Procap - Procap Zentralschweiz

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Procap - Procap Zentralschweiz
Procap
                                                Das Magazin
                                                für Menschen
                                                mit Behinderungen

                                                      Mit «Procap-Info»
4/21

                                                     von Luzern, Uri, Zug,
                                                      Ob- und Nidwalden

       Fokus               Endlich Ferien!     IV-Revision 2022
       Inklusion fördert   Der neue            Die wichtigsten
       Partizipation und   Reisekatalog 2022   Änderungen im
       Chancengleichheit   ist erschienen      Überblick
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procap-info
                                                                                                04/21

Luzern, Uri, Zug, Ob- und Nidwalden
Ja zur Fusion - mit Procap Zentralschweiz in die Zukunft

Vorweg: Die Mitglieder der drei Sektionen Pro-        Resultate der Auszählung:
cap Zug, Procap Uri und Procap Luzern, Ob- und        Procap Luzern, Ob- und Nidwalden:
Nidwalden haben mit einer grossen Mehrheit der        Stimmzettel gültig: 377
Fusion zu Procap Zentralschweiz zugestimmt.           JA: 368 NEIN: 7 Enthalten: 2
                                                      Stimmbeteiligung: 24.5%
Am Dienstag, 16. November 2021 war es soweit. Die
lang ersehnte Auszählung der Stimmzettel konnte       Procap Uri:
durchgeführt werden. Im dabei sein von Vertreterin-   Stimmzettel gültig: 32
nen und Vertreter der drei Vorstände und dem Notar    JA: 31 NEIN: 1 Enthalten: 0
Marc Unternährer aus Luzern, haben wir 444 einge-     Stimmbeteiligung: 21.4%
gangene Stimmzettel geöffnet und ausgezählt.
                                                      Procap Zug:
                                                      Stimmzettel gültig: 35
                                                      JA: 33 NEIN: 2 Enthalten: 0
                                                      Stimmbeteiligung: 25.4%

                                                      Gesamtergebnis:
                                                      Stimmzettel gültig: 444
                                                      JA: 432 NEIN: 10 Enthalten: 2
                                                      Stimmbeteiligung: 24.3%

                                                      Wir freuen uns über das Ergebnis und auf die kom-
                                                      menden Aufgaben. Herzlichen Dank für das Vertrauen
                                                      in Procap Zentralschweiz.
Procap - Procap Zentralschweiz
Sexualität und Behinderung –
     doppeltes Tabu oder doppelt so
     gut
     Sex lauert überall. Es scheint, als gäbe es dazu nichts mehr zu sagen
     oder zu lernen. Aber stimmt das in jedem Fall? Wie steht es um die
     sexuelle Selbstbestimmung von Menschen mit einer Behinderung? Es
     scheint, als treffen zwei Tabus aufeinander.
     Menschen mit einer Behinderung stossen auf       hinderung noch immer mit massivem Wider-
     mehr Hürden als unsereins, wenn sie sexuelle     stand der Gesellschaft zu kämpfen hat, zeigt
     Selbstbestimmung leben wollen. Ich habe den      folgendes Beispiel:
     Eindruck, dass Menschen mit einer Behinde-       Pro Infirmis Zürich startete vor wenigen Jah-
     rung oftmals ihr Recht auf Sexualität abge-      ren das Projekt «Berührer*innen». Die Behin-
     sprochen wird. Es soll kein Thema sein. Man      dertenorganisation setzte sich zum Ziel, den
     will keine «schlafende Hunde wecken», so oft-    Bedarf von Klient*innen mit geistiger oder
     mals der Grundgedanke. Dabei sind wir doch       körperlicher Behinderung nach besonderen
     alle sexuellen Wesen, von Geburt an.             Dienstleistungen im Bereich der Sexualität
                                                      zu decken. Dieses Projekt führte zu heftigen
     "Je mehr ich abhängig bin auf Hilfe, Un-
                                                      Reaktionen und Pro Infirmis Schweiz musste
     terstützung im Leben, desto mehr bin ich
                                                      einen beträchtlichen Spendenrückgang fest-
      auch abhängig auf andere im Ausleben
                                                      stellen. Aus diesem Grunde beschloss das
                  der Sexualität."
                                                      Hilfswerk ein halbes Jahr später den Rück-
     Auch bin ich der Willkür der Personen, die       zug. Ein Projekt im Bereich des Tabuthemas
     mich betreuen ausgesetzt. Wieviel Sexualität     "Behinderung und Sexualität" müsse klar von
     ausgelebt werden kann oder nicht, hat auch       einer spendenfinanzierten Organisation abge-
     damit zu tun, wie dieses Thema in meiner Fa-     koppelt werden, hiess es in der Stellungnahme.
     milie geprägt ist. Wie stehen meine Assistenz-
     personen dazu? Welche Werte, Normvorstel-
     lungen treffen da aufeinander?
     Menschen mit Behinderung haben ein Recht
     darauf, dass ihre Sexualität ganzheitlich be-
     trachtet wird. Denn die meisten Menschen
     suchen nicht nur Geschlechtsverkehr, son-
     dern eine erfüllende Sexualität, welche Nähe,
     Intimität und Angenommensein vermittelt.
     Selbstbestimmte Sexualität bedeutet auch,
     dass selbst entschieden wird, wie sie gelebt
     wird und dass eigene Grenzen gesetzt sowie
     akzeptiert werden. Hierfür braucht es einer-
     seits eine fundierte Sexualaufklärung und an-
     dererseits Experimentierräume sowie ein so-
     ziales Umfeld, welches die selbstbestimmten
     Bestrebungen von Menschen mit Behinderun-
     gen unterstützt.
     Das Sexualität von Menschen mit einer Be-

II
Procap - Procap Zentralschweiz
Vorurteile häufig                                   Ich habe ein Paar befragt, welches dazu einen
Jahn Graf formulierte in einem Interview           Workshop besucht hat.
überspitzt, der «böse Sex» passe in der Ge-
sellschaft doch gar nicht zum «armen Behin-        Hilfestellungen, Sextoys
derten». So wird Sex Menschen mit einer Be-        Er ist ein 50jähriger Mann, sitzt im Roll-
hinderung oftmals abgesprochen. Dies, weil         stuhl (Cerebralparese) und seine Freundin ist
es uns oftmals überfordert. Sexualität per se      gleichalt und ebenfalls im Rollstuhl (Paraple-
tut dies schon. Auch, wenn wir denken, wir         gikerin). Sie haben sich im Rollstuhl-Schwim-
hätten weder Tabus noch Wissenslücken noch         men kennengelernt. Er kommt ins Schwärmen,
Schamgefühle in diesem Thema. Doch dem             als er von ihrer ersten Begegnung erzählt. Ihm
ist meist nicht so. Für viele ist es schlichtweg   sei ihre fröhliche Art, ihre schönen Augen und
nicht unvorstellbar, dass Menschen mit Behin-      ihr Lächeln sofort aufgefallen. Bis zu ihrem ers-
derungen auch eine Sexualität leben.               ten Date vergingen einige Wochen Schwimm-
                                                   training. Auf dem Sonnenuntergangschiff auf
                                                   dem Vierwaldstättersee funkte es. Sie ist sei-
                                                   ne erste Freundin, die auch im Rollstuhl sitzt.
                                                   Dies sei unkomplizierter. Warum, so frage ich
                                                   nach. Weil sie sich nicht erklären müssten.
                                                   Nach zwei Wochen Beziehung, fragte sie ihn,
                                                   ob er bereit wäre mit ihr einen «Workshop Se-
                                                   xualität» im SPZ Nottwil zu besuchen. Seine
                                                   Reaktion war überrascht und freudig zugleich.
Ich treffe eine Frau, 35 Jahre alt, Mutter von      Er brachte nur ein «Hoppla» heraus. Der Work-
zwei Kindern, im Rollstuhl. Wie reagierten die     shop dauerte einen ganzen Tag. Es waren wei-
Menschen auf sie während der Schwanger-            tere Paare da, aber auch Einzelpersonen. Die
schaft, so frage ich sie. Mit ihrem schwangeren    Stimmung sei offen und vertrauensvoll gewe-
Bauch im Rollstuhl sitzend, war es ja offen-        sen. Sie lernten verschiedene Stützfunktionen
sichtlich, dass sie Geschlechtsverkehr hatte.      kennen zum Beispiel mit Kissen unter dem
Sie erinnert sich an die irritierten Blicke und    Becken, im Rücken oder wo es nötig sei. Aber
lacht dabei. Wenn die Leute dann noch ihren        auch handelsübliche Sextoys welche man al-
Mann ohne Behinderung neben ihr sahen, ka-         lein oder zu zweit einsetzen kann oder Felle,
men die Leute gar nicht mehr klar. Aber direkt     wurden vorgestellt. Aus dem Workshop kam
gefragt hätten die wenigsten.                      das Paar mit der Erkenntnis, dass so viel mehr
Menschen mit einer Behinderung wird oft-           möglich sei als gedacht. Sie hatten Lust eini-
mals Sexualität abgesprochen, weil Sexualität      ges auszuprobieren. «Wir müssen beim Sex
einhergeht mit einer bestimmten Vorstellung        kreativer sein und probieren dadurch mehr
von Gesundheit, Schönheit wie auch von be-         Dinge aus, die für Menschen ohne Beeinträch-
stimmten Normvorstellungen. Jedoch wer be-         tigung seltener in Frage kommen. Dies weil sie
stimmt, wer wie und mit wem Sex zu haben           sie nicht brauchen oder auch weil anderes gut
hat? Alles was von der Norm abweicht, wird         funktioniert».
von der Gesellschaft abgelehnt. Dieses Thema
umfasst der Begriff «Internalisierter Ableis-
mus».

