Procap - Procap Zentralschweiz
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Procap Das Magazin für Menschen mit Behinderungen Mit «Procap-Info» 4/21 von Luzern, Uri, Zug, Ob- und Nidwalden Fokus Endlich Ferien! IV-Revision 2022 Inklusion fördert Der neue Die wichtigsten Partizipation und Reisekatalog 2022 Änderungen im Chancengleichheit ist erschienen Überblick
procap-info 04/21 Luzern, Uri, Zug, Ob- und Nidwalden Ja zur Fusion - mit Procap Zentralschweiz in die Zukunft Vorweg: Die Mitglieder der drei Sektionen Pro- Resultate der Auszählung: cap Zug, Procap Uri und Procap Luzern, Ob- und Procap Luzern, Ob- und Nidwalden: Nidwalden haben mit einer grossen Mehrheit der Stimmzettel gültig: 377 Fusion zu Procap Zentralschweiz zugestimmt. JA: 368 NEIN: 7 Enthalten: 2 Stimmbeteiligung: 24.5% Am Dienstag, 16. November 2021 war es soweit. Die lang ersehnte Auszählung der Stimmzettel konnte Procap Uri: durchgeführt werden. Im dabei sein von Vertreterin- Stimmzettel gültig: 32 nen und Vertreter der drei Vorstände und dem Notar JA: 31 NEIN: 1 Enthalten: 0 Marc Unternährer aus Luzern, haben wir 444 einge- Stimmbeteiligung: 21.4% gangene Stimmzettel geöffnet und ausgezählt. Procap Zug: Stimmzettel gültig: 35 JA: 33 NEIN: 2 Enthalten: 0 Stimmbeteiligung: 25.4% Gesamtergebnis: Stimmzettel gültig: 444 JA: 432 NEIN: 10 Enthalten: 2 Stimmbeteiligung: 24.3% Wir freuen uns über das Ergebnis und auf die kom- menden Aufgaben. Herzlichen Dank für das Vertrauen in Procap Zentralschweiz.
Sexualität und Behinderung – doppeltes Tabu oder doppelt so gut Sex lauert überall. Es scheint, als gäbe es dazu nichts mehr zu sagen oder zu lernen. Aber stimmt das in jedem Fall? Wie steht es um die sexuelle Selbstbestimmung von Menschen mit einer Behinderung? Es scheint, als treffen zwei Tabus aufeinander. Menschen mit einer Behinderung stossen auf hinderung noch immer mit massivem Wider- mehr Hürden als unsereins, wenn sie sexuelle stand der Gesellschaft zu kämpfen hat, zeigt Selbstbestimmung leben wollen. Ich habe den folgendes Beispiel: Eindruck, dass Menschen mit einer Behinde- Pro Infirmis Zürich startete vor wenigen Jah- rung oftmals ihr Recht auf Sexualität abge- ren das Projekt «Berührer*innen». Die Behin- sprochen wird. Es soll kein Thema sein. Man dertenorganisation setzte sich zum Ziel, den will keine «schlafende Hunde wecken», so oft- Bedarf von Klient*innen mit geistiger oder mals der Grundgedanke. Dabei sind wir doch körperlicher Behinderung nach besonderen alle sexuellen Wesen, von Geburt an. Dienstleistungen im Bereich der Sexualität zu decken. Dieses Projekt führte zu heftigen "Je mehr ich abhängig bin auf Hilfe, Un- Reaktionen und Pro Infirmis Schweiz musste terstützung im Leben, desto mehr bin ich einen beträchtlichen Spendenrückgang fest- auch abhängig auf andere im Ausleben stellen. Aus diesem Grunde beschloss das der Sexualität." Hilfswerk ein halbes Jahr später den Rück- Auch bin ich der Willkür der Personen, die zug. Ein Projekt im Bereich des Tabuthemas mich betreuen ausgesetzt. Wieviel Sexualität "Behinderung und Sexualität" müsse klar von ausgelebt werden kann oder nicht, hat auch einer spendenfinanzierten Organisation abge- damit zu tun, wie dieses Thema in meiner Fa- koppelt werden, hiess es in der Stellungnahme. milie geprägt ist. Wie stehen meine Assistenz- personen dazu? Welche Werte, Normvorstel- lungen treffen da aufeinander? Menschen mit Behinderung haben ein Recht darauf, dass ihre Sexualität ganzheitlich be- trachtet wird. Denn die meisten Menschen suchen nicht nur Geschlechtsverkehr, son- dern eine erfüllende Sexualität, welche Nähe, Intimität und Angenommensein vermittelt. Selbstbestimmte Sexualität bedeutet auch, dass selbst entschieden wird, wie sie gelebt wird und dass eigene Grenzen gesetzt sowie akzeptiert werden. Hierfür braucht es einer- seits eine fundierte Sexualaufklärung und an- dererseits Experimentierräume sowie ein so- ziales Umfeld, welches die selbstbestimmten Bestrebungen von Menschen mit Behinderun- gen unterstützt. Das Sexualität von Menschen mit einer Be- II
Vorurteile häufig Ich habe ein Paar befragt, welches dazu einen Jahn Graf formulierte in einem Interview Workshop besucht hat. überspitzt, der «böse Sex» passe in der Ge- sellschaft doch gar nicht zum «armen Behin- Hilfestellungen, Sextoys derten». So wird Sex Menschen mit einer Be- Er ist ein 50jähriger Mann, sitzt im Roll- hinderung oftmals abgesprochen. Dies, weil stuhl (Cerebralparese) und seine Freundin ist es uns oftmals überfordert. Sexualität per se gleichalt und ebenfalls im Rollstuhl (Paraple- tut dies schon. Auch, wenn wir denken, wir gikerin). Sie haben sich im Rollstuhl-Schwim- hätten weder Tabus noch Wissenslücken noch men kennengelernt. Er kommt ins Schwärmen, Schamgefühle in diesem Thema. Doch dem als er von ihrer ersten Begegnung erzählt. Ihm ist meist nicht so. Für viele ist es schlichtweg sei ihre fröhliche Art, ihre schönen Augen und nicht unvorstellbar, dass Menschen mit Behin- ihr Lächeln sofort aufgefallen. Bis zu ihrem ers- derungen auch eine Sexualität leben. ten Date vergingen einige Wochen Schwimm- training. Auf dem Sonnenuntergangschiff auf dem Vierwaldstättersee funkte es. Sie ist sei- ne erste Freundin, die auch im Rollstuhl sitzt. Dies sei unkomplizierter. Warum, so frage ich nach. Weil sie sich nicht erklären müssten. Nach zwei Wochen Beziehung, fragte sie ihn, ob er bereit wäre mit ihr einen «Workshop Se- xualität» im SPZ Nottwil zu besuchen. Seine Reaktion war überrascht und freudig zugleich. Ich treffe eine Frau, 35 Jahre alt, Mutter von Er brachte nur ein «Hoppla» heraus. Der Work- zwei Kindern, im Rollstuhl. Wie reagierten die shop dauerte einen ganzen Tag. Es waren wei- Menschen auf sie während der Schwanger- tere Paare da, aber auch Einzelpersonen. Die schaft, so frage ich sie. Mit ihrem schwangeren Stimmung sei offen und vertrauensvoll gewe- Bauch im Rollstuhl sitzend, war es ja offen- sen. Sie lernten verschiedene Stützfunktionen sichtlich, dass sie Geschlechtsverkehr hatte. kennen zum Beispiel mit Kissen unter dem Sie erinnert sich an die irritierten Blicke und Becken, im Rücken oder wo es nötig sei. Aber lacht dabei. Wenn die Leute dann noch ihren auch handelsübliche Sextoys welche man al- Mann ohne Behinderung neben ihr sahen, ka- lein oder zu zweit einsetzen kann oder Felle, men die Leute gar nicht mehr klar. Aber direkt wurden vorgestellt. Aus dem Workshop kam gefragt hätten die wenigsten. das Paar mit der Erkenntnis, dass so viel mehr Menschen mit einer Behinderung wird oft- möglich sei als gedacht. Sie hatten Lust eini- mals Sexualität abgesprochen, weil Sexualität ges auszuprobieren. «Wir müssen beim Sex einhergeht mit einer bestimmten Vorstellung kreativer sein und probieren dadurch mehr von Gesundheit, Schönheit wie auch von be- Dinge aus, die für Menschen ohne Beeinträch- stimmten Normvorstellungen. Jedoch wer be- tigung seltener in Frage kommen. Dies weil sie stimmt, wer wie und mit wem Sex zu haben sie nicht brauchen oder auch weil anderes gut hat? Alles was von der Norm abweicht, wird funktioniert». von der Gesellschaft abgelehnt. Dieses Thema umfasst der Begriff «Internalisierter Ableis- mus». Das Ziel sollte doch sein, weg vom Defizi- torientierten hin zu der Frage, was ist denn möglich und was ist anders möglich? III
