"Big changes start small" - Geschichten von Menschen, die etwas bewegen Ein Wirkungsbericht - DW
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EDI T ION DW AK ADEMIE | 2020 „Big changes start small“ Geschichten von Menschen, die etwas bewegen Ein Wirkungsbericht
Impressum HER AUSGEBER VER ANT WORTL ICH G E S TA LT U N G E R S C H E I N U N G S DAT U M Deutsche Welle Carsten von Nahmen Jorge Loureiro März 2020 53110 Bonn Germany REDAK T ION T I TELFOTO © DW Akademie Petra Aldenrath Khalil Samrawi Jan Lublinski Laura Moore ÜBERSETZUNGEN Roja Zaitoonie Jana Duman Das Papier für diese Publikation wurde aus Holz erstellt, das aus verantwortungsvoller, nachhaltiger, europäischer Waldwirtschaft stammt. Es wird auf Düngemittel und Pestitzide verzichtet und der Bestand wird wieder aufgeforstet.
Inhalt Editorial 6 Einleitung 8 Aggregierte Wirkungen – was es damit auf sich hat 10 AFR IK A Burkina Faso, Mali, Niger: Mit Medien gegen Gewalt – Konfliktsensitiver Journalismus 12 Namibia: MiLLi* ist Kult! Ein Medienprojekt für Jugendliche made in Namibia wird zum Erfolgsschlager 18 Uganda: Raus aus dem Klassenzimmer, rein in die Nachrichtenredaktion 24 A SIEN Mongolei I: Eine Brücke zwischen Medien und Bevölkerung 30 Mongolei II: Wenn Daten sagen, was Politiker verschweigen – Investigativer Journalismus bringt die junge mongolische Demokratie voran 36 Myanmar: Community-Radios bringen Vielfalt in Myanmars Medienlandschaft 42 Pakistan: Die Angst als ständiger Begleiter – Das Traumazentrum in Quetta 50 E U R O PA Georgien: Wenn Berge versetzt werden 58 Westbalkan: Ganz wie die Profis – Wie die Jugend auf dem Westbalkan die mediale Zukunft gestaltet 64 L AT E I N A M E R I K A Bolivien: Eine Ausbildung fürs Leben – Die duale Journalistenausbildung 68 Guatemala: Radio Sónica – Ein Radio, das Hoffnung sendet 74 N A H O S T/ N O R D A F R I K A Libanon: Wissen, was wirklich passiert – Wie Medienprojekte das Leben in Flüchtlingscamps verändern 78 Tunesien: Eine Umweltplattfom für eine saubere Zukunft 84 Westjordanland, Gaza-Streifen, Ost-Jerusalem: Ein positiver Virus – Medienkompetenz macht Schule 88 Unsere Autorinnen und Autoren 94 DW Akademie Big changes start small 5
EDITORIAL Mit kleinen Schritten beginnen – Big changes start small In Pakistan ist Angst ein ständiger Begleiter vieler Journalistin- jetzt erheben können. Sie hat der Medienentwicklung neue nen und Journalisten. Sie sind traumatisiert von Terror, Gewalt Chancen eröffnet. Im Zentrum unserer Arbeit steht nach wie und Einschüchterungsversuchen. Von ihren Arbeitgebern vor Artikel 19 des UN-Zivilpakts, in dem das Menschenrecht auf erhalten sie meist nur wenig Rückhalt, werden schlecht bezahlt freie Meinungsäußerung und Zugang zu Information veran- und oft geringschätzig behandelt. Dass sich hier etwas ändern kert ist – denn dieses Recht ist, auch in einer digitalen Welt, die muss, hat Gulmina Bilal Ahmad, die Direktorin der pakistani- Voraussetzung dafür, dass Menschen verlässliche Informatio- schen Nichtregierungsorganisation „Individual Land“, erkannt. nen nutzen und sich mit anderen austauschen können. Sie hat ein Traumazentrum eröffnet, in dem Medienschaffen- den, die unter psychischen Problemen leiden, geholfen wird. Mit Projekten in rund 50 Entwicklungs- und Schwellenlän- Und sie geht gezielt auf die Chefetagen der Medienhäuser zu dern stärkt die DW Akademie das Recht auf Meinungsfrei- – damit diese ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht nur heit. Erfolgreiche Medienentwicklung kann nur dann gelingen, mit Schutzwesten ausstatten, sondern sie auch vor psychi- wenn wir auf veränderte Situationen reagieren und gemein- schen Gefahren und emotionalem Leid schützen. Gulmina Bilal sam mit unseren Projektpartnern vor Ort individuelle, inno- Ahmad weiß, dass viel Überzeugungsarbeit zu leisten ist. Aber vative, zukunftsweisende und langfristig gedachte Lösungs- sie bleibt optimistisch: „Big changes start small!“ – große Verän- ansätze finden. Diese sind von Land zu Land, von Region zu derungen beginnen oft mit kleinen Schritten. Region und von Projekt zu Projekt unterschiedlich. So enga- gieren wir uns für die Verbesserung politischer und rechtlicher Die DW Akademie unterstützt Nichtregierungsorganisationen Rahmenbedingungen, beraten Regierungsstellen und Nicht wie „Individual Land“, denn das ist unsere Aufgabe. Wir arbei- regierungsorganisationen, fördern die Entwicklung nachhal- ten mit Menschen, Organisationen und Gemeinschaften, die tiger Geschäftsmodelle und technischer Innovationen und einen konstruktiven Dialog wollen und die zu einer aktiven und unterstützen Presseräte und Medienorganisationen. Wir ent- informierten Zivilgesellschaft beitragen. Dadurch stärken wir wickeln digitale Medienformate in Serbien und Montenegro Meinungsfreiheit und befähigen Menschen weltweit, auf Basis und fördern eine duale Journalistenausbildung in Bolivien. Wir unabhängger Informationen und verlässlicher Fakten freie Ent- unterstützen Medienangebote für Geflüchtete im Libanon und scheidungen zu treffen. Das ist in einem Zeitalter, in dem Qua- stärken Medienschaffende in Burkina Faso. litätsmedien zunehmend infrage gestellt werden, besonders wichtig. Wie aber sieht es in diesen Projekten aus? Wer sind die Leute, die sie voranbringen? Was haben die Menschen in den ein- Unser Auftrag – Medien zu entwickeln – ist heute komplexer zelnen Ländern davon? Die vorliegende Publikation spürt geworden, aber wichtiger denn je. Die digitale Revolution hat genau diesen Fragen nach. Sie stellt einige unserer weltwei- die Medienlandschaften dauerhaft verändert. Sie hat aber nicht ten Projekte in Form von journalistischen Reportagen vor und nur dazu geführt, dass Wahlen über Soziale Medien manipu- beschreibt dabei auch die Wirkungen dieses Engagements. liert werden, Populisten digitale Räume attackieren und Men- Wir berichten über Menschen, die große Herausforderungen schen darin angegriffen werden. Sie hat auch dazu geführt, in kleinen Schritten angehen und über das, was sie bislang dass Menschen, die früher keine mediale Stimme hatten, diese erreicht haben. Carsten von Nahmen, Leiter DW Akademie DW Akademie Big changes start small 7
EINLEITUNG Menschen, die etwas bewegen Soziale Medien, das Internet, Zeitungen, Magazine, Fernsehen Die DW Akademie sammelt und dokumentiert die Wirkungen und Radio – mit Ausnahme weniger abgelegener Gebiete ste- ihrer Projekte auf verschiedenen Ebenen, mit verschiedenen hen den Menschen heute weltweit Informationen in vorher nie Methoden. Dazu zählen zunächst drei Wege, die heute Stan- dagewesener Fülle zur Verfügung. Egal ob in A serbaidschan dard in der Entwicklungszusammenarbeit sind: erstens ange- die Erde bebt, in Indien Hetzjagden auf Grund von Falschmel- wandte Studien, die neues Wissen über Wirkungen ermögli- dungen stattfinden, sich in der arabischen Welt Rebellionen chen, zweitens das sogenannte wirkungsorientierte Monito- und Revolutionen ereignen oder Äthiopien und Eritrea Frieden ring, das im Verlauf der Projektarbeit mit den Partnerorganisati- schließen – was am einen Ende der Welt passiert, lässt sich am onen vor Ort durchgeführt wird, und drittens Evaluationen, die anderen Ende zeitgleich verfolgen. Dass den Menschen heute von externen Gutachterinnen und Gutachtern erstellt werden. eine Informationsfülle zur Verfügung steht, sind erst einmal gute Nachrichten – aber es gibt auch eine Kehrseite. Der vorliegende Band konzentriert sich auf zusätzliche Metho- den, um Wirkungen darzustellen: auf Reportagen aus 13 ver- So rasant schnell sich das Informationsangebot erweitert, so schiedenen Ländern und auf quantitative Daten, die soge- rasant schnell wird es immer wieder auch eingeschränkt. Das nannten aggregierten Wirkungsdaten, die regelmäßig gesam- Recht auf Meinungs- und Informationsfreiheit wird oft syste- melt und gebündelt werden. Die aggregierten Wirkungszahlen matisch verletzt. In Ungarn werden unabhängige Medien von geben einen numerischen Überblick der Menschen, die durch regierungsnahen Unternehmen schlichtweg aufgekauft. In die Arbeit der DW Akademie erreicht wurden. Hierzu fragt die Ländern wie Irak, Venezuela, Simbabwe, Kamerun oder Indien DW Akademie jedes Jahr bei ihren Partnerorganisationen vor wird das Internet immer wieder abgeschaltet und die Nut- Ort nach. So wurden beispielsweise im Jahr 2018 mit Unterstüt- zung der Sozialen Medien eingeschränkt. In Bangladesch oder zung der DW Akademie 9,6 Mio. Menschen in ländlichen Gebie- Kirgisistan haben Frauen nahezu keine Stimme in den Medien. ten mit für sie relevanten Informationen versorgt. 