Pfarrblatt - Dompfarre St. Stephan

Die Seite wird erstellt Silvester Busse
 
WEITER LESEN
Pfarrblatt - Dompfarre St. Stephan
76. Jahrgang · Nr. 3 · Weihnachten 2021

   Pfarrblatt

Schwerpunkt       „Et incarnatus est“– Gott wird Mensch. Und wenn er spricht …
Dompfarre         90er von Weihbischof Krätzl ∙ Impfen im Dom ∙ Bibelnacht ∙ Einkehrnachmittag
Spirituelles      Die Sterndeuter ∙ Lieblingsgebet von Papst Franziskus · Wegzeichen des Glaubens
Lesestoff         Orientierung finden. Schlüsselworte für ein erfülltes Leben
Pfarrblatt - Dompfarre St. Stephan
Inhalt                                      Editorial
◼ Editorial                           2
◼ Wort des Dompfarrers
◼ Wir glauben nicht an den
                                      3
                                           Ins Dunkel der Nacht…
  Weihnachtsmann!                     4                                                   Wenn Gott ruft
◼ Gedanken zum Titelbild              5                                                   Eine Wortwurzel des deutschen Worts
                                                                                          „Gott“ liegt im indogermanischen *gheu
◼ Zum Leben berufen …                 6
                                                                                          – „rufen, anrufen“: Gott, der Angerufe-
◼ Die Welt ist Gottes so voll         8
                                                                                          ne, den der Mensch um Hilfe bittet. Die
◼ Den Ruf hören,                                                                          jüdisch-christliche Tradition kennt aber
  den nur ich hören kann              9                                                   auch die entgegensetzte Richtung: Gott
◼ Von sehenden Blinden                                                                    ist es, der von Anfang an den Menschen
  und blinden Sehenden               10                                                   anspricht. Die Heilige Schrift ist reich an
◼ Bunt und frei                      11                                                   Erzählungen und Beispielen, wie Gott
◼ »Gelt, Jesus …«                    12                                                   die Menschen ruft. Zu einigen kommt er
                                                                                          in der Nacht: Die Hirten hielten gerade
◼ Eine kleine Anleitung:
                                                                                          Nachtwache, als ein Engel ihnen eine gro-
  Gott in allen Dingen finden        13
                                                                                          ße Freude verkündet und ihnen die Angst
◼ Wie treffe ich Entscheidungen?     14    Ich gebe es ungern zu. Aber in letzter         nimmt. Die Sterndeuter haben (in der
◼ Im Anfang ist die Stille           15    Zeit ist es oft dunkel in mir. Ich bin müde,   Dunkelheit) einen Stern aufgehen sehen.
◼ Auf die innere Stimme hören …      16    enttäuscht und frustriert. Habe ich nicht      Wenn wir uns im Dunkel unseres Lebens,
◼ Zum 90. Geburtstag                       alles getan, um meinen Beitrag zur Be-         unserer Müdigkeit, Abgestumpftheit oder
  von Weihbischof Krätzl             19    kämpfung der Pandemie zu leisten? Aber         unserem Leid selbst annehmen und uns
                                           nun werden wieder Feiern und persön-           aushalten, wenn wir geduldig ausharren
◼ Impfen im Dom                      20
                                           liche Treffen, auf die ich mich seit lan-      und nach einem Stern Ausschau halten
◼ Einkehrnachmittag                  21    gem freue, verschoben oder gar ersatzlos       und uns im Finstern auf die Suche nach
◼ Ausstellung: Leise Trialoge        22    gestrichen. Ich fühle mich ohnmächtig.         dem göttlichen Kind machen, werden wir
◼ Bibelnacht 2021                    23    War alle Mühe vergebens? Ärger, Zorn           seine heilende Nähe erfahren.
                                           und Wut steigen in mir auf. Es scheint,             Gott lässt sich aber nicht nur im Dun-
◼ Endlich wieder Stefflkirtag!       23
                                           als gäbe es nur mehr ein einziges The-         kel finden, sondern zu jeder Tageszeit und
◼ Blitzlichter aus St. Stephan       24
                                           ma, das den Alltag bestimmt. So viele          an jedem Ort. Gott ruft die Menschen in
◼ Erstkommunion                      25    Menschen leiden, sind überfordert. Und         ihrem Alltag, bei ihrer Arbeit: nicht nur die
◼ Buch: Orientierung finden          26    auch sonst hagelt es täglich schlechte         Propheten, die Mutter Jesu, die Jünger –
◼ Steffl                             27    Nachrichten in den Medien: die Flücht-         sondern auch jeden von uns heute. Wir
                                           lingssituation in Europa und weltweit,         müssen nicht einmal in ein fernes Land
◼ Ein Gebet an jedem Finger          28
                                           politische Krisenherde – überall Not und       reisen, sondern: „Du brauchst Gott weder
◼ Heilige im Dom: Die Sterndeuter 29       Elend. Ich mag das gar nicht mehr hören.       hier noch dort zu suchen; er ist nicht wei-
◼ Der Vermählungs­brunnen                  Ich schalte ab.                                ter als vor der Tür des Herzens. Dort steht
  am Hohen Markt                     30        Mitten in dieser dunklen Zeit sind wir     er und harrt und wartet.“ (Meister Eck-
◼ Ordensverleihung                   31    Christen zu Weihnachten eingeladen, das        hart) Wir brauchen also nur still werden
◼ Das Pfarrpraktikum geht zu Ende 31       Geheimnis der Menschwerdung zu ver-            und zuhören, auf die Regungen unseres
                                           innerlichen: Gott wird ein Mensch aus          Herzens achten. Wir brauchen nur Gott
◼ Die neue Domsingschule             32
                                           Fleisch und Blut, mit allen menschlichen       zu Wort kommen lassen – in uns und in
◼ Kinderführungen im Dom             33    Bedürfnissen und Sehnsüchten. Kein Ge-         der Welt.
◼ Archiv: Feiern »In Tempore Belli« 34     fühl ist ihm fremd, auch nicht Traurigkeit,         Wenn vielleicht das Weihnachtsfest
◼ Chronik                            35    Enttäuschung oder Zorn. In einem Hym-          mit Unerwartetem oder widrigen Um-
                                           nus des kirchlichen Stundengebets heißt        ständen verbunden sein sollte – ich bin
◼ Gottesdienste zu Weihnachten       36
                                           es: „Du Wort, das der Vater spricht, (…) du    überzeugt: Das göttliche Kind in der Krip-
◼ Weihnachtsgottesdienste im               springst in den Staub: Du Leben, du Licht      pe schaut jeden liebevoll und lächelnd an.
  Pfarrgebiet von St. Stephan        38
                                           wirst Mensch, der zerbricht.“ Weil Gott al-    Lächeln Sie zurück!
◼ Firmvorbereitung                   39    les Menschliche angenommen und sich
◼ Termine                            40    mit ihm verbunden hat, kann es geheilt
                                                                                                                                          Martin Staudinger

◼ Zum Nachdenken                     44    und erlöst werden. Gott ist da – auch im
                                           unangenehmen Staub des Lebens, im
◼ Impressum                          44
                                           menschlichen Zerbrechen.                                  Herzlich, Ihre Birgit Staudinger