Das Ziel sollte doch sein, weg vom Defizi-
torientierten hin zu der Frage, was ist denn
möglich und was ist anders möglich?

                                                                                                   III
Procap - Procap Zentralschweiz
Berührer*innen versus Sexarbeiter*innen           gel an körperlicher Nähe von Menschen kann
 Im Bereich Sexualität erscheint mir der recht-    das Bedürfnis nach einer Behandlung wecken.
 liche Aspekt besonders wichtig. Begleitperso-
 nen dürfen keine direkte Hilfe leisten. Daher     Berührer*innen dürfen alles ausser Ge-
 können sie sowohl jemanden anleiten zu mas-       schlechtsverkehr haben mit den Klient*in-
 turbieren, ohne sich zu verletzen, jedoch nicht   nen. Doch was, wenn der Mensch mehr
 selbst «Hand anlegen». Unterstützung bieten       möchte? Wenn er sich penetrativen Sex
 im Finden des geeigneten Toys kann jedoch         wünscht. Dann bleibt nur der Eskortser-
 geleistet werden.                                 vice - das Beanspruchen der Dienste einer
 Berührer*innen sind mehr und mehr auch            Prostituierten, eines Prostituierten.
 in Institutionen zugelassen. Als Berührer*in

 wird eine Person bezeichnet, die Menschen         Ich treffe den 31jährigen Mann zum Gespräch,
 mit Behinderung dabei hilft, Lust zu empfin-       er ist Single und sitzt im Rollstuhl (Cerebral-
 den und ein liebevolles Gefühl zu ihrem Kör-      parese). Auf die Frage, wie er zur Sexualität
 per zu entwickeln. Im Gegensatz zur Sexassis-     stehe, sagt er, dies sei seine Achillesferse. Will
 tenz bei der mehr im therapeutischen Kontext      heissen, Sex sei ihm sehr wichtig. Der Dienst
 an einem Patienten sexuelle Handlungen voll-      der Berührerin gehe ihm zuwenig weit und die
 führt werden, ist für den Beruf Berührer*in       Kosten seien gleich hoch wie die des Eskorts-
 keine therapeutische Ausbildung notwendig.        ervice. Da er in keiner Beziehung lebe, nutze er
 Viele der in diesem Beruf tätigen Personen        den käuflichen Sex. Früher brauchte er diesen
 kommen aber aus pflegerischen und sozialen         Kick oft. Da seine Mutter sein Geld verwalte-
 Berufen. Die Klient*innen sind Menschen,          te, war dieser Kostenpunkt oft ein Anlass zu
 die aus den unterschiedlichsten Gründen ihre      Diskussionen. Er hätte auf gutes Essen ver-
 Sexualität nicht eigenständig ausleben kön-       zichtet, wenn er sich dafür einmal mehr den
 nen. Dabei sind körperliche oder geistige Be-     Eskortservice leisten konnte. Dass er im Roll-
 hinderungen der häufigste Grund, die Diens-        stuhl sitze, habe er jeweils am Telefon bereits
 te einer Berührerin in Anspruch zu nehmen.        kommuniziert. Er habe jeweils auf Inserate
 Aber auch psychische Faktoren wie die Angst       oder Webseiten mit geschultem Eskortperso-
 vor Sex oder Traumata, die durch Missbrauch       nal reagiert. Eine Stunde Dienstleistung kos-
 entstanden sind, können als Gründe infra-         te da gerne mal Fr. 500.--, immerhin gäbe es
 ge kommen. Auf physischer Ebene kann das          als IV-Bezüger 10% Rabatt. Darüber müssen
 Ausbleiben der Erektion ein möglicher Grund       wir beide herzhaft lachen. Dennoch sickert im
 für die Behandlung sein. Aber auch der Man-       Gespräch auch die dunkle Seite von Sexarbeit

IV
Procap - Procap Zentralschweiz
re Beteiligten einen Konsens finden. Und den-
                                                 noch kenne ich Sex auf Termin schon auch.
                                                 Als Eltern von Kindern, die noch nicht in ge-
                                                 schlossenen Zimmern schlafen, lohnt es sich
                                                 Sex-Dates zu vereinbaren. Sex auf Termin, das
                                                 klingt unromantisch, aber es hilft ungemein.
                                                 So haben wir beide die Zweisamkeit auf dem
                                                 Schirm und räumen ihr den nötigen Raum ein.
                                                 Denn wenn alles Drunter und Drüber geht, ist
                                                 es das, was wir am einfachsten streichen kön-
                                                 nen. Wenn es dazwischen spontan auch dazu
                                                 kommt, wunderbar. Wenn nicht, auch nicht
durch. Ihm ist durchaus bewusst, dass dies ein schlimm, wir haben ja ein Date. Eines auf das
sehr schwerer, harter Job sei. Seine «Perlen» man sich freuen kann. Und Vorfreude ist was
hätte er immer wieder dadurch verloren, als Grossartiges!
dass sie der Sexarbeit ihren Rücken gekehrt
hätten. Dies, weil sie in diesem Bereich nicht Zum vertiefen:
mehr arbeiten konnten und wollten. Seit drei
Jahren bucht er nur noch die eine Frau. Sex - Das SPZ Nottwil leistet viel Aufklärungsarbeit
so sagt er – sei noch immer wichtig und doch im Bereich «Behinderung und Sexualität».
wachse in ihm der Wunsch nach einer tiefen, https://community.paraplegie.ch/
echten Beziehung. Die Suche nach einer Part-
nerin sei sehr schwer. Auf den einschlägigen Vier Übersichtsartikel zum Thema, teilweise
Dating-Plattformen wie Tinder oder Parship aufgeteilt für Frauen und für Männer:
zeige er sich mittlerweile aktiv. Auf den Fo- https://community.paraplegie.ch/de/wiki/
tos ist der Rollstuhl sichtbar. Diese Transpa- gesundheit-sexualitaet/
renz sei ihm wichtig. Im Ausgang eine Frau zu
treffen, sei ebenfalls nicht leicht. Frauen seien Sextoys und Stützkissen (inkl. Shops die extra
oftmals in der Gruppe unterwegs. Da reinzu- eine Rubrik für Menschen mit Handicap ha-
kommen als Mann sei schwierig. Als Mann ben): https://community.paraplegie.ch/de/
im Rollstuhl nochmal mehr. An seine Partne- blog/gesellschaft/die-revolution-der-sex-
rin hat er recht klare Wünsche. Sie solle nicht spielzeuge
seine Krankenschwester sein. Vielmehr müsse
es jemand sein, der ihm die Stirn bieten kön- Text: Nadja Stadelmann Limacher
ne. In erster Linie soll sie ihn sehen, dann den Wir bleiben dran:
Hetero-Mann, dann sein fahrender Untersatz.
Und dies genau in dieser Reihenfolge.            Podiumsdiskussion Sexualität und Be-
                                                 hinderung
Sowohl die Dienste einer Berührer*in wie Mittwoch, 06. April 2022 im Marianischer
auch einer Sexarbeiter*in sind nicht gerade Saal in Luzern Moderation: Jahn Graf
preiswert und es ist Sex auf Termin. Eventu-
ell muss gar jemand informiert werden über Themen Abende Sexualität im Haus 81
diesen Plan. Dann zum Beispiel, wenn man bei Procap Zentralschweiz
Unterstützung braucht beim Transfer ins Bett. Die Themen Abende finden in Kleingrup-
                                                 pen statt. (8-10 Personen).
Klar, ich brauche niemanden zu informieren, Jeweils am Freitag: 20.Mai 2022 / 03.Juni
mit wem ich, wann Geschlechtsverkehr haben 2022 / 17. Juni 2022 / 01. Juli 2022
möchte. Es reicht, wenn wir zwei oder mehre-

