine Enkel haben, wollte
                                                                        ich mich ehrenamtlich um Kinder kümmern“, sagt
                                                                        er. Da er gerne etwas in der Natur unternimmt, lag
                                                                        es nahe, durch Vermittlung des Zentrums Aktiver
                                                                        Bürger beides zusammenzubringen. Viel Geduld hat
                                                                        Hermann Pelzner und erklärt, warum in jedes vor-
                                                                        gegrabene Loch wirklich nur eine Kartoffel gesetzt
                                                                        werden darf. Dafür lernen die Kinder umso schnel-
                                                                        ler. „Da dürfen wir jetzt nicht mehr rein treten“, sagt
                                                                        Francis bestimmt, als alles gesät und vergraben ist.

                                                                        Damit zarte Pflänzchen eine Chance zum Gedeihen
                                                                        bekommen und nicht unter Kinderfüßen eingehen,
                                                                        wachsen sie in Kunststoffkisten. Inge Schweiger, Lei-
                                                                        terin des städtischen Kindergartens, lobt die Vorzü-
                                                                        ge des Gartenprojekts: „Viele Kinder leben in Hoch-
          Morn Oung erntet im interkulturellen Garten in Langwasser
        Koriander, mit dem seine Frau Sang asiatische Gerichte würzt.   häusern ohne Garten. Bei uns können sie sehen, wie
                                                                        etwas wächst.“ Die Kräuter und Gemüse der Marke
                                                                        Eigenbau bereichern in der Imbuschstraße auch die
     dratmeter Grund beackert er gemeinsam mit sei-                     Mahlzeiten. Selbst die größten Schoko-Leckermäu-
     ner Frau Sang. Auf der Fensterbank vorgezogene                     ler greifen gerne zu einem Brot mit Schnittlauch aus
     Setzlinge aus Samen, die das Ehepaar in Asia-Shops                 dem eigenen Beet. Auch die reifen Johannisbeeren
     ersteht oder sich von Verwandten in Kambodscha                     hängen nicht lange am Strauch. Besonders groß ist
     senden lässt, wachsen zu Salat, Koriander und einer                der Appetit, wenn im Herbst die eigenen Kartof-
     asiatischen Kohlart heran. Mitte Mai, wenn nicht                   feln auf die kleinen Tische kommen, berichtet die
     mehr mit Frostnächten zu rechnen ist, kommt auch                   Erzieherin. Damit alle etwas bekommen, muss sie
     die Wurzel der „Sacu“-Pflanze zum Austreiben ins                   manchmal schummeln und ein paar Säcke Kartof-
     Beet, die eigentlich das feucht-heiße Monsunklima                  feln dazukaufen.
     der südostasiatischen Heimat der Oungs gewöhnt
     ist. „Sie wird hier nicht ganz so süß“, meint Sang                 Aus welchem Antrieb auch immer – ob ökologisch-
     Oung, „aber mit Zucker gekocht schmeckt sie sehr                   stadtentwicklungspolitisch aktiv, von der Freude
     gut.“                                                              an bodenständiger Arbeit mit Kindern bewegt,
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                                                           schlicht ernährungsbewusst oder angesichts stau-
                                                           ender Blechlawinen um Naturästhetik bemüht – es
                                                           wird gegenwärtig in den Städten gegärtnert, was
                                                           das Zeug hält. Davon profitiert auch der klassische
                                                           Schrebergarten, der lange Zeit als Inbegriff des
                                                           Spießertums galt. Heute klagen Kleingartenvereine
                                                           seltener über Nachwuchssorgen. Auch in Nürnberg
                                                           bringen immer mehr junge Familien und Hobbygärt-
                                                           ner mit Migrationshintergrund frischen Wind in die
                                                           insgesamt gut 8 300 Parzellen der 124 Anlagen.

                                                           Für die Soziologin und Urban Gardening-Expertin
                                                           Christa Müller ist das erst der Beginn einer neuen
                                                           Ära: „Die Epoche der billigen Lebensmittel wird in
                                                           absehbarer Zeit vorbei sein“, erklärte sie im März
                                                           bei einem Vortrag auf Einladung des Umweltrefe-
                                                           rats der Stadt. „Immer mehr Menschen haben Sehn-
                                                           sucht nach einer produktiven Tätigkeit, entdecken
                                                           das Regionale und Saisonale.“ ■

Vor dem Ernten kommt das Buddeln – das lernen die Kinder
im Familienzentrum Imbuschstraße von Hermann Pelzner.
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Text Birgit Ruf, Regina Urban Fotos Stefan Hippel

Dürers Erben
im Digitalzeitalter
Das Kunst-Jahr feiert das Malergenie und Deutschlands älteste Kunstakademie

Die Akademie der Bildenden Künste ist vor 350 Jahren gegründet worden und
damit die älteste Kunstakademie in Deutschland. Im „Jahr der Kunst“ setzt sich
die Dürerstadt Nürnberg als kreative Kunstschmiede in Szene.

