Denkmalpflege in Westfalen-Lippe - LWL-Denkmalpflege, Landschafts- und Baukultur in Westfalen

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Denkmalpflege in Westfalen-Lippe - LWL-Denkmalpflege, Landschafts- und Baukultur in Westfalen
LWL-Denkmalpflege, Landschafts- und Baukultur in Westfalen

Denkmalpflege
in Westfalen-Lippe
                                                 Heft 2018 /2

Neues Bauen: Architektur der 1920er- und 1930er-Jahre
Denkmalpflege in Westfalen-Lippe - LWL-Denkmalpflege, Landschafts- und Baukultur in Westfalen
Hamm, Elchstraße 2; Bauplan Grundriss Erdgeschoss; siehe S. 32–34 (Aufsatz von David Gropp).
Denkmalpflege in Westfalen-Lippe - LWL-Denkmalpflege, Landschafts- und Baukultur in Westfalen
Hamm, Elchstraße 4, Wohnhaus von 1934; Bauplan Grundriss, Erdgeschoss; siehe S. 34–35
(Aufsatz von David Gropp).
Denkmalpflege in Westfalen-Lippe - LWL-Denkmalpflege, Landschafts- und Baukultur in Westfalen
© 2018 Ardey-Verlag Münster
Alle Rechte vorbehalten
Druck: Druckerei Kettler, Bönen
Satz und Layout: Alexandra Engelberts, Münster
Printed in Germany
ISSN 0947-8299
24. Jahrgang, Heft 2018/2

Erscheinungsweise 2mal jährlich zum Preis von
4,50 Euro (Einzelheft) zuzüglich Versand über den
Ardey-Verlag Münster
An den Speichern 6
48157 Münster

Herausgeber:
LWL-Denkmalpflege, Landschafts- und Baukultur in Westfalen

Redaktion:
Dr. Gisela Woltermann (Leitung)
Dr. David Gropp
Dr. Barbara Pankoke
Dr. Dirk Strohmann

Anschrift:
LWL-Denkmalpflege, Landschafts- und Baukultur in Westfalen
Fürstenbergstr. 15
48147 Münster
dlbw@lwl.org

Die Autoren
der LWL-Denkmalpflege, Landschafts- und Baukultur in Westfalen:
Wiss. Bibl. Sabine Becker M. A.
Anne Bonnermann M. A.
Dr. Eva Dietrich
Dr. David Gropp
Dr. Hans H. Hanke
Dr. Anke Kuhrmann
Dr. Heinrich Otten
Dr. Barbara Pankoke
Dipl.-Ing. Heike Schwalm
Dr. Knut Stegmann

Sabine Cornelius
Landschaftsverband Rheinland
LVR-Amt für Denkmalpflege im Rheinland
Ehrenfriedstraße 19, 50259 Pulheim

Dr. Lutz Heidemann
Goethestraße 17, 45894 Gelsenkirchen

Diese Zeitschrift steht zum Download auf unserer Homepage bereit
www.lwl-dlbw.de
Denkmalpflege in Westfalen-Lippe - LWL-Denkmalpflege, Landschafts- und Baukultur in Westfalen
Inhalt

3   Editorial

4   Aufsätze

4   Bauhaus? – Auf der Suche in Westfalen
    Eva Dietrich

15 Mit etwas Phantasie hast du mehr daraus gemacht…
   Das „Landhaus Ilse“ in Burbach, ein zweites „Haus am Horn“
   Hans H. Hanke

24 Neues Bauen auf dem Lande
   Das Wohnhaus mit Arztpraxis von Dr. Walther Schmits in Gütersloh-Friedrichsdorf
   Barbara Pankoke

29 August Oldemeier, ein Architekt der 1920er- und 1930er-Jahre
   Die Wohnhäuser in Herford und Hamm
   David Gropp

36 Ausgewählte Literatur zum Thema „Neues Bauen“
   Sabine Becker

40 Berichte

40 Kirchenbau nach 1945. Ein Bericht zum Abschluss des Erfassungs- und Bewertungsprojekts
   in Westfalen-Lippe
   Knut Stegmann und Heinrich Otten

42 Moderne 1960+
   Neues Informationsangebot der LWL-Denkmalpflege, Landschafts- und Baukultur
   in Westfalen
   Anke Kuhrmann und Knut Stegmann

44 Denkmalpflege und Kommunikation
   Bericht zum 8. Westfälischen Tag für Denkmalpflege in Witten
   Anne Bonnermann

45 Westfälische DNK-Preisträger zu Gast im Fürstlichen Residenzschloss Detmold
   Anne Bonnermann

46 Journalistinnen und Journalisten entdecken die Architektur der 1960er-und 1970er-Jahre
   Heike Schwalm und Sabine Cornelius

48 Rezension

48 Hans Scharoun im Ruhrgebiet – Entwerfen und Bauen für das Leben. Berlin 2017
   Lutz Heidemann

50 Neuerwerbungen der Bibliothek in Auswahl

52 Personalia
Denkmalpflege in Westfalen-Lippe - LWL-Denkmalpflege, Landschafts- und Baukultur in Westfalen
Umschlag-Foto:
Freiherr-vom-Stein-Gymnasium in Lünen; siehe S. 8–9
(Foto: LWL-DLBW/Stegmann 2018)
Denkmalpflege in Westfalen-Lippe - LWL-Denkmalpflege, Landschafts- und Baukultur in Westfalen
3

Editorial

                                                         lung gewidmete Ausgabe 2010/2 dieser Zeitschrift
                                                         sind dafür nur zwei Belege unter vielen.
                                                         Das vorliegende Heft setzt diese Tradition fort und
                                                         bietet neue Erkenntnisse zu einzelnen Objekten
                                                         (wie etwa die Aufsätze von Hans H. Hanke über
                                                         das „Landhaus Ilse“ in Burbach und von Barbara
                                                         Pankoke über das Wohnhaus von Dr. Walther
                                                         Schmits in Gütersloh-Friedrichsdorf), zum Schaffen
                                                         von Architekturbüros (Aufsatz von David Gropp
                                                         über den Architekten August Oldemeier) und
                                                         eine Überblicksdarstellung zu den Baugattungen
                                                         dieser Zeit (Aufsatz von Eva Dietrich über die
                                                         Suche nach Bauhaus-Zeugnissen in Westfalen)
                                                         sowie eine Auswahl an einschlägiger Literatur und
                                                         sonstigen Sekundärquellen (Zusammenstellung
                                                         von Sabine Becker).
                                                         Über die Untersuchungen von Jost Schäfer zu den
                                                         Wohnbauten dieser Zeit hinausgehend stellt Eva
                                                         Dietrich Beispiele aus anderen Baugattungen vor
Im Jahr 2019 feiert das Bauhaus seinen 100. Ge-          und hinterfragt gleichzeitig mögliche Bezüge zum
burtstag. Die beiden Landschaftsverbände West-           Bauhaus in gestalterischer und programmatischer
falen-Lippe (LWL) und Rheinland (LVR) sowie das          Hinsicht. Es wird deutlich, dass die Gleichsetzung
Land Nordrhein-Westfalen, vertreten durch das            der Begriffe „Moderne“, „Neues Bauen“ und
Ministerium für Kultur und Wissenschaft, haben           „Bauhaus“ für Westfalen nicht zu halten ist und
sich vor diesem Hintergrund dazu entschlossen,           stattdessen sogar die Sicht auf die wahren Verhält-
mit einem eigenen Verbundprojekt unter dem               nisse vernebelt. Diese waren deutlich vielgestal-
Titel „100 Jahre Bauhaus im Westen“ in den               tiger, als dies gemeinhin unterstellt wird. Offen-
Reigen der bundesweiten Jubiläumsveranstaltun-           sichtlich werden nicht nur der bestehende For-
gen einzustimmen. Die inhaltliche Verknüpfung            schungsbedarf sondern auch die Chancen dafür,
mit dem 100. Geburtstag der Weimarer Republik            noch überraschende neue Entdeckungen im über-
setzt dabei eine besondere Note. Auch die bei -          lieferten baulichen Bestand dieser Zeitstellung
den Denkmalpflegeämter der Landschaftsver-               machen zu können.
bände bringen sich mit ihrem Fachwissen ein.             Ein weiterer wesentlicher Beitrag zum Jubiläum
Den Auftakt zu den zahlreichen Veranstaltungen           ist ein gemeinsames Projekt der Architektenkam-
und Ausstellungen, die im Rahmen des Projektes           mer NRW und der beiden Fachämter der Land-
geplant sind, bildete das Symposium „die welt            schaftsverbände. Auf der Basis des bestehenden
neu denken“ am 13./14. September 2018 in Essen,          Portals „baukunst nrw“ (www.baukunst-nrw.de)
Zeche Zollverein. Es ergaben sich teils über -           werden – nach und nach – über 30 Objekte vor-
raschende neue Erkenntnisse zu den Wechsel-              gestellt, die Auskunft geben zum Neuen Bauen in
beziehungen zwischen dem Wirken des Bauhauses            Westfalen-Lippe. Einzelne dieser Architekturen
und verschiedenen Initiativen sowie kulturellen          werden bereits in diesem Heft präsentiert, wie
Zentren im Westen des Deutschen Reiches. Die             z. B. die Nicolaikirche in Dortmund, und sollen so
beiden Fachämter erhielten die Gelegenheit, ihre         auch neugierig auf das neue Angebot machen. Es
eigene Sicht auf das Jubiläum vorzutragen, und           wird auch die Möglichkeit geben, auf Themen-
nutzten diese dazu, auf die Vielfalt des Bauens und      routen zuzugreifen. Ein Besuch des Portals sei
Gestaltens in der Zeit zwischen den beiden Welt-         deshalb ebenso dringend empfohlen wie der an-
kriegen und auf die Zeugnisse des Neuen Bauens           schließende Besuch der oftmals wenig bekannten
auch jenseits des Schaffens und der Einflüsse des        Objekte.
Bauhauses hinzuweisen. Für Westfalen fiel mir per-
sönlich diese Darstellung um so leichter, als sich das
Denkmalpflegeamt schon seit vielen Jahren inten-
siv mit dem baulichen Erbe der 1920er- und
1930er-Jahre auseinandersetzt. Die Publikation
Jost Schäfers zu „Bruno Paul in Soest“, die 1993
in der Reihe „Denkmalpflege und Forschung“ des           Dr. Holger Mertens
Amtes erschien, und die ebenfalls dieser Zeitstel-       Landeskonservator
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4

