PARAPLEGIE - Schweizer Paraplegiker-Gruppe

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PARAPLEGIE - Schweizer Paraplegiker-Gruppe
JUNI 2019 | NR. 170 | GÖNNER-MAGA ZIN

PARAPLEGIE

                                                SCHWERPUNK T

                                                Der Notfall
                                                Es kann jeden treffen

6   RET TUNGSMEDIZIN
    Wenn einfache Hand-
    griffe Leben retten
                            20      BEGEGNUNG
                                    Titus Haltiner zieht
                                    seine Leute vorwärts
                                                               31   LUCERNE FESTIVAL
                                                                    Ihr Konzertticket hilft
                                                                    Querschnittgelähmten
PARAPLEGIE - Schweizer Paraplegiker-Gruppe
«Ich bin gerne viel unterwegs –
und dies mit einem guten Gefühl.»
Andreas (37) ist froh, dass er sein Hobby unbeschwert geniessen kann.

                                                                                         Im Ernstfall

                                                                                    H F 250 0 0 0.–
                                                                                  C        rstützung
                                                                                           te
                                                                                  Gönner-Un                             g
                                                                                                           chnittlähmun
                                                                                               ingter Quers           keit
                                                                                  Bei unfallbed ter Rollstuhlabhängig
                                                                                              en
                                                                                  mit perman

 Einmal abschliessen – ein Leben lang vorgesorgt.
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 Wo auch immer auf der Welt und in welcher Lebenssituation Sie sich befinden,
 Ihre Vorteile halten ewig. Als Dauermitglied zahlen Sie einmalig CHF 1000.–
 und erhalten im Ernstfall CHF 250 000.– bei unfallbedingter Querschnittlähmung
 mit permanenter Rollstuhlabhängigkeit.
                                                                                               oup dur,
                                                                                    En cas de c
 Einmalig zahlen, für immer Mitglied: www.dauermitglied-werden.ch                                       n de
                                                                                            t de soutie
                                                                                  un montan
                                                                                               .–
                                                                                     HF 250 000
PARAPLEGIE - Schweizer Paraplegiker-Gruppe
M AG A ZIN DER GÖNNER-V EREINIG UNG DER SCH W EIZER PA R A PLEG IK ER-S T IF T UNG

                                                                                             6                                  20
Liebe Gönnerinnen und Gönner                                       Schwerpunkt
Ende April fand traditionsgemäss die Mitgliederversammlung           6   R E T T U N G S M E D I Z I N Das Schweizer Institut für
der Gönnervereinigung der Schweizer Paraplegiker-Stiftung                Rettungsmedizin in Nottwil bildet nicht nur Profis aus,
statt. Es beehrten uns 154 Mitglieder – eine kleine Gruppe               sondern auch viele Ersthelfer.
aus dem grossen Verein von rund 1,8 Millionen Menschen,             10 S I M U L AT I O N S Z E N T R U M In einer hoch-
die unserem Werk solidarisch, zuvorkommend und gross-                  modernen Umgebung trainieren Fachkräfte aus der
zügig gesinnt sind. Sie kamen nach Nottwil, um sich einen              ganzen Schweiz. Praxisnah und teamorientiert.
Überblick zu den Leistungen der Stiftung in den verschiede-         14   S I R M E D Die gemeinsame Tochtergesellschaft der
nen Aufgabenbereichen zu verschaffen. Das Mitwirken die-                 Paraplegiker-Stiftung und der Rega arbeitet an der best-
ser Gruppe ist äusserst wertvoll, denn der Stiftungsrat ver-             möglichen Versorgung für alle.
antwortet den gesamten Mitteleinsatz.                               17   S E I T E N B L I C K Darf man sein Leben aufs Spiel setzen?
     Es war die 26. Mitgliederversammlung in der Geschichte              Ein verunfallter Gleitschirmlehrer und ein Seelsorger
der Stiftung. Diese finden in einer guten Atmosphäre statt               tauschen sich aus. Über Himmel und Erde.
und bieten spannende Begegnungen und einen Gedanken-                18   R AT G E B E R Auf Notfälle können Sie sich vorbereiten –
austausch weit über die Vereinsgeschäfte hinaus. Ein                     durch Tipps zur Ersten Hilfe und zum Vorbeugen.
Gesprächsthema beim diesjährigen Apéro waren die über-
raschenden Resultate der Mitgliederbefragung über die
Beitrittsmotive zu unserem Verein. Für die meisten stehen          Kompetenz
nicht die 250 000 Franken Gönnerunterstützung im Vor-
                                                                    20 B E G E G N U N G Titus Haltiner sitzt nach einem
dergrund, die sie als Betroffene erhalten würden, sondern              Motor­radunfall seit 33 Jahren im Rollstuhl. Der Unter-
der Umstand, dass das Schicksal einer Querschnittlähmung               nehmer führt ein beliebtes Zweiradgeschäft.
jeden treffen kann. Ihre Solidarität mit dem Werk in Nottwil
                                                                    24   M I T G L I E D E R V E R S A M M L U N G Der Vorstand
und damit verbunden die Unterstützung von Rollstuhlfah-
                                                                         präsentierte ein positives Jahr 2018.
rern widerspiegelt sich in einem schönen Aufwärtstrend
in den Mitgliederzahlen: 2018 durften wir 99 000 neue               26   J U N I O R E N W E LT M E I S T E R S C H A F T E N
Mitglieder begrüssen!                                                    Topathleten aus aller Welt messen ihre Kräfte in Notwil.
     Sie alle spornen unseren Einsatz für die Ziele der Stiftung    28   N E U E W E R B E K A M PA G N E Ein Blick hinter
weiter an. Ein besonderer Dank gilt den Teilnehmenden der                die Kulissen. Und ein Glücksfall.
Mitgliederversammlung: Durch sie lernen wir auch einige der         31   PA R T N E R S C H A F T Das Lucerne Festival macht
Gesichter kennen, die uns tagtäglich motivieren!                         Gönnerinnen und Gönnern ein besonderes Angebot.

                                                                    32 D A F Ü R H AT E S M I C H H E U T E G E B R A U C H T
                                                                       Michael Fiechter ist Wirbelsäulenspezialist am SPZ.

                                                                     4 CAMPUS NOT T WIL
Heinz Frei                                                          33 D A N K E
Präsident Gönner-Vereinigung
                                                                    34 A U S B L I C K

                                                                                                                     Paraplegie, Juni 2019 3
PARAPLEGIE - Schweizer Paraplegiker-Gruppe
CAMPUS NOT T WIL

                                   Einsichten eines Rollstuhlfahrers                               SPS und Swiss Para-
                                                                                                   lympic verlängern ihre
                                   «Ansonsten munter» (Zytglogge Verlag) heisst das neue Buch      Partnerschaft
                                   unseres Online-Community-Autors Fritz Vischer. Der 1977 ver-
                                   unfallte Tetraplegiker verbindet seinen eigenen Lebensweg mit   Die Schweizer Paraplegiker-
                                   dem seines Zimmerkumpanen Pierrot, der                          Stiftung (SPS) bleibt vier wei-
                                   schon in der Erstrehabilitation ständig                         tere Jahre Hauptsponsor
                                   Witze reisst. Die beiden Rollstuhlfahrer                        von Swiss Paralympic, dabei
                                   schlagen sehr unterschiedliche Wege ein                         können beide Stiftungen viele
                                   und bleiben dennoch Freunde. Sie                                Synergien nutzen. Die Athleten
                                   umfahren gemeinsam Mauern, sie erle-                            profitieren von modernsten
                                   ben Anerkennung ebenso wie schroffe                             Sport- und Trainingsanlagen
                                   Ablehnung. Vischers Geschichten ver-                            auf dem Campus Nottwil,
                                   deutlichen den Umgang unserer Gesell-                           zudem stellt die Sportmedizin
                                   schaft mit Behinderungen – und zeigen                           Nottwil den Delegationsarzt

1.6.2019
                                   Bewältigungsstrategien.                                         für die paralympischen Spiele
                                                                                                   2020 in Tokio. SPS-Direktor
                                                                                                   Joseph Hofstetter sieht auch
                                                                                                   Vorteile im Imagebereich:
Start                                                                                              «Unsere erfolgreichen Rollstuh­l-
Instagram                                                                                          athleten sind bedeutende Aus-
                                                                                                   hängeschilder der Stiftung.»
Seit 1. Juni können Sie der                                                                        Sport spielt für Querschnitt-
Schweizer Paraplegiker-                                                                            gelähmte eine bedeutende
Stiftung auf Instagram folgen:                                                                     Rolle mit sowohl gesundheits-
Erhalten Sie bewegende                                                                             fördernden als auch sozialen
Geschichten, Tipps und News                                                                        Komponenten.
aus dem Campus Nottwil.