Im Schatten der Bagger und Kräne duckt sich ganz       Hörl die Hochschule auch heute noch aus: „Mün-
hinten auf dem Akademie-Gelände ein unscheinba-        chen oder Düsseldorf engagieren Künstler von in-
rer weißer Container zwischen die Bäume. Mit der       ternationalem Rang als Lehrkräfte, die dann aber
Maloche für den 9,2 Millionen Euro teuren Neubau       nie wirklich mit den Studenten arbeiten müssen.
in Steinwurfweite hat der schmucklose Würfel aber      Wir machen das anders und definieren uns nicht
nichts zu tun, obwohl es auch darin laut und mit-      über Superstars. Unsere Professoren kümmern sich
unter dreckig zugeht: Hier, in der Digitalwerkstatt,   um ihre Schüler.“ Aktuell unterrichten 17 Profes-
steht der Lasercutter. Das computergesteuerte,         soren 16 Klassen, dazu kommen regelmäßig Gast-
22 000 Euro teure Hightechgerät schneidet mit ei-      professoren. Die Stelle für Gold- und Silberschmiede
nem Laserstrahl alles außer Metall – präzise, rasant   ist derzeit vakant und soll im kommenden Winterse-
und nach den digitalen Entwürfen seiner Nutzer, die    mester wieder besetzt werden.
sich gegen den ohrenbetäubenden Lärm mit Kopf-
hörern schützen. „Bildhauer machen hier ganze          Die Tatsache, dass der Freistaat während der Krise
Skulpturen aus Holz oder Kunststoff, die Grafikde-     über neun Millionen Euro für den Neubau locker ge-
signer lasern Buchstaben aus, und selbst die Maler     macht hat, sieht Hörl auch als ein Zeichen der Wert-
nutzen das Gerät, um Schablonen zu erstellen“,         schätzung. Zu der steht Wolfgang Heubisch, bay-
erklärt Anna Lang, Leiterin des Digitallabors, der     erischer Minister für Wissenschaft, Forschung und
jüngsten von insgesamt elf Werkstätten auf dem         Kunst: „Die Anziehungskraft der Nürnberger Aka-
knapp 44 000 Quadratmeter großen Areal.                demie für den künstlerischen Nachwuchs aus dem
                                                       In- und Ausland sowie das Renommee ihrer Absol-
Seit Ende der 1950er Jahre wird der künstlerische      venten belegen ihren Rang im internationalen Kon-
Nachwuchs an dem schönen Fleckchen zwischen Tier-      text“, sagt der FDP-Politiker und lobt das „junge,
                                                                                                              Ein inspirierender Ort
garten und Seniorenwohnstift in hellen Flachdach-      kreative Haus mit seinem unverkennbaren Profil“.
                                                                                                              für Nachwuchskünstler:
Pavillons ausgebildet – Studieren im Grünen. Und       Und Angelika Nollert, Chefin des Neuen Museums in      Die von Sep Ruf ent-
mit viel Tradition: Die 1662 von Jacob von Sandrart    Nürnberg, nennt die Nürnberger Hochschule „eine        worfene transparente
gegründete Nürnberger Kunstakademie ist die äl-        der wichtigen Kunstakademien Deutschlands“.            Pavillonarchitektur
                                                                                                              vereint Ateliers und
teste im gesamten deutschsprachigen Raum. „Die
                                                                                                              Werkstätten. Auf dem
erste Kunstakademie wurde von Leonardo da Vinci        Ihr Jubiläum feiert die Akademie mit zahlreichen       weitläufigen Grund-
gegründet, die zweite von der Feudalherrschaft in      Veranstaltungen und Ausstellungen – etwa zu ihren      stück der Akademie
Paris, die dritte von der Nürnberger Bürgerschaft“,    historischen Anfängen und den Arbeiten heraus-         der Bildenden Künste
                                                                                                              ist auch viel Platz zum
sagt Hanns Herpich, Ex-Präsident der Hochschule.       ragender Absolventen. Schließlich hat der Minia-
                                                                                                              Arbeiten im Freien.
Und man merkt: Er ist noch heute stolz darauf.         turmaler August Johann Rösel von Rosenhof (etwa
                                                       1725) hier ebenso studiert wie der Maler Richard
Bodenständigkeit, Fleiß und Bescheidenheit – das       Lindner (1922-27) und der Grafiker und Maler
zeichnet laut dem amtierenden Präsidenten Ottmar       Michael Mathias Prechtl (1950-56).   (Forts. S. 18)
16

                                      Michael Munding (52) ist der Dienstälteste der
                                      17 Professoren. Seit 1998 unterrichtet er Freie
                                      Malerei und Kunsterziehung an der Laufer
                                      Akademie-Dependance, wo er selbst studiert hat.

