PÄDIATRISCHE ALLERGOLOGIE - ANAPHYLAXIE SONDERHEFT - GESELLSCHAFT FÜR PÄDIATRISCHE ALLERGOLOGIE UND ...

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PÄDIATRISCHE ALLERGOLOGIE - ANAPHYLAXIE SONDERHEFT - GESELLSCHAFT FÜR PÄDIATRISCHE ALLERGOLOGIE UND ...
Pädiatrische Allergologie

 Sonderheft
 ANAPHYLAXIE
PÄDIATRISCHE ALLERGOLOGIE - ANAPHYLAXIE SONDERHEFT - GESELLSCHAFT FÜR PÄDIATRISCHE ALLERGOLOGIE UND ...
PÄDIATRISCHE ALLERGOLOGIE - ANAPHYLAXIE SONDERHEFT - GESELLSCHAFT FÜR PÄDIATRISCHE ALLERGOLOGIE UND ...
Editorial

      Ein Heft zur Anaphylaxie                                                    Im vorliegenden Heft wird neben einem Kapitel zur Pathophy-
                                                                                  siologie deshalb auch besonders auf die Diagnostik der durch
                                                                                  Nahrungsmittel verursachten anaphylaktischen Reaktionen
                                                                                  eingegangen. Die Hälfte des Heftes ist der Therapie und hier
                                                                                  insbesondere dem Notfallmanagement gewidmet. Viele Fra-
                                                                                  gen bleiben dennoch unbeantwortet – auch in diesem Heft.
                                                                                  Unter anderem wissen wir immer noch nicht, wie viele Adrena­
                                                                                  lin-Injektoren übergewichtigen Patienten verschrieben werden
                                                                                  sollen und von den Krankenkassen erstattet werden, oder wie
                                                                                  Lehrer und Erzieher motiviert und legitimiert werden können,
Liebe Kollegin, lieber Kollege,                                                   im Ernstfall einen Autoinjektor zu verabreichen. Hier liegen
                                                                                  Aufgaben, deren sich die Arbeitsgruppe Anaphylaxie in den
in der Reihe der Sonderhefte der GPA-Zeitschrift freue ich
                                                                                  nächsten Jahren annehmen wird.
mich, Ihnen heute ein Heft zum Thema „Anaphylaxie“ vor­
stellen zu dürfen, das die wissenschaftliche Arbeitsgruppe                        Herzliche Grüße
Anaphylaxie der GPA erarbeitet hat.                                               Ihr
Der Begriff Anaphylaxie stammt von Charles Richet, einem
französischen Physiologen, der mit dem Gift einer vor den
Kapverdischen Inseln beheimateten Quallenart (Physialia
physalis) experimentierte. Er spritzte des Gift einigen Hunden                    Dr. Ernst Rietschel
und wiederholte die Injektion nach einigen Wochen, was aber                       Sprecher der wissenschaftlichen Arbeitsgruppe Anaphylaxie
nicht zu der von ihm erwarteten Immunität, sondern zu den
typischen Symptomen einer Anaphyaxie führte. Für die 1904
erschienene Veröffentlichung mit dem Titel „De L ‘ Anaphy-
laxie Ou Sensibilite Croissante Des Organism A Des Doses
­Successives De Poison“ erhielt er 1913 den Nobelpreis [1].
Die Anaphylaxie ist von allen allergischen Erkrankungen                                                                 Literatur
wahrscheinlich die bedrohlichste, nicht nur für den Patienten,
sondern auch für den Arzt, der mit ihren Symptomen – meist                          [1] Richet CM: De L ‘ Anaphylaxie Ou Sensibilite Croissante Des Organism A Des
unerwartet – konfrontiert wird. Epidemiologische Daten zu                           Doses Successives De Poison. Arch Fisiol 1904; 1: 129–142

Todesfällen sind uneinheitlich. So werden für Großbritannien                        [2] Sheikh A, Hippisley-Cox J, Newton J, Fenty J: Trends in national incidence,
                                                                                    lifetime prevalence and adrenaline prescribing for anaphylaxis in England.
7,9 Todesfälle pro 100.000 Einwohnern/Jahr geschätzt [2],                           J R Soc Med 2008; 101: 139–143
für die USA 49,8 [3].                                                               [3] Decker WW, Campbell RL, Mannivannan V, Luke A, St Sauver JL, Waever A,
                                                                                    belloloio MF, Bergstralh, EJ, Stead LG, Li JT: Etiology and incidence of anaphylxis
Die häufigsten Auslöser bei Kindern sind Nahrungsmittel, wie                        in Rochester Minnesota: a report from the Rochester Epidemiology Projekt.
die in einem deutschsprachigen Register (NORA, www.ana                              J Allergy Clin Immunol 2008; 122: 1161–1165
phylaxie.net) erhobenen Daten zeigen, wohingegen bei Er-                            [4] Hompes S, Köhli A, Nemat K, Scherer K, Lange L, Rueff F, Rietschel E, Reese
wachsenen Insektengifte am häufigsten als auslösende Aller­                         T, Szepfalusi Z, Schwerk N, Beyer K, Hawranek T, Niggemann B, Worm M: Pro-
gene gefunden werden. ­Unter den Nahrungsmitteln führen                             voking allergens and treatment of anaphylaxis in children and adolescents – data
                                                                                    from the anaphylaxis registry of German-speaking countries. Pediatr Allergy Immu-
Erd- und Baumnüsse vor Kuhmilch und Hühnerei deutlich vor                           nol 2011 Mar 16. doi: 10.1111/j.1399-3038.2011.01154.x. [Epub ahead of print]
allen anderen Auslösern [4].

    Die Sonderhefte der
    „Pädiatrischen Allergologie
    in Klinik und Praxis“

    Seit 2001 sind verschiedene Sonderhefte
    der Zeitschrift „Pädiatrische Allergologie“
    erschienen. Alle Ausgaben können von der
    Homepage der GPA, www.gpaev.de, Rubrik                Asthma- und Neuro-                  Asthma- und Neuro-                     Nahrungsmittelallergie
    „Die Zeitschrift“, heruntergeladen werden.            dermitisschulung 2001               dermitisschulung 2007                  2009

Pädiatrische Allergologie ∙ Sonderheft Anaphylaxie 2011                                                                                                                   3
PÄDIATRISCHE ALLERGOLOGIE - ANAPHYLAXIE SONDERHEFT - GESELLSCHAFT FÜR PÄDIATRISCHE ALLERGOLOGIE UND ...
Inhalt

3 Editorial                                                                                         Therapie

Pathophysiologie                                                                                   12 Therapie der Anaphylaxie
                                                                                                         Eine anaphylaktische Reaktion erfordert ein rasches therapeutisches
                                                                                                         Vorgehen. Neben allgemeinen Maßnahmen wie der korrekten Lagerung
6 Pathophysiologie und klinische Manifestation                                                           des Patienten zählen dazu vor allem die Volumensubstitution und die
                                                                                                         Verabreichung von Notfallmedikamenten wie Adrenalin.
     Pathophysiologisch wird zwischen der immunologisch ausgelösten, der nicht-
     immunologisch und der idiopathisch ausgelösten Anaphylaxie unterschieden.
     Der Beitrag nennt Risikofaktoren, beschreibt die klinischen Symptome und
     zeigt die gängigen Schweregrad-Einteilungen.                                                  17 Notfall-Set und Prävention
                                                                                                         Wann sollte ein Adrenalin-Autoinjektor verschrieben werden und was
                                                                                                         muss dabei beachtet werden? Wann und wie wird der Autoinjektor richtig
Diagnostik                                                                                               eingesetzt? Welche präventiven Maßnahmen stehen für die verschiedenen
                                                                                                         Ursachen von Anaphylaxien zur Verfügung?

9 Diagnostik der Anaphylaxie
     Nach jeder anaphylaktischen Reaktion sollte eine weitergehende Diagnostik
     durchgeführt werden, um den Auslöser möglichst zuverlässig zu identifizieren.
     Dies kann von der Anamnese über die Bestimmung von Tryptase oder spezi-                       22 Bücher
     fischem IgE bis hin zur Allergenprovokation reichen.                                                Johannes Ring (Hrsg.): Anaphylaxis. S. Karger Verlag Basel 2010.

                                                                                                       Das Titelbild dieser Ausgabe malte Sarah Sophia Rietschel,
                                                                                                       7 Jahre, aus Erftstadt.
  IMPRESSUM
  Pädiatrische Allergologie in Klinik und Praxis, 14. Jg./Sonderheft Anaphylaxie

  Herausgeber: Gesellschaft für Pädiatrische Allergologie und Umweltmedizin e.V., Rathausstr. 10, 52072 Aachen, Tel.: 0241-9800-486, Fax: 0241-9800-259,
  E-Mail: gpa.ev@t-online.de, Web: www.gpaev.de

  Verlag: WURMS & PARTNER Public Relations GmbH, Bernrieder Straße 4, 82327 Tutzing, Web: www.wurms-pr.de. Verlagsleitung: Holger Wurms.

