Tabakabhängigkeit - Rauchen zwischen Genuss und Behandlungsbedürftigkeit-Fachtagung- 28. März 2001 Hagen
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Tabakabhängigkeit - Rauchen zwischen Genuss und Behandlungsbedürftigkeit - – Fachtagung – 26. - 28. März 2001 Hagen
Inhaltsverzeichnis Seiten Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 Die Bedeutung der Tabakabhängigkeit und ihre Behandlung . 7 Dr. Martina Pötschke-Langer, Heidelberg Raucherentwöhnung - ein Thema für die Suchthilfe? . . . . . . . 15 Dr. Christoph Kröger, München Nikotinvergiftung und Trinkerheilanstalten seit 1930 . . . . . . . 23 Prof. Dr. Klaus Dieter Stumpfe, Düsseldorf Strategien der Raucherentwöhnung I - Gegenwärtige Methoden und neue Zielrichtungen in der medikamentösen Behandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 Dr. Anil Batra, Tübingen Strategie der Raucherentwöhnung II – gegenwärtige Methoden und neue Zielrichtungen in der psychotherapeutischen Behandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 Prof. Dr. Klaus Dieter Stumpfe, Düsseldorf Motivation zur Raucherentwöhnung - Chancen während der stationären Behandlung? . . . . . . . . . . 51 Dr. med. P. L. Bölcskei, A. Kohaut, Nürnberg Förderung des Nichtrauchens in der Schwangerschaft: Erfahrungen und Ergebnisse aus dem Projekt „EURO-scip“ . 59 Peter Lang, Bremen Raucherentwöhnung in der Praxis – Fallbeispiele für die Intervention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 Peter Lindinger, Heidelberg „smoking cessation services“ ein etabliertes ambulantes Angebot in England . . . . . . . . . . . . 97 Dawn Milner, London Stationäre Rauchertherapie – Projekt Josefhof – Erste Resultate des Modellprojektes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 Prof. Dr. Rudolf Schoberberger, Wien 3
Vorwort Tabakabhängigkeit - Rauchen vermehrt von der unabhängigen zwischen Genuss und Behand- Suchtforschung und Suchthilfe aufge- lungsbedürftigkeit griffen. Mit der Fachtagung ‚Tabakabhängig- Christopher Columbus erwähnte 1492 keit - Rauchen zwischen Genuss und in seinem Tagebuch die von den Indi- Behandlungsbedürftigkeit' gab die anern hoch geschätzten Tabakblätter. Koordinationsstelle Sucht Fachkräften Erst nach 1950 - vor allem durch den der Suchthilfe die Möglichkeit, sich sog. Terry-Report 1964 - wurde durch über neueste Erkenntnisse und Initiati- epidemiologische Untersuchungen in ven zum Thema Tabakabhängigkeit zu den USA der Zusammenhang zwi- informieren. Beispielhaft wurden kon- schen Tabakkonsum und verschiede- krete Praxisprojekte aus England und nen Krankheiten, insbesondere Lun- Österreich vorgestellt. Mit dieser Pu- genkrebs und Herz-Kreislauf-Erkran- blikation möchten wir einer größeren kungen, deutlich. Inzwischen ist wis- Fachöffentlichkeit die Ergebnisse die- senschaftlich unumstritten, dass Rau- ser Veranstaltung ebenfalls zur Verfü- chen das größte vermeidbare Sterbe- gung stellen. risiko überhaupt ist. Eine intensivere Auseinandersetzung Die Generaldirektorin der WHO, Frau mit dem Thema und die Entwicklung Dr. Brundtland, hat der Gesundheits- spezieller Angebote der Suchthilfe ist förderung durch Reduzierung des aus unserer Sicht dringend erforder- Rauchens oberste Priorität einge- lich. Gerade Fachkräfte, die mit der räumt. Ihre Aktivität wird auch von der Dynamik einer Suchterkrankung ver- Europäischen Kommission unter- traut sind, bringen das notwendige stützt. Im Gegensatz zu anderen Län- Grundwissen mit. Zum Erwerb spezifi- dern wie z.B. USA, Australien, Polen scher Fachkenntnisse wird die Koordi- hat sich die deutsche Gesundheitspo- nationsstelle spezielle Fortbildungen litik bisher zurück gehalten, eindeutige anbieten. Signale zu setzen. In den letzten 10 Jahren hat sich - auch durch Veröffentlichung entspre- chender Informationen der Tabakindu- strie im Rahmen amerikanischer Gerichtsverfahren in den letzten Jah- Dr. Wolfgang Pittrich ren - die Überzeugung durchgesetzt, Landesrat dass Tabakkonsum eine Abhängigkeit erzeugt, die den Mechanismen einer Wolfgang Rometsch Heroin- und Kokainabhängigkeit ent- Leiter der Koordinationsstelle sprechen. Das Abhängigkeitspotenzial wird als mindestens gleichstark einge- Doris Sarrazin schätzt. Damit wurde dieses Thema Fort- und Weiterbildung 5
Die Bedeutung der Tabakabhängigkeit und ihre Behandlung Dr. Martina Pötschke-Langer Deutsches Krebsforschungszentrum Stabsstelle Krebsprävention Im Neuenheimer Feld 280 69120 Heidelberg 7
Gegenwärtig rauchen weltweit mehr nen, dass ab dem Jahr 2020 mehr als als eine Milliarde Menschen im Alter zehn Millionen Menschen weltweit an über 15 Jahren. Und täglich werden ihrem Konsumverhalten sterben wer- es mehr. Die Weltgesundheitsorgani- den. Rauchen ist das größte vermeid- sation (WHO) berechnete auf der bare Gesundheitsrisiko. Das volle Basis fundierter epidemiologischer Ausmaß der Tabakepidemie wurde Studien, dass im Jahr 2001 weltweit erst im letzten Jahrzehnt erkannt, als vier Millionen Menschen an den Fol- DOLL und Kollegen die Ergebnisse gen ihres Rauchverhaltens sterben. einer 40 – Jahre – Beobachtungsstu- Sollte das Rauchverhalten nicht weiter die an englischen Ärzten vorlegten reduziert werden, so ist damit zu rech- (DOLL et al., 1994). Einfluss des Zigarettenrauchens auf die Überlebensrate Von der gleichen Arbeitsgruppe wur- gezogen. Dies trifft nicht auf rauchbe- den die englischen Daten auf Europa dingte Todesfälle zu. Sie sterben un- übertragen und festgestellt, dass von spektakulär und sie sterben einsam, 1000 20jährigen Rauchern in Europa, häufig mit Schuldgefühlen, insbeson- die auch im Erwachsenenalter weiter dere wenn sie in ihren mittleren Le- rauchen, 1 an den Folgen einer Ge- bensjahren sterben und ihre Familien walttat, 6 an den Folgen von Ver- unversorgt zurück lassen. Zunehmend kehrsunfällen und 250 an den Folgen befinden sich junge Mütter und Väter des Rauchens in den mittleren Jahren unter den Sterbenden – Frauen und sowie weitere 250 an den Folgen des Männer, die im Alter von 10 bis 15 Rauchens im Alter versterben werden. Jahren zu rauchen begonnen haben Dies bedeutet, dass die Hälfte aller und nach 20 bis 30 Jahren, d. h. im Anhand dieser Daten wurde der Ein- retten pro Tag konsumieren. Auch das Raucher bei fortgesetztem Rauchver- Alter von 35 bis 45 Jahren beispiels- fluss des Zigarettenrauchens auf die hohe Alter von 85 Jahren erreichen halten an den Folgen sterben wird. weise an Lungenkrebs sterben. Überlebensrate deutlich: 80 % aller noch 33 % aller Nichtraucher, im Ge- Auch Deutschland ist von der Tabak- Obwohl seit Jahrzehnten vor den regelmäßigen Nichtraucher haben die gensatz zu 8 % der Raucher mit ei- epidemie nicht verschont geblieben. Gefahren des Rauchens gewarnt wird, Chance, das Alter von 70 Jahren zu nem Konsum von 25 und mehr Ziga- In diesem Land sterben jährlich über rauchen zunehmend mehr Kinder und erreichen, im Gegensatz zu nur 50 % retten. 100 000 Menschen, d. h. täglich etwa Jugendliche, sodass die Raucherquo- aller Raucher, die 25 und mehr Ziga- 300 Menschen an den Folgen ihres te unter den 18-25jährigen mittlerwei- Rauchverhaltens (PETO et al., 1994). le bei durchschnittlich 50% liegt Wenn 300 Tote jeden Tag durch Flug- (BzgA, 1998). Mit Sorge beobachten zeugabstürze oder Zugunglücke zu Präventionsexperten eine Stabilisie- beklagen wären, würden sofortige rung des Rauchverhaltens von Kin- Sicherheitsmaßnahmen ergriffen und dern und Jugendlichen in Richtung die Verursacher zur Verantwortung „Selbstbewusste Raucher“. 8 Die Bedeutung von Kurzinterventionen in der Suchthilfe Die Bedeutung von Kurzinterventionen in der Suchthilfee 9