26,6 Mio. Weltweit werden Journalistinnen und Journalisten wegen ihrer Menschen haben von den Umstrukturierungen ihrer Staats- Berichte bedroht, eingesperrt und sogar ermordet. sender profitiert und erhalten eine vielfältigere und attrakti- vere Berichterstattung. Meinungsfreiheit und den Zugang zu verlässlichen Informa- tionen zu stärken, ist Aufgabe der DW Akademie. Sie setzt In dieser Publikation lernen Sie einige Menschen kennen, die dabei konkret bei Menschen und Organisationen an, die hinter den Zahlen der aggregierten Wirkungen stecken. Ihre etwas bewegen – manchmal in kleinen Schritten, manchmal Geschichten sind nicht repräsentativ für die Gesamtheit der in großen. In Guatemala fährt Radio Sónica mit einem mobi- unterstützten Zielgruppen. Sie zeigen aber, welche Ansätze len Radiostudio zu Jugendlichen in Problemvierteln und gibt und Lösungswege für einzelne Menschen funktioniert haben ihnen und ihren Anliegen eine Stimme. In Tunesien ist eine und warum. Internet-Plattform, auf der Umweltsünden gemeldet werden können, online gegangen. Und in Pakistan sind Traumazen- Sie lernen Thu Thu aus Myanmar kennen, die nachmittags die tren entstanden, die Medienschaffenden, die durch Terror, Regler ihres Mikrofons aufdreht und die umliegenden Gemein- Gewalt, prekäre Arbeitsverhältnisse und andere Extremsitu- den über das erste Community-Radio des Landes mit Nachrich- ationen traumatisiert wurden, dabei helfen, ihr Leben wieder ten und Aktuellem aus der Region versorgt. Sie besuchen mit in den Griff zu kriegen. uns Burkina Faso und erfahren, wie Medienschaffende versu- chen, etwas gegen die dort zunehmende Gewalt zu tun. Und Damit die Menschen genau die Unterstützung bekommen, die Sie lernen César kennen, der sich einst kaum traute eine Bewer- sie brauchen, werden die weltweiten Medienprojekte der DW bung für eine Journalistenausbildung abzuschicken und heute Akademie in Zusammenarbeit mit lok alen Partnerorganisatio- sowohl ein angesehener Journalist als auch ein gefragter Trainer nen konzipiert. Wird in Bolivien eher eine praktisch-orientierte in Sachen Onlinejournalismus ist. Ausbildung für Nachwuchsjournalistinnen und -journalisten gebraucht, geht es in der Mongolei um die Selbstregulierung Ich wünsche Ihnen viel Freude beim Kennenlernen dieser Men- der Medien. Die Projekte richten sich an benachteiligte Jugend- schen, die in ihren Ländern viel bewegen. liche, an Geflüchtete und indigene Minderheiten, an Journalis- tinnen und Journalisten oder auch an das Management großer Medienhäuser. Petra Aldenrath, DW Akademie DW Akademie Big changes start small 9
AGGREGIERTE WIRKUNGEN Was es damit auf sich hat Wie viele Bürgerjournalistinnen und -journalisten bildet die DW Akademie im Rahmen ihrer Projekte, in denen Community- Medien gefördert wurden, aus? Wie viele Medienorganisationen werden weltweit darin unterstützt, konfliktsensitiv und differen- zierter über die Situation in ihrem Land zu berichten? Und wie viele Menschen können mit diesen Programmen erreicht werden? Um solche oder ähnliche Fragen beantworten zu können, werden bei der DW Akademie aggregierte Wirkungsdaten erhoben. –– Aggregierte Wirkungen beziffern anhand von quantitativen –– Anhand von Wirkungsdaten können Bedeutung und Mög- Erhebungen, was Projekte in einem Jahr in ausgewählten lichkeiten von Medienprojekten veranschaulicht werden. Ein Themenbereichen wie beispielsweise Ausbildung von Me- Beispiel sind Projekte, die Jugendliche im verantwortungs- dienschaffenden, Digitale Rechte oder Angebote für Jugend- vollen Umgang mit digitalen Medien stärken. Die Vermitt- liche bewirkt haben. lung von Medienkompetenz innerhalb und außerhalb des schulischen Lehrplans ist eine wichtige Voraussetzung dafür, –– Aggregierte Wirkungen werden jährlich berechnet. Grundlage dass junge Menschen die Möglichkeiten der Kommunikation für die aggregierten Daten 2018, die in dieser Broschüre dar- in Sozialen Medien wahrnehmen, aber gleichzeitig ihre Risi- gestellt werden, sind 42 Projekte der DW Akademie – davon 28 ken kennen. Nicht nur, aber auch im Globalen Süden. finanziert vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusam- menarbeit und Entwicklung, die übrigen von der Europäischen –– Zur Wirkungsmessung in ausgewählten Kategorien – wie Union und dem Auswärtigen Amt. z.B. Medien für Geflüchtete oder Angebote für Jugendliche – werden sogenannte Indikatoren definiert. Diese ausgewähl- –– Auf Grundlage der globalen Wirkungsdaten lassen sich Kern- ten Messgrößen müssen sich ohne allzu großen Aufwand botschaften formulieren, die der Öffentlichkeit, Auftrag- erheben lassen, oder sie müssen aus bereits vorhandenen gebern, Partnern und auch Mitarbeitenden zur Verfügung Datensammlungen entnommen werden. Jeder einzelne In- gestellt werden, zum Beispiel, dass Medienorganisationen dikator wird in allen Projekten mit denselben Methoden und dabei unterstützt werden, konfliktsensitiver und differen- für denselben Zeitraum erfasst. zierter über die Situation in ihrem Land zu berichten, und damit ein wichtiger Beitrag zur aktiven Friedensförderung in –– Da die Ermittlung von aggregierten Wirkungen sich nicht den entsprechenden Regionen geleistet wird. auf einen Zielwert bezieht, ist kein Vorher-Nachher-Vergleich möglich. Somit lassen sich keine Rückschlüsse auf Entwick- lungen im Zeitverlauf ziehen. Die Geschichten dieser Publikation schlagen eine Brücke zwischen den projektübergreifenden Daten (die bei jedem Artikel in Info- boxen zu finden sind) und den Menschen, die hinter diesen aggregierten Wirkungsdaten stehen. Anja Weber, DW Akademie DW Akademie Big changes start small 11
©©DW/C. Noblet Moderator und Trainer Abdoulaye Quattara unterrichtet, wie man mit dem Handy qualitativ hochwertige und ausgewogene Berichte macht. BURK INA FA SO, MALI, NIGER Mit Medien gegen Gewalt Konfliktsensitiver Journalismus Autorinnen Charlotte Noblet und Petra Aldenrath FÜR EILIGE Um seinen Landsleuten das Misstrauen zu nehmen, geht der Radiojournalist Jean-Carem Kabóre am liebsten ohne Mikrofon auf Recherche. Burkina Faso galt lange als stabilstes Land der Sahelzone. Doch Anschläge militanter Gruppen und lokale Konflikte zwischen verschiedenen Ethnien haben in den vergangenen Jahren zugenommen. Um dem etwas entgegenzusetzen, engagiert sich Kabóre mit dem Réseau d‘Initiatives de Journalistes (RIJ) für ausgewogene und konfliktsensitive Berichterstat- tung. Das Netzwerk von und für Journalistinnen und Journalisten setzt sich für qualitativ hochwertige Berichte ein und stellt sich dadurch der zunehmenden Gewalt im Land mutig entgegen.