                                                                                              V
Procap - Procap Zentralschweiz
Agenda
 Die Planungen für verschiedene Veranstalungen im 2022 sind in Vorberei-
 tung. Wir organisieren die look and roll Tour 2022, eine Podiumsdiskussion
 zu Sexualität und Behinderung, Themen Abende Sexualität, Vorträge Sozial-
 versicherung, traditionelle Ausflüge und die erste Generalversammlung von
 Procap Zentralschweiz. Natürlich findet das Elternforum 2022 wieder statt.
 Die aktuellen Veranstaltungen und Informationen finden Sie unter www.
 procap-zentralschweiz.ch/events
 Schauen Sie regelmässig rein und bleiben Sie informiert. Es lohnt sich!
                 Veranstaltungen                        Sonntag, 19. Dezember 2021
                                                        Weihnachtsfeier Procap Zug
                                                        Verbringen Sie mit uns ein paar Stunden und stimmen
                                                        Sie sich auf Weihnachten ein.
 Dienstag, 14. Dezember 2021
                                                        Ort: Restaurant Schnitz&Gwunder, Zugerstr. 1, 6312
 Themen Abend: Selbstbestimmtes Leben und Woh-
                                                        Steinhausen Zeit: 14.00 Uhr - 18.00 Uhr Anmeldung:
 nen
                                                        bis 7. Dezember 2021 an Veronic Wascher, 079 206 27
 Wie finde ich eine Assistenz? CléA, die Assistenzplatt-
                                                        69, wacham@bluewin.ch oder www.procap-zentral-
 form informiert!
                                                        schweiz.ch/events Unkostenbeitrag: Für Mitglieder
 Ort: Geschäftsstelle Procap Zentralschweiz, Horwer-
                                                        kostenlos
 strasse 81, 6005 Luzern Zeit: 19.00 Uhr Anmeldung:
 bis 10. Dezember 2021 www.procap-zentralschweiz.ch/
 events oder per Telefon 041 318 60 80 Unkostenbei-
 trag: Keine
 Samstag, 18. Dezember 2021
 Weihnachtsfeier Procap Luzern, Ob- & Nidwalden
 In der wunderbaren Atmosphäre der Maihof Kirche in
 Luzern lassen wir uns auf Weihnachten einstimmen.
 Ort: MaiHof Kirche, Weggismattstr. 9, 6004 Luzern
 Zeit: 14.00 Uhr - 17.00 Uhr Anmeldung: Bis 8. De-
 zember 2021 an Procap Zentralschweiz, Horwerstrasse      Mittwoch, 16. Februar 2022
 81, 6005 Luzern oder unter www.procap-zentral-           Look and Roll in Uri
 schweiz.ch/events oder per Telefon unter 041 318 60      Spannende Kurzfilme über das Leben mit Einschrän-
 80 Unkostenbeitrag: Für Mitglieder und Assistenz-        kungen, mit Schwächen, mit Behinderungen und mit
 personen kostenlos / für Nichtmitglieder 50.-            barrierefreiem Ambiente.
                                                          Ort: Theater Uri, Schützengasse 11, 6460 Altdorf Zeit:
                                                          19.00 Uhr Reservation: Bis 16. Februar 2022 an Procap
                                                          Zentralschweiz, Horwerstrasse 81, 6005 Luzern oder
                                                          unter www.procap-zentralschweiz.ch/events oder per
                                                          Tel. unter 041 318 60 80 Eintrittspreis: Fr. 15.- / 10.-

 Sonntag, 19. Dezember 2021                               Ab Mittwoch, 2. Februar 2022
 Weihnachtsfeier Procap Uri                               Computer und Handy Support für Mitglieder
 Zusammen wollen wir ein paar gemütliche Stunden          Wie bediene ich meinen Laptop oder mein Handy. Je-
 verbringen und die Vorweihnachtszeit geniessen.          weils der erste Mittwochnachmittag im Monat.
 Ort: Stiftung Behindertenbetriebe Uri (SBU), Rüttistr.   Ort: Geschäftsstelle Procap Zentralschweiz Horwer-
 57, 6467 Schattdorf Zeit: 13.30 Uhr - 17.30 Uhr Anmel-   strasse 81, 6005 Luzern Zeitfenster pro Person: 45 Mi-
 dung: bis 6. Dezember 2021 an Vreni Zwyer, vreni.        nuten Anmeldung: laufend an Procap Zentralschweiz,
 zwyer@outlook.com, 041 871 07 11 oder www.pro-           Horwerstrasse 81, 6005 Luzern oder unter www.pro-
 cap-zentralschweiz.ch/events Unkostenbeitrag: Für        cap-zentralschweiz.ch/events oder per Telefon unter
 Mitglieder kostenlos                                     041 318 60 80 Unkostenbeitrag: Fr. 10.- pro Stunde

VI
Procap - Procap Zentralschweiz
Agenda
Dienstag, 22. März 2022
Look and Roll in Zug
                                                                            Kurse
Spannende Kurzfilme über das Leben mit Einschrän-
kungen, mit Schwächen, mit Behinderungen und mit           Freitag 14. Januar 2022 /11. Februar / 11. März
barrierefreiem Ambiente.                                   Gedächtnistraining
Ort: Kino Seehof 2, Schmidgasse 8, 6300 Zug Zeit:          Einführungskurs Ganzheitliches Gedächtnistraining,
18.00 Uhr Reservation: Bis 22. März 2022 an Procap         an drei Freitagvormittagen Ort: Geschäftsstelle Procap
Zentralschweiz, Horwerstrasse 81, 6005 Luzern oder         Zentralschweiz, Horwerstrasse 81, 6005 Luzern Zeit:
unter www.procap-zentralschweiz.ch/events oder per         09.00 Uhr - 11.00 Uhr Anmeldung: bis 13. Januar 2022
Tel. unter 041 318 60 80 Eintrittspreis: Fr. 15.- / 10.-   www.procap-zentralschweiz.ch/events oder per Telefon
                                                           041 318 60 80 Voraussetzung: Während 2 Std. in der
Samstag, 26. März 2022
                                                           Gruppe arbeiten können. Kostenbeitrag: Mitglieder Fr.
Generalversammlung Procap Zentralschweiz
                                                           75.00 / Nichtmitglieder Fr. 100.00
Die erste Generalversammlung des neuen Vereins Pro-
cap Zentralschweiz! Die Freude ist gross und wir hoffen
auf eine grosse Beteiligung. Wir dürfen feiern.
Ort: Generalversammlung in Luzern Zeit: Nachmit-
tag Information und Anmeldung: Die Informationen
werden im Februar 2022 mit den GV Unterlagen an alle
Mitglieder versendet.

                                                      Freitag, 18. Februar 2022 / 01. April 2022
                                                      Tavolata im Himmelrich
                                                      Kochschürze einpacken, Kochkelle schwingen und ge-
                                                      meinsam kochen. Ort: Gemeinschaftsraum, Himmel-
                                                      rich 3, 6005 Luzern Zeit: 10.00 Uhr - 14.00 Uhr Unkos-
                                                      tenbeitrag: Mitglieder Fr. 15.00 / Nichtmitglieder Fr.
                                                      25.00 Anmeldung: bis 30. März 2022 an Procap Zen-
Mittwoch, 06. April 2022
                                                      tralschweiz, Horwerstrasse 81, 6005 Luzern oder unter
Podiumsdiskussion Sexualität und Behinderung
                                                      www.procap-zentralschweiz.ch/events oder per Telefon
Sexualität und Behinderung – doppeltes Tabu oder dop-
                                                      unter 041 318 60 80
pelt so gut
Moderation: Jahn Graf
Ort: Marianischer Saal, Bahnhofstrasse 18, 6003 Lu-                        Datum reservieren
zern Zeit: 18.30 Uhr Anmeldung: Bis 04. April 2022 an
Procap Zentralschweiz, Horwerstrasse 81, 6005 Luzern
oder unter www.procap-zentralschweiz.ch/events oder Freitag, 20. Mai 2022 / 03.Juni / 17. Juni/ 01. Juli
per Tel.: 041 318 60 80 Unkostenbeitrag: Türkollekte  Themen Abende Sexualität
                                                           In Kleingruppen (8-10 Personen) besprechen, diskutie-
                                                           ren und lernen wir Sexualität. Zum Teil Geschlechtspe-
                                                           zifisch getrennt. Ort: Geschäftsstelle Procap Zentral-
                                                           schweiz Horwerstrasse 81, 6005 Luzern Zeit: 18.00 Uhr
                                                           - 20.00 Uhr Unkostenbeitrag: Mitglieder Fr. 15.00 /
                                                           Nichtmitglieder Fr. 25.00 Anmeldung: bis 18. Mai 2022
                                                           an Procap Zentralschweiz, Horwerstrasse 81, 6005 Lu-
SAVE THE DATE                                              zern oder unter www.procap-zentralschweiz.ch/events
Samstag, 17. September 2022 10 Uhr - 14.00 Uhr             oder per Telefon unter 041 318 60 80

                                                                                                                VII
Procap - Procap Zentralschweiz
Infos
Wie möchte ich wohnen?

