MHR Mitteilungen des Hamburgischen Richtervereins Nr. 1/2021 - Hamburgischer Richterverein
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MHR Mitteilungen des Hamburgischen Richtervereins Nr. 1/2021 I N H AL T 15. März 2021 ____________________________________________________ Editorial (Lanzius) 2 Bericht über die Veranstaltung des HRV zum Versorgungsrechner (Lanzius) 3 Bericht von Inken von Gadow über ihre Tätigkeit als Leiterin der Personalabteilung der Behörde für Justiz und Verbraucherschutz 5 Zur Bedeutung des Initiativrechts im Beförderungsverfahren (Dose) 11 Aus der Rechtsprechung (Rinio) 14 Presse-Information der Debeka 21 Internationale Presse (Hirth) 22 Redaktionsschluss 2 Herausgeber: Hamburgischer Richterverein e.V. Verband der Richter und Staatsanwälte im Deutschen Richterbund Sievekingplatz 1, Ziviljustizgebäude, 20355 Hamburg Hamburger Sparkasse, IBAN: DE68200505501280143601, BIC: HASPDEHHXXX verantwortlicher Redakteur: RiAG Dr. Tim Lanzius (040) 4013 8175 mhr(at)richterverein.de www: richterverein.de/mhr Druck: Justizvollzugsanstalt Fuhlsbüttel Die Kosten sind im Mitgliedsbeitrag enthalten
2 MHR 1/2021 Editorial der Personalabteilung der Behörde für Justiz und Verbraucherschutz. In der Rubrik „Aus der Rechtsprechung“ zeigt uns unser Kollege Liebe Kolleginnen, liebe Kol- Carsten Rinio unter anderem, welche rechtli- legen, chen Probleme dass gut gemeinte Ver- schenken von Schokoladenweihnachtsmän- nern nach sich ziehen kann. Corona und kein Ende - das ist nach wie vor Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich wün- leider der Stand der Dinge. Veranstaltungen sche Ihnen viel Vergnügen beim Lesen die- können - wenn überhaupt - nur sehr einge- ser Ausgabe der MHR. schränkt stattfinden. Dementsprechend we- Herzlichst nig gibt es in der MHR auf diesem Feld zu berichten. Die Redaktion plant vor diesem Ihr Tim Lanzius Hintergrund, in diesem Jahr lediglich drei Ausgaben der MHR herauszugeben. Seitens des Richtervereins konnte vor kur- RiAG Dr. Tim Lanzius zem eine Online-Informationsveranstaltung AG Hamburg-St. Georg, Abt. 912 zum Online-Versorgungsrechner des Zent- Tel.: 040 / 4013 8175 rums für Personaldienste durchgeführt wer- den (siehe hierzu den Artikel in diesem Heft). Diese Informationsveranstaltung hat einen großen Anklang gefunden. Es haben knapp 100 Kolleginnen und Kollegen teilgenom- men. Die Veranstaltung machte auch offen- bar, welche Vorteile Online-Veranstaltungen haben können. Eine Präsenzveranstaltung Als Redaktionsschluss für die MHR mit 100 Teilnehmern lässt sich schon aus 2/2021 ist vorerst der 25.6.2021 no- Platzgründen nur mit einigem Aufwand reali- tiert. Je nach Nachrichtenlage würde sieren. Zudem konnte in der Online- Veranstaltung jeder Teilnehmer die Präsen- der Redaktionsschluss auf ein späte- tation des Versorgungsrechners (der in der res Datum verschoben werden und Veranstaltung live vorgeführt wurde) bequem die MHR entsprechend später am eigenen Bildschirm mitverfolgen. erscheinen. Die Veranstaltung zum Versorgungsrechner wird auch nicht die einzige Veranstaltung des Richtervereins in diesem Jahr bleiben. Die- ses Jahr soll die - im letzten Jahr coronabe- dingt ausgefallene - Ordentliche Mitglieder- versammlung wieder stattfinden. Das genaue Datum hierzu steht noch nicht fest. Ebenso steht noch nicht fest, ob die Mitgliederver- sammlung als Präsenzveranstaltung, als rei- ne Online-Versammlung oder als hybride Versammlung (d.h. sowohl als Präsenzver- anstaltung als auch online) stattfinden wird. Sie erhalten hierzu rechtzeitig Nachricht. Glücklicherweise gibt es auch noch Themen abseits von Corona. So blickt unsere Kolle- gin Inken von Gadow in ihrem Artikel in die- sem Heft zurück auf ihre Tätigkeit als Leiterin
MHR 1/2021 3 Weise lässt sich die Höhe der Pension für Der Versorgungsrechner eine Vielzahl von Konstellationen berechnen. Der Versorgungsrechner bietet damit einen „Schon jetzt für das Alter vorsorgen“. Diesen klaren Mehrwert gegenüber einer jährlichen Satz liest man häufig, wenn es um die Alters- Renteninformation, in der regelmäßig die rente bzw. um die Pension geht. Regelmäßig Rentenhöhe nur für einen bestimmten Ein- stellt sich hierbei die Frage, wie hoch die trittszeitpunkt in den Ruhestand angegeben Pension eigentlich ist. Schließlich kann man wird. Versorgungslücken nur dann schließen, wenn man weiß, wie hoch die Altersversor- Um den Schutz seiner persönlichen Daten gung überhaupt ist. braucht man sich übrigens keine Sorgen zu machen: die Dateneingabe erfolgt (mit Aus- Zur Berechnung der Höhe der Pension hat nahme des Geburtsdatums) anonym. Der das Zentrum für Personaldienste (ZPD) ei- Referent Herr Walter versicherte auch, dass nen Online-Rechner entwickelt, den Versor- es keine Schnittstellen zwischen dem Ver- gungsrechner. Dieser Versorgungsrechner sorgungsrechner und Echtdaten gebe. Das ermöglicht es jedem, die Höhe seiner Pensi- bedeutet, dass der Versorgungsrechner nicht on selbst zu berechnen. Durch den Versor- auf anderswo gespeicherte Personaldaten gungsrechner soll die persönliche Versor- zugreifen kann und umgekehrt. gungsberatung durch das ZPD weitgehend abgelöst werden; Anträge auf Versorgungs- Der Vortrag von Herrn Walter sowie seine beratung sollen nur noch im Einzelfall mög- Live-Präsentation des Versorgungsrechners lich sein. waren sehr anschaulich und fundiert; das Feedback der Teilnehmer durchweg positiv. Aber: Wie funktioniert dieser Versorgungs- Eine gleichwertige Wiederholung des Vor- rechner eigentlich? Und lässt er sich auch trags ist an dieser Stelle natürlich nicht mög- ohne vertiefte IT-Kenntnisse bedienen? Zur lich. Die nachfolgenden Ausführungen be- Klärung dieser und weiterer Fragen rund um schränken sich daher auf Anmerkungen zu den Versorgungsrechner haben der Ham- den einzelnen Bedienungsschritten. Die burgische Richterverein und das ZPD in Per- Powerpointpräsentation von Herrn Walter son von Alexander Walter kürzlich eine Onli- finden Sie auf der Internetseite des Hambur- ne-Informationsveranstaltung durchgeführt. gischen Richtervereins (www.richterverein. Dabei führte Herr Walter den Versorgungs- de) unter der Rubrik „Download“. rechner und seine Bedienung live am Bild- schirm vor. Zur Vorbereitung der Berechnung empfiehlt Die Vorteile des Versorgungsrechners wur- es sich, einen Lebenslauf für die Zeit nach den schnell offenbar: der Versorgungsrech- dem Abitur zu erstellen, in dem sämtliche ner ermöglicht es, jederzeit eine Auskunft Studien-/ Ausbildungszeiten sowie ggfs. ab- über die Höhe seiner Pension zu erhalten. geleisteter Wehrdienst/ Ersatzdienst oder Bei einer Änderung der persönlichen Ver- auch eine vorangegangene anderweitige hältnisse kann die Berechnung jederzeit