AFRIKA BURKINA FASO, MALI, N IGER Burkina Faso war lange bekannt für das friedliche Nebeneinander verschiedener Religionen und Ethnien. Doch davon kann inzwischen keine Rede mehr sein. Gewaltsame Konflikte greifen mehr und mehr um sich. Eine Gruppe engagierter Journalistinnen und Journalisten stellt sich diesem Trend entgegen und hat gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen aus Nachbarländern die Plattform PaxSahel aufgebaut. „Wenn ich recherchiere, gehe ich am besten ohne Mikrofon los listen recherchieren in den Redaktionsräumen am Compu- – auf den Markt oder in Straßencafés.“ Der 35-jährige Radio- ter, andere lassen sich den Wind der Ventilatoren ins Gesicht journalist Jean-Carem Kaboré kennt das Misstrauen seiner wehen, trinken Instantkaffee und diskutieren über die neue Landsleute gegenüber der Presse. Zuhören und Vertrauen Gesetzgebung vom 21. Juni 2019, die es ihnen verbietet über aufbauen sind wichtig bei seiner Arbeit. Mikrofon, Stift und Terroraktionen zu berichten, bevor die Regierung eine offizi- Papier trägt Kaboré trotzdem immer bei sich, aber am liebs- elle Pressemitteilung herausgegeben hat. ten im Rucksack verstaut. Die Reportage – das ist sein Ding, sagt er. „Als Journalist musst du vor Ort sein. So bekommst du unterschiedliche Informationen aus erster Hand.“ Seine Gäste Berichte aus einem Konfliktgebiet empfängt der Journalist aber nicht draußen, sondern an sei- nem Arbeitsplatz in den Redaktionsräumen von „Radio rurale Burkina Faso ist eines der ärmsten Länder der Welt, 40 Prozent du Burkina“, einem Radiosender im westafrikanischen Burkina der Bevölkerung leben unterhalb der Armutsgrenze. Dazu lei- Faso. Als Willkommensgruß verschenkt er eine kleine Plastik- det das Land stark unter den Folgen des Klimawandels. Dort, flasche mit Wasser und ist sofort per du. wo früher nutzbare Ackerflächen waren, finden sich heute oft nur noch verdorrte Felder. Immer mehr Menschen verlieren „Radio rurale du Burkina“ gehört zur nationalen Hörfunk- und ihre Einkommensquellen und verlassen ihre Dörfer, doch pas- Fernsehanstalt von Burkina Faso: Radiodiffusion-Télévision sende Arbeitsplätze sind auch in den Städten rar. de Burkina (RTB). Sie hat ihren Sitz mitten in der Hauptstadt, der Zwei-Millionen-Metropole Ouagadougou, in einem typi- Lange Zeit galt Burkina Faso als stabilstes Land der Sahelzone. schen 70er-Jahre-Bau: quadratisch und funktional. So zweck- Doch die Zahl der Anschläge militanter Gruppen hat zugenom- mäßig wie die Architektur des Gebäudes sind auch die Wände men, genauso wie lokale Konflikte zwischen ethnischen Bevöl- in einem sandfarbenen Gelbton gestrichen, der schon lange kerungsgruppen. Entsprechend schwieriger wird auch die nicht mehr aufgefrischt wurde. Mehrere Hundert Menschen Lage für Journalistinnen und Journalisten. Das westafrikani- arbeiten bei RTB, 55 von ihnen bei „Radio rurale du Burkina“. sche Land hat zwar eine vielfältige und pluralistische Medien- An diesem Nachmittag bleiben die Studios leer, von redakti- landschaft und zählt in puncto Pressefreiheit laut Reporter oneller Hektik keine Spur. Einige Journalistinnen und Journa- ohne Grenzen zu den Erfolgen des afrikanischen K ontinents. ©©DW/C. Noblet Radioreporter Jean-Carem Kaboré fokussiert in seinen B erichten Lösungen statt Probleme. DW Akademie Big changes start small 13
©©DW/C. Noblet In Burkina Faso streiten sich Hirten und Bauern oft wegen der abnehmenden Ackerflächen. gen. Der Reporter Kaboré ist einer von ihnen. Seit 2017 mode- riert er eine Sendung, in der regelmäßig über schwelende Kon- W IR K UNG SDATEN flikte berichtet wird – am häufigsten über die zwischen Hirten Konfliktsensitive Berichterstattung: Die DW A kademie und Bauern. „Es gibt bei uns immer weniger Ackerfläche“, sagt hat im Jahr 2018 163 Medienorganisationen darin er, macht eine kurze Pause und starrt ins Leere. Dann lächelt unterstützt, konfliktsensitiver und differenzierter über er und erzählt weiter. „Aus Auseinandersetzungen zwischen die Situation in ihrem Land zu berichten. Ca. 3,5 Mio. einzelnen Personen entstehen immer wieder Streits zwischen Menschen in 11 Ländern empfangen so ausgewogenere ganzen Gemeinden“, bedauert Kaboré. Seiner Stimme ist anzu- Informationen über Konflikte und Krisen. Medien leis- merken, wie sehr ihm die angespannte Lage in seiner Heimat ten hier einen wichtigen Beitrag zur aktiven Friedens- zu schaffen macht. Früher war Burkina Faso für sein toleran- förderung. tes Nebeneinander verschiedener Ethnien und Religionen bekannt, heute schaukeln sich Konflikte leichter hoch. Länder: Bolivien, Burkina Faso, Burundi, Ecuador, Guatemala, Kirgisistan, Kolumbien, Libanon, Libyen, So kam es in Yirgou im Norden des Landes Anfang Januar 2019 Myanmar, Tunesien zu einem Massaker, bei dem laut offiziellen Angaben 49 Men- schen starben. Lokale Quellen allerdings sprachen von 200 Toten. Anlass waren sechs ungeklärte Morde, darunter ein Doch die zunehmend angespannte Sicherheitslage – vor allem Dorfvorsteher. Die Bewohnerinnen und Bewohner des Dor- im Norden des Landes – macht den Reporterinnen und Repor- fes, von denen die meisten zu den Mossi gehören – der größten tern ihre Arbeit schwer bis unmöglich. Um nicht selbst zur Ziel- Ethnie in Burkina Faso – verdächtigten Viehzüchter der Peulh, scheibe zu werden, halten sich manche von ihnen mit Beiträ- einer anderen Ethnie. Aus angeblichen Sicherheitsgründen gen über Konflikte komplett zurück oder zensieren sich selbst. übte die Selbstverteidigungsmiliz Koglweogo Vergeltung, wor- Wieder andere beginnen einseitig zu berichten, greifen auf Kli- aufhin 6.000 Menschen in Panik flohen. Yirgou ist in Burkina schees zurück und tragen so zur Eskalation bei. Faso zum Trauma geworden. Nach dem Massaker demonstrier- ten Mossi und Peulh und rund 60 andere Ethnien gemeinsam Um diesem Trend etwas entgegenzusetzen, engagiert sich das gegen Hass und für Toleranz. Es ist ein komplexes Thema, das Réseau d‘Initiatives de Journalistes (RIJ), ein Netzwerk von und Kaboré mit systematischen Recherchen und sorgfältiger Wort- für Journalistinnen und Journalisten, für ausgewogene und wahl behandelt. konfliktsensitive Berichterstattung. Die Reporterinnen und Reporter setzen sich für qualitativ gute Berichte ein und stellen sich dadurch der zunehmenden Gewalt im Land mutig entge- 14