2 Pfarrblatt Dompfarre St. Stephan · Weihnachten 2021
Pfarrblatt - Dompfarre St. Stephan
Wort des Dompfarrers

                          Liebe Freunde!
                          Mein hochgeschätzter Universitätslehrer       keinen Punsch, mir ist da ein Glas guten
                          in Pastoraltheologie, Prof. Paul M. Zuleh-    Weines ehrlicherweise schon viel lieber.
                          ner, hat es uns schon als Studenten sehr      Aber ich mache gerne bei jeder Art von
                          dick unterstrichen: „Die Menschen sollen      Punschausschank mit, wenn damit Men-
                          nicht immer frömmer werden, sondern           schen in Not geholfen wird. Ein warmes
                          die Frommen sollen immer menschli-            Getränk bei kälteren Temperaturen für
                          cher werden!“                                 einen guten Zweck erinnert daran, dass
                              Die Menschwerdung als ein anbe-           wir glücklicher werden, wenn wir teilen
                          tungswürdiges theologisches Geheim-           und anderen helfen können. Das ist nicht
                          nis muss immer in die Übersetzung der         nur eine Gewissensberuhigung, sondern
                          konkreten Hilfe am Menschsein münden.         tatsächliche und vielfältige Hilfe vor Ort.
                                                                        Der Mensch ist ein soziales Wesen und
                          Die Ehre Gottes ist der                       stillt seine Bedürfnisse nur ungern allein.
                          lebendige Mensch                              Alles rund um Lockdowns lässt uns das
                          „Die Ehre Gottes ist der lebendige Mensch.“   sehr schmerzvoll erfahren. Gemütlichkeit           Auch auf die unausweichliche Gefahr
                          – Der Kirchenlehrer Irenäus von Lyon weiß     und gemeinsames Essen und Trinken hat         hin, dass Sie mich dabei ertappen, dass
                          sich demselben Gesetz der Liebe verpflich-    oft mehr Potenzial zur Motivation von         ich mich wiederhole. Mein Weihnachts-
                          tet. Was dem Menschen dient, was zu           Hilfsbereitschaft und Spendenfreudig-         wunsch für Sie ganz salopp gesprochen:
                          seiner Entfaltung beiträgt, was ihm an        keit als moralische Zurufe oder schlichte     „Mach’s wie Gott und werde Mensch!“
                          Körper, Geist und Seele heiler und gesün-     Überforderung durch das provozierende              Mit den besten Segenswünschen für
                          der macht, das dient der größeren Ehre        Sichtbarmachen aller Not und des vielen       eine sehr menschliche Weihnacht und
                          Gottes. Dazu gehört auch viel Training,       Elends auf dieser Welt. Wie viel Gutes        ein hoffentlich gesünderes neues Jahr
                          Geduld und Ausdauer.                          kann in all diesen Formen der adventli-       2022 grüßt Sie in und aus und rund um
                              Das Ernstnehmen und Annehmen der          chen Begegnungen und Weihnachtsfeiern         St. Stephan
                          konkreten Verfasstheit des Menschseins,       trotzdem geschaffen werden?
                          besonders dort, wo mir mehr Möglichkei-            Neben diesen Formen der sozialen
                          ten geboten sind als meinem menschli-         Hilfe denke ich schließlich auch an die
                          chen Gegenüber. Zu Weihnachten die            vielen spirituellen Ermutigungen in die-      Ihr dankbarer und fürbittender Toni Faber
                          Menschwerdung Gottes zu bekennen,             sen Wochen, sich auch Zeit für Besinnung
                          anzubeten und zu feiern, bedingt wesen-       und spirituelle Einkehr zu nehmen: Zeit
                          haft den Dienst am Menschen. Und selbst       für ein persönliches Innehalten, um die         Reaktionen
                          die größte kommerzielle Verbeulung des        Dankbarkeit und die Zuversicht zu stär-         Wenn Sie uns etwas mitteilen wol-
                          Weihnachtsfestes, lässt dieses Grundge-       ken. Beispielsweise einen Tagesrückblick        len, zögern Sie nicht. Schreiben
                          setz noch durchschimmern, kann durch          zu halten, sein eigenes Gewissen zu prü-        Sie an: Dompfarre St. Stephan,
                          den größten Trubel nicht vollständig über-    fen und zu erleichtern. Wo Reue erweckt         „Pfarrblatt“, Stephansplatz 3,
                          deckt werden. Ich mag es nicht, wenn die      wird, dort wird daraus bald eine reumü-         A-1010 Wien, oder per E-Mail:
                          moralische Keule gegenüber unserer Art        tige Form des Beitrages zum körperlichen        dompfarre-st.stephan@edw.or.at
                          des vorweihnachtlichen Programmes ge-         und seelischen Wohles für die Menschen
                          schwungen wird. Ich trinke zwar selber        meiner Umgebung.
                                                                                                                        Gender-Hinweis
                                                                                                                        Wir bitten Autoren und Leser um
                                                                                                                        Verständnis, dass wir aus Gründen
                                                                                                                        der besseren Lesbarkeit und der Un-
                                                                                                                        versehrtheit der Sprache allgemeine
                                                                                                                        Bezeichnungen wie zum Beispiel
                                                                Titelblatt für das Weihnachts-Pfarrblatt                „Christ“, „Lehrer“ etc. sowie das
                                                                St. Stephan 2021 © Harald Schreiber –                   ebenfalls grammatikalisch maskuli-
Dompfarrer: Suzy Stöckl

                                                                auch als Hinweis auf seine im Curhaus                   ne Wort „Mensch“ als inklusiv (also
                                                                St. Stephan am 16. Dezember                             geschlechtsneutral) verstehen und
                                                                um 19.00 Uhr eröffnete Ausstellung                      verwenden. Die Redaktion.
                                                                „LEISE TRIALOGE“ (Näheres S. 22)

                                                                                                        Pfarrblatt Dompfarre St. Stephan · Weihnachten 2021 3
Pfarrblatt - Dompfarre St. Stephan
Stille Nacht

 Wir glauben nicht
 an den Weihnachtsmann!
  Weihnachten: Ein Glaube, der                 und Unreinem! Ein aufgeklärter Mensch
  das Leben lieben lehrt. Alle                 des 21. Jahrhunderts kann sich kaum noch
  Jahre wieder feiern Christinnen              vorstellen, welche Kulturrevolution diese
  und Christen die Geburt Jesu                 weihnachtliche Botschaft ausgelöst hat.                    Melanie
  Christi. Alle Jahre wieder                   Wer jedoch eine Zeitlang etwa im hindu-            Wolfers SDS ist
  feiert die Ordensgemeinschaft                istischen oder islamischen Kulturkreis ge-         Ordensfrau der­
  der Salvatorianerinnen zu                    lebt hat, ahnt, welch befreiender Umsturz               Salva­toria­
  Weihnachten auch ihr Titularfest.            in ihr liegt. Aber auch in den Kirchen gilt              ner­innen,
  Weihnachten gibt gewissermaßen               bis heute: Nicht nur der frommen Bild-            Seelsorgerin und
  den Titel, das leitende Motto,               welt, sondern auch vielen Christen fällt         Bestsellerautorin.
  der Ordensfrauen an. Doch was                es schwer, Gottes Gegenwart im Alltäg-
  wird an Weihnachten eigentlich               lichen zu entdecken. Manche Maler der           durch bis zu dem Brunnenpunkt, an dem
  gefeiert? Und vor allem: Welches             Geburt Jesu stellen eher einen vom Him-         sie aus Gott hervorströmen. Das gilt für
  Licht kann dieses Fest auf unseren           mel gefallenen Wunderknaben dar als das         das Schöne und auch für das Elend. In
  Alltag werfen, wenn die Kerzen               schmerzliche Geschehen einer mensch-            allem will Gott mit uns Begegnung feiern
  am Tannenbaum erloschen und                  lichen Geburt. Doch genau das feiern wir        und fragt und will die anbetende, hin-
  die Christbaumkugeln in Kisten               an Weihnachten: Gottes leise Gegenwart          gebende Antwort.“
  verstaut sind? Gedanken von der              – das „Allerheiligste“ – lässt sich finden in       Eine solche Glaubenshoffnung setzt
  Salvatorianerin Melanie Wolfers              den Augen eines geburtswunden Kindes            ein grundlegendes Vertrauen frei: das
                                               und in der Eucharistie; in den Schreien         Vertrauen, dass es keine Situation mehr
  An Weihnachten feiern wir, dass Gott die     einer gebärenden Frau und im Glück der          gibt, die sich der Möglichkeit einer end-
  Freundschaft des Menschen sucht. Dass        Liebenden.                                      gültigen Sinnstiftung verschließt. Zu je-
  er sich auf den Weg zu uns macht und              Die Spiritualität von Weihnachten be-      der Stunde will Gott sich finden lassen. In
  unsere Lebensbedingungen teilt: Geburt       deutet: Das ganz normale menschliche Le-        jedem Augenblick können wir uns seiner
  und Wachstum, Familie und Beziehungen,       ben, ausgespannt zwischen einer blutigen        – häufig unter der Gestalt des Kreuzes so
  Feste und Abschiede, Glück und Misslin-      Geburt und den letzten Atemzügen eines          schmerzhaft verborgenen – Gegenwart
  gen, Krankheit und Tod … Eine von der        Menschen, ist kein spirituelles Niemands-       öffnen im Hoffen, Lieben und Glauben.
  Menschwerdung Gottes geprägte Spiri-         land. Vielmehr kann alles Menschliche zu        Und wer kennt sie nicht: Nächte, in de-
  tualität gibt unserem Leben einen neuen      einem Ort werden, um Gott zu begegnen.
  Glanz. Drei Schlaglichter:                   Ein solcher Glaube ermutigt, das eigene         Das neue Buch von Melanie Wolfers:
                                               Leben mit all seinen Fasern – mit seiner        „Zuversicht. Die Kraft, die an das Morgen
  „Das Allerheiligste“                         Schönheit und seinem Schrecken – zu be-         glaubt“, im bene! Verlag im Oktober 2021
  lässt sich überall finden                    jahen. Denn es hat einen göttlichen Glanz.      erschienen. Gerne weisen wir auch auf
  Der Evangelist Lukas erzählt, dass bei der                                                   den Podcast GANZ SCHÖN MUTIG auf
  Geburt Jesu die Engel das Gloria auf den     Die Zeit ist Gottes so voll                     der Internetseite melaniewolfers.de hin.
  Feldern von Betlehem anstimmen. (vgl.        Menschwerdung bedeutet Geschichts-              14-tägig kommt Melanie Wolfers mit
  Lk 2,8-14) Eigentlich etwas Unerhörtes,      werdung Gottes. Die Zeit – auch die uns         dem Radio-Journalisten und Moderator
  denn der Gloriagesang entstammt der          Tag für Tag neu geschenkte Zeit – be-                                 Andreas Bor­
  Tempelliturgie – und nun ertönt er mit-      kommt eine neue Qualität. Alfred Delp,                                mann über die
  ten im allergewöhnlichsten Umfeld, zwi-      der im Dritten Reich als 37-Jähriger hin-                             ver­schiedenen
  schen blökenden Schafen und wachen-          gerichtet worden ist, schreibt in einem                               Facetten des Le­bens
  den Hirten …                                 seiner Briefe aus der Haft: „Das eine ist                             ins Ge­spräch und
      Diese Erzählung verdeutlicht bild-       mir so klar und spürbar wie selten: die                               möchte Menschen
  haft: In der Menschwerdung hat Gott die      Welt ist Gottes so voll. Aus allen Poren                              ermutigen, ein Leben
  Trennung von Weltlichem und Göttlichem       der Dinge quillt uns dies gleichsam ent-                              zu führen, das zu
                                                                                                                                             Wolfers: Ulrik Hölzel

  endgültig überwunden. Es gibt keinen         gegen. Wir aber sind oft blind. Wir blei-                             ihnen passt: mutig,
  Graben mehr zwischen dem Heiligen und        ben in den schönen und in den bösen                                   selbstbewusst
  dem Profanen; zwischen kultisch Reinem       Stunden hängen. Wir erleben sie nicht                                 und engagiert.