Eva Dietrich

Bauhaus? – Auf der Suche in Westfalen
Zum 100-jährigen Bauhaus-Jubiläum 2019 gibt es bundesweit eine Vielzahl von Initiativen und
es werden viele neue Publikationen erscheinen.1 Auch wenn lange Zeit davon ausgegangen
wurde, dass es keine baulichen Zeugnisse von waschechten „Bauhäuslern“ in Westfalen gebe,
ist die Beschäftigung mit dieser Thematik nicht neu.2 Nicht nur mit dem „Landhaus Ilse“ in
Burbach, das eine Kopie des Hauses „am Horn“ in Weimar ist (siehe Beitrag Hanke S. 15–23),
wurde zwischenzeitlich der Gegenbeweis geführt, auch von dem Architekten Leopold
Fischer, der sich bewusst gegen Walter Gropius stellte, sind Bauten in Werther und Bielefeld 3
erhalten.

Da die 1919 als „Staatliches Bauhaus“ gegründete         als gestalterische Elemente. Die Gemeinde ver-
Kunstschule in Weimar nur eine von vielen Ausbil-        zichtete auf die übliche Verblendung aus Natur-
dungsstätten dieser Zeit war, gab es auch dement-        oder Backstein und behielt die rohe Betonober-
sprechend viele Architekten, die sich unabhängig         fläche mit ihren Spuren der Schalungsbretter bei.
vom Bauhaus gegen das traditionelle Bauen wand-          Auch wenn die Pressa-Kirche von Otto Bartning in
ten und „modern“ bauten. Unter dem Oberbegriff           Köln von 1928 als Vorbild zu erkennen ist, wird
des sogenannten Neuen Bauens fand Norbert                in Dortmund die schlichte Sachlichkeit so kon-
Huse eine einfache Stilbeschreibung und eine Ein-        zentriert, dass Zeitgenossen die Nicolaikirche als
ordnung der Bauhausbauten: „Wie jeder andere             „Betonklotz“ oder „Maikäferschachtel für arme
Stil ist auch der des Neuen Bauens am leichtesten        Seelen“ bezeichneten.6
durch das zu charakterisieren, was ihm fehlt:
Es gibt keine Säulen, keine spitzen Dächer, keine
selbständigen und als solche erkennbaren Orna-
mente. Außerdem fehlen Sockel und geböschte
Ecken, betonte Übergänge und Abschlüsse. […]
Die Phase der Stilbildung ging ihrem Ende entge-
gen, und schon 1925/26 entstand mit den Dessauer
Bauhausbauten eines der Hauptwerke des neuen
Stils.“4
Zum Jubiläumsjahr bestückt die LWL-Denkmal-
pflege, Landschafts- und Baukultur in Westfalen
zusammen mit dem Schwesteramt im Rheinland
die Internetplattform http://www.baukunst-nrw.de
mit kurzen Steckbriefen zu Bauten, die in Verbin-
dung zu „Bauhäuslern“ stehen oder inhaltliche
Parallelen zu deren Arbeiten aufzeigen. Aus die-
sem Projekt, dessen Ziel indes nicht die flächen-
deckende Erschließung des modernen Bauens
in Westfalen in den 1920er- und 1930er-Jahren ist,
sollen an dieser Stelle einige Beispiele aus verschie-
denen Baugattungen vorgestellt werden.5
Da Kirchen seit jeher eine besondere Bauaufgabe
darstellen und es in diesem Bereich oft innovative
Lösungen gab, werfen wir zunächst einen Blick auf
Sakralbauten.
In den Jahren 1929/30 wurde die Dortmunder
Nicolaikirche nach den Plänen von Karl Pinno und
Peter Grund errichtet (Abb. 1). Die Besonderheit
des Baus liegt nicht nur in der frühen Stahlbeton-
Skelettbauweise, die einen trapezförmigen, stüt-
zenlosen Innenraum ermöglicht, sondern in der            1 Dortmund, Nicolaikirche von Pinno und Grund
konsequenten Verwendung von Beton und Glas               (1929/30). Foto 2004.
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                                                          gestellten Flachdachbauten zeigen Parallelen zu
                                                          Bauten aus dem Umfeld des Bauhauses, wenn-
                                                          gleich in Westfalen diese Architekturideen in der
                                                          Regel als Neues Bauen bezeichnet werden. Mit
                                                          Blick auf die Pädagogische Akademie erläutert
                                                          O. Karnau: „Dieser Baustil [des Neuen Bauens] war
                                                          seit den frühen 1920er Jahren von öffentlichen
                                                          Auftraggebern wie Regierungs- und Kommunal-
                                                          behörden gefördert worden und hatte sich als
                                                          ein von Fachwelt und Publikum als modern an-
                                                          gesehener Architekturstil durchgesetzt; gerade um
                                                          1930 war das ‚Neue Bauen’ auf dem Höhepunkt
                                                          seiner Popularität und wurde schlechthin als ein
                                                          Symbol der politischen, sozialen und kulturellen
                                                          Fortschritte der Weimarer Republik angesehen.“8
                                                          Doch besonders das südliche Treppenhaus, in dem
                                                          bauzeitliche Elemente wie die hölzerne Sitzbank,
                                                          das Geländer und die Handläufe überliefert sind,
                                                          legt einen Vergleich mit dem Treppenhaus des
                                                          Bauhaus-Gebäudes in Dessau nahe (Abb. 4). In
                                                          ihrem sehr guten Überlieferungszustand mit
                                                          moderner, ergänzter Ausstattung wird die Aka-
                                                          demie heute von der Fachhochschule Dortmund
                                                          für den Fachbereich Design genutzt.
                                                          Obwohl die ehemalige Taubstummenanstalt in
                                                          Soest (Abb. 5), die zwischen 1929 und 1931 nach
                                                          Plänen der westfälischen Provinzialverwaltung er-
                                                          baut wurde, in ihrer „Versachlichung des archi-
                                                          tektonischen Formenapparates“9 ein prominenter
2 Münster, Kirche Heilig Geist von W. Kremer (1928/29).   Vertreter des Neuen Bauens ist, soll hier besonders
Foto 2006.                                                auf ihre ursprüngliche Farbfassung hingewiesen
                                                          werden.10 Nicht nur vor dem Hintergrund, dass
                                                          die Visualität und Haptik in der Gestaltung der
Als verklinkerter Stahlbetonskelettbau nimmt die          Taubstummenanstalt als pädagogisches Element
Kirche Heilig Geist in Münster das traditionelle          eine Rolle spielte, sondern auch als Spiegel
Fassadenmaterial mit seiner klassischen braun-            zeitgenössischer Farbkonzepte ist dieser Soester
roten Farbgebung auf (Abb. 2). 1928/29 nach Plä-          Bildungsbau ein markantes Beispiel.11 Die ur-
nen des Architekten Walter Kremer erbaut, sind            sprünglich ausgeführte, zurückhaltende Farbig-
die einzelnen Bauglieder mit ihren glatten Ziegel-        keit, die sich auf eine Kombination von weißen
wänden bewusst gegeneinander gesetzt und                  Flächen mit Gliederungselementen in Grün,
lediglich die Fenstereinfassungen mit Werkstein           Blau und Orange beschränkte, scheint eine Ab-
betont.                                                   wandlung der Primärfarben (Gelb, Blau, Rot) zu
Da die „Bauhäusler“ besonders auch das Ausbil-            sein. Diese Farbpalette mit der Hinzunahme
dungssystem erneuern wollten, lohnt sich ein Blick        von Schwarz und Weiß wurde besonders bei
auf westfälische Bildungsbauten, um Spuren dieser         der niederländischen De-Stijl-Bewegung bevor-
Reformbewegung aufzudecken.                               zugt und über ihre Vertreter am Bauhaus und
Nach einem Beschluss der preußischen Regierung            in anderen modernen Ausbildungsstätten verbrei-
von 1925, die Ausbildung der Volksschullehrer             tet. An der Taubstummenanstalt in Soest wurden
grundlegend zu verändern, sollten hierfür eigens          Fenster je nach ihrer Anordnung mit grünen
errichtete Akademien entstehen. Vor diesem Hin-           Blendrahmen und blauen Deckleisten oder weißen
tergrund wurde 1929/30 die Pädagogische Aka-              Blendrahmen und orangenen Deckleisten ver-
demie Dortmund am Rheinlanddamm nach Plänen               sehen. Dachrinnen und Fallrohre erhielten einen
des Regierungsbaurates Paul Fehmer erbaut                 kobaltblauen Anstrich und wurden somit als
(Abb. 3).7 Der zweiflügelige, dreigeschossige Bau         optische Gliederungselemente genutzt. Da die
auf erhöhtem Sockelgeschoss wurde als Eisen -             Taubstummenanstalt 1945 beschädigt wurde und
betonskelettbau konstruiert und mit einer Ver-            anschließend anderen Funktionen diente, ist
blendung aus blauroten Klinkersteinen und                 ihr ursprüngliches Farbkonzept fast vollständig
Muschelkalkstein-Platten versehen. Bis auf Fenster-       verloren gegangen. Lediglich das Friesband in
bänder und profilierte Mauervorlagen sind die Fas-        Sgrafittotechnik mit Szenen aus dem Kinderleben
saden schmucklos, und auch die gegeneinander              (Abb. 6) vermittelt einen Eindruck der Motivation
Denkmalpflege in Westfalen-Lippe - LWL-Denkmalpflege, Landschafts- und Baukultur in Westfalen
6