       www.instagram.com /
       paraplegie

  Männer verunfallen
  häufiger

  Wer trägt das höhere Risiko,
  Männer oder Frauen?
  Die Langzeitstudie SwiSCI                                                                        Neuer SPV-Direktor
  der Schweizer Paraplegiker-
  Forschung zeigt: Männer                                                                          Charly Freitag ist seit 1. Mai
  erleiden dreimal häufiger
  eine unfallbedingte Rücken-      « Wir sollten uns bewusst                                       neuer Direktor der Schweizer
                                                                                                   Paraplegiker-Vereinigung (SPV).
  markverletzung als Frauen.                                                                       Der ehemalige Gemeinde­
  Am meisten Betroffene
  finden sich in den Alters-
                                     sein, dass sich selber                                        präsident von Beromünster
                                                                                                   und Luzerner Kantonsrat will
  gruppen zwischen 16 und
  30 Jahren sowie ab 60 Jah-         die Zähne zu putzen                                           den Dachverband der Quer-
                                                                                                   schnittgelähmten gemeinsam
  ren. Während bei den Jünge-                                                                      mit den Rollstuhlclubs weiter-
  ren vorwiegend Sport- und
  Freizeitunfälle das Rücken-
                                     ein Privileg ist.»                                            entwickeln. Mit überzeugen-
                                                                                                   den Ideen hat der 40-jährige
  mark schädigen, sind Stürze      Für die Fernsehsendung «Mona mittendrin» (SRF 1) erlebte        Jurist die Nachfolge von
  aus niedriger Höhe der Haupt­-   Mona Vetsch drei intensive Tage am Schweizer Paraplegiker-      Thomas Troger angetreten,
  grund bei älteren Menschen.      Zentrum. Die Sendung erreichte bei der Erstausstrahlung am      der nach 21 Jahren in der SPV
                                   28. März ein grosses Publikum von 360 000 Zuschauern.           in die Frühpension ging.
         www.paraplegie.ch/spf
                                       Gespräch mit Mona Vetsch: www.paraplegie.ch / mona               www.spv.ch

4 Paraplegie, Juni 2019
PARAPLEGIE - Schweizer Paraplegiker-Gruppe
CAMPUS NOT T WIL

                                  100   000
                                  Menschen                                                                                        PRAXIS
                                  haben bereits auf die Online-Community der Schweizer
                                  Paraplegiker-Gruppe zugegriffen. Erreicht wurde der
                                  Meilenstein im ersten Halbjahr 2019.
                                                                                                                              Verbreitete Krank-
                                       www.community.paraplegie.ch                                                            heit, untypischer
Lesung:                                                                                                                       Verlauf
Melinda Nadj Abonji

                                                                                                   © FGD S Matthias Krieger
Für ihren Bestseller «Tauben                                                                                                  Frau K. (67) erlitt eine rasch
fliegen auf» (2010) erhielt                                                                                                   zunehmende Schwäche in
Melinda Nadj Abonji sowohl                                                                                                    den Beinen, die zur Geh­
den Deutschen als auch den                                                                                                    unfähigkeit führte und sie
Schweizer Buchpreis. Im Jahr                                                                                                  in den Rollstuhl zwang.
2017 folgte mit «Schildkröten-                                                                                                Eine erste Behandlung mit
soldat» (Suhrkamp Verlag)                                                                                                     Spritzen und Physiotherapie
ein Roman, worin die Autorin                                                                                                  ergab keine Besserung.
und Musikerin grandiose Sprach-                                                                                               Frau K. wandte sich ans
bilder erzeugt. Poetisch ein-                                                                                                 Schweizer Paraplegiker-
drucksvoll verknüpft sie die                                                                                                  Zentrum, wo sich Oberarzt
Spurensuche zu Zoltán Kertész                                                                                                 Guy Waisbrod für eine
mit dem Bürgerkrieg in Jugo-                                                                                                  interdisziplinäre Abklärung
slawien. Zoltán sollte in der                                                                                                 der nicht eindeutigen Ur-
Armee zum Mann werden. Er                                                                                                     sache entschied. In der
geht jedoch nicht als Held im     Neue Herausforderung für Silke Pan                                                          engen Zusammenarbeit von
bewaffneten Kampf zugrunde,       Silke Pan stellt sich regelmässig gewagten Herausforderungen.                               Wirbelsäulenchirurgie,
sondern im täglichen Krieg        Diesen Sommer nimmt sich die Rollstuhlsportlerin aus Aigle (VD)                             Neurologie und Schmerz­
der Menschen untereinander,       «Die Tour der Seen» vor: Nur mit der Kraft ihrer Arme durch-                                klinik wurde die Diagnose
an der Sprachgewalt.              schwimmt Silke Pan 26 Schweizer Seen – entsprechend der                                     gesichert und mit einem
                                  Anzahl Kantone –, von See zu See fährt sie mit Handbike und                                 minimalinvasiven Eingriff
Öffentliche Lesung:               Rennrollstuhl. Die Tour führt durch alle Landesteile, ins Flachland                         eine Einengung des Wirbel-
18. September, 19.30 Uhr          wie in die Alpen. Dabei überwindet die ehemalige Patientin des                              kanals beseitigt. Am Tag
Bibliothek im Guido A. Zäch       Schweizer Paraplegiker-Zentrums 75 Kilometer zu Wasser und                                  nach der Operation konnte
Institut, freier Eintritt         980 Kilometer an Land. Die Expedition startet am 14. Juli in Genf                           Frau K. den Rollstuhl verlas-
                                  und endet in Campione am Luganersee.                                                        sen, sie geht heute wieder
     Auskunft:                                                                                                                schmerzfrei.
                                       www.silkepan.com
     T 041 939 57 78
                                                                                                                              Von solchen Verengungen
                                                                                                                              ist die Hälfte der Bevöl­
                                                                                                                              kerung ab sechzig Jahren
                                                      «Wir laufen für alle, die es
                                                                                                                              betroffen, aber nicht jeder
                                                      nicht können»
                                                                                                                              entwickelt Beschwerden.
                                                      Über 150 000 Menschen beteiligten sich                                  Meist verläuft die Krankheit
                                                      am 5. Mai am Wings for Life World Run                                   schleichend. Bei Frau K.
                                                      und generierten rund 3,5 Millionen Euro                                 war der Verlauf aufgrund
                                                      für die Rückenmarkforschung. In Zug (ZG)                                von Nebenerkrankungen
                                                      starteten 4197 Läufer 30 Minuten vor dem                                derart untypisch, dass
                                                      «Catcher Car» (gesteuert von Formel 1-                                  erst die interdisziplinäre
                                                      Legende David Coulthard), darunter ein                                  Abklärung in Nottwil zu
                                                      Team der Schweizer Paraplegiker-Stiftung,                               einer gesicherten Diagnose
                                                      der nationalen Partnerin dieses innovati-                               geführt hat.
                                                      ven Spendenevents. Die weltweit längste
                                                      Strecke aller Frauen bewältigte Nina Zarina                                  www.paraplegie.ch /
        www.wingsforlifeworldrun.com                  ebenfalls in Zug: 53 km!                                                     wirbelsaeule

                                                                                                                                             Paraplegie, Juni 2019 5
PARAPLEGIE - Schweizer Paraplegiker-Gruppe
PARAPLEGIE - Schweizer Paraplegiker-Gruppe
DER NOTFALL

Rettungsmedizin
Wir alle können Leben retten
In einer Notfallsituation zählt jede Sekunde. Deshalb umfasst das Ausbildungsangebot
am Schweizer Institut für Rettungsmedizin in Nottwil nicht nur Schulungen für professionelle
Einsatzkräfte, sondern auch ein breites Programm für Ersthelfende.

