Denkmalpflege in Westfalen-Lippe - LWL-Denkmalpflege, Landschafts- und Baukultur in Westfalen
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LWL-Denkmalpflege, Landschafts- und Baukultur in Westfalen Denkmalpflege in Westfalen-Lippe Heft 2018 /2 Neues Bauen: Architektur der 1920er- und 1930er-Jahre
Hamm, Elchstraße 4, Wohnhaus von 1934; Bauplan Grundriss, Erdgeschoss; siehe S. 34–35 (Aufsatz von David Gropp).
© 2018 Ardey-Verlag Münster Alle Rechte vorbehalten Druck: Druckerei Kettler, Bönen Satz und Layout: Alexandra Engelberts, Münster Printed in Germany ISSN 0947-8299 24. Jahrgang, Heft 2018/2 Erscheinungsweise 2mal jährlich zum Preis von 4,50 Euro (Einzelheft) zuzüglich Versand über den Ardey-Verlag Münster An den Speichern 6 48157 Münster Herausgeber: LWL-Denkmalpflege, Landschafts- und Baukultur in Westfalen Redaktion: Dr. Gisela Woltermann (Leitung) Dr. David Gropp Dr. Barbara Pankoke Dr. Dirk Strohmann Anschrift: LWL-Denkmalpflege, Landschafts- und Baukultur in Westfalen Fürstenbergstr. 15 48147 Münster dlbw@lwl.org Die Autoren der LWL-Denkmalpflege, Landschafts- und Baukultur in Westfalen: Wiss. Bibl. Sabine Becker M. A. Anne Bonnermann M. A. Dr. Eva Dietrich Dr. David Gropp Dr. Hans H. Hanke Dr. Anke Kuhrmann Dr. Heinrich Otten Dr. Barbara Pankoke Dipl.-Ing. Heike Schwalm Dr. Knut Stegmann Sabine Cornelius Landschaftsverband Rheinland LVR-Amt für Denkmalpflege im Rheinland Ehrenfriedstraße 19, 50259 Pulheim Dr. Lutz Heidemann Goethestraße 17, 45894 Gelsenkirchen Diese Zeitschrift steht zum Download auf unserer Homepage bereit www.lwl-dlbw.de
Inhalt 3 Editorial 4 Aufsätze 4 Bauhaus? – Auf der Suche in Westfalen Eva Dietrich 15 Mit etwas Phantasie hast du mehr daraus gemacht… Das „Landhaus Ilse“ in Burbach, ein zweites „Haus am Horn“ Hans H. Hanke 24 Neues Bauen auf dem Lande Das Wohnhaus mit Arztpraxis von Dr. Walther Schmits in Gütersloh-Friedrichsdorf Barbara Pankoke 29 August Oldemeier, ein Architekt der 1920er- und 1930er-Jahre Die Wohnhäuser in Herford und Hamm David Gropp 36 Ausgewählte Literatur zum Thema „Neues Bauen“ Sabine Becker 40 Berichte 40 Kirchenbau nach 1945. Ein Bericht zum Abschluss des Erfassungs- und Bewertungsprojekts in Westfalen-Lippe Knut Stegmann und Heinrich Otten 42 Moderne 1960+ Neues Informationsangebot der LWL-Denkmalpflege, Landschafts- und Baukultur in Westfalen Anke Kuhrmann und Knut Stegmann 44 Denkmalpflege und Kommunikation Bericht zum 8. Westfälischen Tag für Denkmalpflege in Witten Anne Bonnermann 45 Westfälische DNK-Preisträger zu Gast im Fürstlichen Residenzschloss Detmold Anne Bonnermann 46 Journalistinnen und Journalisten entdecken die Architektur der 1960er-und 1970er-Jahre Heike Schwalm und Sabine Cornelius 48 Rezension 48 Hans Scharoun im Ruhrgebiet – Entwerfen und Bauen für das Leben. Berlin 2017 Lutz Heidemann 50 Neuerwerbungen der Bibliothek in Auswahl 52 Personalia
3 Editorial lung gewidmete Ausgabe 2010/2 dieser Zeitschrift sind dafür nur zwei Belege unter vielen. Das vorliegende Heft setzt diese Tradition fort und bietet neue Erkenntnisse zu einzelnen Objekten (wie etwa die Aufsätze von Hans H. Hanke über das „Landhaus Ilse“ in Burbach und von Barbara Pankoke über das Wohnhaus von Dr. Walther Schmits in Gütersloh-Friedrichsdorf), zum Schaffen von Architekturbüros (Aufsatz von David Gropp über den Architekten August Oldemeier) und eine Überblicksdarstellung zu den Baugattungen dieser Zeit (Aufsatz von Eva Dietrich über die Suche nach Bauhaus-Zeugnissen in Westfalen) sowie eine Auswahl an einschlägiger Literatur und sonstigen Sekundärquellen (Zusammenstellung von Sabine Becker). Über die Untersuchungen von Jost Schäfer zu den Wohnbauten dieser Zeit hinausgehend stellt Eva Dietrich Beispiele aus anderen Baugattungen vor Im Jahr 2019 feiert das Bauhaus seinen 100. Ge- und hinterfragt gleichzeitig mögliche Bezüge zum burtstag. Die beiden Landschaftsverbände West- Bauhaus in gestalterischer und programmatischer falen-Lippe (LWL) und Rheinland (LVR) sowie das Hinsicht. Es wird deutlich, dass die Gleichsetzung Land Nordrhein-Westfalen, vertreten durch das der Begriffe „Moderne“, „Neues Bauen“ und Ministerium für Kultur und Wissenschaft, haben „Bauhaus“ für Westfalen nicht zu halten ist und sich vor diesem Hintergrund dazu entschlossen, stattdessen sogar die Sicht auf die wahren Verhält- mit einem eigenen Verbundprojekt unter dem nisse vernebelt. Diese waren deutlich vielgestal- Titel „100 Jahre Bauhaus im Westen“ in den tiger, als dies gemeinhin unterstellt wird. Offen- Reigen der bundesweiten Jubiläumsveranstaltun- sichtlich werden nicht nur der bestehende For- gen einzustimmen. Die inhaltliche Verknüpfung schungsbedarf sondern auch die Chancen dafür, mit dem 100. Geburtstag der Weimarer Republik noch überraschende neue Entdeckungen im über- setzt dabei eine besondere Note. Auch die bei - lieferten baulichen Bestand dieser Zeitstellung den Denkmalpflegeämter der Landschaftsver- machen zu können. bände bringen sich mit ihrem Fachwissen ein. Ein weiterer wesentlicher Beitrag zum Jubiläum Den Auftakt zu den zahlreichen Veranstaltungen ist ein gemeinsames Projekt der Architektenkam- und Ausstellungen, die im Rahmen des Projektes mer NRW und der beiden Fachämter der Land- geplant sind, bildete das Symposium „die welt schaftsverbände. Auf der Basis des bestehenden neu denken“ am 13./14. September 2018 in Essen, Portals „baukunst nrw“ (www.baukunst-nrw.de) Zeche Zollverein. Es ergaben sich teils über - werden – nach und nach – über 30 Objekte vor- raschende neue Erkenntnisse zu den Wechsel- gestellt, die Auskunft geben zum Neuen Bauen in beziehungen zwischen dem Wirken des Bauhauses Westfalen-Lippe. Einzelne dieser Architekturen und verschiedenen Initiativen sowie kulturellen werden bereits in diesem Heft präsentiert, wie Zentren im Westen des Deutschen Reiches. Die z. B. die Nicolaikirche in Dortmund, und sollen so beiden Fachämter erhielten die Gelegenheit, ihre auch neugierig auf das neue Angebot machen. Es eigene Sicht auf das Jubiläum vorzutragen, und wird auch die Möglichkeit geben, auf Themen- nutzten diese dazu, auf die Vielfalt des Bauens und routen zuzugreifen. Ein Besuch des Portals sei Gestaltens in der Zeit zwischen den beiden Welt- deshalb ebenso dringend empfohlen wie der an- kriegen und auf die Zeugnisse des Neuen Bauens schließende Besuch der oftmals wenig bekannten auch jenseits des Schaffens und der Einflüsse des Objekte. Bauhauses hinzuweisen. Für Westfalen fiel mir per- sönlich diese Darstellung um so leichter, als sich das Denkmalpflegeamt schon seit vielen Jahren inten- siv mit dem baulichen Erbe der 1920er- und 1930er-Jahre auseinandersetzt. Die Publikation Jost Schäfers zu „Bruno Paul in Soest“, die 1993 in der Reihe „Denkmalpflege und Forschung“ des Dr. Holger Mertens Amtes erschien, und die ebenfalls dieser Zeitstel- Landeskonservator
