Der Kirchentag Das Magazin - Streitbar sein - Deutscher Evangelischer Kirchentag

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Der Kirchentag Das Magazin - Streitbar sein - Deutscher Evangelischer Kirchentag
Der Kirchentag
ISSN 1869-0181

                                 Das Magazin
                 kirchentag.de                  Ausgabe 04/2019

                                         Streitbar sein
                                         Dialogbereit bleiben
Der Kirchentag Das Magazin - Streitbar sein - Deutscher Evangelischer Kirchentag
DAS FEST DES GL AU BENS
D E U T S C H E R E VA N G E L I S C H E R K I R C H E N T A G

                                                                                                                       Foto: Silvia Bins
                                                                                                                       Liebe Leserinnen und Leser,

                                                                                                                       zum Jahresende widmen wir die aktuelle Ausgabe des             Im Porträt stellen wir Bea Johnson vor, eine streitbare
                                                                                                                       Magazins dem Thema „Streitbar sein“. Auf den ersten Blick      „No Waste“-Aktivistin, deren Müll in ein Einmachglas passt,
                                                                                                                       passt Streit nicht in das Bild einer heiligen Weihnacht. Und   die aber mit dem Flieger um die Welt reist.
                                                                                                                       dennoch, gerade in dieser Zeit, in der Menschen, die sich           Im Streitgespräch um Gottesbilder treffen die Theologen
                                                                                                                       oft sonst nicht mehr so nah sind, zusammenrücken, in der       Alexander Deeg und Notger Slenczka aufeinander.
                                                                                                                       sich die Familie besucht und Zeit miteinander verbringt,            Und warum Streit für die Demokratie wichtig ist, haben
                                                                                                                       sind Diskussionen fast vorprogrammiert. Alles soll glänzen     wir Charlotte Parnack gefragt, die Leiterin des neuen „Zeit“-
                                                                                                                       und gelingen – wer kennt da keinen Streit um die Deko am       Ressorts Streit.
                                                                                                                       Weihnachtsbaum, um Einkäufe und Geschenke oder um                   In einem streitbaren Artikel befasst sich Ulrike Greim
                                                                                                                       gut gehütete Tabuthemen, die in der stimmungsvollen und        mit der Frage, ob der Kirchentag eine westdeutsche Veran-
                                                                                                                       manchmal auch stimmungsgeladenen Runde am Tisch                staltung ist, und kommt zu (k)einem überraschenden Ergebnis.
                                                                                                                       aufbrechen?                                                         Kirchentag will streitbar sein und eine ehrliche, kritische,
                                                                                                                           Streitbar sein bedeutet Auseinandersetzungen aushalten,    faire und vor allem gewinnbringende Streitkultur fördern.
                                                                                                                       bedeutet hinsehen, hinhören, Meinungen vertreten, aber
                                                                                                                       auch andere Meinungen gelten lassen. Offen sein für den           Wir wünschen Ihnen eine spannende Lektüre und ein
    Deutscher Evangelischer Kirchentag             Deutscher Evangelischer Kirchentag –
                                                                                                                       abweichenden Standpunkt, ohne dem anderen diesen abzu-         gesegnetes und diskussionsfreudiges Weihnachtsfest!
    Dortmund 2019                                  Wurzeln und Anfänge
    Dokumente                                      Im Auftrag des Deutschen Evangelischen                              sprechen. Streit kann Neues hervorbringen, kann klärend
    Im Auftrag des Deutschen Evangelischen         Kirchentages herausgegeben von                                      sein, kann Altes infrage stellen und Alternativen aufzeigen.
    Kirchentages herausgegeben von                 Ellen Ueberschär                                                        „schaut hin“, lautet das Leitwort für den 3. Ökumeni-
    Stefanie Rentsch und Julia Helmke                                                                                  schen Kirchentag in Frankfurt am Main, das wir in dieser
                                                   304 Seiten / gebunden
    ca. 648 Seiten mit 32 Bildseiten / gebunden    € 19,99 (D) / € 20,60 (A) / CHF* 28,90                              Ausgabe vorstellen. Eine Aufforderung, die auch vor der
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                                                                                                                       Auseinandersetzung nicht haltmacht.
    * empf. Verkaufspreis                          ISBN 978-3-579-08209-7
    ISBN 978-3-579-08213-4                         Auch als E-Book erhältlich                                                                                                            Sirkka Jendis                    Britta Jagusch
    Erscheint im Juli 2020                                                                                                                                                               Chefredakteurin                  Redaktionsleiterin
                                                   Gegründet wurde der Kirchentag im Jahr
    Der Dokumentarband versammelt                  1949. Wer aber hatte die Idee zu einem
    die wichtigsten Bibelarbeiten, Vor-            Kirchentag? Welche Herausforderungen
    träge, Podiumsdiskussionen, Foren              standen am Anfang? Die Wurzeln liegen
    und liturgischen Veranstaltungen des           im Widerstand gegen den National-
    Kirchentages in Dortmund.                      sozialismus, im Widerspruch gegen
    Damit ist er eine unerlässliche Hilfe          die deutsche Teilung, in der kirchlichen
    zur Nachbereitung dieses kirchlichen           Erneuerung durch die internationale
    Großereignisses, das sich als Forum            Ökumene. Persönlichkeiten aus Kirche
    für kritische Debatten zu den brennen-         und Gesellschaft, vor allem Reinold von
    den Themen unserer Zeit versteht.              Thadden, brachten die Idee Kirchentag
                                                   voran. Wer die Gründerpersönlichkeiten
                                                   waren und was sie bewirkten, zeigt dieser
                                                   Band auf. Mit bisher unbekannten Quellen
                                                   werden die Anfänge des Deutschen
                                                   Evangelischen Kirchentages freigelegt.
                                                                                                  Foto: Robert Gross

                                                                                    www.gtvh.de
Der Kirchentag Das Magazin - Streitbar sein - Deutscher Evangelischer Kirchentag
Inhalt

                                        6 Kämpferin gegen den Überfluss                                                                                                    19 Quote gebraucht?!
                                        		 Im Porträt: Zero-Waste-Aktivistin Bea Johnson                                                                                   		 Ist der Kirchentag eine westdeutsche Veranstaltung?
                                        		 Anne Lemhöfer                                                                                                                   		 Ulrike Greim

                                        8 schaut hin (Mk 6,38)
                                        		 Das Leitwort für den 3. ÖKT 2021 in Frankfurt am Main
                                        		 Harald Schroeter-Wittke

                                                Foto: OEKT
                                                                                                                                                                           20 Ankommen in einer neuen Stadt
                                                                                                                                                                           		 Alle zwei Jahre umziehen –
                                                                                                                                                                           		 wie machen das Kirchentagsmitarbeiter*innen?
                                        10 Reden statt rüsten                                                                                                              		 Britta Jagusch
                                        		 Im Interview: Friedensforscherin Christine Schweitzer
                                        		 Silke Roß                                                                                                                       22 70 Jahre Kirchentag
                                                                                                                                                                           		 Serie: Zeitzeug*innen berichten
                                        13 Meldungen                                                                                                                       		 Stephan von Kolson
                                        		 #WirschickeneinSchiff
                                        		 Kirchentag und Klimastreik                                                                                                      24 Visionär und Brückenbauer
                                        		 Wechsel in der Kommunikation                                                                                                    		 Der Kirchentag trauert um Erhard Eppler
                                        		 Weltversammlung Religions for Peace                                                                                             		 Julia Helmke

                                        14 Über die Rolle von Streit                                                                                                       25   Nachrufe
                                        		 Fünf Fragen an „ZEIT“-Ressortleiterin Charlotte Parnack                                                                         		   Dirigent des Kirchentages: Karl-Heinz Saretzki
                                        		 Britta Jagusch                                                                                                                  		   Günter Ruddat
                                                                                                                                                                           		   Humorvoll und zupackend: Meike Sahling
                                                                                                                                                                           		   Heike Baum und Gabriele Pieper

                                                                                                                                                                           26 Blickwechsel
                                                    „Eine Demokratie, in der nicht gestritten wird, ist keine“, hat Helmut Schmidt einst gesagt. Im neuen STREIT-Ressort   		 Biblische Streit-Kultur
                                                                                            der ZEIT nehmen wir ihn beim Wort.
                                                                                                                                                                           		 Julia Helmke

                                        16 Widerborstigkeiten in der Bibel
                                        		 Im Streitgespräch: Alexander Deeg und Notger Slenczka
                                        		 Rosa Coco Schinagel

                                Die Skulptur „Reconciliation“ (Versöhnung) von Vasconcellos zeigt zwei ehemalige Feinde, die sich umarmen.
                                Sie steht heute an der „Kapelle der Versöhnung“ in der Bernauer Straße Berlin.
Foto: Martinvl / CC BY-SA 4.0

                                Impressum Herausgegeben im Auftrag des Vereins zur Förderung des Deutschen Evangelischen Kirchentages e.V.
                                Chefredaktion (verantwortlich): Sirkka Jendis. Projektleitung und Redaktion: Britta Jagusch. Art-Direktion: Holger Schäfers, Kölledesign.
                                Titel: Holger Schäfers, Ricul/Dreamstime.com. Redaktionsbeirat: Dr. Christina Aus der Au, Dr. Julia Helmke, Bettina Limperg, Hans Leyendecker, Dr. Stefanie Schardien, Dr. Beatrice von Weizsäcker.
                                Druck: Hoehl, Bad Hersfeld. Klimaneutral gedruckt. Weitere Infos unter: http://cpol.climatepartner.com/11077-1310-1001 Erscheinungsweise: vierteljährlich.