4 Pfarrblatt Dompfarre St. Stephan · Weihnachten 2021
Pfarrblatt - Dompfarre St. Stephan
Das Allerheiligste lässt sich überall finden: Maria mit dem Jesuskind auf
                                                                                                                                              einem Aufsatzbild des Cäcilienaltares (aus dem Jahr 1701) in der Domkirche
                                                                                                                                                 St. Stephan von einem unbekannten Künstler – dargestellt ohne goldene
                                                                                                                                                  Krone oder Heiligenschein, ohne Festgewand, stattdessen barfuß und in
                                                                                                                                             Alltagskleidung. Mutter und Kind beugen sich gemeinsam liebevoll hinunter
                                                                                                                                            zu den heiligen Cäcilia, Katharina und Lucia, die auf dem Altarbild dargestellt
                                                                                                                                                          sind: Gott – Mensch geworden – wendet sich den Menschen zu.

                                                                                                                                   nen Sorgen und Ängste einem dem Schlaf        lassen. Es reicht, aus sich selbst heraus-
                                                                                                                                   rauben oder eine Krankheit den Körper         zugehen und den Mitmenschen zu be-
                                                                                                                                   weichkocht … Auch in diesen und in allen      gegnen, um ganz unverhofft auf Gott zu
                                                                                                                                   anderen „bösen Stunden“ will Gott mit         treffen. Darauf macht Jesus mit seiner
                                                                                                                                   uns Begegnung feiern. Und: Er wartet auf      überraschenden Erzählung aufmerksam,
                                                                                                                                   unsere liebende Antwort.                      worauf es am Lebensende ankommt: Es
                                                                                                                                       Oder mit Simone Weil gesagt: „Die Zeit    wird nicht gefragt, welche Glaubenssätze
                                                                                                                                   ist das Wort Gottes, der um unsere Liebe      man im Kopf, sondern ob man für ande-
                                                                                                                                   bettelt.“ Diesem „Betteln Gottes“ geht vo-    re ein Herz hatte (vgl. Matthäus 25,31-46).
                                                                                                                                   ran: Die Zeit ist das Wort Gottes, der uns    Es wird nicht gefragt, zu welcher Religion
                                                                                                                                   seine Freundschaft und Nähe schenkt. Ein      oder Kultur man gehört, sondern ob man
                                                                                                                                   solcher Glaube weckt Hoffnung und Zu-         sich als Mitglied der einen universalen
                                                                                                                                   versicht. Und er führt ins Handeln.           Menschheitsfamilie verstanden und ent-
                                                                                                                                                                                 sprechend gelebt hat.
                                                                                                                                   Solidarität ist der menschlichste                 Wer sich von der Menschwerdung            wenn die Kerzen am Tannenbaum erlo-
                                                                                                                                   Ausdruck des Glaubens                         Gottes berühren lässt, wird eingeladen        schen und die Christbaumkugeln verstaut
                                                                                                                                   Im Licht von Weihnachten betrachtet ist       und herausgefordert, das Leben anderer        sind – eine Spur des göttlichen Glanzes
                                                                                                                                   der normale Alltag das bevorzugte Ge-         Menschen in Freundschaft zu teilen und        auch an trüben Tagen und in den dunklen
                                                                                                                                   lände, in dem sich Gottes Spuren finden       solidarisch zu leben. Dann leuchtet – auch    Ecken unserer Welt auf.

                                                                                                                                     Stille Nacht – Gedanken zum Titelbild von Arnold Mettnitzer
                                                                                                                                     Alle Musik kommt aus der Stille und führt auch wieder zu ihr zurück. Auch jede Reli-
                                                                                                                                     gion wird ihrer Bestimmung erst dort gerecht, wo sie keiner Belehrung, keines Wortes        Vor lauter Lauschen und
Marienbild: Elisabeth Fürst | Ausschnitt aus dem Titelblatt für das Pfarrblatt St. Stephan zur Weihnacht 2021 © Harald Schreiber

                                                                                                                                     bedarf, um Menschen dorthin zu führen, wo sie aus der Stille die Kraft schöpfen kön-        Staunen sei still
                                                                                                                                     nen, die ihrem Leben Halt, Hoffnung und Zuversicht gibt. Deshalb feiern auch Chris-         du mein tieftiefes Leben;
                                                                                                                                     ten ihre zentralen Feste in der Stille zur Mitte der Nacht! Weihnachten und Ostern          dass du weißt, was der Wind dir will,
                                                                                                                                     haben dort ihren Ursprung. Und vielleicht ist gerade das der unbewusst tiefste Grund,       eh noch die Birken beben.
                                                                                                                                     warum ein Lied, das diese „Stille Nacht“ besingt, seine Reise um die ganze Welt an-
                                                                                                                                                                                                    treten konnte. Und wie       Und wenn dir einmal das Schweigen
                                                                                                                                                                                                    die Mitte der Nacht der      sprach, lass deine Sinne besiegen.
                                                                                                                                                                                                    Beginn eines neuen Ta-       Jedem Hauche gieb dich, gieb nach,
                                                                                                                                                                                                    ges ist, kommt aus der       er wird dich lieben und wiegen.
                                                                                                                                                                                                    Stille alles Leben, alle
                                                                                                                                                                                                    Phantasie und jede           Und dann meine Seele
                                                                                                                                                                                                    Kreativität und führt        sei weit, sei weit,
                                                                                                                                                                                                    auch im Staunen dar-         dass dir das Leben gelinge,
                                                                                                                                     über wieder zu ihr zurück! Darum ist auch das Staunen der Gipfelpunkt aller Kultur          breite dich wie ein Feierkleid
                                                                                                                                     und aller Religion! Es lässt Menschen unvermittelt so da sein, dass sie davon „ganz         über die sinnenden Dinge.
                                                                                                                                     weg“ sind; mit offenem Mund ringen sie vergebens ums Wort und wissen, dass alles,
                                                                                                                                     was sie zu sagen vermögen, an das, was sie dabei erleben, nicht heranreicht. Darum          Rainer Maria Rilke
                                                                                                                                     rät uns der Dichter, „vor lauter Lauschen und Staunen“ still zu sein, um so die „tief-      (Aus: R. Rilke, Die Gedichte,
                                                                                                                                     tiefe Tiefe“ des Lebens erahnen zu können! Die Richtung dorthin zeigt ein Lied und          Insel Verlag, Frankfurt am Main 1995,
                                                                                                                                     auch ein Gedicht! Dogma und Belehrung braucht es dazu nicht!                                Seite 148)

                                                                                                                                                                                                                 Pfarrblatt Dompfarre St. Stephan · Weihnachten 2021 5
Pfarrblatt - Dompfarre St. Stephan
Stille Nacht
                                                                     Buchmalerei aus
                                                         dem frühen 11. Jahrhundert:
                                                           Bild aus dem Hidta-Codex,
                                                          einem Evangeliar benannt
                                                             nach der Äbtissin Hitda.

  Zum Leben berufen…
  Gott schickt den Engel Gabriel           Die Verheißung der Geburt Jesu wird im        den Innenraum um Maria zur Seite, als
  zu einer Frau namens Maria               ersten Kapitel des Evangeliums nach Lu-       würde ein Vorhang weggezogen werden,
  und verheißt ihr: neues Leben.           kas erzählt. Es ist eine Szene voll zarter    wie die Bugwelle eines Schiffes, die Luft-
  Sie soll die Mutter Gottes               Innigkeit, wundervollem Zauber, stiller       welle vor einem Flugzeug. Maria ist im
  werden. Dieses zentrale Ereignis         Scheu und königlicher Souveränität. Der       wahrsten Sinn des Wortes gefasst, das
  hat Künstler zu allen Zeiten             Engel „kommt zu ihr hinein“, wie sich der     Gewand eng am Körper, zurückgenom-
  bewegt, diese Begebenheit auch           Text wörtlich übersetzen lässt, und wirbt     men, an sich haltend. Unter den beiden
  bildlich darzustellen und dabei          in einem Dialog um das Einverständnis         ist Boden, über ihnen Architektur, um das
  unterschiedlichen Aspekten               Mariens. Sie gibt es schließlich mit den      Ganze herum ein Rahmen, der vom Engel
  des Geschehens Ausdruck zu               Worten: „Ich bin die Magd des Herrn; mir      überschnitten wird. Er kommt machtvoll
  verleihen. Der Künstlerseelsorger        geschehe, wie du es gesagt hast.“ Das ein-    von außen, aus einer anderen Welt, der er
  Gustav Schörghofer SJ                    malige historische Geschehen ereignet         heftig Raum verschafft im Innenraum des
  betrachtet drei konkrete Beispiele       sich seither immer wieder, wenn Gott in       Menschlichen.
  aus verschiedenen Epochen.               einen Menschen ruft, dass Jesus Christus
  Die zum Teil provokanten Bilder          von neuem in ihm geboren werde. Wenn          Auf eigenen Beinen stehend und
  laden zum Nachdenken ein,                daher die Verkündigung an Maria durch         gleichzeitig sich Gott öffnend
  wenn man sich auf sie näher              die Jahrhunderte in unzähligen Bildern        Wie anders ist die von Piero della Frances-
  einlässt: Denn als Christen sind         dargestellt worden ist, wird nicht nur        ca etwa 450 Jahre später für S. Francesco
  wir überzeugt, dass Gott auch            an ein vergangenes Geschehen erinnert,        in Arezzo gemalte Verkündigung. Das
  zu jedem von uns kommt, bei              sondern die Gegenwart eines immer-            Bild ist Teil eines großen Freskenzyklus,
  uns eintritt, uns anspricht –            währenden Vorgangs vor Augen geführt.         der die Geschichte des heiligen Kreuzes        Schörghofer: Kommunikationsreferat der Jesuiten | Hitda-Codex: commons.wikimedia.org