Berufstätigkeit (wie z. B. als Rechtsanwalt) durch Anpassung der Daten aktualisiert wer- aufgeführt sind. Hintergrund ist, dass nicht den. Auf diese Weise werden auch Planspie- nur die Tätigkeit als Richter oder Staatsan- le möglich, bei denen man beispielsweise walt, sondern auch andere Dienstzeiten ru- verschiedene Zeitpunkte für die Pensionie- hegehaltsfähig und damit für die Berechnung rung eingibt, um auf diese Weise zu ermit- der Pension relevant sein können. Bei- teln, um wie viel geringer die Pension bei spielsweise ist Wehrdienst/ Ersatzdienst einem früheren Eintritt in den Ruhestand ebenso wie das Referendariat in vollem Um- ausfällt. Ebenso ermöglicht es der Versor- fang ruhegehaltsfähig. Das Jurastudium ist gungsrechner, die Höhe der Pension für den mit einem Zeitraum von maximal vier Jahren Fall einer (hoffentlich nicht eintretenden) ruhegehaltsfähig. Eine vorhergehende Tätig- Dienstunfähigkeit zu bestimmen. Auf diese keit als Rechtsanwalt ist zur Hälfte ruhege- haltsfähig bis zu einem Zeitraum von maxi-
4 MHR 1/2021 mal vier Jahren. Je mehr ruhegehaltsfähige reichen der Regelaltersgrenze oder auch ein Zeiten zusammenkommen, desto höher ist früherer Eintritt aufgrund eines entsprechen- die Pension. Einzelheiten zu diesem The- den Antrags). menkomplex finden Sie im Leitfaden „Be- Daneben werden unter Schritt 3 noch Anga- messung der ruhegehaltsfähigen Dienstzeit“. ben für die Berechnung von Kindererzie- Dieser ist abrufbar über die Internetseite hungszuschlägen abgefragt sowie Angaben https://www.hamburg.de/zpd/ versorgungs- zu anzurechnenden Renten und Einkommen rechner/ 11615596/ berechnung-des- sowie zu Kürzungen aufgrund eines Versor- ruhegehalts/. Seitens des ZPD ist geplant, gungsausgleichs. diesen Leitfaden um einen Abschnitt zu er- weitern, der sich speziell mit der Situation Für den Schritt 4 benötigt man den eingangs von Richtern und Staatsanwälten befasst. erstellten Lebenslauf. Hier sind nun die ent- sprechenden Tätigkeiten einzutragen. Am Nach der Erstellung des Lebenslaufs ist es besten trägt man die Tätigkeiten in aufstei- Zeit, den Versorgungsrechner zu starten. gender Reihenfolge ein, beginnend mit dem Dieser findet sich im Internet unter: Studium. Neue Tätigkeiten können durch https://versorgungsrechner.zpd.de. einen Klick auf das gelb hinterlegte Pluszei- Unter Schritt 1 gebe man sein Geburtsdatum chen eingefügt werden. ein. Falls man bereits eine Berechnung Am Ende von Schritt 4 erhält man dann eine durchgeführt hat und diese modifizieren will, Berechnung seiner Pension. gebe man die entsprechende Identifikations- nummer ein (zu dieser Identifikationsnummer Liebe Kolleginnen und Kollegen, der erste noch später). Eindruck vom Versorgungsrechner im An- Unter Schritt 2 gebe man an, an welchem schluss an den Vortrag ist (aus meiner Sicht) Tag das Beamtenverhältnis begründet wor- absolut positiv. Es gilt nun, im Umgang mit den ist. Sofern man sich vor der Aufnahme dem Versorgungsrechner weitere Erfahrun- der Tätigkeit als Richter oder Staatsanwalt gen zu sammeln. Bitte fühlen Sie sich einge- bereits schon einmal in einem Beamtenver- laden, die Leserschaft der MHR an Ihren Er- hältnis befunden hat (beispielsweise weil im fahrungen teilhaben zu lassen. Vielleicht Referendariat eine Verbeamtung auf Wider- lässt sich in diesem Rahmen auch die eine ruf erfolgt ist), gebe man das Datum der er- oder andere Frage klären. neuten Begründung des Beamtenverhältnis- ses (d. h. hier das Datum des Eintritts in das Tim Lanzius Amt als Richter oder Staatsanwalt) an. An- schließend muss man noch die Beamtenka- tegorie sowie einige weitere für die Berech- nung relevante Informationen angeben (die entsprechenden Felder sind aus meiner Sicht selbsterklärend). Nach einem Klick auf „Weiter zum nächsten Schritt“ werden die eingegebenen Daten zu- nächst zusammengefasst. In dieser Zusam- menfassung findet man auch die bereits oben erwähnte Identifikationsnummer. Unter Schritt 3 fragt der Versorgungsrechner ab, wann der Eintritt in den Ruhestand erfol- gen soll. Durch Eingabe unterschiedlicher © Pixabay Daten für den ersten Ruhestandstag lassen sich verschiedene Eintrittsszenarien durch- spielen (beispielsweise der Eintritt nach Er-
MHR 1/2021 5 sonalabteilung insgesamt verbunden. Eine Vier Jahre Leitung der Perso- Veränderung im Zuschnitt der Zuständigkei- nalabteilung der Behörde für ten der Abteilung brachte 2005 die Gründung Justiz und Verbraucherschutz der GPB – der Gemeinsamen Personalabtei- lung und Bezügeabrechnung. Die Personal- verwaltung für die Gerichte und Staatsan- Zum 1. April 2020 beende ich nach mehr als waltschaften wurde aus der Behörde ausge- vier Jahren meine Abordnung in die Behörde gliedert und weitgehend auf die GPB beim für Justiz und Verbraucherschutz und meine Hanseatischen Oberlandesgericht übertra- Tätigkeit in der Leitung der Personalabtei- gen. Die GPB übernimmt seither die gesam- lung. te Personalsachbearbeitung für OLG, LG, Übernommen hatte ich diese Aufgabe am 1. OVG, VG, FG die Staatsanwaltschaften so- März 2017. Zuvor war ich seit meiner Ernen- wie für die Arbeits– und Sozialgerichte. Das nung im Dezember 2006 bereits etwas in der Amtsgericht verfügte bereits vor der Grün- Hamburger Justiz herumgekommen: Nach dung der GPB (und danach auch weiterhin) Proberichterjahren am Verwaltungsgericht, über eine eigene Personalabteilung. Die am Landgericht und in der Justizbehörde Personalverwaltung für den Strafvollzug war wurde ich 2009 zur Richterin am Landgericht ebenfalls eigenständig geregelt, sie oblag ernannt. Es folgten weitere Jahre am Land- ursprünglich dem Strafvollzugsamt. Erst im gericht, zwei Erprobungsjahre am OLG (im Jahr 2014 wurde im Zuge einer Umstruktu- Gemeinsamen Prüfungsamt und im 6. Zivil- rierung der Behörde die Personalsachbear- senat), dann wieder eine Tätigkeit am Land- beitung (ohne die Personaldisposition) für gericht, bis ich nach der Auswahlentschei- den Strafvollzug der Personalabteilung an- dung für die Leitung der Personalabteilung gegliedert, die damit wieder anwuchs. zur Richterin am Oberlandesgericht befördert Die Personalabteilung der Behörde leistet wurde. seither die Personalverwaltung für das Per- Noch nie war ich so lange auf ein und der- sonal der Behörde selbst und für die Perso- selben Stelle wie in diesen vergangenen vier nalsachbearbeitung des Strafvollzugs, sie ist Jahren. Das Stationenmodell, Unterbrechun- zuständig für Grundsatzangelegenheiten des gen durch Mutterschutz und Elternzeiten, höheren, gehobenen, mittleren und einfa- später die Erprobung, hatten bis dahin spä- chen Justizdienstes der gesamten Justiz, für testens nach zwei Jahren immer einen Aus- und Fortbildung, sie übt die Dienstauf- Wechsel bewirkt. sicht