                                                                                                                                                                                                                                    5
                                Redaktionsanschrift: Deutscher Evangelischer Kirchentag, Magdeburger Str. 59, 36037 Fulda, Tel. 0661 96950-0, Fax 0661 96950-90,
                                E-Mail fulda@kirchentag.de. Nachdruck nur mit Genehmigung der Redaktion. ISSN 1869-0181                                                                                 Nr. 4/19
Der Kirchentag Das Magazin - Streitbar sein - Deutscher Evangelischer Kirchentag
Kämpferin gegen den Überfluss
                                                                                                                                                                                            spricht Englisch mit einem deutlich hörbaren Akzent,          ganz normalen Leben und von ihren ganz normalen
                                                                                                                                                                                            kokettiert auch mit ein paar Brocken Deutsch. „Mein altes     Eitelkeiten. Die nette Radikale von nebenan, die weder
                                                                                                                                                                                            Leben fühlte sich völlig überfrachtet an. Ich hatte das       in einem Erdloch haust noch völlig zerzaust und in
Die Kalifornierin Bea Johnson versucht zu leben, ohne Abfall zu produzieren.                                                                                                                Gefühl, nicht mehr richtig atmen zu können.“ Bea Johnson      Jutegewändern auftritt.
Und fliegt mit einem Einmachglas um die Welt. Anne Lemhöfer                                                                                                                                 ist 45 Jahre alt. Die ehemals begeisterte Konsumentin             Bea Johnson bringt die Menschen zum Staunen.
                                                                                                                                                                                            kostspieliger Dinge ist heute eine Radikale, wenn man         247.000 Menschen folgen ihr aktuell auf Instagram. „Ich
                                                                                                                                                                                            so will. Sie ist die wohl bekannteste Pionierin der Zero-     entdeckte ein Weingut, das unsere Flaschen Rotwein
                                                                                                                                                                                                                              Waste-Bewegung, die         wieder befüllte, brachte mir bei, aus den Schulkopien
       „Was ist die Alternative zu Zero Waste? Weniger Abfall?      Hund. Johnson, Anfang dreißig zu dem Zeitpunkt, ließ                                                         Zur Autorin: Anne Lemhöfer arbeitet als inzwischen nahezu                der Kinder Papier zu schöpfen“, schreibt sie. Die Johnsons
       Nur ein bisschen Abfall? Es gibt keine Alternative!“ Wer     sich platinblondes Barbie-Haar färben, die Haut künstlich                                                    Journalistin in Frankfurt am Main.           überall auf der Welt        leben heute
       einen Vortrag von Bea Johnson besucht oder sich einen        bräunen, die Lippen aufspritzen und Fingernägel aus                                                                                                       Anhängerinnen und           nach einem fünfstufigen Prinzip: ablehnen, reduzieren,
       auf Youtube anschaut, merkt schnell: Hier ist eine Person,   Acryl modellieren. 2007 war das.                                                                                        Anhänger findet. Zero Waste bedeutet: kein Müll.              wiederverwenden, recyceln und kompostieren („refuse,
       die eine Mission hat. Eine Kämpferin. Sie ist offensicht-        Zwölf Jahre später reist eine Frau, der man eine Ver-                                                               Zumindest: fast keinen. Ein paar Käse-Etiketten stecken       reduce, reuse, recycle, rot“).
       lich voller Leidenschaft für das, was sie tut und was sie    gangenheit als Pfadfinderin sofort abnehmen würde, in                                                                   in ihrem Einmachglas. Borsten von Zahnbürsten. Rasier-
       verkörpert – mit Humor, Ironie, aber auch mit Ernst bei      einem Wohnmobil durch Kanada und die USA. Eine Frau,                                                                    klingen von Ehemann und Söhnen. Für dieses Einmach-
       der Sache.                                                   die ein Hohelied auf die Bambus-Zahnbürste singt. Regel-                                                                glas ist sie berühmt.
                                                                    mäßig ist sie auch in Europa zu Vorträgen zu Gast, in                                                                        Bea Johnson betreibt einen Blog im Internet und ist
       Von Dingen im Überfluss                                      Frankfurt hat sie zur Eröffnung des Unverpackt-Ladens                                                                   Autorin des Buchs „Glücklich leben ohne Müll“, das in
           Als Bea Johnson beschloss, ohne Müll zu leben, war       gramm.genau vorbeigeschaut. Mit einem Einmachglas im                                                                    zwölf Sprachen übersetzt wurde. Das Einmachglas ist
       sie umgeben von Dingen. Sie wohnte mit ihrem Mann            Gepäck, das den Müll enthält, den ihre Familie in einem                                                                 bei Veranstaltungen ihr Türöffner. Der Satz „Wie kann
       Scott und den Söhnen Max und Leo in einem 280 Quadrat-       ganzen Jahr produziert hat. Wie macht sie das?                                                                          das denn sein?“ steht in imaginären Gedankenblasen
       meter großen Haus in Pleasant Hill, einem Vorort von                                                                                                                                 über den vielen Köpfen ihres in großen Teilen jungen,
       San Francisco – und lebte den amerikanischen Traum.          Pionierin der Zero-Waste-Bewegung                                                                                       alternativen, gebildeten Publikums in allen Erdteilen.

                                                                                                                                                       Foto: ZeroWasteHome.com
       Das Haus hatte begehbare Kleiderschränke und eine                Bea Johnson lächelt ihr Gegenüber offen an. „Hallo,                                                                 Als die Johnsons beschlossen, fortan ohne Müll zu
       Dreifach-Garage. Die Familie besaß zwei Autos, vier          ich bin Bea.“ Sie ist der Typ Frau, den sich andere Frauen                                                              leben, verkauften sie ihr großes Haus und erwarben
       Tische und 26 Stühle, einen Plasmafernseher und einen        als beste Freundin wünschen. Die gebürtige Französin                                                                    ein kleineres, das allerdings teurer war – dafür im
                                                                                                                                                                                            urban-alternativen Mill Valley etwas näher an San
                                                                                                                                                                                            Francisco mit seinen Bauernmärkten, Bioläden und
                                                                                                                                                                                            aufgeschlossenen Menschen.

                                                                                                                                                                                           Mit der Mission zur Müllvermeidung
                                                                                                                                                                                               Auch Bea Johnson ist den Widersprüchen der Moderne
                                                                                                                                                                                           ausgeliefert. Das ist Teil ihres Kampfes, ihrer Mission. Sie
                                                                                                                                                                                           stellt sich ihren Kritikerinnen und Kritikern in den sozia-
                                                                                                                                                                                           len Medien selbstbewusst entgegen. Warum sie immer             Ohne das Leben komplizierter zu machen
                                                                                                                                                                                           noch ein Auto hat? „Um mit meiner Familie der Natur                „Ich glaube, viele assoziieren Zero Waste mit allen
                                                                                                                                                                                           nahe sein zu können“. Warum sie um die Welt fliegt und         Dingen, die hausgemacht sind“, sagt Johnson. „Dagegen
                                                                                                                                                                                           mal im Oman, mal auf der Südseeinsel Tonga für Insta-          wehre ich mich vehement, weil ich glaube, dass man
                                                                                                                                                                                           gram-Posts Müll sammelt „Irgendjemand muss es ja tun.“         Mütter in Vollzeit-Jobs mit all den verrückten, unnötigen
                                                                                                                                                                                           Gibt es ein richtiges Leben im falschen? „Vielleicht nicht.    Produkten abschreckt.“ Menschen, die Vollzeit arbeiten,
                                                                                                                                                                                           Aber ganz sicher ist es absurd, im Supermarkt zwei Bröt-       könnten annehmen, dass ihnen die Zeit für Zero Waste
                                                                                                                                                                                           chen in einer Papiertüte zu kaufen. Und wenn das Ziel          fehle. Deshalb ließen viele es ganz bleiben. Aber:
                                                                                                                                                                                           nicht die komplette Vermeidung von Müll ist, was dann?“        „Um einfach zu leben, benötigt man nicht mehr Zeit“,
                                                                                                                                                                                                                                                          so Johnson. „Es macht das Leben nicht komplizierter,
                                                                                                                                                                                           Sympathisch und verrückt                                       sondern einfacher.“ Man müsse keine Seife, Zahnpasta,
                                                                                                                                                                                               Irgendwann kam der Ehrgeiz. Bea Johnson füllte lose        Shampoo und Co. selbst herstellen, es reiche, unverpackte,
                                                                                                                                                                                           Waren im Supermarkt in Wäschenetze und nähte Stoff-            minimal verarbeitete Produkte zu kaufen. „Das kann jede
                                                                                                                                                                                           beutel aus alten Laken. Sechs Monate lang wusch sie ihre       Frau oder jeder Mann außerhalb der Arbeitszeit erledi-
                                                                                                                                                                                           Haare mit Küchennatron und Apfelessig. „Einer meiner           gen, indem er oder sie das richtige Geschäft besucht.“
                                                                                                                                                                                           vielen Irrwege. Mein Mann meinte, es sei nicht sehr sexy,          Bea Johnson hat viele Tipps parat. Dennoch schafft
                                                                                                                                                                                           wenn ich abends im Bett wie eine Vinaigrette roch.“ Sie        sie es, die Menschen nicht zu belehren. „Ich tue es ein-
                                                                                                                                                                                           griff dann wieder auf in Glasflaschen abgefülltes loses        fach nicht, sondern denke mir: An dem Punkt, an dem
                                                                                                                                 Foto: Jacqui J. Sze

                                                                                                                                                                                           Shampoo zurück.                                                die Leute jetzt sind, war ich vor ein paar Jahren auch.
                                                                                                                                                                                               Es sind diese kleinen Anekdoten, die das Publikum          Natürlich lehne ich keine Essenseinladung ab, bei der
                                                                                                                                                                                           liebt. Da steht diese sympathisch verrückte Vorkämpferin       verpackte Nahrungsmittel verwendet wurden.“
                                                                                                                                                                                           einer guten Sache und berichtet gut gelaunt aus ihrem