  wenn wir uns ihm öffnen.                 Gott ruft einen jeden Menschen, und will      erzählt. Das Bild ist in vier Teile geteilt,
                                           in ihm und durch ihn in dieser Welt Ge-       zentralperspektivisch dargestellte Archi-
                                           stalt annehmen.                               tektur markiert die Teilung. Rechts oben
                                                                                         der erste Stock eines Gebäudes, daneben
                                           Gott verschafft sich Raum im                  Gott Vater. Links unten der Engel, daneben
                                           Innenraum des Menschlichen                    Maria. Diese ist in einem Innenraum, der
                                           Ein Bild im Hitda-Codex aus dem ersten        Engel außerhalb davon. Gott Vater ist vor
                                           Viertel des 11. Jahrhunderts zeigt den Vor-   dem Blau des Himmels, also nicht im In-
                                           gang der Verkündigung als machtvolles         neren des Gebauten. Doch alle drei sind
   Der Jesuit Gustav                       Eindringen des Engels in eine Binnenwelt.     im selben Raum, im Innenraum des Bil-
   Schörghofer SJ ist                      Der himmlische Bote schreitet weit aus,       des, das in all seinen Teilen streng kons-
  Künstlerseelsorger                       die Flügel hoch erhoben, das Gewand in        truiert ist. Maria ihrerseits befindet sich
       und leitet die                      weitem Bogen vom Körper wegflatternd,         im Innenraum ihres Gewandes, sie tritt
       Wiener Pfarre                       den rechten Arm erhoben und die Hand          aus diesem Raum hervor, öffnet sich dem
      Lainz-Speising.                      im Segensgestus vorgestreckt. Er schiebt      Engel. Beide, Engel und Maria, sind auf

6 Pfarrblatt Dompfarre St. Stephan · Weihnachten 2021
Pfarrblatt - Dompfarre St. Stephan
Madonna von Edvard Munch

                                                                                                                                                                                             Darstellung der Verkündigung
Piero della Francesca: zeno.org - Contumax GmbH & Co.KG | Munch-Madonna: commons.wikimedia.org

                                                                                                                                                                                             von Piero della Francesca
                                                                                                                                                                                             in dem Freskenzyklus der
                                                                                                                                                                                             „Legende vom Heiligen Kreuz“
                                                                                                                                                                                             aus den Jahren 1452–1466

                                                                                                 demselben Niveau. Das Bild zeigt einen          Jahre. Munch malte den Halbakt einer        sondern erfordert den deutenden Blick
                                                                                                 Vorgang im Inneren des Menschen. Maria          hingebungsvoll zurückgebeugten Frau         dessen, der es wahrzunehmen vermag.
                                                                                                 ist fest in sich geschlossen, steht auf eige-   um 1900 in mehreren Fassungen. Auch als     Genauso wie die früheren Bilder berührt
                                                                                                 nen Beinen, doch schließt sie sich nicht        Lithographie ist das Bild von ihm gestal-   das Bild von Edvard Munch einen Vorgang,
                                                                                                 ab, sondern öffnet sich für etwas anderes.      tet worden. „Madonna“ ist eines der be-     der nicht im Äußeren stattfindet, sondern
                                                                                                 Im Grund ist der Vorgang bereits in der         rühmtesten Motive Munchs. Es zeigt den      im Innern des Menschen. Dort wird der
                                                                                                 Haltung das Buches gestaltet, geschlos-         Vorgang der Empfängnis ganz in das In-      Ruf Gottes gehört, dort wird Jesus neu
                                                                                                 sen und zugleich offengehalten.                 nere der Frau verlagert, eine hingebungs-   geboren, von dort her tritt er in die Welt,
                                                                                                                                                 volle Offenheit, die auch missverstanden    nimmt Gestalt an in ihr, durch jeden Men-
                                                                                                 Hingebungsvolle Offenheit                       werden kann. Doch unsere Realität ist       schen neu.
                                                                                                 Von Piero della Francesca bis zur Madon-        mehrdeutig geworden. Das Heilige tritt
                                                                                                 na von Edvard Munch sind es weitere 450         nicht mehr unmittelbar in Erscheinung,

                                                                                                                                                                               Pfarrblatt Dompfarre St. Stephan · Weihnachten 2021 7
Pfarrblatt - Dompfarre St. Stephan
Stille Nacht

                                                         Wie gut, wenn wir in Not und vor         bin ich grad in einer solchen Situation. Es
                                                        Enttäuschung und Frustration wie          ist zum Davonlaufen. Doch Gott will uns
                                                          mit Blindheit geschlagen sind –         immer dort begegnen, wo wir sind, und
                                                                        und dann wie die          nicht dort, wo wir sein möchten.
                                                                    Emmausjünger einen                 Wenn ich – aus welchen Gründen
                                                                         Freund zur Seite         auch immer – verhärtet bin, fehlen mir
                                                                     haben: Emmaus von            die Augen für das Hintergründige. Dann
                                                                       Hugo Imfeld in der         geht es mir wie den Emmausjüngern, de-
                                                                      Propstei St. Gerold.        ren Augen in ihrer Not wie mit Blindheit
                                                                                                  geschlagen waren (vgl. Lk 24,16). Was für
                                                                                                  ein Geschenk ist es, wenn wir in solchen
                                                                                                  Zeiten nicht allein auf dem Weg sind!
                                                                                                  Welche Freundschaft, wenn wir auf die-
                                                                                                  ser Wanderung nicht mit frommem Zeug
                                                                                                  vollgeschwätzt werden! Dann dürfen wir
                                                                                                  zu unserer Not stehen, uns aussprechen
                                                                                                  und mit vielen Fragen und gemeinsa-
                                                                                                  mem Suchen unterwegs sein. Welch ein
                                                                                                  Geschenk, wenn uns die Augen plötzlich
                                                                                                  geöffnet werden (vgl. Lk 24,31)! Das kann

  Die Welt ist Gottes so voll
                                                                                                  in einem Gespräch sein oder beim Gottes-
                                                                                                  dienst, beim Lesen oder beim Spazieren.

  Der Benediktiner P. Martin Werlen über die Erfahrung von                                        Weihnachten ist ein
  Weihnachten: Gott will uns immer dort begegnen,                                                 Einbrechen Gottes ins Heute
  wo wir sind, und nicht dort, wo wir sein möchten.                                               Diese Erfahrung ist zutiefst eine Weih-
                                                                                                  nachtserfahrung. Weihnachten ist nicht
  „… die Welt ist Gottes so voll.“ Diese über-    ten. Allerdings bekenne ich fast jeden Tag      einfach eine Hurra-Stimmung oder ein
  raschenden Worte schreibt Alfred Delp           feierlich: „Ja, die Welt ist Gottes so voll.“   romantisches Fest. Weihnachten ist die
  1944 mit gefesselten Händen vor seinem          Ich mache es mit Worten, die den meis-          Freude über ein Licht im Dunkeln, über
  letzten Weihnachtsfest aus dem Gefäng-          ten Leserinnen und Lesern vertraut sind:        die Gegenwart Gottes in unseren Bau-
  nis: „Das eine ist mir so klar und spürbar      „Erfüllt sind Himmel und Erde von deiner        stellen. Eine Gegenwart, die man auf
  wie selten: die Welt ist Gottes so voll.“ Al-   Herrlichkeit.“ Ja, Himmel und Erde sind         den ersten Blick zu übersehen trachtet,
  fred Delp ist in größter Not. Alles spricht     erfüllt von Gottes Herrlichkeit. Oder: Die      an der man achtlos vorbeigehen kann.
  dafür, dass er bald hingerichtet wird. Und      Welt ist Gottes so voll.                        Weihnachten ist nicht gebunden an be-
  doch hat er das Staunen nicht verlernt.                                                         stimmte Stimmungen oder Situationen.
  Da fällt mir ein Satz der Wiener Schrift-       Wenn Gottes Gegenwart                           Weihnachten ist ein Einbrechen Gottes
  stellerin Elfriede Gerstl (1932–2009) ein:      fern scheint                                    ins Heute, in meine bescheidene oder
  „Manche kommen aus dem Staunen nie              Dieses Bekenntnis ist eine große Heraus-        vielleicht sogar armselige Krippe. Wa-
  heraus, manche nie hinein.“                     forderung. Wenn Himmel und Erde von             gen wir in allem Dunkel in unserer Zeit,
       Kinder können staunen. Grad um das         Gottes Herrlichkeit erfüllt sind, dann ist es   Weihnachten einmal anders zu feiern –
  Weihnachtsfest erleben wir Erwachsene           unsere Aufgabe, diese Gegenwart Gottes          da, wo wir sind!
  das mit. Können wir noch staunen? Alf-          immer neu zu suchen und zu entdecken
  red Delp schreibt: „Ich glaube, ich werde       – nicht nur beim Gebet oder in einem Kir-
  ganz schön Weihnachten feiern. Mit dem          chengebäude, sondern wirklich überall.           P. Martin Werlen
                                                                                                                                                Werlin: Franz Kälin | Emmaus: P. Martin Werlen

  Herrgott allein.“ Welche Zuversicht! Wie        Ob beim Busfahren oder beim Abendes-               OSB, ehem. Abt
  ist das möglich? Stimmt das überhaupt –         sen, ob beim stillen Verweilen im Wald              des Schweizer
  sogar im Gefängnis: Die Welt ist Gottes so      oder bei einer grossen Auseinanderset-                     Klosters
  voll? Viele Menschen würden darauf klar         zung. Zugegeben: Manchmal bin ich in                    Einsiedeln,
  mit „Nein“ antworten, auch sehr fromme,         Situationen, in denen mir die Gegenwart              ist Propst der
  die oft über die gottlose Welt schimpfen.       Gottes so fern scheint, dass ich da gar         Propstei St. Gerold
  Auch mir ist nicht immer danach zumute,         nicht mehr suchen möchte. Im Moment,                 in Vorarlberg
  mit einem überzeugten „Ja“ zu antwor-           in dem ich diese Zeilen niederschreibe,            und Buchautor.