Berührer*innen versus Sexarbeiter*innen gel an körperlicher Nähe von Menschen kann Im Bereich Sexualität erscheint mir der recht- das Bedürfnis nach einer Behandlung wecken. liche Aspekt besonders wichtig. Begleitperso- nen dürfen keine direkte Hilfe leisten. Daher Berührer*innen dürfen alles ausser Ge- können sie sowohl jemanden anleiten zu mas- schlechtsverkehr haben mit den Klient*in- turbieren, ohne sich zu verletzen, jedoch nicht nen. Doch was, wenn der Mensch mehr selbst «Hand anlegen». Unterstützung bieten möchte? Wenn er sich penetrativen Sex im Finden des geeigneten Toys kann jedoch wünscht. Dann bleibt nur der Eskortser- geleistet werden. vice - das Beanspruchen der Dienste einer Berührer*innen sind mehr und mehr auch Prostituierten, eines Prostituierten. in Institutionen zugelassen. Als Berührer*in wird eine Person bezeichnet, die Menschen Ich treffe den 31jährigen Mann zum Gespräch, mit Behinderung dabei hilft, Lust zu empfin- er ist Single und sitzt im Rollstuhl (Cerebral- den und ein liebevolles Gefühl zu ihrem Kör- parese). Auf die Frage, wie er zur Sexualität per zu entwickeln. Im Gegensatz zur Sexassis- stehe, sagt er, dies sei seine Achillesferse. Will tenz bei der mehr im therapeutischen Kontext heissen, Sex sei ihm sehr wichtig. Der Dienst an einem Patienten sexuelle Handlungen voll- der Berührerin gehe ihm zuwenig weit und die führt werden, ist für den Beruf Berührer*in Kosten seien gleich hoch wie die des Eskorts- keine therapeutische Ausbildung notwendig. ervice. Da er in keiner Beziehung lebe, nutze er Viele der in diesem Beruf tätigen Personen den käuflichen Sex. Früher brauchte er diesen kommen aber aus pflegerischen und sozialen Kick oft. Da seine Mutter sein Geld verwalte- Berufen. Die Klient*innen sind Menschen, te, war dieser Kostenpunkt oft ein Anlass zu die aus den unterschiedlichsten Gründen ihre Diskussionen. Er hätte auf gutes Essen ver- Sexualität nicht eigenständig ausleben kön- zichtet, wenn er sich dafür einmal mehr den nen. Dabei sind körperliche oder geistige Be- Eskortservice leisten konnte. Dass er im Roll- hinderungen der häufigste Grund, die Diens- stuhl sitze, habe er jeweils am Telefon bereits te einer Berührerin in Anspruch zu nehmen. kommuniziert. Er habe jeweils auf Inserate Aber auch psychische Faktoren wie die Angst oder Webseiten mit geschultem Eskortperso- vor Sex oder Traumata, die durch Missbrauch nal reagiert. Eine Stunde Dienstleistung kos- entstanden sind, können als Gründe infra- te da gerne mal Fr. 500.--, immerhin gäbe es ge kommen. Auf physischer Ebene kann das als IV-Bezüger 10% Rabatt. Darüber müssen Ausbleiben der Erektion ein möglicher Grund wir beide herzhaft lachen. Dennoch sickert im für die Behandlung sein. Aber auch der Man- Gespräch auch die dunkle Seite von Sexarbeit IV
re Beteiligten einen Konsens finden. Und den- noch kenne ich Sex auf Termin schon auch. Als Eltern von Kindern, die noch nicht in ge- schlossenen Zimmern schlafen, lohnt es sich Sex-Dates zu vereinbaren. Sex auf Termin, das klingt unromantisch, aber es hilft ungemein. So haben wir beide die Zweisamkeit auf dem Schirm und räumen ihr den nötigen Raum ein. Denn wenn alles Drunter und Drüber geht, ist es das, was wir am einfachsten streichen kön- nen. Wenn es dazwischen spontan auch dazu kommt, wunderbar. Wenn nicht, auch nicht durch. Ihm ist durchaus bewusst, dass dies ein schlimm, wir haben ja ein Date. Eines auf das sehr schwerer, harter Job sei. Seine «Perlen» man sich freuen kann. Und Vorfreude ist was hätte er immer wieder dadurch verloren, als Grossartiges! dass sie der Sexarbeit ihren Rücken gekehrt hätten. Dies, weil sie in diesem Bereich nicht Zum vertiefen: mehr arbeiten konnten und wollten. Seit drei Jahren bucht er nur noch die eine Frau. Sex - Das SPZ Nottwil leistet viel Aufklärungsarbeit so sagt er – sei noch immer wichtig und doch im Bereich «Behinderung und Sexualität». wachse in ihm der Wunsch nach einer tiefen, https://community.paraplegie.ch/ echten Beziehung. Die Suche nach einer Part- nerin sei sehr schwer. Auf den einschlägigen Vier Übersichtsartikel zum Thema, teilweise Dating-Plattformen wie Tinder oder Parship aufgeteilt für Frauen und für Männer: zeige er sich mittlerweile aktiv. Auf den Fo- https://community.paraplegie.ch/de/wiki/ tos ist der Rollstuhl sichtbar. Diese Transpa- gesundheit-sexualitaet/ renz sei ihm wichtig. Im Ausgang eine Frau zu treffen, sei ebenfalls nicht leicht. Frauen seien Sextoys und Stützkissen (inkl. Shops die extra oftmals in der Gruppe unterwegs. Da reinzu- eine Rubrik für Menschen mit Handicap ha- kommen als Mann sei schwierig. Als Mann ben): https://community.paraplegie.ch/de/ im Rollstuhl nochmal mehr. An seine Partne- blog/gesellschaft/die-revolution-der-sex- rin hat er recht klare Wünsche. Sie solle nicht spielzeuge seine Krankenschwester sein. Vielmehr müsse es jemand sein, der ihm die Stirn bieten kön- Text: Nadja Stadelmann Limacher ne. In erster Linie soll sie ihn sehen, dann den Wir bleiben dran: Hetero-Mann, dann sein fahrender Untersatz. Und dies genau in dieser Reihenfolge. Podiumsdiskussion Sexualität und Be- hinderung Sowohl die Dienste einer Berührer*in wie Mittwoch, 06. April 2022 im Marianischer auch einer Sexarbeiter*in sind nicht gerade Saal in Luzern Moderation: Jahn Graf preiswert und es ist Sex auf Termin. Eventu- ell muss gar jemand informiert werden über Themen Abende Sexualität im Haus 81 diesen Plan. Dann zum Beispiel, wenn man bei Procap Zentralschweiz Unterstützung braucht beim Transfer ins Bett. Die Themen Abende finden in Kleingrup- pen statt. (8-10 Personen). Klar, ich brauche niemanden zu informieren, Jeweils am Freitag: 20.Mai 2022 / 03.Juni mit wem ich, wann Geschlechtsverkehr haben 2022 / 17. Juni 2022 / 01. Juli 2022 möchte. Es reicht, wenn wir zwei oder mehre- V
Agenda Die Planungen für verschiedene Veranstalungen im 2022 sind in Vorberei- tung. Wir organisieren die look and roll Tour 2022, eine Podiumsdiskussion zu Sexualität und Behinderung, Themen Abende Sexualität, Vorträge Sozial- versicherung, traditionelle Ausflüge und die erste Generalversammlung von Procap Zentralschweiz. Natürlich findet das Elternforum 2022 wieder statt. Die aktuellen Veranstaltungen und Informationen finden Sie unter www. procap-zentralschweiz.ch/events Schauen Sie regelmässig rein und bleiben Sie informiert. Es lohnt sich! Veranstaltungen Sonntag, 19. Dezember 2021 Weihnachtsfeier Procap Zug Verbringen Sie mit uns ein paar Stunden und stimmen Sie sich auf Weihnachten ein. Dienstag, 14. Dezember 2021 Ort: Restaurant Schnitz&Gwunder, Zugerstr. 1, 6312 Themen Abend: Selbstbestimmtes Leben und Woh- Steinhausen Zeit: 14.00 Uhr - 18.00 Uhr Anmeldung: nen bis 7. Dezember 2021 an Veronic Wascher, 079 206 27 Wie finde ich eine Assistenz? CléA, die Assistenzplatt- 69, wacham@bluewin.ch oder www.procap-zentral- form informiert! schweiz.ch/events Unkostenbeitrag: Für Mitglieder Ort: Geschäftsstelle Procap Zentralschweiz, Horwer- kostenlos strasse 81, 6005 Luzern Zeit: 19.00 Uhr Anmeldung: bis 10. Dezember 2021 www.procap-zentralschweiz.ch/ events oder per Telefon 041 318 60 80 Unkostenbei- trag: Keine Samstag, 18. Dezember 2021 Weihnachtsfeier Procap Luzern, Ob- & Nidwalden In der wunderbaren Atmosphäre der Maihof Kirche in Luzern lassen wir uns auf Weihnachten einstimmen. Ort: MaiHof Kirche, Weggismattstr. 