                                                             Hier geht es zur Befragung
                                                               www.hslu.ch/wohnen
Wie möchte ich wohnen?                                 Können Sie nicht die Umfrage im Internet ausfül-
Der Kanton Luzern möchte die Wohn-Angebote ver-        len?
bessern. Er möchte deshalb wissen: Wie und wo möch-    Wir von der Hochschule Luzern helfen Ihnen gerne
ten Sie wohnen? Welche Wünsche haben Menschen mit      weiter. Wir kommen bei Ihnen vorbei und helfen beim
einer Beeinträchtigung beim Wohnen?                    Ausfüllen oder wir schicken Ihnen die Umfrage auf Pa-
                                                       pier.
Warum diese Umfrage?
Die UNO-Behindertenrechts-Konvention verlangt          Melden Sie sich bei uns:
selbstbestimmtes Wohnen. Diese Konvention ist ein      Telefon-Nummer 041 367 48 61 oder 041 367 48 78
Vertrag für Inklusion.                                 christian.eckerlein@hslu.ch oder rene.stalder@hslu.ch
Selbstbestimmtes Wohnen bedeutet:                      Danke, dass Sie mitmachen!
Jeder Mensch soll selbst bestimmen, wie er wohnt.
Für den Kanton Luzern ist das auch wichtig.            Wir gratulieren
Worum geht es in der Umfrage?                          Geburtstage Nov. - März 22
In der Umfrage beantworten Sie diese Fragen:           65 Jahre
- Wie zufrieden sind Sie mit Ihrer Wohn-Situation?     Kata Turjic, Werner Gut, Roland Tschupp, Susanna
- Was wünschen Sie sich für die Zukunft?               Lohrer, Francesco Belcastro, Doris Hort, Rita Epp,
Wer darf mitmachen?                                    René Gisler, Elisabeth Dupertuis, Giuseppe Lepore,
Leben Sie mit einer Beeinträchtigung?                  70 Jahre
Wohnen Sie im Kanton Luzern?                           Ursula Portmann, Louis Bochud, Josip Saric, Beat
Sind Sie mindestens 10 Jahre alt?                      Rutz, Urs Kaufmann, Annay Wipfli, Rita von Arx,
Haben Sie 3 Mal ja geantwortet?                        Ruth Jauch,
Dann dürfen Sie an der Umfrage mitmachen.              75 Jahre
Bitte machen Sie aber nur 1 Mal mit.                   Bruno Bucheli, Beat Studer, Antoinette Jendly,
                                                       Franz Helfenstein, Antonio Goncalves, Herbert Es-
Das Ausfüllen dauert etwa 30 Minuten                   termann, Bruno Fuchs,
Ihr Name und Ihre Antworten bleiben geheim             80 Jahre
Die Umfrage gibt es online oder auf Papier             Verena Bucher
Alle Fragen sind in Leichter Sprache                   87 Jahre
Es gibt eine andere Umfrage für Kinder                 Lucia Lanz-Kocher
Wer hilft weiter?                                      90 Jahre
Die Umfrage ist von der Hochschule Luzern – Sozia-     Erwin Duss
le Arbeit. Der Kanton Luzern hat uns mit der Umfrage   91 Jahre
beauftragt.                                            Annemarie Uster
Procap - Procap Zentralschweiz
Schneller unterwegs mit
          dem Modell SWT-1S.
                                                                Händler finden und Probefahren: www.swisstrac.ch

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         sowie die 3-Punkt-Passagiersicherung garantieren
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                                 Rampe wird ein komplett ebener
                                 Kofferraum geschaffen. So kann der
                                 Frachtraum wie im Original-Personen-
                                 wagen genutzt werden, falls kein
                                 Rollstuhltransport stattfindet.

         Für weitere Informationen beraten wir Sie sehr gerne.
         044 743 80 40 • waldspurger.ch
DITION

                                 WALDSPURGER AG
         BEWÄHRT UND INNOVATIV   INDUSTRIESTRASSE 29 I 8962 BERGDIETIKON
Editorial

Editorial                                          Inhalt
Mit den Büchern und Studien zu den Themen          Notizen                         4
Inklusion und Partizipation von Menschen           Aktion Procap Knitcap            6
mit Behinderungen könnten ganze Biblio-            «Wir sind Procap»:
theken gefüllt werden. Mit den Erfolgsmel-          Sebastian Schnidrig            18
dungen zu deren Umsetzung wären es                 Endlich Ferien!
dann noch einige Büchergestelle. Dennoch           Der neue Reisekatalog 2022      21
bleiben wir optimistisch. Die Inklusion, also      Procap Bewegungs- und
die Einbeziehung von Menschen mit Behin-           Begegnungstag 2021              24
derungen in die Gesellschaft, ist ein län-         «Wir sind Procap»:
gerfristiger Prozess. Für die Umsetzung            Tania Viccaro Prieto            26
braucht es grossen politischen Willen, viel        Ein Blick auf die
Dialog und noch mehr Geduld und Sensi-             IV-Revision                     28
bilisierung. Doch am Ende dieses Prozes-           Fokus
ses steht etwas Grossartiges: eine inklusive
                                                   Es braucht mehr als
Gesellschaft, in der alle Menschen von             rechtliche Grundlagen            7
allen als gleichwertig betrachtet werden.          Interview mit Sabrina Salupo:
Jede Person hat Zugang zu bedarfsgerech-           Inklusion darf nicht an
ten Angeboten, etwa im Bereich Bildung,            Bedingungen geknüpft sein       10
Arbeit, Gesundheitsversorgung oder Frei-           Im Dialog mit
zeitgestaltung. Und jeder Mensch bringt            Carmen Rapold                   14
sich gemäss seinen individuellen Möglich-          OpenSunday Inklusion            20
keiten und Wünschen ein und nimmt an
                                                   Service
den Entscheidungsprozessen teil – oder
auch nicht. Denn auch die Freiheit, ein            Ratgeber Recht: Was tun, wenn
                                                   ein Vorbescheid kommt?          13
Angebot nicht zu nutzen, gehört zu einer
inklusiven Gesellschaft.                           Rätsel                          22
                                                   Carte blanche                   30
Sonja Wenger
Verantwortliche Verbandskommunikation und Medien

                                                                                    3
Notizen

                                                   Eine kieferorthopä-
                                                   dische Spezialklinik
                                                   in Genf
                                                   Personen mit Handicap haben einen
                                                   grösseren Bedarf an kieferortho-
                                                   pädischen Behandlungen. Das
                                                   Problem dabei ist, dass nur wenige
                                                   Praxen über das entsprechende
                                                   Fachwissen-, respektive über

Politische Mitsprache im                           einen barrierefreien Zugang
                                                   verfügen. Deshalb hat die zahn-

Kanton Waadt                                       medizinische Universitätsklinik
                                                   Genf 2019 auf Initiative von Prof.
Menschen mit schwerer geistiger oder psychischer   Stavros Kiliaridis und Dr. Gregory
                                                   Antonarakis eine kieferorthopädi-
Beeinträchtigung sollen im Kanton Waadt wie        sche Spezialklinik für Kinder mit
andere Bürger*innen abstimmen und wählen           Handicap eröffnet («Soins ortho-
können. Der Grosse Rat hat Anfang Oktober          dontiques des enfants en situation
                                                   de handicap, SOESH»). Die Klinik
eine entsprechende Motion angenommen.              steht Kindern wie Erwachsenen
Dementsprechend wird die Bevölkerung Gelegen-      offen und bietet je nach Behinde-
heit haben, über eine Änderung der Kantonsver-     rung und vorliegender Grunder-
                                                   krankung personalisierte Behand-
fassung abzustimmen.
                                                   lungen an. Darüber hinaus nutzt
Personen, die unter umfassender Beistandschaft     die Klinik enge Kontakte zu
stehen sind heute auf Bundesebene und in den       Spezialzentren in Europa, mit
meisten Kantonen gänzlich von den politischen      denen sie sich austauscht, um die
                                                   bestmöglichen Behandlungen
Rechten ausgeschlossen. Als erster Kanton hat      anzubieten.
Genf seine Verfassung angepasst und gewährt
                                                   Die Klinik ist erreichbar von Montag bis
nun allen Menschen mit Behinderungen das           Freitag von 9.30 Uhr bis 11 Uhr und von
Stimm- und Wahlrecht. Ähnliche Vorstösse sind      14 Uhr bis 15.30 Uhr (ausser Mittwoch-

auch in anderen Kantonen eingereicht oder          nachmittag).
                                                   Per Telefon: 022 379 40 86 oder E-Mail an:
geplant. Auf Ebene Bund wird zurzeit von der       gregory.antonarakis@unige.ch

Bundeskanzlei ein Bericht zur Thematik verfasst.
Quelle: www.inclusionhandicap.ch

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Notizen

                                  National Summer
                                  Games 2022
                                  Die Voranmeldungsfrist für die National Summer
                                  Games in St. Gallen vom 15. bis 19. Juni 2022
                                  ist abgeschlossen. Die öffentliche Registrier-
                                  phase nach dem Motto «first come, first served»
                                  läuft vom 16. Februar bis 15. März 2022. Ausge-
                                  tragen werden die National Summer Games
Wichtige Informa-                 von der Organisation Special Olympics Switzer-
tionen zum Impfen                 land. Special Olympics ist eine weltweite inklu-
in Leichter Sprache               sive Sportbewegung. Ihr Ziel ist es, Menschen
und in Gebärden-                  mit geistiger Behinderung durch den Sport zu
sprache                           mehr Anerkennung, Selbstbewusstsein und
Es ist wichtig, dass sich alle    letztlich zu mehr Teilhabe an der Gesellschaft
Menschen gleichberechtigt über    zu verhelfen. Special Olympics bietet regelmäs-
das Coronavirus informieren
                                  sige Trainingsmöglichkeiten und Wettkämpfe
können. Aus diesem Grund stellt
das Eidgenössische Büro für die   für Menschen mit geistiger Beeinträchtigung
Gleichstellung von Menschen mit   und ermöglicht es Schweizer Delegationen, an
Behinderungen (EBGB) die          internationalen Wettkämpfen teilzunehmen.
wichtigsten Informationen zum
Coronavirus in Leichter Sprache
                                  Neben rund 70 lokalen Wettkämpfen in 20 Sport-
und in Gebärdensprache zur        arten, die jährlich in allen Regionen der Schweiz
Verfügung.                        stattfinden, werden Regional Games, National
www.bag.admin.ch                  Games, International Competitions und World
                                  Games ausgetragen.