6      Nr. 4/19                                        Porträt                                                                                                                                                                              Porträt                                               Nr. 4/19        7
Der Kirchentag Das Magazin - Streitbar sein - Deutscher Evangelischer Kirchentag
der Speisungsgeschichte Mk 6,35-44. 5000 Männer (ohne           für den Donnerstag (Joh 9,1-12a) zeigt, dass dies anders
                                                                                                                                                                    Kinder und Frauen) folgen Jesus und seinen Worten in            geht: Im Vorübergehen, en passant sieht Jesus einen
                                                                                                                                                                    eine einsame Gegend. Anders als in Frankfurt gibt es dort       Blindgeborenen, woraus sich eine komplexe Heilungs-
                                                                                                                                                                    keine Verpflegung. Jesus sagt seinen Jüngern: „Gebt ihr         geschichte entwickelt mit der Frage: „Wie sind deine
                                                                                                                                                                    ihnen zu essen.“ Die Jünger sind hilflos, denn das über-        Augen geöffnet worden?“ (V10). Der Blindgeborene
                                                                                                                                                                    fordert ihre Finanzen. Jesus sagt: „Wie viele Brote habt        antwortet wahrheitsgemäß und gerät dadurch in einen
                                                                                                                                                                    ihr? Geht hin und seht nach!“ Schaut hin! Ihr seid nicht        unglaublichen Strudel von Inklusions- und Exklusions-
                                                                                                                                                                    am Ende, sondern am Anfang.                                     kräften, an deren Ende er Jesus als Lebensspender
                                                                                                                                                                        Es finden sich nicht nur fünf Brote, sondern auch zwei      bekennt, als den Gott, der hinschaut.
                                                                                                                                                                    Fische, also fast schon Luxus! Nehmt wahr und vertraut
                                                                                                                                                                    darauf, was vor Ort als Ressourcen vorhanden ist, und
                                                                                                                                                                    beginnt mit dem Teilen. Gesagt, getan – es gibt ein                 schaut hin ist ein Appell – an uns alle!
                                                                                                                                                                    Gelage auf grünem Gras. Jesus sieht zum Himmel, dankt,
                                                                                                                                                                    bricht das Brot, gibt es seinen Jüngern, die alles verteilen.       Schauen ist mehr als sehen. Schauen nimmt wahr
                                                                                                                                                                    Alle essen und werden satt. Am Ende werden zwölf                    und geht nicht vorbei. Schauen bleibt stehen und
                                                                                                                                                                    Körbe von Brotkrümeln und Fischen gesammelt. Was                    übernimmt Verantwortung. Aktiv Verantwortung zu
                                                                                                                                                                    für ein Kirchentag!                                                 übernehmen ist unser Auftrag als Christinnen und
                                                                                                                                                                                                                                        Christen. Es ist unser gemeinsamer Auftrag als
                                                                                                                                                                    Verantwortung wagen                                                 Geschwister im Glauben an den Gott, der hinschaut.
                                                                                                                                                                         Doch selten ist auf Anhieb klar, wie das anzuschauen
                                                                                                                                                                    ist, was wir sehen. „Öffne mir die Augen, dass ich sehe die         Bettina Limperg, Präsidentin des 3. ÖKT 2021
                                                                                                                                                                    Wunder an deinem Gesetz“ (V18) bittet daher der Kirchen-
                                                                                                                                                                    tagspsalm 119,10-18. Die Sintflutgeschichte Gen 6,12-22
                                                                                                                                                                    als Text für die Bibelarbeit am Freitag fokussiert die

                                                                                                                                                      Foto: ÖKT
                                                                                                                                                                    ökologischen Herausforderungen: Die roten Linien sind
                                                                                                                                                                    überschritten, Reißleinen können nicht mehr gezogen
          Kirchentags-Generalsekretärin Julia Helmke, Bischof Georg Bätzing, Kirchenpräsident Volker Jung, ÖKT-Präsident Thomas Sternberg,                          werden. Ungeheures Unheil droht. Der deutlichen Kritik
          ZdK-Generalsekretär Stefan Vesper und ÖKT-Präsidentin Bettina Limperg (v. l.) bei der Vorstellung des Leitworts in Frankfurt am Main.
                                                                                                                                                                    an der Menschheit steht mit dem Blick auf Noah und die
                                                                                                                                                                    Arche eine Hoffnung gegenüber, die zu entschiedenem

schaut hin                            (Mk 6,38)
                                                                                                                                                                    Handeln aufruft. Der gesamte Planet muss zur Arche
                                                                                                                                                                    werden. Menschen, die bereits daran bauen, sollen
                                                                                                                                                                                                                                    Genau dies wird in den Feierabendmahlen und Vor-
                                                                                                                                                                                                                                    abendmessen mit zwei Texten gefeiert: mit der Epistel
                                                                                                                                                                    gestärkt und diejenigen, die noch tatenlos bleiben,             der katholischen Leseordnung 1. Joh 4,11-21: „Wir haben
Ein Blick auf das Leitwort für den 3. Ökumenischen Kirchentag 2021 in Frankfurt am Main.                                                                            motiviert werden.                                               gesehen und bezeugen“ (V14): „Gott ist Liebe“ (V16).
Harald Schroeter-Wittke                                                                                                                                                                                                             Und mit dem Evangelium der Thomas-Woche, die die
                                                                                                                                                                    Gott schaut hin                                                 orthodoxen Kirchen während des ÖKT weltweit feiern:
           Ein echter Hingucker, das Leitwort des 3. Ökumenischen                        Christlicher Auftrag                                                           Wer angestrengt hinschaut und den Blick auf das ver-        Joh 20,24-29: „Selig sind, die nicht sehen und doch glau-
           Kirchentages (ÖKT): schaut hin. Ich bin angesprochen                              Wer genau hinschaut, stellt fest: Das Leitwort des                     meintlich Eine fixiert, bekommt leicht einen Tunnelblick,       ben“ (V29). Solche Paradoxien begegnen schließlich
           und werde aufgefordert, meinen Blick zu schärfen und                          3. ÖKT in Frankfurt enthält keine Großbuchstaben. Das                      der das Naheliegende ausblendet. Der Text zum Himmel-           auch in der Frauengeschichte der Samstagsbibelarbeit
           wahrzunehmen, was vor Augen ist. Da gibt es kein Ent-                         Leitwort ist nicht nur Imperativ, sondern auch Indikativ:                  fahrtsgottesdienst Apg 1,1-12 stellt dies infrage: „Was seht    (Lk 24,1-10), der Ostergeschichte des Lukas: „Da sahen
           rinnen, selbst wenn ich wegschaue. Ich bin hin und weg!                       … schaut hin. Als Christinnen und Christen aller Konfes-                   ihr zum Himmel?“ (V11). Und auch der Bibelarbeitstext           sie, dass der Stein weggewälzt war“ (V2).
                Hinschauen heißt nicht Wegschauen, auch nicht Ab-                        sionen bekennen wir Gott als Hinschauenden. Weil Gott                                                                                          Der Schlussgottesdienst feiert dieses „schaut hin“ mit
           und Zuschauen. Hinschauen heißt, von sich selbst abse-                        hinschaut auf diese Welt, auf uns, haben wir Kraft und                                                                                     dem Verheißungstext Jes 51,1-5. Gott kündigt an, zu trös-
           hen und seinen Blick auf das richten, was mir entgegen-                       Mut, genau hinzuschauen, was unter uns geschieht an                                                                                        ten, wiederaufzubauen, sein Recht und seine Gerechtig-
           tritt, entgegenkommt, was mir fremd ist und vielleicht                        Freud und Leid, an Lebenslust und Ungerechtigkeit,                                                                                         keit für alle Völker zu etablieren. Diese frohe Botschaft
                                                 auch bleibt. Genau                      an Krieg und Frieden: Wie schaut die Welt aus Gottes                     Botschaft des Leitworts: „Wir schauen nicht weg.“                 galt den Israeliten im Exil aber auch alle Christ*innen, die
Zum Autor: Prof. Dr. Harald Schroeter-Wittke hinschauen heißt:                           Perspektive, im Licht Gottes aus? Mit dieser Blickrichtung                                                                                 sich als Kinder Abrahams und Saras verstehen, dürfen
ist Professor für Didaktik der evangelischen     auch das Unange-                        versammeln wir uns in Frankfurt und fragen nach unse-                    Das Leitwort fordert auf, hinzuschauen. Ein solches               sich angesprochen fühlen. Mit diesem Text stellen wir uns
Religionslehre mit Kirchengeschichte an der      nehme wahrneh-                          rem christlichen Auftrag, unserer christlichen Verantwor-                Schauen ist mehr als ein bloßes Sehen. Handeln                    zum Ende des Ökumenischen Kirchentages Gottes Ruf
Universität Paderborn.                           men, sich von dem,                      tung für unsere Zeit.                                                    beginnt mit Wahrnehmen von Leid und Sorge, von                    zur Gerechtigkeit und öffnen uns für die Menschen in der
                                                 was stört, bewegen                                                                                               Schönheit und Glück. In diesem Sinne wollen wir beim              ganzen Welt. Gugge mer mal!
           lassen und zugleich eine kleine innere Distanz wahren,                        Biblisches Rückgrat                                                      Ökumenischen Kirchentag in Frankfurt in die Welt, auf
           um nicht völlig von dem vereinnahmt zu werden, was ich                            Das Leitwort, bei evangelischen Kirchentagen Losung                  die Sorgen und Ängste der Menschen schauen und mit
           anschaue. Es geht um Augenblicke, die berühren und so                         genannt, ist das biblische Rückgrat des Ökumenischen                     ihnen gemeinsam nach Lösungen suchen.
           neues Leben entstehen lassen – um einen Flirt mit dem,                        Kirchentages und fließt in alle inhaltlichen Grundüberle-                                                                                  Mehr erfahren über das Leitwort und den 3. Ökumenischen
           was lebt und um sein Leben kämpft.                                            gungen ein. Das Leitwort für den 3. ÖKT 2021 entstammt                   Thomas Sternberg, Präsident des 3. ÖKT 2021                       Kirchentag: oekt.de

8         Nr. 4/19                                                     Leitwort                                                                                                                                                                                              Nr. 4/19          9
Der Kirchentag Das Magazin - Streitbar sein - Deutscher Evangelischer Kirchentag
Zur Person:
                                                                          Christine Schweitzer ist Pazifistin und Friedensfor-
                                                                          scherin (Ph.D.) und seit vielen Jahren ehrenamt-
                                                                          lich und hauptberuflich in der Friedensbewegung
                                                                          aktiv. Sie ist Geschäftsführerin beim Bund für
                                                                          Soziale Verteidigung und arbeitet seit 2001 für das
                                                                          Institut für Friedensarbeit und Gewaltfreie Konflikt-
                                                                          austragung (IFGK). Von 2014 bis 2019 war sie
                                                                          Vorsitzende der internationalen Netzwerkorganisa-
                                                                          tion War Resisters International.