  Schriftleitung: Prof. Dr. Carl Peter Bauer, Fachklinik Gaißach, Dorf 1, 83674 Gaißach, Fax 08041-798-222, E-Mail: carl-peter.bauer@drv-bayernsued.de;
  Prof. Dr. Albrecht Bufe, Universitätsklinik Bergmannsheil, Bürkle-de-la-Camp-Platz 1, 44789 Bochum, Fax 0234-3024-682, E-Mail: albrecht.bufe@rub.de;
  Dr. Ernst Rietschel, Klinik für Kinder und Jugendliche der Universitätsklinik Köln, Kerpener Str. 62, 50924 Köln, Fax 0221-478-3330, E-Mail: ernst.rietschel@uk-koeln.de;
  PD Dr. Christian Vogelberg, Universitätsklinikum Carl Gustav Carus, Fetscherstr. 74, 01307 Dresden, E-Mail: Christian.Vogelberg@uniklinikum-dresden.de

  Ressortschriftleiter: Dr. P. J. Fischer, 73525 Schwäbisch Gmünd (Elternratgeber); Prof. Dr. J. Forster, St.-Josefskrankenhaus, 79104 Freiburg (Leitlinien); Dr. F. Friedrichs,
  52072 Aachen (Berufspolitik); Prof. Dr. M. Kopp, UKSH Campus Lübeck, 23538 Lübeck (Fragen an den Allergologen); Dr. Th. Lob-Corzilius, Kinderhospital Osnabrück,
  49082 Osnabrück (Umweltmedizin); PD Dr. H. Ott, Kathol. Kinderkrankenhaus Wilhelmstift, 22149 Hamburg (Pädiatrische Dermatologie); Prof. Dr. J. Seidenberg, Elisabeth-
  Kinder­krankenhaus, 26133 Oldenburg (Pädiatrische Pneumologie); Prof. Dr. V. Wahn, Charité Campus Virchow, Klinik m. S. Pädiatrische Pneumologie und Immunologie,
  13353 Berlin (Pädiatrische Immunologie)

  Wissenschaftlicher Beirat: Dr. A. von Berg, Prof. Dr. J. Forster, PD Dr. G. Frey, Dr. A. Grübl, Prof. Dr. J. Kühr, Dr. W. Lässig, Dr. W. Rebien, Dr. S. Scheewe, Dr. K. Schmidt,
  PD Dr. S. Schmidt, Prof. Dr. A. Schuster, Prof. Dr. V. Stephan.

  Redaktion: Ingeborg Wurms M.A., Dr. Albert Thurner, Bernrieder Straße 4, 82327 Tutzing, Tel. 08158-9967-0, Fax 08158-9967-29, E-Mail: info@wurms-pr.de

  Bildnachweis: privat (3), O. Laub (10), B. Niggemann (19), Dr. Beckmann Pharma (20 li), MEDA Pharma (20 re)

  Anzeigenleitung: Holger Wurms, Tel. 08158-9967-0, Fax 08158-9967-29. Es gilt die Anzeigenpreisliste Nr. 13 vom 1.1.2011.

  Erscheinungsweise: Die Pädiatrische Allergologie in Klinik und Praxis erscheint vierteljährlich jeweils am Beginn des Quartals.

  Bezugspreise: Einzelheft: 12,50 €, Jahresabonnement: 36,00 €, Jahresabonnement für Studenten (bei Vorlage einer Bescheinigung) 27,00 € (jeweils zuzügl. Versandkosten).
  Für Mitglieder der vier regionalen pädiatrisch-allergologischen Arbeitsgemeinschaften ist das Abonnement im Mitglieds­beitrag enthalten.

  Druck: F&W Mediencenter GmbH, 83361 Kienberg
                                                                                                             Gedruckt auf Papier aus nachhaltig bewirtschafteten Wäldern
  ISSN: 1435-4233                                                                                                                 und kontrollierten Quellen. www.pefc.de

Pädiatrische Allergologie ∙ Sonderheft Anaphylaxie 2011                                                                                                                              5
Pathophysiologie

Pathophysiologie und klinische
Manifestation
Jürgen Seidenberg, Elisabeth-Kinderkrankenhaus Oldenburg • Jutta Hammermann, Universitätsklinikum Carl Gustav Carus, Dresden

             Pathophysiologie
   Per definitionem ist die Anaphylaxie ei-
ne schwere, lebensbedrohliche generali-
sierte oder systemische Hyperreaktivitäts-
reaktion (Nomenclature Review Commit-
tee, World Allergy Organisation, 2004). Pa-
thophysiologisch wird zwischen der im-
munologisch ausgelösten (IgE, Immun-
komplexe), der nicht-immunologisch und
der idiopathisch ausgelösten Anaphyla-
xie unterschieden (Abb. 1).
   Der am häufigsten beschriebene Me-
chanismus der Anaphylaxie ist die IgE-
vermittelte Freisetzung des vasoak-
tiven Histamins aus Mastzellen und Ba-
sophilen. Hierbei bewirken die Aller-             Abb. 1
gene ein ­Bridging der oberflächenstän-
digen IgE-Moleküle mit nachfolgender              z. B. Toxine, Aeroallergene, Nahrungsmit-         tor, gilt als möglicher Mechanismus der
Freisetzung vieler zellulärer Mediatoren:         tel, Enzyme (Streptokinase), heterologes          Anaphylaxie [3].
das sofort wirkende Histamin, die verzö-          Serum (Tetanusantitoxin), menschliche                Auch nicht-immunologisch können
gert einsetzenden Leukotriene, Trypta-            Proteine (Insulin, Vasopressin, Serum),           anaphylaktische Symptome erzeugt wer-
se, Carboxypeptidase, Cathepsin G, He-            Anti­biotika (Penicillin, Cephalosporine,         den. Entweder erfolgt eine direkte Stimu-
parin, Zytokine, Prostaglandine, PAF und          Sulfon­amide), Desinfektionslösungen              lation der Mastzellen bzw. Basophilen
viele weitere mehr. Die dadurch bedingte          (Äthylenoxid) und andere (Protamin, La-           oder eine direkte Aktivierung der Kom-
Vasodilatation, Erhöhung der Gefäßper-            tex) sein.                                        plementkaskade oder anderer vasoak-
meabilität, Kontraktion der glatten Mus-              Andere Immunmechanismen sind                  tiver Substanzen wie z. B. Bradikinin. Diese
kulatur und Stimulation des peripheren            ebenfalls beschrieben, die zum gleichen           Mechanismen werden auch als „pseudo-
Nervensystems erklären die Hauptsym-              Ergebnis führen. So können Immunkom-              allergische Reaktion“ oder anaphylakto-
ptome Flush mit Blutdruckabfall, Urtika-          plexe aus IgG- oder IgM-Antikörpern und           ide Reaktion bezeichnet, da sich hierbei
ria bzw. Schleimhautödem und Juckreiz.            dem Allergen über eine Komplementak-              (noch) keine zielgerichteten Antikörper
Patienten mit chronisch erhöhter Freiset-         tivierung mit Freisetzung von C3a und             nachweisen lassen. Bei der „exercise-in-
zung von Mastzellinhalten (Mastozytose,           C5a ebenso die Mastzellen oder baso-              duced anaphylaxis“ (EIA) kommt es z. B.
erkennbar an erhöhten Tryptasewerten              philen Leukozyten zur Mediatorfreiset-            zum Auftreten von Urtikaria, Larynxödem
im Serum) neigen vermehrt zu anaphy-              zung triggern. Immunglobuline und Blut-           und anderen Symptomen der Anaphyla-
laktischen Reaktionen, z. B. auch bei ei-         produkte sind hier im Kindesalter seltene         xie nach oder während körperlicher An-
ner spezifischen Immuntherapie mit In-            Auslöser. Auch eine Makrophagenaktivie-           strengung. Sie tritt bevorzugt in der Ado-
sektengiften.                                     rung, ausgelöst z. B. durch Kontrastmittel,       leszenz auf.
   Auslöser einer IgE-vermittelten Mast-          Dextrane, Mannitol und Opiate mit Frei-              Als „Summations-Anaphylaxie“ wird
zell- und Basophilenaktivierung können            setzung von Platelet-aktivierendem Fak-           das Phänomen bezeichnet, dass die Ana-