über die Gerichte aus, betreut die An- gelegenheiten des Richterwahlausschusses Nun kehre ich nach diesen spannenden und und des Bundesrichterwahlausschusses, ist herausfordernden Jahren voller Vorfreude zuständig für überbehördliche Personalange- wieder in die Rechtsprechung zurück – zu- legenheiten, für das Team für Beratung und nächst im Wege einer Abordnung an das Gesundheit und seit kurzem für die neu ein- Oberverwaltungsgericht. Von meinem länge- geführten Gesundheitslotsen. ren Exkurs in die Welt der Exekutive möchte ich hier berichten: Der Aufgabenbereich des in die Personal- verwaltung der Behörde abgeordneten Rich- In der Personalverwaltung der Justizbehörde ters bzw. der abgeordneten Richterin hatte hatten eine abgeordnete Richterin oder ein sich damit im Laufe der Jahre gegenüber abgeordneter Richter früher eine Referats- dem ursprünglichen Modell einer Referatslei- leiterstelle (in Vollzeit) inne mit Zuständigkeit tung für den höheren Justizdienst stark er- ausschließlich für die Angelegenheiten des weitert; er ist schrittweise inhaltlich und als höheren Justizdienstes (Richter und Staats- Führungsaufgabe umfangreicher geworden. anwälte, inkl. Fortbildung und RWA- Heute sind in der Personalabteilung rund 50 Geschäftsstelle). Erst Ende der 90er Jahre Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern tätig. wurde daraus eine Abteilungsleitung, noch später wurde diese mit der Leitung der Per-
6 MHR 1/2021 Man darf sich dabei nichts vormachen: Die Jahr laufenden Projekte zur Einführung von Abteilungsleitung durch eine – in der Regel Gesundheitslotsen und zur Nachwuchsge- nach drei oder vier Jahren wechselnde - ab- winnung. In den Zuständigkeitsbereich der geordnete Person aus der Richterschaft ruft Stelle des abgeordneten Richters oder der bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern seit abgeordneten Richterin gehören hingegen jeher nicht nur Begeisterung hervor - bei aller die Dienstaufsicht über die Gerichte, Kollegialität und Loyalität gegenüber der je- weiligen Führungskraft. Denn eine Richterin die Grundsatzangelegenheiten des höhe- oder ein Richter bringt in aller Regel keine ren Justizdienstes, im Zusammenhang Kenntnisse des Kerngeschäfts der Personal- damit die Angelegenheiten der Personal- verwaltung mit und keine Erfahrung in der gewinnung und –auswahl des höheren Wahrnehmung von Führungsaufgaben. Er Justizdienstes, d.h. die Begleitung aller oder sie startet also in der Regel unvorberei- Einstellungs- und Beförderungsverfahren tet aber – beschwingt durch die mit der Aus- von Richterinnen, Richtern, Staatsanwäl- wahl für diese Stelle einhergehende Beförde- tinnen und Staatsanwälten, rung in ein Amt der Besoldungsgruppe R 2 - die Aufsicht über die Angelegenheiten mit neuen Ideen und Projekten, die möglichst des Hamburger Richterwahlausschusses im Laufe der drei- bis vierjährigen Abord- und der Geschäftsstelle des Richterwahl- nungszeit verwirklicht werden sollen. ausschusses, In dieser Hinsicht bot sich eine Gelegenheit die Ausbildung für die Ausbildungsberufe zur Veränderung, als ich die Abteilungslei- des allgemeinen Justizdienstes und seit tung erstmals als Teilzeitkraft übernahm (in kurzem auch für den allgemeinen Verwal- den ersten Monaten noch mit 50 % der re- tungsdienst, gelmäßigen Arbeitszeit, sehr schnell dann aufgestockt auf 75%). Die Stelle war als die Fortbildung und Personalentwicklung „Vollzeit, auch teilzeitgeeignet“ ausgeschrie- sowie Gleichstellung, ben worden und ich hatte es mit meiner Be- schließlich die überbehördlichen Perso- werbung darauf ankommen lassen, ob man nalangelegenheiten des höheren Justiz- mich in Betracht ziehen würde. Mich reizte dienstes, u.a. des Bundesrichterwahlaus- die Aufgabe so sehr, dass ich es eben wag- schuss. te. Mit der Auswahl für die Stelle erhielt ich die Zusicherung der damaligen Behördenlei- In dem direkten Verantwortungsbereich die- tung, dass man – ohnehin als erforderlich ser Stelle sind derzeit rund 20 Mitarbeiterin- erkannte – Umstrukturierungsmaßnahmen nen und Mitarbeiter tätig. unterstützen würde, die Leitung der Abtei- Diese Aufteilung bewirkt eine sachgerechte lung auf neue Füße stellen und zugleich eine und befriedigendere Wahrnehmung der Auf- Leitung in Teilzeit ermöglichen würde. Ich gaben sowohl aus Sicht der Leitungsebene startete mit dieser Zusage zunächst in der als auch aus Sicht der Mitarbeiterinnen und alten Struktur als alleinige Abteilungsleiterin Mitarbeiter der Abteilung. Ob die Wahrneh- mit einem Referatsleiter der Abteilung als mung dieser noch immer umfangreichen Lei- meinem Stellvertreter. Später haben wir die tungsaufgabe in Teilzeit gelingt? Ich habe Leitung der Abteilung zu einer sogenannten hierzu von der Behördenleitung, von den Tandem- oder Teamleitung mit wechselseiti- Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus der ger Vertretung bei entsprechender Aufga- Abteilung und aus Gerichten und Staatsan- benverteilung umgestaltet. In der neuen waltschaften nur positive Rückmeldungen Struktur ist der dauerhaft in der Verwaltung erhalten. Allerdings soll nicht geleugnet wer- tätige Kollege zuständig für die Angelegen- den, dass ich mir im vergangenen Jahr an- heiten des Personals in der Behörde selbst gesichts der zusätzlichen Arbeitslast in der und des Strafvollzugs nebst den dazu gehö- Corona-Krise eine – damals nicht mögliche – renden Grundsatz- und überbehördlichen Aufstockung auf 100 % gewünscht und diese Angelegenheiten sowie für die seit einem
MHR 1/2021 7 faktisch gelebt habe. Meine Nachfolge ist als herausfordernden aber immer bereichernden Vollzeitstelle ausgeschrieben worden und Eindrücken. wird als solche besetzt. Gleichzeitig wird der Neueinstellungen, Lebenszeiternennungen Verantwortungsbereich der Stelle zeitgleich und Beförderungen bedürfen eines zustim- mit meinem Weggang reduziert, da künftig menden Votums des Richterwahlausschus- keine wechselseitige Vertretung innerhalb ses; gleichwertige Versetzungen und Abord- der Leitung der Personalabteilung mehr er- nungen aus einem anderen Bundesland folgt. werden ihm zumindest zur Kenntnis ge- Mein persönliches Fazit ist: Die Wahrneh- bracht. Die Betreuung dieses Gremiums ist mung von Leitungsaufgaben in der Justiz- eine spannende Erfahrung. 