Parallel zum gewachsenen Selbstbe- business of selling nicotine, an addicti- wusstsein jugendlicher Raucher sank ve drug.“(YEAMAN, 1963). ihre Bereitschaft, innerhalb der näch- Inzwischen liegen auch für Deutsch- sten fünf Jahre das Rauchen zu been- land erste Berechnungen zum Ausmaß den um über 20 % bei den ständigen der Tabakabhängigkeit vor. Unter Rauchern im Alter von 12 bis 25 Jah- Tabakabhängigkeit wird der zwanghaf- ren auf 41 % und um 11 % bei den te und der anhaltende Konsum trotz Gelegenheitsrauchern auf 15 % Wissens um die Gesundheitsschäd- (BZgA, 1998). lichkeit des Produktes, die Toleranz- Die Folgen des verstärkten Rauchver- entwicklung, d. h. zunehmend höherer haltens werden in Kürze zu beobach- und intensiverer Konsum sowie das ten sein: Je früher geraucht wird, körperliche Entzugssyndrom bei desto früher entwickeln sich Nikotin- Reduktion oder Absetzen verstanden. Rezeptoren, mit der Folge früher Ta- Danach sind 70 bis 80 % aller Rau- bakabhängigkeit. Und je früher ge- cherinnen und Raucher tabakabhän- raucht wird, desto größer ist die Wahr- gig, dies sind fünf bis sechs Millionen scheinlichkeit, frühzeitig Folgekrank- Frauen und acht bis neun Millionen heiten zu entwickeln. Männer in Deutschland (BATRA & FAGERSTRÖM, 1997). Auch wenn die Tabakindustrie jahr- Zwischen 1993 und 1997, den beiden fragte dieser Altersgruppe an, dass zehntelang in der Öffentlichkeit leugne- Die Tabakabhängigkeit ist nicht allein letzten Befragungszeiträumen der sie gern rauchen und ihnen Zigaretten te, dass Zigarettenrauchen abhängig ein Problem deutscher Raucher/innen. Bundeszentrale für gesundheitliche schmecken und sie beruhigen. macht, wusste sie frühzeitig vom In Europa sind Millionen von Rauchern Aufklärung, gaben deutlich mehr be- Suchtpotential ihres Produktes: Bereits betroffen. Jedoch unterscheidet sich 1963 erklärte Addison Yeamann, Jurist die Einstellung der deutschen Raucher der US Firma Brown and Williamson, in von denen anderer europäischer Län- einem internen Konzernpapier: „Nicoti- der durch ein beharrliches Festhalten ne is addictive. We are, then, in the am Konsumverhalten. 10 Die Bedeutung der Tabakabhängigkeit und ihre Behandlung Die Bedeutung der Tabakabhängigkeit und ihre Behandlung 11
Angesichts dieses raucherfreund- - Pharmakologische Therapien müs- lichen Klimas ist es sicherlich nicht sen angeboten werden, verwunderlich, dass Raucherentwöh- - eine zeitlich begrenzte, kostenlose nungsangebote nur zögerlich genutzt Abgabe von Nikotintherapeutika an werden und auch die Gesundheitsbe- sozial benachteiligte Raucher ist rufe bisher in der Tabakprävention und sinnvoll, wie dies in England bereits Raucherentwöhnung nicht sonderlich praktiziert wird, engagiert tätig waren. Hinzu kommt, - Nikotintherapeutika müssen von der dass Beratungsgespräche von Kran- Rezeptpflicht befreit werden, kenkassen nur bedingt und wenn, - Schulungsprogramme für Gesund- dann auch nicht in vollem Umfang, heitsberufe (Aus-, Fort- und Weiter- bezahlt werden. bildung) müssen entwickelt und Eine neue Orientierung in der Raucher- durchgeführt werden. entwöhnung in Deutschland ist drin- - Angesehene Fachgesellschaften gend erforderlich – darin sind sich vie- müssen für die Thematik gewonnen le Gesundheitsverbände, insbesonde- werden, re Experten in der Suchttherapie, einig. - Rauchersprechstunden müssen in Praxen und Kliniken eingeführt wer- Seit 1999 besteht ein WHO-Partner- den, schaftsprojekt Tabakabhängigkeit, - Regionale Rauchertelefone müssen das in Deutschland von der Koalition eingerichtet werden, In einer europäischen Vergleichsstudie gleichzeitig ein Entwicklungsland für gegen das Rauchen koordiniert und - Rauchfreie Praxen und Kliniken wurden Daten aus Repräsentativbe- Raucherentwöhnungsmaßnahmen vom Bundesministerium für Gesund- müssen Standard werden, fragungen von Rauchern im Jahre und für Tabakkontrolle. In keinem heit finanziert wird. Im Rahmen des - Persönliche Glaubwürdigkeit der 1999 zusammengefasst. Dabei wurde anderen Land weltweit ist der Erwerb WHO Projektes wurden Grundsätze Gesundheitsberufe ist herzustellen; deutlich, dass deutsche Raucher/in- für Kinder und Jugendliche so einfach; für eine Neuorientierung in der Rau- Therapeuten und Berater müssen nen im Vergleich zu Raucher/innen denn auf 100 Einwohner kommt ein cherentwöhnung in Deutschland erar- selbst Nichtraucher sein! vieler anderer europäischer Länder am frei zugänglicher Zigarettenautomat. In beitet. Hierzu gehören: wenigsten motiviert sind, auf das Rau- Deutschland können sich Kinder und Im Rahmen des WHO-Partnerschafts- - Rauchverhalten muss endlich als chen zu verzichten. Deutschland liegt Erwachsene an über 800.000 Zigaret- projektes Tabakabhängigkeit wurden Suchtverhalten erkannt und behan- sowohl bei der Frage nach minde- tenautomaten Tag und Nacht und an bereits erste Realisierungen möglich delt werden, stens einem ernsthaften Rauchstopp- fast jeder Straßenecke bedienen. gemacht. Ein Curriculum zur Tabakab- - Hochrisikogruppen wie rauchende versuch als auch bei der Motivation hängigkeit wurde entwickelt, das Be- Ein weiteres gesundheitspolitisches Schwangere, Herzkreislaufpatienten, der Raucher, in naher Zukunft einen ratungskonzept „Die Rauchersprech- Problem stellt die Zigarettenwerbung Asthmatiker und Krebspatienten Rauchstopp zu planen, an drittletzter stunde“ für Gesundheitsberufe wurde dar, die „mitten ins Herz“ von Kindern müssen gezielt angesprochen wer- Stelle (BOYLE et al., 2000). publiziert und Leitlinien zur Behand- und Jugendlichen zielt. Coole, trendi- den, lung der Tabakabhängigkeit von ver- Eine deutsche Studie aus dem Jahre ge und strahlende jugendliche Models - Raucher müssen stadienspezifisch schiedenen Organisationen verab- 1998 gibt noch geringere Ausstiegs- verkünden an jeder Straßenecke und angesprochen werden, schiedet. versuche innerhalb der letzten zwei häufig direkt vor Schuleingängen: Ich - Raucher müssen zielgruppenspezi- Jahre (Männer 24,3 %, Frauen, 26,0 rauche gern. fisch angesprochen werden: Frauen Es wird sehr darauf ankommen, ob es %) an. Auch haben nach dieser Studie sind anders anzusprechen als Män- der deutschen Sucht- und Drogenpo- Millionen deutscher Raucher, darunter ner, Jugendliche anders als Erwach- litik gelingt, die Tabakabhängigkeit als nur 31 % der Männer und 38,4 % der auch führende Politiker wie Bundes- sene, zentrales gesundheitspolitisches Pro- Frauen gegenwärtig ernsthaft die Ab- kanzler Schröder oder Bundespräsi- - Empfehlungen nationaler und inter- blem anzuerkennen und wirksam- sicht, das Rauchen aufzugeben dent Rau, rauchen ungeniert in der nationaler Leitlinien müssen in be- keitsorientierte Maßnahmen einzulei- (KRAUS & BAUERNFEIND, 1998). Öffentlichkeit und demonstrieren den stehende Konzepte integriert wer- ten. Es wird auch höchste Zeit, dass Deutschland ist ein Raucherland und Typ „Selbstbewusster Raucher“. den, die Tabakabhängigkeit einen höheren 12 Die Bedeutung der Tabakabhängigkeit und ihre Behandlung Die Bedeutung der Tabakabhängigkeit und ihre Behandlung 13