6                                                                                          Pädiatrische Allergologie ∙ Sonderheft Anaphylaxie 2011
phylaxie oft erst durch das Zusammen-                                                          ten Urtikaria, Lippenschwellung bis zum
wirken mehrerer Augmentationsfaktoren                        Betroffene Organe                 Quincke-Ödem, lokalisierter oder genera-
ausgelöst wird [4]. So wird z. B. ein be-                                                      lisierter Juckreiz. Bei 20 bis 30 Prozent der
stimmtes Nahrungsmittel toleriert, nicht            Entsprechend einer Symptomanalyse bei      Anaphylaxien fehlt eine Urtikaria.
aber bei Genuss unmittelbar nach einer              Anaphylaxie in einer pädiatrischen Not-        Die Atemwege zeigen ihre Beteiligung
                                                    fallaufnahme [6] sind folgende Organe
körperlichen Belastung oder während                 betroffen:
                                                                                               durch Niesen und trockenen Reizhusten,
eines viralen Infekts. Auch die gleichzei-                                                     Heiserkeit und Larynxödem, bei stärkerer
                                                           98 % Haut
tige Einnahme mehrerer Allergene, die                                                          Ausprägung auch mit inspiratorischem
einzeln toleriert werden, kann zur Ana-                    81 % Atemwege                       Stridor und/oder ausgeprägten Asthma-
phylaxie führen. Die wichtigsten Aug-                      37 % Magen-Darm-Trakt               beschwerden bis zum Atemversagen.
mentationsfaktoren für die Auslösung                        9 % Herz-Kreislauf                     Gastro-intestinale Beschwerden sind
einer Summationsanaphylaxie sind kör-                                                          Übelkeit, Erbrechen, Bauchkrämpfe, aku-
perliche Belastung, Medikamente, Infek-          Tab. 1                                        te Diarrhoen, gelegentlich begleitet von
tionen, Alkohol, erhöhte Körpertempera-                                                        unwillkürlichem Harndrang oder Spas-
tur, hormonelle Faktoren (Menstruation),         3. Blutdruckabfall rasch nach Kontakt mit     men des Uterus.
psychogene Faktoren und selten das Vor-             einem bekannten Allergen.                      Das Herz-Kreislaufsystem wird über-
liegen einer Mastozytose.                           Bereits innerhalb weniger Minuten kön-     flutet von vasodilatierenden Substanzen,
   Risikofaktoren für schwere oder wie-          nen den typischen Anaphylaxiesympto­          so dass der Blutdruck abfällt mit zunächst
derholte anaphylaktische Reaktionen sind         men unspezifische Prodromi vorausge-          reflektorischer Tachykardie. Eine noch
Anaphylaxie in der Eigenanamnese, Asth-          hen: Juckreiz an Handinnenseiten und          funktionierende Gegenreaktion – even-
ma bronchiale, höhergradige Sensibilisie-        Fußsohlen oder im Genitalbereich, Übel-       tell stressinduziert – kann zunächst noch
rung gegen aggressive Allergene, Ado-            keit, Schwindel, Kopfschmerzen, Benom-        eine transiente Hypertonie bewirken, die
leszentenalter und höherer Atopiegrad.           menheit, Schweißausbrüche, Angstzu-           aber bei zunehmender Anaphylaxie in ei-
   Bei IgE-vermittelten anaphylaktischen         stände, Müdigkeit, Verwirrtheit, Krib-        nen profunden „warmen hypotensiven
Reaktionen spielt die Menge des Aller-           beln und Hitzegefühl im Mundbereich,          Schock“ übergeht. Zusätzlich zu einem
gens keine Rolle für den Schweregrad der         Geschmackssensationen, z. B. metallisch       relativen Volumenmangel durch Gefäß-
Reaktion, im Gegensatz zu nicht IgE-ver-         oder fischartig. Bei Kindern fällt oft eine   dilatation addiert sich ein echter Volu-
mittelten Reaktionen, bei denen das Aus-         ungewöhnliche Apathie auf (hören auf zu       menmangel durch die vermehrte Gefäß-
maß der Reaktion häufig mit der Menge            spielen oder zu laufen).                      permeabilität und extravasale Ödembil-
des auslösenden Agens korreliert.                   Im Mittel nach zehn Minuten [1], gele-     dung. Sekundärfolgen wie Minderperfu-
   Eine aktuelle detaillierte Übersicht zu       gentlich aber auch verzögert um ca. ein       sion der Koronarien und Herzinfarkt sind
den pathophysiologischen Mechanismen             bis zwei Stunden, folgen mit unterschied-     ebenso beschrieben wie Herzrhythmus-
der Anaphylaxie findet sich unter [5].           licher Variabilität und Schweregrad ana-      störungen.
                                                 phylaktische Symptome, die bevorzugt              Die Beteiligung der unterschiedlichen
           Klinische Symptome                    die Haut und den Atemwegstrakt betref-        Organsysteme bei anaphylaktischen Re-
                                                 fen (siehe Tab. 1). Der Beginn der Sympto-    aktionen ist altersabhängig. So stehen im
   Eine klinische Definition der Anaphyla-       matik ist abhängig von der Art des Aller­     Kindesalter Symptome der Haut und des
xie besagt, dass eine Anaphylaxie hoch-          gens und der Applikation. Nach Insekten-      respiratorischen Systems im Vordergrund,
wahrscheinlich ist, wenn eines der fol-          stichen oder subkutaner Allergeninjekti-      wohingegen mit zunehmendem Alter kar-
genden drei Kriterien erfüllt ist [7]:           on im Mittel zehn bis 15 Minuten, nach        diale und Kreislauf-Symptome an Bedeu-
1. Akuter Beginn mit Beteiligung von             oraler Allergenaufnahme im Mittel 30          tung gewinnen.
   Haut und/oder Schleimhaut und min-            Minuten und nach systemischer Medi-               Differenzialdiagnostisch ist häufig die
   destens einem der folgendem Sym-              kamentenapplikation im Mittel fünf Mi-        vasovagale Synkope zu erwägen, z. B.
   ptome: Atemstörung (Dyspnoe, Gie-             nuten [2].                                    nach erfolgter subkutaner Hyposensibi-
   men, Stridor, Zyanose u. a.), Blut-              Das Maximum der Symptomatik ist            lisierung. Die Haut ist hierbei häufig blass-
   druckabfall oder andere Symptome der          meist nach 30 bis 60 Minuten erreicht, da-    kühl und kaltschweißig, der Puls eher bra-
   Endorgan-Dysfunktion (Kollaps, Synko-         nach klingen die Beschwerden innerhalb        dykard und die Kreislaufschwäche bessert
   pe, Inkontinenz u. a.).                       von Stunden ab. Der schnelle Beginn ei-       sich rasch nach Positionierung in die Ho-
2. Mehr als zwei der folgenden Symptome          ner anaphylaktischen Reaktion ist häufig      rizontale. Außerdem fehlen Atemwegs-
   rasch nach Kontakt mit einem wahr-            mit einem höheren klinischen Schwere-         symptome, Urtikaria und akute Diarrhoe.
   scheinlichen Allergen: Haut- und/oder         grad assoziiert.                                  Ähnlich fehlen diese Symptome bei Pa-
   Schleimhautsymptome, Atemstörung,                Zu den Hautsymptomen gehören               nikattacken, wobei zusätzlich durch Hy-
   Blutdruckabfall, persistierende gastro-       Überwärmung und Rötung bis zum Flush,         perventilation eine Tetanie beobachtet
   enterale Symptome                             einzelne Quaddeln bis zur generalisier-       werden kann.

Pädiatrische Allergologie ∙ Sonderheft Anaphylaxie 2011                                                                                  7
Pathophysiologie

                                     Schweregradeinteilung der Anaphylaxie nach Ring und Messner 1977
     Schwere-                                                                      Symptome
       grad                   Haut                        Abdomen                         Atemwege                                   Herz-Kreislauf
                   Juckreiz, Flush, Urtikaria,
            1
                   Angioödem
                                                                                                                    Pulsanstieg > 20/Min., Blutdruckanstieg
                                                                                Schnupfen, Heiserkeit,
            2      s.o., kann fehlen              Übelkeit, Bauchkrämpfe                                            > 20 mm Hg (Abfall?) syst., Rhythmus-
                                                                                Dyspnoe
                                                                                                                    störungen
                                                                                Larynxödem, Broncho­
            3      s.o., kann fehlen              Erbrechen, Stuhlabgang                                            Schock
                                                                                spasmus, Zyanose
            4      s.o., kann fehlen              s.o.                          Atemstillstand                      Herzstillstand

Tab. 2

                   Schweregradeinteilung anaphylaktischer Reaktionen im Kindesalter nach Muraro A et al. 2007

     Schwere-                                                                      Symptome
       grad                  kutan                  gastro-intestinal            respiratorisch            kardio-zirkulatorisch             neurologisch
                                                 Oraler Juckreiz, milde      Nasale Symptome
                   Pruritus, Flush,              Lippenschwellung,           (Kongestion, Niesreiz,       Tachykardie                   Wechsel des Aktivitäts-
          leicht
                   Urtikaria, Angioödem          Übelkeit, Erbrechen,        Rhinorrhoe), mildes          (HF-Anstieg > 15/min)         niveaus und Angst
                                                 milde Bauchschmerzen        Gie­men, Dysphagie
                                                                             + Heiserkeit, bellender
                                                 + krampfartige Bauch-
                                                                             Hus­ten, Stridor, Dys-                                     Benommenheit, „Gefühl
          mittel   s.o.                          schmerzen, Diarrhoe,                                     s.o.
                                                                             pnoe, mittelgradiges                                       nahenden Unheils“
                                                 rez. Erbrechen
                                                                             Giemen
                                                                                                          Blutdruckabfall, Be-
                                                                             + Zyanose,
                                                                                                          wusstlosigkeit, Arrhyth-      Verwirrtheit, Bewusst-
          schwer   s.o.                          + Stuhlinkontinenz          SaO2 < 92 %,
                                                                                                          mien, schwere Brady-          losigkeit
                                                                             Atemstillstand
                                                                                                          kardie/Asystolie

Tab. 3

          Klassifikation systemischer Reaktionen nach SIT [nach Alvarez-Cuesta E 2006, EAACI Immunotherapy Task Force]
         Stadium                          Symptome                                     Stadium                              Symptome