Am Samstagmorgen kam es auf der B27 zu                  fig passieren die Notfälle zu Hause. «Das müsste
einem schweren Verkehrsunfall. Dabei wurde              einem doch genügend Motivation geben, sich
eine 45-jährige Frau lebensbedrohlich verletzt,         die einfachen Handgriffe der Ersten Hilfe anzu-
eine weitere Person schwer. Die Feuerwehr war           eignen», meint die Sirmed-Expertin.
mit zwanzig Helfern im Einsatz.                              Wenn die lebensrettenden Basismassnah-
              («Schaffhauser Nachrichten», Feb. 2019)   men bereits in den ersten drei bis fünf Minuten
                                                        nach einem Kreislaufstillstand beginnen, hat ein
Es passiert rasend schnell. Von einem Augen-            Betroffener eine gute Überlebenschance von
blick auf den nächsten gerät man in eine Notfall-       über fünfzig Prozent. Innerhalb dieser kritischen
situation. Sei es als Betroffene oder als Helfende.     Zeitspanne erreichen professionelle Rettungs-
«Kürzlich fuhr ich auf der Autobahn an eine Situ-       dienste jedoch nur selten den Einsatzort. Umso
ation heran, bei der ein Mensch auf der Strasse         wichtiger ist es, dass anwesende Laien sofort los-                         Anja Oehen,
lag», erzählt Anja Oehen. «Die anderen Wagen            legen können.                                                 Bereichsleiterin Erste Hilfe
sind einfach vorbeigefahren.» In solchen Momen-              Anja Oehen ist immer wieder erstaunt, wie
ten sind viele von uns hilflos und überfordert,         viele Menschen sagen, sie hätten ihren letzten
nicht nur die Person am Boden.
     Der Autofahrer auf dem Pannenstreifen hatte
Glück. Anja Oehen leitet den Bereich Erste Hilfe
am Schweizer Institut für Rettungsmedizin Sirmed
                                                        « In anderen Ländern ist Erste Hilfe
und konnte den medizinisch harmlosen Fall rasch           bereits in der Schule ein Thema.» Anja Oehen
klären. Die Notfall-Expertin kennt aber auch ande­-
re Situationen: «Manchmal stehen ganz viele
Leute herum, und keiner traut sich zu helfen.»          Nothelferkurs vor vielen Jahren für die Fahrprü-
Die Angst, man könnte etwas falsch machen,              fung gemacht – und dabei verpasst, dass in der
blockiert das eigene Handeln und lähmt den              Zwischenzeit alles viel einfacher geworden ist.
gesunden Menschenverstand.                              Das betrifft nicht nur die Erste Hilfe. Berührungs-
     Ergreift dann jemand die Initiative, ist die       ängste sind auch gegenüber den automatisier-
ganze Gruppe wie verwandelt und organisiert             ten externen Defibrillatoren (AED) an öffentlichen
die Hilfe im Nu. «Aber was ist, wenn es die Lieb­       Plätzen oder in Unternehmen fehl am Platz. Diese
sten zu Hause trifft und man tatenlos zusehen           Geräte sind so einfach zu bedienen und haben so
muss?», fragt Oehen. «Diese Vorstellung ist ein-        hohe Sicherheitsschranken eingebaut, dass man         Sirmed
                                                                                                              Das Schweizer Institut für
fach grässlich.»                                        kaum noch etwas falsch machen kann.
                                                                                                              Rettungsmedizin (Sirmed) ist
                                                                                                              eine gemeinnützige Aktien-
Erste Hilfe ist nicht schwierig                         Von Laien bis Firmenkunden
                                                                                                              gesellschaft, die je zur Hälfte
Verkehrsunfälle dominieren unsere Schlagzeilen.         Mit einem breiten Kursprogramm bringt Sirmed
                                                                                                              von der Paraplegiker-Stiftung
Die häufigste Todesursache aber sind Herz-Kreis-        das Wissen und Können von Ersthelfern auf den
                                                                                                              und der Rega getragen wird.
lauf-Probleme. Rund 30 000 Menschen pro Jahr            neuesten Stand. So haben alle Teilnehmenden die
erleiden in der Schweiz einen akuten Herzinfarkt,       Sicherheit, dass sie in einem Notfall von Anfang           www.sirmed.ch
bei 8000 kommt es zum Kreislaufstillstand. Häu-         an das Richtige tun.

                                                                                                                              Paraplegie, Juni 2019 7
PARAPLEGIE - Schweizer Paraplegiker-Gruppe
Nothelfer, Ersthelfer                             Professionelle Retter             Spitalpersonal

                                                                                                                       Die Rettungskette
                                                                                                                       Ersthelfer schaffen im Ereignisfall
                                                                                                                       die Grundlagen für eine optimale
                                                                                                                       Patientenversorgung – damit die
                                                                     Behandlung             Spital                     Massnahmen der Rettungsdienste
                                                                                                                       und die Behandlung im Spital Aus-
                                                                                                                       sicht auf Erfolg haben.

                                             Notfalltransport
                                                                        Transport

                                     Laien           Erste Hilfe
                          Basismassnahmen                                   Professionelle Retter
                                                                            Erweiterte Massnahmen

                                    Notruf                Notruf 144
                                                          Aufgebot der professionellen Retter,
                                                          Telefonanweisung für Basismassnahmen

                Nothilfe
                                       Sofortmassnahmen
                                       Sichern, alarmieren, bergen

                                                                                                                            Rechte Seite Simulationsraum
       Ereignisort                                                         Transport           Spital                       mit Hightech-Puppe. Ein Team
                                                                                                                               unterschiedlicher Fachleute
                                                                                                                              schult die Zusammenarbeit.

Neben Individualpersonen und Gruppen betreut                    der Notfall- und Akutmedizin. Praxisorientierte        Nichtberufsunfälle in der
Anja Oehen auch Firmenkunden in der ganzen                      Trainings, Wissensvermittlung und Simulations-         Schweiz: Anteil der Todesfälle
Schweiz. Sie entwickelt individuell zugeschnit-                 technik stehen im Dienst eines gesteigerten Qua-
tene Angebote, damit jedes Unternehmen seiner                   litätsbewusstseins im Gesundheitswesen.
gesetzlichen Vorschrift zur Mitarbeitersicherheit                     Der Bereich CME schliesst eine Lücke in der
                                                                                                                                       10 %
                                                                                                                                           6%
nachkommen kann. Oft finden diese Firmenkurse                   medizinischen Grundausbildung. Unsere Patien-
direkt vor Ort bei den Kunden statt. Sie sind nicht             tenversorgung geschieht nämlich in einem Sys-
zuletzt auch eine wertvolle Teambildungsmass-                   tem, in dem Fachleute verschiedenster Bereiche
nahme und Ausdruck der Wertschätzung gegen-                     eng zusammenarbeiten müssen, doch in der Aus­
                                                                                                                          84 %
über den Mitarbeitenden.                                        bildung sind Zusammenarbeit und Team​pro-
      Wir alle können Erste Hilfe leisten. «Nichts­             zesse kaum ein Thema. «Jede Berufsgruppe bildet
tun ist in vielen Fällen der grösste Fehler», sagt              unabhängig von allen anderen aus», sagt CME-
Oehen. Die Expertin würde es begrüssen, wenn                    Bereichsleiter Kai Kranz, «und man nimmt an, dass
die Politik sich stärker dafür einsetzt, dass jeder             die Fachleute sich dann in der Praxis schon irgend­-   Nichtberufsunfälle in der
                                                                                                                       Schweiz: Anteil der Verletzten
seine Kompetenz von Zeit zu Zeit auffrischt. «In                wie finden werden.»
anderen Ländern ist das selbstverständlich. Dort                      Studien belegen das Gegenteil: Schlechte
ist Erste Hilfe bereits in der Schule ein Thema.» In            Teamarbeit führt zu höheren Fehlerraten und da-                        8%
der Schweiz wurde dieser Punkt bei der Gestal-                  durch auch zu mehr Todesfällen. Dagegen machen
tung des Lehrplans 21 nicht aufgenommen.                        Teams, die hinsichtlich Zusammenarbeit speziell
                                                                trainiert sind, bei der Versorgung von Patienten
Höhere Patientensicherheit                                      deutlich weniger Fehler.                                  53 %                39 %
Am Schweizer Institut für Rettungsmedizin in
Nottwil ist Erste Hilfe einer von drei Geschäfts-               Zusammenarbeit muss man lernen
bereichen, welche die gesamte Rettungskette                     «Die Verantwortlichen müssen erkennen, dass
abdecken (vgl. Grafik). Der zweite Bereich umfasst              man die interprofessionelle Zusammenarbeit als
eine höhere Fachschule für die Berufsausbildung                 eigenes Thema lernen muss», sagt Kranz. Sein              Strassenverkehr
von Transport- und Rettungssanitätern. Und der                  oberstes Ziel ist eine höhere Patientensicherheit.        Sport
Bereich Continuous Medical Education (CME)                      Um die Teamarbeit noch besser zu schulen, hat             Haus und Freizeit
widmet sich der Weiterbildung von Fachleuten                    Sirmed im Herbst 2018 in Nottwil ein Simulati-                           (Quellle bfu 2018)

8 Paraplegie, Juni 2019
PARAPLEGIE - Schweizer Paraplegiker-Gruppe
onszentrum in Betrieb genommen, in dem ein            zufällig gut oder zufällig weniger gut funktionie-
breites Spektrum an Szenarien durchgespielt wer-      ren. Um das Gute zu wiederholen und aus Feh-
den kann (vgl. Beitrag Seite 10).                     lern zu lernen, muss es festhalten, weshalb ein
     Das neueste CME-Angebot erinnert nicht           Einsatz auf eine bestimmte Weise abgelaufen ist.
zufällig an die Simulatoren, mit der in der Luft-     Daher verknüpfen die CME-Trainings die fachli-
fahrt die Qualität der Arbeit im Cockpit verbessert   che Weiterbildung mit teamrelevanten Aspekten
wird: Hochleistungssysteme benötigen eine sehr        und «human factors», persönlichen Limitierungen
hohe Zuverlässigkeit: «Zwischen Erfolg und Kata-      der Teilnehmenden.
strophe hat es nicht viel Platz», sagt Kranz. «Des-        «Viele Probleme wären schon gelöst, wenn
halb fördern wir die Denkweise, dass die Arbeit       man sich als Team die Frage stellt: Mit welchen
im Spital als Hochzuverlässigkeits-Job angesehen      der verfügbaren Ressourcen können wir dem
wird. Für ein ‹Wird-schon-gut-gehen› hat es da        Patienten Gutes tun?», sagt Kai Kranz. Steht der            Kai Kranz,
keinen Platz.»                                        Patientennutzen auf diese Weise im Zentrum,          Bereichsleiter CME
     Ein klassisches Schulbeispiel sind die Hierar-   stehen die beteiligten Personen mit ihren Egos
chien, die im Gesundheitswesen noch immer sehr
ausgeprägt sind. Welcher junge Assistent korri-
giert schon den erfahrenen Operateur, wenn die-
ser im OP eine falsche Einschätzung trifft? Hierar-
                                                      « Zwischen Erfolg und Katastrophe
chien können Hemmungen auslösen, die für die            hat es nicht viel Platz.» Kai Kranz
Patienten negative Folgen haben. Im Spitalbe-
trieb finden sich solche Konstellationen querbeet.
Auf allen Stufen, in allen Bereichen.                 automatisch im Hintergrund. Und damit spielen
                                                      auch Beziehungen und Hierarchien im Team keine
Keine Zufälle                                         störende Rolle mehr.
In einer Hochzuverlässigkeitsbranche darf die              Über 80 000 Personen haben bereits Bildungs-
Sicherheit nicht dem Zufall überlassen werden,        angebote von Sirmed wahrgenommen. Sie alle
sagt Bereichsleiter Kranz: «Wir wollen eine Stra-     wissen: Eine Notfallsituation kann jeden treffen.
tegie implementieren, die das Risiko eines schlim-    Und jeder kann sich darauf vorbereiten.
men Fehlers möglichst klein hält.» Ein Team kann                                     (kste/we/febe)

                                                                                                           Paraplegie, Juni 2019 9
PARAPLEGIE - Schweizer Paraplegiker-Gruppe
RISIKO UNFALL

Simulationszentrum
Wenn Puppen sprechen und schwitzen
Das Schweizer Institut für Rettungsmedizin Sirmed betreibt in Nottwil ein modernes
Simulationszentrum. Fachkräfte aus der ganzen Schweiz bereiten sich darin unter realitätsnahen
Bedingungen auf Notfälle vor.