                                                            Medien und die Befähigung der Studenten, Stellung
                                                            zu beziehen und ihre künstlerischen Konzepte im
                                                            Diskurs zu vermitteln, zu Schwerpunkten der Aus-
                                                            bildung machte.

                                                            Die Hochschulreform von 2007 dagegen sieht er
                                                            äußerst kritisch. Noch ist von der Umstellung auf
                                                            Bachelor- und Masterabschlüsse nur der Aufbau-
                                                            studiengang „Architektur und Stadtforschung“
                                                            betroffen, doch gilt das Modulsystem mit seinen
                                                            Leistungspunkten seitdem auch für die mit dem
                                                            Staatsexamen abschließenden Kunsterzieher. Die-
                                                            se verschulte Art der Wissensvermittlung stehe im
                                                            Widerspruch zur eigenständigen künstlerischen For-
                                                            schungsarbeit, sagt Munding und bemüht sich im
                                                            Unterricht weiter um größtmögliche Freiheit.

                                                            Dass die Akademie „als autonome Forschungsein-
                                                            richtung“ bestehen bleibt, ist sein größter Wunsch
     Die Zeit der Kunsterzieher in der Laufer Kaiserburg    für die Zukunft. Wichtig sei der Erhalt des Klassen-
     ist gezählt. 2013 sollen die zwei Klassen von Mi-      prinzips, das den Studenten semesterübergreifend
     chael Munding und Jochen Flinzer mit zusammen          „Diskursfeld und Schutzraum bietet“: „Das ist ein
     102 Studierenden in den Akademie-Neubau am             bisschen wie in der Familie: Unterschiedliche Jahr-
     Tiergarten umziehen. Größter Vorteil aus Mundings      gänge lernen voneinander. Der Klassenverbund ist
     Sicht: „Die Studenten müssen dann nicht mehr so        ein absolut schützenwertes, hohes Gut.“
     viel Zeit in der S-Bahn verbringen.“ Bislang pendeln
     die angehenden Kunsterzieher oft zweimal täglich,      Munding lobt die flache Hierarchie an der Kunst-
     da Bibliothek und Werkstätten sowie die begleiten-     akademie, nennt die Teilhabe der Studierenden an
     den Fächer wie Kunstgeschichte oder Fachdidaktik       der Geldmittelverwaltung „vorbildlich geregelt“
     in Nürnberg untergebracht sind. Den großen Kaiser-     und freut sich über die künstlerische Vielfalt seiner
     saal in Lauf, „wo man ungestört großformatig arbei-    Klasse. Während seine Studenten stark medial arbei-
     ten kann“, werden der Professor und seine Schütz-      ten, ist seine eigene Kunst durchaus altmeisterlich
     linge wohl vermissen. Dennoch sieht Munding den        zu nennen. Seine zu Hochglanzmalerei geadelten
     Umzug nüchtern. „Im Rahmen des Studiums ist es         Postkarten-Idyllen und die großen Landschaftspa-
     auf jeden Fall eine Erleichterung.“                    noramen präsentieren kitschige Sehnsuchtsmotive,
                                                            die uns malerisch virtuos, mit feiner Ironie und einer
     Er selbst hat sich immer wieder für eine inhaltliche   doch auch ganz ernsthaften Wertschätzung neu vor
     Verbesserung des Studiengangs eingesetzt. So war       Augen geführt werden. Eine Schule der Wahrneh-
     Munding auch an der Reform der Prüfungsordnung         mung, die danach fragt, welche Bilder wir uns von
     beteiligt, die die Auseinandersetzung mit den neuen    der Welt machen.
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                                         Joanna Maxellon (42) studierte Philosophie und
                                         klassische Literatur in Polen, bevor sie 1995 an die
                                         Nürnberger Kunstakademie zu Hanns Herpich kam.
                                         Seit 2003 ist sie Assistentin von Ottmar Hörl.