                                  www.specialolympics.ch > National Games St. Gallen 2022 > Teilnahme

                                                                                                             5
Aktion Procap Knitcap

Jede
Masche
zählt

Seit Ende Oktober läuft die sympathische Charity-
Aktion «Knitcap» von Procap Schweiz zugunsten von
Menschen mit Behinderungen. In der ganzen Schweiz
wird seither fleissig gestrickt. Die individuellen
Mützen – die sogenannten Procap Knitcaps – können
Sie uns bis Ende November zusenden. Wir freuen uns
auf jedes Exemplar.
     Ab dem 3. Dezember 2021 werden diese Knitcaps
dann auf www.ricardo.ch versteigert. Auch hier haben
Sie Gelegenheit, Gutes zu tun, indem Sie eine der
Mützen ersteigern. Sei es für sich selbst oder als sinnvolles
Weihnachtsgeschenk für einen Lieblingsmenschen.
Eine Knitcap bereitet in jedem Fall doppelt Freude!
Einerseits der glücklichen Person, die das Unikat tragen
darf und der die Mütze Wärme spendet. Anderseits
vielen Menschen mit Handicap, die sich mit der Unter-
stützung von Procap gleichberechtigt am kulturellen
und gesellschaftlichen Leben beteiligen können.
     Herzlichen Dank für Ihre Solidarität für Menschen
mit Handicap. Weitere Infos zur Aktion sowie eine
Strickanleitung finden Sie unter www.knitcap.ch.

                                                                An die Stricknadeln, fertig, los! Procap Schweiz sammelt selbst
                                                                gestrickte Wollmützen zugunsten von Menschen mit Handicap.
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Inklusion und Partizipation Fokus

Es braucht mehr
als rechtliche
Grundlagen

Vielfalt ist ein Merkmal unserer modernen Gesell-
schaft, und die Begriffe Inklusion und Partizipation
sind stark im Trend. Doch bis Menschen mit und
ohne Behinderungen tatsächlich gleiche Chancen
und Wahlmöglichkeiten haben, braucht es noch
viel Arbeit.
Text Sonja Wenger Fotos iStock

                                                                    7
Fokus Inklusion und Partizipation

Derzeit läuft eine Kampagne eines grossen Schweizer        sogenannte Universal Design, also das Design für alle,
Schokoladenriegelherstellers. Sein Slogan: «Du bist        beim Bauen, bei der Erstellung von Hilfsmitteln oder beim
nicht perfekt? Perfekt!» Wir von Procap finden diesen      Zugang zu Wissen, Arbeit und Kultur als Standard ange-
Slogan perfekt. Nicht nur, weil wir Schokolade mögen.      wendet wird. Auch eine Gesellschaft, in der alle Menschen
Sondern vor allem, weil die Idee, dass niemand perfekt     von allen als gleichwertig betrachtet werden und es keine
ist, respektive es «das Normale» gar nicht gibt, als       Rolle mehr spielt, wie oder warum jemand «anders» ist,
Grundgedanke der Inklusion bezeichnet werden kann.         muss noch immer als Utopie bezeichnet werden.
     Das Thema Inklusion steht seit langem im Fokus
von Institutionen, Organisationen und Behörden,            Zusammenarbeit und Sensibilisierung
spätestens jedoch seit 2014, als die Schweiz der Uno-      Was also tun? Der Bundesrat definierte 2018 als «unab-
Behindertenrechtskonvention (BRK) beigetreten ist.         dingbare Voraussetzung für eine kohärente Behinderten-
Mit der BRK wurden – ergänzend zum Behinderten-            politik» die «weitere Verbesserung der Koordination sowie
gleichstellungsgesetz (BehiG) von 2004 – rechtliche        eine auch inhaltlich enge Zusammenarbeit von Bund und
Grundlagen geschaffen, dank derer seither viele Verbes-    Kantonen». Zudem brauche es die konstante «Sensibilisie-
serungen zur Gleichstellung von Menschen mit Behin-        rung aller beteiligten Stellen sowie Impulse für die För-
derungen erreicht werden konnten.                          derung der Rechte von Menschen mit Behinderungen».
     Dies ist insbesondere der Fall bei Massnahmen für           Das stimmt zuversichtlich, besonders in der föde-
einen verbesserten Zugang zur Infrastruktur, also zu       ralistisch geprägten Schweiz, in der jeder Kanton die
öffentlichen Gebäuden und zum öffentlichen Verkehr,        gesetzlichen Vorgaben nach eigenem Ermessen umset-
wobei es bei Letzterem noch viel zu tun gibt. Viele        zen kann. So gibt es immer wieder Fälle, in denen IV-
Behörden und Institutionen haben zudem den Zugang          Bezüger*innen, welche den Wohnkanton gewechselt
zu digitalen Inhalten und online verfügbaren Dienst-       haben, nach einer Neubewertung weniger Leistungen
leistungen ausgebaut (Stichwort: E-Accessibility). Ein     erhalten, obwohl sich an ihrem Gesundheitszustand
positiver Trend, der allerdings erst langsam an Dynamik    nichts geändert hat.
gewinnt. Und nicht zuletzt wurden in den letzten                 Föderalismus hat allerdings auch gute Seiten. So ist
Jahren die Massnahmen zur beruflichen Wiedereinglie-       es den einzelnen Kantonen aufgrund ihrer grossen
derung der IV-Bezüger*innen ausgebaut und der Assis-       Autonomie möglich, bei der Umsetzung der Vorgaben
tenzbeitrag eingeführt. Beide Bereiche werden in der       weiterzugehen als gefordert.
aktuellen IV-Revision, die Anfang 2022 in Kraft tritt,
noch einmal verbessert.                                    Für ein gleichberechtigtes Zusammenleben
                                                           Einer der Kantone, die sich für eine fortschrittliche
Barrieren überwinden                                       Behindertenpolitik entschieden haben, ist Luzern. In
Doch auch wenn sich viel verbessert hat und seit einigen   seinem «Leitbild für das Zusammenleben im Kanton
Jahren die Begriffe Inklusion, Partizipation sowie         Luzern – Leben mit Behinderungen» wird ausgeführt,
Diversität und Selbstbestimmung in aller Munde sind,       was es für ein «gleichberechtigtes Zusammenleben von
harzt es in vielen Bereichen noch immer an deren           Menschen mit und ohne Behinderungen» braucht.
Umsetzung. In der physischen Welt, aber auch in den             Das Leitbild bringt dabei vieles präzise und umfas-
Köpfen der Bevölkerung verhindern noch immer viele         send auf den Punkt: Behindertenpolitik ist eine Aufgabe,
Barrieren, dass Menschen mit Behinderungen ihre            die alle Lebensbereiche umfasst und bei deren Um-
Kompetenzen gleichberechtigt und vollumfänglich im         setzung es sich um einen langfristigen Prozess handelt.
politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen    Es braucht eine «gemeinsame Basis für die Politik,
Leben unserer Gesellschaft einbringen können. Noch         Verwaltung und Gesellschaft, um die Gleichstellung
immer ist es für viele Betroffene schwer, eine geeignete   von Menschen mit Behinderungen zu fördern». Dies
Arbeitsstelle oder eine hindernisfreie Wohnung zu fin-     wiederum wird erreicht durch einen «breit getragenen
den. In manchen Fällen bleibt ihnen aus finanziellen       Dialog zwischen unterschiedlichen Gremien und Perso-
Gründen die freie Ausbildungs- und dadurch die freie       nen aus Verwaltung, Politik, Fachorganisationen, Be-
Berufswahl verwehrt. Und noch immer können nötige          hindertenverbänden, Institutionen und Kirche».
Anpassungen oder hindernisfreies Bauen viel zu oft mit          Ziel ist es, einen «Wechsel im Verständnis von Behin-
dem Argument der angeblich fehlenden Verhältnismäs-        derung» zu erzielen und die unterschiedlichen Interessen
sigkeit von Kosten und Nutzen umgangen werden.             und Bedürfnisse aller Beteiligten und Betroffenen
     Zwar würde heute kaum noch jemand im direkten         wahrzunehmen und zu respektieren. Das Leitbild defi-
Gespräch bestreiten, dass alle Menschen von einer          niert dabei sieben Handlungsfelder, entlang derer unter-
inklusiven Gesellschaft profitieren. Und doch sind wir     schiedlichste Massnahmen umgesetzt und ein breites
noch sehr weit weg von einer Welt, in der etwa das         sowie bedarfsgerechtes Angebot zur Förderung der

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Inklusion und Partizipation Fokus

                                        Chancengleichheit und Wahlfreiheit geschaffen werden
                                        soll. Die Handlungsfelder umfassen folgende Bereiche:
                                        Bildung, Berufsbildung und Arbeit, Wohnen, Mobilität
                                        und persönliche Veränderung, Kommunikation, Gesund-
                                        heit und Sexualität sowie Freizeit und Politik.
                                              Im Leitbild wird allerdings klar festgehalten, dass
                                        die bestehenden rechtlichen Grundlagen in der Bundes-
                                        verfassung, mit dem BehiG und der Uno-BRK allein
                                        nicht ausreichen. Um Inklusion und die damit verbun-
                                        dene Partizipation von Menschen mit Behinderungen
                                        zu erreichen, braucht es «eine gemeinsam getragene
                                        Strategie zur Umsetzung». Oder in anderen Worten: viel
                                        politischen Willen, noch mehr Sensibilisierung und vor
                                        allem gesellschaftliche Kooperation.