3 Dortmund, Pädagogische Hochschule am Rheinlanddamm (1929/30). Foto 2009.

4 Dortmund, Pädagogische Hochschule, Treppenhaus um 1930.

der Bauherren: „Wenn Farbigkeit schon an sich         unsere Absicht dahin, die farbige Gestaltung so
nicht einfach als Modesache abzutun, sondern          primitiv, lebensfreudig und bejahend und so fern
letzten Endes immer Weltanschauungsangelegen-         von allem Müden und Dekadenten wie möglich
heit ist, so wird Farbenfreudigkeit in der Um -       zu halten.“12
gebung des Taubstummen geradezu zur Grund-            Das heutige Christian-Rohlfs-Gymnasium wurde
bedingung. In vorliegendem Fall ging daher            für die damals noch unabhängige Stadt Haspe
7

5 Soest, ehemalige Taubstummenanstalt (1929–1931). Foto 2017.

                                                       erscheint, liegt der Vergleich mit Bauhausbauten
                                                       auf der Hand, vor allem bei der Betrachtung des
                                                       ehemaligen Zeichensaales, der ursprünglich mit
                                                       gebogenen Oberlichtern ausgestattet war. Deshalb
                                                       verwundert es nicht, dass der zu dieser Zeit für die
                                                       Stadt Haspe (und später Hagen) als Leiter der städ-
                                                       tischen Neubauämter tätige Architekt Günther
                                                       Oberste-Berghaus immer wieder mit dem Bauhaus
                                                       in Verbindung gebracht wird. Allein ein eindeu-
                                                       tiger Nachweis, dass Oberste-Berghaus als Studie-
                                                       render oder Gasthörer am Bauhaus in Weimar
                                                       oder Dessau war, wurde bisher nicht erbracht.
                                                       Warum sollte dies allerdings auch nötig sein, wenn
6 Soest, ehemalige Taubstummenanstalt, Fries mit       man seine in Hagen realisierten Bauten, wie z. B.
Szenen aus dem Kinderleben. Foto 2017.                 das Stadtbad in Haspe oder die Turnhalle der
                                                       evangelischen Schule Kipper, betrachten kann?13
als Berufsschule ab 1928 geplant und trotz der         „Fast alle bedeutenden Architekten, die sich in
Eingemeindung nach Hagen 1929 bis 1932 fertig-         den zwanziger Jahren für die Neue Sachlichkeit
gestellt (Abb. 7). Der langgestreckte, leicht ge-      entschieden, durchlebten zuvor eine mehr oder
bogene Grundriss passt sich dem Baugrundstück          minder intensive expressionistische Phase, die zur
am Ennepeufer an und zeigt in seiner spiegelbild-      wichtigen Grundlage für das wurde, was dann
lichen Aufteilung die strikte Trennung von Jungen      selbstbewußt das ‚Neue Bauen’ genannt werden
und Mädchen. Am Außenbau lässt sich dies an            sollte.“14
den zwei Treppenhäusern ablesen, die in zwei           Diese Vielfalt und Wandelbarkeit wird beson-
separaten Vorbauten aus den Risaliten der Ein-         ders am Beispiel des Architekten Karl Schulze
gangsseite treten und einen Kontrapunkt zur            (1876–1929) deutlich, der gemeinsam mit seinem
vorherrschenden horizontalen Gliederung setzen.        Bruder Dietrich das in Dortmund ansässige Archi-
Die an den Treppentürmen übereck laufenden             tekturbüro D & K Schulze leitete. Bekannt wurde
Kunststeinrahmungen vermitteln den Eindruck            das Büro um 1900 mit traditionellen Bauten und
eines umlaufenden Fensterbandes und akzentu-           historistischen Einflüssen, während ab Mitte der
ieren die schlichte viergeschossige Klinkerfassade.    1920er-Jahre auch expressionistische Elemente in
Auch wenn der Bau mit vorkragenden Steinen             den Vordergrund rückten. Eines der letzten Werke
und Fensterrahmungen nicht völlig schmucklos           von Karl Schulze ist das zwischen 1929 und 1931
8

7 Hagen, Ennepeufer, ehemalige Berufsschule von G. Oberste-Berghaus (1928–1932). Foto 2018.

errichtete Freiherr-vom-Stein-Gymnasium in Lünen,       bänder, die rhythmischen Wiederholungen im
das auf Z-förmigem, geknicktem Grundriss mit            Aufbau der Werke zeigen die erstaunliche Groß-
Flachdach, horizontalen Fensterbändern und ge-          zügigkeit, die hier waltet.“17
rundeten Ecken eine deutliche Hinwendung zum            Die Maschinenhalle der Zeche Sachsen in Hamm-
Neuen Bauen zeigt (Abb. 8).15 In der dunkelroten        Heessen, die das letzte erhaltene Gebäude der
Klinkerfassade fällt besonders der leicht ge-           von 1912 bis 1976 betriebenen Zeche ist, wurde
schwungene Nordflügel mit einem halbhohen,              1912–1914 nach Plänen des Architekten Alfred
gerundeten Pavillon auf, während der Treppen-           Fischer (genannt Fischer-Essen) als lang gestreckter
turm mit Hauptportal und Uhr den Gebäude-               Klinkerbau errichtet (Abb. 9). Mit der konsequen-
komplex dominiert.16 Im Inneren entsteht durch          ten Horizontalgliederung und der monumentalen
die gelb und grün gefliesten Flure eine heitere         Freitreppe an der Eingangsseite wird die ursprüng-
Atmosphäre, die im Zusammenhang mit den                 liche Elektrizitätshalle als Beispiel für die frühe
pädagogischen Ansprüchen an die Schulbauten             Moderne angeführt und auch immer wieder
der Zeit gesehen werden kann und die Erziehung          mit dem Bauhaus in Verbindung gebracht, auch
zum modernen Menschen fördern sollte.                   wenn dies wiederholt Kritik hervorruft: „Dass
Ein Blick auf die westfälischen Industrie- und          allerdings diese höhere Ordnung mittlerweile
Verwaltungsbauten fördert ebenfalls Spuren des          geschrumpft ist auf die unsägliche Aneignung
Bauhauses zu Tage, da der Industriebau die              und gebetsmühlenartige Wiederholung der Bau-
moderne, sachliche Architektur beeinflusst hat.         haus-Zuordnung – nicht nur die Protagonisten der
„Die Rationalisierung der großen Zechen hat             Bauhausideen wie Henry van de Velde, Walter
zuerst das neue Bauen gefördert, hat dadurch,           Gropius und Mies van der Rohe, sondern auch Ar-
daß sie Architekt und Ingenieur an einem Werk           chitekten wie Alfred Fischer, Martin Kremmer und
zusammenzwang, daß sie die technischen Werk-            Fritz Schupp würden sich über die auch aus
stoffe Eisen, Glas und Beton zu benutzen befahl,        ihrer Sicht vorgenommene Fehlinterpretation nur
die Möglichkeit zum neuen Stil gegeben. Dieser          wundern und sofort Protest einlegen. Es steht
Stil beschränkt sich auf das Allernotwendigste,         mittlerweile zu befürchten, dass dieses Etikett
liebt die knappste Ausdrucksweise und unter-            systemimmanent bestehen bleiben wird; selbst die
ordnet sich den Arbeitsbedürfnissen vollkommen.         noch so entlegenste kubische Bauform im Revier
Aber die glatte Mauerfläche, die breiten Fenster-       mit ihrer eindeutigen Rechtwinkligkeit muss der
9