4 Eva Dietrich Bauhaus? – Auf der Suche in Westfalen Zum 100-jährigen Bauhaus-Jubiläum 2019 gibt es bundesweit eine Vielzahl von Initiativen und es werden viele neue Publikationen erscheinen.1 Auch wenn lange Zeit davon ausgegangen wurde, dass es keine baulichen Zeugnisse von waschechten „Bauhäuslern“ in Westfalen gebe, ist die Beschäftigung mit dieser Thematik nicht neu.2 Nicht nur mit dem „Landhaus Ilse“ in Burbach, das eine Kopie des Hauses „am Horn“ in Weimar ist (siehe Beitrag Hanke S. 15–23), wurde zwischenzeitlich der Gegenbeweis geführt, auch von dem Architekten Leopold Fischer, der sich bewusst gegen Walter Gropius stellte, sind Bauten in Werther und Bielefeld 3 erhalten. Da die 1919 als „Staatliches Bauhaus“ gegründete als gestalterische Elemente. Die Gemeinde ver- Kunstschule in Weimar nur eine von vielen Ausbil- zichtete auf die übliche Verblendung aus Natur- dungsstätten dieser Zeit war, gab es auch dement- oder Backstein und behielt die rohe Betonober- sprechend viele Architekten, die sich unabhängig fläche mit ihren Spuren der Schalungsbretter bei. vom Bauhaus gegen das traditionelle Bauen wand- Auch wenn die Pressa-Kirche von Otto Bartning in ten und „modern“ bauten. Unter dem Oberbegriff Köln von 1928 als Vorbild zu erkennen ist, wird des sogenannten Neuen Bauens fand Norbert in Dortmund die schlichte Sachlichkeit so kon- Huse eine einfache Stilbeschreibung und eine Ein- zentriert, dass Zeitgenossen die Nicolaikirche als ordnung der Bauhausbauten: „Wie jeder andere „Betonklotz“ oder „Maikäferschachtel für arme Stil ist auch der des Neuen Bauens am leichtesten Seelen“ bezeichneten.6 durch das zu charakterisieren, was ihm fehlt: Es gibt keine Säulen, keine spitzen Dächer, keine selbständigen und als solche erkennbaren Orna- mente. Außerdem fehlen Sockel und geböschte Ecken, betonte Übergänge und Abschlüsse. […] Die Phase der Stilbildung ging ihrem Ende entge- gen, und schon 1925/26 entstand mit den Dessauer Bauhausbauten eines der Hauptwerke des neuen Stils.“4 Zum Jubiläumsjahr bestückt die LWL-Denkmal- pflege, Landschafts- und Baukultur in Westfalen zusammen mit dem Schwesteramt im Rheinland die Internetplattform http://www.baukunst-nrw.de mit kurzen Steckbriefen zu Bauten, die in Verbin- dung zu „Bauhäuslern“ stehen oder inhaltliche Parallelen zu deren Arbeiten aufzeigen. Aus die- sem Projekt, dessen Ziel indes nicht die flächen- deckende Erschließung des modernen Bauens in Westfalen in den 1920er- und 1930er-Jahren ist, sollen an dieser Stelle einige Beispiele aus verschie- denen Baugattungen vorgestellt werden.5 Da Kirchen seit jeher eine besondere Bauaufgabe darstellen und es in diesem Bereich oft innovative Lösungen gab, werfen wir zunächst einen Blick auf Sakralbauten. In den Jahren 1929/30 wurde die Dortmunder Nicolaikirche nach den Plänen von Karl Pinno und Peter Grund errichtet (Abb. 1). Die Besonderheit des Baus liegt nicht nur in der frühen Stahlbeton- Skelettbauweise, die einen trapezförmigen, stüt- zenlosen Innenraum ermöglicht, sondern in der 1 Dortmund, Nicolaikirche von Pinno und Grund konsequenten Verwendung von Beton und Glas (1929/30). Foto 2004.
5 gestellten Flachdachbauten zeigen Parallelen zu Bauten aus dem Umfeld des Bauhauses, wenn- gleich in Westfalen diese Architekturideen in der Regel als Neues Bauen bezeichnet werden. Mit Blick auf die Pädagogische Akademie erläutert O. Karnau: „Dieser Baustil [des Neuen Bauens] war seit den frühen 1920er Jahren von öffentlichen Auftraggebern wie Regierungs- und Kommunal- behörden gefördert worden und hatte sich als ein von Fachwelt und Publikum als modern an- gesehener Architekturstil durchgesetzt; gerade um 1930 war das ‚Neue Bauen’ auf dem Höhepunkt seiner Popularität und wurde schlechthin als ein Symbol der politischen, sozialen und kulturellen Fortschritte der Weimarer Republik angesehen.“8 Doch besonders das südliche Treppenhaus, in dem bauzeitliche Elemente wie die hölzerne Sitzbank, das Geländer und die Handläufe überliefert sind, legt einen Vergleich mit dem Treppenhaus des Bauhaus-Gebäudes in Dessau nahe (Abb. 4). In ihrem sehr guten Überlieferungszustand mit moderner, ergänzter Ausstattung wird die Aka- demie heute von der Fachhochschule Dortmund für den Fachbereich Design genutzt. Obwohl die ehemalige Taubstummenanstalt in Soest (Abb. 5), die zwischen 1929 und 1931 nach Plänen der westfälischen Provinzialverwaltung er- baut wurde, in ihrer „Versachlichung des archi- tektonischen Formenapparates“9 ein prominenter 2 Münster, Kirche Heilig Geist von W. Kremer (1928/29). Vertreter des Neuen Bauens ist, soll hier besonders Foto 2006. auf ihre ursprüngliche Farbfassung hingewiesen werden.10 Nicht nur vor dem Hintergrund, dass die Visualität und Haptik in der Gestaltung der Als verklinkerter Stahlbetonskelettbau nimmt die Taubstummenanstalt als pädagogisches Element Kirche Heilig Geist in Münster das traditionelle eine Rolle spielte, sondern auch als Spiegel Fassadenmaterial mit seiner klassischen braun- zeitgenössischer Farbkonzepte ist dieser Soester roten Farbgebung auf (Abb. 2). 1928/29 nach Plä- Bildungsbau ein markantes Beispiel.11 Die ur- nen des Architekten Walter Kremer erbaut, sind sprünglich ausgeführte, zurückhaltende Farbig- die einzelnen Bauglieder mit ihren glatten Ziegel- keit, die sich auf eine Kombination von weißen wänden bewusst gegeneinander gesetzt und Flächen mit Gliederungselementen in Grün, lediglich die Fenstereinfassungen mit Werkstein Blau und Orange beschränkte, scheint eine Ab- betont. wandlung der Primärfarben (Gelb, Blau, Rot) zu Da die „Bauhäusler“ besonders auch das Ausbil- sein. Diese Farbpalette mit der Hinzunahme dungssystem erneuern wollten, lohnt sich ein Blick von Schwarz und Weiß wurde besonders bei auf westfälische Bildungsbauten, um Spuren dieser der niederländischen De-Stijl-Bewegung bevor- Reformbewegung aufzudecken. zugt und über ihre Vertreter am Bauhaus und Nach einem Beschluss der preußischen Regierung in anderen modernen Ausbildungsstätten verbrei- von 1925, die Ausbildung der Volksschullehrer tet. An der Taubstummenanstalt in Soest wurden grundlegend zu verändern, sollten hierfür eigens Fenster je nach ihrer Anordnung mit grünen errichtete Akademien entstehen. Vor diesem Hin- Blendrahmen und blauen Deckleisten oder weißen tergrund wurde 1929/30 die Pädagogische Aka- Blendrahmen und orangenen Deckleisten ver- demie Dortmund am Rheinlanddamm nach Plänen sehen. Dachrinnen und Fallrohre erhielten einen des Regierungsbaurates Paul Fehmer erbaut kobaltblauen Anstrich und wurden somit als (Abb. 3).7 Der zweiflügelige, dreigeschossige Bau optische Gliederungselemente genutzt. Da die auf erhöhtem Sockelgeschoss wurde als Eisen - Taubstummenanstalt 1945 beschädigt wurde und betonskelettbau konstruiert und mit einer Ver- anschließend anderen Funktionen diente, ist blendung aus blauroten Klinkersteinen und ihr ursprüngliches Farbkonzept fast vollständig Muschelkalkstein-Platten versehen. Bis auf Fenster- verloren gegangen. Lediglich das Friesband in bänder und profilierte Mauervorlagen sind die Fas- Sgrafittotechnik mit Szenen aus dem Kinderleben saden schmucklos, und auch die gegeneinander (Abb. 6) vermittelt einen Eindruck der Motivation