8 Pfarrblatt Dompfarre St. Stephan · Weihnachten 2021
Pfarrblatt - Dompfarre St. Stephan
Den Ruf hören,
                                                                                                                   Zukunft eintreffen: das Volk wird Gott
                                                                                                                   am Berg Sinai verehren.
                                                                                                                       Gottes Stimme kann auch mitten in

                         den nur ich hören kann
                                                                                                                   der Nacht aufstören. Weil sein Wort und
                                                                                                                   seine Schau selten geworden waren, weiß
                                                                                                                   der junge Samuel nicht, wer ihn im Tem-
                         Alttestamentliche Erfahrungen vom Rufen Gottes.                                           pel von Schilo dreimal mit seinem Namen
                         Von P. Georg Braulik, Benediktiner der Schottenabtei Wien                                 aus dem Schlaf gerufen hat. Erst als der
                                                                                                                   Priester Eli ihn darauf vorbereitet, Gott
                         Vielleicht besteht das größte Abenteuer                                                   als den Rufenden zu hören, kann Samuel
                         des Lebens darin, sich in der komplizier-                                                 antworten: „Rede, Herr, dein Diener hört.“
                         ten Polyphonie der vielen menschlichen                   P. Georg                         (1 Sam 3,10) Diese Antwort könnte Modell
                         Stimmen zurechtzufinden, unter ihnen          Braulik OSB lehrte                          für alle sein, die sich von Gott angespro-
                         die Stimme Gottes zu hören und zu hören,      alttestament­liche                          chen wissen. Am Ende aber heißt es vom
                         wer ich selbst sein kann. So lautet jeden-    Bibelwissenschaft                           erwachsenen Samuel: „Der Herr war mit
                         falls eine Kurzformel menschlicher und        an der Universität                          ihm“ und ganz Israel erkannte, „dass Sa-
                         christlicher Berufung (Christoph Theo-              Wien und ist                          muel als Prophet des Herrn beglaubigt
                         bald). Um sie zu erkennen, schlage ich in             Autor zahl­                         war“ (3,20).
                         diesem Beitrag vor, sich von der Heiligen         reicher Bücher.
                         Schrift erzählen zu lassen, wie Gott Men-                                                 Die Stimme hören und
                         schen rief und wie sie auf ihre Weise ge-         Als Mose gerufen wird, lastet bereits   ihr gehorchen
                         antwortet haben. An den Geschicken von        eine schuldhafte Vergangenheit auf          Die Ausdrucksformen von Berufung und
                         Abraham (Genesis 22), Mose (Exo­dus 3-4)      ihm. Dank der Pharaonentochter war er       Hören sind vielfältig. Abraham musste
                         oder Samuel (1 Samuel 3) zum Beispiel         als ausgesetztes Hebräerkind gerettet       sich der fordernden Stimme Gottes mit-
                         kann man lernen, die Stimme Gottes            worden und am ägyptischen Hof aufge-        ten im Familienglück stellen, Mose er-
                         zu identifizieren und zugleich das zu         wachsen. Später verteidigte er einen sei-   reichte sie bei seiner täglichen Arbeit, Sa-
                         hören, was außer mir niemand anderer          ner Stammesbrüder bei der Fronarbeit        muel weckte sie aus dem Schlaf. Dennoch
                         hören kann.                                   und erschlug einen Ägypter. Deshalb         wird jeder bei seinem Namen, dem unver-
                                                                       musste er fliehen und weidete schließ-      wechselbar Persönlichsten und einmali-
                         Wie ruft Gott?                                lich in der Steppe die Schafe und Ziegen    gen Geheimnis, gerufen. Diese Einladung
                         Mit Abraham hat Gott immer wieder             seines Schwiegervaters. Dabei kommt er      ist das untrügliche Zeichen für die Stimme
                         gesprochen. Alles fängt mit dem Befehl        eines Tages zum Gottesberg Sinai. Dort      Gottes. Deshalb lautet die Antwort jedes
                         an, seine Heimat und Verwandtschaft zu        wird er von einem brennenden Dorn-          Mal: „Hier bin ich!“ Immer aber ist „Gott
                         verlassen und in ein fremdes Land auf-        busch angezogen, der nicht verbrennt.       sprechen hören“ mit „an ihn glauben“
                         zubrechen. Abraham kann es, weil Gott         Durch sein Feuer gerät er ins Geheim-       verbunden. Aufgrund dieses Vertrauens
                         ihm verheißt, zum Segen für alle Völker       nis Gottes. Der ruft ihm nämlich aus        kann ich dem Ruf dann gehorchen. Das
                         zu werden. Doch muss er Jahrzehnte lang       den Flammen zu: „Mose, Mose!“. Und er       heißt: trotz meiner beschränkten Fähig-
                         auf den versprochenen Sohn warten. Und        antwortet: „Hier bin ich!“ (Ex 3,4) Schon   keiten seinen besonderen Auftrag, seine
                         als Isaak herangewachsen ist, verlangt        zuvor hatte Gott das Elend seines Volkes    einmalige Sendung annehmen.
                         Gott, ihn zu opfern. Erst als Abraham         in Ägypten gesehen und seine Klage ge-
                         dazu widerspruchslos bereit ist, besteht      hört. Um die Israeliten der Gewalt der
                         er die Probe des Vertrauens. Jetzt ruft ihm   Ägypter zu entreißen und in ein Land,
                         der Engel der Herrn, der hier die Stimme      wo Milch und Honig strömen, zu führen,
                         Gottes verkörpert, Einhalt gebietend zu:      sendet er jetzt Mose zum Pharao. Für die
                         „Abraham, Abraham“. Und der antwor-           Berufung Moses ist also nicht das spek-
                         tet: „Hier bin ich!“ (22,11) Abraham wird     takuläre Ereignis entscheidend, sondern
                         also durch seine Bereitschaft, Gott nichts    die Erfüllung eines göttlichen Auftrags.
                         vorzuenthalten, zum Hörer seines Rufs.        Die Berufung, die aus dem Feuer kommt,                               Georg Braulik,
                         Deshalb bestätigt ihm der Engel auch die      wird zur Sendung. Zwar hält sich Mose                                Ins Herz geschaut.
                         Verheißung des Anfangs: „Segnen werden        dafür nicht geeignet. Aber gegen sei-                                Beten mit den
Braulik: Georg Braulik

                         sich mit deinen Nachkommen alle Völker        nen Einwand versichert ihm Gott: „Ich                                Heiligen des Alten
                         der Erde, weil du auf meine Stimme ge-        bin mit dir!“ (3,12) Das Beglaubigungs-                              Testa­ments, 2020,
                         hört hast.“ (22,18)                           zeichen dafür wird allerdings erst in der                            Tyrolia, 128 Seiten.

                                                                                                     Pfarrblatt Dompfarre St. Stephan · Weihnachten 2021 9
Pfarrblatt - Dompfarre St. Stephan
Stille Nacht

   Von sehenden Blinden
   und blinden Sehenden
   Den Willen Gottes zu verstehen ist nicht immer leicht. Im Neuen                                Markus Tiwald ist
   Testament wird berichtet, dass selbst die engsten Freunde Jesu,                                  Priester und seit
   seine Jünger, die von ihm berufen wurden und zusammen mit ihm                                  2019 Professor für
   lebten, immer wieder mit Unverständnis auf seine Worte reagierten.                                Neu­testament­
   Andere hingegen, die nicht Teil dieser engen Gemeinschaft waren                                        liche Bibel­
   und eigentlich im Abseits der Gesellschaft standen, sehen, was                                      wissenschaft
   die Jünger nicht sehen (wollen). Markus Tiwald über die Berufung                                            an der
   des blinden Bartimäus im Markusevangelium (10,46-52)                                            Universität Wien.

   Sie kommen nicht immer gut weg, die              die Apostel Jesus unter dem Kreuz ver-        Gott lässt den Menschen
   großen Herren Apostel des Markuse-               lassen (vgl. Mk 14,50; 15,40), heißt es von   zu Wort kommen
   vangeliums. Dreimal verkündet Jesus in           Bartimäus: „er folgte Jesus auf seinem        Die Jünger haben nur den Anbruch des
   Mk 8,31; 9,31; 10,32-34, dass er nach Jeru-      Weg“. Die Travestie der Erzählung ist da-     Gottesreiches vor Augen – mit Jesus wol-
   salem geht, um dort sein Leben für die           bei der eigentliche Clou: Der blinde Bett-    len sie in Jerusalem regieren. Berufung
   Menschen hinzugeben. Doch alle dreimal           ler, den die Menschen am liebsten zum         kann aber nur dort geschehen, wo ich vor
   reagieren die Jünger mit Unverständnis.          Schweigen verurteilen würden (Mk 5,48),       dem Rufen auch bereit bin zu hören! Da-
   In 8,32f versucht Petrus, Jesus von seinem       wird hellsichtiger als alle anderen – und     her frägt Jesus Bartimäus auch: „Was soll
   Weg abzuhalten und wird daraufhin so-            das nicht nur im leiblichen Sinne durch       ich dir tun?“ Die Frage scheint unsinnig, es
   gar als „Satan“ tituliert, in 9,32ff folgt der   die Wunderheilung Jesu, sondern mehr          ist doch klar, dass er geheilt werden will.
   zweiten Leidensankündigung der Rang-             noch in seiner Nachfolge Jesu.                Dennoch frägt Jesus und nimmt damit die
   streit der Jünger und in 10,35-45 die Bitte                                                    Eigenkompetenz von Bartimäus wahr. Er
   der Zebedäussöhne um die ersten Plätze           Wie beruft Jesus die Menschen?                weiß nicht schon proaktiv, was für den
   im Gottesreich als misslungene „Antwort“         Wie aber beruft Jesus? Immer im per-          Blinden wohl das Beste wäre, sondern er
   auf die dritte Ankündigung. Bibliker sehen       sönlichen Kontakt mit den Menschen!           lässt ihn selber sprechen.
   darin bereits eine erste Kritik des Evan-        Oft hören wir, dass Jesus die Menschen
   gelisten an beginnenden Machtstruk-                  berührt – physisch wie psychisch. Be-     Weg der kleinen Schritten gehen
   turen der sich entwickelnden                                 rufungsgeschichten und Hei-       Gott lässt jeden von uns zu Wort kom-
   Kirche: Jedem dieser Jün-                                        lungsgeschichten fließen      men, er hört unsere Geschichten und er
   gerunverständnisse                                                  dann ineinander. Die       wertschätzt auch unsere wunden Seiten.
   folgt wiederum eine                                                  Berührung nämlich         Wenn Menschen so berührt werden, dann
   Belehrung Jesu:                                                        nimmt auch die          folgen sie Gott automatisch nach. Nach-
   über die Kreuzes-                                                       Schwäche liebend       folge meint dabei nicht, dass wir Spekta-
   nachfolge in 8,34;                                                      an – alles das, was    kuläres vollbringen, es ist einfach nur der    Tiwald: Katholisch-theologische Fakultät Wien | Blindenheilung: Dieter Schütz /pixelio.de