AFRIKA BURKINA FASO, MALI, N IGER Ein Völkermord wie in Ruanda darf nie Mittlerweile hat das RIJ 300 ehrenamtlich engagierte Mitglieder wieder passieren aus Radio, Fernsehen, Print- und Onlinemedien. Eine von ihnen ist Romaine Raissa Zidouemba, jahrelang Radiojournalistin bei Der Völkermord von Ruanda hat auch in Burkina Faso tiefe RTB und seit Januar 2019 Koordinatorin beim RIJ. „Mit Unterstüt- Spuren hinterlassen. Im Jahr 1994 wurden dort, angestachelt zung der DW Akademie haben wir einen Trainerpool aufgebaut. von einem Radiosender, 75 Prozent der ethnischen Minderheit Wir bieten Fortbildungen zu konfliktsensitivem Journalismus der Tutsi ermordet. Insgesamt starben laut Schätzungen zwi- an und zu ‚Mobile Reporting‘, der Berichterstattung mit dem schen 800.000 und 1 Mio. Menschen. Im Jahr 2000 startete der Handy. Außerdem bilden wir Trainerinnen und Trainer aus.“ Deutsche Entwicklungsdienst (DED) in Burkina Faso eine Ini- tiative zur Qualifizierung von Journalistinnen und Journalis- Radioreporter Kaboré ist heute für die Kommunikation des RIJ ten, um einen solchen Völkermord in Zukunft zu verhindern. zuständig. Er kennt die Ziele des Verbandes sehr gut. 2017 war Medienschaffende sollten sich ihrer Verantwortung bewusst das noch anders. Damals reichte er dort eine seiner Reporta- sein. Sie sollten wissen, dass sie die Macht haben mit ihren gen für den „PaxSahel-Preis“ ein, einen Wettbewerb für kon- Berichten die öffentliche Meinung zu beeinflussen, Stimmun- fliktsensitiven Journalismus, der vom RIJ mit Unterstützung gen anzuheizen, aber auch zu deeskalieren. Sieben Jahre spä- der DW Akademie ins Leben gerufen wurde. „Ich habe den ter stellten Mitglieder der Initiative ihre eigene Organisation Preis gewonnen, obwohl ich nicht mal wusste, was konfliktsen- auf die Beine: das Réseau d‘Initiatives de Journalistes (RIJ). sitiver Journalismus eigentlich bedeutet!“ Das Journalismusnetzwerk ist heute Projektpartner der DW Akademie. Das Ziel: die Qualität der Berichterstattung und die Für Kaboré war es schon immer wichtig, bei seinen Recherchen Medienangebote zu verbessern. verschiedene Betroffene zu befragen, Quellen zu prüfen und STECKBRIEF –– In den vergangenen drei Jahren haben drei große Anschläge in der Hauptstadt Ouagadougou das fried- Burkina Faso, Mali, Niger liche Zusammenleben der Menschen in Burkina Faso nachhaltig erschüttert. Wer setzt Projekte um? –– In allen drei Staaten werden zunehmend größere Teile –– Réseau d‘Initiatives de Journalistes (RIJ) (Burkina Faso), des Landes zu Sperrgebieten erklärt, in denen eine Réseau des journalistes sensibles aux conflits (Niger) und Arbeit der DW Akademie kaum noch möglich ist. Réseau SKBo (Mali, Côte d’Ivoire und Burkina Faso) sind drei Journalisten-Netzwerke in der Sahelzone, die sich Was hat das Medienprojekt bewirkt? auf konfliktsensitiven Journalismus spezialisiert haben. –– Das Réseau d’Initiatives de Journalistes ist in Burkina Faso der bislang einzige Verband, der konfliktsensitive Wie funktioniert das Projekt? Beiträge von Journalistinnen und Journalisten unter- –– Seit 2014 lernen Journalistinnen und Journalisten, die stützt und diese online zur Verfügung stellt. Dank einer für führende Medien und ausgewählte Community- zunehmend professionellen Berichterstattung wird die Radios arbeiten, mit dem Handy Berichte zu erstellen Öffentlichkeit unabhängig und ausgewogen informiert. und konfliktsensitiv zu berichten. Sie setzen so der Dies leistet einen wichtigen Beitrag zur konstruktiven zunehmenden Gewalt in ihren Heimatländern Burkina Konfliktbewältigung. Faso, Mali und Niger etwas entgegen. –– Die besten Teilnehmenden der Fortbildungen werden Welche Highlights gibt es? zu Trainerinnen und Trainern ausgebildet. –– Seit 2016 verleiht das Réseau d’Initiatives de Journalistes –– Der Projektträger Réseau d’Initiatives de Journalistes den „Pax Sahel“-Preis für konfliktsensitiven Journalismus. entwickelt die Webseite paxsahel.com, auf der gründlich Über die Preisverleihung im November 2019 haben alle recherchierte, ausgewogene und konfliktsensitive wichtigen burkinischen Medien berichtet. Staatsminister Beiträge online zur Verfügung gestellt werden. Siméon Sawadogo stand Pate für den Abend und hat die Arbeit der Journalistinnen und Journalisten als wichtigen Welche Schwierigkeiten bestehen? Beitrag zur Deeskalation der Konflikte gewürdigt. –– Burkina Faso, Mali und Niger werden zunehmend von –– Ein Trainerpool für konfliktsensitive Berichterstattung ist islamistisch motiviertem Terrorismus bedroht. In den entstanden. Die Trainerinnen und Trainer der Netzwerke nördlichen Provinzen von Burkina Faso gibt es fast werden von lokalen und internationalen Organisationen täglich Angriffe, besonders gegen Schulen und andere eingesetzt. staatliche Einrichtungen. rij-burkina.org DW Akademie Big changes start small 15