9, 6004 Luzern Zeit: 14.00 Uhr - 17.00 Uhr Anmeldung: Bis 8. De- zember 2021 an Procap Zentralschweiz, Horwerstrasse Mittwoch, 16. Februar 2022 81, 6005 Luzern oder unter www.procap-zentral- Look and Roll in Uri schweiz.ch/events oder per Telefon unter 041 318 60 Spannende Kurzfilme über das Leben mit Einschrän- 80 Unkostenbeitrag: Für Mitglieder und Assistenz- kungen, mit Schwächen, mit Behinderungen und mit personen kostenlos / für Nichtmitglieder 50.- barrierefreiem Ambiente. Ort: Theater Uri, Schützengasse 11, 6460 Altdorf Zeit: 19.00 Uhr Reservation: Bis 16. Februar 2022 an Procap Zentralschweiz, Horwerstrasse 81, 6005 Luzern oder unter www.procap-zentralschweiz.ch/events oder per Tel. unter 041 318 60 80 Eintrittspreis: Fr. 15.- / 10.- Sonntag, 19. Dezember 2021 Ab Mittwoch, 2. Februar 2022 Weihnachtsfeier Procap Uri Computer und Handy Support für Mitglieder Zusammen wollen wir ein paar gemütliche Stunden Wie bediene ich meinen Laptop oder mein Handy. Je- verbringen und die Vorweihnachtszeit geniessen. weils der erste Mittwochnachmittag im Monat. Ort: Stiftung Behindertenbetriebe Uri (SBU), Rüttistr. Ort: Geschäftsstelle Procap Zentralschweiz Horwer- 57, 6467 Schattdorf Zeit: 13.30 Uhr - 17.30 Uhr Anmel- strasse 81, 6005 Luzern Zeitfenster pro Person: 45 Mi- dung: bis 6. Dezember 2021 an Vreni Zwyer, vreni. nuten Anmeldung: laufend an Procap Zentralschweiz, zwyer@outlook.com, 041 871 07 11 oder www.pro- Horwerstrasse 81, 6005 Luzern oder unter www.pro- cap-zentralschweiz.ch/events Unkostenbeitrag: Für cap-zentralschweiz.ch/events oder per Telefon unter Mitglieder kostenlos 041 318 60 80 Unkostenbeitrag: Fr. 10.- pro Stunde VI
Agenda Dienstag, 22. März 2022 Look and Roll in Zug Kurse Spannende Kurzfilme über das Leben mit Einschrän- kungen, mit Schwächen, mit Behinderungen und mit Freitag 14. Januar 2022 /11. Februar / 11. März barrierefreiem Ambiente. Gedächtnistraining Ort: Kino Seehof 2, Schmidgasse 8, 6300 Zug Zeit: Einführungskurs Ganzheitliches Gedächtnistraining, 18.00 Uhr Reservation: Bis 22. März 2022 an Procap an drei Freitagvormittagen Ort: Geschäftsstelle Procap Zentralschweiz, Horwerstrasse 81, 6005 Luzern oder Zentralschweiz, Horwerstrasse 81, 6005 Luzern Zeit: unter www.procap-zentralschweiz.ch/events oder per 09.00 Uhr - 11.00 Uhr Anmeldung: bis 13. Januar 2022 Tel. unter 041 318 60 80 Eintrittspreis: Fr. 15.- / 10.- www.procap-zentralschweiz.ch/events oder per Telefon 041 318 60 80 Voraussetzung: Während 2 Std. in der Samstag, 26. März 2022 Gruppe arbeiten können. Kostenbeitrag: Mitglieder Fr. Generalversammlung Procap Zentralschweiz 75.00 / Nichtmitglieder Fr. 100.00 Die erste Generalversammlung des neuen Vereins Pro- cap Zentralschweiz! Die Freude ist gross und wir hoffen auf eine grosse Beteiligung. Wir dürfen feiern. Ort: Generalversammlung in Luzern Zeit: Nachmit- tag Information und Anmeldung: Die Informationen werden im Februar 2022 mit den GV Unterlagen an alle Mitglieder versendet. Freitag, 18. Februar 2022 / 01. April 2022 Tavolata im Himmelrich Kochschürze einpacken, Kochkelle schwingen und ge- meinsam kochen. Ort: Gemeinschaftsraum, Himmel- rich 3, 6005 Luzern Zeit: 10.00 Uhr - 14.00 Uhr Unkos- tenbeitrag: Mitglieder Fr. 15.00 / Nichtmitglieder Fr. 25.00 Anmeldung: bis 30. März 2022 an Procap Zen- Mittwoch, 06. April 2022 tralschweiz, Horwerstrasse 81, 6005 Luzern oder unter Podiumsdiskussion Sexualität und Behinderung www.procap-zentralschweiz.ch/events oder per Telefon Sexualität und Behinderung – doppeltes Tabu oder dop- unter 041 318 60 80 pelt so gut Moderation: Jahn Graf Ort: Marianischer Saal, Bahnhofstrasse 18, 6003 Lu- Datum reservieren zern Zeit: 18.30 Uhr Anmeldung: Bis 04. April 2022 an Procap Zentralschweiz, Horwerstrasse 81, 6005 Luzern oder unter www.procap-zentralschweiz.ch/events oder Freitag, 20. Mai 2022 / 03.Juni / 17. Juni/ 01. Juli per Tel.: 041 318 60 80 Unkostenbeitrag: Türkollekte Themen Abende Sexualität In Kleingruppen (8-10 Personen) besprechen, diskutie- ren und lernen wir Sexualität. Zum Teil Geschlechtspe- zifisch getrennt. Ort: Geschäftsstelle Procap Zentral- schweiz Horwerstrasse 81, 6005 Luzern Zeit: 18.00 Uhr - 20.00 Uhr Unkostenbeitrag: Mitglieder Fr. 15.00 / Nichtmitglieder Fr. 25.00 Anmeldung: bis 18. Mai 2022 an Procap Zentralschweiz, Horwerstrasse 81, 6005 Lu- SAVE THE DATE zern oder unter www.procap-zentralschweiz.ch/events Samstag, 17. September 2022 10 Uhr - 14.00 Uhr oder per Telefon unter 041 318 60 80 VII
Infos Wie möchte ich wohnen? Hier geht es zur Befragung www.hslu.ch/wohnen Wie möchte ich wohnen? Können Sie nicht die Umfrage im Internet ausfül- Der Kanton Luzern möchte die Wohn-Angebote ver- len? bessern. Er möchte deshalb wissen: Wie und wo möch- Wir von der Hochschule Luzern helfen Ihnen gerne ten Sie wohnen? Welche Wünsche haben Menschen mit weiter. Wir kommen bei Ihnen vorbei und helfen beim einer Beeinträchtigung beim Wohnen? Ausfüllen oder wir schicken Ihnen die Umfrage auf Pa- pier. Warum diese Umfrage? Die UNO-Behindertenrechts-Konvention verlangt Melden Sie sich bei uns: selbstbestimmtes Wohnen. Diese Konvention ist ein Telefon-Nummer 041 367 48 61 oder 041 367 48 78 Vertrag für Inklusion. christian.eckerlein@hslu.ch oder rene.stalder@hslu.ch Selbstbestimmtes Wohnen bedeutet: Danke, dass Sie mitmachen! Jeder Mensch soll selbst bestimmen, wie er wohnt. Für den Kanton Luzern ist das auch wichtig. Wir gratulieren Worum geht es in der Umfrage? Geburtstage Nov. - März 22 In der Umfrage beantworten Sie diese Fragen: 65 Jahre - Wie zufrieden sind Sie mit Ihrer Wohn-Situation? Kata Turjic, Werner Gut, Roland Tschupp, Susanna - Was wünschen Sie sich für die Zukunft? Lohrer, Francesco Belcastro, Doris Hort, Rita Epp, Wer darf mitmachen? René Gisler, Elisabeth Dupertuis, Giuseppe Lepore, Leben Sie mit einer Beeinträchtigung? 70 Jahre Wohnen Sie im Kanton Luzern? Ursula Portmann, Louis Bochud, Josip Saric, Beat Sind Sie mindestens 10 Jahre alt? Rutz, Urs Kaufmann, Annay Wipfli, Rita von Arx, Haben Sie 3 Mal ja geantwortet? Ruth Jauch, Dann dürfen Sie an der Umfrage mitmachen. 75 Jahre Bitte machen Sie aber nur 1 Mal mit. Bruno Bucheli, Beat Studer, Antoinette Jendly, Franz Helfenstein, Antonio Goncalves, Herbert Es- Das Ausfüllen dauert etwa 30 Minuten termann, Bruno Fuchs, Ihr Name und Ihre Antworten bleiben geheim 80 Jahre Die Umfrage gibt es online oder auf Papier Verena Bucher Alle Fragen sind in Leichter Sprache 87 Jahre Es gibt eine andere Umfrage für Kinder Lucia Lanz-Kocher Wer hilft weiter? 90 Jahre Die Umfrage ist von der Hochschule Luzern – Sozia- Erwin Duss le Arbeit. Der Kanton Luzern hat uns mit der Umfrage 91 Jahre beauftragt. Annemarie Uster