14 Mitglieder verwaltung in Teilzeit ist möglich. Sie bedarf sind bei jeder Abstimmung stimmberechtigt: der Flexibilität in der persönlichen Organisa- drei Vertreter/innen des Senats (nämlich tion und vor allem des klaren Bekenntnisses derzeit die Justizsenatorin, ihre Staatsrätin und wirklichen Willens aller Beteiligten, sie sowie der Staatsrat der Senatskanzlei), zu ermöglichen. In der Abteilung wird ge- sechs von der Bürgerschaft gewählte Mit- genwärtig das für Aus- und Fortbildung, für glieder, zwei Mitglieder aus der Anwaltschaft Personalentwicklung und –gewinnung zu- oder (bei Personalentscheidungen für die ständige Referat (Z 21) von einer Kollegin in Arbeits- oder Sozialgerichtsbarkeit) zwei Mit- Teilzeit (75 %) geleitet, zwei weitere Füh- glieder der Spitzenorganisationen der Arbeit- rungskräfte in dem Referat arbeiten ebenfalls nehmer und Arbeitgeber, sowie drei Rich- in Teilzeit (80 % und 50 %). Ein engagierte- ter/innen (zwei ständige Mitglieder aus der res, zuverlässigeres, gründlicheres und da- Richterschaft sowie ein gerichtsspezifisches bei kreativeres Team ist für mich nicht vor- Mitglied für das jeweils von einer Personal- stellbar. entscheidung betroffene Gericht). Obwohl Die Zeit meiner Tätigkeit war geprägt durch nur 14 Mitglieder pro Abstimmung stimmbe- eine große Personaloffensive in der Ham- rechtigt sind, so nahmen doch – bis zu Be- burger Justiz: Dazu gehört die Ausbildungs- ginn der Corona-Krise - regelmäßig bis zu 50 offensive für unsere Justizsekretäre, Justiz- RWA-Mitglieder an den Sitzungen teil. Denn fachangestellten, Justizwachtmeister, Ge- jedes Gericht verfügt über ein gerichtsspezi- richtsvollzieher und Rechtspfleger, verbun- fisches Mitglied und jedes RWA-Mitglied den mit der Problematik einer gerechten Ver- über einen Stellvertreter oder eine Stellver- teilung der fertig ausgebildeten Nachwuchs- treterin mit gesetzlichem Anwesenheitsrecht. kräfte und der Nachqualifizierung von Quer- Vor der Corona-Krise waren die RWA- einsteingern. Hinzu kommen die vielen neu Sitzungen daher geprägt von Begegnungen geschaffenen Stellen an Gerichten und und Gesprächen vor und nach den Abstim- Staatsanwaltschaften - eine neue Hauptab- mungsvorgängen, während sie nun unter teilung für die Staatsanwaltschaft, neue Se- Einhaltung der geltenden Abstandsregeln nate am OLG und am OVG, mehrere neue und mit Maske in freiwillig verkleinertem Kammern am Landgericht, „Fixierungsrich- Kreis abgehalten werden. Über dreißig Sit- ter“ für das AG und, und, und... Die Zahlen zungen des Richterwahlausschusses habe sind aus der Presse hinlänglich bekannt. Für ich in den vergangenen vier Jahren organi- mich verbinden sich mit diesen Zahlen die siert und begleitet. Neben all den vielen vielen Persönlichkeiten, denen ich in den Neueinstellungen, Lebenszeiternennungen, vergangenen vier Jahren in den zahllosen R2- und R3-Beförderungen aus dieser Zeit Auswahlgesprächen für unsere fünf Ge- standen insgesamt acht Präsident/innen- und richtsbarkeiten und die beiden Staatsanwalt- Vizepräsident/innen-Stellen auf den Tages- schaften begegnen durfte - mit all den be- ordnungen. sonderen, bewegenden, berührenden, über- Gestaltungsmöglichkeiten bietet die Stelle in raschenden, beeindruckenden, manchmal der Leitung der Personalabteilung der Be- hörde für abgeordnete Richterinnen und
8 MHR 1/2021 Richter vor allem im Bereich der Fortbildung zum Fachwissen und zu Arbeitstechniken, und Personalentwicklung: Sicherheit, Supervision, Management-Tools Hamburg verfügt nicht über „das eine“ ge- & Leitungskompetenzen sowie Psychosozia- schlossene „Personalentwicklungskonzept“ le Unterstützung. Das Konzept beruht auf der für den höheren Justizdienst. Es sind jedoch Überzeugung, dass die Justiz in ihrer Ver- zahlreiche Angebote, Maßnahmen und antwortung als guter Arbeitgeber möglichst Strukturen vorhanden, die der Personalent- viele verschiedene Angebote zur Verfügung wicklung der Hamburger Richterinnen und stellen muss, um die Arbeitszufriedenheit Richter, Staatsanwältinnen und Staatsanwäl- und -leistung sowie die Gesundheit aller Be- te dienen. Diese werden aus den Gerichten schäftigten zu erhalten und den mit einer heraus oder von der Behörde für Justiz und Tätigkeit in der Justiz einhergehenden Belas- Verbraucherschutz angestoßen und umge- tungen gezielt zu begegnen. Diese Überzeu- setzt. Anspruch und Ziel von Personalent- gung verknüpft die vielfältigen Angebote aus wicklung ist es, die beruflichen Kompeten- der Personalabteilung der Behörde für Justiz zen, Potentiale und persönlichen Berufsziele und Verbraucherschutz zu einem ganzheitli- aller Beschäftigten zu erkennen, bestmöglich chen Ansatz. einzusetzen und ständig weiterzuentwickeln. Dabei ist es zunächst notwendig, dass Ham- Dabei dürfen nicht ausschließlich klassisch burger Richterinnen und Richter, Staatsan- beförderungsrelevante Fähigkeiten und Ei- wältinnen und Staatsanwälte wegen sich genschaften in den Blick genommen werden wandelnder Rechtsprechung oder Gesetzes- - insbesondere angesichts nur begrenzt vor- änderungen ein fachliches Fortbildungsan- handener Beförderungsmöglichkeiten. Es gebot wahrnehmen können müssen. geht vielmehr insgesamt um die Entwicklung Es gibt sodann ein stetig anwachsendes genereller juristischer und persönlicher Kom- Portfolio von Fortbildungen, das nicht juristi- petenz, die Arbeitszufriedenheit, Motivation, sches Fachwissen, sondern Arbeitstechniken Qualifikation und Gesundheit erhalten und und persönliche Stärken betrifft. Darunter stärken. Personalentwicklung orientiert sich fallen Seminare zu Rhetorik, Belastungsma- dabei an den beruflichen Lebensphasen, nagement/Resilienz und Veranstaltungen beginnend mit Studium, Referendariat und zum Stimmentraining oder zum Erlernen Einstellungsverfahren (Stichwort: gezielte mediativer Elemente. Nachwuchsgewinnung), über die Probezeit und Lebenszeiternennung, die Möglichkeit Die Fortbildungen werden von der Behörde von Sonderverwendungen in der Verwaltung, selbst entwickelt und angeboten oder von in Bundesgerichten oder –ministerien oder externen Einrichtungen und Organisationen, Auslandseinsätzen noch während der Pro- mit denen die Behörde zusammenarbeitet bezeit oder nach der Lebenszeiternennung, (wie der Deutschen Richterakademie, dem ehrenamtlichem Engagement neben dem Nordverbund, dem European Judicial Trai- Beruf, Engagement für die Ausbildung, einer ning Network u.s.w.). eventuellen Erprobung mit möglicher an- Ein besonderes Augenmerk haben wir bei schließender Beförderung bis hin zu geziel- den landeseigenen Fortbildungen auf die tem Wissenstransfer in den letzten Dienst- Qualifizierung von Dienstjüngeren und De- jahren und danach aus dem Ruhestand her- zernatswechselnden gerichtet. Vornehmlich aus. für diesen Adressatenkreis haben wir damit Arbeitsgrundlage des Referats Z 21 (Perso- begonnen, schrittweise verschiedene Modul- nalentwicklung und -gewinnung, Aus- und reihen zu erarbeitet und einzuführen. In mo- Fortbildung) in der Personalabteilung der natlich aufeinander folgenden Modulen wer- Behörde ist das von uns entwickelte Konzept den die für das jeweilige Rechtsgebiet und der „Stärkung der Justiz von innen“. Es fußt zur Dezernatsbearbeitung zentralen rechtli- auf sieben „Säulen der Unterstützung“ und chen Themen von erfahrenen Richterinnen deckt folgende Bereiche ab: Fortbildungen und Richtern, Staatsanwältinnen und Staats- anwälten referiert. Die Modulreihe Familien-