                                                                                                                                  Foto: Holger Schäfers
                                                                                                                                                                    Auf dem Podium in Dortmund: Christine Schweitzer beim International Peace Centre des Kirchentages

Reden statt rüsten
Konflikte gewaltfrei bearbeiten, zerstrittene Parteien wieder an einen Tisch bringen, Opfer
schützen – im Gespräch mit Friedensforscherin Christine Schweitzer über ziviles Peacekeeping.
                                                                                                                                                                    Wenn Gegner*innen das Gespräch verweigern, kann                             Spielt Vergebung eine Rolle in der gewaltfreien Konflikt-
                                                                                                                                                                    es helfen, Vermittler*innen zu finden, die das Vertrauen                    bearbeitung?
       Der Kirchentag – Das Magazin: Was sind Ihre Aufgaben als    nur neutrale Hilfsaktionen erreichen Glaubwürdigkeit                                             der jeweiligen Konfliktpartei genießen, damit es                                Vergebung ist ein sehr christlich konnotiertes Wort
       Friedensforscherin?                                         bei allen beteiligten Parteien. Hilfsorganisationen                                              zu einem, möglicherweise auch indirekten, Dialog                            und wird daher nicht neutral gehört. Außerdem ist Ver-
           Christine Schweitzer: Ich beschäftige mich vor allem    müssen in Bürgerkriegen oder gewaltsam ausgetragenen                                             kommen kann.                                                                gebung etwas, das man nicht einfordern oder verabre-
       damit, wie Konflikte gewaltfrei bearbeitet werden kön-      Konflikten sehr genau darauf achten, dass ihre                                                                                                                               den kann. Der Konflikt im ehemaligen Jugoslawien hat
       nen, und damit, wie Menschen vor Gewalt geschützt           Aktionen gewaltmindernd und nicht gewalteskalierend                                              Konflikte werden oft von Emotionen geleitet, wie gehen Sie                  gezeigt, dass es für viele Betroffene genug Herausforde-
       werden können, was wir mit dem Begriff des zivilen          wirken. Ganz nach dem „Do-No-Harm“-Ansatz.                                                       damit um?                                                                   rung war, wieder gemeinsam in den Dörfern zusammen-
       Peacekeepings bezeichnen. Bei der Konfliktbearbeitung                                                                                                            Der Umgang mit Emotionen ist nicht einfach, aber                        leben zu können, nach allem, was passiert war. Dafür,
       geht es in den meisten Fällen darum, praktische Vor-        Wie wichtig ist dabei eine gute Streitkultur?                                                    sie sind Teil dessen, was einen Menschen ausmacht.                          dass das möglich war, haben die Menschen viel gerun-
       schläge zu entwickeln, die die zerstrittenen Parteien                                                                                                        Wichtig ist eine sorgfältige Vorbereitung, denn in                          gen und gearbeitet – da ist so etwas wie „Vergebung“
                                                                                     »
       wieder in eine Art von Beziehung bringen. Entschei-                                                                                                          einem Konflikt gibt es immer auch Extremsituationen,                        für viele Menschen eine Überforderung. Tatsächlich
       dend ist, wie weit der Konflikt bereits eskaliert ist. Je                    …                                                                               in denen man aufpassen muss, damit die Unparteilich-                        zielen auch die meisten traditionellen Methoden der
       höher die Eskalationsstufe ist, desto schwieriger wird           Streit ist in Konflikten                                                                    keit nicht verloren geht. Helfer*innen müssen ihre                          Wiedergutmachung eher darauf, einen Ausgleich zu
       es zumeist, eine Lösung zu finden.                              notwendig, das Gegenteil                                                                                                           eigene Rolle als                      schaffen. Insgesamt sollte man sich in der Konfliktbear-
                                                                                                                                                          Zur Autorin: Silke Roß ist Online-Redakteurin Vermittelnde                            beitung davor hüten, ein Ziel zu definieren, denn es
       Lassen sich auch schwere Konflikte gewaltfrei befrieden?
                                                                         wäre Unterdrückung.                                                              beim Zentrum für Mission und Ökumene der        immer wieder                          erfordert schon viel Einsatz, Parteien überhaupt an
           Oft akzeptieren Konfliktparteien erst dann Hilfe,                        …                                                                     Nordkirche.                                     reflektieren und                      einen Tisch zu bekommen, und manchmal ist auch das
       wenn der Konflikt schon sehr weit fortgeschritten ist                                                                                                                                              sozusagen aus                         nicht möglich.
                                                                                                  «
       und die Fronten verhärtet sind. Trotzdem muss man                                                                                                            einer Metaperspektive die Standpunkte aller Seiten
       sich immer wieder vor Augen führen, dass heutzutage         Wer aus Angst seine Meinung unterdrückt, wird nicht                                              wahrnehmen. Denn jede Partei fühlt sich in der Regel                        Was kann man tun, wenn Parteien sich verweigern?
       wenige Konflikte dadurch beendet werden, dass eine          streiten, insofern ist Streit eher ein gutes Zeichen und                                         im Recht. In diesem Zusammenhang sind auch Traumata                             Das ist auf jeden Fall ein Problem. Es gibt zum Bei-
       Seite gewinnt. Die mit Abstand meisten Konflikte wer-       ist nötig, damit die verschiedenen Positionen Gehör                                              zu beachten, die bearbeitet werden müssen, und zwar                         spiel das Prinzip der „Shuttle Diplomacy“, bei dem die
       den durch Verhandlungen und Kompromisse beendet.            finden können. Die Konfliktbearbeitung hilft, die Kon-                                           häufig, bevor überhaupt Gespräche oder Begegnungen                          Verhandlungsführenden die einzelnen Konfliktparteien
       Wichtig ist es, bei Konfliktbearbeitung wie auch bei        flikte und auch den Streit in klare Bahnen zu lenken,                                            möglich sind.                                                               individuell aufsuchen. Im Bosnienkrieg war es zum
       humanitärer Hilfe auf Unparteilichkeit zu achten, denn      denn es muss geredet, keine Gewalt angewendet werden.                                                                                                                        Beispiel nach vielen intensiven Verhandlungen schon

10     Nr. 4/19                                     Interview                                                                                                                                                                Interview                                                 Nr. 4/19      11
Der Kirchentag Das Magazin - Streitbar sein - Deutscher Evangelischer Kirchentag
ein großer Erfolg, dass die Konfliktparteien gemeinsam      Um Geld geht es ja auch in der Rüstungsindustrie – kann die                                                     #WirschickeneinSchiff
     in einem Hotel waren und die Konfliktbearbeitenden          Welt wirklich darauf verzichten?                                                                                Am 3. Dezember startete die Spendenkampagne #WirschickeneinSchiff –
     nur noch in verschiedene Etagen und nicht mehr in               Wenn man es genau betrachtet, waren militärische                                                            eine Forderung der Kirchentagsresolution wird damit Wirklichkeit.
     verschiedene Städte eilen mussten. Dennoch ist eine         Interventionen nie wirklich erfolgreich; oft haben sie
     Lösung eigentlich nicht möglich, wenn Verhandlungen         mittelfristig die Situation wesentlich verschlimmert.                                                           Auf dem Kirchentag in Dortmund war die Seenotrettung im Mittelmeer ein großes Thema. Eine Resolution forderte
     ohne wichtige Teile der Zivilgesellschaft geführt wer-      Zum Beispiel wäre der IS kaum ohne den internationa-                                                            die EKD und ihre Landeskirchen auf, selbst ein Rettungsschiff ins Mittelmeer zu schicken und Flagge zu zeigen.
     den sollen – das zeigt sich zurzeit im Syrienkonflikt.      len Angriff auf den Irak 2003 entstanden. Da haben                                                              Unter dem Titel „United 4 Rescue – Gemeinsam Retten“ gründete sich ein breites Aktionsbündnis, das sich öffent-
     Hier verweigert die Türkei den syrischen Kurden die         letztendlich gewaltfreie Lösungen eine bessere Statis-                                                          lich für die zivile Seenotrettung einsetzt. Ihre erste Spendenkampagne #WirschickeneinSchiff unterstützt den Kauf
     Teilnahme an Friedensverhandlungen, so kann nur über        tik, denn die sind durchweg nachhaltiger. Mittlerweile                                                          eines zusätzlichen Rettungsschiffes. Organisationen und Einzelpersonen können das Aktionsbündnis und die
     sie, aber nicht mit ihnen geredet werden. Eventuelle        wird immer deutlicher, dass die Politik nicht im Ein-                                                           Kampagne unterstützen.
     Kompromisse oder Absprachen werden dann ohne                klang mit ihrem Anspruch ist. Die Rüstungsexporte                                                               wirschickeneinschiff.de
     diese wichtige Gruppe verabredet, und das birgt immer       boomen, überall auf der Welt wird aufgerüstet, und
     die Gefahr, dass die ausgeschlossene Partei sich nicht      immer wieder werden Militäreinsätze diskutiert und
     zu diesen Verabredungen bekennt. Der Konflikt wird          geplant, anstatt zivile Mittel einzusetzen.
     dann zwar verändert, geht aber weiter. Die UN hat                                                                                                                                                                                     Der Kirchentag ist eine der umweltfreundlichsten Groß-
     Resolutionen verabschiedet, die die Beteiligung ver-        Was können Graswurzelbewegungen bewirken?                                                                                                                                 veranstaltungen in Deutschland. In seiner Arbeitskultur ist
     schiedener Gruppen, insbesondere auch von Frauen,
     festschreiben. Für UN-Mitgliedsländer sind diese Rege-
                                                                     Soziale Bewegungen bestehen immer aus vielen
                                                                 einzelnen Gruppen. Auch wenn sie oft verschiedene                                                                 Kirchentag und                                          Klimaschutz fest verankert. Grund genug für den Kirchentag,
                                                                                                                                                                                                                                           mit seinem Beitritt zur Initiative „Unternehmen für Fridays