anschließend unabhängig zu berichten. „Früher habe ich aber Pisten auf sich genommen. Wenn er unterwegs anhält, um sich eher nach Bauchgefühl berichtet“, sagt er. Seit der Preisverlei- die Beine zu vertreten, wird der Journalist von den Menschen hung hat Kaboré an zwei Ausbildungen zu konfliktsensitivem am Straßenrand erkannt. Handys werden gezückt und Selfies Journalismus teilgenommen – mit nachhaltigem Erfolg. Heute geschossen. Die Leute wollen ein Foto mit Quattara. Denn er schreibt er seine Reportagen noch bewusster und achtet bei moderiert nicht nur im Radio, er ist auch Mitorganisator eines seinen Radiomoderationen auf jedes Wort. „Der Fokus meiner im Land beliebten Märchenfestivals und wird regelmäßig in Berichterstattung sind nun nicht mehr die Probleme, sondern TV-Talkshows eingeladen. „Wenn du nach dem Volksaufstand mögliche Lösungen“, fügt er hinzu, „und ich vermeide beleidi- 2014 von neutraler Berichterstattung und von Frieden gespro- gende Ausdrücke und Vorurteile.“ chen hättest, wärst du verdächtigt worden, die Regierung zu unterstützen“, erklärt er. Heutzutage verstehe die Bevölkerung besser, dass die Presse eine unabhängige Rolle haben und Konfliktsensitiver Journalismus ist eine weder für noch gegen die Regierung eingestellt sein soll, freut gewaltige Aufgabe er sich über die Entwicklung. Im Westen des Landes, in Bobo Dioulasso, der zweitgröß- Das RIJ ist bislang der einzige Verband in Burkina Faso, der ten Stadt Burkina Fasos, arbeitet Kaborés Kollege Abdoulaye konfliktsensitive Beiträge von Journalistinnen und Journa- Quattara. Er ist dort Korrespondent bei dem Radiosender listen unterstützt und online zur Verfügung stellt. Jedes Jahr „Ouaga FM“ und inzwischen auch ein erfahrener Trainer der werden um die 36 Journalistinnen und Journalisten kontinu- DW Akademie. Quattara ist diesmal für die Fortbildung „Mobi- ierlich geschult. Artikel für Artikel wird besprochen, analysiert ler Journalismus für Fortgeschrittene“ in die Hauptstadt gefah- und korrigiert. Erst dann wird veröffentlicht. „Wenn man sich ren und hat dafür eine fünfstündige Autofahrt über holprige die ersten Berichte anschaut und sie mit denen vergleicht, die ©©Carine Debrabandere Burkina Faso galt lange als stabilstes Land der Sahelzone. Heute nehmen die Konflikte zu. 16
AFRIKA BURKINA FASO, MALI, N IGER ©©DW/C. Noblet Romaine Raissa Zidouemba koordiniert das Journalistennetzwerk RIJ. ein Jahr später geschrieben werden, ist das ein großer Unter- „Berichterstattung zu Konflikten ist eine langwierige Arbeit“, schied“, sagt RIJ-Koordinatorin Romaine Raissa Zidouemba. weiß RIJ-Vorstandsfrau Romaine Raissa Zidouemba. Bisher „Nach einer Weile achten die Journalistinnen und Journalisten konzentrierte sich die Arbeit des RIJ darauf, mehrere Commu- von ganz alleine darauf, keine beleidigenden oder diskriminie- nity-Radios im Norden des Landes durch eine Qualifizierung renden Worte zu benutzen und befragen eben auch nicht nur und Professionalisierung der festen und freien Mitarbeitenden Regierungsmitglieder oder Dorfvorstehende, sondern auch zu unterstützen. Außerdem bauten die Journalistinnen und Leute auf der Straße“, fährt sie fort. Journalisten die Website auf. Mit dem immensen Aufschwung der Sozialen Medien steht dem RIJ nun aber eine neue Aufgabe bevor. Medienschaffende sollten sich ihrer Verant wortung bewusst sein. Sie sollten wissen, dass sie „Die Bevölkerung in Burkina Faso möchte Situationen verste- die Macht haben mit ihren Berichten die öffentli hen. Sie sucht nach Informationen, nicht nur in den großen che Meinung zu beeinflussen, Stimmungen nationalen Medien, sondern auch in den Sozialen Medien“, sagt anzuheizen, aber auch zu deeskalieren. Boureima Salouka, der lokale Koordinator der DW Akademie. Im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen 2020 hat er eine große Die Trainings für konfliktsensitive Berichterstattung sind auch Aufgabe: Salouka koordiniert eine Ausbildungsreihe zum Fak- in den Nachbarländern Mali und Niger beliebt. Alle drei Län- tencheck. „Unsere Community, das sind Journalistinnen und der haben ähnliche Probleme – Terrorismus, krisenbedingte Journalisten, sowie bekannte Bloggerinnen und Blogger. Wir Migration und gesellschaftliche Spannungen, erklärt Romaine wollen Informationen systematisch auf ihren Wahrheitsgehalt Raissa Zidouemba. Damit sich Journalistinnen und Journalisten prüfen und entwickeln eine digitale Plattform, wo wir verifi- vernetzen können, startete das RIJ im Jahr 2015 die Webseite zierte Artikel und Statements von öffentlichen Personen pub- paxsahel.com, ein grenzüberschreitendes Projekt zur Förde- lizieren werden. Durch diese Verifizierung hoffen wir auf eine rung des friedlichen Umgangs mit Konflikten. Journalistinnen qualitativ bessere Wahlberichterstattung.“ und Journalisten aus der Sahelzone können hier Informationen teilen, Erfahrungen austauschen, gemeinsam Artikel verfas- Es ist eine gewaltige Herausforderung, vor der die engagierten sen und dann online stellen. Zurzeit wird die Webseite profes- Journalistinnen und Journalisten in Burkina Faso stehen. Das sionalisiert. Zu finden sind in Zukunft auch aktuelle Informatio- wichtigste ist: sie haben sie angenommen. nen rund um die Sahelzone und die Lage der Presse, Experten analysen sowie Tutorials und Dokumentationen – natürlich alles in konfliktsensitiver Sprache. DW Akademie Big changes start small 17
©©D. Wittek Vanecia Cooper und Susarah Fleermuys erhoffen sich durch MiLLi* Trainings bessere Jobchancen. NAMIBIA MiLLi* ist Kult! Ein Medienprojekt für Jugendliche made in Namibia wird zum Erfolgsschlager Autorin Dagmar Wittek FÜR EILIGE Opeyemi Toriola, auch Tangi genannt, hat als Student viel Geld verloren, weil er einer fiktiven Inter- netschönheit auf den Leim gegangen ist. Heute würde ihm das nicht mehr passieren. Tangi ist mitt- lerweile Trainer bei MiLLi*, einem namibischen Netzwerk, in dem engagierte junge Menschen einen reflektierten Umgang mit Medien fördern. Die MiLLi*-Jugendlichen können Betrug, Falschnachrich- ten und Hassrede erkennen. Sie produzieren eigene Berichte, können ihr Wissen weitergeben und selbstbewusst präsentieren.