Schneller unterwegs mit dem Modell SWT-1S. Händler finden und Probefahren: www.swisstrac.ch RolliPro TM B AU FÜR RolliProTM ist die clevere Lösung für UM ERSE DIV ARKEN Rollstuhltransporte mit Ihrem Personenwagen. TOM ICH AU GL Heckausschnitt und Auffahrrampe ermöglichen ein MÖ bequemes Ein- und Ausfahren, Kopf- und Rückenlehne sowie die 3-Punkt-Passagiersicherung garantieren höchstmögliche Sicherheitsanforderungen. FlexiRampTM Durch zweifaches Einklappen der Rampe wird ein komplett ebener Kofferraum geschaffen. So kann der Frachtraum wie im Original-Personen- wagen genutzt werden, falls kein Rollstuhltransport stattfindet. Für weitere Informationen beraten wir Sie sehr gerne. 044 743 80 40 • waldspurger.ch DITION WALDSPURGER AG BEWÄHRT UND INNOVATIV INDUSTRIESTRASSE 29 I 8962 BERGDIETIKON
Editorial Editorial Inhalt Mit den Büchern und Studien zu den Themen Notizen 4 Inklusion und Partizipation von Menschen Aktion Procap Knitcap 6 mit Behinderungen könnten ganze Biblio- «Wir sind Procap»: theken gefüllt werden. Mit den Erfolgsmel- Sebastian Schnidrig 18 dungen zu deren Umsetzung wären es Endlich Ferien! dann noch einige Büchergestelle. Dennoch Der neue Reisekatalog 2022 21 bleiben wir optimistisch. Die Inklusion, also Procap Bewegungs- und die Einbeziehung von Menschen mit Behin- Begegnungstag 2021 24 derungen in die Gesellschaft, ist ein län- «Wir sind Procap»: gerfristiger Prozess. Für die Umsetzung Tania Viccaro Prieto 26 braucht es grossen politischen Willen, viel Ein Blick auf die Dialog und noch mehr Geduld und Sensi- IV-Revision 28 bilisierung. Doch am Ende dieses Prozes- Fokus ses steht etwas Grossartiges: eine inklusive Es braucht mehr als Gesellschaft, in der alle Menschen von rechtliche Grundlagen 7 allen als gleichwertig betrachtet werden. Interview mit Sabrina Salupo: Jede Person hat Zugang zu bedarfsgerech- Inklusion darf nicht an ten Angeboten, etwa im Bereich Bildung, Bedingungen geknüpft sein 10 Arbeit, Gesundheitsversorgung oder Frei- Im Dialog mit zeitgestaltung. Und jeder Mensch bringt Carmen Rapold 14 sich gemäss seinen individuellen Möglich- OpenSunday Inklusion 20 keiten und Wünschen ein und nimmt an Service den Entscheidungsprozessen teil – oder auch nicht. Denn auch die Freiheit, ein Ratgeber Recht: Was tun, wenn ein Vorbescheid kommt? 13 Angebot nicht zu nutzen, gehört zu einer inklusiven Gesellschaft. Rätsel 22 Carte blanche 30 Sonja Wenger Verantwortliche Verbandskommunikation und Medien 3
Notizen Eine kieferorthopä- dische Spezialklinik in Genf Personen mit Handicap haben einen grösseren Bedarf an kieferortho- pädischen Behandlungen. Das Problem dabei ist, dass nur wenige Praxen über das entsprechende Fachwissen-, respektive über Politische Mitsprache im einen barrierefreien Zugang verfügen. Deshalb hat die zahn- Kanton Waadt medizinische Universitätsklinik Genf 2019 auf Initiative von Prof. Menschen mit schwerer geistiger oder psychischer Stavros Kiliaridis und Dr. Gregory Antonarakis eine kieferorthopädi- Beeinträchtigung sollen im Kanton Waadt wie sche Spezialklinik für Kinder mit andere Bürger*innen abstimmen und wählen Handicap eröffnet («Soins ortho- können. Der Grosse Rat hat Anfang Oktober dontiques des enfants en situation de handicap, SOESH»). Die Klinik eine entsprechende Motion angenommen. steht Kindern wie Erwachsenen Dementsprechend wird die Bevölkerung Gelegen- offen und bietet je nach Behinde- heit haben, über eine Änderung der Kantonsver- rung und vorliegender Grunder- krankung personalisierte Behand- fassung abzustimmen. lungen an. Darüber hinaus nutzt Personen, die unter umfassender Beistandschaft die Klinik enge Kontakte zu stehen sind heute auf Bundesebene und in den Spezialzentren in Europa, mit meisten Kantonen gänzlich von den politischen denen sie sich austauscht, um die bestmöglichen Behandlungen Rechten ausgeschlossen. Als erster Kanton hat anzubieten. Genf seine Verfassung angepasst und gewährt Die Klinik ist erreichbar von Montag bis nun allen Menschen mit Behinderungen das Freitag von 9.30 Uhr bis 11 Uhr und von Stimm- und Wahlrecht. Ähnliche Vorstösse sind 14 Uhr bis 15.30 Uhr (ausser Mittwoch- auch in anderen Kantonen eingereicht oder nachmittag). Per Telefon: 022 379 40 86 oder E-Mail an: geplant. Auf Ebene Bund wird zurzeit von der gregory.antonarakis@unige.ch Bundeskanzlei ein Bericht zur Thematik verfasst. Quelle: www.inclusionhandicap.ch 4
Notizen National Summer Games 2022 Die Voranmeldungsfrist für die National Summer Games in St. Gallen vom 15. bis 19. Juni 2022 ist abgeschlossen. Die öffentliche Registrier- phase nach dem Motto «first come, first served» läuft vom 16. Februar bis 15. März 2022. Ausge- tragen werden die National Summer Games Wichtige Informa- von der Organisation Special Olympics Switzer- tionen zum Impfen land. Special Olympics ist eine weltweite inklu- in Leichter Sprache sive Sportbewegung. Ihr Ziel ist es, Menschen und in Gebärden- mit geistiger Behinderung durch den Sport zu sprache mehr Anerkennung, Selbstbewusstsein und Es ist wichtig, dass sich alle letztlich zu mehr Teilhabe an der Gesellschaft Menschen gleichberechtigt über zu verhelfen. Special Olympics bietet regelmäs- das Coronavirus informieren sige Trainingsmöglichkeiten und Wettkämpfe können. Aus diesem Grund stellt das Eidgenössische Büro für die für Menschen mit geistiger Beeinträchtigung Gleichstellung von Menschen mit und ermöglicht es Schweizer Delegationen, an Behinderungen (EBGB) die internationalen Wettkämpfen teilzunehmen. wichtigsten Informationen zum Coronavirus in Leichter Sprache Neben rund 70 lokalen Wettkämpfen in 20 Sport- und in Gebärdensprache zur arten, die jährlich in allen Regionen der Schweiz Verfügung. stattfinden, werden Regional Games, National www.bag.admin.ch Games, International Competitions und World Games ausgetragen. www.specialolympics.ch > National Games St. Gallen 2022 > Teilnahme 5
Aktion Procap Knitcap Jede Masche zählt Seit Ende Oktober läuft die sympathische Charity- Aktion «Knitcap» von Procap Schweiz zugunsten von Menschen mit Behinderungen. In der ganzen Schweiz wird seither fleissig gestrickt. Die individuellen Mützen – die sogenannten Procap Knitcaps – können Sie uns bis Ende November zusenden. Wir freuen uns auf jedes Exemplar. Ab dem 3. Dezember 2021 werden diese Knitcaps dann auf www.ricardo.ch versteigert. Auch hier haben Sie Gelegenheit, Gutes zu tun, indem Sie eine der Mützen ersteigern. Sei es für sich selbst oder als sinnvolles Weihnachtsgeschenk für einen Lieblingsmenschen. Eine Knitcap bereitet in jedem Fall doppelt Freude! Einerseits der glücklichen Person, die das Unikat tragen darf und der die Mütze Wärme spendet. Anderseits vielen Menschen mit Handicap, die sich mit der Unter- stützung von Procap gleichberechtigt am kulturellen und gesellschaftlichen Leben beteiligen können. Herzlichen Dank für Ihre Solidarität für Menschen mit Handicap. Weitere Infos zur Aktion sowie eine Strickanleitung finden Sie unter www.knitcap.ch. An die Stricknadeln, fertig, los! Procap Schweiz sammelt selbst gestrickte Wollmützen zugunsten von Menschen mit Handicap. 6
Inklusion und Partizipation Fokus Es braucht mehr als rechtliche Grundlagen Vielfalt ist ein Merkmal unserer modernen Gesell- schaft, und die Begriffe Inklusion und Partizipation sind stark im Trend. Doch bis Menschen mit und ohne Behinderungen tatsächlich gleiche Chancen und Wahlmöglichkeiten haben, braucht es noch viel Arbeit. Text Sonja Wenger Fotos iStock 7