                                                                                                                                                                                Klimastreik, das passt!
     lungen bindend, sie müssen daher beispielsweise             Wege beschreiten, verändern sie das politische Klima                                                                                                                      for Future“ die vielen engagierten Menschen, die weltweit
     immer Frauenvertretungen beteiligen.                        und erreichen dadurch eine Auseinandersetzung mit                                                                                                                         demonstrieren, zu unterstützen. Der Kirchentag steht zur
                                                                 ihren Forderungen und oft auch, dass ihre Forderungen                                                                                                                     Umsetzung des Pariser Klimaabkommens und fordert
     Welche Rolle spielt Geld bei solchen Verhandlungen?         – zumindest teilweise – umgesetzt werden. Ein gutes                                                                                                                       verlässliche Regeln für einen wirksamen Klimaschutz.
         Geld ist zumindest mittelbar ein wichtiger Faktor. Es   Beispiel für eine solche Bewegung sind die Fridays for                                                                                                                    kirchentag.de/umwelt
     fängt damit an, dass Friedensverhandlungen im interna-      Future: Die Bewegung hat viele verschiedene Men-
     tionalen Geschehen erheblich schneller aufgenommen          schen auf die Straße gebracht, die auf diversen gesell-
     werden, wenn Rohstoffe, Handelswege oder andere             schaftlichen und politischen Ebenen wirken können
     finanzwirksame Ressourcen bedroht sind. Auch Wie-           und so eine Klimadebatte angestoßen haben.                                                                      Wechsel in der Kommunikation
     deraufbauhilfen oder unterstützende Zahlungen sind
     letztendlich eine reine Geldfrage.                          Sie waren Podiumsgast auf dem Kirchentag in Dortmund,                                                           Mario Zeißig, seit 2014 Referent für thematisches Programm beim Kirchentag, hat am 1. Oktober die Leitung
                                                                 was kann eine solche Veranstaltung bewegen?                                                                     Kommunikation des Kirchentages in Elternzeitvertretung für Sirkka Jendis übernommen. Der 41-Jährige wird somit
                    »
                                                                     Große Versammlungen sind immer hilfreich, insbe-                                                            auch als Pressesprecher den 3. Ökumenischen Kirchentag begleiten. Seine Nachfolge hat als Fachreferentin in der
                    …                                            sondere, wenn sie einen gemeinsamen Nenner wie den                                                              Studienleitung die Religions- und Kulturwissenschaftlerin Verena Keilberth angetreten.
           Die internationale                                    Glauben oder gemeinsame Identitäten haben. Jegliche
         Bereitschaft, in Krisen-                                Friedensarbeit macht es notwendig, im Gespräch auch
                                                                 mit Menschen zu bleiben, deren politische Überzeu-                                                              Von links: Dr. Jeannette Behringer (ECC, Zürich), Lydia
        fällen zu verhandeln, ist                                gung man nicht teilt, und eine Beziehung aufzubauen.                                                            Seifert (DEKT), Generalsekretärin Julia Helmke (DEKT)
       definitiv höher, wenn es um                               Dabei kann der Kirchentag helfen.                                                                               und Daniel Schmidt-Holz, Vorsitzender des Ständigen

                                                                                                                               Foto: Christian Flemming / Religions for Peace
         materielle Werte geht.                                                                                                                                                  Internationalen Ausschusses (DEKT).

                    …
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                                                                                                                                                                                 Religions for Peace
                                                                                                                                                                                 Kirchentag zu Gast bei der Weltversammlung in Lindau

                                                                                                                                                                                 Wie Kirchentag in seiner Gänze erklären, wenn es im Heimatland nichts Vergleichbares gibt? Gar nicht so leicht.
                                                                                                                                                                                 Vom 20. bis 23. August fand in Lindau die 10. Weltversammlung von Religions for Peace statt, zu der rund 900
                                                                                                                                                                                 Vertreter aus 125 Ländern zusammenkamen. Der Deutsche Evangelische Kirchentag war eingeladen, sich als große
                                                                                                                                                                                 religiöse Laienbewegung vorzustellen. Gemeinsam mit der European Christian Convention (ECC) informierte der
                                                                                                                                                                                 Kirchentag über sein Anliegen und seine Ziele und warb für ein Kennenlernen und einen Besuch des Ökumeni-
                                                                                                                                                                                 schen Kirchentages 2021 in Frankfurt am Main. Viel Interesse und Erstaunen. „The Kirchentag looks like a won-
                                                                                                                                                                                 derful opportunity to bring people together with culture, art, music, discussion, civic, spiritual collaborations“,
                                                                                                                                                                                 schrieb uns im Nachhinein ein britischer Musiker.

12   Nr. 4/19                                    Interview                                                                                                                                                                      Meldungen                                             Nr. 4/19     13
Der Kirchentag Das Magazin - Streitbar sein - Deutscher Evangelischer Kirchentag
Welche Rolle spielt Streit für die Demokratie?

                       Streit ist für eine Demokratie unerlässlich                                                                                                                                                                                              Wir sind überzeugt, dass Streit für eine Demokratie unerlässlich ist:
                                                                                                                                                                                                                                                            Wenn sich die Mitte nicht streitet, polarisieren sich die Ränder, und die
                                                                                                                                                                                                                                                            Debatte verroht. Das gilt längst nicht mehr nur für soziale Medien, in
                       Dem Streit eine Plattform bieten: Das neue „ZEIT”-Ressort lädt zu Debatten und Kontroversen
                                                                                                                                                                                                                                                            denen die Algorithmen ja so programmiert sind, dass wir uns nicht im
                       ein. Über Ziele, Grenzen und die positiven Aspekte des Streitens spricht Ressortleiterin                                                                                                                                             eigentlichen Sinne streiten – sondern uns in Meinungsblasen inhalt-
                       Charlotte Parnack.                                                                                                                                                                                                                   lich selbst bestätigen und den Gegner brutalstmöglich und unter dem
                                                                                                                                                                                                                                                            Applaus der Gleichgesinnten vernichten. Wie sehr die Spaltung schon

                                                                                                                                                    picture alliance/dpa
                                                                                                                                                                                                                                                            auf die analoge Welt übergreift, haben nicht zuletzt die drei Landtags-
                                                                                                                                                                                                                                                            wahlen dieses Jahres gezeigt, in Sachsen, Brandenburg und Thüringen,
                                                                                                                                                                                                                                                            mit ihren erschreckend hohen Wahlergebnissen für die AfD. Insofern
                                                                                                                                                                                                                                                            glauben wir, dass die Mitte sich den Streit nicht von den Rändern
                                                                Im September wurde das neue Ressort „Streit“ eingeführt, mit welchen                                                                                                                        abnehmen lassen darf. Wir müssen es aushalten, Denkroutinen zu
                                                                Beweggründen?                                                                                                                                                                               durchbrechen und angstfrei, aber respektvoll um das beste Argument
                                                                    Wir haben dieses Ressort nach der Anamnese einer schweren gesell-                                                                                                                       zu ringen, um uns zu verstehen. Auch mit jenen, deren Meinungen wir
                                                                schaftlichen Erkrankung gegründet: Der Diskurs in Deutschland wird heute                                                                                                                    nicht teilen. Deshalb drucken wir unter den Titelkopf unseres Ressorts
                                                                von den Rändern bestimmt, getreu dem Motto „je lauter, desto besser“. Und                                                                                                                   jede Woche ein Zitat von Helmut Schmidt: „Eine Demokratie, in der
                                                                er wird vom unbedingten Willen getragen, das Gegenüber misszuverstehen.                                                                                                                     nicht gestritten wird, ist keine.“
                                                                Der anderen Seite gar nicht erst zuzuhören, sondern sie niederzubrüllen. Sich
                                                                an den vermeintlichen Motiven des anderen abzuarbeiten, anstatt an seinen
                                                                Argumenten.
                                                                    Insofern ist der Streit in Verruf geraten, aber im Prinzip ist er etwas Gutes                              Welche Themen aus journalistischer Sicht sind
                                                                und Richtiges. Das neue Streit-Ressort der ZEIT will deshalb einen kleinen                                     zurzeit in unserer Gesellschaft die strittigsten?
                                                                Beitrag dazu leisten, diesen so aus den Fugen geratenen Diskurs wieder zu                                          Das kann man so pauschal nicht sagen.
                                                                zivilisieren, indem wir Menschen miteinander reden lassen. Vor allem aber                                      Natürlich gibt es Großthemen wie Klimawan-
                                                                wollen wir einem möglichst breiten Spektrum von Ansichten eine Bühne bie-                                      del, Gender, Migration oder den Umgang mit
                                                                ten und haben Streit deshalb als interdisziplinäres Ressort konzipiert, offen                                  der AfD, die die Berichterstattung dominieren
                                                                für die unterschiedlichsten Themen und Autoren. Wir wollen unsere Leser                                        und die in sozialen Netzwerken großen Wider-
                                                                nicht indoktrinieren, sondern ihnen die Mittel an die Hand geben, sich eine                                    hall erzeugen. Aber wir dürfen nicht den Fehler
picture alliance/dpa

                                                                eigene Meinung zu bilden.                                                                                      machen, die Empörung auf Twitter, Facebook
                                                                                                                                                                               und Co für die Meinung der Mehrheit unserer
                                                                                                                                                                               Leser zu halten. Dazwischen liegen oft Welten.