AFRIKA NAMIBIA Die namibische Initiative MiLLi* hat Medienkompetenz ins Rollen gebracht. Durch ein Schneeballprinzip haben in nur drei Jahren fast 1.000 Jugendliche in allen Regionen Namibias gelernt, Medien kritisch und reflektiert zu nutzen. Inzwischen zieht das Projekt noch größe- re Kreise und begeistert auch außerhalb der Landesgrenzen. In fünf weiteren afrikanischen Ländern hat MiLLi* bereits Interesse geweckt und arbeitet an Kooperationen. Tangi hat seinen unbedarften Umgang mit WhatsApp teuer schämt. „Ich habe schlicht alles für bare Münze genommen, bezahlt. 2015 kam der Nigerianer, der mit vollständigem was ich in den Sozialen Medien gesehen habe“, sagt er. Doch Namen Opeyemi Toriola heißt, zum Studieren nach Namibia. das Mädchen hat es nie gegeben. Tangis Geld war weg. Er war Freunde hatte der aufgeschlossene, immer fröhlich wirkende Opfer von sogenanntem „Catfishing“ geworden. Er war einer Tangi schnell gefunden. Ruckzuck war er in diversen Sozia- fiktiven Internetidentität auf den Leim gegangen. len Medien und Gruppen vernetzt. Per WhatsApp bandelte er mit einem Mädchen aus dem Norden des Landes an. Mona- telang flirteten sie. Die von ihr geschickten Bilder waren ver- Der Umgang mit Medien will gelernt sein führerisch. Das Mädchen forderte Tangi wiederholt auf, ihr Geld zu schicken, damit sie ihr Handy-Guthaben aufladen, ihm Heute würde ihm das nicht mehr passieren, sagt er lachend, weiterhin Nachrichten schicken und ihn in Namibias Haupt- während er durch sein Handbuch für MiLLi*-Medientrainings stadt Windhuk besuchen kann. „Naiv wie ich war, habe ich blättert. MiLLi*, das steht für „Media and Information Literacy das gemacht“, erzählt der 25-jährige Tangi heute etwas ver- Learning Initiative“, eine Kooperation des College of the Arts ©©D. Wittek Als Student ist Opeyemi Toriola, auch Tangi genannt, einer fiktiven Internetschönheit auf den Leim gegangen, heute klärt er über Chancen und Risiken digitaler Medien auf. DW Akademie Big changes start small 19
©©J. van de Port MiLLi*-Gründer Joost van de Port freut sich, dass eine wahre MIL Gemeinde in Namibia entstanden ist. (COTA) in Windhuk mit der DW Akademie. Durch MiLLi* lernen lich die Welt lebenswerter machen wollen, dann müssen wir junge Menschen, verantwortungsbewusst und kritisch mit von der Basis heraus, in kleinen Schritten dazu beisteuern, eine Medien umzugehen. Denn genau das ist das Ziel von Medien- besser funktionierende, verantwortungsvollere Gesellschaft kompetenz beziehungsweise Media and Information Literacy zu schaffen.“ (MIL). Tangi ist seit der Gründung 2016 mit Herz und Seele dabei, vor allem, weil er nicht will, dass andere ähnlich schlechte Erfahrungen machen wie er: „Ich hatte so die Nase voll von der Das Sternchen (*) hinter dem MiLLi ist kein digitalen Welt, aber dann kam MiLLi*.“ Hinweis auf eine Fußnote, sondern steht für Exzellenz. Nachdem er beim örtlichen Jugendverband in Okahandja einen Flyer für die MiLLi*-Summer School gesehen hatte, war er einer Häufig sind die Jugendlichen nach Tangis Workshops so begeis- der ersten, der über den nationalen Jugendverband National tert, dass sie sich bei der Summer School für einen Trainerlehr- Youth Network in die MiLLi*-Summer School geschickt und gang bewerben, um später anderen Jugendlichen einen kom- dort in einem zehntägigen Intensivkurs zum Medientrainer petenten Umgang mit Medien beizubringen. Für die Summer für Jugendgruppen ausgebildet wurde. Heute ist er einer der School werden aber nur die Besten ausgewählt – auf jeden Platz erfahrensten Trainer. Landesweit bringt er anderen Jugendli- kommen mehr als drei Bewerberinnen und Bewerber. Ein wich- chen in dreitägigen Workshops spielerisch und praktisch mit tiges Auswahlkriterium ist, ob sich die jungen Menschen bereits Hilfe der eigens für MiLLi* entwickelten Lehr- und Trainings in der Jugendarbeit in ihren Gemeinden, in lokalen Medien oder bücher bei, wie sie falsche von wahren Nachrichten unterschei- auch Kirchengemeinden engagieren. In drei Jahren wurden so den können, welche Regeln beim posten, chatten und disku- bereits rund 90 Trainerinnen und Trainer ausgebildet. Etwa tieren in Foren helfen und wie sie selbst Beiträge produzieren. 1.000 Jugendliche in ganz Namibia haben ihre Medienkompe- Trainingsmodule gibt es zu Fotografie, Radio, Video und Musik tenz verbessert. MiLLi* sei zur richtigen Zeit gekommen, sagt sowie Sozialen Medien. Pecka Semba, Regionalbeauftragter beim namibischen Bil- dungsministerium. „Wir leben in einer Ära der Medien-, Infor- MiLLi*-Trainer Tangi studiert mittlerweile Film am College of mations- und Technologieexplosion. Täglich sehen und teilen the Arts in Windhuk. Bei seinen Kommilitoninnen und Kommili- wir Themen in den Sozialen Medien, für die wir uns schämen tonen gilt er als derjenige, der immer alles kritisch hinterfragt, sollten: Hassrede, Cyber-Bullying und so weiter.“ als jemand mit enormer Medienkompetenz. Viele wollen es ihm gleichtun und würden auch gerne bei MiLLi* mitmachen. Dar- Durch MiLLi* ist ein weit verzweigtes Netzwerk junger Men- auf ist Tangi stolz, denn: „Wenn wir Namibia, Afrika und letzt- schen entstanden, das sich auch auf die kleinen Dörfer 20
AFRIKA NAMIBIA erstreckt. MiLLi*-Schulungen gelten nicht als öde Lehreinheit, MiLLi* erhöht die Jobchancen sondern sind inzwischen Kult. Sie machen Spaß, sind lebens- nah und praktisch. Denn anders als im üblichen Frontalunter- 270 Kilometer südlich von Windhuk, entlang des Highways richt in überfüllten Klassenräumen sind die Gruppen, mit bis zu liegt Mariental, ein 12.000-Seelen-Städtchen. Durch die Stra- 12 Teilnehmenden, überschaubar und setzen auf einen Dialog ßen fegt der Wind der Kalahari. Ein Supermarkt, ein Beklei- zwischen den Jugendlichen. Die Trainerinnen und Trainer tra- dungsgeschäft, mehrere Getränkemärkte und viele Läden gen ihre orange-schwarzen MiLLi*-Poloshirts mit Stolz. MiLLi*s für Autozubehör und landwirtschaftliche Maschinen. Der Ort wissen natürlich: das Sternchen (*) hinter dem MiLLi ist kein bietet Jugendlichen nur wenige Freizeitmöglichkeiten. Dabei Hinweis auf eine Fußnote, sondern steht für Exzellenz. Es gibt machen die unter 35-Jährigen mehr als 70 Prozent der Bevöl- sogar eine MiLLi*-Hymne. Alle kennen sie, alle schwingen im kerung aus. In unmittelbarer Nähe des Bahnhofs, an dem nur Rhythmus mit. selten Züge halten und Grashalme wild zwischen den Gleisen wuchern, liegt die öffentliche Bibliothek. Sie ist in einem ein- Die Begeisterung der Jugendlichen aus allen Ecken des Lan- stöckigen, quadratischen Bau untergebracht. Das unschein- des hat es ermöglicht, eine der größten Herausforderungen bare Gebäude ist bei jungen Einheimischen beliebt. Hier tum- Namibias zu meistern: die große Kluft zwischen den Städten meln sich Dutzende Kinder und Jugendliche in Schuluniform. und den ländlichen Regionen zu überbrücken. MiLLi*-Grün- Die meisten tippen eifrig auf ihren Handys. Die knapp ein Dut- der Joost van de Port, ein hemdsärmeliger und von der Sonne zend öffentlichen Computerplätze sind alle belegt. gebräunter Niederländer, einst Leiter des Instituts für Medien- studien am College of the Arts in Windhuk, freut sich. Genau so Auch Susarah Fleermuys ist regelmäßig hier. „Ich bin ein Social war es gedacht, dass „Jugendliche auch fernab der Städte die Media Freak“, sagt sie über sich selbst. Google, YouTube, Face- Chancen und Risiken der Medien, wie Radio, TV und Internet, book, WhatsApp – sie verbringe die meiste Zeit des Tages an erkennen und für sich nutzen lernen.