   darüber, dass die                                                       Menschen sonst         Weg der kleinen Schritte – so wie Barti­
   Ersten Diener al-                                                       schamhaft verste-      mäus, der Jesus nachfolgt und unaufge-
   ler sein müssen in                                                      cken. Die Menge        regt tut, was die Apostel schuldig bleiben.
   9,35 und dass die                                                      möchte den stören-      Ist das schon eine Kritik an allzu bürokra-
   Machtstrukturen                                                       den Bettler gerne aus    tischen Strukturen unserer Kirche – oder
   dieser Welt bei den                                                 dem Bild drängen und       geht es uns nicht allen so, dass wir gierig
   Jüngern nicht imitiert                                           befiehlt ihm zu schwei-       auf das Spektakuläre schielen und das ver-
   werden sollen in 10,42-45.                                    gen. Doch Jesus stellt ihn in    meintlich Unbedeutende beiseitelassen?
   Unmittelbar an diese letzte der drei                  die Mitte und gibt seiner Geschichte     Die heilige Mutter Theresa von Kalkutta
   Unterweisungen schließt dann die Peri-           Gewicht. Er nimmt jeden einzelnen ganz        hat einmal gesagt: „Als junge Missionarin
   kope mit dem blinden Bartimäus an. Sie           persönlich und individuell wahr. Vorge-       wollte ich alle Menschen bekehren und
   leitet mit der Ankunft Jesu in Jericho den       fertigte, automatistische Muster gibt es      in die Nachfolge rufen. Doch dann habe
   Beginn eines neuen Abschnitts ein: den           nicht, jeder Mensch wird in seiner Indivi-    ich gelernt, dass ich die Menschen einfach
   Einzug Jesu in Jerusalem und seiner Le-          dualität gesehen und in seiner Verletzlich-   nur lieben soll. Und die Liebe bekehrt –
   benshingabe für die Menschen. Während            keit wertgeschätzt.                           wenn sie will!“

10 Pfarrblatt Dompfarre St. Stephan · Weihnachten 2021
Bunt und frei
                        Grautöne und Stillstand                         sich auch gut an. Ich fühle mich frei. Und      sangs um mich herum. Der Geist sagt in
                        sind gottlos. Unterwegs-                        genauso verlasse ich diese Kirche: als be-      mir: Brich auf, lass dich neu machen, mach
                        Sein ist der natürliche                         freiter, als neuer Mensch.                      Neues! Er sagt mir noch etwas: Es wird
                        Zustand eines glaubenden                             Im Verlauf des folgenden Jahres sollte     nicht leicht diesmal. Ohne Kreuz wird es
                        Menschen. Lebenswege                            ich, mit Hilfe eines erfahrenen Geistlichen     nicht gehen. Und der Geist Jesu fragt: Bist
                        können dadurch schon mit                        Begleiters, diese Episode entschlüsseln         du bereit?
                        vielen Verästelungen, Zäsuren,                  lernen, auf dem Hintergrund meiner Bio-             Zwei Jahre später stehe ich jetzt mit
                        Brüchen und Neuanfängen                         grafie genauso wie meiner Sehnsüchte.           einer kleinen Gruppe von Christen und
                        verlaufen. Wolfgang Kimmel                      Und ich sollte eine Entscheidung treffen:       Christinnen am Ottakringer Yppenplatz.
                        über: Warum du Wanderschuhe                     Wenn Gott ruft, dann beruft er auch.            Wir haben im Gebet gerungen und glau-
                        brauchst, wenn Gott ruft.                       Nicht notwendig in den Priesterberuf,           ben jetzt, dass uns der Herr hierher ge-
                                                                        wie in meinem Fall. Er beruft überhaupt         rufen hat. Wir wollen an diesem ethnisch
                        An einem Samstagvormittag, es war der           nicht zu ETWAS. Er ruft DICH. Er will von       und sozial durchmischten Ort zeigen, dass
                        13. August 2005, betrete ich mit zwei Ein-      dir auch nicht ETWAS. Er will DICH.             Jesus da ist. Notfalls tun wir dies mit Wor-
                        kaufsackerln die Schottenfelder Kirche. Zu           Wenn Gott ruft, dann immer zu IHM          ten, mehr aber noch mit der neuen alten
                        dieser Zeit habe ich einen spannenden           hin. Wenn daher Gott ruft, dann ruft er
                        Job, verdiene nicht schlecht und fühle          dich immer zu dir hin, zu deinem wahren
                        mich auch in Liebessachen gut versorgt.         Ich. Sein Ruf deckt deine Sehnsucht auf,
                        Trotzdem rumort es seit geraumer Zeit in        sein Ruf legt deine Identität frei. Bloß: Nie           Wolfgang
                        mir. Ich bin mit meinem Lebensentwurf           gewaltsam, immer zart, immer ruhig, nie                Kimmel ist
                        wie an einem toten Punkt angelangt. Ist         unter Druck. Gott lässt dir die Freiheit und     Geistlicher Leiter
                        halt eine frühe midlife crisis, versuche        die Zeit. Er hat alle Zeit der Welt für dich.      des Gemeinde-
                        ich mir gelegentlich einzureden, wenn                Wenn Gott ruft und du machst dich            Startups der ED
                        die Frage nach dem Sinn pochend an die          auf den Weg, dann kommst du an kein                 Wien „SANKT
                        Bewusstseins-Oberfläche drängt.                 Ende. Du beginnst gehen zu lernen, am            am Yppenplatz“
                             An diesem Samstag sollte alles anders      Beispiel und in Gemeinschaft mit dem                Bunt und frei.
                        werden. Ich setze mich in eine Kirchen-         Menschensohn Jesus. Ich lerne langsam,
                        bank und horche, lausche in mich hinein.        dass das Gehen der natürliche Zustand           Willkommenskultur des Christentums:
                        Die Stille und die Kühle des Raums tun          des glaubenden Menschen ist. Stillstand         Gemeinschaft vor Bekenntnis, Zuhören
                        gut. Lange nicht mehr hier drin gewesen.        und Grautöne sind gottlos. Also: Wander-        statt Belehren, Divers statt Exklusiv – das
                        Für einen ehemaligen Benediktinermönch          schuhe an und los geht’s. Und so wurde          sind nur drei der Werte, die wir leben wol-
                        bin ich vom lieben Gott ganz schön weit         mir mit Jesus nicht fad, seit ich Priester      len. Weil sie Jesus gelebt hat.
                        weggerückt. Vor Jahren hatte ich dann mit       bin. Sein Geist, wir nennen ihn den „Hei-           „Ich bin der Weg“ (Johannes 14,6).
                        dem Kirchenaustritt eine Zäsur unter mei-       ligen Geist“, sorgt für Bewegung und für        Wenn ich auf die Verästelungen meines
                        ne Glaubenskarriere gesetzt. Ob es Gott         ein buntes Leben.                               Lebenswegs zurückschaue, muss ich sa-
                        überhaupt gibt? Meine Frage nach dem                                                            gen: Seine Wege bin ich nicht immer ge-
                        Sinn, ich kann es in diesem Moment nicht        Frage: Bist du bereit?                          gangen, aber er war immer auf meinem
                        mehr leugnen, ist die Frage nach IHM.           Schnitt. Nach sieben Jahren als Pfarrer in      Weg. Mehr noch: Er hat meinen Weg zu
                                                                        derselben Gemeinde stehe ich am 7. Mai          seinem Weg gemacht.
                        Gott lässt Freiheit                             2019 in der Londoner Dreifaltigkeitskirche          Schauen wir, was der Herr noch vor-
                        und schenkt Zeit                                in Brompton. Ein katholischer Bischofs-         hat. Inzwischen weiß ich, dass ich in
                        „Gott wohnt in deinem Herzen, Wolf-             vikar predigt in dem anglikanischen Got-        meinem letzten Lebensdrittel nicht mehr
                        gang“, spricht es aus mir, spricht es in        teshaus vor geschätzt 2000 Menschen             alles zu tun brauche, was möglich ist. Ich
                        mir. Es ist ein ruhiger, klarer, befreiender    unterschiedlicher Konfession. Anschlie-         möchte in Zukunft mehr tun, was Gott
Kimmel: Matthias Tara

                        Gedanke, der mich in diesem Augenblick          ßend beten wir um den Heiligen Geist.           ehrt und der Bestimmung entspricht, die
                        durchströmt. Wow. Es ist die Antwort auf             Der Geist kommt. Zu uns, zu mir. Er        ER mir zugedacht hat. Das macht mich
                        die Frage. Gott ist da, er ist in mir, er ist   lässt sich nieder, erfüllt den Raum. Ganz       frei. Und da bin ich mir sicher: Das Leben
                        bei mir. Das klingt nicht nur gut, das fühlt    still wird es in mir, trotz des lauten Ge-      bleibt bunt.