6 3 Dortmund, Pädagogische Hochschule am Rheinlanddamm (1929/30). Foto 2009. 4 Dortmund, Pädagogische Hochschule, Treppenhaus um 1930. der Bauherren: „Wenn Farbigkeit schon an sich unsere Absicht dahin, die farbige Gestaltung so nicht einfach als Modesache abzutun, sondern primitiv, lebensfreudig und bejahend und so fern letzten Endes immer Weltanschauungsangelegen- von allem Müden und Dekadenten wie möglich heit ist, so wird Farbenfreudigkeit in der Um - zu halten.“12 gebung des Taubstummen geradezu zur Grund- Das heutige Christian-Rohlfs-Gymnasium wurde bedingung. In vorliegendem Fall ging daher für die damals noch unabhängige Stadt Haspe
7 5 Soest, ehemalige Taubstummenanstalt (1929–1931). Foto 2017. erscheint, liegt der Vergleich mit Bauhausbauten auf der Hand, vor allem bei der Betrachtung des ehemaligen Zeichensaales, der ursprünglich mit gebogenen Oberlichtern ausgestattet war. Deshalb verwundert es nicht, dass der zu dieser Zeit für die Stadt Haspe (und später Hagen) als Leiter der städ- tischen Neubauämter tätige Architekt Günther Oberste-Berghaus immer wieder mit dem Bauhaus in Verbindung gebracht wird. Allein ein eindeu- tiger Nachweis, dass Oberste-Berghaus als Studie- render oder Gasthörer am Bauhaus in Weimar oder Dessau war, wurde bisher nicht erbracht. Warum sollte dies allerdings auch nötig sein, wenn 6 Soest, ehemalige Taubstummenanstalt, Fries mit man seine in Hagen realisierten Bauten, wie z. B. Szenen aus dem Kinderleben. Foto 2017. das Stadtbad in Haspe oder die Turnhalle der evangelischen Schule Kipper, betrachten kann?13 als Berufsschule ab 1928 geplant und trotz der „Fast alle bedeutenden Architekten, die sich in Eingemeindung nach Hagen 1929 bis 1932 fertig- den zwanziger Jahren für die Neue Sachlichkeit gestellt (Abb. 7). Der langgestreckte, leicht ge- entschieden, durchlebten zuvor eine mehr oder bogene Grundriss passt sich dem Baugrundstück minder intensive expressionistische Phase, die zur am Ennepeufer an und zeigt in seiner spiegelbild- wichtigen Grundlage für das wurde, was dann lichen Aufteilung die strikte Trennung von Jungen selbstbewußt das ‚Neue Bauen’ genannt werden und Mädchen. Am Außenbau lässt sich dies an sollte.“14 den zwei Treppenhäusern ablesen, die in zwei Diese Vielfalt und Wandelbarkeit wird beson- separaten Vorbauten aus den Risaliten der Ein- ders am Beispiel des Architekten Karl Schulze gangsseite treten und einen Kontrapunkt zur (1876–1929) deutlich, der gemeinsam mit seinem vorherrschenden horizontalen Gliederung setzen. Bruder Dietrich das in Dortmund ansässige Archi- Die an den Treppentürmen übereck laufenden tekturbüro D & K Schulze leitete. Bekannt wurde Kunststeinrahmungen vermitteln den Eindruck das Büro um 1900 mit traditionellen Bauten und eines umlaufenden Fensterbandes und akzentu- historistischen Einflüssen, während ab Mitte der ieren die schlichte viergeschossige Klinkerfassade. 1920er-Jahre auch expressionistische Elemente in Auch wenn der Bau mit vorkragenden Steinen den Vordergrund rückten. Eines der letzten Werke und Fensterrahmungen nicht völlig schmucklos von Karl Schulze ist das zwischen 1929 und 1931
8 7 Hagen, Ennepeufer, ehemalige Berufsschule von G. Oberste-Berghaus (1928–1932). Foto 2018. errichtete Freiherr-vom-Stein-Gymnasium in Lünen, bänder, die rhythmischen Wiederholungen im das auf Z-förmigem, geknicktem Grundriss mit Aufbau der Werke zeigen die erstaunliche Groß- Flachdach, horizontalen Fensterbändern und ge- zügigkeit, die hier waltet.“17 rundeten Ecken eine deutliche Hinwendung zum Die Maschinenhalle der Zeche Sachsen in Hamm- Neuen Bauen zeigt (Abb. 8).15 In der dunkelroten Heessen, die das letzte erhaltene Gebäude der Klinkerfassade fällt besonders der leicht ge- von 1912 bis 1976 betriebenen Zeche ist, wurde schwungene Nordflügel mit einem halbhohen, 1912–1914 nach Plänen des Architekten Alfred gerundeten Pavillon auf, während der Treppen- Fischer (genannt Fischer-Essen) als lang gestreckter turm mit Hauptportal und Uhr den Gebäude- Klinkerbau errichtet (Abb. 9). Mit der konsequen- komplex dominiert.16 Im Inneren entsteht durch ten Horizontalgliederung und der monumentalen die gelb und grün gefliesten Flure eine heitere Freitreppe an der Eingangsseite wird die ursprüng- Atmosphäre, die im Zusammenhang mit den liche Elektrizitätshalle als Beispiel für die frühe pädagogischen Ansprüchen an die Schulbauten Moderne angeführt und auch immer wieder der Zeit gesehen werden kann und die Erziehung mit dem Bauhaus in Verbindung gebracht, auch zum modernen Menschen fördern sollte. wenn dies wiederholt Kritik hervorruft: „Dass Ein Blick auf die westfälischen Industrie- und allerdings diese höhere Ordnung mittlerweile Verwaltungsbauten fördert ebenfalls Spuren des geschrumpft ist auf die unsägliche Aneignung Bauhauses zu Tage, da der Industriebau die und gebetsmühlenartige Wiederholung der Bau- moderne, sachliche Architektur beeinflusst hat. haus-Zuordnung – nicht nur die Protagonisten der „Die Rationalisierung der großen Zechen hat Bauhausideen wie Henry van de Velde, Walter zuerst das neue Bauen gefördert, hat dadurch, Gropius und Mies van der Rohe, sondern auch Ar- daß sie Architekt und Ingenieur an einem Werk chitekten wie Alfred Fischer, Martin Kremmer und zusammenzwang, daß sie die technischen Werk- Fritz Schupp würden sich über die auch aus stoffe Eisen, Glas und Beton zu benutzen befahl, ihrer Sicht vorgenommene Fehlinterpretation nur die Möglichkeit zum neuen Stil gegeben. Dieser wundern und sofort Protest einlegen. Es steht Stil beschränkt sich auf das Allernotwendigste, mittlerweile zu befürchten, dass dieses Etikett liebt die knappste Ausdrucksweise und unter- systemimmanent bestehen bleiben wird; selbst die ordnet sich den Arbeitsbedürfnissen vollkommen. noch so entlegenste kubische Bauform im Revier Aber die glatte Mauerfläche, die breiten Fenster- mit ihrer eindeutigen Rechtwinkligkeit muss der
9 8 Lünen, Freiherr-vom-Stein-Gymnasium von D & K Schulze (1929–1931). Foto 2018. 9 Hamm, ehemalige Zeche Sachsen (um 1912/14) nach Plänen von Alfred Fischer. Foto 2010. leichteren Verständlichkeit halber unter diesen Be- auf der Hand. Vor diesem Hintergrund müssen griff subsumiert werden. Taucht der rechte Win- die „Bauhaus-Zuschreibungen“ in Westfalen im- kel auf, so wird gleich von Bauhaus-Architektur, mer kritisch beäugt werden, da die Vielzahl der schlimmer noch von Bauhaus-Zeche gesprochen.“18 in Westfalen tätigen Architekten nicht direkt Dass Alfred Fischer als Lehrer an der Kunstge- von Ideen aus Weimar, Dessau oder Berlin beein- werbeschule Düsseldorf unter Wilhelm Kreis und flusst wurden, sondern vielmehr ihren Ausbil- Leiter der Handwerker- und Kunstgewerbeschule dungsstätten in Düsseldorf, Essen etc. verbunden in Essen diese Vorbehalte teilen könnte, liegt waren.