Zeit, Vergänglichkeit, Identität sind die Themen von    wuchs experimentieren und sich erproben konnte.
Joanna Maxellon, die sich nach einem Stipendium         Immerhin: Ein gutes Stück davon sieht Maxellon in
am Zentrum für Kunst und Medientechnologie in           Nürnberg noch bewahrt. Die mit knapp 300 Studie-
Karlsruhe zunehmend auf das Schreiben, Erzählen         renden sehr kleine Institution biete viele Vorteile.
und Filmemachen verlegt hat. Mehrfach wurde sie         „Man ist hier sehr mobil, alle kennen sich und ler-
mit Autorenstipendien ausgezeichnet. In der Bild-       nen voneinander. Die Professoren setzen auf Aus-
hauerei-Klasse von Ottmar Hörl unterrichtet sie Film    tausch und bemühen sich darum, die Menschen zu
und installatives Arbeiten. Zudem kümmert sie sich      Persönlichkeiten auszubilden.“
unter anderem um Workshop-Angebote mit Gast-
künstlern und die Organisation von Klassenausstel-      Wünschen würde sich Maxellon größere Flächen
lungen.                                                 und Außenateliers. „Die Pavillon-Architektur von
                                                        Sep Ruf ist wunderschön, aber für die heutige Kunst
Dabei widmet sich Maxellon allen Aufgaben mit           völlig ungeeignet.“ Den Einwand, die Akademie sei
beeindruckendem Engagement. Den aktuellen Zu-           aufgrund ihrer Randlage zu wenig präsent in der
stand der deutschen Kunstakademien beurteilt sie        Stadt, lässt sie nicht gelten. „Man kann hier konzen-
kritisch: Die Strukturen seien nicht mehr zeitgemäß,    triert und in Ruhe arbeiten.“ Präsenz habe nichts mit
es fehle der Mittelbau, sagt sie, und nennt als Ge-     der Lage zu tun, sondern damit, „wie die Künstler
genbeispiel das Tutorensystem in England, das den       mit ihren Arbeiten nach außen wirken.“
Studenten eine bestmögliche individuelle Betreuung
gewähre. In Nürnberg gibt es nicht einmal für die       Dass sie etwas bewirken können, davon ist Joan-
Hälfte der Klassen einen Assistenten.                   na Maxellon zutiefst überzeugt. „Mit Kunst kann
                                                        man mehr verändern als mit Demonstrationen. Der
Auch die sehr frühzeitige Professionalisierung hier-    Künstler kann ungestraft einen kompromisslosen
zulande betrachtet sie mit Skepsis. „Die Studenten      Blick auf die Gesellschaft werfen, Kritik üben und
haben schon im ersten oder zweiten Semester ein         wichtige Diskurse befördern.“ Natürlich sei das auch
Portfolio. Sie sind sofort in der Öffentlichkeit, man   eine idealistische Vorstellung, sagt Maxellon, doch
wirft sie ins kalte Wasser.“ Früher seien die Akade-    eins steht für sie außer Frage: „An den Kunstakade-
mien auch Schutzraum gewesen, in dem der Nach-          mien muss es mehr Visionäre geben.“
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                                   Caspar Hüter (32) kam nach dem Architekturstudium
                                   in Frankfurt 2009 für den Aufbaustudiengang „Kunst
                                   und öffentlicher Raum“ nach Nürnberg. Er ist auch
                                   Sprecher der Studentenschaft.

     Seit zwei Jahren arbeitet der gebürtige Hesse, der       Gängen arbeiten müssen. Und er lobt die offene
     aus einer traditionsreichen Steinmetz- und Bildhau-      Atmosphäre und die demokratischen Strukturen an
     erfamilie stammt, bevorzugt mit alten Jalousien. Er      der Akademie. Als Studentensprecher sitzt er mit im
     zerlegt sie in ihre Einzelteile und baut sie neu zu-     Hochschulrat und im Senat, wo er die Interessen der
     sammen – zu großen flugzeugartigen Objekten, die         Studierenden vertritt. Sie dürfen auch mitbestim-
     nicht nur für Ausstellungen gedacht sind, sondern        men, wofür die Studiengebühren (die mit 300 Euro
     auch für Aktionen im öffentlichen Raum. Mit seinem       pro Semester vergleichsweise gering sind) ausgege-
     „Sturzbomber“ ist er bislang noch nicht durch Nürn-      ben werden. „In Hessen flossen die Gelder in den
     berg gelaufen. Doch an seine „street kino soap“, die     Staatshaushalt. Hier werden damit Anschaffungen
     er in der Blauen Nacht 2010 in den Karstadt-Arka-        finanziert, die sich die Akademie sonst nicht leisten
     den inszenierte, dürfte sich noch mancher erinnern.      könnte.“ Auch Workshops, Gastprofessuren und
     Wie auf einer Kinoleinwand konnten die Zuschauer         Vortragsreihen gehören dazu.
     das nächtliche Treiben verfolgen, während sie zu-
     gleich selbst zu Objekten der Anschauung wurden.         Wichtig findet Hüter zudem, dass in Nürnberg die
                                                              Freiheit der Kunst hochgehalten wird. „Andere
     Hinter solchen Projekten steht ein erweiterter Begriff   Hochschulen haben den Bachelor- und Master-
     von Bildhauerei: Der öffentliche Raum selbst wird als    Abschluss eingeführt. Das bedeutet immer eine
     soziales Gebilde zum Forschungsgegenstand. Cas-          Verschulung des Studiums und läuft auf ein Brauch-
     par Hüter findet das weit spannender als Häuser zu       barmachen für die Wirtschaft hinaus.“ Natürlich er-
     bauen. Der Diplom-Studiengang, der 1992 auf In-          fordere solche Freiheit auch viel Selbstdisziplin, doch
     itiative von Georg Hölzinger entstand, war damals        die müsse man als Künstler später auch aufbringen.
     bundesweit der erste seiner Art und gehört zu den
     Aushängeschildern der Akademie. 2003 übernahm            Caspar Hüters Wunsch zum 350. Jubiläum? Dass es
     Georg Winter den Lehrstuhl, seit Ende 2008 hat ihn       der Akademie mehr Aufmerksamkeit beschert. Zwar
     Simone Decker inne.                                      gingen die Studenten mit ihren Projekten seit eini-
                                                              gen Jahren verstärkt nach außen, doch gebe es noch
     Die Studienbedingungen in Nürnberg findet Hüter          immer viele Nürnberger, die keine Ahnung von der
     trotz der längst zu klein gewordenen Pavillons ge-       Kreativschmiede in ihrer Stadt hätten.
     radezu luxuriös. In Frankfurt habe man oft auf den
19