8 Lünen, Freiherr-vom-Stein-Gymnasium von D & K Schulze (1929–1931). Foto 2018.

9 Hamm, ehemalige Zeche Sachsen (um 1912/14) nach Plänen von Alfred Fischer. Foto 2010.

leichteren Verständlichkeit halber unter diesen Be-     auf der Hand. Vor diesem Hintergrund müssen
griff subsumiert werden. Taucht der rechte Win-         die „Bauhaus-Zuschreibungen“ in Westfalen im-
kel auf, so wird gleich von Bauhaus-Architektur,        mer kritisch beäugt werden, da die Vielzahl der
schlimmer noch von Bauhaus-Zeche gesprochen.“18         in Westfalen tätigen Architekten nicht direkt
Dass Alfred Fischer als Lehrer an der Kunstge-          von Ideen aus Weimar, Dessau oder Berlin beein-
werbeschule Düsseldorf unter Wilhelm Kreis und          flusst wurden, sondern vielmehr ihren Ausbil-
Leiter der Handwerker- und Kunstgewerbeschule           dungsstätten in Düsseldorf, Essen etc. verbunden
in Essen diese Vorbehalte teilen könnte, liegt          waren.
10

                                                   diesen vergleichsweise modernen Entwurf ver-
                                                   antwortlich. Nachdem in den 1960er-Jahren der
                                                   Charakter des Verwaltungsbaus durch einen
                                                   Umbau im Inneren und die Veränderung der
                                                   Fenster beeinträchtigt wurde, konnte 1990 zu -
                                                   mindest die Fassade wieder rückgebaut werden.
                                                   Im Bereich des Siedlungsbaus gibt es in Westfalen
                                                   mehrere Beispiele, die mit Einflüssen des Bau-
                                                   hauses in Verbindung gebracht werden können.
                                                   Bemerkenswert ist allerdings, dass besonders bei
                                                   diesen Bauten die Akzeptanz für die teilweise sehr
                                                   schlichte, moderne Architektur erst in den letzten
                                                   Jahren zu wachsen scheint. Ein prominentes
                                                   Beispiel für die sich ändernde Wahrnehmung der
                                                   architektonischen Qualität ist die neu eingeführte
                                                   Namensgebung der „Bauhaussiedlung Schlieper“
                                                   (erbaut 1928–1930) in Iserlohn, die noch vor
                                                   wenigen Jahren als „Abrisskandidat“ gehandelt
                                                   wurde.20
                                                   An dieser Stelle sollen stellvertretend zwei
10 Paderborn, PESAG von Kurt Matern (1928–1931).   vielleicht weniger bekannte Ensembles gezeigt
Foto 2015.                                         werden: Die 1926 bis 1928 errichtete Cunosiedlung
                                                   in Hagen entstand unter der Leitung des Stadt-
                                                   baurates Ewald Figge in Zusammenarbeit mit meh-
Das Verwaltungsgebäude der Paderborner Elek-       reren Hagener Architekten (Abb. 11).21 Sie besteht
trizitätswerk- und Straßenbahn-AG (PESAG) von      aus zwei- und dreigeschossigen Einspänner-Zeilen-
1928–1931 ist mit seinem kubischen, flachgedeck-   bauten, die versetzt an einem Hang gestaffelt sind
ten Baukörper und den zum Teil um die Hausecken    und mit ihren 125 Wohneinheiten eine städte-
greifenden Fensterbändern ein für Paderborn        bauliche Einheit bilden. Sowohl an den verputzten
seltenes Beispiel des Neuen Bauens (Abb. 10).19    Wetterseiten, als auch an den Klinkerfassaden
Gleichzeitig gibt aber auch dieses Gebäude         finden sich vielfältige Plastiken und figürliche
Auskunft über den flexiblen Umgang einiger         Hausmarken. Das Aufeinandertreffen von Risaliten
Architekten mit Stilkategorien der Zeit. Der als   mit Zierverband mit abgerundeten Ecken ist
Dombaumeister bekannte Paderborner Architekt       nur ein Beispiel für die zeitgleiche Verwendung
Kurt Matern, mit dem man im Sakralbau eher eine    von expressionistischen und modern-sachlichen
traditionalistische Bauweise verbindet, war für    Elementen (Abb. 12). Die Cunosiedlung war für

11 Hagen, Cunosiedlung (1926–1928). Foto 2018.
11

                                                        13 Bochum-Wattenscheid, Laubenganghäuser (1930).
                                                        Foto 2013.

                                                        amtes von 1930 in der Bochum-Wattenscheider
                                                        Schulstraße (Abb. 13). Die Kleinstwohnungen soll-
                                                        ten die Wohnungsnot lindern und konnten dem-
                                                        entsprechend nur in einfacher Bauweise errichtet
                                                        werden. Nahezu identische Notwohnungen wur-
                                                        den anderenorts auch nach dem Zweiten Welt-
                                                        krieg errichtet.
12 Hagen, Cunosiedlung, Putzfassade mit abgerundeten    Das Zusammenspiel von Körper und Geist wurde
Ecken und Plastiken. Foto 2018.                         in den 1920er-Jahren nicht nur am Bauhaus in den
                                                        Fokus gerückt, sodass es vermehrt zur Einrichtung
                                                        von Sportanlagen für die breite Bevölkerung kam.
die 1920er-Jahre recht fortschrittlich, da jede         Ein Beispiel für eine Sportanlage, die nicht nur
Wohnung mit einer sogenannten Frankfurter               inhaltlich, sondern auch architektonisch auf der
Küche, dem Urtyp der modernen Einbauküche,              Höhe der Zeit war, ist das 1928 in Betrieb genom-
ausgestattet war und es eine zentrale Wäscherei         mene Parkbad in Gütersloh (Abb. 14). Es besteht
sowie gemeinschaftliche Badeeinrichtungen gab.          aus einem 50 Meter langen Wasserbecken, dessen
Dass Sparsamkeit und Sachlichkeit hervorragend          Schwimmer- und Nichtschwimmerbereich durch
zusammen passen, zeigen die zweigeschossigen            einen Laufsteg voneinander getrennt sind. Die
Laubenganghäuser des Städtischen Hochbau -              langgestreckte Badehalle in Betonskelettkonstruk-

14 Gütersloh, Wasserbecken und Badehalle des Parkbades. Foto 2018.
12

15 Warendorf-Freckenhorst, Villa Sendker (1931): Diele mit Eingangstür, Heizungsverkleidungen und Mobiliar.

16 Herford, Vlothoer Straße, Villa von 1931/32. Foto 2009.

tion ist ein schlichter Putzbau mit Flachdach, ver-          Auch wenn dies heute bei nur einigen Bauten
tikalen und horizontalen Fensterbändern und                  noch nachvollziehbar ist, beschränkte sich der
zentralem Oberlicht. An der Badeseite überfängt              entwerfende Architekt in der Regel nicht auf die
ein Vordach auf filigranen Stützen eine Terrasse             gebaute Architektur, sondern entwarf auch die
während auf der Eingangsseite die für Damen und              Innenausstattung oder vermittelte seinem Stil ent-
Herren separaten Eingänge zurückgesetzt sind.                sprechende Firmen oder Handwerker. Ein gutes
13