                                        Vielfalt als Chance
                                        Grundsätzlich sollte bei allen Massnahmen, welche
                                        Gleichstellung und Chancengleichheit fördern, der Fokus
                                        auf die Ressourcen von Menschen mit Behinderungen
                                        gelegt werden. Die Vielfalt der Menschen wird noch immer
                                        häufig als Störfaktor für wirtschaftliche Effizienz wahr-
                                        genommen. Es braucht also eine Veränderung des
                                        Denkens, um zu verstehen, dass Vielfalt vor allem eine
                                        grosse Chance für die ganze Gesellschaft darstellt.
                                             Ebenfalls wichtig ist zu verstehen, dass es nicht darum
                                        geht, die Gesellschaft neu zu erfinden. Die meisten Men-
                                        schen mit Behinderungen wollen nicht weniger – aber
                                        auch nicht mehr – als die gleiche Wahl, die gleichen
                                        Optionen wie Menschen ohne Behinderungen. Sie haben
                                        dieselben Wünsche – etwa einen Beruf erlernen und das
                                        Leben autonom gestalten. Sie wollen eine Familie gründen
                                        und die eigenen Kinder aufwachsen sehen. Sie wollen die
                                        Wahl haben, wo und was und wann sie essen, welche
                                        kulturellen oder sportlichen Angebote sie nutzen. Und
                                        vor allem wollen sie auch die Wahl haben, barrierefreie
                                        Angebote nicht zu nutzen, ohne dass ihnen dies vorge-
                                        worfen würde, wie es Sabrina Salupo im Interview mit
                                        dem Procap Magazin auf den Punkt bringt.
                                             Inklusive Angebote und die Möglichkeit zur Parti-
                                        zipation dürfen deshalb nie an Bedingungen gebunden
                                        sein. Es geht darum, dass es eine Selbstverständlichkeit
                                        sein sollte, dass Menschen mit Behinderungen immer
                                        mitgedacht werden. Bis wir in einer wahrhaft inklusiven
                                        Welt leben, gibt es noch viel zu tun. Doch wir bleiben
                                        optimistisch und erinnern an einen weiteren aktuellen
                                        Werbeslogan, diesmal von einer grossen deutschen
                                        Sportbekleidungsmarke: «Impossible is nothing» –
                                        Unmöglich ist nichts. Auch dies finden wir von Procap
                                        einen perfekten Slogan.

Bei der Aktion «Aussergewöhnlich?»      Quellen:
von Procap Schweiz für den Tag          • Website des Eidgenössischen Departements des Innern:
der Sektionen 2019 standen die             www.edi.admin.ch > EBGB > Themen der Gleichstellung
einzigartigen Formen von Rüebli            > Behindertenpolitik
stellvertretend für den Grundgedanken   • «Leben mit Behinderungen – Leitbild für das Zusammenleben
der Diversität und Inklusion.              im Kanton Luzern» (www.disg.lu.ch)

                                                                                                       9
Fokus Inklusion und Partizipation

Sabrina Salupo arbeitet
seit 2010 bei Procap.
Sie ist regionale
Geschäftsführerin von

                                    Inklusion darf
Procap Westschweiz und
Procap Tessin sowie
Ressortleiterin Bildung
und Sensibilisierung.

                                    nicht an
                                    Bedingungen
                                    geknüpft sein
10
Inklusion und Partizipation Fokus

Menschen mit Behinderungen sind heute viel besser
in der Gesellschaft integriert als vor 20 Jahren.
Dennoch braucht es noch viel Sensibilisierungsarbeit,
bis Inklusion in allen Bereichen der Gesellschaft
tatsächlich umgesetzt ist und Betroffene eine echte
Wahlfreiheit haben.
Interview Ariane Tripet Foto Procap

Procap: Wie definieren Sie die Begriffe Inklusion            zur beruflichen Integration der IV die betroffene Per-
und Partizipation?                                           son, die einen Antrag auf allfällige Anpassungen am
Sabrina Salupo: Inklusion ist ein Gesellschaftsmo-           Arbeitsplatz stellen muss, und nicht der Arbeitgeber.
dell, in dem alle Angebote inklusiv sind. Partizipati-       Wenn der Arbeitgeber jedoch möchte, dass die Person
on bedeutet, dass jede Person über ihre Teilhabe frei        unmittelbar einsatzfähig ist, muss er die Kosten vor-
entscheiden kann. Beide Begriffe sind eindeutig              strecken, die ihm im Anschluss sehr wahrscheinlich
miteinander verbunden, denn es ist schwierig, sich           erstattet werden. Diese Situation kann dazu führen,
zu beteiligen, wenn man ausgeschlossen bzw. nicht            dass mögliche Arbeitgeber zurückhaltender sind.
integriert ist.
                                                             Wir hören oft, dass die Leute sagen, sie hätten
Partizipation ist also eine Frage der Wahlmöglichkeit?       keine Zeit, eine weniger produktive Person zu
Das ist immer eine heikle Frage. Man fragt uns manch-        beschäftigen.
mal: «Wenn wir in einen barrierefreien Zugang investie-      Hierbei handelt es sich um eine Frage der Wahrneh-
ren, stellen Sie dann sicher, dass Personen mit Handicap     mung einer Person mit Behinderungen. Viele Menschen
auch tatsächlich kommen?» Es ist aber unmöglich, so          verbinden ein Handicap mit geringerer Leistung, was
etwas zu garantieren. Wenn jemand ein Angebot wahr-          überhaupt nicht stimmt. Allerdings muss man auch
nimmt, dann sicher nur, weil es für die Person interessant   realistisch sein, etwa wenn es um die Frage der
ist. Das gilt aber auch für Menschen ohne Behinderun-        Arbeitszeit geht. Eine Person mit eingeschränkter
gen. Das Problem ist, dass manche Leute immer noch un-       Mobilität benötigt im Zusammenhang mit ihrem
bewusst denken, «jetzt machen wir uns schon die Mühe,        Handicap beispielsweise während eines Arbeitstages
also müssen Menschen mit Handicap auch kommen».              mehr Zeit für persönliche Verrichtungen. Wie soll nun
Und genau darin liegt das wahre Missverständnis, wenn        die Arbeitszeit berechnet und bewertet werden? Wer
es um den Begriff Inklusion geht. Inklusion muss einfach     bezahlt diese Zusatzzeit? Solche Fragen sollten offen
vorausgesetzt werden können, damit Menschen, die dies        angesprochen werden.
möchten, ein Angebot wahrnehmen können. Es gilt, sich
vom Ergebnis zu lösen und Inklusion als einen Teil unserer   Was denken die Betroffenen?
Gesellschaft zu begreifen. Denn letztlich schränkt ein       Wenn ich mit Personen mit Handicap spreche, sagen
nicht inklusives Angebot vor allem die Freiheit von          alle, dass ihnen ihre eigene Situation und ihre Leis-
Personen mit Handicap zur aktiven Teilhabe ein. Genau        tungsfähigkeit durchaus bewusst sind und sie objektiv
diese Freiheit muss aber für alle in der Gesellschaft        damit umgehen. Wenn man mit ihnen darüber spricht,
gelten. Und dann gibt es natürlich finanzielle Aspekte,      findet man auch Lösungen. Ausserdem haben nicht
die alles erschweren.                                        alle Personen mit Behinderungen die gleichen Probleme.
                                                             Einige von ihnen sind – je nach Handicap – genauso
Es ist also vor allem eine finanzielle Frage? Oder           leistungsfähig wenn nicht sogar leistungsfähiger als
gibt es noch andere Barrieren für Inklusion, etwa            Menschen ohne Handicap. Darüber hinaus haben
bei der beruflichen Integration?                             Studien gezeigt, dass die Anstellung einer Person mit
Das hängt von der Branche ab. Wird eine Person mit Be-       Behinderungen den allgemeinen Krankenstand in
hinderungen eingestellt, ist es gemäss den Bestimmungen      einem Unternehmen reduziert.