Miho Kasama (31) hat in Japan den Bachelor of Fine
Art – Fachrichtung Metallguss – gemacht und studiert
seit 2006 an der Nürnberger Akademie in der Klasse
für „Freie Kunst“.

 Miho Kasama, die ihr Studium bei Heike Baranowsky
 in diesem Sommersemester abschließen wird, macht
 sich über ihre Zukunft keine Illusionen: „Von meiner
 Kunst werde ich nicht leben können. Damit kann
 man gar nichts verdienen.“ Die Japanerin hat sich
 auf Fotografie spezialisiert, jedoch nicht im Sinne
 von künstlerischer Fotografie. Vielmehr hinterfragt
 sie das Medium selbst, überprüft es auf seine tech-
 nischen und gesellschaftlichen Möglichkeiten hin.

 Für die Jahresausstellung 2011 vermaß sie den            Disziplinen und dass nicht nur das Ergebnis zählt.
 Klassenpavillon Zentimeter für Zentimeter mit dem        Auch die Werkstätten seien gut ausgestattet, die
 Fotomodell-Scanner, druckte die errechneten Ko-          Lehrer sehr hilfsbereit, die Studenten supernett –
 ordinaten als unendliche winzige Zahlenreihen auf        „und man hat viel Platz.“
 langen Papierbahnen aus und tapezierte damit die
 Wände. Für diese Arbeit, in der sich digitale und re-    Miho Kasama hat sich aus einem kleinen Lagerraum
 ale Welt auf abstrakte Weise überlappten, erhielt sie    im Pavillon 19 ihren eigenen Arbeitsplatz geschaf-
 den Akademie-Preis.                                      fen, sie mag die Lage im Wald – „obwohl es etwas
                                                          abgelegen ist“. Nach dem Studium würde sie ger-
 „Es geht mir um Aufklärung“, sagt Miho Kasama,           ne „einen ganz normalen Job“ machen, bevorzugt
 die nach Deutschland kam, weil sie konzeptuell ar-       im Bereich Archivierung und Restaurierung digitaler
 beiten wollte. In ihrer Heimat würden Studiengänge       Medien – eine gewaltige Zukunftsaufgabe, die an-
 in Medienkunst nicht angeboten. „Das Hochschul-          gesichts der ungewissen Haltbarkeit der modernen
 system dort ist sehr traditionell. Künstler, die klas-   Datenträger alle Bereiche der Gesellschaft betrifft.
 sisch handwerklich und meisterhaft arbeiten, wer-
 den hoch geschätzt, aber zeitgenössische Kunst hat       „Künstlerisch werde ich nur nebenberuflich arbeiten
 es in Japan sehr schwer.“                                können“, sagt Miho Kasama, die mehr als viele an-
                                                          dere Absolventen in eine ungewisse Zukunft blickt.
 Eigentlich wollte Miho Kasama in Frankfurt oder          Sie möchte in Deutschland bleiben, doch macht sie
 Stuttgart studieren, doch müssen ausländische Be-        sich wenig Hoffnung auf ein Künstlervisum, das ihr
 werber dort eine Sprachprüfung ablegen. In Nürn-         den langfristigen Aufenthalt ermöglichen würde.
 berg wird das nicht gefordert. Die 31-Jährige, die       „Als Alternativen bleiben mir dann nur: Heiraten
 längst hervorragend Deutsch spricht, fühlt sich          oder eine Arbeitsstelle finden, für die ich unabding-
 aber auch an der hiesigen Akademie sehr wohl. Sie        bar bin.“
 schätzt die wöchentlichen Klassenbesprechungen,
 die Diskussionskultur, den Austausch zwischen den        Porträts: Regina Urban
20
     Auch der Filmemacher Herbert Achternbusch (1960)        So schön die Lage und Arbeitsatmosphäre der Aka-
     und der Kabarettist Matthias Egersdörfer (2004-         demie im Nürnberg Südosten auch sein mag, sie hat