Zeugnis hierfür ist die Villa Sendker in Warendorf-
Freckenhorst, die nach Plänen des Dortmunder
Architekten Emil Pohle 1931 als repräsentatives
Wohnhaus für den Möbelfabrikanten Theodor
Sendker errichtet wurde.22 Der Fahrenkamp-
Schüler Pohle bezeichnete sich im Bauantrag
als Mitglied des Deutschen Werkbundes und
hatte bereits im Vorfeld engen Kontakt mit dem
Bauherren Sendker, der mit seiner Möbelfabrik
die Inneneinrichtung von durch Pohle geplante
Bauten (z. B. Villa Klönne in Dortmund oder Villa
Diana in Bochum) übernommen hatte. Im Wohn-
haus des Fabrikanten Sendker wurde die Innen-
ausstattung natürlich zu einem zentralen Element,
da sie zugleich als Visitenkarte für wichtige Ge-
schäftskunden dienen konnte (Abb. 15). Nicht nur           17 Bielefeld, ehemaliges Friedrich-Ebert-Haus von 1931
die wandfeste Ausstattung mit Treppe, Türen,               mit Verkleidung. Foto 1990.
Fußböden und Heizkörperverkleidungen wurde
im Gesamtkonzept erarbeitet, sondern auch das
Mobiliar sowie Ausstattungsstücke aus Metall wie           mehrmaligen Mahnungen der Stadt bestand der
Geländer, Gitter und Griffe.                               Eigentümer darauf, den modernen Eisenbeton-
Erschwert wird die Spurensuche von Zeugnissen              bau mit Flachdach beizubehalten, allerdings mit
des Neuen Bauens in Westfalen dadurch, dass sie            dem Hinweis, dass er wirtschaftlich nicht dazu
spätestens im nationalsozialistischen Deutschland          in der Lage sei, ein neues Dach zu errichten. Bei
auf große Ablehnung stießen. So forderte z.B. der          einem ähnlich gelagerten Fall in Gelsenkirchen-
Oberbürgermeister von Herford den Kaufmann                 Buer wurde schließlich das „extrem moderne
und Hutfabrikanten August Tremel auf, sein                 Wohnhaus Erlestraße 9“ verputzt und mit einem
1931/32 errichtetes Haus in der Vlothoer Straße mit        Walmdach versehen.24
einem Satteldach zu versehen, damit es sich besser         Wenn die schlichten, modernen Bauten der 1920er-
in das Stadtbild einfüge (Abb. 16).23 Auch nach            und 1930er-Jahre einer politisch motivierten Ge-

18 Bielefeld, ehemaliges Friedrich-Ebert-Haus nach Instandsetzung. Foto 2018.
14

staltkorrektur entgangen waren, wurden sie                     Stadtkultur e. V. / LVR-Amt für Denkmalpflege im Rhein-
aber häufig in den 1960er- und 1970er-Jahren                   land / LWL-Amt für Denkmalpflege in Westfalen (Hg.), Vom
mit einer neuen Verkleidung versehen und damit                 Nutzen des Umnutzens. Umnutzung von denkmal-
meist bis zur Unkenntlichkeit entstellt. Ein Bei-              geschützten Gebäuden. Bönen 2009, S. 62–63.
spiel aus Bielefeld gibt allerdings Hoffnung                   11 Vgl. Schäfer (wie Anm. 8) S. 178–179.
und macht neugierig darauf, was noch in Zu-                    12 F. J. Geißler / G. Gonser (Hg.), Der Neubau der Taub-
kunft entdeckt werden kann: Das als Genossen-                  stummenanstalt Soest. Münster o. J. [1931]; zitiert nach:
schaftshaus 1931 nach Plänen des Architekten                   Schäfer (wie Anm. 8) S. 178.
Gustav Vogt erbaute Friedrich-Ebert-Haus war                   13 Vgl. Ina Hanemann, Günther Oberste-Berghaus. Ent-
als weißer Putzbau mit flachem Dach und vorge-                 würfe und Bauten von 1925 bis 1934. Unpubl. Magister-
lagertem Flachdach schlicht modern gestaltet.                  arbeit Ruhr-Universität Bochum 1993.
Nachdem der Ursprungsbau jahrzehntelang unter                  14 Vittorio Magnago Lampugnani / Ramona Schneider
einer Verkleidung nur noch zu erahnen war,                     (Hg.), Moderne Architektur in Deutschland 1900 bis 1950.
wurde er vor kurzem wieder enthüllt und in sei-                Expressionismus und Neue Sachlichkeit. Ausstellungs-
ner ursprünglichen Gestaltung instandgesetzt                   katalog Deutsches Architektur-Museum Frankfurt a. Main
(Abb. 17–18).                                                  1994. Stuttgart 1994, S. 10.
                                                               15 Peter Gehrmann, Das Freiherr-vom-Stein-Gymnasium
                                                               leuchtet. Lünen 2017.
Anmerkungen                                                    16 Interessant am Lünener Gymnasium ist auch die Inter-
1 Siehe http://www.bauhaus100.de und für NRW: http://          pretation des Zwanzigerjahre-Baus bei der Süderweiterung
www.bauhaus100-im-westen.de.                                   in den 1980er-Jahren.
2 Jost Schäfer, Neues Bauen in Westfalen – Wohnhäuser          17 Agnes Waldstein, Neue Baukunst im Industriegebiet,
der 20er Jahre, in: Westfalen 72, 1994, S. 489–519;            in: Das Kunstblatt 13, 1929, S. 300; zitiert nach Wilhelm
ders., Wohnhäuser aus der Tradition der Bauhaus-Moderne        Busch, Alfred Fischer – ein Einzelgänger unter den Archi-
in Westfalen. Beispiele zur Vielfältigkeit eines Ideals, in:   tekten des Ruhrgebietes?, in: Jutta Thamer (Hg.), Kohle
Ulrich Hermanns (Red.), Basis Bauhaus … Westfalen. Eine        und Kunst. Der Architekt Alfred Fischer und die Zeche Sach-
Ausstellung des Westfälischen Museumsamtes Münster             sen. Begleitband zur Ausstellung im Gustav-Lübcke-
in Zusammenarbeit mit dem Kunst-Museum Ahlen.                  Museum Hamm 2010. Notizen zur Stadtgeschichte 16.
Münster 1995, S. 39–46; ders., Neues Bauen in West -           Hamm 2010, S. 13–19, spez. S. 18.
falen – Wohnhäuser des modern movement in der Pro-             18 Busch (wie Anm. 17) S. 15.
vinz, in: Denkmalpflege in Westfalen-Lippe 2010/2,             19 Landschaftsverband Westfalen-Lippe / Stadt Paderborn
S. 44–53; Olaf Peterschröder, Strategie der Verhinderung?      (Hg.), Denkmaltopographie der Bundesrepublik Deutsch-
Zur Partizipation des Neuen Bauens in der Provinz West-        land – Denkmäler in Westfalen: Kreis Paderborn Bd. 2.1.
falen (1918–1933). Karlsruhe 2012.                             Stadt Paderborn. Petersberg 2018, S. 416–419 Abb. 712.
3 Das Wohnhaus in Bielefeld ist in der Fassung von             20 Hans H. Hanke, Der sehr verrufene Schlieperblock.
Leopold Fischer nur noch rudimentär erhalten.                  Notwohnungen von 1929 bis 1936 in Iserlohn, in: Denk-
4 Norbert Huse, „Neues Bauen“ 1918 bis 1933. Moderne           malpflege in Westfalen-Lippe 2010/2, S. 53–57; ders.,
Architektur in der Weimarer Republik. München 1975,            Der „Schlieperblock“, in: Die Denkmalpflege 2010/2,
S. 47. 49.                                                     S. 157–158.
5 Jost Schäfer beschäftigte sich mit Wohnbauten des            21 Stadt Hagen (Hg.), Architekturführer Hagen. Hagen
sogenannten Neuen Bauens und besonders auch mit dem            2005, Nr. 58.
Werk von Bruno Paul in Soest, sodass dieser Bereich hier       22 Fred Kaspar, Die Villa Sendker. Zeugnis der bedeu-
nicht wiederholt werden soll; vgl. Anm. 2 und 9.               tenden Kunsttischlerei und Möbelfabrik Sendker, in:
6 Denkmalbehörde Stadt Dortmund, Denkmal des                   Freckenhorst. Schriftenreihe des Freckenhorster Heimat-
Monats September 2017: Gläserne Pracht – die St. Nico-         vereins 21, 2012, S. 71–80.
lai-Kirche an der Lindemannstraße. https://www.focus.de/       23 Hinweis von Dr. David Gropp.
regional/dortmund/stadt-dortmund-denkmal-des-monats-           24 Lutz Heidemann, „Baut Städtebilder“. Architektur,
september-glaeserne-pracht-die-st-nicolai-kirche-an-           Städtebau und Baukultur in der Stadt Buer zwischen 1911
der-lindemannstrasse_id_7541505.html (abgerufen: 15.6.         und 1928, in: Stefan Goch / Gerd Escher (Hg.), Buer –
2018).                                                         Geschichte(n) einer Stadt. Ein starkes Stück Gelsenkirchen.
7 Oliver Karnau, Die ehemalige pädagogische Akademie           Schriftenreihe des Instituts für Stadtgeschichte Bd. 16.
Dortmund. Zeugnis von Lehrerbildung und Stadtbaukunst,         Essen 2014, S. 251–352, spez. S. 306. 351–352.
in: Denkmalpflege in Westfalen-Lippe 1995/2, S. 65–73.
8 Ebd. S. 69.
9 Jost Schäfer, Neues Bauen. Die ehemalige Taub -              Bildnachweis
stummenanstalt in Soest, in: Soester Zeitschrift 101, 1989,    1–2, 5 – 6, 9 LWL-DLBW. | 3 LWL-DLBW/Spohn. |
S. 174–183, spez. S. 175.                                      4 Archiv Reg. Arnsberg. | 7, 11–13 LWL-DLBW /
10 Zur Nutzungsänderung und Umbaumaßnahmen                     Die t r i c h . | 8 LW L - D L B W / S t e g m a n n . | 1 0 LW L -
vgl. Iris Tillessen, Vielseitige Nutzung einer ehemaligen      DLBW/Otten. | 14 LWL-DLBW/Gropp. | 15 –17 LWL-
Taubstummenanstalt für Kinder, in: Europäisches Haus der       DLBW Bildarchiv. | 18 LWL-DLBW/Herden-Hubertus.
15