            0      Keine oder nur unspezifische Symptome                                              Schwere Allgemeinreaktion
                                                                                                      Beginn < 15 min nach Injektion
                   Milde Allgemeinreaktion                                                 3
                                                                                                      Generalisierte Urtikaria, Angioödem und/oder schweres
            1      Lokalisierte Urtikaria, Rhinitis und/oder mildes Asthma                            Asthma (PF < 60 %)
                   (PF > 80 %)
                   Moderate Allgemeinreaktion                                                         Anaphylaktischer Schock
                   Beginn > 15 min nach Injektion                                                     Fast sofortiger Beginn
            2                                                                              4
                   Generalisierte Urtikaria und/oder moderates Asthma                                 Juckreiz, Flush, Erythem, generalisiere Urtikaria,
                   (PF > 60 %)                                                                        Angioödem, Stridor, Asthma, arterielle Hypotension

Tab. 4

8                                                                                                      Pädiatrische Allergologie ∙ Sonderheft Anaphylaxie 2011
Diagnostik

   Akute Ereignisse im Bereich der Atem-           auch Empfehlungen zur Weiterführung
wege wie Asthmaanfälle, Fremdkörper­               der SCIT und eventuellen Dosisreduk­tio­                                     Literatur
aspiration, Pseudokrupp und Vocal Cord             nen ab.
Dysfunktion müssen differenzialdiagnos-              Neben einer Akutreaktion ist in bis                  [1] De Silva IL, Mehr SS, Tey D, Tang ML: Paediatric
                                                                                                          anaphylaxis: a 5 year retrospective review. Allergy
tisch ebenso in Betracht gezogen werden            zu 20 Prozent der Fälle mit einer signifi-             2008; 63 (8): 1071–76.
wie akute kardiale Ereignisse (supravent-          kanten Spätreaktion nach vier bis sechs
                                                                                                          [2] Pumphrey RS: Lessons for management of
rikuläre Tachycardie) und das Hereditäre           Stunden, in Einzelfällen noch nach 47                  anaphylaxis from a study of fatal reactions. Clin Exp
Angioödem.                                         Stunden zu rechnen; entsprechend muss                  Allergy 2000; 30 (8): 1144–1150
   Die Abgrenzung milder systemischer              der Patient stationär überwacht werden.                [3] Kalesnikoff J, Galli SJ: Anaphylaxis: Mechanisms
allergischer Reaktionen mit generalisier-          Solche biphasischen Reaktionen treten                  of mast cell activation. In: Ring J (ed): Anaphylaxis.
ter Urtikaria und Angioödem ohne Betei-            bei Kindern häufiger auf als bei Erwach-               Chem Immunol Allergy. Basel, Karger, 2010: vol 95,
                                                                                                          S. 45–66.
ligung von respiratorischem System und             senen. Risikofaktor für eine signifikante
Kreislauf ist oft schwierig.                       Spätreaktion ist eine zu geringere Thera-              [4] Przybilla B, Rietschel E, Ring J: Anaphylaxie,
                                                                                                          in: Ring J, Bachert C, Bauer CP, Czech W (Hrsg):
   Der Schweregrad einer anaphylak-                pie mit Epinephrin [8].                                Weißbuch Allergie in Deutschland, Springer Medizin
tischen Reaktion richtet sich nach den be-                                                                Urban und Vogel GmbH, München 2010, 104–108.
obachteten Symptomen, die retrospektiv             Prof. Dr. med. Jürgen Seidenberg                       [5] Ring J (Hrsg): Anaphylaxis. Chem Immunol Aller-
zusammengefasst werden. Nach Ring und              Klinikum Oldenburg, Zentrum für Kinder-                gy. Basel, Karger, 2010.
Messner werden vier Schweregrade klas-             und Jugendmedizin, Elisabeth-Kinder-                   [6] Russel S, Monroe K, Losek JD: Anaphylaxis
sifiziert (siehe Tab. 2). Eine weitere Klassi-     krankenhaus                                            management in the pediatric emergency department:
fikation von Muraro, die sich speziell auf         Rahel-Straus-Str. 10, 26133 Oldenburg                  opportunities for improvement. Pediatr Emerg Care
                                                                                                          2010; 26 (2): 71–76.
anaphylaktische Reaktionen bei Kindern             E-Mail: seidenberg.juergen@klinikum-
bezieht, unterscheidet drei Schweregrade           oldenburg.de                                           [7] Sampson HA, Munoz-Furlong A et al.: Second
                                                                                                          symposium on the definition and management of
(Tab. 3). Alvarez-Cuesta hat sich 2008 dem                                                                anaphylaxis: summary report – second National
speziellen Problem der anaphylaktischen            Dr. med. Jutta Hammermann                              ­Institute of Allergy and Infectious Disease/Food
Reaktionen nach subkutaner Immunthe-               Universitätsklinikum Carl Gustav Carus an               ­Allergy and Anaphylaxis Network Symposium.
                                                                                                            Ann Emerg Med 2006; 47 (4): 373–380.
rapie gewidmet und hierfür eine eigene             der TU Dresden, Klinik und Poliklinik für Kin-
Klassifikation unter Berücksichtigung              der- und Jugendmedizin                                 [8] Ellis AK, Day JH: Incidence and characteristics
                                                                                                          of biphasic anaphylaxis: a prospective evaluation of
des Zeitpunkts des Beginns der Reaktion            Fetscherstr. 74, 01307 Dresden                         103 patients. Ann Allegy Asthma Immunol 2007; 98
und der gemessenen Peak-Flow-Werte                 E-Mail: jutta.hammermann@uniklini-                     (1): 64–69.
aufgestellt (Tab. 4). Hieraus leitet er dann       kum-dresden.de

Diagnostik der Anaphylaxie
Lars Lange, St. Marienhospital Bonn • Otto Laub, niedergelassener Kinder- und Jugendarzt, Rosenheim •
Radvan Urbanek, Univ.-Klinikum Freiburg, Zentrum für Kinder und Jugendmedizin

Anaphylaxie ist eine rasch beginnende,             gische Zeichen wie auffällige Erregung,                 Nach jeder eindeutigen anaphylakti­
schwere allergische Reaktion, die tödlich          Verwirrung oder Benommenheit und                     schen Reaktion sollte weitergehende Dia­
verlaufen kann. Meistens treten kutane             gastrointestinale Beschwerden im Sinne               gnostik durchgeführt werden, um den
Symptome auf, die auch die Schleimhäu-             von Bauchschmerzen, Übelkeit, Erbrechen              Auslöser möglichst zuverlässig zu iden-
te gleichermaßen betreffen können (Ery-            und Durchfall innerhalb von Minuten bis              tifizieren. Dies ist für eine sichere Mei-
them, Urtikaria, Quincke-Ödem). Atem-              wenigen Stunden nach dem auslösenden                 dungsempfehlung unerlässlich. Die Dia-
beschwerden, Blutdruckabfall, neurolo-             Ereignis sind weitere Symptome.                      gnostik besteht aus einer sorgfältig erho-

Pädiatrische Allergologie ∙ Sonderheft Anaphylaxie 2011                                                                                                            9
Diagnostik