                                                                                                                11
Fokus Inklusion und Partizipation

Was tut das Ressort Bildung und Sensibilisierung von           in einigen Aspekten etwas schwieriger zu meistern ist.
Procap zur Förderung der beruflichen Integration?              Ansonsten tun sie alles, was andere Menschen auch
Wir haben unlängst das neue Modul «Arbeitsintegra-             tun: Sie erziehen ihre Kinder, sie arbeiten, sie haben
tion» lanciert. Da die berufliche Integration weiterhin        Hobbys und mitunter haben sie auch mal Ärger mit
ein grosses Problem für Menschen mit Behinderungen             ihren Kindern oder mit dem Partner respektive der
darstellt, wollen wir es Unternehmen ermöglichen, sich         Partnerin (lacht).
über alle Aspekte zum Thema zu informieren. Wie bei
all unseren Bildungsprogrammen kommen auch hier                Wo stehen wir mit Blick auf das Behindertengleich-
Betroffene zu Wort, seien es Menschen, die eine Arbeits-       stellungsgesetz (BehiG) und die Behindertenrechts-
stelle haben und entsprechend integriert wurden oder           konvention (BRK) der Vereinten Nationen?
die Schwierigkeiten bekunden, integriert zu werden. Es         Es sind wichtige Errungenschaften und es ist gut, dass
werden auch gelungene Beispiele von Personen präsen-           es sie gibt. Sie sind in gewissen Fällen bindend, betreffen
tiert, die vollumfänglich integriert sind und die aufzeigen,   aber leider nur öffentliche Einrichtungen. Private Insti-
was erfolgreiche Integration ausmacht. Wir arbeiten mit        tutionen oder Unternehmen können weiter tun, was sie
unserem Rechtsdienst zusammen, wenn die Unterneh-              wollen. Es ist aber auf jeden Fall wichtig, dafür zu
men rechtliche Beratung benötigen, und greifen, falls          kämpfen, dass die gesetzlichen Bestimmungen einge-
erforderlich, auch auf Informationen unserer Expert*in-        halten werden und die BRK in der Schweiz besser um-
nen für hindernisfreies Bauen zurück. Der Vorteil von          gesetzt wird. Aber dieser Kampf betrifft Menschen mit
Procap besteht darin, dass wir in allen Bereichen quali-       Behinderungen nicht notwendigerweise in ihrem Alltag.
fizierte Informationen bereitstellen können. Und da wir
über all diese Kompetenzen verfügen, handelt es sich           Was heisst das?
um ein modulares Bildungsangebot, das sich den Be-             Menschen mit Behinderungen haben ein Leben! Sie haben
dürfnissen der Unternehmen anpasst. Auf Wunsch stellen         eine Arbeit, eine Familie, Freunde und Hobbys … Sie
wir auch eine mehrmonatige Betreuung zur Verfügung,            leben! Und in ihrem Alltag stossen sie in der Tat immer
in deren Rahmen der Arbeitgeber uns bei Problemen              wieder auf Probleme. Es ist klar, dass Gesetze und
kontaktieren kann und Besuche am Arbeitsplatz für              Konventionen sowie die Arbeit von Procap ihnen den
weitere Schulungen organisiert werden.                         Alltag erleichtern. Aber gerade in ihrem Alltag sagen die
                                                               Betroffenen nicht ständig: «Die Konvention der Ver-
Sensibilisierung ist also weiterhin ein grosses                einten Nationen muss jetzt endlich ratifiziert werden.»
Thema. Was können wir noch tun, damit die                      Darüber hinaus möchten viele Menschen mit Handicap
Gesellschaft inklusiver wird?                                  nicht in einem Umfeld arbeiten, in dem es um Behinde-
Wir müssen geduldig bleiben, denn ich glaube, dass             rungen geht. Manche sagen, dass ihnen ihr Handicap im
sich die Gesellschaft in jedem Fall weiterentwickelt.          Alltag schon genug ist und sie nicht auch noch bei der
Jede Weiterentwicklung bedeutet Veränderung. Und               Arbeit damit zu tun haben wollen. Genau aus diesem
Veränderung passiert überall dort, wo Menschen kon-            Grund wollen sie sich vielleicht auch nicht politisch
krete Situationen erleben und persönliche Erfahrungen          engagieren. Und das ist natürlich verständlich.
machen. So sind heute Menschen mit Behinderungen
im Vergleich zu vor 20 Jahren viel besser integriert.          Laufen wir Gefahr, dass gewisse hart erkämpfte
Sie sind in der Öffentlichkeit sichtbar, und sie arbeiten      Rechte wieder verloren gehen?
Seite an Seite mit Menschen ohne Behinderungen.                Manchmal habe ich Angst davor. Aber dann sehe ich
Menschen mit Behinderungen sind wie Menschen ohne              mich um und denke, diese Angst ist völlig unbegründet.
Behinderungen mal glücklich oder unglücklich, haben            Das kann ich natürlich auch deshalb sagen, weil ich in
Kinder oder keine Kinder. Ich bin davon überzeugt, dass        Biel, also in einer multikulturellen, sehr offenen Stadt,
in der Gesellschaft nach und nach das Verständnis              lebe. Aber auch viele Meinungsumfragen zeigen, dass
zunimmt, je mehr Austausch es zwischen Menschen                junge Menschen in der Regel der Vielfalt in einer
mit und ohne Behinderungen gibt.                               Gesellschaft sehr offen gegenüberstehen und sie diese
                                                               als Standard betrachten. Doch wenn wir auch in
Wie kann Procap zu dieser Entwicklung beitragen?               Zukunft in einer vielfältigen, offenen und toleranten
Ich denke, dass eine der Aufgaben von Procap darin             Gesellschaft leben wollen, in der alle Menschen so
besteht, Personen mit Behinderungen noch sichtbarer            angenommen werden, wie sie sind, müssen wir weiter
zu machen. Es geht darum, sie in ihrem Alltag und in           daran arbeiten und uns dafür einsetzen.
ihrem normalen Umfeld zu zeigen. Wir müssen zeigen,
dass Menschen mit Behinderungen ein völlig normales
Leben führen, welches allein aufgrund ihres Handicaps

12
Ratgeber
Recht                                        Was tun, wenn ein
                                             Vorbescheid kommt?
                                             sicht stehen zudem auf den                  Mit Vorteil schriftlich
                                             Internetseiten der IV-Stellen Formu-        Der Einwand ist das rechtliche Mit-
                                             lare zur Verfügung. Selbstverständ-         tel, das Ihnen zur Verfügung steht,
                                             lich kann Procap bei einem Gesuch           um sich gegen einen Vorbescheid zu
                                             um Akteneinsicht behilflich sein. Ge-       wehren. Nur Sie als betroffene Per-
                   Karin Wüthrich            naue Aktenkenntnis ist stets Voraus-        son haben die Möglichkeit, einen
                   Rechtsanwältin            setzung für eine Beratung. Falls Sie        Einwand mündlich bei der IV-Stelle
                                             Unterstützung durch Procap benöti-          zu Protokoll zu geben. Procap emp-
                                             gen, teilen Sie uns dies bitte so schnell   fiehlt jedoch, Einwände schriftlich
                                             wie möglich mit. Nur dann bleibt ge-        zu machen. Besondere formelle An-
  Ich habe von der IV-Stelle                 nügend Zeit für das Aktenstudium,           forderungen bestehen dafür nicht.
  einen sogenannten Vor-                     Besprechungen, zusätzliche Abklärun-        Der Einwand geht in Briefform an
  bescheid erhalten. Die IV                  gen und das rechtzeitige Einreichen         die IV-Stelle und muss einen Antrag
                                             des Einwandes innerhalb der Frist.          mit Begründung enthalten; legen
  schreibt darin, dass sie                                                               Sie also Ihren Standpunkt dar und
  an das von mir beantrag-                   Den Vorbescheid einschätzen                 halten Sie fest, weshalb Sie nicht
  te Hilfsmittel nur einen                   Bei Hilfsmitteln sind oft technische        einverstanden sind mit dem vorge-
  Kostenbeitrag leiste, und                  Punkte strittig. Hier könnte Ihnen          sehenen Entscheid.
                                             die Person des Hilfsmittellieferan-               Falls Sie keinen Einwand erhe-
  stützt sich dabei auf                      ten weiterhelfen, welche Sie beim           ben, wird die IV-Stelle nach Ablauf
  interne und externe Ab-                    Gesuch unterstützt hatte. Fragen            der Frist eine Verfügung erlassen,
  klärungen, von denen ich                   Sie nach, ob die Fachperson bereit          die inhaltlich gleich lautet wie der
                                             wäre, den Abklärungsbericht der IV          Vorbescheid. Gegen diesen Ent-
  keine Kenntnis habe. Wie
                                             zu lesen und Ihnen eine Rückmel-            scheid steht dann nur noch der Ge-
  gehe ich nun vor?                          dung zu geben. Es geht zunächst um          richtsweg offen, wobei das Be-
                                             eine Einschätzung. Bevor Sie Stel-          schwerdeverfahren kostenpflichtig
  Mit dem Vorbescheid informiert Sie         lungnahmen oder sogar Expertisen            ist und Zeit in Anspruch nehmen
  die IV-Stelle über einen vorgesehenen      einholen, klären Sie unbedingt die          wird. Es ist deshalb sinnvoll, stets
  Entscheid und gibt Ihnen gleichzeitig      Kostenfrage ab. Denn die IV hat             gegen Vorbescheide zu intervenie-
  Gelegenheit, sich dazu zu äussern.         mit dem Vorbescheid das Abklä-              ren, mit denen Sie nicht einverstan-
  Wichtig ist, schnell auf einen Vorbe-      rungsverfahren abgeschlossen und            den sind. Benutzen Sie das Ihnen
  scheid zu reagieren: Es läuft eine Frist   kommt in der Regel nicht mehr für           eingeräumte Recht auf eine vorheri-
  von nur 30 Tagen, in der Sie Einwän-       zusätzliche Kosten auf.                     ge Anhörung verbunden mit der
  de gegen den Vorbescheid erheben                Sobald eine Uneinigkeit mit            Möglichkeit, sich zum Abklärungs-
  können.                                    der IV absehbar ist oder das Bedürf-        ergebnis zu äussern, weitere Un-
       Prüfen Sie deshalb den Vorbe-         nis nach Rechtsschutz besteht, ist          terlagen einzureichen und Anträge
  scheid unmittelbar nach dem Erhalt.        es sinnvoll, Ihren Fall bei Ihrer           zu stellen. So vertreten Sie Ihren
  Wenn die IV-Stelle im Vorbescheid          Rechtsschutzversicherung       anzu-        Standpunkt. Gleichzeitig dient ein
  auf Abklärungsberichte oder Gutach-        melden. Klären Sie ab, ob in Ihrer          Einwand der Sachaufklärung und
  ten hinweist, diese Berichte aber nicht    Versicherungspolice eine Beratung           der Verständigung.
  mitschickt, fordern Sie die Akten an.      im Sozialversicherungsrecht ge-                   Wir empfehlen unseren Mit-
  Als betroffene Person haben Sie das        deckt ist. Ein «Rechtsschutz» kann          gliedern, sich umgehend nach Erhalt
  Recht, in Ihr IV-Dossier Einsicht zu       auch über die Krankenkasse, die             eines Vorbescheides bei der zustän-
  nehmen. Sie können die Akten tele-         Mitgliedschaft bei einem Berufs-            digen Beratungsstelle ihrer Procap-
  fonisch verlangen, auch ohne beson-        verband oder etwa über ein Zeit-            Sektion zu melden.
  dere Begründung. Für die Aktenein-         schriftenabonnement versichert sein.