Stellenwert gewinnt als die Alkohol- PETO, R.; LOPEZ, A.D.; BOREHAM, und Drogenabhängigkeit. Alle Ge- J.; THUN, M. & HEATH jr., C. (1994), Raucherentwöhnung sundheitsberufe, insbesondere aber Mortality from smoking in developed die Suchttherapeutinnen und -thera- countries 1950-2000, Oxford Univer- - ein Thema für die Suchthilfe? peuten sind aufgerufen, an dieser ge- sity Press, Oxford sundheitspolitischen Änderung mitzu- WHO (1997), Dritter Aktionsplan für wirken. ein tabakfreies Europa 1997-2001. Kopenhagen: Weltgesundheitsorgani- Dr. Christoph Kröger sation IFT Institut für Therapieforschung WHO (1999). Framework Convention Parzivalstraße 25 Literatur (ausgewählt): on Tobacco Control. Geneva: World 80804 München Health Organization BATRA, A. & FAGERSTRÖM, K.-O. Inhalt WHO & Koalition gegen das Rauchen (1997), Neue Aspekte der Nikotinab- (1999), Raucherentwöhnung leichter hängigkeit und Raucherentwöhnung. Rauchen als Risikofaktor gemacht – Empfehlungen für Gesund- Sucht 43. S. 277-282 heitsberufe. BOYLE, P.; GANDINI, S.; ROBERT- Rauchen als Abhängigkeitserkrankung WHO (2000), Beiträge 1999/2000. SON, C.; ZATONSKI, W.; FAGER- Hrsg., WHO-Partnerschaftsprojekt Literatur STRÖM, K.-O.; SLAMA, K.; KUNZE, gegen Tabakabhängigkeit, Bonn M.; GRAY, N. & The International Smokers Survey Group (2000), Cha- WHO (2000), Homepage: racteristics of smokers attitudes www.who.ch/inf/fs/fact159.html towards stopping. European Journal www.who.ch/inf/fs/fact160.html of Public Health 10, Supplement No. 3,5-14 YEAMAN, A.B., B&W general counsel (1963), Implications of Battelle Hippo Bundeszentrale für gesundheitliche 1 & 11 and the Griffith Filter, 17 July, Aufklärung (1998), Hrsg., Die Drogen- Memo, Document ID 1802.05, S. 4 affinität Jugendlicher in der Bundesre- publik Deutschland 1997, Köln: Bun- deszentrale für gesundheitliche Auf- klärung DOLL, R.; PETO, R.; WHEATLEY, R.; GRAY, R. & SUTHERLAND, I. (1994). Mortality in Relation to Smoking: 40 years Observations on Male British Doctors. British Medical Journal 309. S. 901-911 Kraus, L. & Bauernfeind, R. (1998). Repräsentativerhebung zum Ge- brauch psychoaktiver Substanzen bei Erwachsenen in Deutschland 1997, Sucht 44, Sonderheft 1, S. 1-83 14 Die Bedeutung der Tabakabhängigkeit und ihre Behandlung Raucherentwöhnung - ein Thema für die Suchthilfe? 15
Zwei Perspektiven lassen sich bei der für die Krebsabwehr wichtigen Erb- Abhängigkeitserkrankung und somit ten Zigaretten oder fortgesetztes Beschreibung der Raucherentwöh- gut zu einer psychischen Störung führen. Rauchen, um das Auftreten von Ent- nung voneinander abgrenzen: Rau- - Erblindung, Rauchen schädigt die Diese Sichtweise wird von den inter- zugssymptomen zu vermeiden. chen als Risikofaktor und Rauchen als Netzhaut, starke Raucher erblinden nationalen Klassifikationen für Erkran- - Eine Toleranz gegenüber den phy- Abhängigkeitserkrankung. doppelt so häufig wie Nichtraucher kungen gestützt. In diesen Klassifika- siologischen Auswirkungen des tionssystemen wird die Abhängigkeit Neben dem Risiko für die Gesundheit Rauchens – im Laufe der Raucher- von Tabak bzw. Nikotin in derselben des Rauchers besteht ein erhöhtes karriere hat eine Erhöhung der Zahl Klassifikationsgruppe wie Abhängig- Risiko für Personen, die dem Zigaret- der täglich gerauchten Zigaretten keit von anderen psychoaktiven Sub- I. Rauchen als tenrauch in der Umwelt ausgesetzt stattgefunden. stanzen wie Alkohol, Kokain oder Risikofaktor sind. Auch für die gesundheitlichen Heroin subsumiert. - Eine fortschreitende Vernachlässi- Schäden des Passivrauchens gibt es gung anderer Tätigkeiten zugunsten zwischenzeitlich hinreichend abgesi- In der Internationalen Klassifikation Die Betrachtungsweise, dass Rau- des Rauchens. cherte Daten. von Krankheiten der WHO, der ICD- chen ein Risiko für die körperliche 10, wird Tabakabhängigkeit als Krank- - Fortgesetztes Rauchen trotz des Gesundheit darstellt, ist allgemein Die Sichtweise „Rauchen als Risiko- heit mit der Ziffer F17.2x verschlüsselt Nachweises eindeutig gesundheits- bekannt. Rauchen ist der größte ver- faktor“ ist also vielfach untermauert. (ICD-10, Kapitel V; DILLING et al., schädlicher Folgen. meidbare Risikofaktor für das Entste- Sie ist eine wichtige Perspektive ins- 1991). Eine Tabakabhängigkeit liegt hen und die Verschlimmerung körper- besondere im medizinischen Versor- International wird meist der Fager- vor, wenn mindestens drei der sechs licher Erkrankungen. Rauchen kann gungssystem. Aufgrund des durch ström-Test zur Messung der Ausprä- folgenden Kriterien erfüllt sind: nicht nur Lungenkrebs auslösen; auch das Rauchen hohen Risikos für das gung der Nikotinabhängigkeit einge- das Erkrankungsrisiko für fast alle Auslösen bzw. die Verschlimmerung - Ein anhaltend starker Wunsch oder setzt. Dieser kurze Fragebogen (Abbil- Krebsarten ist unter Rauchern erhöht. von körperlichen Erkrankungen ist der eine Art Zwang zu rauchen. dung 1) enthält sechs Items, deren Die häufigsten gesundheitlichen Schä- Arzt daran interessiert, dass die Antwortvorgaben ein Punktwert zuge- - Eine verminderte Kontrollfähigkeit digungen sind jedoch die Folgeerkran- Patienten das Rauchen einstellen. Aus ordnet ist. Je nach erreichtem Punkt- bezüglich des Beginns, der Beendi- kungen des Herz-Kreislauf-Systems der Sichtweise „Rauchen als Risiko- wert wird von einer sehr geringen (0 gung und der Menge des Tabakkon- (Durchblutungsstörungen bis zum faktor“ sind noch keine Informationen bis 2 Punkte), geringen (3 bis 4 Punk- sums. Herzinfarkt). Die Liste der durch das über mögliche Veränderungsstrate- te), mittelschweren (5 Punkte), schwe- Rauchen mitverursachten oder durch gien ableitbar. Ein Arzt, der sich z.B. - Das Auftreten von körperlichen Ent- ren (6 bis 7 Punkte) oder sehr schwe- das Rauchen verschlimmerten Krank- überwiegend mit der Behandlung von zugssymptomen bei Tabakabstinenz ren Form der Abhängigkeit (8 bis 10 heiten lässt sich noch um vieles erwei- Krebs- oder Herz-Kreislauf-Erkran- oder Reduktion der täglich gerauch- Punkte) ausgegangen. tern. kungen beschäftigt, wird sich daher in den meisten Fällen auf die Therapie Abbildung 1: Erkrankungen, an denen Raucher mit Items und Skalenwerte des ”Fagerström-Test für Nikotinabhängigkeit“ sehr viel größerer Wahrscheinlichkeit der akuten Erkrankung konzentrieren leiden als Nichtraucher sind: und weniger auf die Behandlung des Fragen Antworten Punkte - Krebserkrankungen (Lunge, Mund- Rauchens. 