MHR 1/2021 9 recht ist im vergangenen Jahr erfolgreich prozessen unabhängiger Richterinnen und angelaufen; eine Modulreihe zum Strafrecht Richter geprägten Selbstverständnis der Ge- ist in Vorbereitung; weitere Modulreihen sol- richte hat hingegen lange keine Beachtung len folgen. gefunden, dass in Spruchkörpern und durch weitere Aufsicht führende Richterinnen und Ausgebaut haben wir in den vergangenen Richter zwar keine hierarchische Führung, Jahren darüber hinaus den interdisziplinären jedoch laterale Leitung erfolgt. Es bedarf Austausch in Kooperationsveranstaltungen auch für die Justiz einer gezielten Schulung mit anderen Behörden. Beispielsweise betei- von Führungs- und Leitungskompetenzen, ligen sich die Behörde für Arbeit, Gesund- damit effektive Strukturen der Zusammenar- heit, Soziales, Familie und Integration und beit und Entscheidung unterstützt werden, die Behörde für Justiz und Verbraucher- schutz regelmäßig gegenseitig an den für die Personalführung gut gestaltet wird und Be- jeweils andere Seite interessanten Fortbil- lastungen durch planvolle Steuerung vermie- dungsangeboten. den werden. Ergänzend werden Supervisionen angebo- Für die Staatsanwaltschaften hat die Behör- ten; auch dies haben wir in den vergangen de eine gesonderte Führungsqualifizierung Jahren deutlich ausweiten können. Supervi- etabliert, die Bausteinreihen für alle Ersten sionen stärken den fachlichen Austausch Staatsanwältinnen und Staatsanwälte sowie und die kollegiale Beratung. Sie bieten die Oberstaatsanwältinnen und Oberstaatsan- Möglichkeit, individuelle Strategien zum Um- wälte enthält. Ergänzend dazu werden gang mit Belastungen am Arbeitsplatz und Follow-Ups und thematische Einzelveranstal- zur Arbeitsorganisation zu entwickeln. Mitt- tungen nach Bedarf durchgeführt. lerweile gibt es 13 Supervisionsgruppen mit Schließlich können in Gruppen- oder Einzel- bis zu elf Teilnehmenden, die von jeweils coaching Bereiche oder Einzelpersonen ge- zwei ausgebildeten Supervisorinnen und Su- zielte Unterstützung erhalten, wenn sie durch pervisoren aus der Richterschaft und Staats- ihr Arbeitsumfeld (Öffentlichkeitsdruck, prob- anwaltschaft geleitet werden. lematische Führungssituation etc.) oder die Für einige Fachgebiete (Familienrecht, Straf- Inhalte ihrer Tätigkeit (Konfrontation mit Tod recht, Güterecht) besteht die Möglichkeit der und Leid) besonders belastet sind. In beson- Teilnahme an speziell auf diese richterlichen ders belastenden Situationen sollen darüber Thematiken und Bedürfnisse zugeschnitte- hinaus künftig speziell in Psychotraumatolo- nen Supervisionen, deren Kosten von der gie und Gesprächsführung geschulte Kolle- Behörde anteilig übernommen werden. Für ginnen und Kollegen aus der Richterschaft besonders belastete Bereiche der Staatsan- und der Staatsanwaltschaft als „Peers“ zum waltschaft gibt es spezielle Supervisionsan- Einsatz kommen und als erste Anlaufstelle in gebote. Form von Einzel- oder auch Gruppengesprä- chen Unterstützung anbieten. Die ersten Seit Kurzem habe ich Fortbildungsreihen wie Peers sollen im Laufe des Jahres 2021 fertig „VerwaltungsKnowHow für Richterinnen und ausgebildet und einsatzbereit sein. Richter“ oder zur „lateralen Leitungskompe- tenz“ im Fortbildungsangebot der Behörde Die Befassung mit den vorhandenen Perso- für Justiz und Verbraucherschutz einführen nalentwicklungsstrukturen, die tägliche Arbeit können. Dahinter stehen folgende Gedan- im Personalbereich und viele Gespräche ken: Eine gezielte Schulung von Führungs- zeigen, dass es einzelne Punkte gibt, zu de- und Leitungskompetenzen ist in der Verwal- nen besonders großer Handlungsbedarf be- tung mit ihrem grundsätzlich hierarchischen steht. Dies sind Aufbau eine Selbstverständlichkeit. In der die Nachwuchsgewinnung, denn die bis- Gerichts- und Justizverwaltung sowie in den her in Hamburg noch überwiegend un- Staatsanwaltschaften sind ohnehin klassi- problematische und auf unverändert ho- sche Führungsstrukturen vorhanden. In dem hem Niveau mögliche Nachwuchsgewin- von fachlich weisungsfreien Entscheidungs-
10 MHR 1/2021 nung könnte angesichts der sinkenden ob nicht mögliche Weichenstellungen für frü- Anzahl an Absolventinnen und Absolven- he Erprobungen und Beförderungen – wie ten mit Prädikatsexamina künftig eine die Auswahl von Präsidialrichter/innen – Herausforderung werden; dieser ist früh- stets mit Hilfe von gezielten Interessebekun- zeitig und vorbeugend zu begegnen; dungsverfahren zu gestalten sind. das Stationenmodell, denn die Umset- Hinsichtlich der Gleichstellungsförderung zung der vielfältigen Wechsel in der ge- wird zu betrachten sein, welche Gründe es wohnten Weise ist angesichts der vielen hat, dass zwar im R1-Bereich nunmehr zum Neueinstellungen in den vergangenen Teil Männer unterrepräsentiert sind, hinge- Jahren keine leichte Aufgabe; gen in den höheren Beförderungsämtern und an den Bundesgerichten noch immer über- im Hinblick auf Beförderungsentschei- wiegend eine Unterrepräsentanz von Frauen dungen: die Erprobungspraxis und die besteht. Auswahl von Präsidialrichterinnen und Präsidialrichtern, denn die Kriterien für All diese Themen wird meine Nachfolgerin die Auswahl von Präsidialrichterinnen und weiter bewegen können. Denn die Behörde Präsidialrichtern sind nicht vollständig für Justiz und Verbraucherschutz plant, einen transparent; für Erprobungen gibt es le- Gesprächsprozess mit den an der Personal- diglich bei der Generalstaatsanwaltschaft entwicklung beteiligten Akteuren (den Lei- eine Erprobungsrichtlinie, im Übrigen wird tungen der Gerichte und Staatsanwaltschaf- häufig und von verschiedenen Seiten be- ten, Vertretungen der Richterräte und des klagt, dass die Rahmenbedingungen der Personalrats der Staatsanwaltschaften, dem Erprobung ungeregelt sind; und Hamburgischen Richterverein, Schwerbehin- derten– und Gleichstellungsbeauftragten) zu die Gleichstellungsförderung von Frauen beginnen. Die Corona-Krise hat den Beginn und Männern, denn Frauen sind noch dieses Gesprächsprozesses leider verzögert. immer in den höheren Beförderungsäm- Ich rege an, sich für einen zügigen Start nun tern einiger Dienststellen unterrepräsen- zunächst auf die als besonders dringlich er- tiert. kannten und eben benannten Themen zu Hinsichtlich der Nachwuchsgewinnung wird konzentrieren. zu überlegen sein, welche Maßnahmen in Rückblickend und zusammenfassend be- Betracht kommen, um bereits im Studium trachtet gehört es zu den besonderen Anfor- und im