PARAPLEGIE - Schweizer Paraplegiker-Gruppe
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JUNI 2019 | NR. 170 | GÖNNER-MAGA ZIN PARAPLEGIE SCHWERPUNK T Der Notfall Es kann jeden treffen 6 RET TUNGSMEDIZIN Wenn einfache Hand- griffe Leben retten 20 BEGEGNUNG Titus Haltiner zieht seine Leute vorwärts 31 LUCERNE FESTIVAL Ihr Konzertticket hilft Querschnittgelähmten
«Ich bin gerne viel unterwegs – und dies mit einem guten Gefühl.» Andreas (37) ist froh, dass er sein Hobby unbeschwert geniessen kann. Im Ernstfall H F 250 0 0 0.– C rstützung te Gönner-Un g chnittlähmun ingter Quers keit Bei unfallbed ter Rollstuhlabhängig en mit perman Einmal abschliessen – ein Leben lang vorgesorgt. Werden Sie jetzt Dauermitglied. Wo auch immer auf der Welt und in welcher Lebenssituation Sie sich befinden, Ihre Vorteile halten ewig. Als Dauermitglied zahlen Sie einmalig CHF 1000.– und erhalten im Ernstfall CHF 250 000.– bei unfallbedingter Querschnittlähmung mit permanenter Rollstuhlabhängigkeit. oup dur, En cas de c Einmalig zahlen, für immer Mitglied: www.dauermitglied-werden.ch n de t de soutie un montan .– HF 250 000
M AG A ZIN DER GÖNNER-V EREINIG UNG DER SCH W EIZER PA R A PLEG IK ER-S T IF T UNG 6 20 Liebe Gönnerinnen und Gönner Schwerpunkt Ende April fand traditionsgemäss die Mitgliederversammlung 6 R E T T U N G S M E D I Z I N Das Schweizer Institut für der Gönnervereinigung der Schweizer Paraplegiker-Stiftung Rettungsmedizin in Nottwil bildet nicht nur Profis aus, statt. Es beehrten uns 154 Mitglieder – eine kleine Gruppe sondern auch viele Ersthelfer. aus dem grossen Verein von rund 1,8 Millionen Menschen, 10 S I M U L AT I O N S Z E N T R U M In einer hoch- die unserem Werk solidarisch, zuvorkommend und gross- modernen Umgebung trainieren Fachkräfte aus der zügig gesinnt sind. Sie kamen nach Nottwil, um sich einen ganzen Schweiz. Praxisnah und teamorientiert. Überblick zu den Leistungen der Stiftung in den verschiede- 14 S I R M E D Die gemeinsame Tochtergesellschaft der nen Aufgabenbereichen zu verschaffen. Das Mitwirken die- Paraplegiker-Stiftung und der Rega arbeitet an der best- ser Gruppe ist äusserst wertvoll, denn der Stiftungsrat ver- möglichen Versorgung für alle. antwortet den gesamten Mitteleinsatz. 17 S E I T E N B L I C K Darf man sein Leben aufs Spiel setzen? Es war die 26. Mitgliederversammlung in der Geschichte Ein verunfallter Gleitschirmlehrer und ein Seelsorger der Stiftung. Diese finden in einer guten Atmosphäre statt tauschen sich aus. Über Himmel und Erde. und bieten spannende Begegnungen und einen Gedanken- 18 R AT G E B E R Auf Notfälle können Sie sich vorbereiten – austausch weit über die Vereinsgeschäfte hinaus. Ein durch Tipps zur Ersten Hilfe und zum Vorbeugen. Gesprächsthema beim diesjährigen Apéro waren die über- raschenden Resultate der Mitgliederbefragung über die Beitrittsmotive zu unserem Verein. Für die meisten stehen Kompetenz nicht die 250 000 Franken Gönnerunterstützung im Vor- 20 B E G E G N U N G Titus Haltiner sitzt nach einem dergrund, die sie als Betroffene erhalten würden, sondern Motorradunfall seit 33 Jahren im Rollstuhl. Der Unter- der Umstand, dass das Schicksal einer Querschnittlähmung nehmer führt ein beliebtes Zweiradgeschäft. jeden treffen kann. Ihre Solidarität mit dem Werk in Nottwil 24 M I T G L I E D E R V E R S A M M L U N G Der Vorstand und damit verbunden die Unterstützung von Rollstuhlfah- präsentierte ein positives Jahr 2018. rern widerspiegelt sich in einem schönen Aufwärtstrend in den Mitgliederzahlen: 2018 durften wir 99 000 neue 26 J U N I O R E N W E LT M E I S T E R S C H A F T E N Mitglieder begrüssen! Topathleten aus aller Welt messen ihre Kräfte in Notwil. Sie alle spornen unseren Einsatz für die Ziele der Stiftung 28 N E U E W E R B E K A M PA G N E Ein Blick hinter weiter an. Ein besonderer Dank gilt den Teilnehmenden der die Kulissen. Und ein Glücksfall. Mitgliederversammlung: Durch sie lernen wir auch einige der 31 PA R T N E R S C H A F T Das Lucerne Festival macht Gesichter kennen, die uns tagtäglich motivieren! Gönnerinnen und Gönnern ein besonderes Angebot. 32 D A F Ü R H AT E S M I C H H E U T E G E B R A U C H T Michael Fiechter ist Wirbelsäulenspezialist am SPZ. 4 CAMPUS NOT T WIL Heinz Frei 33 D A N K E Präsident Gönner-Vereinigung 34 A U S B L I C K Paraplegie, Juni 2019 3
CAMPUS NOT T WIL Einsichten eines Rollstuhlfahrers SPS und Swiss Para- lympic verlängern ihre «Ansonsten munter» (Zytglogge Verlag) heisst das neue Buch Partnerschaft unseres Online-Community-Autors Fritz Vischer. Der 1977 ver- unfallte Tetraplegiker verbindet seinen eigenen Lebensweg mit Die Schweizer Paraplegiker- dem seines Zimmerkumpanen Pierrot, der Stiftung (SPS) bleibt vier wei- schon in der Erstrehabilitation ständig tere Jahre Hauptsponsor Witze reisst. Die beiden Rollstuhlfahrer von Swiss Paralympic, dabei schlagen sehr unterschiedliche Wege ein können beide Stiftungen viele und bleiben dennoch Freunde. Sie Synergien nutzen. Die Athleten umfahren gemeinsam Mauern, sie erle- profitieren von modernsten ben Anerkennung ebenso wie schroffe Sport- und Trainingsanlagen Ablehnung. Vischers Geschichten ver- auf dem Campus Nottwil, deutlichen den Umgang unserer Gesell- zudem stellt die Sportmedizin schaft mit Behinderungen – und zeigen Nottwil den Delegationsarzt 1.6.2019 Bewältigungsstrategien. für die paralympischen Spiele 2020 in Tokio. SPS-Direktor Joseph Hofstetter sieht auch Vorteile im Imagebereich: Start «Unsere erfolgreichen Rollstuhl- Instagram athleten sind bedeutende Aus- hängeschilder der Stiftung.» Seit 1. Juni können Sie der Sport spielt für Querschnitt- Schweizer Paraplegiker- gelähmte eine bedeutende Stiftung auf Instagram folgen: Rolle mit sowohl gesundheits- Erhalten Sie bewegende fördernden als auch sozialen Geschichten, Tipps und News Komponenten. aus dem Campus Nottwil. www.instagram.com / paraplegie Männer verunfallen häufiger Wer trägt das höhere Risiko, Männer oder Frauen? Die Langzeitstudie SwiSCI Neuer SPV-Direktor der Schweizer Paraplegiker- Forschung zeigt: Männer Charly Freitag ist seit 1. Mai erleiden dreimal häufiger eine unfallbedingte Rücken- « Wir sollten uns bewusst neuer Direktor der Schweizer Paraplegiker-Vereinigung (SPV). markverletzung als Frauen. Der ehemalige Gemeinde Am meisten Betroffene finden sich in den Alters- sein, dass sich selber präsident von Beromünster und Luzerner Kantonsrat will gruppen zwischen 16 und 30 Jahren sowie ab 60 Jah- die Zähne zu putzen den Dachverband der Quer- schnittgelähmten gemeinsam ren. Während bei den Jünge- mit den Rollstuhlclubs weiter- ren vorwiegend Sport- und Freizeitunfälle das Rücken- ein Privileg ist.» entwickeln. Mit überzeugen- den Ideen hat der 40-jährige mark schädigen, sind Stürze Für die Fernsehsendung «Mona mittendrin» (SRF 1) erlebte Jurist die Nachfolge von aus niedriger Höhe der Haupt- Mona Vetsch drei intensive Tage am Schweizer Paraplegiker- Thomas Troger angetreten, grund bei älteren Menschen. Zentrum. Die Sendung erreichte bei der Erstausstrahlung am der nach 21 Jahren in der SPV 28. März ein grosses Publikum von 360 000 Zuschauern. in die Frühpension ging. www.paraplegie.ch/spf Gespräch mit Mona Vetsch: www.paraplegie.ch / mona www.spv.ch 4 Paraplegie, Juni 2019