                                                                                           kardiologische Beschwerden erfasst wer-
                 Diagnostische Schritte bei Anaphylaxieabklärung                           den. Diese Informationen sind im Verlauf
                                                                                           entscheidend für die Zusammenstellung
                                                                                           eines Notfallsets.
                                                                                               Die häufigsten Auslöser anaphylak-
                                                                                           tischer Reaktionen werden gezielt erfragt.
                                                                                           Bei den Nahrungsmitteln stehen bei Kin-
                                                                                           dern an erster Stelle Erd- und Baumnüsse,
                                                                                           bei Säuglingen eher Kuhmilch und Hüh-
                                                                                           nerei. Weitere, jedoch deutlich seltener
                                                                                           relevante Allergene sind Fisch, Soja und
                                                                                           Weizen. Zunehmend werden auch Reak­
                                                                                           tio­nen gegen Kiwi und Sesam berichtet.
                                                                                               Mit höherem Lebensalter spielen im
                                                                                           Nahrungsmittelbereich Allergene eine
                                                                                           Rolle, die eher bei Erwachsenen zu Re­
                                                                                           ak­tio­nen führen wie Krustentiere und
                                                                                           Früchte. Hier liegen häufig Kreuzsensi-
                                                                                           bilisierungen zugrunde, die sowohl zu
                                                                                           oralem Allergiesyndrom als auch – wenn
                                                                                           auch sehr selten – zu anaphylaktischen
                                                                                           Reaktionen führen können: Birkenpollen-
                                                                                           allergie mit Kernobst (Apfel, Pfirsich), So-
                                                                                           ja oder Nüssen (Hasel-, Para-, Walnuss),
                                                                                           Hausstaubmilbe mit Krusten-/Weichtie-
                                                                                           ren.
                                                                                               Versteckte Substanzen wie Nah-
                                                                                           rungsmittel-Additiva (Nahrungsmittel-
Abb. 1
                                                                                           farben, Fischgelatine) wurden nur sehr
                                                                                           selten als Ursache für anaphylaktische
benen Anamnese und der Untersuchung          kation oder Genuss von Nahrungsmitteln        Reaktionen beschrieben und dann auch
hinsichtlich einer Sensibilisierung, meist   vor dem Auftreten der anaphylaktischen       mehrheitlich bei Erwachsenen.
in Form der Bestimmung spezifischer IgE-     Symptome müssen gründlich erfragt wer-           Medikamente, die zu Symptomen der
Antikörper.                                  den. Hierbei ist ein Zeitraum von bis zu     Anaphylaxie führen, sind im Kindes- und
   In der Akutsituation kann aus der Be-     vier Stunden retrospektiv interessant, wo-   Jugendalter vor allem Antibiotika (Beta-
stimmung verschiedener Mediatoren der        bei die meisten, vor allem schweren Re-      Lactame) und nicht steroidale Antiphlo-
Akutreaktion eine zusätzliche Informa­tion   aktionen innerhalb von 30 Minuten nach       gistika sowie in der letzten Zeit auch Bio­
gewonnen werden.                             dem Kontakt zum auslösenden Allergen         logika (polyklonale oder monoklonale An-
   Bei nicht sicher zu klärender Anamne-     auftreten.                                   tikörper).
se oder schon lange zurückliegender             Wichtig für die Risiko-Einschätzung           Eine anaphylaktische Reaktion kann
ana­phylaktischer Reaktion kann in be-       sind außerdem mögliche Augmenta­             selten auch nach einer Hyposensibilisie­
stimmten Fällen eine standardisierte         tions­faktoren einer anaphylaktischen        rungs-Injektion auftreten, sowohl bei der
Allerg­enprovokation notwendig werden.       Reaktion:                                    Steigerung als auch bei der wiederholten
                                             n Infekte                                    Gabe von Erhaltungsdosen.
               Anamnese                      n körperliche Anstrengung                        Patienten, die plötzlich verfallen, ei-
                                             n psychische Belastungssituationen           ne Urtikaria, Atemnot und/oder eine
    Eine Risikoabschätzung wie auch          n Einsatz von Medikamenten, besonders        Kreislaufhypotonie entwickeln, zum Bei-
das therapeutische Vorgehen werden              nicht-steroidalen Antiphlogistika (Ace-   spiel bei chirurgischen Interventionen
aus dem berichteten Zeitverlauf, dem            tylsalicylsäure, Ibuprofen, Paracetamol   oder aufgrund unklarer Ursachen, sind
Schweregrad der Symptome und der Ve-            etc.).                                    zunächst auch immer anaphylaxie-ver-
rifizierung der auslösenden Umstände ab-     n Alkoholgenuss (Jugendliche)                dächtig.
geleitet.                                       Zudem müssen Begleiterkrankungen              Insgesamt muss also bei der ärztlichen
    Anamnestische Angaben über mög-          wie Asthma und dessen aktueller Kontroll-    Untersuchung von Patienten mit Anaphy-
liche Insektenstiche, Medikamentenappli-     grad, allergische Rhinitis, Ekzeme oder      laxie eine genaue Erhebung der mög-

10                                                                               Pädiatrische Allergologie ∙ Sonderheft Anaphylaxie 2011
Diagnostik

lichen Begleitumstände erfolgen, deren      glichen wird, lässt sich auch ein Elimina-    10-Proteine gehört. In mehreren Kollek-
Kenntnis sowohl für die aktuelle Thera-     tionsprofil erstellen.                        tiven wurde gezeigt, dass eine Sensibi-
pie wie auch für die nachfolgende Vor-         Dies ist wichtig, da Patienten mit einer   lisierung gegen Ara h 2 mit einer hohen
beugung eine entscheidende Bedeu-           Mastozytose andauernd erhöhte Trypta-         Wahrscheinlichkeit mit dem Auftreten ei-
tung hat.                                   sekonzentrationen im Blut aufweisen.          ner allergischen Reaktion und schweren
                                                                                          Symptomen einer Anaphylaxie vergesell-
          Diagnostische Hilfe                       Suche nach anaphylaxie-               schaftet ist.
     durch Mediatorenbestimmung                     auslösenden Allergenen                    Ara h 8 als pollen-assoziiertes PR-10-
                                                                                          Allergen ist hingegen hitze- und di­ges­
   Um den Pathomechanismus „Ana­               Die Basis der Diagnostik ist der Nach­     tionslabil und führt daher nach Verzehr
phylaxie“ als Ursache zu belegen, ist in    weis einer IgE-vermittelten Sensibilisie­     deutlich seltener und dann nur zu mil-
erster Linie der Nachweis einer entspre-    rung. Prinzipiell wird dies mit Hilfe eines   deren Symptomen. Derartig zuverlässige
chenden IgE-Sensibilisierung geeignet.      Nachweises von spezifischem IgE im Se-        Vorhersagen, geprüft an über Fallserien
Unter Umständen können Mediatoren           rum durchgeführt, da beim Haut-Prick-         hinausgehenden Kollektiven sind für an-
der anaphylaktischen Reaktion unter-        Test eine theoretische Gefährdung des         dere Allergen-Komponenten noch nicht
sucht werden.                               Patienten gegeben ist. Bei einigen Aller­     verfügbar, es sind aber zum Teil hinwei-
   Histamin bewirkt eine Vasodilata­        genen, z. B. vielen Medikamenten, ist eine    sende Daten vorhanden.
tion, beschleunigt die Herzfrequenz und     Prick-Testung geeignet. Nach den derzeit          So genannte Lipid-Transferproteine
steigert die glanduläre Sekretion. Leu­     gängigen Empfehlungen ist eine stattge-       (LTP) in Pflanzen sind in der Regel hitze-
kotriene (LT) und Plättchen-aktivie­        habte Anaphylaxie jedoch eine Kontra-         und digestionsstabil und können daher
render Faktor (PAF) führen zu Broncho-      indikation für die Durchführung eines         einfacher unzerstört im Dünndarm resor-
konstriktion und erhöhen die vaskuläre      Hautestes mit dem beschuldigten Aller-        biert werden und dort schwere allergische
Permeabilität.                              gen.                                          Symptome induzieren. Zu den LTP gehört
   Tryptase wird in Mastzellen gespei-         Es konnte gezeigt werden, dass die Hö-     das Cor a 8 aus Haselnuss und das Pru p 3
chert und bei Reaktionen ausgeschüttet.     he der IgE-Antikörper weder zuverlässig       aus dem Pfirsich. Beide zeigen bei nach-
Eine Freisetzung wurde nach anaphylak-      mit der Schwere der Reaktion noch mit         gewiesener Sensibilisierung ein erhöhtes
tischer Reaktion auf Insektenstiche und     der Menge des Allergens, das eine Reak-       Risiko für das Auftreten schwerer Reak­
Medikamente (vor allem Muskelrelaxan-       tion auslöst, korreliert. Auch ist über die   tionen an. Pru p 3 aus Pfirsich kann dabei
tien, Antibiotika, Plasmaexpander) be-      Spiegelhöhe der spezifischen IgE-Anti-        stellvertretend für alle Steinobstallergien
schrieben.                                  körper keine zuverlässige Aussage über        bestimmt werden, da eine große Struk-
   Die Bestimmung von freigesetzten Me-     die klinische Relevanz der Sensibilisie-      tur-Homologie innerhalb dieser Gruppe
diatoren kann daher auch diagnostisch       rung möglich.                                 besteht.
herangezogen werden.                           Die Etablierung von so genannten „cut-         Eine Anaphylaxie nach Obstgenuss,
   Früher hat man sich vor allem mit dem    off-Werten“ solcher IgE-Antikörper, ab de-    ausgelöst durch eine Allergie gegen LTP,
Nachweis von Histamin und N-Methylhis-      nen man von einer Reaktion ausgehen           ist ein typisches Phänomen des mediter-
tamin im Serum bzw. Harn befasst. Die       kann, ist nicht möglich, da Einflussfak-      ranen Raumes. In Mitteleuropa kommt sie
kurze Halbwertszeit von Histamin und ei-    toren wie Alter, Zeitspanne seit letztem      nur selten vor.
ne Interferenz mit den bakteriellen Pro-    Allergenkontakt, Grunderkrankungen (Ek-           Weitere, auf ein erhöhtes Risiko hin-
dukten bei Harnwegsinfektionen hat die­     zem), Augmentationsfaktoren oder Co-          weisende Allergen-Komponenten sind
se Bestimmung als diagnostische Metho-      Sensibilisierungen die Reaktionswahr-         Tri a  19 aus Weizen (Omega-5-Gliadin),
de im klinischen Alltag verdrängt. Der      scheinlichkeit verändern.                     das bei Allergie unter Umständen mit ei-
Nachweis von Prostaglandinen D2 und                                                       ner anstrengungs-induzierten Anaphyla-
PAF hat sich bei Verdacht auf Anaphyla-            Rekombinante Antikörper                xie vergesellschaftet ist, und Gly m 4 aus
xie ebenfalls nicht als eine praktikable                                                  Soja. Letzteres ist zwar ein PR-10-Protein,
diagnostische Hilfe bewährt. Lediglich         Neue Antikörper gegen rekombinante         ist aber deutlich stabiler als andere Vertre-
Tryptase (im Serum), die eine biologische   oder natürlich gewonnene Proteine der         ter seiner Gruppe und daher ebenfalls auf
Halbwertszeit von zwei Stunden hat und      Allergene können nach neuesten Studi-         erhöhte Anaphylaxie-Gefahr hinweisend.
15 bis 120 Minuten nach Anaphylaxiebe-      en helfen, Kreuzreaktivitäten und Reak­           Da die zuletzt erwähnten Allergen-
ginn ihren Spitzenwert erreicht, kann zur   tions­muster besser einzugrenzen.             Komponenten nicht den Major-Aller-
Abklärung herangezogen werden.                 Dies konnte am besten für die Erdnuss      genen der Pflanze entsprechen bezie-
   Wenn eine Blutprobe zu Beginn der        gezeigt werden: Ara h 2 ist ein Speicher-     hungsweise spezielle Extraktionsverfah-
Anaphylaxie (15 bis 120 Minuten nach        protein aus der Erdnuss, Ara h 8 ein Pro-     ren zur Anreicherung erforderlich sind,
Beginn der klinischen Symptome) mit         tein, das dem Hauptallergen der Birke         sind sie daher in den Allergen-Extrakten
der zweiten Probe nach 24 Stunden ver-      (Bet v  1) ähnelt und zur Familie der PR-     nur gering vorhanden. Dies kann dazu