1. In welcher Zeitspanne nach dem Auf- Innerhalb von 5 Minuten 3 höhle, Kehlkopf, Speiseröhre, Nie- wachen rauchen Sie ihre erste Zigarette? 6 bis 30 Minuten 2 ren, Blase, Magen, Darm) 31 bis 60 Minuten 1 - Arterienverkalkung Nach 60 Minuten 0 - Durchblutungsstörungen (Raucher- bein, Herzinfarktgefahr, Schlaganfall, II. Rauchen als Abhän- 2. Empfinden Sie es als schwierig, an Orten, Ja 1 Impotenz) gigkeitserkrankung an denen das Rauchen verboten ist, nicht Nein 0 - Magen- und Zwölffingerdarmge- zu rauchen; z.B.: in der Kirche, Bibliothek, schwüre im Kino etc.? Um eine gezielte Behandlung des - Lungenentzündung, Bronchitis, Lun- Rauchens zu gewährleisten ist es 3. Welche Zigarette möchten Sie am allerwe- Die erste am Morgen 1 genemphysem (übermäßige Erwei- wichtig, die Perspektive auf das Rau- nigsten aufgeben? Alle anderen 0 terung der Lungenbläschen) chen und die Raucherentwöhnung zu - Genschäden, Veränderungen in dem erweitern. Rauchen kann zu einer 16 Raucherentwöhnung - ein Thema für die Suchthilfe? Raucherentwöhnung - ein Thema für die Suchthilfe? 17
Fragen Antworten Punkte Substanz einmal in ihrem Leben pro- haltens über die kurzfristigen Konse- biert hatten, wurde gesucht, wie hoch quenzen (die negative Verstärkung) 4. Wie viele Zigaretten pro Tag rauchen Sie? 10 oder weniger 0 der Prozentsatz von Personen ist, die mit einzubeziehen und die hohe Rück- 11 bis 20 1 davon abhängig wurden (s. Abbildung fallgefährdung nach einem Aufhören 21 bis 30 2 2). So wurde eine Lebenszeitpräva- zu akzeptieren. 31 oder mehr 3 lenz von 75% in Bezug auf Nikotin gefunden. Unter diesen Personen wie- 5. Rauchen Sie oft mehr in den ersten Stun- Ja 1 sen zum Untersuchungszeitpunkt Die Angebotssituation den nach dem Aufwachen als am Rest des Nein 0 31,9% die Kriterien für eine Abhängig- in Deutschland Tages? keitserkrankung auf. Unter denen, die 6. Rauchen Sie, wenn Sie so krank sind, Ja 1 mindestens einmal im Leben Alkohol Aufhörwilligen Rauchern stehen ver- dass Sie die meiste Zeit des Tages im Bett Nein 0 konsumiert hatten, wurden 15,4% al- schiedene Hilfsmaßnahmen zur Verfü- verbringen? koholabhängig. Heroin wurde von nur gung (vgl. KRÖGER, 20001). 1,5% der Bevölkerung einmal im Le- Tabelle 2: Hilfsmaßnahmen zur Rau- Folgende Entzugserscheinungen kön- mit dem Rauchen aufgehört wird. Ent- ben konsumiert und unter diesen wie- cherentwöhnung nen bei einer Reduktion des Zigaret- zugserscheinungen erschweren den sen 23,1% die Kriterien einer Abhän- - Selbsthilfe tenkonsums oder der Abstinenz auf- Entwöhnungsprozess und erhöhen gigkeit auf. - Selbstmedikation (insbesondere Ni- treten: das Risiko für einen Rückfall. Abbildung 2: Entwicklung einer Ab- kotinsubstitution) - Reizbarkeit hängigkeit von verschiedenen psy- - Medien: Bücher, Auditive Medien Im Unterschied zu anderen Abhängig- choaktiven Substanzen - Aufhörprogramme im Internet - depressive Verstimmung keitserkrankungen führt die Tabakab- - Expertensysteme, die per Post oder - Angstzustände hängigkeit in der Regel nicht zu einer Lifetime email verschickt werden - Herzklopfen Verelendung und zieht keine psychi- Prävalenz Abhängigkeit - Rauchertelefone - niedriger Blutdruck schen Beeinträchtigungen nach sich. Nikotin/ - Müdigkeit Zudem ist die gesellschaftliche und Tabak 75% 31,9% Somatische Therapie - Schlaflosigkeit soziale Akzeptanz des Rauchens im - Medikation (Nikotinsubstitution, Bu- - Gewichtszunahme Vergleich zu den illegalen Substanzen Heroin 1,5% 23,1% propion (Zyban)) - Verdauungsstörungen deutlich besser und auch im Vergleich Cocain 16% 16,7% - Akupunktur - starkes Verlangen nach einer Ziga- zu Alkohol wird das Rauchen in vielen Alkohol 91% 15,4% Beratung/Psychotherapie rette (Craving) Situationen akzeptiert (z.B. vormit- - Kurzinterventionen, Beratung - Gefühl von Frustration, Unzufrieden- tags, in Arbeitspausen). Mehr als Cannabis 46% 9,1% - Einzelbehandlung heit andere Substanzen schädigt jedoch Aus der Sichtweise, dass es sich bei - Gruppenbehandlung - Konzentrationsschwierigkeiten der Tabakkonsum die Gesundheit. der Tabakabhängigkeit um eine starke - Programme für spezielle Zielgruppen - erhöhter Appetit, Hungergefühl Ein wesentlicher - häufig unterschätz- Abhängigkeitserkrankung und somit Die verhaltenstherapeutisch orientier- Entzugserscheinungen beginnen ter - Aspekt der Tabakabhängigkeit ist eine psychische Erkrankung handelt, te Gruppenbehandlung hat in wenige Stunden nach der letzten das hohe Abhängigkeitspotenzial die- ergeben sich klare Perspektiven für Deutschland eine über zwanzigjährige Zigarette, erreichen nach 24 bis 48 ser Substanz. So wird das Abhängig- die Behandlung. Es wird klar, dass Geschichte. Das wohl am weitesten Stunden ihren Höhepunkt und dauern keitspotenzial von Nikotin dem von eine kurze Beratung oder das Aus- verbreitete Programm ist „Rauchfrei in einige Tage bis Wochen. Sie treten in Heroin und Kokain gleichgesetzt. In händigen einer Broschüre meist nicht 10 Schritten“ wurde damals im Auf- den meisten Fällen nur tagsüber und einer in den USA durchgeführten Stu- für eine erfolgreiche Behandlung aus- trag der Bundeszentrale für gesund- abends auf. Oft sind sie nach etwa die wurde das Abhängigkeitspotenzial reichen. Eine intensive Behandlung er- heitliche Aufklärung (BZgA) entwickelt. einer Woche stark abgeklungen oder sogar als noch höher eingestuft als scheint angebracht. Z.B. ist es wich- Über viele Jahre wurde eine Infrastruk- verschwunden. Das Craving und das das anderer psychotroper Substan- tig, die Entzugserscheinungen mit in Hungergefühl können sechs Monate zen. In dieser Studie wurde zunächst die Behandlung einzubeziehen, die 1 Lesern, die weitere Informationen über Hilfs- oder länger andauern. Die Angst vor erhoben, wie viele Personen über- starke Ambivalenz- und Motivations- maßnahmen zur Raucherentwöhnung wün- dem Auftreten von Entzugserschei- haupt jemals eine Substanz probiert problematik der Abhängigen zu be- schen, sei dieses kostenlos bei der BZgA nungen verhindert, dass überhaupt hatten. Unter den Personen, die eine rücksichtigen, die Steuerung des Ver- (www.bzga.de) erhältliche Buch empfohlen. 18 Raucherentwöhnung - ein Thema für die Suchthilfe? Raucherentwöhnung - ein Thema für die Suchthilfe? 19