Gequält sitzt der Patient auf dem Sofa im Wohn-
zimmer, klagt über starke Schmerzen in der Brust.
Zwei Rettungssanitäter sind eingetroffen: «Herr
                                                       In Nottwil hat auch das Personal von kleineren
                                                       und mittleren Schweizer Spitälern und Rettungs-
                                                       organisationen die Möglichkeit, Simulationskurse
                                                                                                            570 000
                                                                                                            Personen verletzen sich
Barmettler, wo tut es genau weh?», fragt Jürgen        durchzuführen. Sie können die Infrastruktur für
Reichl. Seine Kollegin Jennifer Stitz misst unter-     bestimmte Zeiten mieten oder die Kurse der           jährlich in der Freizeit.
dessen mit einer Manschette den Blutdruck und          Sirmed besuchen.                                     Knapp die Hälfte der
verkabelt den Patienten mit dem EKG-Gerät.                                                                  Unfälle ereignet sich zu
     Die Zeit drängt: Die Helfer vermuten, dass        Allergische Reaktion per Computer                    Hause.
der Patient einen Herzinfarkt erlitten hat. «Haben     Während die Rettungssanitäter Herrn Barmettler
Sie die Schmerzen schon lange?», fragt Reichl.         im Wohnzimmer versorgen, sitzen die beiden
Herr Barmettler fällt das Reden schwer: «Nein, erst    Übungsleiter im Nebenraum und beobachten das
seit heute, erst seit dem Morgenessen.»                Geschehen durch eine verspiegelte Glasscheibe –
     Solche Situationen sind für Rettungssanitä-       ähnlich wie bei einem Polizeiverhör. «Da die Teil-
ter Alltag. Doch für einmal ist der Notfall nur eine
Übung, der Patient eine Puppe.
                                                       nehmer uns nicht sehen können, vergessen sie
                                                       oft, dass wir zuschauen», sagt Regener. «Dadurch
                                                       wird die ganze Übung realistischer und der Lern-
                                                                                                            11,7 Mia.
                                                                                                            Franken kosten Nicht­
Übungen mit Videoüberwachung                           effekt ist grösser.»
                                                                                                            berufsunfälle jedes Jahr.
Letzten Herbst hat das Schweizer Institut für Ret-          Im Nebenraum steuern die Übungsleiter das
tungsmedizin Sirmed auf dem Campus Nottwil             Szenario. Sirmed arbeitet mit Hightech-Puppen.       Die Hälfte davon ist auf
zwei hochmoderne Simulationsräume eröffnet.            Diese können schwitzen, atmen, bluten und ihre       Unfälle im Strassenverkehr
Dort können Fachkräfte Notfälle realitätsnah           Pupillen reagieren sogar auf Lichtreize. Per Com-    zurückzuführen.
durchspielen – ähnlich wie das Piloten in einem        puter löst der Übungsleiter zum Beispiel eine
Flugsimulator machen. Die Räume lassen sich            allergische Reaktion der Puppe aus oder jagt den
als Operationssaal, Intensivstation, Schockraum        Puls in die Höhe, wenn sie das falsche Medika-
oder Wohnzimmer einrichten. Sie sind mit den           ment bekommt. «So können wir die Teilnehmer
neuesten Geräten ausgestattet, mit denen die           bewusst Stresssituationen aussetzen und sie an
Fachkräfte auch im Alltag arbeiten. Die einzel-        ihre Grenzen bringen», erklärt Regener. Gleichzei-
nen Übungen werden zudem mit festinstallierten         tig gibt der Übungsleiter per Mikrofon der Puppe
Videokameras aufgezeichnet und anschliessend           eine Stimme. Damit die Situation möglichst realis-
mit allen Beteiligten analysiert.                      tisch wirkt, muss er ein gewisses schauspieleri-
     Simulationen im Rahmen von Aus- und Wei-          sches Talent mitbringen.
terbildungen gehören in der Medizin seit vielen
                                                                                                                    Notfall im Wohnzimmer
Jahren zum Standard, in der Schweiz gibt es aber       Jubel hinter der Glaswand                             Durch eine verspiegelte Glasscheibe
nur ein halbes Dutzend Simulationszentren auf          Das EKG-Gerät piepst regelmässig. Der künstliche            beobachtet der Übungsleiter
diesem technischen Niveau. Die meisten werden          Patient wird für den Transport mit der Ambulanz       die Rettungssanitäter beim Einsatz.
von grösseren Spitälern betrieben, um die eigene       bereit gemacht. «Herr Barmettler, nehmen Sie                Realitätsnahe Ausbildung
Belegschaft zu schulen. «Doch längst nicht jedes       Blutverdünner oder benutzen Sie ein Potenzmit-            Jennifer Stitz und Jürgen Reichl
Spital kann sich eine solche Infrastruktur leisten»,   tel?», fragt Rettungssanitäter Reichl. «Ich würde     erhalten durch Simulations­­übungen
sagt der Sirmed-Geschäftsführer Helge Regener.         Ihnen sonst gerne ein Medikament geben, das die               Sicherheit für den Ernstfall.

10 Paraplegie, Juni 2019
RISIKO UNFALL

                Paraplegie, Juni 2019 11
Die Nachbesprechung fördert
                                   das Qualitätsbewusstsein.
                             Oft entscheiden nicht medizini-
                               sche Fertigkeiten, wie gut ein
                           Einsatz war, sondern Aspekte der
                                           Zusammenarbeit.

                            Kleine Bilder: Übungssituation
                                       im Rettungswagen.

Schmerzen nimmt.» Der Patient reagiert forsch:
«Das ist Privatsache!» Der Rettungssanitäter kon-
tert: «Sie müssen mir schon sagen, wenn Sie ein
Potenzmittel nehmen, sonst darf ich Ihnen das
Medikament nicht geben.»
     Die Übungsverantwortlichen hinter der
Glasscheibe klatschen. «Yes!», ruft Ausbildnerin
Barbara Hunziker. «Genau das wollte ich hören.
Gut gemacht.» Helge Regener spielt über die
Lautsprecher einen Musik-Jingle ein und sagt
durchs Mikrofon: «Wir brechen hier ab. Danke
für euren Einsatz. Wir treffen uns in zehn Minu-
ten zur Nachbesprechung.»