12                                                                               Pädiatrische Allergologie ∙ Sonderheft Anaphylaxie 2011
Therapie

führen, dass das spezifische IgE gegen              einer derartigen Untersuchung kein
das Hauptallergen, in diesem Fall Soja und          erhöhtes Risiko gegeben ist. Als Unter-
Weizen, negativ ist. In diesem Fall gelingt         suchungsstandard wurde vor kurzem
der Sensibilisierungsnachweis nur durch             ein Manual zur Durchführung von
die Bestimmung der IgE-Antikörper ge-               Nahrungsmittelprovoka­tio­nen von
gen die Komponenten.                                der Arbeitsgruppe Nahrungsmittel-
    Liegt eine klare Anamnese vor, zu der           allergie der GPA veröffentlicht.
passend eine Sensibilisierung nachgewie-
sen werden kann, ist die Diagnostik ab-             Korrespondenzadresse:
geschlossen.                                        Dr. med. Lars Lange
    Sehr häufig ist aber die Anamnese               St.-Marien-Hospital
nicht so klar und es zeigen sich Sensibi-           Robert-Koch-Str. 1, 53115 Bonn
lisierungen gegen mehrere potentielle               E-Mail: Lars.Lange@marien-
Aller­gene. Teilweise liegt die Reaktion            hospital-bonn.de
auch schon Jahre zurück und eine zwi-
schenzeitlich eingetretene Toleranzent-
wicklung ist möglich. In diesen Fällen ist
die Durchführung einer standardisierten                 Das Manual zur Durchführung von Nah­
                                                        rungsmittelprovokationen aus dem 2009
Nahrungsmittelprovokation sinnvoll und                     erschienenen Sonderheft „Nahrungs­
notwendig. Es konnte gezeigt werden,                       mittel­allergie“ (Download unter www.
dass beim standardisierten Vorgehen in                       gpaev.de, Rubrik Stellungnahmen)

Therapie der Anaphylaxie
Christian Vogelberg, Universitätsklinikum Carl Gustav Carus, Dresden

Da eine anaphylaktische Reaktion im-                umfeldes sowie einer notärztlichen Ver-        gung wichtig, um insbesondere die wei-
mer eine Notfallsituation darstellt, ist ein        sorgung. Erweiterte therapeutische Op­         tere medikamentöse Behandlung zu pla-
rasches diagnostisches und therapeu-                tio­nen, die ein intensivmedizinisches Um-     nen. Hier bietet sich die Orientierung an
tisches Vorgehen erforderlich. Mögliche             feld voraussetzen, werden nicht im De-         der Schweregradeinteilung nach Ring und
Algorithmen hierzu wurden in den ver-               tail besprochen; hier ist bei Bedarf auf die   Messmer an [6]. Dazu gehört eine zügig
gangenen Jahren in zwei wesentlichen                Stellungnahme der Leitlinie zu verweisen.      durchgeführte Untersuchung der Atem-
Arbeiten veröffentlicht, nämlich einer-             Die durch den Patienten oder Dritte selbst     wege mit Inspektion des Mund-Rachen-
seits in der gemeinsamen S2-Anaphyla-               durchführbaren Sofortmaßnahmen wer-            raumes (Zungengrundschwellung?) so-
xie-Leitlinie der deutschsprachigen aller-          den im Kapitel „Notfallset und Präven­tion“    wie der Auskultation der Lunge (Hinwei-
gologischen Fachgesellschaften [5], ande-           abgehandelt.                                   se auf bronchiale Obstruktion), der Kreis­
rerseits im Positionspapier der European                                                           laufsituation (Hypotension?, Tachykardie?)
Academy of Allergy and Clinical Immu-                         Allgemeine Maßnahmen                 sowie der Haut (Urtikaria?). Sofern mög-
nology [4]. Die in diesem Beitrag bespro-                                                          lich, muss die Allergenzufuhr sofort be-
chenen Maßnahmen beziehen sich vor-                   Beim Auftreten einer Anaphylaxie ist         endet werden. Maßnahmen hierfür wie
nehmlich auf die ärztliche Akutbehand-              vor Beginn erster therapeutischer Maß-         beispielsweise Abbinden der entspre-
lung im Rahmen eines Praxis- oder Klinik­           nahmen die rasche Erfassung der Ausprä-        chenden Extremität oder aber Unter-

Pädiatrische Allergologie ∙ Sonderheft Anaphylaxie 2011                                                                                  13
Therapie

spritzung mit Adrenalin gelten aber nicht rische Insuffizienz vor, sollte bei entspre- an Schweregrad und klinischer Sympto-
als gesichert und sollten im Zweifelsfalle chender Übung frühzeitig intubiert und matik der anaphylaktischen Reak­tion
nicht zu einer Zeitverzögerung der wei- mit 100 % Sauerstoff beatmet werden. He- (Abb. 1). Dabei wird zwischen echten Not-
teren Maßnahmen beitragen.                     roische wiederholte Versuche einer Intu- fallmedikamenten, die sich gegen kar­dio­
   Die korrekte Lagerung des Patienten bation sollte der Ungeübte im Zweifels- respiratorische Insuffizienz wenden (Adre-
hat einen wesentlichen Einfluss auf die fall aber besser unterlassen und stattdes- nalin, β2-Sympathomimetikum), und an-
kardiorespiratorische Symptomatik. Aus sen lieber eine Beatmung mit Beutel und tiallergischen Medikamenten (Antihista-
diesem Grund muss der Patient grund- Maske durchführen.                                                     minikum, Glukokortikoid) unterschieden.
sätzlich in einer für ihn bequemen Posi­
tion gelagert werden. Bei Überwiegen re-                 Medikamentöse Therapie                             Adrenalin
spiratorischer Symptome erfolgt dies be-                                                                       In der Auswahl der verschiedenen me-
vorzugt mit aufrechter Positionierung des         Das Ausmaß und die Auswahl der me- dikamentösen Therapieoptionen steht
Oberkörpers, bei deprimierter Kreis­lauf­ dikamentösen Therapie orientieren sich das Adrenalin an erster Stelle [3, 8] und
situation sollte der Patient
flach mit erhobenen Bei-
nen (Trendelenburg) gela-
                                                                Algorithmus zum therapeutischen Vorgehen
gert werden [1]. Sofern es
die Kreislaufsituation zu-
                                                                      bei einer anaphylaktischen Reaktion
lässt, wird ein möglichst
großlumiger i.v.-Zugang             Patient mit anaphylaktischen
gelegt. Der Versuch hier-                    Symptomen
zu sollte zeitnah möglichst                                                                                      2
noch mit Beginn der ana-                                      1                                                                                     3
phylaktischen Reak­tion er-                                                   Reanimation,   Adrenalin     i.m.,
                                                                                                                                   Verlegung auf
                                           Schweregrad IV            ja        i.v. Zugang, Adrenalin i.v.,
folgen, da hier aufgrund                                                                                                           Intensivstation
                                                                                ggf. wie Schweregrad III
der Kreislaufsitua­tion die
Chancen für ein Gelin-                           nein
gen höher sind. Sollte die                                         4
Platzierung eines i.v.-Zu-                Basismaßnahmen,
ganges nicht möglich sein,             i.v. Zugang, Kristalloid                                                             6
stellt ein intraossärer Zu-
gang eine Alternative dar                                                               Adrenalin i.m., Kolloid
[12]. Inzwischen existie-                                     5               evtl.  Adrenalin  i.v., Glukokortikoid i.v.,
ren hierfür kleine Kanülen-                                                  Sauerstoff,  Antihistaminikum      H1 + H2 i.v.,
                                           Schweregrad III           ja                ggf. wie Schwergrad II
bohrmaschinen, mit deren
Hilfe die Platzierung ein-                                                                                                                          10
facher gelingt. Bereits an                       nein                                                        9
dieser Stelle sei aber da-                                    8                                                                 Adrenalin i.m.,
                                                                                          Vorwiegend
rauf hingewiesen, dass mit                                                                                                          Volumen,
                                           Schweregrad II              ja              kardiovaskulär?             ja          Glukokortikoid i.v.,
frustranen Versuchen, ei-
                                                                                                                             Sauerstoff, Antihista-
nen intravenösen Zugang                                                                                     11                minikum H1 + H2 i.v.,
                                                 nein
zu legen, nicht zu viel Zeit
                                                             13                           Vorwiegend
verschwendet werden                                                                       Atemwege
darf, sondern dann zu-                      Schweregrad I
nächst eine erste Gabe                                                                         ja
Adrenalin intramuskulär                                                                                             12
                                                  ja
appliziert werden sollte.                                                       Adrenalin inhalativ evtl. i.m.,
                                                                  14
   Bei respiratorischer Be-                                                         b2-Agonisten inhalativ,
einträchtigung oder arte-              Antihistaminika H1 i.v.,                    Antihistaminikum H1 i.v.,                                           7
rieller Hypotonie wird sup-               Glukokortikoid i.v.,                        Glukokortikoid   i.v.,                                 Stationäre
plementärer Sauerstoff                    Nachbeobachtung                    evtl. b2-Agonisten i.v., Sauerstoff                           Überwachung
appliziert. Liegen Hin-
weise auf eine drohende
oder manifeste respirato- Abb. 1