tur geschaffen, über die Raucherent- lich, dass diese Berufsgruppen sich Literatur: wöhnungskurse angeboten wurden zukünftig in der Raucherentwöhnung und werden. Die Raucherentwöhnung in so einem Ausmaß engagieren wer- DILLING, H., MOMBOUR, W. & wurde in dieser Zeit von den Ange- den, dass der zu erwartende Bedarf SCHMIDT, M.H. (1991), Internationale hörigen der Gesundheitsberufe je- an Maßnahmen gedeckt werden Klassifikation psychischer Störungen, doch nur wenig akzeptiert. So wurden kann. Bern, Göttingen, Toronto: HUBER kaum Ärzte und Psychologen in die- IFT - Institut für Therapieforschung sem Bereich ausgebildet. Vielmehr Als logische Konsequenz aus der Tat- (1997), Rauchfrei in 10 Schritten, Balt- waren engagierte Laien mit entspre- sache, dass es sich bei vielen Rau- mannsweiler: Schneider chenden Vorerfahrungen in der Er- chern um eine Abhängigkeitserkran- wachsenenbildung, aber auch Berufs- kung handelt und dass für diese Er- KRÖGER, C. (2000), Raucherentwöh- anfänger aus verschiedenen Gesund- krankung ein spezielles therapeuti- nung in Deutschland, Köln: Bundes- heitsberufen bereit, sich für das The- sches Wissen notwendig erscheint, zentrale für gesundheitliche Aufklä- ma Raucherentwöhnung zu interes- das insbesondere aus dem Suchtbe- rung sieren, sich ausbilden zu lassen und reich herleitbar ist, klingt die Forde- entsprechende Kurse anzubieten. In rung plausibel, Raucherentwöhnung den neunziger Jahren nahmen Kran- über die Suchtkrankenhilfe anzubie- kenkassen mit ihrem Auftrag, Präven- ten. Die Suchtkrankenhilfe ist eine tion und Gesundheitsförderung zu gewachsene Struktur, die sich seit vie- betreiben, Raucherentwöhnung in ihr len Jahren mit der Thematik der Ab- Programm auf. Als jedoch der diese hängigkeitserkrankungen beschäftigt Versorgung regelnde Paragraph 20 und deren Professionalisierung weit des SGB V geändert wurde und somit fortgeschritten ist. Die Kostenerstat- die Finanzierung über Krankenkassen tung für die Behandlung Suchtkranker nicht mehr möglich war, gab es einen und die Finanzierung der Beratungs- großen Einbruch in den Angeboten stellen hat sich in den letzten Jahren der verhaltenstherapeutisch orientier- flexibilisiert. So werden Gelder aus ten Raucherentwöhnung. Erst seit verschiedenen Quellen in Beratungs- kurzem haben die gesetzlichen Kran- stellen zusammengefasst. Von daher kenkassen wieder die Möglichkeit, die ist aus fachlicher wie auch aus organi- Maßnahmen zur Raucherentwöhnung satorischer Sicht zu fordern, dass sich zu erstatten. Jedoch sind sie nicht in die Suchtkrankenhilfe zukünftig inten- der Lage, eine entsprechende Infra- siv mit dem Thema Raucherentwöh- struktur für diese Angebote aufzubau- nung und mit der Bereitstellung ent- en. Die Raucherentwöhnung ist sprechender Angebote beschäftigt. weiterhin in dem Bereich Prävention angesiedelt und fällt nicht in den Be- reich Behandlung psychischer Störun- gen, wie man es aufgrund der interna- tionalen Klassifikationen psychischer Störungen fordern könnte. Dies be- deutet auch, dass über die Kassen- ärztliche Vereinigung keine Vergütung für die Anbieter von Gesundheits- maßnahmen (Ärzte, Psychotherapeu- ten, andere Heilhilfsberufe) vorgese- hen ist. So ist es auch unwahrschein- 20 Raucherentwöhnung - ein Thema für die Suchthilfe? Raucherentwöhnung - ein Thema für die Suchthilfe? 21
Nikotinvergiftung und Trinkerheilanstalten seit 1930 Prof. Dr. med. Klaus-Dietrich Stumpfe Forschungsstelle Rauchen und Nikotinabhängigkeit Fachhochschule Fachbereich Sozialarbeit Universitätsstr. 1 40225 Düsseldorf Inhalt I. Beziehungen zwischen Alkoholtrinken und Nikotinrauchen II. Geschichte III. Rauchen bei Alkoholikern 1. Fakten 2. Warum rauchen die Alkoholiker soviel? 3. Die Motivation zur Rauchabstinenz IV. Warum wollen die Ex-Alkoholiker nicht mit einer gleichstarken Motivation das Rauchen beenden? V. Unterschiede zwischen Alkoholikern und Nikotinikern VI. Schlusswort Literatur Nikotinvergiftung und Trinkerheilanstalten seit 1930 23
I. Beziehungen für diese umfangreiche Problematik III. Rauchen bei Alle Patienten rauchten jetzt zur Verfügung. Deswegen kann ich durchschnittlich 30 Zig./Tag. zwischen Alkohol- auch nur Hinweise auf die Probleme Alkoholikern trinken und Nikotin- und die Ergebnisse der Untersuchun- Die Vielraucher hatten also ihren rauchen Die Problematik wird hier in einigen Konsum reduziert, die Wenigrau- gen vortragen. Es wäre zu wünschen, Kernaussagen dargestellt. cher hatten ihn erhöht. dass vielleicht auf einer späteren Mein Interesse an dem Thema ent- Tagung zu dem Thema „Alkohol und 1.3 Abstinente Alkoholiker bleiben stand vor ca. 25 Jahren. In der Aera Nikotin“ diese Probleme ausführlich 1. Fakten (meist) weiterhin Nikotiniker. vor der Einführung des Nikotinersat- diskutiert werden. zes habe ich in Gruppentherapien 1.1 Rauchen ist bei Alkoholikern weit Eine Erläuterung erübrigt sich größere Gruppen mit ca. 30 Teilneh- verbreitet, d. h. Alkoholiker sind hierzu, da keine Behandlung der mern als Arzt während der Tabak-Ent- (meist) auch „Nikotiniker“. Nikotinabhängigkeit erfolgt. wöhnung begleitet. In diesen Gruppen Die Angaben in den Untersuchun- 1.4 Viele abstinente Alkoholiker ster- waren oft 1- 2 Alkoholiker dabei, die II. Geschichte gen liegen zwischen 80 - 90%. ben deswegen frühzeitiger an sich mir offenbarten. rauchbedingten Krankheiten. 1.2 Alkoholiker rauchen mehr Zigaret- Seitdem weiß ich, dass einige Ex- „Sehr häufig addieren sich die Wirkun- ten. HURT u. a. (1996) untersuchten Alkoholiker auch mit dem Rauchen gen der erwähnten Intoxikationen. die Ursachen der Sterblichkeit aufhören wollen. Diese berichteten Starke Trinker sind gewöhnlich auch Der Zigarettenkonsum verschiebt nach einer stationären Behand- auch, dass anderen Mitglieder der starke Raucher“ (STINTZING 1910). sich bzw. vermehrt sich im Durch- lung von Abhängigkeitskranken. Selbsthilfe-Gruppen auf eine Rauch- schnitt während einer Entgiftung. In einem Zeitraum von 10 - 20 „Viel wichtiger, aber auch längst stu- abstinenz oft abwehrend reagierten. Jahren verstarben 222 Patienten diert, ist die Kombination mit dem Eine Untersuchung aus der letz- In den letzten zehn Jahren besteht ein Alkoholismus: dass starke Trinker ten Zeit (HARRIS 2000) soll aus- und von 96% (= 214) konnten vermehrtes Interesse an dem Thema, auch oft starke Raucher sind, ist ja all- führlich dargestellt werden. 135 die Totenscheine ausgewertet besonders in Amerika, und es werden gemein bekannt: dass aus dieser Patienten einer stationären Alko- werden. Das Ergebnis war, dass darüber in der letzten Zeit mehr Unter- Kombination schwere Krankheiten re- hol- und Drogen-Entgiftungssta- 50,9 % eine tabakbezogene und suchungen veröffentlicht. sultieren, wird wohl niemand bezwei- tion in London wurden unter- 34,1% eine alkoholbezogene To- feln“ (FRANKL-HOCHWART 1912). sucht. Bei der Aufnahme waren desursache aufzeigten. Viele Faktoren sind aber noch unklar 92% Raucher, die durchschnittlich bzw. die Forschung ist noch im Fluss. „Nikotinsucht, Alkoholismus, Morphin- 27 Zigaretten/Tag rauchten. Viele Untersuchungen wurden im sucht und Kokainismus sind gleich- 2. Warum rauchen die Labor durchgeführt und dadurch spie- geartet... Wenn wir unsere Trinker hei- 83 Patienten wurden nach einer Alkoholiker soviel? geln sie nur sehr begrenzt die reale len wollen, so müssen wir sie zugleich Woche der Behandlung erneut Situation im Alltag wider. Ebenfalls auf Lebenszeit vom Nikotin entwöh- befragt: 2.1 Alkohol wirkt im Gehirn an mehre- gibt es Tierversuche, wie zurzeit in der nen“ (HILDEBRANDT 1931). ren Transmitter-Systemen und ganzen Suchtforschung. Vielraucher (40 und mehr Zig./ auch an den Nikotinrezeptoren. Heute wird viel mehr geraucht, auch Tag) verringerten ihren Konsum Ich werde deswegen keine genauen öffentlich. Da hätten die Kollegen um durchschnittlich Das Nikotin führt zu einer Erre- Zahlen angeben und auch nicht auf sicher gestaunt über das heutige Aus- 10,5 Zig./Tag; gung, die die Sedierung bzw. konkrete Einzelheiten der Untersu- maß des Rauchens. Diese Feststellun- Dämpfung des Alkohols vermin- chungen eingehen. Was ich hier aus- Mäßigraucher (20-39 Zig./Tag) dert oder aufhebt ( Abb. 1 ). gen - von vor 100 und vor 70 Jahren - führe, ist mehr oder weniger bewiesen vermehrten ihren Konsum um gelten aber heute immer noch bzw. Diese beiden Abhängigkeiten sind und weitgehend übereinstimmende durchschnittlich wohl erst recht. Die Situation ist heute anscheinend getrennte oder Meinung in der Literatur bzw. der noch viel schlimmer, in dem Sinne, 4,9 Zig./ Tag und unabhängige psychische Störun- Fachleute. Einige Untersuchungen dass heute mehr konsumiert wird. Wenigraucher (1-19 Zig./Tag) ver- gen im Sinne einer Komorbidität. zitiere ich exemplarisch. mehrten ihren Konsum um durch- Wenn es eine begleitende Symp- Da diese Fragen nicht das Hauptthe- schnittlich tomatik wäre, müsste sich die Ni- ma der Tagung sind, steht wenig Zeit 8,6 Zig./Tag. kotinabhängigkeit nach der Hei- 24 Nikotinvergiftung und Trinkerheilanstalten seit 1930 Nikotinvergiftung und Trinkerheilanstalten seit 1930 25
Das ist auch verständlich; wenn IV. Warum wollen die Beim Rauchen wird durch das Nikotin ein Mensch sich von allen stoffge- ein Lustgefühl erzeugt, auf das der bundenen Abhängigkeiten löst Ex-Alkoholiker nicht Nicht-Entwöhnungswillige nicht ver- bzw. einen klaren Schlussstrich mit einer gleich- zichten will oder kann. Diese Wirkung zieht, sind auch seine Chancen starken Motivation ist der entscheidende Faktor des Rau- besser, nicht wieder mit dem das Rauchen been- chens und dürfte wohl bei Alkoholi- einen oder dem andern Stoff kern und Nicht-Alkoholikern gleich anzufangen. den ? sein. Alkohol 3.4 Eine Rauchentwöhnung scheint In diesem Zusammenhang ist das eine die Rückfallgefahr zum Alkohol wichtige Frage. Es hätte ja sein kön- nicht zu verstärken. nen, dass mit dem Abstinenzwunsch V. Unterschiede zwi- Die Argumente wie oben treffen gegenüber Alkohol auch ein genauso schen Alkoholikern starker Wunsch zur Nikotinabstinenz hier wohl ebenso zu: eine klare entsteht. und Nikotinikern Distanz zu allen Suchtstoffen. Ex-Alkoholiker sind Suchtexperten Zwischen Alkoholabhängigen und Ni- 3.5 Die normalen Nikotintherapien bzw. Experten in eigener Sache kotinabhängigen gibt es eine Reihe scheinen auch für die Alkoholiker von weiteren Unterschieden. geeignet zu sein - aber mit häufi- - durch ihre eigenen Erfahrungen und lung der Alkoholabhängigkeit zu- geren Rückfällen. (eventuell) Der Nikotiniker erlebt oder hat rückbilden. - durch die Therapie. a) keine Berauschung oder Störung Da es hier allein um die Abstinenz der Bewusstheit, vom Nikotin geht, ist es verständ- In der französischen Schweiz wurden 3. Die Motivation zur b) keine Beeinträchtigung der Hirnlei- lich, dass die Methodik auch im Jahre 1997 (ZULLINO 2000) insge- Rauchabstinenz stung, gleich wirksam ist. samt 88 Alkoholiker, die sich in einem c) keine speziellen psychosozialen 3.1 Alkoholiker und Ex-Alkoholiker 3.6 Spezielle Formen einer Nikotin- stationären universitären Entzugspro- Schädigungen, z. B. Beruf, Familie sind an einer Rauchabstinenz in- therapie bei Alkoholikern sind gramm befanden, über ihre Bereit- usw., teressiert. noch nicht erprobt. schaft befragt, das Rauchen zu been- d) kein negatives mitmenschliches den und über eventuelle diesbezügli- Der Hauptgrund sind hier auch oder gesellschaftliches Image, 3.8 Eine Ausbildung der Suchtberate- che Barrieren. Es wurden die be- die gesundheitlichen Schäden. rinnen und -berater über die Wir- e) keine Änderung der Lebenssitua- kannten Entzugsbeschwerden ange- Ca. 40 - 50% der befragten Alko- kungen und die Therapie der Ni- tion bei einem Rückfall (!), geben. holiker gaben an, an einer Rau- kotinabhängigkeit erhöht die Sen- f) die körperliche Schädigung allein cherentwöhnung Interesse zu sibilität für die Probleme der Rau- Bei den verschiedenen Stadien der durch das Rauchen ist natürlich haben. cher. Bereitschaft mit dem Rauchen aufzu- geringer als bei dem Konsum bei- hören zeigten sich signifikante Diffe- der Suchtstoffe. 3.2 In Behandlung befindliche Alko- Das ist das Ergebnis einer ent- renzen. Von den Alkoholikern, die sich holiker und Ex-Alkoholiker können sprechenden Untersuchung in Der „exalkoholische Nikotiniker“ hat im Stadium der Überlegung und der das Rauchen beenden. Amerika und dies dürfte ebenso also eine deutlich geringere Beein- Planung zu einer Nikotinabstinenz Die wenigen diesbezüglichen Un- auf deutsche Verhältnisse zutref- befanden, gab trächtigung seines Lebens als in der tersuchungen aus Amerika über fen. Zeit als Alkoholiker. Bei dem Vergleich - ein Drittel an, dass der „Verlust an kann er natürlich sagen, dass Rau- Raucherentwöhnung bei Alkoholi- Lust“ (Loss of pleasure) ein Hinder- chen - insgesamt gesehen - gar nicht kern geben Abstinenzerfolge von nis sei so schlimm wie früher ist. 8 -10% an. Manchmal auch deut- lich höhere Werte. gegen 3.3 Eine Rauchentwöhnung scheint - zwei Drittel im Stadium eines Rück- die Ergebnisse der Alkoholthera- falles oder ohne entsprechende Ab- pie zu verbessern. sicht. 26 Nikotinvergiftung und Trinkerheilanstalten seit 1930 Nikotinvergiftung und Trinkerheilanstalten seit 1930 27
VI. Schlusswort Literatur Strategien der Raucherentwöhnung I FRANKL-HOCHWART, L. v.: Die ner- Antwort eines Alkoholikers auf die Fra- ge: „Erleben Sie einen Unterschied vösen Erkrankungen der Tabakrau- cher, Hölder, Wien,1912, S. 62 - Gegenwärtige Methoden und neue zwischen der Alkohol- und der Niko- tinabhängigkeit ?“ (OLM 1992) HILDEBRANDT, W. : Nikotinvergiftung Zielrichtungen in der medikamentösen und Trinkerheilanstalt, Blätter für prak- „Alkohol zerstört das Leben - tische Trinkerfürsorge 1931, 15, 24 - Behandlung Nikotin auch, aber viel unauf- 27 fälliger.“ HARRIS, J.; D. BEST; L. MAN u.a.: Priv. Doz. Dr. Anil Batra Wenn rauchende Alkoholtrinker ganz Changes in cigarette smoking among geheilt werden sollen, müssen sie Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie alcohol and drug misusers during Osianderstraße 24 auch zugleich vom Nikotin entwöhnt inpatient detoxification, Addiction Bio- werden. Wenn das nicht erfolgt, dann 72076 Tübingen logy 2000, 5, 443 - 450 ist nur eine Hälfte des Menschen geheilt worden, die andere Hälfte HURT, R.; K. OFFORD; I. CROGHAN bleibt weiterhin abhängig. u. a.: Mortality following inpatient Inhalt addictionstreatment, J. American Auf Grund der oben dargestellten Medical Association 1996, 275, 1097 I. Medikamentöse Behandlungsmöglichkeiten Fakten ist die Forderung zu erheben, - 1103 dass jede Suchteinrichtung eine/n OKM, H.-P.: Raucherentwöhnung in II. Der Stellenwert der Nikotinsubstitution Raucherbeauftragte/n haben sollte, der ambulanten Arbeit mit Alkoholab- 1. Nikotinkaugummi um allen Alkoholikern die Problematik hängigkeit, Die berufliche Sozialarbeit 2. Nikotinpflaster zu verdeutlichen und ihnen, wenn sie 1992, Heft 2, S. 28 - 32 3. Nikotinnasenspray es wünschen, bei einer Entwöhnung eine Hilfe zu sein. Dazu ist aber eine STINTZING, R.: Allgemeine Prophyla- III. Diskussion spezielle Ausbildung über das Rau- xe und Diätetik der Krankheiten des chen erforderlich. Nervensystems, in PENZOLDT, F. u. Literatur STINTZING, R.: Handbuch der Thera- pie. 4. Bd., Fischer, Jena, 1910, S. 18 ZULLINO, D., J. BESSON; Ch. SCHNYDER: Stage of change of ciga- rette smoking in alcohol-dependent patients, European Addiction Rese- arch 2000, 6, 84 - 90 Weitere Literatur beim Verfasser. 28 Nikotinvergiftung und Trinkerheilanstalten seit 1930 Strategie der Raucherentwöhnung I 29