Referendariat junge Menschen, die derungen an eine oder einen in die Leitung persönlich und fachlich für eine Tätigkeit in der Personalabteilung der Behörde abgeord- der Hamburger Justiz geeignet erscheinen, nete Richterin oder abgeordneten Richter, hierfür zu interessieren und gezielt zu för- einerseits Dienstleister für die Gerichte und dern. Staatsanwaltschaften und andererseits für Hinsichtlich des Stationenmodells wird zu die Dienstaufsicht zuständig zu sein: Einer- besprechen sein, welche Veränderungen seits die Auswahlrunden zu begleiten, den und Anpassungen erforderlich sind, um die Richterwahlausschuss zu betreuen, An- immer wieder benannten Vorteile und positi- sprechpartner/in zu sein für viele Anliegen ven Ergebnisse des Stationenmodells erhal- rund um das Stationenmodell, Beurteilungen, ten zu können und es gleichzeitig in Zeiten Lebenszeiternennungen und Beförderungen besonders hoher Personalfluktuation (ange- und bei der Behördenleitung die Sichtweise sichts vieler Assessorinnen und Assessoren) der Gerichte und Staatsanwaltschaften zu umsetzbar bleiben zu lassen. vermitteln - andererseits aus Sicht der Ge- richte und Staatsanwaltschaften in Personal- Hinsichtlich unserer Beförderungsentschei- sachen die Sichtweise der Behörde gegen- dungen wird man sich fragen müssen, ob über den Dienststellen zu vertreten und für nicht planvolle Personalentwicklung eine Re- die Wahrnehmung der Dienstaufsicht über gelung der Erprobungspraxis erfordert und die Gerichte zuständig zu sein. Mit der Stelle
MHR 1/2021 11 geht es also einher, sowohl Vermittler und sam mit dem Vorsitzenden des Personalrats, Bindeglied als auch Puffer zu sein zwischen dem Justizangestellten Bogdahn, betrieben. den Wünschen der Behördenleitung und den Was war damals geschehen? Anliegen der Gerichte und Staatsanwalt- schaften. Dieser Spannungsbogen ist mit der Der Staatsanwalt X4 war im Jahr 1976 von Stelle unauflöslich verbunden, macht sie der staatsanwaltschaftlichen Behördenlei- spannend und lehrreich – und zugleich her- tung für die Besetzung einer frei gewordenen ausfordernd. Stelle als Oberstaatsanwalt in Aussicht ge- nommen worden und wurde deshalb für be- Meiner Nachfolgerin - Frau Ri´inAG Dr. Kirsa grenzte Dauer, wie es damals häufig prakti- Steinke - wünsche ich von ganzem Herzen ziert wurde, für ein Jahr mit der Führung ei- Glück und Erfolg auf dieser großartigen und ner Abteilung zum Zwecke der Bewährung schönen Stelle mit all ihren Gestaltungs- und betraut. Das nach Ablauf des „Bewährungs- Entwicklungsmöglichkeiten! jahres“ dem Staatsanwalt X erteilte dienstli- Inken von Gadow che Zeugnis durch dessen staatsanwalt- schaftlichen Vorgesetzten bestätigte eindeu- tig die Befähigung zum Abteilungsleiter. Da trotzdem bei dem Personalrat kein Beförde- rungsvorschlag zugunsten des X einging, Zur Bedeutung des beantragte der Personalrat aufgrund des ihm Initiativrechts im - jedenfalls nach seiner Meinung - zustehen- den Initiativrechts, gestützt auf § 87 Hmb- Beförderungsverfahren PersVG damaliger Fassung, einstimmig durch sein Schreiben vom 15.04.1977 bei Als gegen Ende des vergangenen Jahres in dem Generalstaatsanwalt, den Staatsanwalt der Hamburger lokalen Presse über eine X zum Oberstaatsanwalt zu ernennen5. Auseinandersetzung zwischen den Leitern der Hamburger Staatsanwaltschaften, dem Diesen Antrag beantwortete die Justizbehör- Generalstaatsanwalt einerseits und dem Lei- de durch ihr Schreiben vom 21.04.1977 mit ter der - diesem nachgeordneten – Staats- dem Text: „… die Justizbehörde vermag sich anwaltschaft bei dem Landgericht anderer- dem Antrag des Personalrats nicht anzu- seits berichtet wurde1, stand unter anderem schließen. Der Präses der Justizbehörde hat die Frage zur Debatte, welchem von diesen nicht die Absicht, der Deputation die Ernen- beiden Amtsträgern das Initiativrecht2 zuste- nung des Staatsanwalts … zum Oberstaats- he. Dem Verfasser, der in den Jahren anwalt vorzuschlagen“6. 1977/1978 dem Personalrat der Staatsan- Unterstützend zu diesem Antrag des Perso- waltschaften3 als Mitglied angehört hatte, nalrats richteten die fünf Dezernenten der drängte sich in diesem Zusammenhang die von X geführten Abteilung am 22.04.1977 Erinnerung an ein Verfahren zwischen dem spontan ein von ihnen persönlich unterzeich- Personalrat und der „obersten Dienstbehör- netes Schreiben an den Leiter der Staatsan- de“ auf, welches das Initiativrecht zum Ge- genstand hatte. Jenes Verfahren hatte der 4 Der Verfasser versagt sich, den Klarnamen des betroffe- Verfasser seinerzeit federführend gemein- nen Staatsanwalts zu nennen, insbesondere mit Rücksicht auf die gegen diesen Staatsanwalt im gesamten Verfahren nicht spezifizierten Vorwürfe, die „die Frage seiner fachli- chen Qualifizierung“ nicht berühren, also den Persönlich- 1 Vgl. unter anderem Hamburger Abendblatt vom keitsbereich des Betroffenen angehen und besonderem 27.11.2020, Seite 1, 12. Schutz unterliegen. 2 In den folgenden Ausführungen wird der Begriff „Initia- 5 Schreiben des Personalrats an den Generalstaatsanwalt tivrecht“ gebraucht für das Recht einer Institution im Jus- vom 15.04.1977. Eine Kopie befindet sich beim Verfasser, tizgefüge, dem Senat der Freien und Hansestadt Hamburg der diese - wie auch weitere Unterlagen - vom Senatsamt zu einen bestimmten Staatsanwalt zur Beförderung zum Ober- P 10/102 und 19/1.19,6 mit Schreiben vom 31.01.1978 staatsanwalt vorzuschlagen (§ 88 Abs. 1 Nr. 3, 82 Abs. 6 erhalten hat. und 7 HmbPersVG). 6 Schreiben der Justizbehörde vom 21.04.1977 zu 2010 E - 3 Nachfolgend „Personalrat“. 2.19 - Kopie beim Verfasser vorhanden.
12 MHR 1/2021 waltschaft beim Landgericht Hamburg, unter Dieses Ergebnis referierte der Personalrat in anderem mit ihrem Anliegen, „… den jetzigen seinem Schreiben vom 16.06.1977 an den Abteilungsleiter der Abteilung 5 zu ernen- Senatsdienst für den Verwaltungsdienst und nen“7. rief damit zugleich die Einigungsstelle nach § 81 HmbPersVG damaliger Fassung an. Als Unter dem 29.04.1977 wandte sich der Per- Beisitzer berief er seine bisherigen Vertreter. sonalrat an die Justizbehörde mit der Bitte, Das Senatsamt – Personalamt – wies das ihm „die erforderliche Begründung der Ab- Anliegen des Personalrats, die Einigungs- lehnung zuzuleiten“, rief aber vorsorglich - bereits jetzt - die gesetzlich vorgesehene stelle zu bilden, jedoch durch Schreiben vom Schlichtungsstelle an8. 