10 diesen vergleichsweise modernen Entwurf ver- antwortlich. Nachdem in den 1960er-Jahren der Charakter des Verwaltungsbaus durch einen Umbau im Inneren und die Veränderung der Fenster beeinträchtigt wurde, konnte 1990 zu - mindest die Fassade wieder rückgebaut werden. Im Bereich des Siedlungsbaus gibt es in Westfalen mehrere Beispiele, die mit Einflüssen des Bau- hauses in Verbindung gebracht werden können. Bemerkenswert ist allerdings, dass besonders bei diesen Bauten die Akzeptanz für die teilweise sehr schlichte, moderne Architektur erst in den letzten Jahren zu wachsen scheint. Ein prominentes Beispiel für die sich ändernde Wahrnehmung der architektonischen Qualität ist die neu eingeführte Namensgebung der „Bauhaussiedlung Schlieper“ (erbaut 1928–1930) in Iserlohn, die noch vor wenigen Jahren als „Abrisskandidat“ gehandelt wurde.20 An dieser Stelle sollen stellvertretend zwei 10 Paderborn, PESAG von Kurt Matern (1928–1931). vielleicht weniger bekannte Ensembles gezeigt Foto 2015. werden: Die 1926 bis 1928 errichtete Cunosiedlung in Hagen entstand unter der Leitung des Stadt- baurates Ewald Figge in Zusammenarbeit mit meh- Das Verwaltungsgebäude der Paderborner Elek- reren Hagener Architekten (Abb. 11).21 Sie besteht trizitätswerk- und Straßenbahn-AG (PESAG) von aus zwei- und dreigeschossigen Einspänner-Zeilen- 1928–1931 ist mit seinem kubischen, flachgedeck- bauten, die versetzt an einem Hang gestaffelt sind ten Baukörper und den zum Teil um die Hausecken und mit ihren 125 Wohneinheiten eine städte- greifenden Fensterbändern ein für Paderborn bauliche Einheit bilden. Sowohl an den verputzten seltenes Beispiel des Neuen Bauens (Abb. 10).19 Wetterseiten, als auch an den Klinkerfassaden Gleichzeitig gibt aber auch dieses Gebäude finden sich vielfältige Plastiken und figürliche Auskunft über den flexiblen Umgang einiger Hausmarken. Das Aufeinandertreffen von Risaliten Architekten mit Stilkategorien der Zeit. Der als mit Zierverband mit abgerundeten Ecken ist Dombaumeister bekannte Paderborner Architekt nur ein Beispiel für die zeitgleiche Verwendung Kurt Matern, mit dem man im Sakralbau eher eine von expressionistischen und modern-sachlichen traditionalistische Bauweise verbindet, war für Elementen (Abb. 12). Die Cunosiedlung war für 11 Hagen, Cunosiedlung (1926–1928). Foto 2018.
11 13 Bochum-Wattenscheid, Laubenganghäuser (1930). Foto 2013. amtes von 1930 in der Bochum-Wattenscheider Schulstraße (Abb. 13). Die Kleinstwohnungen soll- ten die Wohnungsnot lindern und konnten dem- entsprechend nur in einfacher Bauweise errichtet werden. Nahezu identische Notwohnungen wur- den anderenorts auch nach dem Zweiten Welt- krieg errichtet. 12 Hagen, Cunosiedlung, Putzfassade mit abgerundeten Das Zusammenspiel von Körper und Geist wurde Ecken und Plastiken. Foto 2018. in den 1920er-Jahren nicht nur am Bauhaus in den Fokus gerückt, sodass es vermehrt zur Einrichtung von Sportanlagen für die breite Bevölkerung kam. die 1920er-Jahre recht fortschrittlich, da jede Ein Beispiel für eine Sportanlage, die nicht nur Wohnung mit einer sogenannten Frankfurter inhaltlich, sondern auch architektonisch auf der Küche, dem Urtyp der modernen Einbauküche, Höhe der Zeit war, ist das 1928 in Betrieb genom- ausgestattet war und es eine zentrale Wäscherei mene Parkbad in Gütersloh (Abb. 14). Es besteht sowie gemeinschaftliche Badeeinrichtungen gab. aus einem 50 Meter langen Wasserbecken, dessen Dass Sparsamkeit und Sachlichkeit hervorragend Schwimmer- und Nichtschwimmerbereich durch zusammen passen, zeigen die zweigeschossigen einen Laufsteg voneinander getrennt sind. Die Laubenganghäuser des Städtischen Hochbau - langgestreckte Badehalle in Betonskelettkonstruk- 14 Gütersloh, Wasserbecken und Badehalle des Parkbades. Foto 2018.
12 15 Warendorf-Freckenhorst, Villa Sendker (1931): Diele mit Eingangstür, Heizungsverkleidungen und Mobiliar. 16 Herford, Vlothoer Straße, Villa von 1931/32. Foto 2009. tion ist ein schlichter Putzbau mit Flachdach, ver- Auch wenn dies heute bei nur einigen Bauten tikalen und horizontalen Fensterbändern und noch nachvollziehbar ist, beschränkte sich der zentralem Oberlicht. An der Badeseite überfängt entwerfende Architekt in der Regel nicht auf die ein Vordach auf filigranen Stützen eine Terrasse gebaute Architektur, sondern entwarf auch die während auf der Eingangsseite die für Damen und Innenausstattung oder vermittelte seinem Stil ent- Herren separaten Eingänge zurückgesetzt sind. sprechende Firmen oder Handwerker. Ein gutes
13 Zeugnis hierfür ist die Villa Sendker in Warendorf- Freckenhorst, die nach Plänen des Dortmunder Architekten Emil Pohle 1931 als repräsentatives Wohnhaus für den Möbelfabrikanten Theodor Sendker errichtet wurde.22 Der Fahrenkamp- Schüler Pohle bezeichnete sich im Bauantrag als Mitglied des Deutschen Werkbundes und hatte bereits im Vorfeld engen Kontakt mit dem Bauherren Sendker, der mit seiner Möbelfabrik die Inneneinrichtung von durch Pohle geplante Bauten (z. B. Villa Klönne in Dortmund oder Villa Diana in Bochum) übernommen hatte. Im Wohn- haus des Fabrikanten Sendker wurde die Innen- ausstattung natürlich zu einem zentralen Element, da sie zugleich als Visitenkarte für wichtige Ge- schäftskunden dienen konnte (Abb. 15). Nicht nur 17 Bielefeld, ehemaliges Friedrich-Ebert-Haus von 1931 die wandfeste Ausstattung mit Treppe, Türen, mit Verkleidung. Foto 1990. Fußböden und Heizkörperverkleidungen wurde im Gesamtkonzept erarbeitet, sondern auch das Mobiliar sowie Ausstattungsstücke aus Metall wie mehrmaligen Mahnungen der Stadt bestand der Geländer, Gitter und Griffe. Eigentümer darauf, den modernen Eisenbeton- Erschwert wird die Spurensuche von Zeugnissen bau mit Flachdach beizubehalten, allerdings mit des Neuen Bauens in Westfalen dadurch, dass sie dem Hinweis, dass er wirtschaftlich nicht dazu spätestens im nationalsozialistischen Deutschland in der Lage sei, ein neues Dach zu errichten. Bei auf große Ablehnung stießen. So forderte z.B. der einem ähnlich gelagerten Fall in Gelsenkirchen- Oberbürgermeister von Herford den Kaufmann Buer wurde schließlich das „extrem moderne und Hutfabrikanten August Tremel auf, sein Wohnhaus Erlestraße 9“ verputzt und mit einem 1931/32 errichtetes Haus in der Vlothoer Straße mit Walmdach versehen.24 einem Satteldach zu versehen, damit es sich besser Wenn die schlichten, modernen Bauten der 1920er- in das Stadtbild einfüge (Abb. 16).23 Auch nach und 1930er-Jahre einer politisch motivierten Ge- 18 Bielefeld, ehemaliges Friedrich-Ebert-Haus nach Instandsetzung. Foto 2018.