CAMPUS NOT T WIL 100 000 Menschen PRAXIS haben bereits auf die Online-Community der Schweizer Paraplegiker-Gruppe zugegriffen. Erreicht wurde der Meilenstein im ersten Halbjahr 2019. Verbreitete Krank- www.community.paraplegie.ch heit, untypischer Lesung: Verlauf Melinda Nadj Abonji © FGD S Matthias Krieger Für ihren Bestseller «Tauben Frau K. (67) erlitt eine rasch fliegen auf» (2010) erhielt zunehmende Schwäche in Melinda Nadj Abonji sowohl den Beinen, die zur Geh den Deutschen als auch den unfähigkeit führte und sie Schweizer Buchpreis. Im Jahr in den Rollstuhl zwang. 2017 folgte mit «Schildkröten- Eine erste Behandlung mit soldat» (Suhrkamp Verlag) Spritzen und Physiotherapie ein Roman, worin die Autorin ergab keine Besserung. und Musikerin grandiose Sprach- Frau K. wandte sich ans bilder erzeugt. Poetisch ein- Schweizer Paraplegiker- drucksvoll verknüpft sie die Zentrum, wo sich Oberarzt Spurensuche zu Zoltán Kertész Guy Waisbrod für eine mit dem Bürgerkrieg in Jugo- interdisziplinäre Abklärung slawien. Zoltán sollte in der der nicht eindeutigen Ur- Armee zum Mann werden. Er sache entschied. In der geht jedoch nicht als Held im Neue Herausforderung für Silke Pan engen Zusammenarbeit von bewaffneten Kampf zugrunde, Silke Pan stellt sich regelmässig gewagten Herausforderungen. Wirbelsäulenchirurgie, sondern im täglichen Krieg Diesen Sommer nimmt sich die Rollstuhlsportlerin aus Aigle (VD) Neurologie und Schmerz der Menschen untereinander, «Die Tour der Seen» vor: Nur mit der Kraft ihrer Arme durch- klinik wurde die Diagnose an der Sprachgewalt. schwimmt Silke Pan 26 Schweizer Seen – entsprechend der gesichert und mit einem Anzahl Kantone –, von See zu See fährt sie mit Handbike und minimalinvasiven Eingriff Öffentliche Lesung: Rennrollstuhl. Die Tour führt durch alle Landesteile, ins Flachland eine Einengung des Wirbel- 18. September, 19.30 Uhr wie in die Alpen. Dabei überwindet die ehemalige Patientin des kanals beseitigt. Am Tag Bibliothek im Guido A. Zäch Schweizer Paraplegiker-Zentrums 75 Kilometer zu Wasser und nach der Operation konnte Institut, freier Eintritt 980 Kilometer an Land. Die Expedition startet am 14. Juli in Genf Frau K. den Rollstuhl verlas- und endet in Campione am Luganersee. sen, sie geht heute wieder Auskunft: schmerzfrei. www.silkepan.com T 041 939 57 78 Von solchen Verengungen ist die Hälfte der Bevöl kerung ab sechzig Jahren «Wir laufen für alle, die es betroffen, aber nicht jeder nicht können» entwickelt Beschwerden. Über 150 000 Menschen beteiligten sich Meist verläuft die Krankheit am 5. Mai am Wings for Life World Run schleichend. Bei Frau K. und generierten rund 3,5 Millionen Euro war der Verlauf aufgrund für die Rückenmarkforschung. In Zug (ZG) von Nebenerkrankungen starteten 4197 Läufer 30 Minuten vor dem derart untypisch, dass «Catcher Car» (gesteuert von Formel 1- erst die interdisziplinäre Legende David Coulthard), darunter ein Abklärung in Nottwil zu Team der Schweizer Paraplegiker-Stiftung, einer gesicherten Diagnose der nationalen Partnerin dieses innovati- geführt hat. ven Spendenevents. Die weltweit längste Strecke aller Frauen bewältigte Nina Zarina www.paraplegie.ch / www.wingsforlifeworldrun.com ebenfalls in Zug: 53 km! wirbelsaeule Paraplegie, Juni 2019 5
DER NOTFALL Rettungsmedizin Wir alle können Leben retten In einer Notfallsituation zählt jede Sekunde. Deshalb umfasst das Ausbildungsangebot am Schweizer Institut für Rettungsmedizin in Nottwil nicht nur Schulungen für professionelle Einsatzkräfte, sondern auch ein breites Programm für Ersthelfende. Am Samstagmorgen kam es auf der B27 zu fig passieren die Notfälle zu Hause. «Das müsste einem schweren Verkehrsunfall. Dabei wurde einem doch genügend Motivation geben, sich eine 45-jährige Frau lebensbedrohlich verletzt, die einfachen Handgriffe der Ersten Hilfe anzu- eine weitere Person schwer. Die Feuerwehr war eignen», meint die Sirmed-Expertin. mit zwanzig Helfern im Einsatz. Wenn die lebensrettenden Basismassnah- («Schaffhauser Nachrichten», Feb. 2019) men bereits in den ersten drei bis fünf Minuten nach einem Kreislaufstillstand beginnen, hat ein Es passiert rasend schnell. Von einem Augen- Betroffener eine gute Überlebenschance von blick auf den nächsten gerät man in eine Notfall- über fünfzig Prozent. Innerhalb dieser kritischen situation. Sei es als Betroffene oder als Helfende. Zeitspanne erreichen professionelle Rettungs- «Kürzlich fuhr ich auf der Autobahn an eine Situ- dienste jedoch nur selten den Einsatzort. Umso ation heran, bei der ein Mensch auf der Strasse wichtiger ist es, dass anwesende Laien sofort los- Anja Oehen, lag», erzählt Anja Oehen. «Die anderen Wagen legen können. Bereichsleiterin Erste Hilfe sind einfach vorbeigefahren.» In solchen Momen- Anja Oehen ist immer wieder erstaunt, wie ten sind viele von uns hilflos und überfordert, viele Menschen sagen, sie hätten ihren letzten nicht nur die Person am Boden. Der Autofahrer auf dem Pannenstreifen hatte Glück. Anja Oehen leitet den Bereich Erste Hilfe am Schweizer Institut für Rettungsmedizin Sirmed « In anderen Ländern ist Erste Hilfe und konnte den medizinisch harmlosen Fall rasch bereits in der Schule ein Thema.» Anja Oehen klären. Die Notfall-Expertin kennt aber auch ande- re Situationen: «Manchmal stehen ganz viele Leute herum, und keiner traut sich zu helfen.» Nothelferkurs vor vielen Jahren für die Fahrprü- Die Angst, man könnte etwas falsch machen, fung gemacht – und dabei verpasst, dass in der blockiert das eigene Handeln und lähmt den Zwischenzeit alles viel einfacher geworden ist. gesunden Menschenverstand. Das betrifft nicht nur die Erste Hilfe. Berührungs- Ergreift dann jemand die Initiative, ist die ängste sind auch gegenüber den automatisier- ganze Gruppe wie verwandelt und organisiert ten externen Defibrillatoren (AED) an öffentlichen die Hilfe im Nu. «Aber was ist, wenn es die Lieb Plätzen oder in Unternehmen fehl am Platz. Diese sten zu Hause trifft und man tatenlos zusehen Geräte sind so einfach zu bedienen und haben so muss?», fragt Oehen. «Diese Vorstellung ist ein- hohe Sicherheitsschranken eingebaut, dass man Sirmed Das Schweizer Institut für fach grässlich.» kaum noch etwas falsch machen kann. Rettungsmedizin (Sirmed) ist eine gemeinnützige Aktien- Erste Hilfe ist nicht schwierig Von Laien bis Firmenkunden gesellschaft, die je zur Hälfte Verkehrsunfälle dominieren unsere Schlagzeilen. Mit einem breiten Kursprogramm bringt Sirmed von der Paraplegiker-Stiftung Die häufigste Todesursache aber sind Herz-Kreis- das Wissen und Können von Ersthelfern auf den und der Rega getragen wird. lauf-Probleme. Rund 30 000 Menschen pro Jahr neuesten Stand. So haben alle Teilnehmenden die erleiden in der Schweiz einen akuten Herzinfarkt, Sicherheit, dass sie in einem Notfall von Anfang www.sirmed.ch bei 8000 kommt es zum Kreislaufstillstand. Häu- an das Richtige tun. Paraplegie, Juni 2019 7