22.06.197714 im wesentlichen unter Bezug- nahme auf den Beschluss des Bundesver- Demgegenüber argumentierte die Justizbe- waltungsgerichts vom 13.02.197615 zurück, hörde in ihrer Antwort vom 16.05.1977 an weil der Staatsanwalt X aus Rechtsgründen den Personalrat mit Gründen, die die Frage nicht in der Lage gewesen sei, seine Rechte der fachlichen Qualifikation nicht berührten, selbst im Verwaltungsverfahrensrechtsweg ohne diese Gründe jedoch zu spezifizieren9, geltend zu machen. Dem trat der Personal- und beraumte zugleich unter Benennung der rat, gestützt auf den Wortlaut des § 87 Abs. 1 Leiter der Justizbehörde und des Justizam- Nr. 3 HmbPersVG damaliger Fassung ent- tes sowie eines Referenten der Justizbehör- gegen16 und bezog sich auf das vom Senat de zu Mitgliedern der Schlichtungsstelle herangezogene Kernziel des Gesetzgebers, Termin zur Schlichtungsverhandlung auf den „die Waffen- und Chancengleichheit zwi- 07.06.1977 an10. Somit traf die Behörde ge- schen Dienststelle und Personalrat herzu- genüber ihrer ursprünglich ablehnenden Ent- stellen“17. scheidung vom 21.04.197711 eine Abhilfe- In der folgenden mündlichen Verhandlung entscheidung. vor der Fachkammer des Verwaltungsge- Der Personalrat gab seinerseits als seine richts Hamburg, die unter dem Vorsitz der Mitglieder der Schlichtungsstelle seine An- damaligen Vorsitzenden Richterin am Ver- gehörigen Dose, Woltmann und Koeslin be- waltungsgericht, späteren Vorsitzenden kannt12. Richterin am Oberlandesgericht Dr. Glitza, Der Schlichtungstermin führte zu keinem die stattfand, bezog sich die Vertreterin des Se- Parteien befriedigenden Ergebnis. Behör- natsamts mehr oder weniger auf das bisher denvertreter brachten mündlich, wie sie Vorgetragene, während die Vertreter des überhaupt zu keinem Zeitpunkt des gesam- Personalrats, der Justizangestellte Bogdahn ten Personalvertretungsverfahrens ihre Ar- und der Verfasser, in ihren ausführlichen und gumente zur Sache selbst festgelegt hatten, gründlichen Plädoyer ihren Standpunkt dar- nicht spezifizierte oder nicht unter Beweisge- legten18. stellte Tatsachen vor13. 14 Schreiben des Senatsamts an den Personalrat vom 22.06.1977. 15 Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 7 An den Leiter der Staatsanwaltschaft beim Landgericht 13.02.1976 zu VII P 4.75, abgedruckt unter anderem in Hamburg gerichtetes Schreiben der fünf Dezernenten der BVerwGE 50/186 (aus Corona-Gründen nicht überprüftes Abteilung 5 der LGStA vom 22.04.1977. Zitat). 8 Schreiben des Personalrats an die Justizbehörde vom 16 Referat der vom Personalrat vorgelegten Antragsbegrün- 29.04.1977. dung, wiedergegeben bei OVG Hamburg zu VII P 4.75, 9 Schreiben der Justizbehörde vom 16.05.1977 an den Per- abgedruckt unter anderem in BVerwGE 50/186 (aus sonalrat. Corona-Gründen nicht überprüftes Zitat). 10 Vgl. Fußnote 8. 17 Vgl. OVG Hamburg zu VII P 4.75 in: „Die Personalver- 11 Schreiben der Justizbehörde vom 21.04.1977 zu 2010 E - tretung“ 1979, Seite 248, rechte Spalte, Anfang des letzten 2.19 - Kopie beim Verfasser vorhanden Absatzes. 12 Schreiben des Personalrats vom 26.05.1977 an die Jus- 18 Vgl. OVG Hamburg zu VII P 4.75 in: „Die Personalver- tizbehörde. tretung“ 1979, Seite 248, linke Spalte unten/rechte Spalte; 13 Schreiben des Personalrats vom 16.06.1977 an das Se- soweit der obige Text sich nicht aus dem Abdruck des natsamt. OVG-Beschlusses ergibt.
MHR 1/2021 13 Das Verwaltungsgericht folgte im Ergebnis der Seite des Personalrats dessen staatsan- und im wesentlichen in der vom Personalrat waltschaftliche Mitglieder, auf Seiten des geltend gemachten Ableitung dem Wortlaut Senatsamts die Bediensteten des Justizam- des HmbPersVG in der damaligen Fassung19 tes Bollhorn und Dr. Borchert sowie die Be- (§ 87 Abs. 1 Nummer 3 lit. a). Schon aus dienstete des Senatsamts Bierstedt berufen. dem Gesetzeswortlaut ergebe sich entgegen Nach eingehender Erörterung der gegenteili- der Meinung des Senatsamts ein Initiativ- gen Rechtsstandpunkte beschloss die Eini- recht des Personalrats, und der zitierte Be- gungsstelle mit fünf (Vorsitzender, Vertreterin schluss des Bundesverwaltungsgerichts ste- des Senatsamts und staatsanwaltschaftliche he einem solchen Initiativrecht nicht entge- Vertreter) gegen zwei Stimmen (Vertreter gen, weil er sich auf eine völlig anders gere- des Justizamtes), dem Senat der Freien und gelte Fallgestaltung beziehe, nämlich nicht Hansestadt Hamburg die Beförderung des wie dem hier zu entscheidenden Beamten- Staatsanwalts X zum Oberstaatsanwalt vor- recht. zuschlagen. Auf die Beschwerde des Senatsamts setzte Aufgrund dieser Vorlage wurde der Staats- das Oberverwaltungsgericht Termin zur anwalt X zum Oberstaatsanwalt befördert mündlichen Verhandlung in der Beschwer- und – nunmehr ohne Beschränkungen – mit deinstanz auf den 13.12.1977 fest. Der der Leitung einer Abteilung bei der Staats- Fachsenat tagte unter dem Vorsitz des da- anwaltschaft bei dem Landgericht betraut. maligen Vizepräsidenten des Oberverwal- Diese Stelle hatte X bis zu seiner altersbe- tungsgerichts Dr. Reimers. Die Parteien, das dingten Pensionierung unbeanstandet inne. Senatsamt vertreten durch einen externen Rechtsanwalt, der Personalrat durch seinen In der Zwischenzeit hat sich allerdings die Vorsitzenden und den Verfasser, brachten in Rechtslage zum Initiativrecht dadurch ein- der Beschwerdeverhandlung keine neuen schneidend verändert, dass der Gesetzgeber entscheidungserheblichen Gesichtspunkte des Hamburgischen Personalvertretungsge- vor. Der Fachsenat sah die Beschwerde des setzes ausdrücklich dem Personalrat „Einzel- Senats als unbegründet an20 und ließ eine fallentscheidungen im Besoldungsrecht mit Rechtsbeschwerde nicht zu21. Zur Begrün- Ausnahme in der Leitungsebene“ und damit dung wiederholte der Fachsenat im wesentli- das Initiativrecht entzogen hat (§ 88 Abs. 2 chen die Argumentation des Verwaltungsge- HmbPersVG)23. Ein Verfahren wie das hier richts. geschilderte bleibt damit aber dem Bereich der Mitbestimmung versperrt. In Ausführung dieser Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts über die Verpflich- Norbert Dose tung des Senatsamts zur Bildung der Eini- gungsstelle einigten sich die Parteien auf den damaligen Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, späteren Präsidenten des Oberlandesgerichts Dr. Plambeck als Vorsitzenden der Einigungsstelle. Dieser terminierte die mündliche Verhandlung auf den 10.02.1978 im Senatsgehege des Ham- burger Rathauses22. Als Beisitzer wurden auf 19 Vgl. OVG Hamburg zu VII P 4.75 in: „Die Personalver- tretung“ 1979, Seite 249, linke Spalte untere Hälfte. 20 Vgl. OVG Hamburg zu VII P 4.75 in: „Die Personalver- tretung“ 1979, Seite 249, rechte Spalte unten, Seite 250 linke Spalte. 23 Das HmbPersVG vom 08.07.2014, erlassen als Art. 1 des 21 A.a.O., insbesondere Seite 250 rechte Spalte oben. Gesetzes zur Neuregelung des HmbPersVG vom 22 Schreiben des Senatsamts an die Mitglieder der Eini- 08.07.2014 – HmbGVBl Nr. 39 vom 25.07.2014, Seite 299, gungsstelle vom 31.01.1978. in Kraft getreten am 01.09.2014.