Sicherheit dank Training
Die beiden Rettungssanitäter sind zufrieden. «Ich
denke, im Grossen und Ganzen haben wir die
Übung gut gemeistert», sagt Jürgen Reichl. Jenni-
fer Stitz ist nicht restlos zufrieden: «Einige Details
müssen wir bei der Nachbesprechung aber noch
genauer anschauen.»
     Die Studierenden Stitz und Reichl stehen kurz
vor ihrer Abschlussprüfung. Ihre praktische Aus-
bildung absolvieren die beiden angehenden Ret-
tungssanitäter bei der Organisation, bei der sie
angestellt sind. Der schulische Teil findet in Nott-
wil statt. Denn Sirmed ist auch eine Höhere Fach-
schule. Pro Jahrgang werden rund zwanzig diplo-
                                                                – wieder eine Puppe – hat mit Brennsprit hantiert
                                                                und dabei starke Verbrennungen erlitten. Eine
                                                                Schwellung am Hals behindert die Atemwege,
                                                                                                                        2400
                                                                                                                        Personen sterben
mierte Rettungssanitäter HF ausgebildet.                        der Patient droht zu ersticken. Deshalb benötigt er
     «Solche Simulationsübungen sind extrem                     eine Intubation, einen Schlauch durch Mund und          jedes Jahr bei
wertvoll», sagt Jürgen Reichl. «Sie geben mir                   Luftröhre in die Lunge. Zudem muss er schnellst-        Nichtberufs­unfällen.
Sicherheit. Dadurch bleibe ich im Ernstfall ruhi-               möglich abtransportiert werden
ger und mache weniger Fehler.» Übungen kön-                           Die beiden Rettungssanitäter arbeiten spedi-
nen die Patientensicherheit entscheidend erhö-                  tiv, ihre Handgriffe sitzen. Fix installierte Kameras
hen, bestätigt auch Sirmed.                                     filmen die Übung, die anderen Studierenden ver-
     Um alle Rettungsschritte vom Unfallort bis                 folgen das Szenario live im Kursraum.
in den Operationssaal realistisch durchzuspie-
len, finden viele Übungen ausserhalb der Simu-
lationsräume statt – auf der Sportanlage, in der
Tiefgarage, im Wald. Zudem besitzt Sirmed ein
                                                                Missverständnisse aufdecken
                                                                Zehn Minuten später sitzen wieder alle zusam-
                                                                men im Schulzimmer. «Die Nachbesprechung ist
                                                                                                                        230
                                                                                                                        Menschen sterben im
1:1-Modell eines Rega-Helikopters, ein Ambulanz-                das A und O jeder Übung», sagt Geschäftsfüh-
                                                                                                                        Stras­senverkehr. Gefährdet
fahrzeug sowie einen Personenwagen für die                      rer Helge Regener. «Aber auch in der Realität ist
Simulation von Verkehrsunfällen.                                es wichtig, dass die Rettungsteams ihre Einsätze
                                                                                                                        sind hauptsächlich Fuss-
                                                                nachbesprechen.»                                        gänger und Zweiradfahrer
Notfall beim Grillieren                                              In der Feedback-Runde schauen sich die Stu-        innerorts.
Im Aussenbereich üben zwei andere Studierende                   dierenden gewisse Szenen der Übung nochmals
das nächste Szenario. Sie haben bei ihrer Alarmie-              an. Das Video zeigt: Die beiden angehenden
rung die Information bekommen, ein Mann hätte                   Rettungssanitäter haben vieles richtig gemacht
sich im Garten beim Grillieren verbrannt. Am Ein-               und am Einsatzort strukturiert miteinander gere-
satzort stellt sich schnell heraus: Der Verunfallte             det. «Wir bekamen vorab nur wenige Infos zum

12 Paraplegie, Juni 2019
Unfall. Doch wir haben bereits auf dem Weg zum
Einsatzort mögliche Szenarien besprochen», sagt
der erste Übungsteilnehmer. «Deshalb konnten
                                                     Umso strenger sind die beiden Übungsteilnehmer
                                                     mit sich selber. «Wir haben eigentlich gut mit-
                                                     einander kommuniziert. Du hast mich immer auf-
                                                                                                          70 %
                                                                                                          der Verletzungen von
wir dann schnell reagieren.»                         datiert, was du gerade gemacht hast oder was
     Das Video zeigt aber ebenso schonungslos        du im Gespräch mit dem Patienten herausgefun-        Senioren in Haus und
die Fehler. «Halt! Wir haben da völlig aneinander    den hast», sagt Jennifer Stitz. «Doch ich kann dir   Freizeit sind auf Stürze
vorbeigeredet», sagt plötzlich der andere Teilneh-   schlecht zuhören, wenn ich das Stethoskop in         zurückzuführen.
mer. «Und das Verrückte daran: Wir haben das         den Ohren habe. Wir müssen uns in Stresssituati-
nicht einmal bemerkt.» Beiden war vor Ort klar,      onen gezielt Zeit nehmen, um zu kommunizieren.                      (alle Zahlen: bfu)
dass der Patient schnellstmöglich ins nächstgele-    Sonst reden wir aneinander vorbei.»
gene «Zentrum» zu transportieren sei, am besten           Genau darin besteht der Kern dieser Simu-
per Helikopter. Doch während der erste Rettungs-     lationsübungen: Häufig stehen nicht die medi-
sanitäter das regionale Zentrumsspital im Visier     zinischen Fertigkeiten und das Wissen der Teil-
hatte, meinte der andere ein spezielles Verbren-     nehmer im Vordergrund, vielmehr geht es um
nungszentrum in einem grösseren Spital.              das Situationsbewusstsein, die Entscheidungsfin-
     «Ihr müsst präziser miteinander reden», sagt    dung, die Kommunikation und die Teamarbeit.
eine Teilnehmerin im Plenum. «Es wäre verhee-        Denn Fehler in Krisensituationen entstehen oft
rend, wenn beim Einsatz der Helikopter ins falsche   aufgrund von mangelnder Koordination, Zusam-
Zentrum fliegt und dort niemand bereit steht, um     menarbeit und Kommunikation.
den Patienten zu versorgen.»                               «Eine funktionierende Teamarbeit und eine
                                                     gute Kommunikation können Leben retten»,
Kommunikation im Zentrum                             sagt Sirmed-Chef Regener. In den hochmoder-
Inzwischen bespricht auch die Gruppe mit dem         nen Simu­­lationsräumen in Nottwil können jetzt
Herzinfarkt-Patienten ihren Einsatz. Das Feed-       alle medizinischen Kräfte daran feilen.
back der Mitschüler fällt durchwegs positiv aus.                                         (brel/febe)

                                                                                                                       Paraplegie, Juni 2019 13
Helge Regener, Geschäftsführer
Schweizer Institut für Rettungsmedizin (Sirmed)
RISIKO UNFALL

Sirmed
«Nichtstun ist der grösste Fehler»
Mit seinen Kursen und Ausbildungen zählt das Schweizer Institut für Rettungsmedizin Sirmed
zu den führenden Adressen. Es trägt dazu bei, dass in einem Notfall jeder Mensch die bestmögliche
Versorgung bekommt.

Helge Regener, wie reagieren Sie,              massnahmen auf rund 230 Fälle pro               Erachtens müsste man bereits in der Sekun-
wenn Sie auf der Strasse ein Martins-          Jahr abgenommen.                                darschule Wiederbelebungsmassnahmen
horn hören?                                    Das ist ein schöner Erfolg. Demgegenüber        schulen. Zudem sollte jeder seine Erste-Hilfe-
Da erinnere ich mich an meine eigene Zeit      stehen 8000 tödliche Kreislaufstillstände.      Fähigkeiten regelmässig trainieren. Damit
im Rettungswagen … mit ein bisschen Weh-       Hierbei ist die Phase unmittelbar nach dem      hätten wir viel erreicht.
mut. Ich mache mir kaum Sorgen um die          Ereignis entscheidend. Ob ein Patient über-
Notfallsituation, weil ja die Profis bereits   lebt, hängt nicht nur von der Qualität der      Manche befürchten, sie könnten
unterwegs sind – ausser es würde bei uns       Rettungsdienste oder der klinischen Versor-     beim Helfen Fehler machen.
im Quartier geschehen, wo ich einen Betrof-    gung ab, sondern vor allem auch von den         Die meisten Menschen sterben nicht, weil sie
fenen vermutlich kenne.                        überbrückenden Massnahmen der Erst­             fehlerhaft wiederbelebt wurden, sondern
                                               helfer bis zum Eintreffen der Rettungs-         weil sie nicht wiederbelebt wurden. In vie-
Beobachten Sie am Einsatzort,                  kräfte. Oft geschieht ein Kreislaufstillstand   len Fällen ist Nichtstun der grösste Fehler.
ob die Kollegen alles richtig machen?          zu Hause im Familienkreis. Neben dem            Unsere Kurse helfen dabei, hemmende Fak-
Nein, ich überlege nur: Braucht es mich        raschen Notruf geben hier einfache Hand-        toren abzubauen. Mit zwei, drei Schlüsseln
oder nicht? Wenn die Kollegen schon vor        griffe den Ausschlag, um Leben zu retten.       zum Erfolg bekommen die Teilnehmenden
Ort sind, kann ich als Zivilist ohne Ausrüs-                                                   die Zuversicht, mit hoher Wahrscheinlich-
tung nur wenig beitragen.                      Hat man in der Öffentlichkeit                   keit Gutes bewirken zu können. Man muss
                                               grössere Chancen auf Erste Hilfe?               ihnen aber auch den Respekt vor Dingen
Andere Vorbeifahrende zücken das               Aus der Altruismusforschung wissen wir,         mitgeben, die schieflaufen könnten – etwa
Handy zum Fotografieren.                       dass mit der Anzahl der Beobachter die          das Absichern einer Unfallstelle.
Ein gewisser Voyeurismus ist den Menschen      Hilfsbereitschaft des Einzelnen abnimmt:
zu eigen, das müssen wir wohl oder übel        Jeder denkt, der andere kümmere sich um         Und wie steht es um die Gefahr, bei
akzeptieren. Die Grenze wird dort über-        den Fall. Man spricht von «Verantwortungs­      einem Rückenverletzten eine Quer-
schritten, wo Persönlichkeitsrechte verletzt   diffusion». Die Rettungsdienste erleben aber    schnittlähmung zu verursachen?
oder Rettungskräfte behindert werden.          häufig, dass bei ihrem Eintreffen bereits       Diese Gefahr besteht tatsächlich. Aber die
                                               Massnahmen durch Ersthelfer stattfinden –       richtigen Massnahmen der Ersten Hilfe sind
Könnten denn genügend Menschen                 spontan oder angeleitet durch die Not­ruf­-     einfach und grundsätzlich leicht zu erler-
anhalten und helfen?                           zentralen.                                      nen. In entsprechenden Kursen werden die
Jedes Jahr werden etwa 85 000 Führeraus-                                                       Grundregeln vermittelt und wiederholt trai-
weise beantragt, wofür es einen Nothelfer-     Die erklären, was zu tun ist?                   niert. In unseren Übungen decken wir alle
kurs braucht, und rund 60 000 Personen         Genau! Wer helfen möchte, kann Schritt für      Glieder der Rettungskette ab. Die Rücken-
besuchen einen Reanimationskurs. Diese         Schritt angeleitet werden. Von der Situati-     markschädigung ist dabei immer wieder
Anzahl müsste sicher steigen. Das Schwei-      onsbeurteilung bis zur Herzmassage.             eine Schlüsselsituation.
zer Reanimationsregister, das derzeit aufge-
baut wird, wird uns helfen, solche Fragen      Es gibt immer mehr Defibrillatoren              Sirmed geniesst eine hohe Reputation.
seriös zu beantworten.                         im öffentlichen Raum. Kann die                  Wie weit profitieren Sie dabei vom
                                               überhaupt jemand bedienen?                      Standort Nottwil?
Die Toten im Strassenverkehr haben             Diese Geräte sind sehr intuitiv nutzbar, in     Auf dem Campus Nottwil nutzen wir viele
dank verschiedenster Präventions-              Tests schaffen das bereits Kinder. Meines       Synergien. Dank dieser idealen Infrastruktur