Nothelfer, Ersthelfer Professionelle Retter Spitalpersonal Die Rettungskette Ersthelfer schaffen im Ereignisfall die Grundlagen für eine optimale Patientenversorgung – damit die Behandlung Spital Massnahmen der Rettungsdienste und die Behandlung im Spital Aus- sicht auf Erfolg haben. Notfalltransport Transport Laien Erste Hilfe Basismassnahmen Professionelle Retter Erweiterte Massnahmen Notruf Notruf 144 Aufgebot der professionellen Retter, Telefonanweisung für Basismassnahmen Nothilfe Sofortmassnahmen Sichern, alarmieren, bergen Rechte Seite Simulationsraum Ereignisort Transport Spital mit Hightech-Puppe. Ein Team unterschiedlicher Fachleute schult die Zusammenarbeit. Neben Individualpersonen und Gruppen betreut der Notfall- und Akutmedizin. Praxisorientierte Nichtberufsunfälle in der Anja Oehen auch Firmenkunden in der ganzen Trainings, Wissensvermittlung und Simulations- Schweiz: Anteil der Todesfälle Schweiz. Sie entwickelt individuell zugeschnit- technik stehen im Dienst eines gesteigerten Qua- tene Angebote, damit jedes Unternehmen seiner litätsbewusstseins im Gesundheitswesen. gesetzlichen Vorschrift zur Mitarbeitersicherheit Der Bereich CME schliesst eine Lücke in der 10 % 6% nachkommen kann. Oft finden diese Firmenkurse medizinischen Grundausbildung. Unsere Patien- direkt vor Ort bei den Kunden statt. Sie sind nicht tenversorgung geschieht nämlich in einem Sys- zuletzt auch eine wertvolle Teambildungsmass- tem, in dem Fachleute verschiedenster Bereiche nahme und Ausdruck der Wertschätzung gegen- eng zusammenarbeiten müssen, doch in der Aus 84 % über den Mitarbeitenden. bildung sind Zusammenarbeit und Teampro- Wir alle können Erste Hilfe leisten. «Nichts zesse kaum ein Thema. «Jede Berufsgruppe bildet tun ist in vielen Fällen der grösste Fehler», sagt unabhängig von allen anderen aus», sagt CME- Oehen. Die Expertin würde es begrüssen, wenn Bereichsleiter Kai Kranz, «und man nimmt an, dass die Politik sich stärker dafür einsetzt, dass jeder die Fachleute sich dann in der Praxis schon irgend- Nichtberufsunfälle in der Schweiz: Anteil der Verletzten seine Kompetenz von Zeit zu Zeit auffrischt. «In wie finden werden.» anderen Ländern ist das selbstverständlich. Dort Studien belegen das Gegenteil: Schlechte ist Erste Hilfe bereits in der Schule ein Thema.» In Teamarbeit führt zu höheren Fehlerraten und da- 8% der Schweiz wurde dieser Punkt bei der Gestal- durch auch zu mehr Todesfällen. Dagegen machen tung des Lehrplans 21 nicht aufgenommen. Teams, die hinsichtlich Zusammenarbeit speziell trainiert sind, bei der Versorgung von Patienten Höhere Patientensicherheit deutlich weniger Fehler. 53 % 39 % Am Schweizer Institut für Rettungsmedizin in Nottwil ist Erste Hilfe einer von drei Geschäfts- Zusammenarbeit muss man lernen bereichen, welche die gesamte Rettungskette «Die Verantwortlichen müssen erkennen, dass abdecken (vgl. Grafik). Der zweite Bereich umfasst man die interprofessionelle Zusammenarbeit als eine höhere Fachschule für die Berufsausbildung eigenes Thema lernen muss», sagt Kranz. Sein Strassenverkehr von Transport- und Rettungssanitätern. Und der oberstes Ziel ist eine höhere Patientensicherheit. Sport Bereich Continuous Medical Education (CME) Um die Teamarbeit noch besser zu schulen, hat Haus und Freizeit widmet sich der Weiterbildung von Fachleuten Sirmed im Herbst 2018 in Nottwil ein Simulati- (Quellle bfu 2018) 8 Paraplegie, Juni 2019
onszentrum in Betrieb genommen, in dem ein zufällig gut oder zufällig weniger gut funktionie- breites Spektrum an Szenarien durchgespielt wer- ren. Um das Gute zu wiederholen und aus Feh- den kann (vgl. Beitrag Seite 10). lern zu lernen, muss es festhalten, weshalb ein Das neueste CME-Angebot erinnert nicht Einsatz auf eine bestimmte Weise abgelaufen ist. zufällig an die Simulatoren, mit der in der Luft- Daher verknüpfen die CME-Trainings die fachli- fahrt die Qualität der Arbeit im Cockpit verbessert che Weiterbildung mit teamrelevanten Aspekten wird: Hochleistungssysteme benötigen eine sehr und «human factors», persönlichen Limitierungen hohe Zuverlässigkeit: «Zwischen Erfolg und Kata- der Teilnehmenden. strophe hat es nicht viel Platz», sagt Kranz. «Des- «Viele Probleme wären schon gelöst, wenn halb fördern wir die Denkweise, dass die Arbeit man sich als Team die Frage stellt: Mit welchen im Spital als Hochzuverlässigkeits-Job angesehen der verfügbaren Ressourcen können wir dem wird. Für ein ‹Wird-schon-gut-gehen› hat es da Patienten Gutes tun?», sagt Kai Kranz. Steht der Kai Kranz, keinen Platz.» Patientennutzen auf diese Weise im Zentrum, Bereichsleiter CME Ein klassisches Schulbeispiel sind die Hierar- stehen die beteiligten Personen mit ihren Egos chien, die im Gesundheitswesen noch immer sehr ausgeprägt sind. Welcher junge Assistent korri- giert schon den erfahrenen Operateur, wenn die- ser im OP eine falsche Einschätzung trifft? Hierar- « Zwischen Erfolg und Katastrophe chien können Hemmungen auslösen, die für die hat es nicht viel Platz.» Kai Kranz Patienten negative Folgen haben. Im Spitalbe- trieb finden sich solche Konstellationen querbeet. Auf allen Stufen, in allen Bereichen. automatisch im Hintergrund. Und damit spielen auch Beziehungen und Hierarchien im Team keine Keine Zufälle störende Rolle mehr. In einer Hochzuverlässigkeitsbranche darf die Über 80 000 Personen haben bereits Bildungs- Sicherheit nicht dem Zufall überlassen werden, angebote von Sirmed wahrgenommen. Sie alle sagt Bereichsleiter Kranz: «Wir wollen eine Stra- wissen: Eine Notfallsituation kann jeden treffen. tegie implementieren, die das Risiko eines schlim- Und jeder kann sich darauf vorbereiten. men Fehlers möglichst klein hält.» Ein Team kann (kste/we/febe) Paraplegie, Juni 2019 9