14 staltkorrektur entgangen waren, wurden sie Stadtkultur e. V. / LVR-Amt für Denkmalpflege im Rhein- aber häufig in den 1960er- und 1970er-Jahren land / LWL-Amt für Denkmalpflege in Westfalen (Hg.), Vom mit einer neuen Verkleidung versehen und damit Nutzen des Umnutzens. Umnutzung von denkmal- meist bis zur Unkenntlichkeit entstellt. Ein Bei- geschützten Gebäuden. Bönen 2009, S. 62–63. spiel aus Bielefeld gibt allerdings Hoffnung 11 Vgl. Schäfer (wie Anm. 8) S. 178–179. und macht neugierig darauf, was noch in Zu- 12 F. J. Geißler / G. Gonser (Hg.), Der Neubau der Taub- kunft entdeckt werden kann: Das als Genossen- stummenanstalt Soest. Münster o. J. [1931]; zitiert nach: schaftshaus 1931 nach Plänen des Architekten Schäfer (wie Anm. 8) S. 178. Gustav Vogt erbaute Friedrich-Ebert-Haus war 13 Vgl. Ina Hanemann, Günther Oberste-Berghaus. Ent- als weißer Putzbau mit flachem Dach und vorge- würfe und Bauten von 1925 bis 1934. Unpubl. Magister- lagertem Flachdach schlicht modern gestaltet. arbeit Ruhr-Universität Bochum 1993. Nachdem der Ursprungsbau jahrzehntelang unter 14 Vittorio Magnago Lampugnani / Ramona Schneider einer Verkleidung nur noch zu erahnen war, (Hg.), Moderne Architektur in Deutschland 1900 bis 1950. wurde er vor kurzem wieder enthüllt und in sei- Expressionismus und Neue Sachlichkeit. Ausstellungs- ner ursprünglichen Gestaltung instandgesetzt katalog Deutsches Architektur-Museum Frankfurt a. Main (Abb. 17–18). 1994. Stuttgart 1994, S. 10. 15 Peter Gehrmann, Das Freiherr-vom-Stein-Gymnasium leuchtet. Lünen 2017. Anmerkungen 16 Interessant am Lünener Gymnasium ist auch die Inter- 1 Siehe http://www.bauhaus100.de und für NRW: http:// pretation des Zwanzigerjahre-Baus bei der Süderweiterung www.bauhaus100-im-westen.de. in den 1980er-Jahren. 2 Jost Schäfer, Neues Bauen in Westfalen – Wohnhäuser 17 Agnes Waldstein, Neue Baukunst im Industriegebiet, der 20er Jahre, in: Westfalen 72, 1994, S. 489–519; in: Das Kunstblatt 13, 1929, S. 300; zitiert nach Wilhelm ders., Wohnhäuser aus der Tradition der Bauhaus-Moderne Busch, Alfred Fischer – ein Einzelgänger unter den Archi- in Westfalen. Beispiele zur Vielfältigkeit eines Ideals, in: tekten des Ruhrgebietes?, in: Jutta Thamer (Hg.), Kohle Ulrich Hermanns (Red.), Basis Bauhaus … Westfalen. Eine und Kunst. Der Architekt Alfred Fischer und die Zeche Sach- Ausstellung des Westfälischen Museumsamtes Münster sen. Begleitband zur Ausstellung im Gustav-Lübcke- in Zusammenarbeit mit dem Kunst-Museum Ahlen. Museum Hamm 2010. Notizen zur Stadtgeschichte 16. Münster 1995, S. 39–46; ders., Neues Bauen in West - Hamm 2010, S. 13–19, spez. S. 18. falen – Wohnhäuser des modern movement in der Pro- 18 Busch (wie Anm. 17) S. 15. vinz, in: Denkmalpflege in Westfalen-Lippe 2010/2, 19 Landschaftsverband Westfalen-Lippe / Stadt Paderborn S. 44–53; Olaf Peterschröder, Strategie der Verhinderung? (Hg.), Denkmaltopographie der Bundesrepublik Deutsch- Zur Partizipation des Neuen Bauens in der Provinz West- land – Denkmäler in Westfalen: Kreis Paderborn Bd. 2.1. falen (1918–1933). Karlsruhe 2012. Stadt Paderborn. Petersberg 2018, S. 416–419 Abb. 712. 3 Das Wohnhaus in Bielefeld ist in der Fassung von 20 Hans H. Hanke, Der sehr verrufene Schlieperblock. Leopold Fischer nur noch rudimentär erhalten. Notwohnungen von 1929 bis 1936 in Iserlohn, in: Denk- 4 Norbert Huse, „Neues Bauen“ 1918 bis 1933. Moderne malpflege in Westfalen-Lippe 2010/2, S. 53–57; ders., Architektur in der Weimarer Republik. München 1975, Der „Schlieperblock“, in: Die Denkmalpflege 2010/2, S. 47. 49. S. 157–158. 5 Jost Schäfer beschäftigte sich mit Wohnbauten des 21 Stadt Hagen (Hg.), Architekturführer Hagen. Hagen sogenannten Neuen Bauens und besonders auch mit dem 2005, Nr. 58. Werk von Bruno Paul in Soest, sodass dieser Bereich hier 22 Fred Kaspar, Die Villa Sendker. Zeugnis der bedeu- nicht wiederholt werden soll; vgl. Anm. 2 und 9. tenden Kunsttischlerei und Möbelfabrik Sendker, in: 6 Denkmalbehörde Stadt Dortmund, Denkmal des Freckenhorst. Schriftenreihe des Freckenhorster Heimat- Monats September 2017: Gläserne Pracht – die St. Nico- vereins 21, 2012, S. 71–80. lai-Kirche an der Lindemannstraße. https://www.focus.de/ 23 Hinweis von Dr. David Gropp. regional/dortmund/stadt-dortmund-denkmal-des-monats- 24 Lutz Heidemann, „Baut Städtebilder“. Architektur, september-glaeserne-pracht-die-st-nicolai-kirche-an- Städtebau und Baukultur in der Stadt Buer zwischen 1911 der-lindemannstrasse_id_7541505.html (abgerufen: 15.6. und 1928, in: Stefan Goch / Gerd Escher (Hg.), Buer – 2018). Geschichte(n) einer Stadt. Ein starkes Stück Gelsenkirchen. 7 Oliver Karnau, Die ehemalige pädagogische Akademie Schriftenreihe des Instituts für Stadtgeschichte Bd. 16. Dortmund. Zeugnis von Lehrerbildung und Stadtbaukunst, Essen 2014, S. 251–352, spez. S. 306. 351–352. in: Denkmalpflege in Westfalen-Lippe 1995/2, S. 65–73. 8 Ebd. S. 69. 9 Jost Schäfer, Neues Bauen. Die ehemalige Taub - Bildnachweis stummenanstalt in Soest, in: Soester Zeitschrift 101, 1989, 1–2, 5 – 6, 9 LWL-DLBW. | 3 LWL-DLBW/Spohn. | S. 174–183, spez. S. 175. 4 Archiv Reg. Arnsberg. | 7, 11–13 LWL-DLBW / 10 Zur Nutzungsänderung und Umbaumaßnahmen Die t r i c h . | 8 LW L - D L B W / S t e g m a n n . | 1 0 LW L - vgl. Iris Tillessen, Vielseitige Nutzung einer ehemaligen DLBW/Otten. | 14 LWL-DLBW/Gropp. | 15 –17 LWL- Taubstummenanstalt für Kinder, in: Europäisches Haus der DLBW Bildarchiv. | 18 LWL-DLBW/Herden-Hubertus.