Hans H. Hanke

Mit etwas Phantasie hast Du mehr
daraus gemacht ...
Das „Landhaus Ilse“ in Burbach, ein zweites „Haus am Horn“

1923 wagte sich die Kunst- und Architektenschule Bauhaus bekanntlich mit ihrer ersten großen
Leistungsschau an die Öffentlichkeit. Auf einem Siedlungsgelände in Weimar „Am Horn“
entstand dabei nach Entwürfen Georg Muches unter Mitwirkung von Walter Gropius,
Adolf Meyer, Ernst Neufert und Walter March ein Wohnhaus, das wechselnd als „Musterhaus“,
„Typenhaus“ oder „Versuchshaus“ bezeichnet wurde. Ihm war ein gleicher Folgebau nicht
beschieden – glaubte man bis 2001. In dem Jahr fand sich in Burbach doch eine Kopie
des Weimarer Exemplars. Das Gebäude kam nahezu unverändert über die Zeit, hat eine
abwechslungsreiche Geschichte und eine ebenso abwechslungsreiche Gestalt.1

Grob skizziert steht das sogenannte Landhaus Ilse         ihren vorgesetzten Winterfenstern stammen aus
auf einem quadratischen Grundriss. Auf seinem             der Bauzeit des Hauses, ebenso die Haustür. Die
hohen Sockelgeschoss liegt ein Wohngeschoss,              Grundrisse des Erdgeschosses und des hohen
nördlich erschlossen über eine gemauerte Außen-           Kellergeschosses entsprechen sich im Wesentlichen
treppe (Abb. 1–2). An der Ostseite ist ein auf-           und weisen jeweils acht Räume auf, die sich
geständerter Wintergarten zu finden. Das um-              um den neunten, größeren Zentralraum, das so-
laufende Pultdach ist seit 2002 mit Zink gedeckt.         genannte Atrium, gruppieren (Abb. 3–4). Das
Über die Dachmitte erhebt sich eine große,                verputzte Haus ist seit seinen letzten, von der
rundum verglaste Laterne. An jeder Ecke der               LWL-Denkmalpflege teilweise begleiteten und
Laterne findet sich ein Kaminkopf mit beweg-              geförderten Instandsetzungen im Jahr 2002 in
lichen Windabweisern. Das Vollwalmdach der                Gelbtönen gefasst. Es war vorher putzsichtig
Laterne wird von einer Wetterfahne mit der                gehalten, ohne dass der Putz veredelt gewesen
Jahreszahl 1924 bekrönt. Die Fenster mitsamt              wäre.

1 „Landhaus Ilse“, Blick auf die Nordseite mit dem Hauseingang. Foto 2018.
16

2 „Landhaus Ilse“, Blick auf die Südseite. Foto 2018.

Das „Landhaus Ilse“ wurde 1924 in Burbach von           Bedeutung des ungewöhnlichen Baus ans Licht.
der „Westerwald-Brüche AG, Bonn a. Rhein“ er-           Die Erforschung des Anwesens verzögerte sich
richtet, die in der Region Steinbrüche betrieb.         dann bis 2016 unter anderem deswegen, weil Erika
Deren Betriebsdirektor Friedrich Willi Gustav           Wirtz dort die zahlreichen Möbel ihres verstor-
Adolf Grobleben (1883–1964) lebte bis zu seinem         benen Lebensgefährten lagerte, dem ehemaligen
Tod in dem Haus, dessen Eigentümer er um 1927           Fortuna Köln-Präsidenten Hans „Jean“ Löring, und
geworden war. Offenbar hatte er aus seiner              das Haus streng verschlossen hielt. Sie gab aber
Position heraus entscheidenden Einfluss auf den         2006 ein bauhistorisches Gutachten in Auftrag.3
Entwurf seiner Dienstvilla – die wenigen über-          Erika Wirtz starb 2015. Ihr Erbe wurde die mit ihr
lieferten Schriftquellen weisen ihn zudem als           befreundete Familie des Bauunternehmers Patrick
Bauleiter aus – denn schon die Bauzeichnung von         Adenauer, einem Enkel des ersten Bundeskanzlers
1924 ist mit der Bezeichnung „Landhaus Ilse“ über-      der Bundesrepublik.4 Sie überließ das Haus 2017
schrieben. Namenspatin war seine Tochter Ilse,          durch eine Schenkung der Gemeinde Burbach.
die dort wohnte, bis sie 2000 starb.2 Grobleben         Diese geht sehr verantwortungsvoll damit um
stammte aus Hannover, er war verheiratet mit            und möchte das Gebäude einer sinnvollen, mög-
Emilie Kaspers aus Köln.                                lichst öffentlichen Nutzung zuführen. Als zeitlicher
Versteckt hinter Eternitplatten und wucherndem          Rahmen für eine Neueröffnung bietet sich das
Grün fristete der Bau, der mit seiner ungewöhn-         Jahr 2019 an, dann stehen sowohl das 100-jährige
lichen Kubatur so gar nicht in die Gegend passt,        Jubiläum des Bauhauses als auch das 800-jährige
lange Zeit ein Dasein fernab der Aufmerksamkeit         Bestehen Burbachs an. Am Weimarer „Haus am
der Öffentlichkeit (Abb. 5). Es war dann 2001 dem       Horn“ soll 2019 auf das „Landhaus Ilse“ als Ziel
sehr starken ideellen und finanziellen Engagement       für Reisen zu Bauhaus-Objekten verwiesen wer-
der neuen Eigentümerin, der Unternehmerin und           den.5 Die LWL-Denkmalpflege stellt das Haus
ehemaligen Kunstlehrerin Erika Wirtz zu verdan-         mit 34 weiteren Objekten im gemeinsamen Inter-
ken, dass das auf Abbruch zum Verkauf stehende          net-Auftritt der NRW-Landesdenkmalämter unter
Haus heute noch vorhanden ist und vorsichtige           www.bauhaus100-im-westen.de vor (siehe Beitrag
Reparaturen ausgeführt wurden. Erst im Zuge             Dietrich S. 4–14). Eine Gruppe von Studierenden
dieses Eigentumswechsels fand eine Überprüfung          der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hoch-
des Denkmalwertes und die Eintragung des Hauses         schule Aachen erstellte ein Handaufmaß der
in die Denkmalliste der Gemeinde Burbach statt.         Räumlichkeiten, Architekturstudierende der Uni-
Ausgangspunkt war der Eindruck der neuen                versität Siegen beschäftigen sich aktuell mit der
Eigentümerin, es handele sich „irgendwie um ein         Entwicklung möglicher Nutzungskonzepte für das
Objekt im Bauhausstil“. Nach und nach kam die           Haus, und das Kunstgeschichtliche Institut der
17

3 „Landhaus Ilse“, Atrium nach der Sanierung.          4 „Landhaus Ilse“, Wohnraum, Gestaltung entspricht
Foto 2018.                                             etwa dem Kinderzimmer im „Haus am Horn“. Foto 2018.