                                                                                                         Pfarrblatt Dompfarre St. Stephan · Weihnachten 2021 11
Stille Nacht

   »Gelt, Jesus …«
   Je weiter der Tod ins Leben                   direkten – Zuspruch. Und der begleitet
   reicht, je näher er rückt, um so              mich, seitdem ich diese Stelle bei Biser
   größere Bedeutung kann ein                    gelesen habe. Der Name Jesus, in Erinne-
   gehörtes oder ausgesprochenes                 rung gebracht, zugerufen, in guten oder
   Wort erlangen: Ein Wort, das                  schlechten Zeiten, bei Krankheit oder Ge-                Andreas R.
   eine Brücke über einen Abgrund                sundheit, in Sophie Scholls Fall vor dem              Batlogg SJ ist
   schlägt. Diese Erfahrung machte               Gang zum Schafott, löst etwas aus!                 Jesuit, Theologe,
   auch der Jesuit Andreas R.                        Nach wochenlanger Chemo- und                            Publizist
   Batlogg: Am Ende zählt – die                  Strahlentherapie, auf dem Weg in den                      und Autor
   Gefährtenschaft mit Jesus                     Operationssaal im Januar 2018, als mir ein       zahlreicher Bücher.
                                                 bösartiger Tumor entfernt wurde und ich
   22. Februar 1943: Die Mutter wusste bei       nicht wusste, ob ich den Eingriff überleben      mich in die Krypta der romanischen Kir-
   ihrem Besuch im Vollstreckungsgefäng-         würde, habe ich mich an diese Szene er-          che. Und fand – unerwartet – Trost, als
   nis München-Stadelheim nicht, dass sie        innert. Urplötzlich. Keine Ahnung, warum.        ich im Kolosserbrief das Wort entdeckte:
   ihre Tochter nie mehr lebend wiedersehen      Viel Zeit blieb ja nicht, bevor die Narkose      „Euer Leben ist mit Christus zusammen
   würde. Kurz danach wurde Sophie Scholl        zu wirken begann: „Gelt Andreas, Jesus“          verborgen in Gott“ (Kol 3,3). Auf einmal
   nämlich hingerichtet, um Punkt 17 Uhr. Ihr    – ein stummer Imperativ. Einer, der mehr         wurde ich ganz ruhig!
   Bruder Hans zwei Minuten später, Chris-       erinnerte und tröstete als mahnte: Denk              Als ich am 24. April 1993 in Wien vom
   toph Probst aus Aldrans bei Innsbruck um      dran: Jesus! Wenn du stirbst: Jesus! Wenn        damaligen Weihbischof Christoph Schön-
   17:05 Uhr. Der Henker war es gewohnt, sei-    es Komplikationen gibt: Jesus! Vergiss es        born die Priesterweihe erhielt, wählte ich
   ne Arbeit im Minutentakt zu verrichten.       nicht: Du hast Jesus an deiner Seite!            ihn als meinen Primizspruch. Was ist das
   Damit war das Ende einer Widerstands-                                                          Tröstliche daran? Auch Jesus stand vor
   gruppe besiegelt.                             Jesus als Gefährte – immer,                      Gott: mit bohrenden Fragen vielleicht, mit
        Der kürzlich verstorbene deutsche        jederzeit und überall                            Zweifeln, mit quälenden Ungewissheiten
   Komponist und Intendant Udo Zimmer-           Der Blitzgedanke half jedenfalls – und           und Unsicherheiten. Damals, in einer Zeit
   mann hat die letzte Begegnung von Mag-        er hilft, immer wieder, in verschiedenen         großer Verlassenheit, spürte ich: Ich kann
   dalena Scholl mit ihrer Tochter, die histo-   Situationen. Er deckt sich mit der jesuiti-      mich neben Jesus stellen, dazustellen –
   risch gesichert ist, in seine Kammeroper      schen Lesart des „IHS“: „Iesum Habemus           und zusammen mit ihm darf ich mich in
   „Weiße Rose“ (1967/68) eingebaut:             Socium – Wir haben Jesus zum Gefähr-             Gott geborgen fühlen („kékryptai“). Der
       „Gelt Sophie, Jesus …                     ten“. Jesus ist da – für mich. Immer, jeder-     Gedanke hat nie mehr aufgehört, mich
       Jesus, Jesus …                            zeit und überall. Für mich wurde das zu          zu beruhigen.
       Aber auch du, Mutter …                    einer intensiven Gotteserfahrung! Wenn
       Aber auch du …“                           ich meinen schwachen Glauben in einer
        Der Religionsphilosoph Eugen Biser       Kurzformel ausdrücken sollte, wüsste ich
   nimmt darauf in seinem Jesusbuch „Der         wie – mit diesen drei Buchstaben: IHS!
   Freund“ (1989) Bezug: „Dieser Zuspruch            Trägt das? Hält das? Hilft das? Eine
   kommt einer Handreichung gleich, die          Kontrasterfahrung machte ich einmal bei
   über die bereits erreichte Todesgrenze        Exerzitien in Hochelten am Niederrhein.
   hinweggreift, um dort den Halt einer          Sie schlossen vier intensive Wochen unter                               Das neue Buch
   letzten, unverbrüchlichen Identifikation      Anleitung des Jesuiten Piet van Breemen                                 von Andreas R.
   zu gewähren, wo alle weltlichen Daseins-      († 2021) ab. Ich geriet in eine schwere Krise.                          Batlogg: Jesus
                                                                                                                                               Batlogg: Maurice Shourot

   sicherungen hinfällig geworden sind.“         Mein bisheriger Ordensweg erschien mir                                  begegnen,
   „Zuspruch“ und „Handreichung“: Wer            absolut sinnlos. Massive Zweifel plagten                                suchen – finden
   „Sophie“ gegen seinen eigenen Namen           mich. Ich wollte die Exerzitien abbrechen.                              – bekennen, Kösel
   austauscht, erhält ebenfalls einen – in-      In meiner Not griff ich zur Bibel und setzte                            2021, 320 Seiten.

12 Pfarrblatt Dompfarre St. Stephan · Weihnachten 2021
Eine kleine Anleitung:
                           Gott in allen Dingen finden
                           Wenn jemand Gott suchen und finden möchte: Wie soll man anfangen? Hier finden Sie eine kleine Anleitung.
                           Es sind neun praktische Zugänge – vielleicht wollen Sie einzelne davon ausprobieren. Von Christian Marte SJ

                           1. Unterbrechen.                                 in Schwierigkeiten sind. Oder wenn wir         schließe mit dem „Gegrüßet seist du, Ma-
                           Wir haben oft dichte Tage. Viele Begeg-          merken, dass andere Menschen unsere            ria“ – einem Gebet, das die zwei wichtigs-
                           nungen, Telefonate, E-Mails. Es ist ein          Hilfe brauchen. Da ist Gott präsent. Wir       ten Momente im Leben anspricht: „jetzt“
                           Zeichen von Souveränität, wenn wir den           müssen nur genau hinschauen.                   – und die Stunde unseres Todes.
                           unendlichen Strom an kleinen und gro-                Das Licht von Bethlehem – in einem
                           ßen Ereignissen unterbrechen können.             Stall ist es zu finden, selten im Palast.      8. Cremeschnitten.
                           Man beginnt damit, ruhig zu sitzen und               Unser Einsatz für andere: da sind wir      Ich mag gerne Cremeschnitten. Ich mag
                           auf den eigenen Atem zu achten. Sonst            Gott ganz nahe, als seine Mitarbeiter und      es, wenn die Sonne scheint. Ich mag schö-
                           nichts. Zuerst drei Minuten, dann fünf,          Mitarbeiterinnen.                              ne Dinge, schöne Musik, schöne Bilder
                           das reicht. Wenn ich Gottes Wirklichkeit                                                        und Landschaften. Überall ist Gott prä-
                           wahrnehmen möchte, braucht es diesen             5. In der Bibel lesen.                         sent. Wenn wir die schönen Seiten des
                           ersten Schritt.                                  Ein Wort der Weisheit für heute, für mich.     Lebens genießen können, dann tut das
                                                                            Das kann ich finden, wenn ich in der Früh      unserer Seele gut. Hier wirkt Gottes Geist.
                           2. Genau auf den Tag                             die Lesung und das Evangelium vom Tag
                           zurückschauen.                                   lese. Oder einen Psalm meditiere. Es hilft,    9. Ein freundliches Gesicht.
                           Gott wirkt durch Menschen. Ich blicke            eine kleine Ausgabe der Psalmen für un-        Wenn mir freundliche Menschen begeg-
                           am Abend auf den Tag zurück. Wem bin             terwegs dabei zu haben. Oder auf dem           nen, dann begegnet mir Gott. So einfach
                           ich begegnet? Wo gab es Emotionen? Die           Handy die App mit dem digitalen Stun-          ist das. Wir Menschen sind als Abbild
                           „Formel“ für diese Form des Abendgebets          denbuch herunterzuladen. So lerne ich,         Gottes geschaffen (Genesis 1,27). Gott ist
                           lautet: Erlebnis + Reflexion = Erfahrung. In     die Welt mit den Augen Jesu zu sehen.          uns gut, er möchte, dass wir leben. Und
                           der Rückschau auf den Tag entdecken wir                                                         dass wir diese Güte auch anderen zeigen.
                           Gottes Spuren in unserem Leben.                  6. Heilige Menschen.                           Manchmal muss ich mich selbst daran
                                                                            Als Christ möchte ich so werden wie Je-        erinnern: Mach ein freundliches Gesicht,
                           3. Danken.                                       sus: so reden und denken und handeln.          Christian!
                           Elias Canetti schreibt in „Das Geheimherz        „What would Jesus do“ – was würde Je-              Das sind Wege, um Gott in allen Din-
                           der Uhr“: „Das Schwerste für den, der an         sus tun? Diese Frage hilft. Viele Menschen     gen zu suchen und zu finden. Je älter
                           Gott nicht glaubt: Dass er niemanden             sind in der Spur Jesu gegangen. Ihr Leben      ich werde, desto mehr merke ich: Nicht
                           hat, dem er danken kann. Mehr noch als           inspiriert mich: Maria Magdalena, Franz        nur ich suche Gott, sondern Gott sucht
                           für seine Not braucht man einen Gott für         und Franziska Jägerstätter, Alfred Delp        mich, so wie er Adam im Paradies sucht:
                           Dank.“ Gott danken für das Gute. Aber wer        SJ, Dietrich Bonhoeffer. Mit ihrer Hilfe er-   „Mensch, wo bist du?“ (Gen 3,9)
                           ist da genau mein Gesprächspartner? Gott         kenne ich die Präsenz Gottes in der Welt,
                           selbst ist unsichtbar. Das Bild des unsicht-     gerade auch in schwierigen Situationen.
                           baren Gottes ist Jesus von Nazareth (Brief
                           an die Kolosser 1,15). Mit ihm spreche ich       7. Den Rosenkranz
                           – und das nennt die Tradition „beten“.           immer dabeihaben.
                           Beten bedeutet: Sprechen wie mit einem           Ich habe immer meinen kleinen Rosen-
                           Freund. Danken ist der Königsweg zu Gott.        kranz mit zehn Holzperlen dabei. Wenn
                                                                            ich unterwegs bin, dann nehme ich ihn
                           4. „There is a crack in everything;              in die Hand. Niemand braucht das zu se-            Pater Christian
                           that’s how the light gets                        hen. Aber ich spüre: Ich bin nicht allein      Marte SJ leitet das
Jesuitenkolleg Innsbruck