Fokus Inklusion und Partizipation Derzeit läuft eine Kampagne eines grossen Schweizer sogenannte Universal Design, also das Design für alle, Schokoladenriegelherstellers. Sein Slogan: «Du bist beim Bauen, bei der Erstellung von Hilfsmitteln oder beim nicht perfekt? Perfekt!» Wir von Procap finden diesen Zugang zu Wissen, Arbeit und Kultur als Standard ange- Slogan perfekt. Nicht nur, weil wir Schokolade mögen. wendet wird. Auch eine Gesellschaft, in der alle Menschen Sondern vor allem, weil die Idee, dass niemand perfekt von allen als gleichwertig betrachtet werden und es keine ist, respektive es «das Normale» gar nicht gibt, als Rolle mehr spielt, wie oder warum jemand «anders» ist, Grundgedanke der Inklusion bezeichnet werden kann. muss noch immer als Utopie bezeichnet werden. Das Thema Inklusion steht seit langem im Fokus von Institutionen, Organisationen und Behörden, Zusammenarbeit und Sensibilisierung spätestens jedoch seit 2014, als die Schweiz der Uno- Was also tun? Der Bundesrat definierte 2018 als «unab- Behindertenrechtskonvention (BRK) beigetreten ist. dingbare Voraussetzung für eine kohärente Behinderten- Mit der BRK wurden – ergänzend zum Behinderten- politik» die «weitere Verbesserung der Koordination sowie gleichstellungsgesetz (BehiG) von 2004 – rechtliche eine auch inhaltlich enge Zusammenarbeit von Bund und Grundlagen geschaffen, dank derer seither viele Verbes- Kantonen». Zudem brauche es die konstante «Sensibilisie- serungen zur Gleichstellung von Menschen mit Behin- rung aller beteiligten Stellen sowie Impulse für die För- derungen erreicht werden konnten. derung der Rechte von Menschen mit Behinderungen». Dies ist insbesondere der Fall bei Massnahmen für Das stimmt zuversichtlich, besonders in der föde- einen verbesserten Zugang zur Infrastruktur, also zu ralistisch geprägten Schweiz, in der jeder Kanton die öffentlichen Gebäuden und zum öffentlichen Verkehr, gesetzlichen Vorgaben nach eigenem Ermessen umset- wobei es bei Letzterem noch viel zu tun gibt. Viele zen kann. So gibt es immer wieder Fälle, in denen IV- Behörden und Institutionen haben zudem den Zugang Bezüger*innen, welche den Wohnkanton gewechselt zu digitalen Inhalten und online verfügbaren Dienst- haben, nach einer Neubewertung weniger Leistungen leistungen ausgebaut (Stichwort: E-Accessibility). Ein erhalten, obwohl sich an ihrem Gesundheitszustand positiver Trend, der allerdings erst langsam an Dynamik nichts geändert hat. gewinnt. Und nicht zuletzt wurden in den letzten Föderalismus hat allerdings auch gute Seiten. So ist Jahren die Massnahmen zur beruflichen Wiedereinglie- es den einzelnen Kantonen aufgrund ihrer grossen derung der IV-Bezüger*innen ausgebaut und der Assis- Autonomie möglich, bei der Umsetzung der Vorgaben tenzbeitrag eingeführt. Beide Bereiche werden in der weiterzugehen als gefordert. aktuellen IV-Revision, die Anfang 2022 in Kraft tritt, noch einmal verbessert. Für ein gleichberechtigtes Zusammenleben Einer der Kantone, die sich für eine fortschrittliche Barrieren überwinden Behindertenpolitik entschieden haben, ist Luzern. In Doch auch wenn sich viel verbessert hat und seit einigen seinem «Leitbild für das Zusammenleben im Kanton Jahren die Begriffe Inklusion, Partizipation sowie Luzern – Leben mit Behinderungen» wird ausgeführt, Diversität und Selbstbestimmung in aller Munde sind, was es für ein «gleichberechtigtes Zusammenleben von harzt es in vielen Bereichen noch immer an deren Menschen mit und ohne Behinderungen» braucht. Umsetzung. In der physischen Welt, aber auch in den Das Leitbild bringt dabei vieles präzise und umfas- Köpfen der Bevölkerung verhindern noch immer viele send auf den Punkt: Behindertenpolitik ist eine Aufgabe, Barrieren, dass Menschen mit Behinderungen ihre die alle Lebensbereiche umfasst und bei deren Um- Kompetenzen gleichberechtigt und vollumfänglich im setzung es sich um einen langfristigen Prozess handelt. politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Es braucht eine «gemeinsame Basis für die Politik, Leben unserer Gesellschaft einbringen können. Noch Verwaltung und Gesellschaft, um die Gleichstellung immer ist es für viele Betroffene schwer, eine geeignete von Menschen mit Behinderungen zu fördern». Dies Arbeitsstelle oder eine hindernisfreie Wohnung zu fin- wiederum wird erreicht durch einen «breit getragenen den. In manchen Fällen bleibt ihnen aus finanziellen Dialog zwischen unterschiedlichen Gremien und Perso- Gründen die freie Ausbildungs- und dadurch die freie nen aus Verwaltung, Politik, Fachorganisationen, Be- Berufswahl verwehrt. Und noch immer können nötige hindertenverbänden, Institutionen und Kirche». Anpassungen oder hindernisfreies Bauen viel zu oft mit Ziel ist es, einen «Wechsel im Verständnis von Behin- dem Argument der angeblich fehlenden Verhältnismäs- derung» zu erzielen und die unterschiedlichen Interessen sigkeit von Kosten und Nutzen umgangen werden. und Bedürfnisse aller Beteiligten und Betroffenen Zwar würde heute kaum noch jemand im direkten wahrzunehmen und zu respektieren. Das Leitbild defi- Gespräch bestreiten, dass alle Menschen von einer niert dabei sieben Handlungsfelder, entlang derer unter- inklusiven Gesellschaft profitieren. Und doch sind wir schiedlichste Massnahmen umgesetzt und ein breites noch sehr weit weg von einer Welt, in der etwa das sowie bedarfsgerechtes Angebot zur Förderung der 8
Inklusion und Partizipation Fokus Chancengleichheit und Wahlfreiheit geschaffen werden soll. Die Handlungsfelder umfassen folgende Bereiche: Bildung, Berufsbildung und Arbeit, Wohnen, Mobilität und persönliche Veränderung, Kommunikation, Gesund- heit und Sexualität sowie Freizeit und Politik. Im Leitbild wird allerdings klar festgehalten, dass die bestehenden rechtlichen Grundlagen in der Bundes- verfassung, mit dem BehiG und der Uno-BRK allein nicht ausreichen. Um Inklusion und die damit verbun- dene Partizipation von Menschen mit Behinderungen zu erreichen, braucht es «eine gemeinsam getragene Strategie zur Umsetzung». Oder in anderen Worten: viel politischen Willen, noch mehr Sensibilisierung und vor allem gesellschaftliche Kooperation. Vielfalt als Chance Grundsätzlich sollte bei allen Massnahmen, welche Gleichstellung und Chancengleichheit fördern, der Fokus auf die Ressourcen von Menschen mit Behinderungen gelegt werden. Die Vielfalt der Menschen wird noch immer häufig als Störfaktor für wirtschaftliche Effizienz wahr- genommen. Es braucht also eine Veränderung des Denkens, um zu verstehen, dass Vielfalt vor allem eine grosse Chance für die ganze Gesellschaft darstellt. Ebenfalls wichtig ist zu verstehen, dass es nicht darum geht, die Gesellschaft neu zu erfinden. Die meisten Men- schen mit Behinderungen wollen nicht weniger – aber auch nicht mehr – als die gleiche Wahl, die gleichen Optionen wie Menschen ohne Behinderungen. Sie haben dieselben Wünsche – etwa einen Beruf erlernen und das Leben autonom gestalten. Sie wollen eine Familie gründen und die eigenen Kinder aufwachsen sehen. Sie wollen die Wahl haben, wo und was und wann sie essen, welche