                                                                                                                           Paraplegie, Juni 2019 15
RISIKO UNFALL

« Meines Erachtens müsste man bereits in der Sekundar-
  schule Wiederbelebungsmassnahmen trainieren.» Helge Regener

kann Sirmed alles aus einer Hand anbieten        Ihr neuestes Angebot ist ein                      Es geht also um Wachstum?
und Kurse für fünf bis fünfhundert Personen      hochmodernes Simulationszentrum.                  Wir wollen wachsen, ja. Aber nicht um
durchführen. Das Areal bietet enorm viel­        Weshalb wurde es gebaut?                          des Wachstums willen, sondern weil wir
fältige Möglichkeiten. Wir müssen daher          Das zentrale Thema dabei ist die Patien-          bestimmte Kompetenzen nur abbilden kön-
nicht auf öffentlichen Grund ausweichen,         tensicherheit und der sensible Bereich der        nen, wenn wir eine gewisse Grösse haben.
sondern haben alle erdenklichen Schulungs-­      vermeidbaren Fehler. Mit unserer Anlage           Wir beschäftigen zum Beispiel hochspeziali-
situationen vor Ort – vom See bis zur Tiefga­-   können wir Teamprozesse trainieren, um            sierte Mitarbeiter, da braucht es Wachstum,
rage, vom Sportplatz bis zum Bauernhof.          die Versorgungsqualität und die Überle-           um unseren Qualitätsanspruch umzusetzen
Ein so umfassendes Programm könnte wo-           bensquoten zu verbessern. Die Situationen,        und dauerhaft kostendeckend zu sein. Wir
anders nicht angeboten werden.                   die wir durchspielen, sind der Realität der       wollen, dass unsere Angebote möglichst
                                                 Kursteilnehmer sehr ähnlich. So werden            viele Ersthelfer und Profis erreichen.
Sirmed geht auch direkt vor Ort                  Themen simuliert, die auf die vordefinierten
zu den Kunden.                                   Lernziele abgestimmt sind.                        Aus volkswirtschaftlicher Sicht wäre
Rund siebzig Prozent der Erste-Hilfe-Kurse                                                         Prävention ein Riesenthema.
finden in der ganzen Schweiz statt, in ver-      Haben Sie schon Erkenntnisse aus                  Prävention ist ein Dreh- und Angelpunkt, sie
schiedenen Sprachen und Formaten. Von            der neuen Anlage gewonnen?                        gehört jedoch nicht primär zu unserem Leis-
Gesetzes wegen ist bei uns jeder Arbeit-         Wir sehen, dass die Methode ausgespro-            tungsauftrag. Wir sind froh, dass Organisa-
geber dazu verpflichtet, mögliche Gesund-        chen gut angenommen wird. Die Simula-             tionen wie die Suva und die bfu in diesem
heitsrisiken für seine Mitarbeitenden zu         tionen schulen ja nicht primär individuelle       Bereich eine ausgezeichnete Arbeit leisten;
identifizieren und entsprechende Mass-           Kenntnisse, sondern machen Teamfakto-             der Fokus von Sirmed liegt auf Ereignis-
nahmen umzusetzen. Viele Unternehmen             ren bewusst. Die Teilnehmer sind bereit,          sen, bei denen die Prävention versagt hat.
betreiben dabei einen grossen Aufwand –          eigene Fehler offen anzusprechen, und             In unseren Kursen und Veranstaltungen
aus Sorge für ihre Mitarbeitenden und um         werten diese nicht als persönlichen Miss-         bekommen die beeinflussbaren Risikofak-
Reputationsschäden abzuwenden.                   erfolg. Gerade in hierarchisch strukturier-       toren dennoch Platz: Wir zeigen den Teil-
                                                 ten Betrieben – wie es Spitäler häufig noch       nehmenden, dass vieles, das vorhersehbar
Die Arbeitsunfälle nehmen ab,                    sind – lässt sich mit dieser Methode gan-         ist, auch vermeidbar wäre. Der Hauptanteil
dafür steigt die Anzahl der Unfälle              zen Teams ein zeitgemässes Qualitäts-             betrifft Verhaltensmuster.
in der Freizeit.                                 denken vermitteln. Weil im SimCenter die
Auf das Risikoverhalten in der Freizeit hat      aufwändige Technik bereits fix installiert ist,   Sirmed wird von den beiden grössten
der Gesetzgeber wenig Einfluss. Immer wie­       können wir uns jetzt ganz auf die Inhalte         Gönnerorganisationen der Schweiz
der wird diskutiert, wie stark man den Ein-      konzentrieren.                                    getragen. Beeinflusst das auch
zelnen in diesem Bereich in die Haftung                                                            Ihren Auftrag?
nehmen soll. Das sind letztlich ethische Fra-    Seit 2019 ist Sirmed eine gemein-                 Das Schöne an unserer Arbeit ist, dass
gen, die sich eine Gesellschaft insgesamt        same Tochter der Schweizer Para-                  wir guten Gewissens behaupten können,
stellen muss.                                    plegiker-Stiftung und der Rega.                   unsere Aufgabe bestehe darin, die Welt
                                                 Was hat sich dadurch verändert?                   ein bisschen besser zu machen. Wir tragen
Erste Hilfe sollte jeden angehen ...             Es sind neue Voraussetzungen entstanden.          einen kleinen Teil zu den grossen Zielen der
Sie betrifft unser Menschsein. Jeder hat         Sirmed übernimmt einerseits Kurse der             Schweizer Paraplegiker-Stiftung und der
eine Verantwortung und kann nicht einfach        Rega und intensiviert die bereits beste-          Rega bei. Das steht auch in unserer Vision:
wegschauen, wenn etwas passiert. Dabei           hen­de Zusammenarbeit in der medizini-            Dass jeder Mensch in einer Notfallsituation
spielt Eigeninteresse ebenfalls eine gewisse     schen Ausbildung. Andererseits können wir         die bestmögliche Versorgung bekommt.
Rolle: Man möchte selber ja auch, dass           gemeinsam neue Angebote schaffen, die es          Wenn wir das in der Schweiz nicht hinbe-
einem im Notfall geholfen wird.                  am Markt so noch nicht gibt.                      kommen, wo dann?              (kste/febe)