                                                                                                                                                                                                                                   picture alliance/dpa
                              In Debatten, gerade in sozialen Netzwerken,
                              ist der Ton schärfer geworden, wo hört für
                              Sie die sachliche Diskussion auf?                                                                                                                       Am Ende jedes Streittitels gibt es „60 Zeilen … Liebe“ – warum braucht Streit am Ende doch die Versöhnung?
                                  Was wir nicht wollen, ist Hetzern eine                                                                                                                  Ich glaube nicht, dass jeder Streit zwingend eine Versöhnung braucht – es ist schon viel gewonnen, wenn am Ende
                              Plattform bieten – davon haben die schon                                                                                                                die Einsicht steht, dass der andere mit seinem Punkt zumindest recht haben könnte. Aber kennt das nicht jeder? Es ist
                              genug –, also keinen Rassisten, keinen                                                                                                                  gut, sich am Ende zu vertragen. Wir möchten den Leser nach drei Seiten Streit nicht auch noch mit einem Konflikt aus der
                              Holocaustleugnern, keinen Verharmlosern                                                                                                                 Lektüre entlassen. Deshalb sucht sich unser Kolumnist Peter Dausend jede Woche eine besonders geschmähte Person,
                              des Nationalsozialismus, keinen Sexisten                                                                                                                die er in seiner Kolumne „60 Zeilen … Liebe“ freundlich und humorvoll wieder aufrichtet.
                              oder Leugnern des Klimawandels. Grund-
                              sätzlich und für alle Themen gilt: Egal wie                                                                                                             Die Fragen stellte Britta Jagusch.
                              hart in der Sache diskutiert wird – der Streit
                              sollte immer vom Bemühen getragen sein,
                              das Argument anzugreifen, nicht die Person.
                              Dazu passt die englische Fairness-Regel:                                                                                                                                      Zur Person: Charlotte Parnack leitet gemeinsam mit
                              play the ball, not the man.                                                                                                                                                   Jochen Bittner das neue „ZEIT“-Ressort „Streit“.
                                                                                                                                                           Foto: Vera Tammen

                       14     Nr. 4/19                                     Fünf Fragen                                                                                                                                                                    Fünf Fragen                                             Nr. 4/19       15
Der Kirchentag Das Magazin - Streitbar sein - Deutscher Evangelischer Kirchentag
Zur Person:
                                                                                                  Prof. Dr. Notger Slenczka (1960) studierte
                                                                                                  Philosophie und Theologie in Tübingen,
                                                                                                  München und Göttingen. Seit 1999 hat er
                                                                                                  den Lehrstuhl für Systematische Theologie
                                                                                                  und Sozialethik Mainz und seit 2006 den
                                                                                                  Lehrstuhl für Systematische Theologie/
                                                                                                  Dogmatik in Berlin inne. Er ist Universitäts-
                                                                                                  prediger sowie im Gemeinsamen Ausschuss
                                                                                                  für Kirche und Judentum der EKD, VELKD
                                                                                                  und UEK und im Theologischen Ausschuss
                                                                                                  der VELKD.

                                                                                                                                                                                                                                                                 Zur Person:

                                                                                                                                                  Foto: Pressefoto / Uni Leipzig
                                                                                                                                                                                                                                                                 Prof. Dr. Alexander Deeg (1972) studierte
                                                                                                                                                                                                                                                                 Evangelische Theologie und Judaistik
                                                                                                                                                                                                                                                                 in Erlangen und Jerusalem. Nach einer
                                                                                                                                                                                                                                                                 Zeit als Assistent für Praktische Theologie
                                                                                                                                                                                                                                                                 in Erlangen leitete er das Zentrum für
                                                                                                                                                                                                                                                                 Evangelische Predigtkultur der EKD
                                                                                                                                                                                                                                                                 in Wittenberg und lehrt seit 2011 als
                                                                                                                                                                                                                                                                 Professor für Praktische Theologie in
                                                                                                                                                                                                                                                                 Leipzig. Gleichzeitig leitet er das Liturgie-
                                                                                                                                                                                                                                                                 wissenschaftliche Institut der VELKD
Foto: privat

                                                                                                                                                                                                                                                                 und ist unter anderem Präsident der
                                                                                                                                                                                                                                                                 internationalen Societas Homiletica.

               Widerborstigkeiten in der Bibel
               Unter dem Titel „Kein lieber alter Mann“ diskutierten Alexander Deeg und Notger Slenczka
                                                                                                                                                                                   für den Menschen“, der auch in der Gottverlassenheit        Beschreibung des Vorgangs des Lesens wichtig ist.
               auf dem Kirchentag in Dortmund über die Widerborstigkeit biblischer Texte. Das moderierte                                                                           des Todes als die Macht der Auferstehung da ist. Von        Gerade die widerständigen biblischen Texte, jene also,
               Streitgespräch ging auch nach dem Kirchentag weiter – ein Auszug.                                                                                                   diesem Geschehen her deutet Paulus sein Leben –             die meine Vorstellungen und Deutungen am ehesten
                                                                                                                                                                                   Gelingen, Glück, Krankheit, Misserfolg, Todesgefahr –       und schon ganz vordergründig unterbrechen, haben
                                                                                                                                                                                   als Erfahrung der Auferstehungsmacht im Tod.                das Potenzial zu dieser heilsamen Verfremdung.
                      Rosa Coco Schinagel: Welche Rolle spielt die jeweils lesende   oder vielleicht die Worte der Bibel vom Zorn und der
                      Person bei der Rezeption biblischer Texte und vice versa       Verborgenheit Gottes zu lesen und zu verstehen. Wir                                           Alexander Deeg: Die Erfahrung des Lesens lässt sich in      Ich frage mich, nachdem wir über die Wechselbeziehungen
                      welchen Einfluss hat der Text auf den Lesenden?                erfahren Ermutigung, fühlen uns ermahnt, hören im                                             der Perspektive der Deutung beschreiben, wie Kollege        zwischen Lesenden und Text diskutierten, wie dominant das
                          Notger Slenczka: Wir alle verstehen und deuten             Gewissen eine vernichtende Stimme, die unsere eigene                                          Slenczka das hier tut. Und zweifellos ist diese stimmig.    eigene Gottesbild beim Lesen und Interpretieren der biblischen
                      irgendwie die Erfahrungen, die wir in unserem Leben            ist und doch nicht in unserer Verfügung steht – und                                           Ich frage mich aber, ob damit schon alles gesagt ist, was   Geschichten ist?
                      machen. Wir tun das nicht freihändig, sondern am Leit-         erfassen den Sinn der Gerichtsworte der Bibel. Die                                            meines Erachtens gesagt werden kann und muss. Für               Alexander Deeg: Es gibt immer die Gefahr, dass ich
                      faden von traditionellen, meistens durch Texte vermit-         Bibel gibt uns die Worte, mit denen wir in aller Lebens-                                      Martin Luther war die Erfahrung grundlegend, dass           schon „weiß“, wer Gott grundsätzlich und ganz speziell
                      telten Deutungsangeboten. Biblische Texte sind solche          erfahrung die rätselhafte Hand erkennen, die wir Gott                                         ihm die Bibel immer auch als fremdes Wort entgegen-         für mich ist. Gottesbilder sind unverzichtbar, aber
                      Deutungsangebote. Diese Texte geben damit auch uns             nennen.                                                                                       kommt, das den Kreislauf der eigenen Lebensdeutung          gleichzeitig gefährlich. Sie können dazu führen, dass
                      Worte und Vorstellungen zur Deutung unseres Lebens                 Damit stellt sich aber die Frage, was diese Hand und                                      überraschend, herausfordernd und heilsam unterbricht.       wir am Ende fröhlich um das Goldene Kalb unserer
                      – in großer Vielfalt. Wir finden einen Lebensmenschen          diese Stimme, die im Guten wie im Bösen in unser                                              Nicht wir verwandeln die Schrift in unser Leben hinein,     eigenen Gottesbilder tanzen. Besonders Theologinnen
                      oder wir werden Eltern – sind zutiefst dankbar darüber         Leben eingreift, die beides, Tod und Leben, schickt,                                          meinte Luther einmal, sondern wir werden – so Gott          und Theologen stehen in der ständigen Gefahr, zu viel
                      und sprechen das mithilfe der biblischen Texte aus: als        letztlich will – Tod oder Leben? Diese Frage beantwor-                                        will – in die Bibel hinein verwandelt.1 Sie mache uns zu    über Gott wissen zu wollen. Die in sich stimmige Theo-
                      Erfahrung des schenkenden Gottes, des Schöpfers.               tet für uns Christen die Person und das Geschick des                                          denen, die wir noch nicht sind. Das ist die andere Seite    logie wäre dann so etwas wie ein Schutzschirm vor
                      Oder wir erfahren ein Schicksal, das unser Leben               Jesus von Nazareth. Da hören wir etwas, was in unse-                                          des Umgangs mit der Bibel für Leserinnen und Leser,         Gotteserfahrungen, die anders und herausfordernd
                      beschädigt, die Unausweichlichkeit der Krankheit, des          rem Leben allein nie eindeutig wird, etwas, was wir uns                                       die mir für eine dialektischere und spannungsreichere       sind. Freilich müssen Theologinnen und Theologen –
                      Verfalls und des Todes – und beginnen das Hiobbuch             nicht selbst sagen können. Denn da zeigt sich der „Gott