RISIKO UNFALL Simulationszentrum Wenn Puppen sprechen und schwitzen Das Schweizer Institut für Rettungsmedizin Sirmed betreibt in Nottwil ein modernes Simulationszentrum. Fachkräfte aus der ganzen Schweiz bereiten sich darin unter realitätsnahen Bedingungen auf Notfälle vor. Gequält sitzt der Patient auf dem Sofa im Wohn- zimmer, klagt über starke Schmerzen in der Brust. Zwei Rettungssanitäter sind eingetroffen: «Herr In Nottwil hat auch das Personal von kleineren und mittleren Schweizer Spitälern und Rettungs- organisationen die Möglichkeit, Simulationskurse 570 000 Personen verletzen sich Barmettler, wo tut es genau weh?», fragt Jürgen durchzuführen. Sie können die Infrastruktur für Reichl. Seine Kollegin Jennifer Stitz misst unter- bestimmte Zeiten mieten oder die Kurse der jährlich in der Freizeit. dessen mit einer Manschette den Blutdruck und Sirmed besuchen. Knapp die Hälfte der verkabelt den Patienten mit dem EKG-Gerät. Unfälle ereignet sich zu Die Zeit drängt: Die Helfer vermuten, dass Allergische Reaktion per Computer Hause. der Patient einen Herzinfarkt erlitten hat. «Haben Während die Rettungssanitäter Herrn Barmettler Sie die Schmerzen schon lange?», fragt Reichl. im Wohnzimmer versorgen, sitzen die beiden Herr Barmettler fällt das Reden schwer: «Nein, erst Übungsleiter im Nebenraum und beobachten das seit heute, erst seit dem Morgenessen.» Geschehen durch eine verspiegelte Glasscheibe – Solche Situationen sind für Rettungssanitä- ähnlich wie bei einem Polizeiverhör. «Da die Teil- ter Alltag. Doch für einmal ist der Notfall nur eine Übung, der Patient eine Puppe. nehmer uns nicht sehen können, vergessen sie oft, dass wir zuschauen», sagt Regener. «Dadurch wird die ganze Übung realistischer und der Lern- 11,7 Mia. Franken kosten Nicht Übungen mit Videoüberwachung effekt ist grösser.» berufsunfälle jedes Jahr. Letzten Herbst hat das Schweizer Institut für Ret- Im Nebenraum steuern die Übungsleiter das tungsmedizin Sirmed auf dem Campus Nottwil Szenario. Sirmed arbeitet mit Hightech-Puppen. Die Hälfte davon ist auf zwei hochmoderne Simulationsräume eröffnet. Diese können schwitzen, atmen, bluten und ihre Unfälle im Strassenverkehr Dort können Fachkräfte Notfälle realitätsnah Pupillen reagieren sogar auf Lichtreize. Per Com- zurückzuführen. durchspielen – ähnlich wie das Piloten in einem puter löst der Übungsleiter zum Beispiel eine Flugsimulator machen. Die Räume lassen sich allergische Reaktion der Puppe aus oder jagt den als Operationssaal, Intensivstation, Schockraum Puls in die Höhe, wenn sie das falsche Medika- oder Wohnzimmer einrichten. Sie sind mit den ment bekommt. «So können wir die Teilnehmer neuesten Geräten ausgestattet, mit denen die bewusst Stresssituationen aussetzen und sie an Fachkräfte auch im Alltag arbeiten. Die einzel- ihre Grenzen bringen», erklärt Regener. Gleichzei- nen Übungen werden zudem mit festinstallierten tig gibt der Übungsleiter per Mikrofon der Puppe Videokameras aufgezeichnet und anschliessend eine Stimme. Damit die Situation möglichst realis- mit allen Beteiligten analysiert. tisch wirkt, muss er ein gewisses schauspieleri- Simulationen im Rahmen von Aus- und Wei- sches Talent mitbringen. terbildungen gehören in der Medizin seit vielen Notfall im Wohnzimmer Jahren zum Standard, in der Schweiz gibt es aber Jubel hinter der Glaswand Durch eine verspiegelte Glasscheibe nur ein halbes Dutzend Simulationszentren auf Das EKG-Gerät piepst regelmässig. Der künstliche beobachtet der Übungsleiter diesem technischen Niveau. Die meisten werden Patient wird für den Transport mit der Ambulanz die Rettungssanitäter beim Einsatz. von grösseren Spitälern betrieben, um die eigene bereit gemacht. «Herr Barmettler, nehmen Sie Realitätsnahe Ausbildung Belegschaft zu schulen. «Doch längst nicht jedes Blutverdünner oder benutzen Sie ein Potenzmit- Jennifer Stitz und Jürgen Reichl Spital kann sich eine solche Infrastruktur leisten», tel?», fragt Rettungssanitäter Reichl. «Ich würde erhalten durch Simulationsübungen sagt der Sirmed-Geschäftsführer Helge Regener. Ihnen sonst gerne ein Medikament geben, das die Sicherheit für den Ernstfall. 10 Paraplegie, Juni 2019
RISIKO UNFALL Paraplegie, Juni 2019 11
Die Nachbesprechung fördert das Qualitätsbewusstsein. Oft entscheiden nicht medizini- sche Fertigkeiten, wie gut ein Einsatz war, sondern Aspekte der Zusammenarbeit. Kleine Bilder: Übungssituation im Rettungswagen. Schmerzen nimmt.» Der Patient reagiert forsch: «Das ist Privatsache!» Der Rettungssanitäter kon- tert: «Sie müssen mir schon sagen, wenn Sie ein Potenzmittel nehmen, sonst darf ich Ihnen das Medikament nicht geben.» Die Übungsverantwortlichen hinter der Glasscheibe klatschen. «Yes!», ruft Ausbildnerin Barbara Hunziker. «Genau das wollte ich hören. Gut gemacht.» Helge Regener spielt über die Lautsprecher einen Musik-Jingle ein und sagt durchs Mikrofon: «Wir brechen hier ab. Danke für euren Einsatz. Wir treffen uns in zehn Minu- ten zur Nachbesprechung.» Sicherheit dank Training Die beiden Rettungssanitäter sind zufrieden. «Ich denke, im Grossen und Ganzen haben wir die Übung gut gemeistert», sagt Jürgen Reichl. Jenni- fer Stitz ist nicht restlos zufrieden: «Einige Details müssen wir bei der Nachbesprechung aber noch genauer anschauen.» Die Studierenden Stitz und Reichl stehen kurz vor ihrer Abschlussprüfung. Ihre praktische Aus- bildung absolvieren die beiden angehenden Ret- tungssanitäter bei der Organisation, bei der sie angestellt sind. Der schulische Teil findet in Nott- wil statt. Denn Sirmed ist auch eine Höhere Fach- schule. Pro Jahrgang werden rund zwanzig diplo- – wieder eine Puppe – hat mit Brennsprit hantiert und dabei starke Verbrennungen erlitten. Eine Schwellung am Hals behindert die Atemwege, 2400 Personen sterben mierte Rettungssanitäter HF ausgebildet. der Patient droht zu ersticken. Deshalb benötigt er «Solche Simulationsübungen sind extrem eine Intubation, einen Schlauch durch Mund und jedes Jahr bei wertvoll», sagt Jürgen Reichl. «Sie geben mir Luftröhre in die Lunge. Zudem muss er schnellst- Nichtberufsunfällen. Sicherheit. Dadurch bleibe ich im Ernstfall ruhi- möglich abtransportiert werden ger und mache weniger Fehler.» Übungen kön- Die beiden Rettungssanitäter arbeiten spedi- nen die Patientensicherheit entscheidend erhö- tiv, ihre Handgriffe sitzen. Fix installierte Kameras hen, bestätigt auch Sirmed. filmen die Übung, die anderen Studierenden ver- Um alle Rettungsschritte vom Unfallort bis folgen das Szenario live im Kursraum. in den Operationssaal realistisch durchzuspie- len, finden viele Übungen ausserhalb der Simu- lationsräume statt – auf der Sportanlage, in der Tiefgarage, im Wald. Zudem besitzt Sirmed ein Missverständnisse aufdecken Zehn Minuten später sitzen wieder alle zusam- men im Schulzimmer. «Die Nachbesprechung ist 230 Menschen sterben im 1:1-Modell eines Rega-Helikopters, ein Ambulanz- das A und O jeder Übung», sagt Geschäftsfüh- Strassenverkehr. Gefährdet fahrzeug sowie einen Personenwagen für die rer Helge Regener. «Aber auch in der Realität ist Simulation von Verkehrsunfällen. es wichtig, dass die Rettungsteams ihre Einsätze sind hauptsächlich Fuss- nachbesprechen.» gänger und Zweiradfahrer Notfall beim Grillieren In der Feedback-Runde schauen sich die Stu- innerorts. Im Aussenbereich üben zwei andere Studierende dierenden gewisse Szenen der Übung nochmals das nächste Szenario. Sie haben bei ihrer Alarmie- an. Das Video zeigt: Die beiden angehenden rung die Information bekommen, ein Mann hätte Rettungssanitäter haben vieles richtig gemacht sich im Garten beim Grillieren verbrannt. Am Ein- und am Einsatzort strukturiert miteinander gere- satzort stellt sich schnell heraus: Der Verunfallte det. «Wir bekamen vorab nur wenige Infos zum 12 Paraplegie, Juni 2019