15 Hans H. Hanke Mit etwas Phantasie hast Du mehr daraus gemacht ... Das „Landhaus Ilse“ in Burbach, ein zweites „Haus am Horn“ 1923 wagte sich die Kunst- und Architektenschule Bauhaus bekanntlich mit ihrer ersten großen Leistungsschau an die Öffentlichkeit. Auf einem Siedlungsgelände in Weimar „Am Horn“ entstand dabei nach Entwürfen Georg Muches unter Mitwirkung von Walter Gropius, Adolf Meyer, Ernst Neufert und Walter March ein Wohnhaus, das wechselnd als „Musterhaus“, „Typenhaus“ oder „Versuchshaus“ bezeichnet wurde. Ihm war ein gleicher Folgebau nicht beschieden – glaubte man bis 2001. In dem Jahr fand sich in Burbach doch eine Kopie des Weimarer Exemplars. Das Gebäude kam nahezu unverändert über die Zeit, hat eine abwechslungsreiche Geschichte und eine ebenso abwechslungsreiche Gestalt.1 Grob skizziert steht das sogenannte Landhaus Ilse ihren vorgesetzten Winterfenstern stammen aus auf einem quadratischen Grundriss. Auf seinem der Bauzeit des Hauses, ebenso die Haustür. Die hohen Sockelgeschoss liegt ein Wohngeschoss, Grundrisse des Erdgeschosses und des hohen nördlich erschlossen über eine gemauerte Außen- Kellergeschosses entsprechen sich im Wesentlichen treppe (Abb. 1–2). An der Ostseite ist ein auf- und weisen jeweils acht Räume auf, die sich geständerter Wintergarten zu finden. Das um- um den neunten, größeren Zentralraum, das so- laufende Pultdach ist seit 2002 mit Zink gedeckt. genannte Atrium, gruppieren (Abb. 3–4). Das Über die Dachmitte erhebt sich eine große, verputzte Haus ist seit seinen letzten, von der rundum verglaste Laterne. An jeder Ecke der LWL-Denkmalpflege teilweise begleiteten und Laterne findet sich ein Kaminkopf mit beweg- geförderten Instandsetzungen im Jahr 2002 in lichen Windabweisern. Das Vollwalmdach der Gelbtönen gefasst. Es war vorher putzsichtig Laterne wird von einer Wetterfahne mit der gehalten, ohne dass der Putz veredelt gewesen Jahreszahl 1924 bekrönt. Die Fenster mitsamt wäre. 1 „Landhaus Ilse“, Blick auf die Nordseite mit dem Hauseingang. Foto 2018.
16 2 „Landhaus Ilse“, Blick auf die Südseite. Foto 2018. Das „Landhaus Ilse“ wurde 1924 in Burbach von Bedeutung des ungewöhnlichen Baus ans Licht. der „Westerwald-Brüche AG, Bonn a. Rhein“ er- Die Erforschung des Anwesens verzögerte sich richtet, die in der Region Steinbrüche betrieb. dann bis 2016 unter anderem deswegen, weil Erika Deren Betriebsdirektor Friedrich Willi Gustav Wirtz dort die zahlreichen Möbel ihres verstor- Adolf Grobleben (1883–1964) lebte bis zu seinem benen Lebensgefährten lagerte, dem ehemaligen Tod in dem Haus, dessen Eigentümer er um 1927 Fortuna Köln-Präsidenten Hans „Jean“ Löring, und geworden war. Offenbar hatte er aus seiner das Haus streng verschlossen hielt. Sie gab aber Position heraus entscheidenden Einfluss auf den 2006 ein bauhistorisches Gutachten in Auftrag.3 Entwurf seiner Dienstvilla – die wenigen über- Erika Wirtz starb 2015. Ihr Erbe wurde die mit ihr lieferten Schriftquellen weisen ihn zudem als befreundete Familie des Bauunternehmers Patrick Bauleiter aus – denn schon die Bauzeichnung von Adenauer, einem Enkel des ersten Bundeskanzlers 1924 ist mit der Bezeichnung „Landhaus Ilse“ über- der Bundesrepublik.4 Sie überließ das Haus 2017 schrieben. Namenspatin war seine Tochter Ilse, durch eine Schenkung der Gemeinde Burbach. die dort wohnte, bis sie 2000 starb.2 Grobleben Diese geht sehr verantwortungsvoll damit um stammte aus Hannover, er war verheiratet mit und möchte das Gebäude einer sinnvollen, mög- Emilie Kaspers aus Köln. lichst öffentlichen Nutzung zuführen. Als zeitlicher Versteckt hinter Eternitplatten und wucherndem Rahmen für eine Neueröffnung bietet sich das Grün fristete der Bau, der mit seiner ungewöhn- Jahr 2019 an, dann stehen sowohl das 100-jährige lichen Kubatur so gar nicht in die Gegend passt, Jubiläum des Bauhauses als auch das 800-jährige lange Zeit ein Dasein fernab der Aufmerksamkeit Bestehen Burbachs an. Am Weimarer „Haus am der Öffentlichkeit (Abb. 5). Es war dann 2001 dem Horn“ soll 2019 auf das „Landhaus Ilse“ als Ziel sehr starken ideellen und finanziellen Engagement für Reisen zu Bauhaus-Objekten verwiesen wer- der neuen Eigentümerin, der Unternehmerin und den.5 Die LWL-Denkmalpflege stellt das Haus ehemaligen Kunstlehrerin Erika Wirtz zu verdan- mit 34 weiteren Objekten im gemeinsamen Inter- ken, dass das auf Abbruch zum Verkauf stehende net-Auftritt der NRW-Landesdenkmalämter unter Haus heute noch vorhanden ist und vorsichtige www.bauhaus100-im-westen.de vor (siehe Beitrag Reparaturen ausgeführt wurden. Erst im Zuge Dietrich S. 4–14). Eine Gruppe von Studierenden dieses Eigentumswechsels fand eine Überprüfung der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hoch- des Denkmalwertes und die Eintragung des Hauses schule Aachen erstellte ein Handaufmaß der in die Denkmalliste der Gemeinde Burbach statt. Räumlichkeiten, Architekturstudierende der Uni- Ausgangspunkt war der Eindruck der neuen versität Siegen beschäftigen sich aktuell mit der Eigentümerin, es handele sich „irgendwie um ein Entwicklung möglicher Nutzungskonzepte für das Objekt im Bauhausstil“. Nach und nach kam die Haus, und das Kunstgeschichtliche Institut der
17 3 „Landhaus Ilse“, Atrium nach der Sanierung. 4 „Landhaus Ilse“, Wohnraum, Gestaltung entspricht Foto 2018. etwa dem Kinderzimmer im „Haus am Horn“. Foto 2018. Ruhr-Universität Bochum thematisiert das Haus den Keller des Hauses ziehen mussten, um für ein- 2018/19 in Seminaren und Exkursionen. Welche quartierte Besatzungssoldaten Platz zu machen. Erkenntnisse noch zu gewinnen sind, welche Nut- Ansonsten führten Groblebens in dem Haus ein zung letztlich zum Haus passen kann, muss zu- abgeschirmtes, esoterisch ausgerichtetes Leben, nächst offen bleiben. Zur Zeit kann das Haus nach sodass es kaum mehr mündliche Überlieferung Anmeldung bei der Gemeinde besichtigt werden. gibt, als die hier vorgetragene. Das Leben der Das entsprechend dem Weimarer Musterhaus als Eigentümerfamilie Grobleben war nicht von Atriumhaus mit überhöhtem Mittelbau konzi- Wohlstand geprägt, sodass das Haus niemals pierte Gebäude wurde nach jetzigem Wissens- durchgreifend modernisiert wurde, sondern über- stand 1924 zunächst als Gästehaus der Wester- wiegend in seinem Zustand von etwa 1927 er- wald-Brüche AG (WAG) gebaut, einem ehema- halten blieb. Die oben erwähnte Verkleidung ligen Unternehmen der bis heute bestehenden des Hauses mit Eternitplatten war die einzige um- „Grube Sachtleben AG“. Die Westerwald-Brüche fangreiche Maßnahme, die nach 1945 am Haus AG wurde nach wenigen Jahren 1927 bis 1929 vorgenommen wurde. nach und nach geschlossen. Ihr ehemaliger Direk- tor Friedrich Willi Grobleben erstritt das Gästehaus angeblich 1927 als Abfindung, gestaltete es in der Folge für seine Privatzwecke um und wohnte dort bis zu seinem Tod im Jahr 1964. Er gründete mit wenig Erfolg um 1927 auf Basis eines nahe gele- genen Lehmvorkommens eine Firma für Heilerde, die „WiGro – Buchhellertaler Heilmineral“.6 Seine Tochter Ilse war ausgebildete Krankenschwester und offenbar sehr kinderlieb, denn sie hat unter anderem Schürfwunden und andere leichte Ver- letzungen der Nachbarschaftskinder kostenlos mit dieser Heilerde behandelt. Sie öffnete den Kindern den Hausgarten zum Spielen. Eines der Kinder war Erika Wirtz, die dann aus Dankbarkeit das Haus rettete. Vater und Tochter waren in Burbach für ihre eher sonderlichen Charaktere bekannt. Eine radikale Änderung im Alltag der beiden hat es 5 „Landhaus Ilse“ mit Winterfenstern und ehemaliger wohl nur in der Zeit nach 1945 gegeben, als sie in Eternitverkleidung. Foto 2001.