kulturellen oder sportlichen Angebote sie nutzen. Und vor allem wollen sie auch die Wahl haben, barrierefreie Angebote nicht zu nutzen, ohne dass ihnen dies vorge- worfen würde, wie es Sabrina Salupo im Interview mit dem Procap Magazin auf den Punkt bringt. Inklusive Angebote und die Möglichkeit zur Parti- zipation dürfen deshalb nie an Bedingungen gebunden sein. Es geht darum, dass es eine Selbstverständlichkeit sein sollte, dass Menschen mit Behinderungen immer mitgedacht werden. Bis wir in einer wahrhaft inklusiven Welt leben, gibt es noch viel zu tun. Doch wir bleiben optimistisch und erinnern an einen weiteren aktuellen Werbeslogan, diesmal von einer grossen deutschen Sportbekleidungsmarke: «Impossible is nothing» – Unmöglich ist nichts. Auch dies finden wir von Procap einen perfekten Slogan. Bei der Aktion «Aussergewöhnlich?» Quellen: von Procap Schweiz für den Tag • Website des Eidgenössischen Departements des Innern: der Sektionen 2019 standen die www.edi.admin.ch > EBGB > Themen der Gleichstellung einzigartigen Formen von Rüebli > Behindertenpolitik stellvertretend für den Grundgedanken • «Leben mit Behinderungen – Leitbild für das Zusammenleben der Diversität und Inklusion. im Kanton Luzern» (www.disg.lu.ch) 9
Fokus Inklusion und Partizipation Sabrina Salupo arbeitet seit 2010 bei Procap. Sie ist regionale Geschäftsführerin von Inklusion darf Procap Westschweiz und Procap Tessin sowie Ressortleiterin Bildung und Sensibilisierung. nicht an Bedingungen geknüpft sein 10
Inklusion und Partizipation Fokus Menschen mit Behinderungen sind heute viel besser in der Gesellschaft integriert als vor 20 Jahren. Dennoch braucht es noch viel Sensibilisierungsarbeit, bis Inklusion in allen Bereichen der Gesellschaft tatsächlich umgesetzt ist und Betroffene eine echte Wahlfreiheit haben. Interview Ariane Tripet Foto Procap Procap: Wie definieren Sie die Begriffe Inklusion zur beruflichen Integration der IV die betroffene Per- und Partizipation? son, die einen Antrag auf allfällige Anpassungen am Sabrina Salupo: Inklusion ist ein Gesellschaftsmo- Arbeitsplatz stellen muss, und nicht der Arbeitgeber. dell, in dem alle Angebote inklusiv sind. Partizipati- Wenn der Arbeitgeber jedoch möchte, dass die Person on bedeutet, dass jede Person über ihre Teilhabe frei unmittelbar einsatzfähig ist, muss er die Kosten vor- entscheiden kann. Beide Begriffe sind eindeutig strecken, die ihm im Anschluss sehr wahrscheinlich miteinander verbunden, denn es ist schwierig, sich erstattet werden. Diese Situation kann dazu führen, zu beteiligen, wenn man ausgeschlossen bzw. nicht dass mögliche Arbeitgeber zurückhaltender sind. integriert ist. Wir hören oft, dass die Leute sagen, sie hätten Partizipation ist also eine Frage der Wahlmöglichkeit? keine Zeit, eine weniger produktive Person zu Das ist immer eine heikle Frage. Man fragt uns manch- beschäftigen. mal: «Wenn wir in einen barrierefreien Zugang investie- Hierbei handelt es sich um eine Frage der Wahrneh- ren, stellen Sie dann sicher, dass Personen mit Handicap mung einer Person mit Behinderungen. Viele Menschen auch tatsächlich kommen?» Es ist aber unmöglich, so verbinden ein Handicap mit geringerer Leistung, was etwas zu garantieren. Wenn jemand ein Angebot wahr- überhaupt nicht stimmt. Allerdings muss man auch nimmt, dann sicher nur, weil es für die Person interessant realistisch sein, etwa wenn es um die Frage der ist. Das gilt aber auch für Menschen ohne Behinderun- Arbeitszeit geht. Eine Person mit eingeschränkter gen. Das Problem ist, dass manche Leute immer noch un- Mobilität benötigt im Zusammenhang mit ihrem bewusst denken, «jetzt machen wir uns schon die Mühe, Handicap beispielsweise während eines Arbeitstages also müssen Menschen mit Handicap auch kommen». mehr Zeit für persönliche Verrichtungen. Wie soll nun Und genau darin liegt das wahre Missverständnis, wenn die Arbeitszeit berechnet und bewertet werden? Wer es um den Begriff Inklusion geht. Inklusion muss einfach bezahlt diese Zusatzzeit? Solche Fragen sollten offen vorausgesetzt werden können, damit Menschen, die dies angesprochen werden. möchten, ein Angebot wahrnehmen können. Es gilt, sich vom Ergebnis zu lösen und Inklusion als einen Teil unserer Was denken die Betroffenen? Gesellschaft zu begreifen. Denn letztlich schränkt ein Wenn ich mit Personen mit Handicap spreche, sagen nicht inklusives Angebot vor allem die Freiheit von alle, dass ihnen ihre eigene Situation und ihre Leis- Personen mit Handicap zur aktiven Teilhabe ein. Genau tungsfähigkeit durchaus bewusst sind und sie objektiv diese Freiheit muss aber für alle in der Gesellschaft damit umgehen. Wenn man mit ihnen darüber spricht, gelten. Und dann gibt es natürlich finanzielle Aspekte, findet man auch Lösungen. Ausserdem haben nicht die alles erschweren. alle Personen mit Behinderungen die gleichen Probleme. Einige von ihnen sind – je nach Handicap – genauso Es ist also vor allem eine finanzielle Frage? Oder leistungsfähig wenn nicht sogar leistungsfähiger als gibt es noch andere Barrieren für Inklusion, etwa Menschen ohne Handicap. Darüber hinaus haben bei der beruflichen Integration? Studien gezeigt, dass die Anstellung einer Person mit Das hängt von der Branche ab. Wird eine Person mit Be- Behinderungen den allgemeinen Krankenstand in hinderungen eingestellt, ist es gemäss den Bestimmungen einem Unternehmen reduziert. 11
Fokus Inklusion und Partizipation Was tut das Ressort Bildung und Sensibilisierung von in einigen Aspekten etwas schwieriger zu meistern ist. Procap zur Förderung der beruflichen Integration? Ansonsten tun sie alles, was andere Menschen auch Wir haben unlängst das neue Modul «Arbeitsintegra- tun: Sie erziehen ihre Kinder, sie arbeiten, sie haben tion» lanciert. Da die berufliche Integration weiterhin Hobbys und mitunter haben sie auch mal Ärger mit ein grosses Problem für Menschen mit Behinderungen ihren Kindern oder mit dem Partner respektive der darstellt, wollen wir es Unternehmen ermöglichen, sich Partnerin (lacht). über alle Aspekte zum Thema zu informieren. Wie bei all unseren Bildungsprogrammen kommen auch hier Wo stehen wir mit Blick auf das Behindertengleich- Betroffene zu Wort, seien es Menschen, die eine Arbeits- stellungsgesetz (BehiG) und die Behindertenrechts- stelle haben und entsprechend integriert wurden oder konvention (BRK) der Vereinten Nationen? die Schwierigkeiten bekunden, integriert zu werden. Es Es sind wichtige Errungenschaften und es ist gut, dass werden auch gelungene Beispiele von Personen präsen- es sie gibt. Sie sind in gewissen Fällen bindend, betreffen tiert, die vollumfänglich integriert sind und die aufzeigen, aber leider nur öffentliche Einrichtungen. Private Insti- was erfolgreiche Integration ausmacht. Wir arbeiten mit tutionen oder Unternehmen können weiter tun, was sie unserem Rechtsdienst zusammen, wenn die Unterneh- wollen. Es ist aber auf jeden Fall wichtig, dafür zu men rechtliche Beratung benötigen, und greifen, falls kämpfen, dass die gesetzlichen Bestimmungen einge- erforderlich, auch auf Informationen unserer Expert*in- halten werden und die BRK in der Schweiz besser um- nen für hindernisfreies Bauen zurück. Der