Unfall. Doch wir haben bereits auf dem Weg zum Einsatzort mögliche Szenarien besprochen», sagt der erste Übungsteilnehmer. «Deshalb konnten Umso strenger sind die beiden Übungsteilnehmer mit sich selber. «Wir haben eigentlich gut mit- einander kommuniziert. Du hast mich immer auf- 70 % der Verletzungen von wir dann schnell reagieren.» datiert, was du gerade gemacht hast oder was Das Video zeigt aber ebenso schonungslos du im Gespräch mit dem Patienten herausgefun- Senioren in Haus und die Fehler. «Halt! Wir haben da völlig aneinander den hast», sagt Jennifer Stitz. «Doch ich kann dir Freizeit sind auf Stürze vorbeigeredet», sagt plötzlich der andere Teilneh- schlecht zuhören, wenn ich das Stethoskop in zurückzuführen. mer. «Und das Verrückte daran: Wir haben das den Ohren habe. Wir müssen uns in Stresssituati- nicht einmal bemerkt.» Beiden war vor Ort klar, onen gezielt Zeit nehmen, um zu kommunizieren. (alle Zahlen: bfu) dass der Patient schnellstmöglich ins nächstgele- Sonst reden wir aneinander vorbei.» gene «Zentrum» zu transportieren sei, am besten Genau darin besteht der Kern dieser Simu- per Helikopter. Doch während der erste Rettungs- lationsübungen: Häufig stehen nicht die medi- sanitäter das regionale Zentrumsspital im Visier zinischen Fertigkeiten und das Wissen der Teil- hatte, meinte der andere ein spezielles Verbren- nehmer im Vordergrund, vielmehr geht es um nungszentrum in einem grösseren Spital. das Situationsbewusstsein, die Entscheidungsfin- «Ihr müsst präziser miteinander reden», sagt dung, die Kommunikation und die Teamarbeit. eine Teilnehmerin im Plenum. «Es wäre verhee- Denn Fehler in Krisensituationen entstehen oft rend, wenn beim Einsatz der Helikopter ins falsche aufgrund von mangelnder Koordination, Zusam- Zentrum fliegt und dort niemand bereit steht, um menarbeit und Kommunikation. den Patienten zu versorgen.» «Eine funktionierende Teamarbeit und eine gute Kommunikation können Leben retten», Kommunikation im Zentrum sagt Sirmed-Chef Regener. In den hochmoder- Inzwischen bespricht auch die Gruppe mit dem nen Simulationsräumen in Nottwil können jetzt Herzinfarkt-Patienten ihren Einsatz. Das Feed- alle medizinischen Kräfte daran feilen. back der Mitschüler fällt durchwegs positiv aus. (brel/febe) Paraplegie, Juni 2019 13
Helge Regener, Geschäftsführer Schweizer Institut für Rettungsmedizin (Sirmed)
RISIKO UNFALL Sirmed «Nichtstun ist der grösste Fehler» Mit seinen Kursen und Ausbildungen zählt das Schweizer Institut für Rettungsmedizin Sirmed zu den führenden Adressen. Es trägt dazu bei, dass in einem Notfall jeder Mensch die bestmögliche Versorgung bekommt. Helge Regener, wie reagieren Sie, massnahmen auf rund 230 Fälle pro Erachtens müsste man bereits in der Sekun- wenn Sie auf der Strasse ein Martins- Jahr abgenommen. darschule Wiederbelebungsmassnahmen horn hören? Das ist ein schöner Erfolg. Demgegenüber schulen. Zudem sollte jeder seine Erste-Hilfe- Da erinnere ich mich an meine eigene Zeit stehen 8000 tödliche Kreislaufstillstände. Fähigkeiten regelmässig trainieren. Damit im Rettungswagen … mit ein bisschen Weh- Hierbei ist die Phase unmittelbar nach dem hätten wir viel erreicht. mut. Ich mache mir kaum Sorgen um die Ereignis entscheidend. Ob ein Patient über- Notfallsituation, weil ja die Profis bereits lebt, hängt nicht nur von der Qualität der Manche befürchten, sie könnten unterwegs sind – ausser es würde bei uns Rettungsdienste oder der klinischen Versor- beim Helfen Fehler machen. im Quartier geschehen, wo ich einen Betrof- gung ab, sondern vor allem auch von den Die meisten Menschen sterben nicht, weil sie fenen vermutlich kenne. überbrückenden Massnahmen der Erst fehlerhaft wiederbelebt wurden, sondern helfer bis zum Eintreffen der Rettungs- weil sie nicht wiederbelebt wurden. In vie- Beobachten Sie am Einsatzort, kräfte. Oft geschieht ein Kreislaufstillstand len Fällen ist Nichtstun der grösste Fehler. ob die Kollegen alles richtig machen? zu Hause im Familienkreis. Neben dem Unsere Kurse helfen dabei, hemmende Fak- Nein, ich überlege nur: Braucht es mich raschen Notruf geben hier einfache Hand- toren abzubauen. Mit zwei, drei Schlüsseln oder nicht? Wenn die Kollegen schon vor griffe den Ausschlag, um Leben zu retten. zum Erfolg bekommen die Teilnehmenden Ort sind, kann ich als Zivilist ohne Ausrüs- die Zuversicht, mit hoher Wahrscheinlich- tung nur wenig beitragen. Hat man in der Öffentlichkeit keit Gutes bewirken zu können. Man muss grössere Chancen auf Erste Hilfe? ihnen aber auch den Respekt vor Dingen Andere Vorbeifahrende zücken das Aus der Altruismusforschung wissen wir, mitgeben, die schieflaufen könnten – etwa Handy zum Fotografieren. dass mit der Anzahl der Beobachter die das Absichern einer Unfallstelle. Ein gewisser Voyeurismus ist den Menschen Hilfsbereitschaft des Einzelnen abnimmt: zu eigen, das müssen wir wohl oder übel Jeder denkt, der andere kümmere sich um Und wie steht es um die Gefahr, bei akzeptieren. Die Grenze wird dort über- den Fall. Man spricht von «Verantwortungs einem Rückenverletzten eine Quer- schritten, wo Persönlichkeitsrechte verletzt diffusion». Die Rettungsdienste erleben aber schnittlähmung zu verursachen? oder Rettungskräfte behindert werden. häufig, dass bei ihrem Eintreffen bereits Diese Gefahr besteht tatsächlich. Aber die Massnahmen durch Ersthelfer stattfinden – richtigen Massnahmen der Ersten Hilfe sind Könnten denn genügend Menschen spontan oder angeleitet durch die Notruf- einfach und grundsätzlich leicht zu erler- anhalten und helfen? zentralen. nen. In entsprechenden Kursen werden die Jedes Jahr werden etwa 85 000 Führeraus- Grundregeln vermittelt und wiederholt trai- weise beantragt, wofür es einen Nothelfer- Die erklären, was zu tun ist? niert. In unseren Übungen decken wir alle kurs braucht, und rund 60 000 Personen Genau! Wer helfen möchte, kann Schritt für Glieder der Rettungskette ab. Die Rücken- besuchen einen Reanimationskurs. Diese Schritt angeleitet werden. Von der Situati- markschädigung ist dabei immer wieder Anzahl müsste sicher steigen. Das Schwei- onsbeurteilung bis zur Herzmassage. eine Schlüsselsituation. zer Reanimationsregister, das derzeit aufge- baut wird, wird uns helfen, solche Fragen Es gibt immer mehr Defibrillatoren Sirmed geniesst eine hohe Reputation. seriös zu beantworten. im öffentlichen Raum. Kann die Wie weit profitieren Sie dabei vom überhaupt jemand bedienen? Standort Nottwil? Die Toten im Strassenverkehr haben Diese Geräte sind sehr intuitiv nutzbar, in Auf dem Campus Nottwil nutzen wir viele dank verschiedenster Präventions- Tests schaffen das bereits Kinder. Meines Synergien. Dank dieser idealen Infrastruktur Paraplegie, Juni 2019 15