“ ihrem Smartphone, hier in der Bibliothek, dem einzigen Ort in Mariental mit kostenlosem Internetzugang. Seit Jahren ist sie STECKBRIEF Namibia und können ihr Wissen weitergeben und selbstbewusst präsentieren. Wer setzt Projekte um? –– Die Mitarbeit bei MiLLi* wird als Chance gesehen, sich –– MiLLi* ist die Media and Information Literacy Learning persönlich und beruflich weiterzuentwickeln und gilt als Initiative, die die Medienkompetenz von Jugendlichen Pluspunkt bei der Jobsuche. fördert. –– Interessensgruppen und Nichtregierungsorganisationen engagieren sich zunehmend auf politischer Ebene für Wie funktioniert das Projekt? Medienkompetenz und setzen sich für eine Verankerung –– Seit dem Jahr 2016 lernen Jugendliche in praxisnahen im Bildungssystem ein. Workshops, Medien bewusst, kritisch und analytisch zu nutzen, sowie das Wissen über Medienkompetenz (auf Welche Highlights gibt es? Englisch: Media and Information Literacy, kurz MIL) an –– MiLLi* leistet mit seinem Modell echte Pionierarbeit. andere Jugendliche weiterzugeben. Die Vermittlung von Medienkompetenz durch prak- –– Die Workshops werden von MiLLi*, einem namibischen tisches Peer-to-Peer-Learning außerhalb der Schule, das Verein, der von Partnerorganisationen und früheren Entstehen einer MIL-Community und der hohe Grad an Teilnehmenden betrieben wird, organisiert. Selbstorganisation sind bislang einmalig in Afrika. –– Die Jugendlichen sind stolz, MiLLi*-T-Shirts zu tragen Welche Schwierigkeiten bestehen? und zur MiLLi*-Familie – der FaMiLLi* – zu gehören. –– Medienkompetenz erhält derzeit wenig Aufmerksamkeit Das Konzept ist so erfolgreich, dass eine landesweite und hat kaum Priorität im namibischen Bildungswesen. MIL-Community entstanden ist, die nun sogar über die Landesgrenzen hinweg expandiert. Was hat das Projekt bewirkt? –– MiLLi* dient als Modell und Pilot für andere afrikanische –– In nur drei Jahren hat MiLLi* etwa 1.000 Jugendliche Länder – 2019 setzte MiLLi* Kooperationsprojekte in in ganz Namibia erreicht und rund 90 junge Trainerin- Burkina Faso, der Elfenbeinküste, Uganda, Ghana und nen und Trainer ausgebildet. Die Jugendlichen gehen Lesotho um. reflektiert mit Medien um und erkennen Falschnach- richten und Hassrede. Sie produzieren selbst Beiträge facebook.com/millinamibia DW Akademie Big changes start small 21
©©D. Wittek MiLLi*-Trainer Simon Paulus auf Jobsuche. Susarah Fleermuys lebt – so wie nahezu alle in ihrer F amilie – von der Hand in den Mund. Die meisten ihrer Ver- W IR K UNG SDATEN wandten sind arbeitslos oder schlagen sich mit Gelegenheits- Medienkompetenz: Im Jahr 2018 haben 520 Multipli- jobs auf den umliegenden Schaf- und Rinderfarmen durch. katorinnen und Multiplikatoren junger Menschen in Bei einer Arbeitslosenquote von mehr als 33 Prozent geht es 12 Ländern Medienkompetenz (auf Englisch: Media darum, irgendwie einen Job zu ergattern. Eine Bekannte hatte Information Literacy, kurz MIL) vermittelt. Ca. 7.400 Susarah Fleermuys erzählt, dass sie durch MiLLi* ihre Jobchan- Jugendliche können infolge dieser Trainings nun verant- cen erhöhen kann. Susarah Fleermuys meldet sich daraufhin wortungsvoller mit Medien umgehen. Sie analysieren bei einem Workshop an. Sie möchte sich nicht nur einen kriti- Inhalte gezielter, treffen fundierte Entscheidungen schen Umgang mit Sozialen Medien aneignen, sondern auch und können Gerüchte und Propaganda von objektiven lernen, selbstbewusster aufzutreten und ihre Stärken besser Nachrichten unterscheiden. Sie haben die Chance, ihr zu präsentieren. MiLLi* betrachtet sie als Chance für ein bes- Recht auf Meinungsfreiheit und Zugang zu Information seres Leben. besser wahrzunehmen. Im formalen Bildungssystem haben zudem ca. 172.000 Schülerinnen und Schüler im Heute geht die 29-Jährige mit ihrer Freundin zu einem Work- Rahmen ihres Lehrplans an MIL-Klassen teilgenommen. shop mit MiLLi*-Trainer Simon Paulus. Die neue Teilnehmerin lernt dort Grundlagen über Bildkomposition und Perspektivi- Länder: Burundi, Guatemala, Jordanien, Kambodscha, tät – welche Botschaft soll das Bild aussenden, wie wirkt es? Es Kirgisistan, Libanon, Moldawien, Namibia, Palästinen geht um Fragen und Techniken, die den kritischen Umgang mit sische Gebiete, Serbien, Tunesien, Ukraine Bildern, das Reflektieren und Analysieren schulen. Simon lei- tet die Workshops nebenberuflich. Sein Haupteinkommen ver- dient er als Sozialarbeiter bei einer Telefon-Hotline. „MiLLi* hat mich völlig verändert“, erklärt der 33-Jährige. Bevor er etwas poste, denke er immer erst darüber nach, was er damit bezwe- cke, was der Post für eine Wirkung auf andere habe und ob er wirklich in dem Umfeld, in dem er ihn veröffentlicht, relevant und angemessen sei. „Früher habe ich mich mit Bierflasche in Partylaune auf Facebook gezeigt.“ Das komme jetzt nicht mehr vor, seit ihm klar sei, dass potentielle Arbeitgeber ihn im Inter- net suchen könnten. 22
AFRIKA NAMIBIA MiLLi* goes Africa Olivia Ebas (30), Mitglied im Vorstand von MiLLi* und passio- nierte Trainerin, erzählt, dass in Namibia Soziale Medien häu- fig zum Schaden anderer genutzt würden, und zeigt auf ihrem Handy eine lange Liste an Tweets und WhatsApp-Botschaften, die exemplarisch sind für Hassrede, Rassismus und Fake News in Namibia: „Das spaltet eine demokratische Gesellschaft und ist ein Nährboden für Streit.“ MiLLi* sei für sie die einzige Orga- nisation im Land, die etwas dagegen tue, die aufkläre und die Grundlagen für ein informiertes Handeln lege. Dass sich junge Menschen sowohl in den Städten als auch auf dem Land dafür interessieren, Medienkompetenz zu stärken und sie dann als Multiplikatorinnen und Multiplikatoren an andere weiterzugeben, diesen Domino-Effekt wünscht sich Juliet Amoah auch für ihr Heimatland Ghana. Sie konnte meh- rere Trainingseinheiten und Workshops beim College of the Arts in Windhuk miterleben und ist absolut überzeugt: „Ghana braucht MiLLi*. Wir müssen handeln und zwar jetzt.“ ©©DW Juliet ist eine wortgewandte und resolute Frau, die sich für MiLLi* hat ganz Namibia erreicht. gute Regierungsführung und einen konstruktiven Umgang mit neuen Technologien engagiert. Sie leitet die ghanaische Nichtregierungsorganisation Penplusbytes. Ihre Erfahrung ist, dass junge Ghanaer unkritisch mit Medien umgehen und Falschmeldungen sowie manipulierten Informationen leicht auf den Leim gehen. „Dass MIL als fester Bestandteil in das Programm am College of the Arts in Windhuk integriert wurde, ist vorbildlich und clever eingefädelt“, urteilt sie. Ihr lang- fristiges Ziel für Ghana: MIL im nationalen Schulcurriculum zu verankern. Auch Expertinnen und Experten aus Uganda, Burkina Faso, Côte d’Ivoire und Lesotho, Länder in denen die DW Akademie ebensfalls tätig ist, haben sich das namibi- sche Projekt angesehen und begonnen, ähnliche Modelle mit MiLLi* umzusetzen. Zurück zu Trainer Tangi, der einst Opfer einer fiktiven Internet identität wurde. Um zu demonstrieren, wie leicht Bilder zu manipulieren sind, zieht er bei Workshops gerne eine Karte aus seinem Werkzeugkasten. Sie zeigt ein Bild, das nicht nur in Namibia, sondern auch in vielen anderen afrikanischen Ländern für enorme Aufregung gesorgt hätte: ein einst auf WhatsApp kursierendes Foto eines angeblich für rituelle Zwe- cke gekidnappten Kindes. Viele kommentierten das Bild und teilten es. Was nicht ohne Recherche zu sehen war: Das Bild war aus dem Kontext gerissen – es war ein manipulierter Teilaus- schnitt eines anderen Fotos. Tangi konnte die weitere Verbreitung auf WhatsApp in seinen Gruppen stoppen, indem er die wahre Geschichte darstellte und Freunde diese vielfach teilten. Das freut ihn noch heute. DW Akademie Big changes start small 23
©©O. Tangen Jr Der Weg ins Rampenlicht war für den Waisenjungen Paul Kayonga nicht leicht. UGANDA Raus aus dem Klassenzimmer, rein in die Nachrichtenredaktion Autor Ole Tangen Jr FÜR EILIGE Paul Kayonga bewarb sich nach seinem Studium der Massenkommunikation bei der Media Challenge, einem Journalistenwettbewerb nach dem Vorbild einer TV-Castingshow. Er gewann, wurde sofort von einem Medienhaus übernommen – und ist heute ein beliebter Fernsehmoderator. Der Wettbewerb wird von der Media Challenge Initiative (MCI) organisiert. Sie hebt sich mit einer Kombination aus praktisch orientierten Fortbildungen und journalistischen Wettbewerben von den traditionellen Weiterbildungsangeboten im Mediensektor Ugandas ab.