18 Raumgrößen wurden leicht variiert und Wände begradigt. Auch sind zwei Türen des Weimarer Musterhauses im Burbacher Nachbau augen - scheinlich nicht ausgeführt oder anders gesetzt worden, sodass ein Rundgang durch die Außen- räume nicht möglich ist. Am stärksten fällt auf, dass sich im Keller eine große Küche befindet, die durch einen Speiseaufzug mit dem Esszimmer im Erdgeschoss verbunden ist (Abb. 9). Der in Weimar als Küche vorgesehene Raum im Erdgeschoss wurde in Burbach als Büroraum genutzt, wie in Weimar besitzt er aber einen Wandschrank mit Waschbecken (Abb. 10). Bemerkenswerterweise haben beide Häuser zwar einen quadratischen Grundriss, das Haus in Bur- 6 „Haus am Horn“ in Weimar, Ansicht der Westseite. bach ist aber in den Kantenlängen rund einen 7 „Haus am Horn“ in Weimar, Blick aus dem Esszimmer in die Küche. Das im Äußeren nicht ungefällige, aber außer- gewöhnliche Haus gewinnt eindeutig an Charme, sobald man das lichte Atrium-Wohnzimmer betritt. Von hier aus erschließen sich die geglückte 8 „Landhaus Ilse“, Wohn- und Esszimmer, hinten links Abschirmung und die geborgene Wohnlichkeit, der Speiseaufzug. Foto 2018. die dem Entwurf zueigen sind und die Adolf Grobleben offenbar zur Übernahme der Raum- aufteilung des Weimarer Musterhauses veranlasst haben. Das auffallende Atriumhaus ist in Kubatur und Grundriss mitsamt seiner Wandschränke eine nahezu exakte Kopie des „Hauses am Horn“ (Abb. 6–7). Ein augenfälliger Unterschied ist, dass die den Mittelraum zur Außenwand öffnende Arbeitsnische, die das Haus in Weimar aufweist, hier durch eine großzügige, verglaste Tür geschlos- sen werden kann und mit dem benachbarten Raum – in Weimar das Fremdenzimmer – zu einem großen üppigen Speiseraum zusammengefasst wurde (Abb. 8). Selbst hier zeigt die Position eines Deckensturzes, dass und wie von der Weimarer Vorlage abgewichen wurde. Andere Abweichun- gen in der Raumaufteilung sind unauffälliger, 9 „Landhaus Ilse“, Küche im Keller. Foto 2018.
19 Eigentümer des Gebäudes die bis dahin – ebenfalls laut Befund – nicht vollständige Wandgestaltung vollendet haben. Diese Ausstattung, die bis hin zu Lichtschaltern (Abb. 13–14), Marmor-Wasch- tischen, Bodenbelägen, Türen, Wandgestaltungen, Heizkörpern und wohl auch Gardinen erhalten ist, war für Burbacher Verhältnisse sicherlich recht exklusiv, modern und hochwertig – aber nicht avantgardistisch, sondern „bürgerlich“. Das zeigen auch die Bestell-Listen zum Bauantrag von 1924. Auf diese „bürgerliche“ Umnutzung weisen wei- tere gestalterische Abweichungen vom Original hin: Die Zimmerdecken sind mit einer gerundeten Kehle versehen (Abb. 15), einige Zimmer sind in ursprünglich sehr kräftigen Farben und traditionel- 10 „Landhaus Ilse“, Büro. Raum und Lage entspricht der lem Dekor gehalten. Das ebenfalls ursprüngliche Küche im Haus am Horn. Foto 2018. Linoleum auf den Böden ist farblich auf die Wände abgestimmt. Linoleum wurde auch in Weimar ausgelegt. Die quadratischen bzw. liegenden Meter länger als das Haus in Weimar (Abb. 11). Fensterformate im Weimarer Musterhaus sind Nach einem groben Handaufmaß des Verfassers in Burbach hochrechteckigen, damals üblichen kam der Raumgewinn in Burbach den außen- Sprossenfenstern mit vorhängbaren Winter - liegenden Räumen zugute, der zentrale Wohn- fenstern gewichen. Schließlich sind die Dächer in raum wurde zu dem gleichen Zweck um einen Burbach etwas stärker geneigt, wohl um Regen Meter pro Seite verkleinert. Diese Maßänderun- und Schnee besser widerstehen zu können, even- gen könnten auf die zeitgenössische Kritik an den tuell aber auch, um dem ungewöhnlichen Bau eine sehr knapp bemessenen Außenräumen im Bau- gewohntere Optik zu verleihen. Außerdem weist haus-Vorbild zurückzuführen sein. Die genauen die Burbacher Kopie eine rundum klar verglaste Maße werden zur Zeit von der LWL-Denkmal- Laterne über dem Atrium-Wohnzimmer auf, pflege durch ein tachymetrisches Aufmaß über- während die Belichtung im „Haus am Horn“ hier prüft. nur über zwei Seiten und durch mattiertes Glas Letztlich sollte das Musterhaus aus Weimar in erfolgt. Die stärkere Belichtung mag der schlech- Burbach wohl als Direktorenvilla erscheinen. teren Witterung geschuldet sein, denn Burbach Laut Befund ist die vorhandene Farbfassung des liegt auf den Höhen des Siegerländer Mittelge- Inneren die zweite Fassung aus den 1920er-Jahren birges, weist also vor allem im Winter viele trübe (Abb. 12). Das entspricht der oben skizzierten und kalte Tage auf. Aus diesen Gründen mag auch Gebäudegeschichte, denn Willi Grobleben wird die Weimarer Terrasse in Burbach als Wintergarten 1927 bei seinem Wechsel vom Mieter zum neuen ausgeführt worden sein. 11 Links: Grundriss „Haus am Horn“ in Weimar (1923), rechts: Grundriss „Landhaus Ilse“ in Burbach (1924). Umzeichnungen von Tobias Venedey.