14                                                                                           Pädiatrische Allergologie ∙ Sonderheft Anaphylaxie 2011
ist bei Auftreten jeglicher respiratorischer
oder kardiovaskulärer Symptome indiziert                            Medikamentendosierung bei anaphylaktischer Reaktion
(d. h. spätestens ab Schweregrad II), ferner
bei schweren abdominellen Symptomen                       Medikament                                             Dosierung
oder dem Vorhandensein eines Asthma
                                                          Kristalloide Infusionslösung (z.B. NaCl 0,9%)          10–20 ml/kg KG über 20 min
bronchiale. Frühzeitiger sollte Adrenalin
bei bekannter anaphylaktischer Reaktion                   Adrenalin i.m.                                         0,01 mg/kg KG
in der Vergangenheit oder aber bekannter                  Adrenalin i.v.                                         0,05–1 μg/kg KG/min
Nahrungsmittelallergie mit vorangegan-                    Prednisolon (-äquivalent)                              1–2 mg/kg KG
gener Anaphylaxie (z. B. Erdnussallergie)                 Dimetinden                                             0,05–0,1 mg/kg KG
bei versehentlicher Aufnahme des Aller-
                                                          Clemastin                                              0,03 mg/kg KG
gens bereits ab dem Schweregrad I gege-
ben werden. Die Applikation erfolgt initi-
al bevorzugt i. m. [11] mit einer Dosis von      Tab. 1
0,01 mg/kg Körpergewicht (entspricht
0,01ml/kg einer 1:1.000-Verdünnung) in           für die Indikation Anaphylaxiebehand-                    Tachykardie im Rahmen der Anaphylaxie
den anterolateralen Oberschenkel (ma-            lung zugelassen.                                         wird daher neben der Gabe von Adrena-
ximale Einzeldosis 0,5 mg). Je nach An-             Die Bedeutung der frühen Gabe von                     lin die Volumensubstitution empfohlen.
sprechen kann die Gabe nach zehn bis 15          Adrenalin liegt in seiner pharmakolo­                    Dies kann durch kristalloide Elektrolytlö-
Minuten wiederholt werden. Liegt bereits         gi­schen Wirkweise begründet. Der α-                     sungen mit 10–20 ml/kg KG über 20 Minu-
ein intravenöser Zugang oder ist die Re-         adre­nerge Effekt führt zu einer Erhöhung                ten erfolgen, ggf. bei ausbleibender Wir-
aktion auf die intramuskuläre Applikation        des peripheren Gefäßwiderstandes, zu                     kung Wiederholung.
insuffizient, so kann dann die i. v.-Appli-      einem Anstieg des Blutdruckes, zu ei-
kation in einer Verdünnung von 1:10.000          ner Zunahme der coronararteriellen Per-                  Antihistaminika
mit einer Start-Dosierung von 0,01 mg/           fusion und sekundär zu einer Abnahme                        Die Gabe eines H1-Antihistaminikums
kg KG (entspricht 0,1 ml/kg KG) erfolgen.        eines Angioödems oder einer Urtikaria.                   gehört zu den medikamentösen Sofort-
Die Applikation sollte nicht als Bolus, son-     Durch die β1-adrenerge Wirkung kommt                     maßnahmen bei ersten Anzeichen einer
dern fraktioniert und unter kardiorespira-       es einerseits zu einem Anstieg der Herz-                 anaphylaktischen Reaktion, bei höherem
torischem Monitoring durchgeführt wer-           frequenz und zu einer positiv inotropen                  Schweregrad nach kardiorespiratorischer
den. Anschließend kann die Dauerinfu­            Reaktion, durch die β2-adrenerge Wirkung                 Stabilisierung. Wenngleich auch bei dieser
sion in einer Dosierung von 0,05–1,0 µg/         wird andererseits eine Bronchodilatation                 Substanzgruppe die Evidenz für die Wir-
kg/min fortgeführt werden.                       sowie eine Verminderung der Ausschüt-                    kung im Rahmen der Anaphylaxie um-
   Die inhalative Applikation ist im Be-         tung von Mediatoren der Inflammation                     stritten ist [7], was sich unter anderem in
handlungsregime definitiv von unterge-           u. a. aus Mastzellen und basophilen Gra-                 den unterschiedlichen Stellenwerten der
ordneter Bedeutung und in der Praxis le-         nulozyten erreicht.                                      Antihistaminika innerhalb der verschie-
diglich bei der Therapie des Larynxödems            Im Gegensatz zur Anwendung von Ad-                    denen internationalen Leitlinien nieder-
von Relevanz, weniger auch noch bei              renalin bei Erwachsenen existieren im Kin-               schlägt, so kann ihnen doch ihr zentraler
der asthmatischen Reaktion. Der Grund            desalter hierzu keine relevanten Kontra-                 Angriffspunkt im Rahmen der patho-
hierfür liegt einerseits in der hohen An-        indikationen, da die Rate von Komorbidi-                 physiologischen Abläufe der Anaphyla-
zahl notwendiger Inhalationen, um ei-            täten wie koronaren Erkrankungen oder                    xie nicht abgesprochen werden. Ein Effekt
nen systemischen Wirkspiegel zu erzie-           Herzrhythmusstörungen vernachlässig-                     zumindest bei der Urtikaria und der aller-
len, und andererseits in der nachgewie-          bar ist. In einzelnen Fällen wie dem Vor-                gischen Rhinokonjunktivitis scheint als
senen Schwierigkeit, insbesondere bei            liegen einer hypertrophen obstruktiven                   gesichert zu gelten [9, 13]. Dennoch muss
pädiatrischen Patienten Inhalationen im          Kardiomyopathie oder einer tachykarden                   auch hier wieder auf die Gefahr hingewie-
Bedarfsfall durchzuführen [10]. Als inha-        Herzrhythmusstörung muss eine indivi-                    sen werden, dass bei leichten anaphylak-
latives Epinephrin stehen InfectoKrupp®          duelle Nutzen-Risiko-Abwägung vorge-                     tischen Reaktionen möglicherweise durch
Inhal als Zerstäubersystem (2–4 Hub al-          nommen werden.                                           das Abwarten des therapeutischen Ef-
le 3–5 min) oder aber als Inhalationslö-                                                                  fektes einer alleinigen Gabe eines H1-An-
sung zur Verneblung via Kompressions-            Volumensubstitution                                      tihistaminikums die Applikation von Adre-
vernebler (1 ml/10 kg KG) bzw. Taschen-            Eine Anwendung von Adrenalin ohne                      nalin unnötig lange herausgezögert wer-
vernebler zur Verfügung. Primatene Mist®         Volumensubstitution macht keinen Sinn.                   den kann.
als Dosieraerosol ist nur noch über eine         Zur Behandlung der durch Vasodilatation                     Im Gegensatz zum Adrenalin besitzen
internationale Apotheke zu beziehen. Kei-        und Plasmaexsudation bedingten Hypo-                     H1-Antihistaminika eine größere thera-
nes der inhalativen Adrenalinpräparate ist       volämie mit resultierender Hypotonie und                 peutische Breite. Für die zu empfehlende