AFRIKA UGANDA Nach einer praktischen Medienausbildung machte Paul Kayonga Karriere. Aus dem unsi- cher in die Zukunft blickenden Studenten wurde ein beliebter Fernsehmoderator. Der ein- flussreiche Journalist arbeitet heute bei einem führenden Fernsehsender in Uganda. Stets auf der Suche nach Wahrheit, navigiert er sein Publikum durch die schwierige politische Situation des Landes. Paul Kayonga arbeitet beim Nile Broadcasting Service (NBS), Zu den Aufgaben der Medien gehöre es, Korruption und politi- einem beliebten lokalen Fernsehsender in der ugandischen sche Ausbeutung aufzudecken. Doch dafür brauche Uganda Hauptstadt Kampala, einer staubigen 1,6-Millionen-Einwoh- mehr gutausgebildete, professionelle Reporterinnen und Repor- ner-Metropole am Ufer des Viktoriasees. Kurz nachdem er in ter, die sowohl den Mut als auch das Wissen haben, politische seiner Nachrichtenredaktion im vierten Stock eines Hochhau- Missstände zu recherchieren, glaubt Kayonga. „Als Nachwuchs- ses ankommt, erhält er eine WhatsApp-Nachricht. Laut sei- journalistinnen und -journalisten müssen wir uns ranhalten, um nem Informanten hat ein kleines Reihenhaus Feuer gefangen, gute Geschichten zu liefern. Wenn wir das richtig machen, dann Nachbarn haben die Wand durchbrochen, um die Bewohner- schaffen wir es, dass junge Menschen ihre Vorurteile überwinden innen und Bewohner zu retten. Die Feuerwehr hat zwar den und sich mehr ins politische Gespräch einbringen.“ Brand gelöscht, bevor er sich auf die benachbarten Häuser aus- breitete, aber drei Personen, darunter ein Kleinkind, sind mit schweren Verletzungen in ein örtliches Krankenhaus gebracht Der holprige Weg zum Journalismus worden. Für den jungen Fernsehreporter K ayonga ist diese Nachricht einen Bericht wert. „Für unser Luganda-sprachiges Der Weg ins Rampenlicht war nicht leicht für Kayonga. Seine Publikum ist das eine wichtige Geschichte“, sagt er, während Eltern starben als er noch ein kleiner Junge war und nicht mal in er aus der Redaktion eilt, um auf einem Motorradtaxi – einem die Schule ging. Paul wurde zu Verwandten nach Mpiji gebracht, Boda-Boda – quer durch die Stadt zum Brandort zu fahren. einem Handelsplatz, umgeben von kleinen landwirtschaftli- chen Betrieben, etwa 30 Kilometer westlich von K ampala. Wie Zwar ist Englisch die offizielle Landessprache Ugandas, aber die meisten ländlichen Gebiete Ugandas ist Mpiji eine arme von den insgesamt 42 Mio. Einwohnerinnen und Einwohnern, Region, gute Schulen und Ausbildungsplätze sind rar. Die meis- sprechen rund 6 Mio. Luganda – vor allem in der Region um ten Erwachsenen arbeiten in der Landwirtschaft oder halten Kampala. Seit knapp zwei Jahren arbeitet Kayonga als Reporter sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser. und Fernsehmoderator bei NBS. Da er sowohl Englisch als auch Luganda spricht, liefert er seine Geschichten in beiden Spra- Der kleine neugierige Junge hatte Glück. Jane Nabatanzi wurde chen ab. In nur kurzer Zeit ist der 25-Jährige zu einem Star der auf ihn aufmerksam. Sie ist Direktorin der St. Catherine Sekun- nationalen Medienlandschaft geworden. Sein Themenspekt- darschule. Hier werden Kinder unterrichtet, die kein Schul- rum bei dem erfolgreichen Lokalsender umfasst Korruption geld bezahlen können. „Dieser kleine Junge mit diesen gro- und politische Skandale. Aber er berichtet auch von Eilmeldun- ßen Augen. Wie bei einem Chihuahua. Klein, aber auch klug gen, wie dem Häuserbrand heute. Um ein großes und mög- und zäh“, beschreibt Jane Nabatanzi den Jungen. „Er war zwar lichst junges Publikum zu erreichen, werden seine Beiträge auf nicht der beste Schüler, aber ich beschloss, ihm eine Chance zu Facebook und YouTube geteilt und oft auch als Online-Artikel veröffentlicht. W IR K UNG SDATEN Einen regulären Arbeitstag, der um 9 Uhr morgens beginnt und um 17 Uhr endet, kennen die Menschen in Uganda genauso Ausbildung zu Medienprofis: In 14 Ländern hat im Jahr wenig wie ein festes Angestelltenverhältnis. Dazu ist es nicht 2018 die DW Akademie 67 praxisorientierte, zeitgemäße einfach, Jobs zu finden. Die mühsame Suche nach Arbeit, um Ausbildungsprogramme für Nachwuchsjournalistin- das Überleben zu sichern, wird „Hustling“ genannt. Es ist die nen und -journalisten unterstützt. 1.150 Studierende bittere Realität für die Jugend des Landes – und mehr als 77 Pro- an Partnerinstitutionen haben Abschlüsse erworben. zent der Bevölkerung ist jünger als 30 Jahre. Das sogenannte Damit ist eine wichtige Grundlage für professionelle und „Hustling“ betrifft auch junge Nachwuchsjournalistinnen und vielfältige Berichterstattung gelegt. -journalisten. Sie jagen nicht nur ständig Jobs hinterher, son- Länder: Bangladesch, Bolivien, Georgien, Ghana, dern auch aktuellen Geschichten, die Ugandas Machthaber zur Guatemala, Libanon, Libyen, Mongolei, Myanmar, Rechenschaft ziehen, und müssen dabei journalistische Stan- Namibia, Palästinensische Gebiete, Serbien, Uganda, dards wahren. Diesen schwierigen Balanceakt muss Kayonga Ukraine tagtäglich bewältigen. DW Akademie Big changes start small 25
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