20 12 „Landhaus Ilse“, Blick aus dem Esszimmer durch 15 „Landhaus Ilse“, Schlafzimmer. Die Lage entspricht das Wohnzimmer auf die Arbeitsnische. Foto 2018. dem Zimmer der Dame im „Haus am Horn“. Foto 2018. druck der Massivität des Hauses verstärkt. Diesen konterkarierenden Abweichungen steht eine besonders verblüffende Ähnlichkeit am äußeren Erscheinungsbild gegenüber: Wie am Musterhaus in Weimar ist in Burbach die Fassade durch einen leicht eingezogenen Putzspiegel sparsam orna- mentiert. Das Gebäude liegt auf einem leicht kuppigen, großen Grundstück in exponierter Lage am Orts- rand Burbachs. Ob es früher eine Gartengestaltung im Sinn des Bauhauses gab, ist nicht mehr fest- stellbar; die geringen, offenbar lange unberührten Außenflächen weisen keine Spuren eines systema- 13 „Landhaus Ilse“, Lichtschalter. Foto 2018. tisch angelegten Gartens auf. In Anbetracht der „bürgerlichen“ Neuinterpretation des Muster - hauses und des ländlichen Umfeldes in Burbach ist eher davon auszugehen, dass es sich bei dem Hausgarten um einen normalen Wirtschaftsgar- ten gehandelt hat. Eine teilweise Bebauung des Gartengrundstücks im Randbereich mit Einfami- lienhäusern ließ sich 2002 bis 2004 in der Platzie- rung der Bauten beeinflussen, nicht aber völlig verhindern. Zur näheren Baugeschichte sind trotz intensiver Recherchen und öffentlicher Aufrufe bislang kaum Informationen zu erlangen, denn nahezu alle Bauunterlagen der Gemeinde, anderer Behörden sowie in denkbarem Privatbesitz sind verschollen. Leider hat im Jahr 2000 der unmittelbare Erbe der 14 „Landhaus Ilse“, Lichtschalter. Foto 2018. Ilse Grobleben die wohl damals noch fast voll- ständige Ausstattung des Hauses mitsamt dem ent- sprechenden Schriftverkehr und den Tagebüchern Den gestalterischen Grundsätzen des Bauhauses entsorgt, bevor er das Haus auf Abriss zum Verkauf widerspricht der hohe und durch Rauhputz stellte. Die Forschungen in anderen Beständen betonte Kellersockel mit vergitterten, tiefen Fens- laufen aber weiter. Neben dem erwähnten Auf- tern. Die für Weimar typische Anschüttung des maß sind auch Befunduntersuchungen durch die Erdreiches an das Sockelgeschoss bis auf Höhe des Restaurierungswerkstatt Christoph Hellbrügge in Erdgeschossbodens war in Burbach offenkundig Auftrag gegeben worden. 7 nicht beabsichtigt. Der hohe Sockel erforderte Die oben bereits geschilderte Bausubstanz birgt dann auch eine Treppe zur Haustür, die den Ein- die entscheidenden Aussagen zur Baugeschichte
21 des Hauses, nicht zuletzt in der erwähnten Wetter- wurde aber nur ein Kaminkopf über das Dach fahne aus Blech mit der ausgestanzten Jahres - geführt (Abb. 18). Auch die durch Wandscheiben angabe „1924“. Die übrige Quellenlage ist sehr unterbrochenen Drillingsfenster und die generell schlecht. Es gibt das unvollständige Blatt eines konventionelleren Fensterformate sind in Gropius Plansatzes von 1924 mitsamt einigen schriftlichen Zeichnung in sehr ähnlicher Systematik zu finden Angeboten zur Ausstattung. Signiert ist es mit wie in Burbach. Das Haus in Burbach entspricht „Burbach, den 14. Mai 1924“ von der „Betriebs- also stärker der Weimarer Baueingabe-Fassung direktion der Westerwald-Brüche A.-G. Bonn als das verwirklichte „Haus am Horn“.8 a. Rhein, Sitz in Burbach i. Westf., Direktor W. Dass das „Haus am Horn“ als Bauvorlage ent- Grobleben“, von der Burbacher Bauaufsicht wickelt wurde, zeigte sich schon 1923. In diesem gegengestempelt am 30. Mai 1924. Hinzu kommt Jahr hatten sich auf eine Publikation des Mus- eine auch nur teilweise erhaltene Planzeichnung terhauses in Velhagen & Klasings Monatsheften „Anbau an das Landhaus ‚Ilse‘ in Burbach, für 39 Interessenten „für gleiche oder ähnliche Herrn Willi Grobleben“ – wohl von 1927 oder Projekte“ gemeldet. Ob und an wen Unterlagen später – mit Grundriss, Aufriss und Ansichten abgegeben wurden, geht aus dem Beitrag – nach (Abb. 16). Sie gibt wegen ihrer Unvollständigkeit Auskunft von Wolfgang Pehnt – nicht hervor. Rätsel auf. Dieser Plan zeigt Umbau- und An - Jedenfalls wurde das „Musterhaus“ als ein kon- baupläne für das „Landhaus Ilse“ für die von kreter Vorschlag verstanden, daraus eine Produk- Willi Grobleben um 1927 gegründete Produktion tion zu entwickeln, von der auch die Bauhaus- „Buchhellertaler Heilmineral WiGro“. Werkstätten profitiert hätten.9 Bekannt ist auch – Zielführend für die Analyse der Baugeschichte nach Auskunft von Annemarie Jaeggi – aus einem könnte sein, dass das Haus im Gegensatz zum Meisterratsprotokoll des Weimarer Bauhauses, Weimarer Original vier Schornsteine besitzt. Auch dass zur Bauhaus-Ausstellung 1923 in Weimar das ist vielleicht der kühleren Lage Burbachs Plansätze zum „Haus am Horn“ gegen eine Schutz- geschuldet. Dennoch ist an den vier Kaminen gebühr verkauft wurden. Die Absicht dahinter auffällig, dass die für das „Haus am Horn“ von war wohl, dass Interessenten das „Musterhaus“ Walter Gropius signierten Baueingabezeichnun- auch anderenorts bauen konnten, ohne dass das gen von 1923 ebenfalls vier Kamine aufweisen Bauhaus oder das Architekturbüro von Gropius (Abb. 17). Die scheinen nach den Bauplänen in involviert sein musste. Offenbar verzichtete Weimar baulich auch angelegt worden zu sein, es Gropius auf seine Rechte und auf die des Bau- 16 „Landhaus Ilse“, Grundriss des Erdgeschosses nach der Planzeichnung von 1924 (mit Ergänzung durch einen nie umgesetzten Anbau).
22 17 „Haus am Horn“ in Weimar, Bauzeichnung von Walter Gropius 1923. Hier sind im Plan vier Kamine über das Dach geführt, vergleichbar mit dem „Landhaus Ilse“ in Burbach. Entwurf Walter Gropius. hauses – oder er sah sie durch die Schutzgebühr hoff-Buscher (1899–1944) geboren, die 1923 die als abgegolten an. Der zum Kauf angebotene Ausstattung des Kinderzimmers im „Haus am Plansatz ist leider unbekannt. Insgesamt sind rund Horn“ entworfen hatte. Ihre Familie verzog aber 30 Plansätze verkauft worden, aber es ist auch wenige Jahre nach ihrer Geburt zunächst nach hier keine erhaltene Liste bekannt, die Auskunft Wuppertal, dann nach Berlin. Es ist unwahrschein- darüber geben könnte, an wen diese Plansätze lich, dass sich bis 1924 bei ihr Bezüge zum Sieger- gingen. Ob ein solcher Plansatz nach Burbach land so stark erhalten haben, dass sie den Bau gelangt ist, lässt sich dementsprechend nicht des Hauses in Burbach anregte.11 fundiert prüfen.10 Mit großer Vorsicht darf jeden- In Weimar wurde das „Haus am Horn“ 1998 bis falls anhand des sehr aussagekräftigen vorhan- 2000 umfassend rekonstruiert, seine Kopie in denen Baubestandes, der unvollständigen Plan- Burbach ist dagegen nahezu vollständig in der unterlagen von 1924 sowie der Ähnlichkeiten mit ursprünglichen Substanz erhalten.12 Auf welchem den Bauzeichnungen aus dem Büro Gropius die Weg der Entwurf aus dem kulturrevolutionären These zur Diskussion gestellt werden, dass das Bauhaus in das abgeschiedene, traditionsorien- Haus in Burbach aufgrund eines Vorentwurfes aus tierte Burbach gefunden hat, bleibt vorläufig ein der Bauhaus-Schule entstanden ist. Rätsel. Dies zeigt, wie eigensinnig und phantasie- Ein regionaler Bezug, dessen Wirkungskraft aber voll die Leistungsschau der Bauhaus-Avantgarde noch nicht genau erforscht werden konnte, in der Öffentlichkeit rezipiert wurde. „Mit etwas verweist auf das von Burbach nicht weit entfernte Phantasie hast Du mehr daraus gemacht ...“ war Kreuztal. Dort wurde die Designerin Alma Sied- einmal der bekannte Werbespruch eines vor-
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