Vorteil von gesetzt wird. Aber dieser Kampf betrifft Menschen mit Procap besteht darin, dass wir in allen Bereichen quali- Behinderungen nicht notwendigerweise in ihrem Alltag. fizierte Informationen bereitstellen können. Und da wir über all diese Kompetenzen verfügen, handelt es sich Was heisst das? um ein modulares Bildungsangebot, das sich den Be- Menschen mit Behinderungen haben ein Leben! Sie haben dürfnissen der Unternehmen anpasst. Auf Wunsch stellen eine Arbeit, eine Familie, Freunde und Hobbys … Sie wir auch eine mehrmonatige Betreuung zur Verfügung, leben! Und in ihrem Alltag stossen sie in der Tat immer in deren Rahmen der Arbeitgeber uns bei Problemen wieder auf Probleme. Es ist klar, dass Gesetze und kontaktieren kann und Besuche am Arbeitsplatz für Konventionen sowie die Arbeit von Procap ihnen den weitere Schulungen organisiert werden. Alltag erleichtern. Aber gerade in ihrem Alltag sagen die Betroffenen nicht ständig: «Die Konvention der Ver- Sensibilisierung ist also weiterhin ein grosses einten Nationen muss jetzt endlich ratifiziert werden.» Thema. Was können wir noch tun, damit die Darüber hinaus möchten viele Menschen mit Handicap Gesellschaft inklusiver wird? nicht in einem Umfeld arbeiten, in dem es um Behinde- Wir müssen geduldig bleiben, denn ich glaube, dass rungen geht. Manche sagen, dass ihnen ihr Handicap im sich die Gesellschaft in jedem Fall weiterentwickelt. Alltag schon genug ist und sie nicht auch noch bei der Jede Weiterentwicklung bedeutet Veränderung. Und Arbeit damit zu tun haben wollen. Genau aus diesem Veränderung passiert überall dort, wo Menschen kon- Grund wollen sie sich vielleicht auch nicht politisch krete Situationen erleben und persönliche Erfahrungen engagieren. Und das ist natürlich verständlich. machen. So sind heute Menschen mit Behinderungen im Vergleich zu vor 20 Jahren viel besser integriert. Laufen wir Gefahr, dass gewisse hart erkämpfte Sie sind in der Öffentlichkeit sichtbar, und sie arbeiten Rechte wieder verloren gehen? Seite an Seite mit Menschen ohne Behinderungen. Manchmal habe ich Angst davor. Aber dann sehe ich Menschen mit Behinderungen sind wie Menschen ohne mich um und denke, diese Angst ist völlig unbegründet. Behinderungen mal glücklich oder unglücklich, haben Das kann ich natürlich auch deshalb sagen, weil ich in Kinder oder keine Kinder. Ich bin davon überzeugt, dass Biel, also in einer multikulturellen, sehr offenen Stadt, in der Gesellschaft nach und nach das Verständnis lebe. Aber auch viele Meinungsumfragen zeigen, dass zunimmt, je mehr Austausch es zwischen Menschen junge Menschen in der Regel der Vielfalt in einer mit und ohne Behinderungen gibt. Gesellschaft sehr offen gegenüberstehen und sie diese als Standard betrachten. Doch wenn wir auch in Wie kann Procap zu dieser Entwicklung beitragen? Zukunft in einer vielfältigen, offenen und toleranten Ich denke, dass eine der Aufgaben von Procap darin Gesellschaft leben wollen, in der alle Menschen so besteht, Personen mit Behinderungen noch sichtbarer angenommen werden, wie sie sind, müssen wir weiter zu machen. Es geht darum, sie in ihrem Alltag und in daran arbeiten und uns dafür einsetzen. ihrem normalen Umfeld zu zeigen. Wir müssen zeigen, dass Menschen mit Behinderungen ein völlig normales Leben führen, welches allein aufgrund ihres Handicaps 12
Ratgeber Recht Was tun, wenn ein Vorbescheid kommt? sicht stehen zudem auf den Mit Vorteil schriftlich Internetseiten der IV-Stellen Formu- Der Einwand ist das rechtliche Mit- lare zur Verfügung. Selbstverständ- tel, das Ihnen zur Verfügung steht, lich kann Procap bei einem Gesuch um sich gegen einen Vorbescheid zu um Akteneinsicht behilflich sein. Ge- wehren. Nur Sie als betroffene Per- Karin Wüthrich naue Aktenkenntnis ist stets Voraus- son haben die Möglichkeit, einen Rechtsanwältin setzung für eine Beratung. Falls Sie Einwand mündlich bei der IV-Stelle Unterstützung durch Procap benöti- zu Protokoll zu geben. Procap emp- gen, teilen Sie uns dies bitte so schnell fiehlt jedoch, Einwände schriftlich wie möglich mit. Nur dann bleibt ge- zu machen. Besondere formelle An- Ich habe von der IV-Stelle nügend Zeit für das Aktenstudium, forderungen bestehen dafür nicht. einen sogenannten Vor- Besprechungen, zusätzliche Abklärun- Der Einwand geht in Briefform an bescheid erhalten. Die IV gen und das rechtzeitige Einreichen die IV-Stelle und muss einen Antrag des Einwandes innerhalb der Frist. mit Begründung enthalten; legen schreibt darin, dass sie Sie also Ihren Standpunkt dar und an das von mir beantrag- Den Vorbescheid einschätzen halten Sie fest, weshalb Sie nicht te Hilfsmittel nur einen Bei Hilfsmitteln sind oft technische einverstanden sind mit dem vorge- Kostenbeitrag leiste, und Punkte strittig. Hier könnte Ihnen sehenen Entscheid. die Person des Hilfsmittellieferan- Falls Sie keinen Einwand erhe- stützt sich dabei auf ten weiterhelfen, welche Sie beim ben, wird die IV-Stelle nach Ablauf interne und externe Ab- Gesuch unterstützt hatte. Fragen der Frist eine Verfügung erlassen, klärungen, von denen ich Sie nach, ob die Fachperson bereit die inhaltlich gleich lautet wie der wäre, den Abklärungsbericht der IV Vorbescheid. Gegen diesen Ent- keine Kenntnis habe. Wie zu lesen und Ihnen eine Rückmel- scheid steht dann nur noch der Ge- gehe ich nun vor? dung zu geben. Es geht zunächst um richtsweg offen, wobei das Be- eine Einschätzung. Bevor Sie Stel- schwerdeverfahren kostenpflichtig Mit dem Vorbescheid informiert Sie lungnahmen oder sogar Expertisen ist und Zeit in Anspruch nehmen die IV-Stelle über einen vorgesehenen einholen, klären Sie unbedingt die wird. Es ist deshalb sinnvoll, stets Entscheid und gibt Ihnen gleichzeitig Kostenfrage ab. Denn die IV hat gegen Vorbescheide zu intervenie- Gelegenheit, sich dazu zu äussern. mit dem Vorbescheid das Abklä- ren, mit denen Sie nicht einverstan- Wichtig ist, schnell auf einen Vorbe- rungsverfahren abgeschlossen und den sind. Benutzen Sie das Ihnen scheid zu reagieren: Es läuft eine Frist kommt in der Regel nicht mehr für eingeräumte Recht auf eine vorheri- von nur 30 Tagen, in der Sie Einwän- zusätzliche Kosten auf. ge Anhörung verbunden mit der de gegen den Vorbescheid erheben Sobald eine Uneinigkeit mit Möglichkeit, sich zum Abklärungs- können. der IV absehbar ist oder das Bedürf- ergebnis zu äussern, weitere Un- Prüfen Sie deshalb den Vorbe- nis nach Rechtsschutz besteht, ist terlagen einzureichen und Anträge scheid unmittelbar nach dem Erhalt. es sinnvoll, Ihren Fall bei Ihrer zu stellen. So vertreten Sie Ihren Wenn die IV-Stelle im Vorbescheid Rechtsschutzversicherung anzu- Standpunkt. Gleichzeitig dient ein auf Abklärungsberichte oder Gutach- melden. Klären Sie ab, ob in Ihrer Einwand der Sachaufklärung und ten hinweist, diese Berichte aber nicht Versicherungspolice eine Beratung der Verständigung. mitschickt, fordern Sie die Akten an. im Sozialversicherungsrecht ge- Wir empfehlen unseren Mit- Als betroffene Person haben Sie das deckt ist. Ein «Rechtsschutz» kann gliedern, sich umgehend nach Erhalt Recht, in Ihr IV-Dossier Einsicht zu auch über die Krankenkasse, die eines Vorbescheides bei der zustän- nehmen. Sie können die Akten tele- Mitgliedschaft bei einem Berufs- digen Beratungsstelle ihrer Procap- fonisch verlangen, auch ohne beson- verband oder etwa über ein Zeit- Sektion zu melden. dere Begründung. Für die Aktenein- schriftenabonnement versichert sein. 13