                                                                                                                         13
Fokus Inklusion und Partizipation

Carmen Rapold will ihre
positive Einstellung und
den Willen zu kämpfen an
ihre Kinder weitergeben.

14
Inklusion und Partizipation Fokus

Mamma mia!
Mutter zu sein, ist eine schöne, aber nicht immer
leichte Aufgabe. Wenn Mama ein Handicap hat, ist
es noch etwas schwieriger. Eine Mutter erzählt, wie
sie Betreuung und Beruf trotz ihrer Behinderung
auf die Reihe kriegt und so gleichberechtigt am
Leben teilnimmt.
Text Patrick Du bach Fotos Markus Schneeberger

«Bitte hilf mir, die Jacke hochzuziehen», sagt die Mut-   sieht sie weniger. Das alles ist für Aussenstehende
ter zum Kind. Es ist eine kleine Szene passt aber zum     kaum sichtbar, wäre da nicht ihre rechte Hand, die –
Alltag von Carmen Rapold und ihrer Tochter Leila.         jeweils während einer Aktivität – zu einer Faust ge-
Die Mutter bringt dem Mädchen die Jacke, zieht sie        ballt ist.
ihr an, doch beim Reissverschluss benötigt sie wegen           Die zur Faust geballte Hand verkörpert einerseits
ihrer Behinderung Hilfe. Mit vereinten Kräften schaf-     die Behinderung von Carmen Rapold, andererseits
fen es Mutter und Tochter schliesslich, den Reissver-     auch das Kämpferische in ihr. Gemeint ist ihr Kampf
schluss hochzuziehen. Solche Situationen kommen           gegen die IV, gegen die Tücken des Alltags, gegen die
im Alltag von Carmen immer wieder vor.                    alltäglichen kleinen und grossen Hürden, die sie bereits
     Carmen Rapold ist 31 Jahre alt und aufgrund ei-      als Kind nur dank viel Physio- und Ergotherapie
ner Hirnverletzung mit einer Behinderung auf die          sowie Training teilweise überwinden konnte. Vieles
Welt gekommen. Diagnose: spastische Hemiparese            musste sie üben, üben und nochmals üben. Einiges ist
(Halbseitenlähmung). Betroffen ist die ganze rechte       möglich, aber längst nicht alles. So benötigte sie
Körperhälfte von Kopf bis Fuss. Die Folgen: Carmens       ganze zwei Wochen Übung, um ihr Haar mit einem
Berührungsempfindung ist herabgesetzt, ihre Mus-          Haargummi zusammenbinden zu können.
kulatur ist angespannt und oft verkrampft, und sie             Aber auch heute noch ist der Alltag für Carmen
kann ihre Hände, besonders die rechte, nur einge-         eine Herausforderung und erfordert viel Geduld und
schränkt benutzen. Mit ihrem rechten Ohr hört             Übung. Sie erzählt, wie sie mit ihrem Partner immer
Carmen zudem weniger, und mit ihrem rechten Auge          und immer wieder trainieren musste, die Windeln

                                                                                                              15
Fokus Inklusion und Partizipation

ihrer Tochter zu wechseln. Schon früh übte sie – zu-       gerne, dass, wer schwanger werden wolle, einfach in
sammen mit Leila – das Anziehen der Hosen. Ihre            diese Spielzeugabteilung gehen müsse. Sie möchte
Tochter, mittlerweile 20 Monate alt, kann Carmen           noch so lange arbeiten, wie es mit ihrer Schwanger-
weder lange tragen noch auf die Rutschbahn hoch-           schaft gut geht. Und nach dem regulären Mutter-
heben. Dazu müsste sie zwei gesunde und starke             schaftsurlaub wird Carmen ihre Arbeit wie bis anhin
Hände haben. Während andere Mütter locker in der           wieder aufnehmen.
einen Hand ihr Kind und in der anderen ihre Hand-
tasche halten, ist Carmen zum Einkaufen meist mit          Das Recht, ein Kind zu haben
dem Rucksack unterwegs, damit sie beide Hände frei         Viele Frauen mit Behinderungen wünschen sich Kin-
hat. Leila muss für diese Zeit in den Buggy.               der. Und viele Frauen mit Behinderungen haben be-
                                                           reits Kinder. Manchmal brauchen sie Unterstützung
Miss Independent                                           bei der Erziehung und Versorgung der Kinder. Doch
«Zum Glück ist Leila so ein pflegeleichtes Kind», sagt     statt Hilfe bekommen sie häufig nur Gründe zu hören,
Carmen und streichelt ihrer Tochter liebevoll übers        warum sie lieber keine Kinder haben sollten. Dabei
Haar. Leila sitzt etwas scheu am Tisch und hat einen       ist das Recht auf Elternschaft ein Menschenrecht.
Schnuller im Mund, auf dem steht: «Miss Independent».
Die Kleine ist tatsächlich schon sehr selbstständig.
Trotzdem ist Leila noch zu jung, um zu begreifen,
                                                           «Du kannst alles, was die
dass ihre Mama eine Behinderung hat. «Wenn sie             anderen auch können. Du
sieht, wie ich die rechte Faust mache, dann denkt sie,
dass ich darin ein paar «Guddelis» für sie versteckt
                                                           brauchst einfach ein bisschen
habe», erzählt Carmen. Was Leila auch noch nicht           mehr Zeit dafür.»
ganz begreift, ist, dass sie schon bald ein Geschwister-
chen bekommt. Carmen ist schwanger. Der Geburts-
termin ist Anfang Dezember.                                Manche Frauen brauchen auch nur Rat. So erzählt
                                                           Carmen, wie eines Tages eine Frau mit einer ähnli-
Statt Hilfe bekommen                                       chen Behinderung bei ihr angerufen habe, weil sie
                                                           Angst hatte, eine Familie zu gründen. Carmen habe
Menschen mit Behinderungen                                 ihr dann erzählt, wie anstrengend der Alltag manch-
häufig nur Gründe zu hören,                                mal sei. Dass mit einer Behinderung alles noch mehr
                                                           Organisation und Arbeit bedeute. Sie habe ihr aber
warum sie lieber keine Kinder                              auch Mut gemacht und gesagt, dass eine solche Mut-

haben sollten.                                             terschaft durchaus machbar sei. «Heute hat diese
                                                           Frau ebenfalls ein Kind», sagt Carmen.
                                                                Mütter mit Behinderungen können sehr wohl für
Zwar gab es wie schon bei der ersten Schwanger-            ihre Kinder sorgen. Unterstützung können sie zum
schaft Bedenken, dass alles zu viel werden könnte für      Beispiel je nach Behinderungsgrad in besonderen
Carmen. Nebst ihrer Behinderung ist sie auch von           Wohnangeboten oder durch eine Eltern-Assistenz be-
Epilepsie betroffen. Carmen nimmt dagegen Medi-            kommen. Carmen holt sich Hilfe bei ihrer Familie
kamente, ohne die sie – wie sie sagt – nicht leben         und der Familie ihres Lebenspartners. So ist Leila
könnte. Ihre Eltern hatten auch deswegen anfangs           dienstags immer bei den Grosseltern. Einmal in der
Bedenken wegen eines zweiten Kindes. Doch ihre             Woche kommt der Entlastungsdienst. Dann überneh-
Familie und ihr Freund unterstützen sie.                   men abwechslungsweise zwei Frauen die Arbeiten im
     Kennengelernt haben sich Carmen und ihr Le-           Haushalt und helfen beim Putzen, Wäschemachen
benspartner am Heitere Open Air in Zofingen. Er half       und anderen Tätigkeiten, die der Alltag so mit sich
ihr das Zelt aufzustellen. Als dann ein starker Regen      bringt. Und natürlich ist da auch noch die Grosstante
kam und sein Zelt unter Wasser stand, kam er zu ihr        von Leila. Sie sorgt sich nicht nur liebevoll um das
ins Zelt gekrochen. Das war vor zehn Jahren. Heute         Mädchen, sondern hilft auch tatkräftig mit. Ohne
arbeitet ihr Lebenspartner als Polymechaniker. Car-        Familie im Hintergrund wäre jedoch alles viel
men selbst, gelernte Detailhandelsangestellte Textil       schwerer. Einen Teil der Kosten für den Entlastungs-
EBA, arbeitet in einem Teilzeitpensum in einer Coop-       dienst ist durch die Ergänzungsleistungen (EL)
Filiale in Bern. Dort arbeitet sie in einem Team in der    gedeckt. Den Rest übernehmen Carmens Grosseltern.
Spielzeugwarenabteilung. Im Moment sind zwei wei-          Die Kosten wären zu hoch, als dass Carmen diese
tere Mitarbeiterinnen schwanger. Carmen witzelt            selbst tragen könnte.

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