     2007) kommen von der Nürnberger Akademie.               einen entscheidenden Nachteil: Die Kunst-Oase liegt
     „Wir bilden keine Leute aus, die Bilder für Muttis      abseits vom Stadtzentrum. Politiker und Kunstver-
     Wohnzimmer malen, sondern kritische Geister, die        mittler sind sich der Bedeutung der Hochschule den-
     sich in die Gesellschaft einbringen“, sagt Hörl.        noch wohl bewusst, in den Köpfen der breiten Bür-
                                                             gerschaft ist die Kreativ-Schmiede aber auch nach
     Wer an der Akademie studieren möchte, muss sein         350 Jahren noch nicht angekommen. Das weiß auch
     Talent schon vorab beweisen und sich mit seiner         Hörl und beschönigt nichts, wenn er feststellt: „Den
     Mappe durchsetzen. Nur jeder Vierte wird genom-         Kontakt in die Stadt haben wir noch nicht hinbe-
     men. Die Art der möglichen Abschlüsse ist vielfältig:   kommen.“ Aber die Hochschule arbeitet daran. Seit
     Wer in den freien Fachrichtungen wie Bildhauerei,       fünf Jahren gibt es zum Beispiel die Akademie-Gale-
     Freie Kunst oder Freie Malerei studiert, erhält nach    rie in der Adlerstraße unweit der Lorenzkirche. Mehr
     zehn Semestern ein Zeugnis mit Beurteilung. Beson-      als 45 Studenten-Ausstellungen haben hier bereits
     ders gute Studenten werden von ihrem Klassenlehrer      das Publikum angelockt.
     zum „Meisterschüler“ ernannt. Die Grafik-Designer
     schließen mit einem Diplom ab, „Architektur und         Mit dem groß angelegten Jubiläums-Programm,
     Stadtforschung“ wird als Masterstudiengang an-          das neben der Dürer-Schau im Germanischen Na-
     geboten, und „Kunst und öffentlicher Raum“ als          tionalmuseum Bestandteil im Nürnberger „Jahr
     Aufbaustudiengang. In zwei Klassen kann man sich        der Kunst“ ist, will Hörl für seine Hochschule trom-
     zum Kunsterzieher für Gymnasien ausbilden lassen        meln: „Nürnberg muss sich darauf besinnen, dass
     und das Studium mit der Staatsprüfung abschließen.      es einst kulturelle Hochburg war. Damit kann die
                                                             Stadt wuchern.“ Das veranstaltungsreiche „Jahr der
     Auch die angehenden Lehrer werden an einem idyl-        Kunst“ bietet dafür die Gelegenheit: Es blickt auf
     lischen Plätzchen unterrichtet, das allerdings nicht    den alten Meister und seine jungen Erben, die längst
     am Stammdomizil liegt: Die beiden Kunsterzieher-        nicht mehr nur den Pinsel schwingen, sondern ganz
     Klassen zogen 1985 auf die historische Kaiserburg       selbstverständlich auch die Neuen Medien im Digi-
     in Lauf. Die Dependance wurde nötig, weil die in        tallabor nutzen.
     den 1950er Jahren nach den Plänen von Architekt
     Sep Ruf erbauten und heute unter Denkmalschutz          Birgit Ruf
     stehenden Pavillons aus allen Nähten platzten. Kon-
     zipiert waren sie für 150 Studierende. Im Winter-
     semester 2011/12 sind an den beiden Standorten
     insgesamt 311 Studenten eingeschrieben. Sie wer-
     den im Sommer 2013 wiedervereint: Dann soll der
     1 750 Quadratmeter große Neubau fertig sein und
     in großzügigen, hellen Sälen ideale Bedingungen für
     die Kunst bieten.