RISIKO UNFALL « Meines Erachtens müsste man bereits in der Sekundar- schule Wiederbelebungsmassnahmen trainieren.» Helge Regener kann Sirmed alles aus einer Hand anbieten Ihr neuestes Angebot ist ein Es geht also um Wachstum? und Kurse für fünf bis fünfhundert Personen hochmodernes Simulationszentrum. Wir wollen wachsen, ja. Aber nicht um durchführen. Das Areal bietet enorm viel Weshalb wurde es gebaut? des Wachstums willen, sondern weil wir fältige Möglichkeiten. Wir müssen daher Das zentrale Thema dabei ist die Patien- bestimmte Kompetenzen nur abbilden kön- nicht auf öffentlichen Grund ausweichen, tensicherheit und der sensible Bereich der nen, wenn wir eine gewisse Grösse haben. sondern haben alle erdenklichen Schulungs- vermeidbaren Fehler. Mit unserer Anlage Wir beschäftigen zum Beispiel hochspeziali- situationen vor Ort – vom See bis zur Tiefga- können wir Teamprozesse trainieren, um sierte Mitarbeiter, da braucht es Wachstum, rage, vom Sportplatz bis zum Bauernhof. die Versorgungsqualität und die Überle- um unseren Qualitätsanspruch umzusetzen Ein so umfassendes Programm könnte wo- bensquoten zu verbessern. Die Situationen, und dauerhaft kostendeckend zu sein. Wir anders nicht angeboten werden. die wir durchspielen, sind der Realität der wollen, dass unsere Angebote möglichst Kursteilnehmer sehr ähnlich. So werden viele Ersthelfer und Profis erreichen. Sirmed geht auch direkt vor Ort Themen simuliert, die auf die vordefinierten zu den Kunden. Lernziele abgestimmt sind. Aus volkswirtschaftlicher Sicht wäre Rund siebzig Prozent der Erste-Hilfe-Kurse Prävention ein Riesenthema. finden in der ganzen Schweiz statt, in ver- Haben Sie schon Erkenntnisse aus Prävention ist ein Dreh- und Angelpunkt, sie schiedenen Sprachen und Formaten. Von der neuen Anlage gewonnen? gehört jedoch nicht primär zu unserem Leis- Gesetzes wegen ist bei uns jeder Arbeit- Wir sehen, dass die Methode ausgespro- tungsauftrag. Wir sind froh, dass Organisa- geber dazu verpflichtet, mögliche Gesund- chen gut angenommen wird. Die Simula- tionen wie die Suva und die bfu in diesem heitsrisiken für seine Mitarbeitenden zu tionen schulen ja nicht primär individuelle Bereich eine ausgezeichnete Arbeit leisten; identifizieren und entsprechende Mass- Kenntnisse, sondern machen Teamfakto- der Fokus von Sirmed liegt auf Ereignis- nahmen umzusetzen. Viele Unternehmen ren bewusst. Die Teilnehmer sind bereit, sen, bei denen die Prävention versagt hat. betreiben dabei einen grossen Aufwand – eigene Fehler offen anzusprechen, und In unseren Kursen und Veranstaltungen aus Sorge für ihre Mitarbeitenden und um werten diese nicht als persönlichen Miss- bekommen die beeinflussbaren Risikofak- Reputationsschäden abzuwenden. erfolg. Gerade in hierarchisch strukturier- toren dennoch Platz: Wir zeigen den Teil- ten Betrieben – wie es Spitäler häufig noch nehmenden, dass vieles, das vorhersehbar Die Arbeitsunfälle nehmen ab, sind – lässt sich mit dieser Methode gan- ist, auch vermeidbar wäre. Der Hauptanteil dafür steigt die Anzahl der Unfälle zen Teams ein zeitgemässes Qualitäts- betrifft Verhaltensmuster. in der Freizeit. denken vermitteln. Weil im SimCenter die Auf das Risikoverhalten in der Freizeit hat aufwändige Technik bereits fix installiert ist, Sirmed wird von den beiden grössten der Gesetzgeber wenig Einfluss. Immer wie können wir uns jetzt ganz auf die Inhalte Gönnerorganisationen der Schweiz der wird diskutiert, wie stark man den Ein- konzentrieren. getragen. Beeinflusst das auch zelnen in diesem Bereich in die Haftung Ihren Auftrag? nehmen soll. Das sind letztlich ethische Fra- Seit 2019 ist Sirmed eine gemein- Das Schöne an unserer Arbeit ist, dass gen, die sich eine Gesellschaft insgesamt same Tochter der Schweizer Para- wir guten Gewissens behaupten können, stellen muss. plegiker-Stiftung und der Rega. unsere Aufgabe bestehe darin, die Welt Was hat sich dadurch verändert? ein bisschen besser zu machen. Wir tragen Erste Hilfe sollte jeden angehen ... Es sind neue Voraussetzungen entstanden. einen kleinen Teil zu den grossen Zielen der Sie betrifft unser Menschsein. Jeder hat Sirmed übernimmt einerseits Kurse der Schweizer Paraplegiker-Stiftung und der eine Verantwortung und kann nicht einfach Rega und intensiviert die bereits beste- Rega bei. Das steht auch in unserer Vision: wegschauen, wenn etwas passiert. Dabei hende Zusammenarbeit in der medizini- Dass jeder Mensch in einer Notfallsituation spielt Eigeninteresse ebenfalls eine gewisse schen Ausbildung. Andererseits können wir die bestmögliche Versorgung bekommt. Rolle: Man möchte selber ja auch, dass gemeinsam neue Angebote schaffen, die es Wenn wir das in der Schweiz nicht hinbe- einem im Notfall geholfen wird. am Markt so noch nicht gibt. kommen, wo dann? (kste/febe) 16 Paraplegie, Juni 2019
SEITENBLICK Der Himmel unter den Füssen «Der Reiz des Fliegens lässt sich einfach erklären», meint Fluglehrer Stefan Keller: «Sobald ich in der Luft bin, habe ich kein Handicap mehr.» Seelsorger Stephan Lau- per sagt: «Es geht in der Rehabilitation auch darum, eine Perspektive fürs Weiterleben zu finden; etwas, wofür es sich lohnt, die Therapiearbeit und die Schmerzen auf sich zu nehmen.» Die beiden Spezialisten für den Himmel sitzen in der Begegnungshalle des Schweizer Paraplegiker-Zentrums (SPZ). Über ihnen hängt die Skulptur «Parikarus» von Paul Gugelmann unter dem Glasdach, vor ihnen liegt die Frage: Ist es «verrückt», als Querschnittgelähmter nach einem Gleit- schirmunfall weiterzufliegen? Keller muss es wissen, er bringt sowohl Fussgängern wie Rollstuhlfahrern das Flie- Fall ins Leben geht um den Augenblick, in dem ich der gen bei. Seit 2013 sitzt er selber im Rollstuhl. Aber darf man sein Leben in Gefahr bringen, Begleitperson das Signal gebe: ‹Los!