16 Paraplegie, Juni 2019
SEITENBLICK

Der Himmel
unter den
Füssen

«Der Reiz des Fliegens lässt sich einfach
erklären», meint Fluglehrer Stefan Keller:
«Sobald ich in der Luft bin, habe ich kein
Handicap mehr.» Seelsorger Stephan Lau-
per sagt: «Es geht in der Rehabilitation auch
darum, eine Perspektive fürs Weiterleben
zu finden; etwas, wofür es sich lohnt, die
Therapiearbeit und die Schmerzen auf sich
zu nehmen.» Die beiden Spezialisten für
den Himmel sitzen in der Begegnungshalle
des Schweizer Paraplegiker-Zentrums (SPZ).
Über ihnen hängt die Skulptur «Parikarus»
von Paul Gugelmann unter dem Glasdach,
vor ihnen liegt die Frage: Ist es «verrückt»,
als Querschnittgelähmter nach einem Gleit-
schirmunfall weiterzufliegen?
     Keller muss es wissen, er bringt sowohl
Fussgängern wie Rollstuhlfahrern das Flie-         Fall ins Leben                                  geht um den Augenblick, in dem ich der
gen bei. Seit 2013 sitzt er selber im Rollstuhl.   Aber darf man sein Leben in Gefahr bringen,     Begleitperson das Signal gebe: ‹Los!› Darauf
Ausgerechnet er, der in der Szene als stets        ist das nicht «himmelschreiend», wie uns        bereite ich mich minutiös vor.»
sicherheitsbewusst gegolten hatte. Keine           oft gesagt wird? Die beiden argumentie-               Ein risikoloses Leben in völliger Sicher-
Minute habe er damals gezögert, ob er die          ren differenziert. Es gehe immer um einen       heit ist für die beiden Mitfünfziger undenk-
Flugschule weiterführen möchte, sagt er.           bewussten Umgang mit den Risiken, die ein       bar. Die Entscheidungen, die jeder von uns
Wenige Monate nach der Erstrehabilitation          zentraler Teil des Lebens sind. «Wir haben      ständig treffen muss, werden deshalb zu
in Nottwil ist er wieder abgehoben. Im Hän-        viele Dinge nicht im Griff», sagt Seelsorger    einem Spiegel unserer Verantwortlichkeit.
gegleiter-Verband habe sein Engagement             Lauper. «Deshalb müssen wir stets Werte         «Die zentrale Frage ist die nach einem
für Sicherheitsfragen heute ein besonderes         gegeneinander abwiegen.» Die Gefahren           guten Leben», sagt Stephan Lauper, «und
Gewicht: «Als Fluglehrer und Betroffener           des Autofahrens, Skifahrens, Rauchens oder      die beantwortet jeder anders.» – «Wenn
sind meine Botschaften glaubwürdig. Hätte          Alkohols sind bei uns gesellschaftlich akzep-   ich Briefmarken sammeln würde, wäre ich
ich mich zurückgezogen, wäre ich verge-            tiert. Die Frage ist: Wo liegt die Grenze zu    jetzt schon tot …», antwortet Stefan Keller.
bens vom Himmel gefallen.» Sein Rollstuhl          etwas, das nicht mehr akzeptabel ist? Und       Den Umstand, dass er immer wieder auch
wird so zum fliegenden Mahnmal.                    wer kann es sich herausnehmen, hier ein         «verrückte» Challenges angeht, streitet der
     Für Stephan Lauper sind Himmel und            Verbot auszusprechen?                           Gleitschirmlehrer nicht ab. Das Wort heisst
Erde eng miteinander verknüpft. Der Seel-                Fluglehrer Keller ergänzt: «Versiche-     für ihn aber nur, dass er danach nicht mehr
sorger am SPZ unterstützt Patienten darin,         rungstechnisch belasten Fussballer das Soli-    am gleichen Ort steht, sondern weiter-
dass sie ihre Lebenskraft auf ein erfülltes        darsystem weitaus stärker als Gleitschirm-      gekommen ist. Ver-rückt eben.
Le­ben ausrichten können. Ihnen einen              piloten. Weltweit die meisten Querschnitte            So kann auch ein Un-fall lebensdien-
Traum zu verbieten, das masst er sich nicht        gibt es wegen Schussverletzungen. Darüber       lich sein – nämlich das Gegenteil eines Falls.
an: «Letztlich geht es um unser christliches       macht man sich kaum Gedanken.» Seinen           Nicht das Ende, sondern ein Anfang.
Menschenbild. Um Würde und Autonomie.              Entscheid, für eine grössere Fülle an Leben           (kste)
Und dass wir jedem Einzelnen zutrauen und          den Preis eines höheren Risikos zu zahlen,
zumuten, sein Menschsein bestmöglich zu            treffe er bei jedem Start von Neuem: «Es        Lesen Sie das ausführliche Gespräch auf:
leben.»                                            geht nicht um weiterfliegen oder nicht. Es      www.paraplegie.ch / kellerlauper

                                                                                                                                Paraplegie, Juni 2019 17
R ATG EBER

Helfen und Vorbeugen
Einige Notfälle sind schicksalhaft, doch viele Situationen stellen sich als vermeidbar heraus.
Sie können sich vorbereiten: auf das Helfen in einer Notfallsituation und auf das Vermeiden von
Risiken – besonders in der Freizeit und zu Hause.

                                       144
   Alarmieren Sie                                                                             Beurteilen Sie den Patienten!
   die Notrufzentrale: Telefon 144!
                                                                              Die Basismassnahmen beginnen mit der Beurteilung, ob lebens-
   In einer Notfallsituation ist die sofortige Benachrichtigung               rettende Sofortmassnahmen notwendig sind:
   des Rettungsdienstes eine der wichtigsten Massnahmen.
   Bleiben Sie ruhig und antworten Sie präzis, das erleichtert                Patient ist ansprechbar: Meist besteht keine unmittelbare
   den professionellen Rettern, den Einsatzort rasch zu finden                Lebensbedrohung. Richten Sie Ihre Massnahmen nach den Bedürf-
   und angemessen zu reagieren. Bei notwendigen Sofortmass-                   nissen aus, die der Patient äussert.
   nahmen werden Sie von den Disponenten am Telefon bis
   zum Eintreffen des Rettungsdienstes unterstützt.                           Patient ist bewusstlos und atmet normal: Es besteht eine
                                                                              potenzielle Lebensbedrohung. Nehmen Sie die Bewusstlosen-
   144            Sanitätsnotruf                                              lagerung vor und beobachten Sie ständig die Atmung.

   112            Europäische Notfallnummer                                   Patient hat einen Kreislaufstillstand: Der bewusstlose Patient
                                                                              atmet nicht oder nicht normal. Sein Leben ist akut bedroht und er-
                                                                              fordert sofort Basismassnahmen: Alarmierung, Herzmassage, Beat-
                                                                              mung. Ist ein Defibrillator (AED) verfügbar: rasch einsetzen.

                                                                                   Schützen Sie sich selber!

                           Gehen Sie nach Ampelschema vor!                         Sichern Sie eine Unfallstelle vor weiteren Risiken. Retten
                                                                                   Sie keine verunfallte Person aus einem Fahrzeug, dies
                           Am Ereignisort ist das Schlimmste in der Regel          gefährdet Helfer und Opfer. Ausnahmen: unmittelbare
                           schon passiert. Bleiben Sie also ruhig und über-        Lebensgefahr und drohender Fahrzeugbrand.
                           tragen Sie Ihre Ruhe auf den Patienten und alle
                           Beteiligten. Folgen Sie dem Ampelschema:

    1. Schauen Was ist passiert? Achten Sie auch auf mögliche
    Gefahren für den Patienten, Umstehende und sich selber.
                                                                                                           Trauen Sie sich,
     2. Denken Richten Sie Ihr Handeln nach den Gefahren aus und                                           Erste Hilfe zu leisten!
    schützen Sie sich: Handschuhe; Unfallstelle sichern; Zurückhaltung
    bei Aggressionen; Abstand bei Brand-, Explosions- oder Absturz-                      Bevor der professionelle Rettungsdienst die medizini-
    gefahr; Vorsicht gegenüber Strom und Vergiftungen.                                   sche Versorgung übernimmt, liegt die Erstbetreuung
                                                                                         in den Händen von Laien. In vielen Fällen ist Zeit eine
     3. Handeln Handeln Sie entsprechend Ihrem Wissensstand und                          entscheidende Grösse. Wenn Sie bedacht handeln und
    ziehen Sie bei Bedarf weitere Hilfe hinzu.                                           sich an einige einfache Grundlagen halten, können Sie
                                                                                         keinen Schaden anrichten. Ihre Zivilcourage ist das
                                                                                         höchste Gut in einer Notfallsituation!
(Quellen: Sirmed, bfu, Suva, Versicherungen, Konsumentenschützer)

18 Paraplegie, Juni 2019
R ATG EBER

                                                                                                    Schützen Sie sich unterwegs!

                                                                  Prüfen Sie Ihre                   Bis zu 95 Prozent der Autofahrer tragen je
                                                                  Versicherung!                     nach Region und Strassenart den Sicher-
                                                                                                    heitsgurt, doch nur 23 Prozent der Roller-
                                                   Versicherer können ihre Leistungen bis zu        fahrer schützen sich mit einer geeigneten
Frischen Sie Ihr Wissen auf!                       50 Prozent kürzen, wenn ein «Wagnis» vor-        Jacke. Jeder zweite Velofahrer trägt einen
Die Basismassnahmen zur Lebenserhaltung            liegt: Wenn sich jemand grossen Gefahren         Helm, wobei grosse Unterschiede bezüglich
und Lebensrettung sind einfach. Trainieren         aussetzt, ohne die Vorkehrungen zu treffen       Fahrtzweck (Schule, Einkaufen) bestehen.
Sie Ihre Fertigkeiten von Zeit zu Zeit. Sirmed     oder treffen zu können, die das Risiko auf ein   Wichtige Schutzmassnahmen sind auch:
bietet dazu eine grosse Auswahl an Kursen          vernünftiges Mass beschränken. In schwer-        kein Alkohol am Steuer und eine ange-
für Einzelpersonen, Gruppen und Firmen an.         wiegenden Fällen kann die Leistung ganz ab-      passte Geschwindigkeit.
                                                   gelehnt werden. Wer Risikosport betreibt,
                                                   sollte Zusatzdeckungen durch eine private
     www.paraplegie.ch/                            Unfallversicherung, Erwerbsunfähigkeits-
     sirmed-erstehilfe                             rente, Todesfallversicherung und Privathaft-
                                                   pflichtversicherung prüfen.                        Prüfen Sie das
                                                                                                      Anmeldeformular!