14 MHR 1/2021 mittag des ersten Verhandlungstages wäh- Aus der Rechtsprechung rend der Verlesung des Anklagesatzes, dass der Schöffe S. die Augen geschlossen, den Ist aufgrund der dienstlichen Stellung- Mund leicht geöffnet und eine erschlaffte nahmen der Verfahrensbeteiligten erwie- Sitzhaltung eingenommen hatte. Er beobach- sen, dass ein Schöffe während eines er- tete den Schöffen, der weiterhin in dem be- heblichen Teils der Anklageverlesung schriebenen Zustand auf der Richterbank schlief, so liegt der absolute Revisions- saß, mindestens eine Minute lang und wand- grund des § 338 Nr. 1 StPO vor. te sich dann während der Verlesung der Tat- vorwürfe Nr. 176 bis 177 der Anklageschrift BGH, Beschluss vom 14.10.2020 – 1 StR mit der Bemerkung an den Vorsitzenden 616/19 Richter, er möge sich versichern, ob der Zum Sachverhalt: Schöffe noch wach sei. Der Vorsitzende er- widerte spontan, dass der Schöffe noch Das LG Kassel hatte den Angeklagten unter wach sei; der Schöffe selbst reagierte auf die Freisprechung im Übrigen wegen Steuerhin- vom Verteidiger veranlasste Unterbrechung terziehung in 159 Fällen, davon in 112 Fällen der Verlesung der Anklageschrift und den in Tateinheit mit Untreue und davon in zwei Wortwechsel zwischen dem Verteidiger und Fällen in Tateinheit mit Urkundenfälschung, dem Vorsitzenden nicht. Als sich die Berufs- sowie wegen Bestechlichkeit in 33 Fällen zu richter zu dem Schöffen hinwandten, öffnete einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren dieser die Augen und benötigte ersichtlich verurteilt und zwei Monate der verhängten einen kurzen Augenblick, um zu realisieren, Strafe wegen rechtsstaatswidriger Verfah- dass er eingeschlafen war. Die Verlesung rensverzögerung für vollstreckt erklärt. Zu- der Anklageschrift wurde anschließend fort- dem hat es eine Einziehungsentscheidung gesetzt, aber nicht - auch nicht teilweise - getroffen. Die hiergegen gerichtete, auf die wiederholt. Rüge einer Verletzung formellen und materi- ellen Rechts gestützte Revision des Ange- Diese Darstellung des Verteidigers wird klagten führte zur Aufhebung des Urteils des durch die Angaben des Sitzungsvertreters LG Kassel und zur Zurückverweisung der der Staatsanwaltschaft in der Revisionsge- Sache. generklärung dahin bestätigt, dass der Ver- teidiger, als er selbst mit der Verlesung der Aus den Gründen: Anklageschrift befasst gewesen sei, den „(…) Die Revision macht zu Recht geltend, Vorsitzenden um Prüfung gebeten habe, ob dass die Wirtschaftsstrafkammer, die in die- der Schöffe eingeschlafen sein könne. Der ser Sache entschieden hat, nicht vor- Schöffe habe seiner - des Staatsanwalts - schriftsmäßig besetzt war, weil der Schöffe Beobachtung nach weder die Intervention S. im ersten Termin zur Hauptverhandlung des Verteidigers noch die Äußerung des am 12. März 2019 über einen nicht unerheb- Vorsitzenden mitbekommen. Wie es dazu lichen Zeitraum fest geschlafen hat, so dass gekommen sei, dass der Schöffe kurze Zeit er der Verlesung der Anklageschrift nicht später „erwacht sei“, sei ihm nicht bekannt. vollständig folgen konnte. Dass der Schöffe Er könne auch über den „Zeitraum des geschlafen hat, ist nach einer Gesamtwürdi- Schlafs“ des Schöffen keine Angaben ma- gung der Umstände, wie sie sich aus der chen. Darstellung des Verteidigers in der Revisi- onsbegründung ergeben, die durch die Die Angaben der beisitzenden Richter in ih- dienstliche Äußerung des Staatsanwalts be- ren dienstlichen Stellungnahmen stehen der stätigt wird, bewiesen. Darstellung von Verteidiger und Sitzungsver- treter der Staatsanwaltschaft nicht entgegen. Nach der Revisionsbegründung bemerkte Insbesondere ergeben sich aus diesen Stel- der Verteidiger des Angeklagten am Nach- lungnahmen keine Anhaltspunkte dafür, dass
MHR 1/2021 15 der Schöffe in der fraglichen Zeit entgegen Funktionen, insbesondere das Maß der von dem nachvollziehbar auf das geschilderte den einzelnen Geschworenen bei der Ver- Verhalten des Schöffen gestützten Eindruck handlung angewendeten Aufmerksamkeit von Verteidiger und Staatsanwalt wach ge- könne daher nicht zum Gegenstand eines wesen sein könnte; beide beisitzenden Rich- Angriffs mittels des Rechtsmittels der Revisi- ter haben erklärt, dass sie nicht aus eigener on gemacht werden (RGSt 22, 106, 107 f.). Wahrnehmung heraus sagen könnten, ob Ähnlich argumentierte das RG, das sich hier- der Schöffe geschlafen hat. zu mittlerweile auf seine "ständige Recht- sprechung" berief, im zweiten Fall. Ausweis- Danach liegt, weil es sich bei der Verlesung lich des Sitzungsprotokolls habe der betref- des Anklagesatzes um einen wesentlichen fende Berufsrichter als Vorsitzender an der Teil der Hauptverhandlung handelt und der gegen den Beschwerdeführer abgehaltenen Schöffe dieser während einer erheblichen Strafkammerverhandlung teilgenommen. Zeitspanne schlafbedingt nicht gefolgt ist, der Das Gesetz gehe davon aus, dass sämtliche absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 1 Richter, die der Verhandlung beigewohnt StPO vor (vgl. BGH, Beschlüsse vom 3. April hätten, nicht nur ununterbrochen körperlich 2019 - 5 StR 87/19 Rn. 9; vom 19. Juni 2018 anwesend, sondern auch geistig in ihr vertre- - 5 StR 643/17 Rn. 3 und vom 20. Oktober ten seien. Dabei müsse das Maß der von 1981 - 5 StR 564/81 Rn. 1). (…)“ dem einzelnen Richter anzuwendenden Aufmerksamkeit seinem eigenen Pflichtge- Praxishinweis: fühl überlassen bleiben, so dass ein Revisi- Strafprozesse sind, das weiß jeder Praktiker, onsangriff hiergegen nicht gerichtet und ein nicht immer eine spannende Angelegenheit Beweis hierüber nicht erhoben werden könne und sind dies auch in der Vergangenheit (RG JW 1925, 1007). nicht in jedem Fall gewesen. Immer wieder hatten sich deutsche Obergerichte mit Fällen Dann aber kam es zu einer, bei näherem zu beschäftigen, in denen im Rahmen von Hinsehen jedoch nur scheinbaren Wende. In Rechtsmittelverfahren dargetan wurde, dass einer Entscheidung aus dem Jahre 1926 ju- ein Verfahrensbeteiligter, insbesondere einer dizierte das RG, ein Gericht sei auch dann der beteiligten Richter, während eines Ab- nicht vorschriftsmäßig besetzt, wenn einer schnitts der Hauptverhandlung geschlafen der Richter in so tiefen Schlaf verfallen sei, hatte. dass er unfähig sei, die Vorgänge in der Hauptverhandlung wahrzunehmen. Jedoch Das RG hatte in zwei Entscheidungen aus seien Zeichen großer Ermüdung, Neigung den Jahren 1891 und 1924 entsprechende zum Schlafen oder Kämpfen mit dem Schlaf Revisionsrügen zunächst noch als unbeacht- noch kein sicherer Beweis dafür, dass der lich abgetan. Im ersten Fall hatte es sich mit hier interessierende Schöffe die Vorgänge in einer reichlich formalen Argumentation auf der Hauptverhandlung nicht wahrnehmen das Sitzungsprotokoll des Ausgangsverfah- konnte. Selbst ein einmaliger oder gelegent- rens zurückgezogen. Wenn hiernach wirklich licher "schnarchender Ton", wie ihn die bei- zwölf Geschworene teilgenommen und ihren den unmittelbaren Nachbarn des Schöffen Wahrspruch abgegeben hätten, so müsse, bekundet hätten, könne noch auf andere da das Gesetz die Entscheidung über die Weise gedeutet werden. Jedenfalls schließe Schuldfrage lediglich der gewissenhaften er nicht aus, dass der Schöffe - vielleicht ge- Beurteilung der Geschworenen überlasse, rade infolge des von ihm verursachten Ge- angenommen werden, dass sie hierbei ge- räusches - "gleich" wieder munter geworden wissenhaft und nach eigener Überzeugung sei. Eine andere Beurteilung müsse dann verfahren seien und insbesondere dem Gan- eintreten, wenn der Schöffe fortgesetzt, häu- ge der ganzen Verhandlung die erforderliche fig oder wenigstens bald nacheinander Aufmerksamkeit geschenkt hätten. Der Grad Schnarchlaute von sich gegeben hätte, die ihrer Gewissenhaftigkeit bei Ausübung ihrer eine kurze, nach Lage des Falls unerhebli-
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