                           in.“ (Leonard Cohen)                             unterwegs. Der Rosenkranz hilft mir, die         Jesuitenkolleg in
                           „Durch alles geht ein Riss; so fällt das Licht   Präsenz Gottes wahrzunehmen. So fange           Innsbruck und ist
                           hinein“. Gott begegnet uns gerne an un-          ich an, mit Jesus zu sprechen und ihm zu       in Innsbruck auch
                           erwarteten Orten. Gerade dann, wenn wir          erzählen, was bei mir gerade los ist. Ich      Gefängniskaplan.

                                                                                                            Pfarrblatt Dompfarre St. Stephan · Weihnachten 2021 13
Stille Nacht

  Wie treffe ich Entscheidungen?
   Jeden Tag müssen wir im Leben                   Unterscheidungswege ersparen und
   unzählige Entscheidungen treffen.               von denen wir merken, dass sie auch auf
   Für schwierigere Situationen gibt               Dauer tragfähig sind. „Man weiß es!“ Z. B.:
   es eine alte Tradition, die bei der             Diesen Mann will ich heiraten; in diese           Sr. Christine Rod
   Entscheidungsfindung hilfreich                  Ordensgemeinschaft will ich eintreten;             MC ist Mitglied
   sein kann: die Unterscheidung der               diesen Beruf will ich ergreifen usw.                der Ordensge-
   Geister. Ordensfrau Sr. Christine                   2. Ignatius weiß, dass es (leider) nicht       meinschaft der
   Rod MC über das Hinhören                        immer so eindeutig ist. Und deshalb, so           Missionarinnen
   auf die „Geister“, die uns Trost                sagt er, ist es gut, auf „die Geister“ zu hö-    Christi, Theologin
   und Freude schenken und uns                     ren. Daher kommt der Ausdruck. Was sind          und Supervisorin.
   zu jenen Menschen werden                        nun diese Geister? Ignatius nennt sie im
   lassen, die wir ersehnen.                       weiteren Verlauf in seiner Sprache „motio-       im Lauf der Zeit immer wieder noch neue
                                                   nes“, also „Bewegungen“. Daraus ist dann         Aspekte auftauchen), sondern es geht im-
   Was hat denn die „Unterscheidung der            im Deutschen übrigens das Wort „Emotio-          mer auch um die Frage, in welcher Weise
   Geister“ mit Menschwerdung zu tun               nen“ entstanden. Die „Motiones“ sind die         sich etwas auswirken könnte. Auch bei
   und was soll ein solches Thema in einem         Kräfte in uns, die uns bewegen: nicht nur        diesem Schritt, bei diesem Zugang geht
   Weihnachts-Pfarrblatt? Zugegeben, es            als Gedanken, sondern vor allem als Ge-          es darum, eine Zeitlang damit „umzu-
   ist eine alte Sprache, und da braucht es        fühle und auch im Körper spürbar. Ignatius       gehen“. Entscheiden soll man sich dann
   manchmal ein paar Zugangs- und Über-            wusste noch nichts von „Psychosomatik“,          für das „je Bessere“. Ignatius weiß, dass
   setzungshilfen. Wenn dann dieser sper-          und doch – Ignatius nennt zwei Kategorien        es selten die ideale Lösung gibt, sondern
   rige Ausdruck ein wenig „geknackt“ ist,         für diese Geister: Trost und Trostlosigkeit,     eben immer nur das Bestmögliche, also
   dann wird auch deutlich, dass er wirklich       und er rät, sich mit diesen Kräften eine Zeit-   eben das „je Bessere“.
   mit dem Leben, mit dem Menschsein und           lang zu beobachten und sich selber immer             Wichtig ist in all dem noch eines: Das
   immer wieder Menschwerden zu tun hat.           wieder damit ins Gebet zu bringen.               Hören auf die „Abergeister“. Das sind die
        Der Heilige Ignatius von Loyola (1492–         „Trost“ steht für Trost selber, aber auch    Geister und Stimmen, die sich mit tau-
   1556) hatte ein bewegtes Leben. Bevor er        für zunehmende Freude, Gelassenheit, Si-         send „Wenn und Aber“ melden, auch in
   den Orden der Gesellschaft Jesu gegrün-         cherheit, Vertrauen, Frieden. „Trostlosig-       Situationen, in denen man schon meint,
   det hat, hat er viele Suchprozesse, Un-         keit“ bedeutet über Trostlosigkeit hinaus        endlich zum Frieden und zur Hoffnung
   terscheidungs- und Entscheidungswege            Traurigkeit, Schwere, Unsicherheit, Unru-        gekommen zu sein. Diese Geister sind
   durchlaufen. Nach der Gründung übrigens         he. Beide Kräfte können tatsächlich auch         unangenehm, lästig, mühsam. Aber es
   auch noch. Eigentlich war er nie damit fer-     körperlich spürbar sein.                         ist weise, auch mit ihnen zu rechnen
   tig, und das ist ja irgendwie auch tröstlich.       3. Aber auch das Hinhören und Hin-           und nicht alle Fragen wieder von vorne
        Ignatius hat im eigenen Leben und          spüren auf die Geister und Kräfte ist            aufzurollen …
   in der Begleitung anderer Menschen be-          nicht für alles und jedes möglich. Ignatius          Zurück zur Frage: Was hat das alles
   obachtet, wie glaubende Menschen ihren          weiß, dass das Leben mit seinen Fragen           mit Weihnachten und mit Menschwer-
   ganz eigenen Weg zu Gott und mit Gott           manchmal ziemlich trocken bleibt und             dung zu tun? Unser Leben besteht aus
   finden können, und das hat er im so ge-         dass dann gar keine inneren Bewegungen           Unterscheidungen, aus Entscheidungen
   nannten Exerzitienbuch mit „Unterschei-         spürbar sind. Also, sagt er, ist die nächste     und dann aus Entschiedenheit. Vieles
   dung der Geister“ beschrieben. Ignatius         Stufe dran, nämlich das sorgfältige Sam-         wird ungelebt bleiben. Aber wenn kon-
                                                                                                                                                 Magdalena Schauer/ Ordensgemeinschaften Österreich

   hat bemerkt, dass es drei verschiedene          meln von „rationes“, von Begründungen.           krete Möglichkeiten mit Entschiedenheit
   Grundkategorien von Entscheidung gibt           Manchmal ist es hilfreich, sich nüchtern         ergriffen und umgesetzt werden, dann
   (natürlich jeweils mit vielen Varianten).       und demütig hinzusetzen, sich eine Liste         kann sich in meinem eigenen Leben das
                                                   zu machen und Vorteile und Nachteile             inkarnieren, was ich wirklich ersehne
   Drei Grundkategorien                            eines Themas aufzuschreiben. Was noch            und woran ich wirklich glaube. Und dann
   von Entscheidungen                              nicht die Entscheidung selber ist. Bei den       kann auch Gott in meinem Leben immer
   1. „Man weiß es!“ Gott sei Dank gibt es         Vorteilen und Nachteilen geht es nicht           wieder neu Mensch werden und immer
   hin und wieder im Leben doch diese mü-          um momentane Stimmungen und augen-               neu konkret werden. Dann geschieht
   helosen Gewissheiten, die uns weitere           blickliche Bewertungen (und es können ja         Menschwerdung.

14 Pfarrblatt Dompfarre St. Stephan · Weihnachten 2021
Sie können auch lesen