                                                   Beispiel: Sprung in den Rhein                      Veranstalter von organisierten Aktivi-
                                                   Nicht nur akrobatische Sprünge beim «Dirt-         täten müssen für Unfallfolgen nicht
                                                   biken» sind Wagnisse. Laut Bundesgericht           aufkommen und können jegliche Haf-
                   Rückenverletzung                (12/2012) reicht ein leichtsinniger Kopf-          tung im Kleingedruckten ausschlies-
                   beachten!                       sprung in den trüben Rhein, damit ein              sen. Das Anmeldeformular enthält
                                                   Querschnittgelähmter nur die Hälfte der            meist die Klausel «Versicherung ist
Die Rehabilitation eines Querschnittgelähm-        Taggelder und Unfallrente erhält. Solche           Sache des Teilnehmers». Leidtragen-
ten beginnt schon am Einsatzort. Direkt nach       Risiken behandeln Versicherer individuell.         de sind die Kunden, die neben ihrer
dem Ereignis geht es gleich wie bei allen          Bei Sportarten wie Mountainbiken, Ski-             Gesundheit auch ihre finanzielle Exis-
Patienten darum, das Überleben zu sichern          fahren oder Klettern sind die Grenzen              tenz gefährden.
und weitergehende Schäden zu vermeiden.            fliessend, wenn «übliche Vorsichtsgebote»
Bei Rückenverletzungen hat die Stabilisie-         (Suva) schwerwiegend missachtet werden.
rung der Wirbelsäule eine hohe Priorität. Ver-
meiden Sie Folgeverletzungen durch aktive
und passive Bewegungen.
                                                                                 Junge Männer: besonders aufgepasst!
                                                                                 Schüler und Studenten sind bei Invalidität nicht durch
                                                                                 einen Arbeitgeber abgesichert, ihnen drohen finanzielle
   Beugen Sie Stürzen im Alter vor!                                              Konsequenzen. Für Freizeitunfälle das grösste Risiko ist
   Bei älteren Menschen sind Stürze aus geringer Höhe der Haupt-                 die Fehleinschätzung der eigenen Fähigkeiten – für junge
   grund für schwere Verletzungen bis hin zur Rückenmarkschädi-                  Männer doppelt so hoch wie für junge Frauen. Bei Berufs-
   gung. Sichern Sie Teppiche und rutschige Flächen im Bad, benutzen             unfällen tragen Lernende ein hohes Risiko: So verunfallen
   Sie den Handlauf bei Treppen, achten Sie auf genügend Licht – und             jedes Jahr 25 000 Lernende, drei davon tödlich.
   bleiben Sie körperlich aktiv! Muskelschwäche, Gang- und Gleich-
   gewichtsdefizite sind Hauptrisiken für Stürze im Alter. Ein gezieltes
   Training, allein oder in der Gruppe, schützt davor.
                                                                                 Informationsquellen

                                                                                 Auf dem Youtube-Kanal der Paraplegiker-Stiftung finden
Beachten Sie im Sport einige Grundregeln!                                        Sie viele Lernvideos (Stichwort: Sirmed). Gute Ratgeber
                                                                                 bietet auch die Beratungsstelle für Unfallverhütung (bfu).
1. Verwenden Sie eine qualitativ hochwertige Ausrüstung.                                                            Die Unfallversicherung
2. Erlernen und trainieren Sie die korrekte Technik.                                                                Suva sensibilisiert für
3. Schätzen Sie Ihre Kondition und Fähigkeiten richtig ein.                                                         Risiken bei der Arbeit
                                                                                                                    und in der Freizeit.
4. Prüfen Sie die Umgebung und die Bedingungen.
5. Bereiten Sie Körper und Material auf die Saison vor.                                                                   www.bfu.ch
6. Verzichten Sie beim Sport auf Alkohol und Drogen.                                 https://tinyurl.com/sirmed           www.suva.ch

                                                                                                                              Paraplegie, Juni 2019 19
IN T EG R AT I O N

   Begegnung
   Vorwärts, immer vorwärts
   Titus Haltiner sitzt nach einem Motorradunfall seit 33 Jahren
   im Rollstuhl. Das hindert den 56-Jährigen nicht, ein Zweiradgeschäft
   zu führen, das weitherum einen ausgezeichneten Ruf geniesst.

20 Paraplegie, Juni 2019
IN T EG R AT I O N

In der Werkstatt herrscht Betrieb, und der Chef         Titus Haltiner kann die Bilder, die Gefühle von
ist mittendrin. Titus Haltiner schraubt an einem        damals noch klar abrufen. «Aber ich studiere
Töffli, der Auftrag muss erledigt sein. Durch ein       eigentlich nicht mehr gross darüber nach», sagt
Fenster sieht er kurz vor Mittag den Reporter im        er. Dann schweift sein Blick ab, seine Schultern
Laden seines Zweirad-Centers in Montlingen (SG),        zucken etwas, Gesten, die seine Nachdenklich-
legt den Schraubenzieher beiseite, und ein paar         keit zeigen: «Es war keine einfache Zeit. Ich hatte
Sekunden später streckt er dem Besucher die             das Glück, dass mir mein Umfeld enormen Rück-
Hand entgegen: «Sali, ich bin der Titus.» Man fühlt     halt gab, die Familie, die Kollegen. Es musste wei-
sich sofort willkommen.                                 tergehen … irgendwie.» Bei der Verarbeitung
      Titus Haltiner (56) ist schwungvoll um die Ecke   halfen auch seine Aufgaben im Geschäft.
gekommen, präziser: gefahren. Er sitzt im Roll-               Der Unfall gehört zu seiner Lebensgeschichte
stuhl, derzeit einem elektrischen, weil er letzten      wie die Zeit danach in Basel, die fünfeinhalb
Herbst während der Arbeit einen Achselbruch             Monate in der Reha-Klinik, die Operationen, die
erlitten hat und seinen rechten Arm vorderhand          Leiden. Es gibt aber auch Momente aus dieser
                                                                                                                 Titus Haltiner (56) in seinem
nur reduziert einsetzen kann. «Eine dumme               Zeit, die ihm ein Strahlen ins Gesicht zaubern.        Zweiradgeschäft. Man fühlt sich
Bewegung», vermutet er. Laut MRI hat sich in            Er liegt im Sechserzimmer und versteht sich mit                    sofort willkommen.
der Achsel zu viel Wasser angesammelt.                  seinen Leidensgenossen ausgezeichnet. «Da sind
      Bislang ist er um eine Operation herumge-         Freundschaften entstanden», sagt er. Mit drei
kommen. Und überhaupt: Die Verletzung kann              Kollegen hat er Kontakt bis heute. Und in bester
ihn nicht davon abhalten, im Geschäft nach dem          Erinnerung behält er Guido A. Zäch, den Chef­arzt
Rechten zu sehen und selber kräftig mitzuhel-           des Schweizer Paraplegiker-Zentrums (SPZ), das
fen. «Wa wetsch? Es muss föarschi gehen», sagt          zu jener Zeit noch in Basel domiliziert war: «Er hat
er in breitem Rheintaler Dialekt und mit einem          sich um jeden einzelnen Patienten gekümmert
Lächeln. Vorwärts, immer vorwärts.                      und sich dessen Sorgen angenommen.»
      Der Zweiradunternehmer ist nicht bloss eine
Bekanntheit im Dorf, in dem er mit fünf Geschwis-       Weitermachen
tern auf einem Bauernhof aufgewachsen ist. Sein         Als er von Basel heim nach Montlingen kommt,
Geschäft ist eine führende Adresse weitherum.           ist es für ihn keine Frage, ob er als Mechaniker
Selbst für Fremde ist er rasch «de Titus». Er mag       weitermacht. Mit grosser Unterstützung seiner
das Unkomplizierte, Direkte, er ist ein Freund der      Schwester Theres erweitert er kontinuierlich das
klaren Ansage, wobei er keinen harschen Ton             Unternehmen. Als Gönner-Mitglied der Schwei-
anschlagen muss, um verstanden zu werden.               zer Paraplegiker-Stiftung erhält er damals 100 000
                                                        Franken Gönnerunterstützung, die er in den not-
Seine Leidenschaft: das Motorrad                        wendigen Umbau des Hauses und die Anpas-
Nach der viereinhalbjährigen Ausbildung zum             sung des Autos steckt. Der Verunfallte kämpft
Velo- und Motorrad-Mechaniker macht er sich             mit gesundheitlichen Rückschlägen, er leidet
selbstständig. Er werkt in einer Bude im Eltern-        an einem Dekubitus und unterzieht sich 1997 in
haus, repariert Velos und Töfflis und hat genü-         Nottwil einer Blasen-Operation. Zwei Monate
gend Aufträge, um über die Runden zu kommen.            dauert sein Aufenthalt am SPZ.
Selber fährt er mit Leidenschaft Motorrad, aber              Zurück in der Ostschweiz, fährt er mit sei-
einmal wird ihm ein Ausflug zum Verhängnis. Bei         nem geliebten Job fort. Er ist getrieben von Fleiss
einem Sturz am 6. September 1986 verliert seine         und Ehrgeiz. Als Selbstständiger beantragt er bei
Freundin das Leben – er wird schwer verletzt ins        der Paraplegiker-Stiftung Direkthilfe, die er in die
Spital gebracht. Die Diagnose: inkomplette Para-        Infrastruktur seines Geschäfts investiert. Sollte
plegie. Die Zukunft: ein Leben im Rollstuhl.            Haltiner das Ganze einmal verkaufen, müsste er

                                                                                                                           Paraplegie, Juni 2019 21
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