               16     Nr. 4/19                                       Gespräch                                                                                                                                                   Gespräch                                                  Nr. 4/19        17
Der Kirchentag Das Magazin - Streitbar sein - Deutscher Evangelischer Kirchentag
wie alle Christenmenschen – in ihrem Reden von Gott
     auch begründet Akzente setzen, problematische Bilder
                                                                        Erfahrung zu deuten – aber dafür müssen die Worte auf
                                                                        jeden Fall mit unserer Erfahrung zusammenklingen,
                                                                                                                                                              Quote gebraucht?!
     von Gott identifizieren und ablehnen. Das kann aber                auch noch im Widerspruch! Das heißt nämlich nicht,
                                                                                                                                                              Auf dem Weg zu einer gesamtdeutschen
     nur in einer beständigen Dynamik geschehen. Die Bibel              dass die Texte unserer Erfahrung nicht widersprechen
     ist, wenn sie immer wieder neu und erwartungsvoll                  dürfen oder unsere Erfahrung das letzte Kriterium der                                 Kirchentagsbewegung gibt es noch viel zu
     gelesen wird, in der Lage, die Kriterien, nach denen wir           Wahrheit der Texte ist. Aber von Gott zu sprechen, der                                tun. Ein Kommentar von Ulrike Greim
     unser Reden von Gott überprüfen, zu zerschlagen und                die Liebe ist, geht nicht, ohne dass auch die Lebenser-
     neue Gottesbilder zu zeichnen. Der israelische Aphoris-            fahrung integriert wird, die diesem Bild Gottes wider-
     tiker Elazar Benyoëtz hat einmal gesagt: „CREDO: Zwi-              spricht. Und von Gott zu sprechen, der die Sünde heim-
     schen Gott und mir darf kein Glaube stehen“ 2 – ein                sucht, geht nicht, ohne die Lebenserfahrung des                                                  Ich komme aus einer Ost-Kirchentagsfamilie. Wir liebten
     Satz, den ich als Warnung vor fertigen Gottesbildern               Unbeschwerten und Glücklichen zu integrieren. Daher                                              Peter Janssens. Er mochte es bei uns, weil es noch so
     und allzu abgeschlossenen theologischen Kategorien                 sprechen die Texte der Bibel und der Tradition vielfältig                                        schön ursprünglich war. Lobte unser Fallobst und klärte
     und Kriterien höre. Die 2018 abgeschlossene Revision               von Gott – von der Freigiebigkeit des Schöpfers und                                              uns auf, dass man in der Ökobewegung West gerade dazu
     der Lese- und Predigttexte hat – so meine ich – vor                vom Richter, von dem, der den Tod schickt, und von                                               überginge, wieder nur das zu essen, was die Natur freiwil-
     allem mit ihren neuen alttestamentlichen Texten einen              dem, der das Leben gibt. Und die Texte, die Jesus von                                            lig hergibt. Wir staunten. Und übernahmen seine kapita-
     Beitrag dazu geleistet, Gott in unseren Gottesdiensten             Nazareth als den Sohn Gottes verkündigen, sind noch                                              lismuskritische Haltung, sangen sein Lied gegen die Weg-
     immer neu auf der Spur zu bleiben, anstatt einigerma-              einmal besonders, sie sind, wie Eberhard Jüngel sagt,                                            werfdosen, bevor wir sie hatten, und waren gefeit, als sie
     ßen konventionell bereits zu wissen, wer „er“ ist. Das             eine „Erfahrung mit der Erfahrung“: Sie „sortieren“ diese                                        kamen.
     „er“ in Anführungszeichen zeigt exemplarisch eine der              vielfältigen Erfahrungen und die daran hängenden                                                     Carola Wolf, die damalige Pressesprecherin des

                                                                                                                                    Grafik: Holger Schäfers
     vielen Gefangenschaften, in die wir Gott gesperrt                  Bilder Gottes – der Schöpfer, der Richter, der Gebende,                                          Kirchentages, nimmermüde Netzwerkerin, hat uns regel-
     haben: die Gefangenschaft in patriarchale Bilder männ-             der Strafende – und leiten dazu an, wider die Erfahrung                                          mäßig besucht und – wo ging – einige von uns über die
     licher Dominanz, die der Vielfalt biblischen Redens                (!) zu vertrauen auf den Willen Gottes, der durch                                                Grenze gehievt, hat Promis vermittelt und lange am
     nicht entspricht.                                                  Gericht und Tod hindurch das Leben will.                                                         Abendbrottisch gesessen und zugehört. Ehrhard Eppler,
                                                                                                                                                                         Hildegard Hamm-Brücher, Richard von Weizsäcker
     Notger Slenczka: Selbstverständlich haben wir ein Got-             Das Interview führte Rosa Coco Schinagl, Referentin                                              waren da, besuchten unsere Kirchentage, diskutierten         Im evangelischen Teil des 45-köpfigen Gemeinsamen
     tesbild – alle! Meistens kein festes, sondern es wechselt          im Kirchentagspastorat des Deutschen Evangelischen                                               mit und bestärkten uns.                                      Präsidiums für den Ökumenischen Kirchentag ist ledig-
     im Laufe der Zeit unseres Lebens. Es nimmt helle und               Kirchentages.                                                                                    Das war ein großes Signal: Wir sind eins.                    lich eine einzige Ostdeutsche vertreten – im Rat der EKD
     dunkle Erfahrungen unseres Lebens auf, und zuweilen                                                                                                                 Mit der deutschen Einheit nun auch wieder vollumfänglich.    übrigens: null.
     zerbricht es an unserer Erfahrung. Die biblischen Texte                                                                                                             Oder nicht?                                                      Wir diskutieren hier parallel zu allen anderen gesell-
     geben uns kein Gottesbild. Sie geben uns Worte, unsere                                                                                                                  Wie überall – die aktuellen Debatten zeigen es – hat     schaftlichen Gruppen: Die Repräsentanz Ostdeutscher –
                                                                                                                                                                         sich auch beim Kirchentag die westdeutsche Spielart          und vermutlich damit einhergehend ihrer Themen – ist
                                                                                                                                                                         durchgesetzt. Gewiss nicht aggressiv, sondern einfach,       mangelhaft. Brauchen wir wieder eine Quote? Ich fürchte
                                                                                                                                                                         weil sie personell und strukturell besser aufgestellt war.   schon. Und mehr Selberermunterung Ostdeutscher, bei
                                                                                                                                                                         Wäre es möglich gewesen, die gesamtdeutsche Kirchen-         Anfragen auch fröhlich Ja zu sagen und sich nicht scham-
                                                                                                                                                                         tagsbewegung unter den neuen Gegebenheiten anders            voll zurückzuhalten.
                                                                                                                                                                         zu denken? Nein, wir waren schlicht zu beschäftigt.              Der Dortmunder Kirchentag – er war fröhlich und
                                                                                                                                                                             Aber was wir erleben, ist doch dies: Der Kirchentag      ernst und wunderbar – hatte geradezu ein Leck an The-
                                                                                                                                                                         hat im Osten nach wie vor eine hauchdünne Basis. Auch        men mit erkennbar ostdeutschem Bezug (ich habe ledig-
                                                                                                                                                                         weil der Kirchentag sehr gezielt das bildungsbürgerliche     lich ein Podium gefunden). Die friedliche Revolution –
                                                                                                                                                                         Milieu ansteuert. Unser Ost-Bürgertum ist in den letzten     angeführt von Ost-Kirchentagsleuten!! – fand als eigen-
                                                                                                                                                                         hundert Jahren kontinuierlich in den Westen ausgewan-        ständiges Thema beispielsweise überhaupt keinen Platz
                                                                                                                                                                         dert. Sein Fehlen ist eines unserer Traumata. Der Flop der   im Programm. Wir dürfen uns die Augen reiben. So selbst-
                                                                                                                                                                                                                       Kirchentage    verständlich ist deutsche Einheit, dass das genaue Hin-
                                                                                                                                                              Zur Autorin: Ulrike Greim ist Rundfunkbeauftragte        auf dem Weg    hören nicht mehr nötig ist? Doch, ist es. Wieder. Und
                                                                                                                                                              der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland und        hat hier       zwar dringend. Und wechselseitig. Und jetzt. Sonst wird
                                                                                                                                                              Vorsitzende des Landesausschusses des Kirchentages einen seiner         der Kirchentag eine westdeutsche Veranstaltung. Er ist
                                                                                                                                                              in Mitteldeutschland.                                    zahlreichen    gerade auf dem besten Wege dahin.
                                                                        Aus Platzgründen konnte leider nur ein Teil des Streitge-                                                                                      Gründe.            Viele Themen könnten – einmal aus west- und einmal
                                                                        sprächs abgedruckt werden. Das komplette Interview finden                                        Nach wie vor ist der Anteil Ostdeutscher am Kirchentag       aus ostdeutscher Perspektive betrachtet – deutlich an Bri-
                                                                        Sie hier: kirchentag.de/streitgespraech                                                          verblüffend gering – sowohl bei den Teilnehmenden als        sanz gewinnen. Wenn man denn will. Es braucht wieder
                                                                                                                                                                         auch bei den Mitwirkenden.                                   Liedermacher Ost und West, die sich besuchen und ihre
                                                                                                                                                                             Beim Kirchentag 2019 in Dortmund kamen weniger           Themen austauschen. Es braucht Pressemenschen, die
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                                                                                                                                                                         als drei Prozent aller Teilnehmenden aus dem Osten           neugierig nachfragen. Promis, die hüben und drüben ein-
         Die Stelle heißt im Original: „Et ita nos in verbum suum mutuat, non autem verbum suum in nos mutuat.“ WA 56, 227,
         2-5. Vgl.: Alexander Deeg, Predigt und Derascha: Homiletische Textlektüre im Dialog mit dem Judentum, 2006, S. 485.                                             Deutschlands (der Anteil der Ostdeutschen an der             geladen werden. Und leidenschaftliche Netzwerkerinnen,
     2   Elazar Benyoëtz: Scheinhellig: Variationen über ein verlorenes Thema, Wien 2009, S. 67                                                                          Gesamtbevölkerung liegt bei immerhin 17 Prozent).            die nimmermüde Brücke um Brücke bauen.