                                                             Kunst per Computerklick: Anna Lang ist Leiterin des Digitallabors,
                                                             der jüngsten der elf Werkstätten der Akademie. Ausgestattet mit
                                                             Digitalcutter und Digital-3D-Druckern können hier Studentinnen
                                                             und Studenten etwa Skulpturen entwickeln.
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Jahr der Kunst 2012:
Der junge Dürer und die älteste Kunstakademie Deutschlands
Der junge Albrecht Dürer (1471 - 1528) und die mit 350 Jahren älteste Kunstakademie Deutschlands stehen
2012 im Mittelpunkt des Nürnberger Kultur(er)lebens. Im Germanischen Nationalmuseum wird die größte
Dürer-Ausstellung seit 40 Jahren und nach Einschätzung von Generaldirektor G. Ulrich Großmann wohl
auch der kommenden 50 Jahre zu sehen sein. Die 1662 gegründete Akademie der Bildenden Künste feiert
ihr Jubiläum mit mehreren Ausstellungen, die unter Beweis stellen, dass Nürnberg nicht nur im 15. Jahr-
hundert eine kreative Künstlerschmiede war. Zwei Anlässe für die Stadt Nürnberg, ein Jahr der Kunst aus-
zurufen und mit vielen weiteren Veranstaltungen anzureichern.

Das gesamte Programm zum Jahr der Kunst steht im Internet unter www.jahrderkunst.de.
„Nürnberg Heute“ hat eine Auswahl der Termine zusammengestellt.

30 Künstler / 30 Räume                     re·turn                                       „Original kopiert!“
In der Gemeinschaftsausstellung von        Rund 30 Akademie-Absolventen, die             Der neue Dürer-Saal
vier Institutionen für zeitgenössische     heute ihren festen Platz in der natio-        In der Wohn- und Arbeitsstätte des
Kunst variieren 30 internationale künst-   nalen und internationalen Kunstszene          Malers zeigt eine Dauerausstellung im
lerische Positionen das Thema Raum.        haben, präsentieren ihre Arbeiten.            neuen Dürer-Saal seine wichtigsten
                                                                                         Gemälde in historisch bedeutsamen
17. März bis 17. Juni                      17. Mai bis 1. Juli
                                                                                         Kopien.
Neues Museum – Staatliches Museum          „Auf AEG“,
für Kunst und Design, Klarissenplatz;      Muggenhofer Straße 132/135                    ab 27. Juli
Kunsthalle Nürnberg, Lorenzer Straße                                                     Albrecht-Dürer-Haus / Museen der Stadt
32; Institut für Moderne Kunst im          Der frühe Dürer                               Nürnberg, Albrecht-Dürer-Straße 39
Atelier- und Galeriehaus Defet, Gustav-    Erstmals widmet sich eine große Aus-
Adolf-Straße 33; Studio im Zumikon,        stellung dem frühen Werk Albrecht             Dürers Triumphzug – Das Nürnber-
Großweidenmühlstraße 21; Kunstverein       Dürers und zeigt anhand von 200               ger Rathaus, mit Rathaus ART und
Nürnberg – Albrecht Dürer Gesellschaft,    Originalen – davon 120 von „AD“ –             Dürer-Vorträgen
Kressengartenstraße 2; sowie im öffent-    neue Einblicke in das Schaffen und die        Albrecht Dürers großer Wandmalerei-
lichen Raum                                Lebensumstände des Künstlers.                 zyklus im Nürnberger Rathaussaal, mit
                                                                                         dem er 1521 beauftragt wurde, wird
                                           24. Mai bis 2. September
Und der Gewinner ist …                                                                   ein Wochenende lang in Projektionen
                                           Germanisches Nationalmuseum,
Die Kunstvilla – Museum für regionale                                                    wieder erlebbar.
                                           Kartäusergasse 1
Kunst zeigt Arbeiten, mit denen sich
                                                                                         3. bis 5. August
Studierende der Akademie der Bilden-
                                           Dürers Nachbarschaft                          Rathaus Wolffscher Bau, Rathausplatz 2
den Künste zwischen 1983 und heute
                                           Die Freiluft-Präsentation im Nürnber-
an dem bundesweiten Wettbewerb
                                           ger Burgviertel lenkt den Blick auf die       /prospekt/ Vorhang auf … für die
„Kunststudentinnen und Kunst-
                                           Frage, wie wichtig das Netzwerk aus           Akademie der Bildenden Künste in
studenten stellen aus“ beteiligten.
                                           Nachbarn, Freunden und Förderern für          Nürnberg
19. April bis 24. Juni                     Albrecht Dürer war.                           Malerei, Bildhauerei, Kunst für den öf-
Kunsthaus im KunstKulturQuartier,                                                        fentlichen Raum, Grafik-Design / Visuelle
                                           30. Juni bis 2. September
Königstraße 93                                                                           Kommunikation und Arbeiten aus den
                                           Öffentlicher Raum im Burgviertel
                                                                                         Fachbereichen Architektur und Stadtfor-
1662 - 1806. Die Frühzeit der                                                            schung sowie Gold- und Silberschmie-
                                           Geartete Kunst. Die Nürnberger
Nürnberger Kunstakademie                                                                 den präsentieren die 14 Klassen der
                                           Akademie im Nationalsozialismus
Warum wurde ausgerechnet in Nürn-                                                        Kunstakademie in den „Schaufenstern“
                                           Mit der Rolle der Kunstakademie in den
berg die erste deutsche Kunstakademie                                                    – den einsehbaren Fassadenräumen –
                                           Jahren 1933 - 1945 und der Frage, wie
gegründet? Antwort darauf gibt die                                                       des Neuen Museums.
                                           es damals um die Freiheit der Kunst be-
Ausstellung der Gemälde- und Skulptu-
                                           stellt war, befasst sich diese Ausstellung.   9. November 2012 bis 20. Januar 2013
rensammlung der Stadt Nürnberg.
                                                                                         Neues Museum – Staatliches Museum
                                           5. Juli bis 16. September
16. Mai bis 2. September                                                                 für Kunst und Design, Klarissenplatz
                                           Dokumentationszentrum Reichspartei-
Stadtmuseum Fembohaus / Museen der
                                           tagsgelände / Museen der Stadt Nürn-
Stadt Nürnberg, Burgstraße 15
                                           berg, Bayernstraße 110
22                            Menschen