› Darauf Ausgerechnet er, der in der Szene als stets ist das nicht «himmelschreiend», wie uns bereite ich mich minutiös vor.» sicherheitsbewusst gegolten hatte. Keine oft gesagt wird? Die beiden argumentie- Ein risikoloses Leben in völliger Sicher- Minute habe er damals gezögert, ob er die ren differenziert. Es gehe immer um einen heit ist für die beiden Mitfünfziger undenk- Flugschule weiterführen möchte, sagt er. bewussten Umgang mit den Risiken, die ein bar. Die Entscheidungen, die jeder von uns Wenige Monate nach der Erstrehabilitation zentraler Teil des Lebens sind. «Wir haben ständig treffen muss, werden deshalb zu in Nottwil ist er wieder abgehoben. Im Hän- viele Dinge nicht im Griff», sagt Seelsorger einem Spiegel unserer Verantwortlichkeit. gegleiter-Verband habe sein Engagement Lauper. «Deshalb müssen wir stets Werte «Die zentrale Frage ist die nach einem für Sicherheitsfragen heute ein besonderes gegeneinander abwiegen.» Die Gefahren guten Leben», sagt Stephan Lauper, «und Gewicht: «Als Fluglehrer und Betroffener des Autofahrens, Skifahrens, Rauchens oder die beantwortet jeder anders.» – «Wenn sind meine Botschaften glaubwürdig. Hätte Alkohols sind bei uns gesellschaftlich akzep- ich Briefmarken sammeln würde, wäre ich ich mich zurückgezogen, wäre ich verge- tiert. Die Frage ist: Wo liegt die Grenze zu jetzt schon tot …», antwortet Stefan Keller. bens vom Himmel gefallen.» Sein Rollstuhl etwas, das nicht mehr akzeptabel ist? Und Den Umstand, dass er immer wieder auch wird so zum fliegenden Mahnmal. wer kann es sich herausnehmen, hier ein «verrückte» Challenges angeht, streitet der Für Stephan Lauper sind Himmel und Verbot auszusprechen? Gleitschirmlehrer nicht ab. Das Wort heisst Erde eng miteinander verknüpft. Der Seel- Fluglehrer Keller ergänzt: «Versiche- für ihn aber nur, dass er danach nicht mehr sorger am SPZ unterstützt Patienten darin, rungstechnisch belasten Fussballer das Soli- am gleichen Ort steht, sondern weiter- dass sie ihre Lebenskraft auf ein erfülltes darsystem weitaus stärker als Gleitschirm- gekommen ist. Ver-rückt eben. Leben ausrichten können. Ihnen einen piloten. Weltweit die meisten Querschnitte So kann auch ein Un-fall lebensdien- Traum zu verbieten, das masst er sich nicht gibt es wegen Schussverletzungen. Darüber lich sein – nämlich das Gegenteil eines Falls. an: «Letztlich geht es um unser christliches macht man sich kaum Gedanken.» Seinen Nicht das Ende, sondern ein Anfang. Menschenbild. Um Würde und Autonomie. Entscheid, für eine grössere Fülle an Leben (kste) Und dass wir jedem Einzelnen zutrauen und den Preis eines höheren Risikos zu zahlen, zumuten, sein Menschsein bestmöglich zu treffe er bei jedem Start von Neuem: «Es Lesen Sie das ausführliche Gespräch auf: leben.» geht nicht um weiterfliegen oder nicht. Es www.paraplegie.ch / kellerlauper Paraplegie, Juni 2019 17
R ATG EBER Helfen und Vorbeugen Einige Notfälle sind schicksalhaft, doch viele Situationen stellen sich als vermeidbar heraus. Sie können sich vorbereiten: auf das Helfen in einer Notfallsituation und auf das Vermeiden von Risiken – besonders in der Freizeit und zu Hause. 144 Alarmieren Sie Beurteilen Sie den Patienten! die Notrufzentrale: Telefon 144! Die Basismassnahmen beginnen mit der Beurteilung, ob lebens- In einer Notfallsituation ist die sofortige Benachrichtigung rettende Sofortmassnahmen notwendig sind: des Rettungsdienstes eine der wichtigsten Massnahmen. Bleiben Sie ruhig und antworten Sie präzis, das erleichtert Patient ist ansprechbar: Meist besteht keine unmittelbare den professionellen Rettern, den Einsatzort rasch zu finden Lebensbedrohung. Richten Sie Ihre Massnahmen nach den Bedürf- und angemessen zu reagieren. Bei notwendigen Sofortmass- nissen aus, die der Patient äussert. nahmen werden Sie von den Disponenten am Telefon bis zum Eintreffen des Rettungsdienstes unterstützt. Patient ist bewusstlos und atmet normal: Es besteht eine potenzielle Lebensbedrohung. Nehmen Sie die Bewusstlosen- 144 Sanitätsnotruf lagerung vor und beobachten Sie ständig die Atmung. 112 Europäische Notfallnummer Patient hat einen Kreislaufstillstand: Der bewusstlose Patient atmet nicht oder nicht normal. Sein Leben ist akut bedroht und er- fordert sofort Basismassnahmen: Alarmierung, Herzmassage, Beat- mung. Ist ein Defibrillator (AED) verfügbar: rasch einsetzen. Schützen Sie sich selber! Gehen Sie nach Ampelschema vor! Sichern Sie eine Unfallstelle vor weiteren Risiken. Retten Sie keine verunfallte Person aus einem Fahrzeug, dies Am Ereignisort ist das Schlimmste in der Regel gefährdet Helfer und Opfer. Ausnahmen: unmittelbare schon passiert. Bleiben Sie also ruhig und über- Lebensgefahr und drohender Fahrzeugbrand. tragen Sie Ihre Ruhe auf den Patienten und alle Beteiligten. Folgen Sie dem Ampelschema: 1. Schauen Was ist passiert? Achten Sie auch auf mögliche Gefahren für den Patienten, Umstehende und sich selber. Trauen Sie sich, 2. Denken Richten Sie Ihr Handeln nach den Gefahren aus und Erste Hilfe zu leisten! schützen Sie sich: Handschuhe; Unfallstelle sichern; Zurückhaltung bei Aggressionen; Abstand bei Brand-, Explosions- oder Absturz- Bevor der professionelle Rettungsdienst die medizini- gefahr; Vorsicht gegenüber Strom und Vergiftungen. sche Versorgung übernimmt, liegt die Erstbetreuung in den Händen von Laien. In vielen Fällen ist Zeit eine 3. Handeln Handeln Sie entsprechend Ihrem Wissensstand und entscheidende Grösse. Wenn Sie bedacht handeln und ziehen Sie bei Bedarf weitere Hilfe hinzu. sich an einige einfache Grundlagen halten, können Sie keinen Schaden anrichten. Ihre Zivilcourage ist das höchste Gut in einer Notfallsituation! (Quellen: Sirmed, bfu, Suva, Versicherungen, Konsumentenschützer) 18 Paraplegie, Juni 2019
R ATG EBER Schützen Sie sich unterwegs! Prüfen Sie Ihre Bis zu 95 Prozent der Autofahrer tragen je Versicherung! nach Region und Strassenart den Sicher- heitsgurt, doch nur 23 Prozent der Roller- Versicherer können ihre Leistungen bis zu fahrer schützen sich mit einer geeigneten Frischen Sie Ihr Wissen auf! 50 Prozent kürzen, wenn ein «Wagnis» vor- Jacke. Jeder zweite Velofahrer trägt einen Die Basismassnahmen zur Lebenserhaltung liegt: Wenn sich jemand grossen Gefahren Helm, wobei grosse Unterschiede bezüglich und Lebensrettung sind einfach. Trainieren aussetzt, ohne die Vorkehrungen zu treffen Fahrtzweck (Schule, Einkaufen) bestehen. Sie Ihre Fertigkeiten von Zeit zu Zeit. Sirmed oder treffen zu können, die das Risiko auf ein Wichtige Schutzmassnahmen sind auch: bietet dazu eine grosse Auswahl an Kursen vernünftiges Mass beschränken. In schwer- kein Alkohol am Steuer und eine ange- für Einzelpersonen, Gruppen und Firmen an. wiegenden Fällen kann die Leistung ganz ab- passte Geschwindigkeit. gelehnt werden. Wer Risikosport betreibt, sollte Zusatzdeckungen durch eine private www.paraplegie.ch/ Unfallversicherung, Erwerbsunfähigkeits- sirmed-erstehilfe rente, Todesfallversicherung und Privathaft- pflichtversicherung prüfen. Prüfen Sie das Anmeldeformular! Beispiel: Sprung in den Rhein Veranstalter von organisierten Aktivi- Nicht nur akrobatische Sprünge beim «Dirt- täten müssen für Unfallfolgen nicht biken» sind Wagnisse. Laut Bundesgericht aufkommen und können jegliche Haf- Rückenverletzung (12/2012) reicht ein leichtsinniger Kopf- tung im Kleingedruckten ausschlies- beachten! sprung in den trüben Rhein, damit ein sen. Das Anmeldeformular enthält Querschnittgelähmter nur die Hälfte der meist die Klausel «Versicherung ist Die Rehabilitation eines