I. Medikamentöse II. Der Stellenwert der Die Verträglichkeit der Nikotinersatz- Derzeit sind zwei verschiedene Pfla- produkte ist bei bestimmungsgemä- stersysteme mit unterschiedlicher Ap- Behandlungsmög- Nikotinsubstitution ßer Anwendung gut. Die Gefahr der plikationsdauer (von 16 bzw. 24 Stun- lichkeiten Entstehung einer neuen Abhängigkeit den) im Handel; Unterschiede in der Nikotinpräparate haben einen wichti- scheint bei allen Applikationsformen Wirksamkeit konnten bislang nicht Vielen Raucherinnen und Rauchern ist gen, unverzichtbaren Stellenwert in- gering. Nur wenige Ex-Raucher wen- nachgewiesen werden. Die Hautver- trotz des Wissens um die gesundheits- nerhalb der Raucherentwöhnungsthe- den regelmäßig über längere Zeit träglichkeit des Nikotinpflasters wird schädigenden Wirkungen des Tabak- rapie (FAGERSTRÖM 1991). Nikotinkaugummi oder –nasenspray als gut beschrieben. Aus suchtthera- konsums eine Tabakabstinenz nicht Nikotin wurde 1983 erstmals als Me- an. Das Pflaster scheint überhaupt peutischer Sicht liegt der wesentliche möglich. Neben den durch Lernvor- dikament zugelassen. Seither wurde keine Abhängigkeit hervorzurufen. Vorteil dieser Anwendung in der Ent- gänge fest verankerten Verhaltenswei- eine Reihe von Darreichungsformen koppelung des Zufuhrverhaltens von sen und den mangelhaften Copings- entwickelt: Zur Verfügung stehen in der Substanzwirkung. trategien für rückfallgefährliche „Versu- Deutschland Nikotinpflaster, -kau- 1. Nikotinkaugummi chungssituationen“ stellen Entzugs- gummi und –nasenspray. Zugelassen, Als Voraussetzungen für eine erfolgrei- symptome (vermehrte Irritierbarkeit, wenn auch nicht im Handel befindlich, Das Nikotinkaugummi hat sich in zahl- che Pflasterbehandlung werden ne- verminderte Frustrationstoleranz, dys- sind außerdem die Nikotintablette und reichen placebokontrollierten Studien ben einer guten Eingangsmotivation phorische oder depressive Stimmung, der Nikotininhaler. als effektiv erwiesen (SILAGY et al der Teilnehmenden eine ausreichende Ärger, Aggressivität, Angst, Konzentra- 1994). Nebenwirkungen können als Dosierung der Nikotinersatztherapie Im Folgenden beziehen sich die Darle- Reizungen im Magen-Darm-Bereich und eine ausreichende Behandlungs- tionsstörungen, Unruhe, eine relative gungen auf die im Handel befindlichen auftreten; Prothesenträgern ist die länge über wenigstens drei Monate Bradykardie, Schlafstörungen, gestei- Präparate. Anwendung nicht zu empfehlen. genannt (GLOVER 1993). gerter Appetit und Rauchverlangen (Craving)) die wichtigsten Rückfall- Mit allen Nikotinersatzpräparaten soll Nikotinkaugummi steht in zwei Dosie- gründe dar. der Entwöhnungsprozess erleichtert rungen zur Verfügung: 2 mg und 4 werden. Raucherinnen und Raucher mg. Die höhere Dosierung soll eine 3. Nikotinnasenspray Hier setzen die Raucherentwöhnungs- höhere Effektivität aufweisen. Der haben also die Chance, sich mit der Nikotinnasenspray ist in Deutschland programme an: Während verhaltens- Abstinenzvorbereitung, -einhaltung und maximale Nikotinspiegel wird bei bei- therapeutisch orientierte Gruppen- seit Ende 1997 im Handel erhältlich. -bewahrung ohne eine hinderliche Ent- den Formen innerhalb von 30 min oder Einzeltherapien die Fertigkeiten Es ist die einzige verfügbare Darrei- zugssymptomatik auseinanderzuset- erreicht. Der Einsatz von Nikotin- des Rauchers erhöhen sollen, mit chungsform, die noch rezeptpflichtig zen. Dem Prinzip der Nikotinsubstitu- kaugummi wird leicht- und mittel- rückfallkritischen Situationen und ist. tion liegt die Nikotinzufuhr zur Abmilde- schwer abhängigen Rauchern emp- Rückfälligkeit besser umgehen zu ler- rung der Entzugssymptomatik, wie z.B. fohlen. Nur in sehr seltenen Fällen Vor allem schwer abhängige Rauche- nen, soll die initiale medikamentöse Reizbarkeit, Herzklopfen, erniedrigter kommt es zu einer Abhängigkeitsent- rinnen und Raucher scheinen von der Unterstützung die Entzugssymptome Blutdruck, Müdigkeit, Hungergefühl, wicklung von Nikotinkaugummi (HURT nasalen Nikotinsubstitution besser zu zu Beginn der Abstinenz unterdrük- Schlafstörungen, Verdauungsstörun- et al 1995). profitieren als von Nikotinpflaster oder ken. Im Folgenden sollen die verfüg- gen, Frustration, Konzentrations- -kaugummi. Nikotinnasenspray hat baren medikamentösen Therapiefor- schwierigkeiten und des Rauchverlan- gegenüber dem Kaugummi den Vor- men vorgestellt werden. gens zu Grunde, wenn auch unter- teil der rascheren und effektiveren 2. Nikotinpflaster schiedliche Strategien hierfür gewählt Substitution (maximale Nikotinspiegel Unter den medikamentösen Verfah- werden bereits nach ca. 10 Min er- werden. Die Pflasterbehandlung ist in Deutsch- ren stehen die vorübergehende Un- reicht). In mehreren Studien wurden land seit 1990 zugelassen. terstützung mit Nikotin (Nikotinpfla- Nikotinkaugummi und Nikotinnasen- langfristige Erfolgsquoten von 18% - ster, -kaugummi, oder -nasenspray) spray können beim Auftreten von Ent- Während der Behandlung – am bes- 27% erzielt (HJALMARSON et al. oder mit dem Antidepressivum Bu- zugssymptomen kurzfristig eingesetzt ten über einen Gesamtzeitraum von 8 1994, SCHNEIDER et al. 1995) – da- propion als die zur Zeit wirkungsvoll- werden. Das Nikotinpflaster dagegen - 12 Wochen – wird täglich ein neues mit gilt das Nasenspray als effektivste sten Methoden zur Verfügung. Die baut einen gleichmäßigen Nikotin- Pflaster appliziert. Begonnen wird in Form der Nikotinsubstitution. Neben- Nikotingabe kann als Substitutionsbe- spiegel im Blut auf, der Entzugssymp- der Regel mit der höchsten der drei wirkungen treten - zumindest zu handlung verstanden werden, wäh- tome und insbesondere das Rauch- verfügbaren Pflasterdosierungen, Behandlungsbeginn - häufiger auf als rend Bupropion ein völlig anderes verlangen gar nicht erst aufkommen nach jeweils 2-4 Wochen wird die bei den anderen Substitutionsformen. Wirkprinzip verfolgt. lassen soll. Dosierung um eine Stufe gesenkt. Die häufig berichteten starken Irritatio- 30 Strategie der Raucherentwöhnung I Strategie der Raucherentwöhnung I 31