                                                                                                                     Foto: privat
                                                                                                                     Solidarität mit Anwalt
                                                                                                                     Mit Empörung hat die Stadtspitze
                                                                                                                     auf die Verurteilung von Abdolfattah
Foto: Hans-Joachim Winckler

                                                                                                                     Soltani, Träger des Internationalen
                                                                                                                     Nürnberger Menschenrechtspreises
                                                                                                                     2009, reagiert. Das iranische Regime
                                                                                                                     hat Soltani im März 2012 zu einer
                                                                                                                     18-jährigen Haftstrafe verurteilt. Die
                                                                                                                     Nürnberger Ehrung ist einer der Haft-
                              First Lady aus Nürnberg                                                                gründe. Oberbürgermeister Ulrich Maly
                              Im Zug von Wien nach Nürnberg hat Daniela Schadt erfahren, dass ihr Lebensge-          versicherte, dass die Stadt alle diplo-
                              fährte Joachim Gauck für das Amt des Bundespräsidenten nominiert worden ist.           matischen Wege nutzen werde, um
                              Damit hat sich schlagartig auch das Leben der Nürnbergerin verändert. Seit der         gegen den Richterspruch vorzugehen.
                              Wahl des 72-Jährigen zum Staatsoberhaupt am 18. März 2012 ist die herzliche            Auch Hunderte von Nürnbergerinnen
                              und unprätentiöse Journalistin aus Nürnberg Deutschlands First Lady. Über 20           und Nürnbergern haben mit einer
                              Jahre arbeitete sie bei der „Nürnberger Zeitung“, lange Zeit als Leiterin des innen-   Brief-Aktion gegen die Verurteilung
                              politischen Ressorts. Nun hat die 52-Jährige ihren Beruf aufgegeben und ist nach       des iranischen Rechtsanwalts und
                              Berlin gezogen, um ihren Jochen, wie sie ihn nennt, nach Kräften zu unterstützen.      Menschenrechtlers protestiert.
                              Kennengelernt hatte sich das Paar 1999 bei einer Veranstaltung in Nürnberg, bei
                              der Gauck als damaliger Beauftragter für die Stasi-Unterlagen eine Rede hielt.

Gefragter Fachmann
Leibl Rosenberg ist von der EU in den Beirat
des European Holocaust Research Infrastruc-
ture Project (EHRI) berufen worden. An dem
Projekt arbeiten die 20 weltweit wichtigsten
Holocaust-Forschungs-Institutionen zusam-
men, um die weit verstreuten Quellen zu
den Ursachen, Bedingungen und Folgen des
Holocaust zu sammeln, aufzubereiten und
der internationalen Öffentlichkeit zugänglich
zu machen. Als wissenschaftlicher Mitarbei-
ter der Nürnberger Stadtbibliothek ist Leibl
Rosenberg seit vielen Jahren für die Erfor-
                                                                                                                                               Foto: Christine Dierenbach

schung und Rückerstattung von Schriften aus
der Sammlung Israelitische Kultusgemeinde,
der ehemaligen „Stürmer-Bibliothek“,
zuständig.
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