Fokus Inklusion und Partizipation Carmen Rapold will ihre positive Einstellung und den Willen zu kämpfen an ihre Kinder weitergeben. 14
Inklusion und Partizipation Fokus Mamma mia! Mutter zu sein, ist eine schöne, aber nicht immer leichte Aufgabe. Wenn Mama ein Handicap hat, ist es noch etwas schwieriger. Eine Mutter erzählt, wie sie Betreuung und Beruf trotz ihrer Behinderung auf die Reihe kriegt und so gleichberechtigt am Leben teilnimmt. Text Patrick Du bach Fotos Markus Schneeberger «Bitte hilf mir, die Jacke hochzuziehen», sagt die Mut- sieht sie weniger. Das alles ist für Aussenstehende ter zum Kind. Es ist eine kleine Szene passt aber zum kaum sichtbar, wäre da nicht ihre rechte Hand, die – Alltag von Carmen Rapold und ihrer Tochter Leila. jeweils während einer Aktivität – zu einer Faust ge- Die Mutter bringt dem Mädchen die Jacke, zieht sie ballt ist. ihr an, doch beim Reissverschluss benötigt sie wegen Die zur Faust geballte Hand verkörpert einerseits ihrer Behinderung Hilfe. Mit vereinten Kräften schaf- die Behinderung von Carmen Rapold, andererseits fen es Mutter und Tochter schliesslich, den Reissver- auch das Kämpferische in ihr. Gemeint ist ihr Kampf schluss hochzuziehen. Solche Situationen kommen gegen die IV, gegen die Tücken des Alltags, gegen die im Alltag von Carmen immer wieder vor. alltäglichen kleinen und grossen Hürden, die sie bereits Carmen Rapold ist 31 Jahre alt und aufgrund ei- als Kind nur dank viel Physio- und Ergotherapie ner Hirnverletzung mit einer Behinderung auf die sowie Training teilweise überwinden konnte. Vieles Welt gekommen. Diagnose: spastische Hemiparese musste sie üben, üben und nochmals üben. Einiges ist (Halbseitenlähmung). Betroffen ist die ganze rechte möglich, aber längst nicht alles. So benötigte sie Körperhälfte von Kopf bis Fuss. Die Folgen: Carmens ganze zwei Wochen Übung, um ihr Haar mit einem Berührungsempfindung ist herabgesetzt, ihre Mus- Haargummi zusammenbinden zu können. kulatur ist angespannt und oft verkrampft, und sie Aber auch heute noch ist der Alltag für Carmen kann ihre Hände, besonders die rechte, nur einge- eine Herausforderung und erfordert viel Geduld und schränkt benutzen. Mit ihrem rechten Ohr hört Übung. Sie erzählt, wie sie mit ihrem Partner immer Carmen zudem weniger, und mit ihrem rechten Auge und immer wieder trainieren musste, die Windeln 15
Fokus Inklusion und Partizipation ihrer Tochter zu wechseln. Schon früh übte sie – zu- gerne, dass, wer schwanger werden wolle, einfach in sammen mit Leila – das Anziehen der Hosen. Ihre diese Spielzeugabteilung gehen müsse. Sie möchte Tochter, mittlerweile 20 Monate alt, kann Carmen noch so lange arbeiten, wie es mit ihrer Schwanger- weder lange tragen noch auf die Rutschbahn hoch- schaft gut geht. Und nach dem regulären Mutter- heben. Dazu müsste sie zwei gesunde und starke schaftsurlaub wird Carmen ihre Arbeit wie bis anhin Hände haben. Während andere Mütter locker in der wieder aufnehmen. einen Hand ihr Kind und in der anderen ihre Hand- tasche halten, ist Carmen zum Einkaufen meist mit Das Recht, ein Kind zu haben dem Rucksack unterwegs, damit sie beide Hände frei Viele Frauen mit Behinderungen wünschen sich Kin- hat. Leila muss für diese Zeit in den Buggy. der. Und viele Frauen mit Behinderungen haben be- reits Kinder. Manchmal brauchen sie Unterstützung Miss Independent bei der Erziehung und Versorgung der Kinder. Doch «Zum Glück ist Leila so ein pflegeleichtes Kind», sagt statt Hilfe bekommen sie häufig nur Gründe zu hören, Carmen und streichelt ihrer Tochter liebevoll übers warum sie lieber keine Kinder haben sollten. Dabei Haar. Leila sitzt etwas scheu am Tisch und hat einen ist das Recht auf Elternschaft ein Menschenrecht. Schnuller im Mund, auf dem steht: «Miss Independent». Die Kleine ist tatsächlich schon sehr selbstständig. Trotzdem ist Leila noch zu jung, um zu begreifen, «Du kannst alles, was die dass ihre Mama eine Behinderung hat. «Wenn sie anderen auch können. Du sieht, wie ich die rechte Faust mache, dann denkt sie, dass ich darin ein paar «Guddelis» für sie versteckt brauchst einfach ein bisschen habe», erzählt Carmen. Was Leila auch noch nicht mehr Zeit dafür.» ganz begreift, ist, dass sie schon bald ein Geschwister- chen bekommt. Carmen ist schwanger. Der Geburts- termin ist Anfang Dezember. Manche Frauen brauchen auch nur Rat. So erzählt Carmen, wie eines Tages eine Frau mit einer ähnli- Statt Hilfe bekommen chen Behinderung bei ihr angerufen habe, weil sie Angst hatte, eine Familie zu gründen. Carmen habe Menschen mit Behinderungen ihr dann erzählt, wie anstrengend der Alltag manch- häufig nur Gründe zu hören, mal sei. Dass mit einer Behinderung alles noch mehr Organisation und Arbeit bedeute. Sie habe ihr aber warum sie lieber keine Kinder auch Mut gemacht und gesagt, dass eine solche Mut- haben sollten. terschaft durchaus machbar sei. «Heute hat diese Frau ebenfalls ein Kind», sagt Carmen. Mütter mit Behinderungen können sehr wohl für Zwar gab es wie schon bei der ersten Schwanger- ihre Kinder sorgen. Unterstützung können sie zum schaft Bedenken, dass alles zu viel werden könnte für Beispiel je nach Behinderungsgrad in besonderen Carmen. Nebst ihrer Behinderung ist sie auch von Wohnangeboten oder durch eine Eltern-Assistenz be- Epilepsie betroffen. Carmen nimmt dagegen Medi- kommen. Carmen holt sich Hilfe bei ihrer Familie kamente, ohne die sie – wie sie sagt – nicht leben und der Familie ihres Lebenspartners. So ist Leila könnte. Ihre Eltern hatten auch deswegen anfangs dienstags immer bei den Grosseltern. Einmal in der Bedenken wegen eines zweiten Kindes. Doch ihre Woche kommt der Entlastungsdienst. Dann überneh- Familie und ihr Freund unterstützen sie. men abwechslungsweise zwei Frauen die Arbeiten im Kennengelernt haben sich Carmen und ihr Le- Haushalt und helfen beim Putzen, Wäschemachen benspartner am Heitere Open Air in Zofingen. Er half und anderen Tätigkeiten, die der Alltag so mit sich ihr das Zelt aufzustellen. Als dann ein starker Regen bringt. Und natürlich ist da auch noch die Grosstante kam und sein Zelt unter Wasser stand, kam er zu ihr von Leila. Sie sorgt sich nicht nur liebevoll um das ins Zelt gekrochen. Das war vor zehn Jahren. Heute Mädchen, sondern hilft auch tatkräftig mit. Ohne arbeitet ihr Lebenspartner als Polymechaniker. Car- Familie im Hintergrund wäre jedoch alles viel men selbst, gelernte Detailhandelsangestellte Textil schwerer. Einen Teil der Kosten für den Entlastungs- EBA, arbeitet in einem Teilzeitpensum in einer Coop- dienst ist durch die Ergänzungsleistungen (EL) Filiale in Bern. Dort arbeitet sie in einem Team in der gedeckt. Den Rest übernehmen Carmens Grosseltern. Spielzeugwarenabteilung. Im Moment sind zwei wei- Die Kosten wären zu hoch, als dass Carmen diese tere Mitarbeiterinnen schwanger. Carmen witzelt selbst tragen könnte. 16
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