Querschnittgelähm- Taggelder und Unfallrente erhält. Solche Sache des Teilnehmers». Leidtragen- ten beginnt schon am Einsatzort. Direkt nach Risiken behandeln Versicherer individuell. de sind die Kunden, die neben ihrer dem Ereignis geht es gleich wie bei allen Bei Sportarten wie Mountainbiken, Ski- Gesundheit auch ihre finanzielle Exis- Patienten darum, das Überleben zu sichern fahren oder Klettern sind die Grenzen tenz gefährden. und weitergehende Schäden zu vermeiden. fliessend, wenn «übliche Vorsichtsgebote» Bei Rückenverletzungen hat die Stabilisie- (Suva) schwerwiegend missachtet werden. rung der Wirbelsäule eine hohe Priorität. Ver- meiden Sie Folgeverletzungen durch aktive und passive Bewegungen. Junge Männer: besonders aufgepasst! Schüler und Studenten sind bei Invalidität nicht durch einen Arbeitgeber abgesichert, ihnen drohen finanzielle Beugen Sie Stürzen im Alter vor! Konsequenzen. Für Freizeitunfälle das grösste Risiko ist Bei älteren Menschen sind Stürze aus geringer Höhe der Haupt- die Fehleinschätzung der eigenen Fähigkeiten – für junge grund für schwere Verletzungen bis hin zur Rückenmarkschädi- Männer doppelt so hoch wie für junge Frauen. Bei Berufs- gung. Sichern Sie Teppiche und rutschige Flächen im Bad, benutzen unfällen tragen Lernende ein hohes Risiko: So verunfallen Sie den Handlauf bei Treppen, achten Sie auf genügend Licht – und jedes Jahr 25 000 Lernende, drei davon tödlich. bleiben Sie körperlich aktiv! Muskelschwäche, Gang- und Gleich- gewichtsdefizite sind Hauptrisiken für Stürze im Alter. Ein gezieltes Training, allein oder in der Gruppe, schützt davor. Informationsquellen Auf dem Youtube-Kanal der Paraplegiker-Stiftung finden Beachten Sie im Sport einige Grundregeln! Sie viele Lernvideos (Stichwort: Sirmed). Gute Ratgeber bietet auch die Beratungsstelle für Unfallverhütung (bfu). 1. Verwenden Sie eine qualitativ hochwertige Ausrüstung. Die Unfallversicherung 2. Erlernen und trainieren Sie die korrekte Technik. Suva sensibilisiert für 3. Schätzen Sie Ihre Kondition und Fähigkeiten richtig ein. Risiken bei der Arbeit und in der Freizeit. 4. Prüfen Sie die Umgebung und die Bedingungen. 5. Bereiten Sie Körper und Material auf die Saison vor. www.bfu.ch 6. Verzichten Sie beim Sport auf Alkohol und Drogen. https://tinyurl.com/sirmed www.suva.ch Paraplegie, Juni 2019 19
IN T EG R AT I O N Begegnung Vorwärts, immer vorwärts Titus Haltiner sitzt nach einem Motorradunfall seit 33 Jahren im Rollstuhl. Das hindert den 56-Jährigen nicht, ein Zweiradgeschäft zu führen, das weitherum einen ausgezeichneten Ruf geniesst. 20 Paraplegie, Juni 2019
IN T EG R AT I O N In der Werkstatt herrscht Betrieb, und der Chef Titus Haltiner kann die Bilder, die Gefühle von ist mittendrin. Titus Haltiner schraubt an einem damals noch klar abrufen. «Aber ich studiere Töffli, der Auftrag muss erledigt sein. Durch ein eigentlich nicht mehr gross darüber nach», sagt Fenster sieht er kurz vor Mittag den Reporter im er. Dann schweift sein Blick ab, seine Schultern Laden seines Zweirad-Centers in Montlingen (SG), zucken etwas, Gesten, die seine Nachdenklich- legt den Schraubenzieher beiseite, und ein paar keit zeigen: «Es war keine einfache Zeit. Ich hatte Sekunden später streckt er dem Besucher die das Glück, dass mir mein Umfeld enormen Rück- Hand entgegen: «Sali, ich bin der Titus.» Man fühlt halt gab, die Familie, die Kollegen. Es musste wei- sich sofort willkommen. tergehen … irgendwie.» Bei der Verarbeitung Titus Haltiner (56) ist schwungvoll um die Ecke halfen auch seine Aufgaben im Geschäft. gekommen, präziser: gefahren. Er sitzt im Roll- Der Unfall gehört zu seiner Lebensgeschichte stuhl, derzeit einem elektrischen, weil er letzten wie die Zeit danach in Basel, die fünfeinhalb Herbst während der Arbeit einen Achselbruch Monate in der Reha-Klinik, die Operationen, die erlitten hat und seinen rechten Arm vorderhand Leiden. Es gibt aber auch Momente aus dieser Titus Haltiner (56) in seinem nur reduziert einsetzen kann. «Eine dumme Zeit, die ihm ein Strahlen ins Gesicht zaubern. Zweiradgeschäft. Man fühlt sich Bewegung», vermutet er. Laut MRI hat sich in Er liegt im Sechserzimmer und versteht sich mit sofort willkommen. der Achsel zu viel Wasser angesammelt. seinen Leidensgenossen ausgezeichnet. «Da sind Bislang ist er um eine Operation herumge- Freundschaften entstanden», sagt er. Mit drei kommen. Und überhaupt: Die Verletzung kann Kollegen hat er Kontakt bis heute. Und in bester ihn nicht davon abhalten, im Geschäft nach dem Erinnerung behält er Guido A. Zäch, den Chefarzt Rechten zu sehen und selber kräftig mitzuhel- des Schweizer Paraplegiker-Zentrums (SPZ), das fen. «Wa wetsch? Es muss föarschi gehen», sagt zu jener Zeit noch in Basel domiliziert war: «Er hat er in breitem Rheintaler Dialekt und mit einem sich um jeden einzelnen Patienten gekümmert Lächeln. Vorwärts, immer vorwärts. und sich dessen Sorgen angenommen.» Der Zweiradunternehmer ist nicht bloss eine Bekanntheit im Dorf, in dem er mit fünf Geschwis- Weitermachen tern auf einem Bauernhof aufgewachsen ist. Sein Als er von Basel heim nach Montlingen kommt, Geschäft ist eine führende Adresse weitherum. ist es für ihn keine Frage, ob er als Mechaniker Selbst für Fremde ist er rasch «de Titus». Er mag weitermacht. Mit grosser Unterstützung seiner das Unkomplizierte, Direkte, er ist ein Freund der Schwester Theres erweitert er kontinuierlich das klaren Ansage, wobei er keinen harschen Ton Unternehmen. Als Gönner-Mitglied der Schwei- anschlagen muss, um verstanden zu werden. zer Paraplegiker-Stiftung erhält er damals 100 000 Franken Gönnerunterstützung, die er in den not- Seine Leidenschaft: das Motorrad wendigen Umbau des Hauses und die Anpas- Nach der viereinhalbjährigen Ausbildung zum sung des Autos steckt. Der Verunfallte kämpft Velo- und Motorrad-Mechaniker macht er sich mit gesundheitlichen Rückschlägen, er leidet selbstständig. Er werkt in einer Bude im Eltern- an einem Dekubitus und unterzieht sich 1997 in haus, repariert Velos und Töfflis und hat genü- Nottwil einer Blasen-Operation. Zwei Monate gend Aufträge, um über die Runden zu kommen. dauert sein Aufenthalt am SPZ. Selber fährt er mit Leidenschaft Motorrad, aber Zurück in der Ostschweiz, fährt er mit sei- einmal wird ihm ein Ausflug zum Verhängnis. Bei nem geliebten Job fort. Er ist getrieben von Fleiss einem Sturz am 6. September 1986 verliert seine und Ehrgeiz. Als Selbstständiger beantragt er bei Freundin das Leben – er wird schwer verletzt ins der Paraplegiker-Stiftung Direkthilfe, die er in die Spital gebracht. Die Diagnose: inkomplette Para- Infrastruktur seines Geschäfts investiert. Sollte plegie. Die Zukunft: ein Leben im Rollstuhl. Haltiner das Ganze einmal verkaufen, müsste er Paraplegie, Juni 2019 21
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