18   Nr. 4/19                                          Gespräch                                                                                                                                                     Kommentar                                                 Nr. 4/19      19
ankommen und nicht ein halbes Jahr
                                                                                                                                                                                         auf Umzugskisten sitzen, sondern
                                                                                                                                                                                         rasch eine wohnliche Atmosphäre
                                                                                                                                                                                         schaffen, sodass man gern nach
                                                                                                                                                                                         Hause kommt.“
                                                                                                                                                                                             Nach dem Einzug ging es los mit
                                                                                                                                                                                         Kontakten knüpfen. Kein Problem für

                                                                                                                                                    Foto: DEKT / Philip Wilson
                                                                                                                                                                                         die Umzugserfahrenen. „Ich habe mir
                                                                                                                                                                                         einen Chor gesucht und eine Yoga-

                   Ankommen in einer neuen Stadt                                                                                                                                         gruppe“, sagt Vivian. Die 32-Jährige
                                                                                                                                                                                         freut sich auf die nächste Probe mit

                                                                                                                                                                                                                                    Foto: Jan Lurweg
                                                                                                                                                                                         der Jungen Kantorei St. Josef in
                                                                                                                                                                                         Frankfurt-Bornheim. Jan hat sich dem
                                                                                                                                                                                         Lauf- und Triathlonverein Spiridon in
                   Mitarbeiter*innen der Geschäftsstelle des Kirchentages entdecken alle zwei Jahre eine Stadt neu.
                                                                                                                                                                                         Frankfurt-Sachsenhausen ange-
                   Wie das gut gelingen kann, wollten wir von Vivian, Christoph und Jan wissen. Sie sind in                                                                              schlossen. Christoph, der aus der Rhön stammt, hat noch              auf der Bergerstraße, diese Vielseitigkeit. Das bunte
                   Frankfurt am Main zusammen in eine Wohngemeinschaft gezogen. Britta Jagusch                                                                                           Freunde von früher in Frankfurt. „Ich habe jetzt jeden               Bahnhofsviertel im Kontrast zum Bankenviertel, die über-
                                                                                                                                                                                         zumindest schon einmal besucht.“                                     füllte Einkaufsmeile und vieles mehr. Ich freue mich rich-
                                                                                                                                                                                                                                                              tig auf das Abenteuer Frankfurt.“ Auch Christoph, der die
                          Den veganen Braten mit Klößen und Rotkohl, den               das Tolle an unserem Job, man lernt immer wieder neue                                             Kirchentag – ein wichtiges Band                                      Stadt vorher schon kannte, ist von den vielen schönen
                          können jetzt alle drei kochen. „Jan ist der Veganer in der   Städte und Menschen kennen.“                                                                          Wichtig ist den dreien, dass sie keine reine „Kirchen-           Orten überrascht. „Das hatte ich so nicht in Erinnerung.“
                          WG“, erklärt Vivian, und Christoph fügt hinzu: „Das ist          Jan zog für den Kirchentag von Köln nach Dortmund                                             tags-WG“ sein wollen. „Wir haben auch andere Kontakte                     Und dann wird natürlich gemeinsam die Stadt erkun-
                          das Schöne an einer Wohngemeinschaft, man lernt dazu.“       und jetzt an den Main. „Das Schöne ist, dass man zwar                                             und sprechen nicht nur über unsere Arbeit“, sagt Chris-              det, mit dem Rad zum Lohrberg, dem Frankfurter Haus-
                          Aber in der Wohngemeinschaft von Vivian Boerschmann,         die Stadt wechselt, aber viele Kolleg*innen sozusagen                                             toph, der auch in der Programmabteilung arbeitet und                 berg, oder zu Fuß in die Van-Gogh-Ausstellung im Städel
                          Jan Lurweg und Christoph Krenzer geht es nicht nur ums       mitnimmt, etwas Vertrautes bleibt also.“ Auch Christoph,                                          mit 35 Jahren der Wohngemeinschaftserfahrenste ist.                  Museum. „Ich habe zu meinem Geburtstag aus dem
                          Kochen. Alle drei sind Mitarbeitende in der Geschäfts-       der von seiner Sechser-WG in Dortmund ganz ohne                                                   „Dennoch ist der Kirchentag ein wichtiges Band“, weiß                Freundeskreis eine Jahreskarte für die Museen bekom-
                          stelle des Ökumenischen Kirchentages im Frankfurter          Kirchentagsmitbewohner*innen schwärmt, findet um-                                                 Kollegin Vivian. „Das geht ja allen so, die beim Kirchen-            men und von meinen Kolleg*innen einen Operngut-
                          Ostend. Sie haben sich dazu entschieden, von Dortmund        ziehen gar nicht schlecht. „Man blickt ganz anders auf                                            tag arbeiten, das hat so eine ganz eigene Dynamik. Es                schein“, sagt Vivian. „Eine neue Stadt auch kulturell zu
                          nach Frankfurt zu ziehen, um beim Kirchentag weiter          eine Stadt, wenn man sie mit Kirchentagsaugen sieht.“                                             bilden sich Freundschaften und Netzwerke, die lang über              entdecken, das ist wirklich klasse.“ Auch hier hat Frank-
                          dabei zu sein.                                                                                                                                                 den Kirchentag hinaus noch halten.“                                  furt viel zu bieten, sind sich alle einig.
                                                                                       Mit dem Fahrrad ins Büro                                                                              Und wie gestaltet sich das Zusammenleben? Jan
                          Neue Menschen kennenlernen                                       Schon in Dortmund befreundet, fiel der Entschluss                                             aus der Presseabteilung ist Frühaufsteher, somit gibt es             Über die Schokoladenseite freuen
                              „Arbeiten in der Geschäftsstelle heißt ja alle zwei      zusammenzuziehen recht schnell. Alle drei wollten gern                                            morgens kein Gedrängel, witzeln Vivian und Christoph.                    „Und die Schokoladenseite der Stadt zeigt sich jeden
                          Jahre umziehen“, sagt Vivian, die schon in der Programm-     in einer Wohngemeinschaft wohnen und am besten mit-                                               Dafür schauen die beiden Männer abends gemeinsam                     Morgen auf dem Weg zur Arbeit“, sagt Jan. Vom Schweizer
                          abteilung für den Kirchentag in Berlin arbeitete. Von        ten in der Stadt. „Mit dem Fahrrad ins Büro fahren, das                                           gern American Football. „Und große WG-Regularien                     Platz aus mit dem Rad Richtung Main, die Kulisse der
                          Berlin ging es zum Katholikentag nach Münster, dann          war für uns das wichtigste Kriterium“, sagt Jan. Und dann                                         haben wir auch nicht, sondern Kommunikation ist das                  Frankfurter Innenstadt im Blick, weiter am Ufer entlang.
                          nach Dortmund und jetzt Frankfurt. „Das ist aber auch        ging es los: Anzeige aufsetzen und mit drei festen Ein-                                           Mittel“, sagt Vivian. „Wir kannten uns ja schon gut“, sagt           Hochhäuser und der Eiserne Steg, der in die neue alte
                                                                                                kommen und dem Kirchentag als Arbeitgeber                                                Christoph. „Das macht sicherlich vieles einfacher, aber              Altstadt führt, der Dom, Hotels, die Banken und Touristen.
                                                                                                werben. „Eine Woche später hatten wir zehn                                               der Vorteil einer Wohngemeinschaft ist, dass man lernt,              Gänse und Frachtschiffe, Ausflugsdampfer und eine
                                                                                                Besichtigungstermine, und in der zweiten                                                 gut mit Konflikten umzugehen. Man muss reden, Kom-                   Promenade mit vielen Museen und Cafés. Jan, Vivian
                                                                                                Woche haben wir den Mietvertrag unterschrie-                                             promisse schließen und erkennen, was den anderen                     und Christoph sind in Frankfurt angekommen.
                                                                                                ben“, erzählt Vivian.                                                                    wichtig ist.“
                                                                                                    Seit Oktober leben die drei in Sachsen-
                                                                                                hausen in einer renovierten Altbauwohnung.                                               Frankfurt überrascht
                                                                                                Das gemeinsame Wohnzimmer nimmt den                                                          Und welchen Eindruck macht Frankfurt? „Frankfurt
                                                                                                größten Platz ein, hier wird geklönt, gelesen und                                        wird total unterschätzt, auch von mir“, sagt Vivian. „Ich
                                                                                                gefeiert. „Wir haben auch alles gemeinsam ein-                                                                                    komme aus Berlin,
                                                                                                gerichtet“, sagt Jan, mit 26 der Jüngste der WG.                                 Zur Autorin: Britta Jagusch ist Redakteurin      da ist alles sehr in
                                                                                                „Jeder hat so seinen Kram mitgebracht.“ Die                                      des Magazins „Der Kirchentag“ und arbeitet die Breite gezogen,
                                                                                                Garderobe und der Esstisch wurden eigens für                                     als Journalistin in Frankfurt am Main.           große Entfernun-                 Die Geschäftsstelle des Kirchentages in Dortmund ist
                                                                                                die Wohnung gebaut.                                                                                                               gen, lange Wege,                 geschlossen. Die Mitarbeiter*innen aus Dortmund sind
                                                                                                                                                                                         hier kann man alles super mit dem Fahrrad erreichen, der                  nun mit den Kolleg*innen des Katholikentages in ein
                                                                                               Nach Hause kommen                                                                         Öffentliche Nahverkehr ist gut, und die Stadt hat etwas                   gemeinsames Büro für den Ökumenischen Kirchentag
Foto: Jan Lurweg

                                                                                                    „Bei der kleinen Einweihungsfeier waren alle                                         Weltoffenes.“                                                             nach Frankfurt gezogen. Adresse: Danziger Platz 12,
                                                                                               überrascht, wie schön und gemütlich es schon                                                  „Ich habe in Köln gewohnt, aber Frankfurt finde ich                   60314 Frankfurt am Main.
                                                                                               ist“, freut sich Vivian. „Wir wollten auch schnell                                        schöner“, sagt Jan. „Die Skyline, die Kneipen und Geschäfte

                   20     Nr. 4/19                                     Reportage                                                                                                                                                                       Reportage                                      Nr. 4/19      21
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