Ruhr-Universität Bochum thematisiert das Haus          den Keller des Hauses ziehen mussten, um für ein-
2018/19 in Seminaren und Exkursionen. Welche           quartierte Besatzungssoldaten Platz zu machen.
Erkenntnisse noch zu gewinnen sind, welche Nut-        Ansonsten führten Groblebens in dem Haus ein
zung letztlich zum Haus passen kann, muss zu-          abgeschirmtes, esoterisch ausgerichtetes Leben,
nächst offen bleiben. Zur Zeit kann das Haus nach      sodass es kaum mehr mündliche Überlieferung
Anmeldung bei der Gemeinde besichtigt werden.          gibt, als die hier vorgetragene. Das Leben der
Das entsprechend dem Weimarer Musterhaus als           Eigentümerfamilie Grobleben war nicht von
Atriumhaus mit überhöhtem Mittelbau konzi-             Wohlstand geprägt, sodass das Haus niemals
pierte Gebäude wurde nach jetzigem Wissens-            durchgreifend modernisiert wurde, sondern über-
stand 1924 zunächst als Gästehaus der Wester-          wiegend in seinem Zustand von etwa 1927 er-
wald-Brüche AG (WAG) gebaut, einem ehema-              halten blieb. Die oben erwähnte Verkleidung
ligen Unternehmen der bis heute bestehenden            des Hauses mit Eternitplatten war die einzige um-
„Grube Sachtleben AG“. Die Westerwald-Brüche           fangreiche Maßnahme, die nach 1945 am Haus
AG wurde nach wenigen Jahren 1927 bis 1929             vorgenommen wurde.
nach und nach geschlossen. Ihr ehemaliger Direk-
tor Friedrich Willi Grobleben erstritt das Gästehaus
angeblich 1927 als Abfindung, gestaltete es in der
Folge für seine Privatzwecke um und wohnte dort
bis zu seinem Tod im Jahr 1964. Er gründete mit
wenig Erfolg um 1927 auf Basis eines nahe gele-
genen Lehmvorkommens eine Firma für Heilerde,
die „WiGro – Buchhellertaler Heilmineral“.6 Seine
Tochter Ilse war ausgebildete Krankenschwester
und offenbar sehr kinderlieb, denn sie hat unter
anderem Schürfwunden und andere leichte Ver-
letzungen der Nachbarschaftskinder kostenlos mit
dieser Heilerde behandelt. Sie öffnete den Kindern
den Hausgarten zum Spielen. Eines der Kinder war
Erika Wirtz, die dann aus Dankbarkeit das Haus
rettete. Vater und Tochter waren in Burbach für
ihre eher sonderlichen Charaktere bekannt. Eine
radikale Änderung im Alltag der beiden hat es          5 „Landhaus Ilse“ mit Winterfenstern und ehemaliger
wohl nur in der Zeit nach 1945 gegeben, als sie in     Eternitverkleidung. Foto 2001.
18

                                                       Raumgrößen wurden leicht variiert und Wände
                                                       begradigt. Auch sind zwei Türen des Weimarer
                                                       Musterhauses im Burbacher Nachbau augen -
                                                       scheinlich nicht ausgeführt oder anders gesetzt
                                                       worden, sodass ein Rundgang durch die Außen-
                                                       räume nicht möglich ist. Am stärksten fällt auf,
                                                       dass sich im Keller eine große Küche befindet, die
                                                       durch einen Speiseaufzug mit dem Esszimmer im
                                                       Erdgeschoss verbunden ist (Abb. 9). Der in Weimar
                                                       als Küche vorgesehene Raum im Erdgeschoss
                                                       wurde in Burbach als Büroraum genutzt, wie in
                                                       Weimar besitzt er aber einen Wandschrank mit
                                                       Waschbecken (Abb. 10).
                                                       Bemerkenswerterweise haben beide Häuser zwar
                                                       einen quadratischen Grundriss, das Haus in Bur-
6 „Haus am Horn“ in Weimar, Ansicht der Westseite.     bach ist aber in den Kantenlängen rund einen

7 „Haus am Horn“ in Weimar, Blick aus dem Esszimmer
in die Küche.

Das im Äußeren nicht ungefällige, aber außer-
gewöhnliche Haus gewinnt eindeutig an Charme,
sobald man das lichte Atrium-Wohnzimmer betritt.
Von hier aus erschließen sich die geglückte            8 „Landhaus Ilse“, Wohn- und Esszimmer, hinten links
Abschirmung und die geborgene Wohnlichkeit,            der Speiseaufzug. Foto 2018.
die dem Entwurf zueigen sind und die Adolf
Grobleben offenbar zur Übernahme der Raum-
aufteilung des Weimarer Musterhauses veranlasst
haben.
Das auffallende Atriumhaus ist in Kubatur und
Grundriss mitsamt seiner Wandschränke eine
nahezu exakte Kopie des „Hauses am Horn“
(Abb. 6–7). Ein augenfälliger Unterschied ist, dass
die den Mittelraum zur Außenwand öffnende
Arbeitsnische, die das Haus in Weimar aufweist,
hier durch eine großzügige, verglaste Tür geschlos-
sen werden kann und mit dem benachbarten
Raum – in Weimar das Fremdenzimmer – zu einem
großen üppigen Speiseraum zusammengefasst
wurde (Abb. 8). Selbst hier zeigt die Position eines
Deckensturzes, dass und wie von der Weimarer
Vorlage abgewichen wurde. Andere Abweichun-
gen in der Raumaufteilung sind unauffälliger,          9 „Landhaus Ilse“, Küche im Keller. Foto 2018.
19

                                                          Eigentümer des Gebäudes die bis dahin – ebenfalls
                                                          laut Befund – nicht vollständige Wandgestaltung
                                                          vollendet haben. Diese Ausstattung, die bis hin
                                                          zu Lichtschaltern (Abb. 13–14), Marmor-Wasch-
                                                          tischen, Bodenbelägen, Türen, Wandgestaltungen,
                                                          Heizkörpern und wohl auch Gardinen erhalten
                                                          ist, war für Burbacher Verhältnisse sicherlich recht
                                                          exklusiv, modern und hochwertig – aber nicht
                                                          avantgardistisch, sondern „bürgerlich“. Das zeigen
                                                          auch die Bestell-Listen zum Bauantrag von 1924.
                                                          Auf diese „bürgerliche“ Umnutzung weisen wei-
                                                          tere gestalterische Abweichungen vom Original
                                                          hin: Die Zimmerdecken sind mit einer gerundeten
                                                          Kehle versehen (Abb. 15), einige Zimmer sind in
                                                          ursprünglich sehr kräftigen Farben und traditionel-
10 „Landhaus Ilse“, Büro. Raum und Lage entspricht der    lem Dekor gehalten. Das ebenfalls ursprüngliche
Küche im Haus am Horn. Foto 2018.                         Linoleum auf den Böden ist farblich auf die Wände
                                                          abgestimmt. Linoleum wurde auch in Weimar
                                                          ausgelegt. Die quadratischen bzw. liegenden
Meter länger als das Haus in Weimar (Abb. 11).            Fensterformate im Weimarer Musterhaus sind
Nach einem groben Handaufmaß des Verfassers               in Burbach hochrechteckigen, damals üblichen
kam der Raumgewinn in Burbach den außen-                  Sprossenfenstern mit vorhängbaren Winter -
liegenden Räumen zugute, der zentrale Wohn-               fenstern gewichen. Schließlich sind die Dächer in
raum wurde zu dem gleichen Zweck um einen                 Burbach etwas stärker geneigt, wohl um Regen
Meter pro Seite verkleinert. Diese Maßänderun-            und Schnee besser widerstehen zu können, even-
gen könnten auf die zeitgenössische Kritik an den         tuell aber auch, um dem ungewöhnlichen Bau eine
sehr knapp bemessenen Außenräumen im Bau-                 gewohntere Optik zu verleihen. Außerdem weist
haus-Vorbild zurückzuführen sein. Die genauen             die Burbacher Kopie eine rundum klar verglaste
Maße werden zur Zeit von der LWL-Denkmal-                 Laterne über dem Atrium-Wohnzimmer auf,
pflege durch ein tachymetrisches Aufmaß über-             während die Belichtung im „Haus am Horn“ hier
prüft.                                                    nur über zwei Seiten und durch mattiertes Glas
Letztlich sollte das Musterhaus aus Weimar in             erfolgt. Die stärkere Belichtung mag der schlech-
Burbach wohl als Direktorenvilla erscheinen.              teren Witterung geschuldet sein, denn Burbach
Laut Befund ist die vorhandene Farbfassung des            liegt auf den Höhen des Siegerländer Mittelge-
Inneren die zweite Fassung aus den 1920er-Jahren          birges, weist also vor allem im Winter viele trübe
(Abb. 12). Das entspricht der oben skizzierten            und kalte Tage auf. Aus diesen Gründen mag auch
Gebäudegeschichte, denn Willi Grobleben wird              die Weimarer Terrasse in Burbach als Wintergarten
1927 bei seinem Wechsel vom Mieter zum neuen              ausgeführt worden sein.

11 Links: Grundriss „Haus am Horn“ in Weimar (1923), rechts: Grundriss „Landhaus Ilse“ in Burbach (1924).
Umzeichnungen von Tobias Venedey.
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12 „Landhaus Ilse“, Blick aus dem Esszimmer durch     15 „Landhaus Ilse“, Schlafzimmer. Die Lage entspricht
das Wohnzimmer auf die Arbeitsnische. Foto 2018.      dem Zimmer der Dame im „Haus am Horn“. Foto 2018.