nen der Schleimhäute lassen aller- von relativ hohen Nikotinmengen und Abb. 2: Effektivität der Nikotinersatz- dings nach den ersten Tagen nach die relativ rasch ansteigenden Nikotin- therapie (aus: SILAGY et al, Cochrane und werden bereits nach einer Woche spiegel im Blut höher als das von Database 4/2000) gut toleriert. Der Einsatz ist insbeson- Nikotinkaugummi oder –pflaster (siehe dere auch bei Rauchern mit Unver- Abbildung 1). träglichkeiten gegenüber Nikotinkau- gummi oder -pflaster gut möglich. Abb. 1: Pharmakokinetik von Nikotin bei verschiedenen Substitutionsprä- Das Abhängigkeitspotential von Niko- paraten (aus: JARVIK & SCHNEIDER, tinnasenspray ist durch die Freigabe 1992) Zigarette Pflaster Nasenspray Kaugummi Abb. 3: Effektivität von Bupropion in der Raucherentwöhnung (Punktpräva- lenz nach 12 Monaten, Quelle: JO- RENBY et al 1999) Bupropion Verschiedene Metaanalysen belegen der Nikotinersatztherapie wurden von die Effizienz der verschiedenen Ni- der Cochrane Research Group ausge- kotinersatztherapien im Vergleich mit wertet und in einer Metaanalyse dar- einer Placebobehandlung. Die Niko- gestellt. Die Wirksamkeit einer Tabak- tinsubstitution scheint die Abstinenz- entwöhnungstherapie wird demnach wahrscheinlichkeit im Rahmen eines durch die Gabe von Nikotin um den Entwöhnungsversuches nahezu zu Faktor 1,7 gesteigert. Die relative verdoppeln (siehe Abb. 2). Umfangrei- Wirksamkeit variiert wenig zwischen che Untersuchungen zur Effektivität den einzelnen Darreichungsformen. Einen neuen Ansatz verfolgt das im mehemmung von Noradrenalin und Juli 2000 zugelassene Entwöhnungs- Dopamin. Dies erklärt sowohl Wirk- mittel Bupropion (Zyban). Bupropion weise (Reduktion von Rauchverlangen erfuhr in den USA 1988 zunächst eine und Gewichtszunahme) als auch das Zulassung als Antidepressivum. Die Nebenwirkungsprofil (Schlafstörun- Wirkung als Medikament zur Unter- gen, Mundtrockenheit, Kopfschmer- drückung des Rauchverlangens wur- zen und Übelkeit) der Substanz. de erst später entdeckt. 1997 wurde Anwender berichten über eine signifi- die Substanz in den USA zur Rau- kante Reduktion des Rauchverlan- cherentwöhnung zugelassen. Die gens. Raucher mit einer Zuckerkrank- Aminoketon-Verbindung wirkt vermut- heit, einer Epilepsie oder einer psychi- lich über eine zentrale Wiederaufnah- schen Erkrankung sollten das Medika- 32 Strategie der Raucherentwöhnung I Strategie der Raucherentwöhnung I 33
ment allerdings wegen der Gefahr von die Effektivität und die Akzeptanz von Literatur SCHNEIDER NG, OLMSTEAD R, Nebenwirkungen (insbesondere des Raucherentwöhnungsbehandlungen MODY FV, DOAN K, FRANON M, Auftretens von epileptischen Anfällen erhöht werden. Zielgruppen sind Rau- FAGERSTRÖM KO, Towards better JARVIK ME, STEINBERG C, Efficacy bei Patienten, die hierzu eine Prädi- cherinnen und Raucher, die aufgrund diagnoses and more individual treat- of a nicotine nasal spray in smoking sposition aufweisen) nur in Rückspra- besonderer gesundheitlicher Gefähr- ment of tabacco dependence. Br J cessation: A placebo controlled, dou- che mit ihrem Arzt einnehmen. dungen dringend einer wirksamen Addict. 1991; 86:543-547 ble blind trial, Addiction, 1995; Therapie zugeführt werden sollten, 90:1671-1682 In der umfangreichsten Studie, die GLOVER ED, What can we expect oder starke Raucher, die auch in bislang zu dieser Substanz vorliegt, ist from the nicotine transdermal patch? SILAGY C, MANT D, FOWLER G, üblichen, professionell geleiteten Rau- der Wirkstoff der Placebobehandlung A theoretical/practical approach, LANCASTER T (2000), Nicotine repla- c h e re n t w ö h n u n g s b e h a n d l u n g e n eindeutig überlegen (Abb.3, JOREN- Health Values. 1993; 17:69-79 cement therapy for smoking cessa- (Verhaltenstherapie und Nikotinsubsti- BY et al. 1999). Allerdings wird sich tion, Cochrane Database, Issue 4, tution) geringe Abstinenzaussichten HJALMARSON A, FRANZON M, erst in den nächsten Jahren endgültig 2000. Oxford haben. WESZIN A, WIKLUND O, Effect of beurteilen lassen, ob die Substanz nicotine nasal spray on smoking ces- SILAGY CA, MANT DC, FOWLER GH, auch anderen Therapiestrategien Abschließend soll betont werden, sation, Arch Intern Med. 1994; LODGE M, Meta-analysis on efficacy überlegen ist, ob das Nebenwirkungs- dass sich die Wirksamkeit einer medi- 154:2567-2572 of nicotine replacement therapies in profil den breiten Einsatz ermöglicht kamentösen Behandlung nur in Ver- smoking cessation, Lancet, 1994; und ob die Substanz in bestimmten bindung mit einer zusätzlichen moti- HURT RD, OFFORD KP, LAUGER GG, 343:139-142 Untergruppen (z.B. Raucher mit vierenden oder besser noch verhal- MARUSIC Z, FAGERSTRÖM KO, EN- depressiven Episoden in der Anamne- tenstherapeutischen Unterstützung RIGHT PL, SCANLON PD, Cessation se) eine besonders hohe Effektivität entfalten kann. Weder Motivationsar- of long-term nicotine gum use - a pro- besitzt. beit noch Fertigkeiten im Umgang mit spective, randomized trial, Addiction, Versuchungssituationen lassen sich 1995b; 90:407-413 durch ein Medikament ersetzen! Die JARVIK ME, SCHNEIDER NG, Nicoti- medikamentöse Behandlung ist stets ne. In: LOWINSION JH, RUIZ P, MILL- III. Diskussion wirksamer, wenn begleitend verhal- MAN RB (eds). Substance Abuse: A tenstherapeutische Beratungen oder Comprehensive Textbook, Ed II. Balti- Die Abstinenzerfolge mit Hilfe der Unterstützungen gegeben werden. more, Md, Williams and Wilkins, 1992 medikamentösen Behandlungen sind Andernfalls werden im klinischen All- angesichts der geringen spontanen tag bedeutend niedrigere Erfolgsraten JORENBY DE, LEISCHOW SJ, NIDES Abstinenzquote von weniger als 5% (um 5%) erreicht, als in den wissen- MA, RENNARD SI, JOHNSTON JA, langfristigem Erfolg respektabel, an- schaftlichen Studien berichtet wurden HUGHES AR, SMITH SS, MURAMO- dererseits auch wieder als nur „mäßig“ (RINGBECK 1994). TO ML, DAUGHTON DM, DOAN K, zu bezeichnen. Die langfristige Ab- FIORE MC, BAKER TB, A controlled stinenzwahrscheinlichkeit liegt selbst trial of sustained-release bupropion, a bei Anwendung multimodaler Thera- nicotine patch, or both for smoking pien (Kombinationen aus medikamen- cessation, N Engl J Med. 1999; tösen Entwöhnungshilfen und verhal- 340:685-689 tenstherapeutischer Unterstützung) RINGBECK DM. Raucherentwöhnung oft unter 30%. Insbesondere stark mit dem Nikotinpflaster - Niedrige abhängige Raucher, sowie Raucher Erfolgsquoten unter Alltagsbedingun- mit comorbiden Störungen (z.B. Dro- gen, Fortschr Med. 1994; 112-336 gen- oder Alkoholabhängigkeit oder Depressionen) haben geringe Absti- nenzaussichten - diese liegen zumeist noch unter 10%. Durch die Entwick- lung sogenannter risikogruppenspezi- fischer Programme könnte in Zukunft 34 Strategie der Raucherentwöhnung I Strategie der Raucherentwöhnung I 35
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