Pädiatrische Allergologie ∙ Sonderheft Anaphylaxie 2011                                                                                          15
Therapie

i.v.-Applikation sind für diese Indikation      lation. Die Dosierungsempfehlungen lie-     Kind wird in Rückenlage positioniert, der
nur Dimetinden (Fenistil® 0,05–0,1 mg/          gen bei 1–2 (–10) mg Prednisolonäquiva-     Kopf mit einer Hand leicht rekliniert und
kg KG) und Clemastin (Tavegil® 0,03 mg/         lent/kg KG.                                 der Mund mit der anderen Hand geöff-
kg KG) zugelassen. Wegen der als Neben-                                                     net. Für nicht länger als zehn Sekunden
wirkung möglichen Hypotension sollte            Kardiopulmonale Reanimation                 wird festgestellt, ob eine Eigenatmung
die intravenöse Gabe langsam, am besten            Bei einer anaphylaktischen Reak­tion     vorliegt (Beobachtung einer Thoraxexkur-
als Kurzinfusion, vorgenommen werden.           vom Schweregrad IV mit Atem- oder           sion, Hören eines Atemgeräusches oder
    Während bereits im Erwachsenenalter         Kreislaufstillstand wird mit der Reanima-   Fühlen eines Atemstromes). Sollten keine
die Empfehlung, ab dem Schweregrad II           tion entsprechend der aktuellen Leitlinie   suffiziente Atmung vorliegen oder Zwei-
zusätzlich zu H1-Antihistaminika H2-Anti-       (European Resuscitation Council Guide-      fel an einer suffizienten Atmung beste-
histaminika zu geben, auf dünner Daten-         lines for Resuscitation 2010) begonnen      hen, werden nach Ausschluss einer Atem­
lage beruht, kann diese Empfehlung für          (Abb. 2). Bezüglich der medikamentösen      wegs­obstruktion (z. B. durch Erbrochenes)
das Kindesalter nicht wirklich gerechtfer-      Behandlung gelten die o. g. Richtlinien.    fünf Beatmungen durchgeführt; anschlie-
tigt werden, zumal im Kindesalter nur Ra-       Wiederum gilt, sich zügig einen Über-       ßend wird erneut die Eigenatmung des
nitidin als injizierbares Medikament zu-        blick über den kardio-respiratorischen      Kindes überprüft. Die Beatmung erfolgt
gelassen ist.                                   Zustand des Kindes zu verschaffen. Das      bevorzugt mit einem Beutel und pas-
                                                                                                 sender Gesichtsmaske mit 100 % Sau-
β2-Sympathomimetika                                                                              erstoffsupplementation. Eine Intuba-
   Beim Auftreten einer Bronchokon-                   Kardiopulmonale Reanimation                tion auch im Verlauf der Reanimation
striktion sollte neben der Adrenalin-                        bei Anaphylaxie                     sollte prinzipiell nur von erfahrenen
gabe zusätzlich mit einem inhalativen                  im Kindes- und Jugendalter                Personen durchgeführt werden, an-
β2-Sympathomimetikum behandelt                                                                   sonsten stellt eine suffizient durch-
werden. Dies kann entweder als Do-                                                               geführte Maskenbeatmung in jedem
sieraerosol (vornehmlich mit Inhalier-                       Nicht ansprechbar?                  Fall eine sicherere Maßnahme dar als
hilfe), z. B. beginnend mit Salbutamol                                                           heroische Fehlversuche. Sollten Re-
2 Hub, Fortführung der Applikation je                                                            aktionen des Kindes wie Husten oder
nach klinischem Effekt, oder aber über                                                           Einsetzen einer Eigenatmung ausblei-
einen Kompressionsvernebler appli-                           Hilfe herbeirufen                   ben, wird innerhalb von zehn Sekun-
ziert werden.                                                                                    den der Puls entweder an der A. ca-
                                                                                                 rotis (bei Kindern > 1 Jahr) oder an
Glukokortikoide                                                                                  der A. brachialis (Säuglinge) ertastet
                                                             Atemwege öffnen
   Aufgrund der fehlenden Studien-                                                               (alternativ altersunabhängig an der
lage zur Bedeutung der Glukokorti-                                                               A. femoralis). Ist ein Puls tastbar, wird
koidgabe in der Behandlung der Ana-                                                              solange die Beatmung fortgeführt,
phylaxie wird die Anwendung nicht in                      Keine normale Atmung?
                                                                                                 bis eine Eigenatmung einsetzt. Bei
allen internationalen Leitlinien emp-                                                            Pulslosigkeit oder einem Puls < 60/
fohlen. In Deutschland wird die Gabe                                                             min wird sofort mit der Thoraxkom-
aufgrund der unterschiedlichen Wirk-                                                             pression und Beatmung im Verhältnis
effekte vertreten, wenngleich explizit                         5 Atemstöße                       15:2 (bei zwei Helfern) oder 30:2 bei
auf den verzögerten Eintritt derselben                                                           einem Helfer fortgeführt. Der Hand-
hingewiesen werden muss; eine spe-                                                               ballen der einen Hand wird eine Fin-
zifische Wirkung tritt frühestens nach                                                           gerbreite oberhalb des Xyphoids auf
30 Minuten ein. Vor diesem Hinter-                         Keine Lebenszeichen?                  die untere Sternumhälfte aufgesetzt,
grund ist die Gabe von Glukokortiko-                                                             so dass der Druck nicht auf die Rip-
iden auch nicht als Therapie der aku-                                                            pen übertragen wird. Durch Kompres-
ten Phase zu verstehen, wenngleich                                                               sion mit durchgestreckten Armen in
dies in der Praxis häufig irrtümlich so                   10 Thoraxkompressionen                 senkrechter Position über dem Thorax
gehandhabt wird. Ein Effekt besteht                                                              des Kindes wird am ehesten gewähr-
möglicherweise eher in der Behand-                                                               leistet, dass die Thoraxkompression
lung der protrahierten oder der bipha-                                                           ausreichend tief (min­des­tens 1/3 des
                                                               2 Atemstöße
sischen Reaktion sowie beim Asthma                        15 Thoraxkompressionen                 anterio-posterioren Thoraxdurchmes-
bronchiale [2]. Dieser besteht in einer                                                          sers, ca. 4 cm bei Säuglingen, ca. 5 cm
antiinflammatorischen Wirkung sowie                                                              bei Klein- und Schulkindern) mit einer
in einer Verbesserung der Mikrozirku-        Abb. 2                                              Frequenz von 100–120/min erfolgt.

16                                                                                 Pädiatrische Allergologie ∙ Sonderheft Anaphylaxie 2011
abläufe im gesamten Team durchgespro-
   Notfallausrüstung zur Behandlung anaphylaktischer Reaktionen in der Praxis                   chen und praktisch geübt werden. Eine
                                                                                                Hilfe ist ferner die Platzierung einer „Not-
    Monitoring                       Stethoskop, Blutdruckmessgerät                             fallkarte“ oder eines „Notfallposters“ mit
    i.v.-Zugang                      Stauschlauch, Spritzen, Venenverweilkanülen, Infusions-    allen wichtigen Handlungsschritten sowie
                                     besteck                                                    der Medikamentendosierungen an einer
    Atemwegsmanagement               Sauerstoff mit Maske/Brille, Guedel-Tubus, Ambu-Beutel,    zentralen Stelle.
                                     Absaugvorrichtung, Intubationsbesteck
                                     Bronchodilatator (rasch wirksames β2-Sympatho­mimetikum                 Schlussfolgerung
                                     zur Inhalation)
    Kardiovaskuläres Management      Adrenalin zur Injektion                                       Eine anaphylaktische Reaktion stellt im-
                                                                                                mer eine Notfallsituation dar, die eine zü-
                                     Infusionslösungen (physiologische NaCl-/Elektrolyt­
                                     lösungen, kolloidale Lösungen)                             gige Erfassung des Ausmaßes und der be-
                                                                                                teiligten Organe erfordert. Dadurch wird
    Management der allergischen      H1- und H2-Antihistaminika zur intravenösen Injektion
    Inflammation                                                                                Zeit für eine suffiziente Therapie gespart.
                                     Glukokortikoid zur intravenösen Injektion                  Adrenalin ist die zentrale Substanz für die
                                                                                                Behandlung der anaphylaktischen Reak-
Tab. 2                                                                                          tion, die Applikation ist praktisch zu kei-
                                                                                                nem Zeitpunkt der Behandlung kontra-
Nach jeder Kompression muss der Druck                              Organisation                 indiziert und erfolgt bevorzugt intramus-
komplett vom Thorax genommen wer-                                                               kulär. Klare Absprachen und eine vorbe-
den. Frühzeitig sollte ein intravenöser Zu-         Noch vor Eintritt des Falls der Fälle ist   sprochene Organisation des Handlungs-
gang gelegt werden, bei frustranen Ver-          neben der Vorhaltung des entsprechen­          ablaufes mit dem Praxis- oder Klinikteam
suchen aufgrund deprimierter Kreislauf-          den Instrumentariums und der Medika-           sind eine wichtige Voraussetzung für ei-
situation kann alternativ ein intraossärer       mente eine klare Organisation (wo ist der      nen glatten Ablauf der Behandlung.
Zugang gewählt werden (s. o.).                   Notfallkoffer lokalisiert) sowie eindeu-
   Sind mehr als ein Helfer anwesend,            tige Absprache der Zuständigkeiten (wer        PD Dr. med. Christian Vogelberg
sollte ein erster mit den Reanimations-          überprüft in welchen Abständen die Halt-       Universitätsklinikum Carl Gustav Carus an
maßnahmen beginnen, während der                  barkeit der Notfallmedikamente sowie die       der TU Dresden, Klinik und Poliklinik für Kin-
zweite Hilfe herbeiruft. Für den Fall, dass      Funktionstüchtigkeit des Instrumentari-        der- und Jugendmedizin, Bereich Broncho-
nur ein Helfer vor Ort ist, sollte dieser zu-    ums, wer übernimmt welche Aufgabe in-          pneumologie/Allergologie
nächst mit der Reanimation beginnen,             nerhalb der Notfallbehandlung) im Klinik-      Fetscherstr. 74, 01307 Dresden
nach einer Minute aber dann unterbre-            oder Praxisteam notwendig. In regelmä-         E-Mail: christian.vogelberg@uniklinikum-
chen und Hilfe anfordern.                        ßigen Abständen sollten die Handlungs-         dresden.de
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