                                                      druck der Massivität des Hauses verstärkt. Diesen
                                                      konterkarierenden Abweichungen steht eine
                                                      besonders verblüffende Ähnlichkeit am äußeren
                                                      Erscheinungsbild gegenüber: Wie am Musterhaus
                                                      in Weimar ist in Burbach die Fassade durch einen
                                                      leicht eingezogenen Putzspiegel sparsam orna-
                                                      mentiert.
                                                      Das Gebäude liegt auf einem leicht kuppigen,
                                                      großen Grundstück in exponierter Lage am Orts-
                                                      rand Burbachs. Ob es früher eine Gartengestaltung
                                                      im Sinn des Bauhauses gab, ist nicht mehr fest-
                                                      stellbar; die geringen, offenbar lange unberührten
                                                      Außenflächen weisen keine Spuren eines systema-
13 „Landhaus Ilse“, Lichtschalter. Foto 2018.         tisch angelegten Gartens auf. In Anbetracht der
                                                      „bürgerlichen“ Neuinterpretation des Muster -
                                                      hauses und des ländlichen Umfeldes in Burbach
                                                      ist eher davon auszugehen, dass es sich bei dem
                                                      Hausgarten um einen normalen Wirtschaftsgar-
                                                      ten gehandelt hat. Eine teilweise Bebauung des
                                                      Gartengrundstücks im Randbereich mit Einfami-
                                                      lienhäusern ließ sich 2002 bis 2004 in der Platzie-
                                                      rung der Bauten beeinflussen, nicht aber völlig
                                                      verhindern.
                                                      Zur näheren Baugeschichte sind trotz intensiver
                                                      Recherchen und öffentlicher Aufrufe bislang kaum
                                                      Informationen zu erlangen, denn nahezu alle
                                                      Bauunterlagen der Gemeinde, anderer Behörden
                                                      sowie in denkbarem Privatbesitz sind verschollen.
                                                      Leider hat im Jahr 2000 der unmittelbare Erbe der
14 „Landhaus Ilse“, Lichtschalter. Foto 2018.         Ilse Grobleben die wohl damals noch fast voll-
                                                      ständige Ausstattung des Hauses mitsamt dem ent-
                                                      sprechenden Schriftverkehr und den Tagebüchern
Den gestalterischen Grundsätzen des Bauhauses         entsorgt, bevor er das Haus auf Abriss zum Verkauf
widerspricht der hohe und durch Rauhputz              stellte. Die Forschungen in anderen Beständen
betonte Kellersockel mit vergitterten, tiefen Fens-   laufen aber weiter. Neben dem erwähnten Auf-
tern. Die für Weimar typische Anschüttung des         maß sind auch Befunduntersuchungen durch die
Erdreiches an das Sockelgeschoss bis auf Höhe des     Restaurierungswerkstatt Christoph Hellbrügge in
Erdgeschossbodens war in Burbach offenkundig          Auftrag gegeben worden. 7
nicht beabsichtigt. Der hohe Sockel erforderte        Die oben bereits geschilderte Bausubstanz birgt
dann auch eine Treppe zur Haustür, die den Ein-       die entscheidenden Aussagen zur Baugeschichte
21

des Hauses, nicht zuletzt in der erwähnten Wetter-        wurde aber nur ein Kaminkopf über das Dach
fahne aus Blech mit der ausgestanzten Jahres -            geführt (Abb. 18). Auch die durch Wandscheiben
angabe „1924“. Die übrige Quellenlage ist sehr            unterbrochenen Drillingsfenster und die generell
schlecht. Es gibt das unvollständige Blatt eines          konventionelleren Fensterformate sind in Gropius
Plansatzes von 1924 mitsamt einigen schriftlichen         Zeichnung in sehr ähnlicher Systematik zu finden
Angeboten zur Ausstattung. Signiert ist es mit            wie in Burbach. Das Haus in Burbach entspricht
„Burbach, den 14. Mai 1924“ von der „Betriebs-            also stärker der Weimarer Baueingabe-Fassung
direktion der Westerwald-Brüche A.-G. Bonn                als das verwirklichte „Haus am Horn“.8
a. Rhein, Sitz in Burbach i. Westf., Direktor W.          Dass das „Haus am Horn“ als Bauvorlage ent-
Grobleben“, von der Burbacher Bauaufsicht                 wickelt wurde, zeigte sich schon 1923. In diesem
gegengestempelt am 30. Mai 1924. Hinzu kommt              Jahr hatten sich auf eine Publikation des Mus-
eine auch nur teilweise erhaltene Planzeichnung           terhauses in Velhagen & Klasings Monatsheften
„Anbau an das Landhaus ‚Ilse‘ in Burbach, für             39 Interessenten „für gleiche oder ähnliche
Herrn Willi Grobleben“ – wohl von 1927 oder               Projekte“ gemeldet. Ob und an wen Unterlagen
später – mit Grundriss, Aufriss und Ansichten             abgegeben wurden, geht aus dem Beitrag – nach
(Abb. 16). Sie gibt wegen ihrer Unvollständigkeit         Auskunft von Wolfgang Pehnt – nicht hervor.
Rätsel auf. Dieser Plan zeigt Umbau- und An -             Jedenfalls wurde das „Musterhaus“ als ein kon-
baupläne für das „Landhaus Ilse“ für die von              kreter Vorschlag verstanden, daraus eine Produk-
Willi Grobleben um 1927 gegründete Produktion             tion zu entwickeln, von der auch die Bauhaus-
„Buchhellertaler Heilmineral WiGro“.                      Werkstätten profitiert hätten.9 Bekannt ist auch –
Zielführend für die Analyse der Baugeschichte             nach Auskunft von Annemarie Jaeggi – aus einem
könnte sein, dass das Haus im Gegensatz zum               Meisterratsprotokoll des Weimarer Bauhauses,
Weimarer Original vier Schornsteine besitzt. Auch         dass zur Bauhaus-Ausstellung 1923 in Weimar
das ist vielleicht der kühleren Lage Burbachs             Plansätze zum „Haus am Horn“ gegen eine Schutz-
geschuldet. Dennoch ist an den vier Kaminen               gebühr verkauft wurden. Die Absicht dahinter
auffällig, dass die für das „Haus am Horn“ von            war wohl, dass Interessenten das „Musterhaus“
Walter Gropius signierten Baueingabezeichnun-             auch anderenorts bauen konnten, ohne dass das
gen von 1923 ebenfalls vier Kamine aufweisen              Bauhaus oder das Architekturbüro von Gropius
(Abb. 17). Die scheinen nach den Bauplänen in             involviert sein musste. Offenbar verzichtete
Weimar baulich auch angelegt worden zu sein, es           Gropius auf seine Rechte und auf die des Bau-

16 „Landhaus Ilse“, Grundriss des Erdgeschosses nach der Planzeichnung von 1924 (mit Ergänzung durch einen nie
umgesetzten Anbau).
22

17 „Haus am Horn“ in Weimar, Bauzeichnung von Walter Gropius 1923. Hier sind im Plan vier Kamine über das Dach
geführt, vergleichbar mit dem „Landhaus Ilse“ in Burbach. Entwurf Walter Gropius.

hauses – oder er sah sie durch die Schutzgebühr          hoff-Buscher (1899–1944) geboren, die 1923 die
als abgegolten an. Der zum Kauf angebotene               Ausstattung des Kinderzimmers im „Haus am
Plansatz ist leider unbekannt. Insgesamt sind rund       Horn“ entworfen hatte. Ihre Familie verzog aber
30 Plansätze verkauft worden, aber es ist auch           wenige Jahre nach ihrer Geburt zunächst nach
hier keine erhaltene Liste bekannt, die Auskunft         Wuppertal, dann nach Berlin. Es ist unwahrschein-
darüber geben könnte, an wen diese Plansätze             lich, dass sich bis 1924 bei ihr Bezüge zum Sieger-
gingen. Ob ein solcher Plansatz nach Burbach             land so stark erhalten haben, dass sie den Bau
gelangt ist, lässt sich dementsprechend nicht            des Hauses in Burbach anregte.11
fundiert prüfen.10 Mit großer Vorsicht darf jeden-       In Weimar wurde das „Haus am Horn“ 1998 bis
falls anhand des sehr aussagekräftigen vorhan-           2000 umfassend rekonstruiert, seine Kopie in
denen Baubestandes, der unvollständigen Plan-            Burbach ist dagegen nahezu vollständig in der
unterlagen von 1924 sowie der Ähnlichkeiten mit          ursprünglichen Substanz erhalten.12 Auf welchem
den Bauzeichnungen aus dem Büro Gropius die              Weg der Entwurf aus dem kulturrevolutionären
These zur Diskussion gestellt werden, dass das           Bauhaus in das abgeschiedene, traditionsorien-
Haus in Burbach aufgrund eines Vorentwurfes aus          tierte Burbach gefunden hat, bleibt vorläufig ein
der Bauhaus-Schule entstanden ist.                       Rätsel. Dies zeigt, wie eigensinnig und phantasie-
Ein regionaler Bezug, dessen Wirkungskraft aber          voll die Leistungsschau der Bauhaus-Avantgarde
noch nicht genau erforscht werden konnte,                in der Öffentlichkeit rezipiert wurde. „Mit etwas
verweist auf das von Burbach nicht weit entfernte        Phantasie hast Du mehr daraus gemacht ...“ war
Kreuztal. Dort wurde die Designerin Alma Sied-           einmal der bekannte Werbespruch eines vor-
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