Olten tanzt Pentsula Seite 6 Adieu Stadtparlament Seite 28 - Jazz in Olten

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Olten tanzt Pentsula Seite 6 Adieu Stadtparlament Seite 28 - Jazz in Olten
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                                            DAS OLTNER STADT-
                                           UND KULTURMAGAZIN
                                            N°68 / November 2015

              JA Z Z            Seite 10

                                                           11

                                                                   9771664 078001

Olten tanzt Pentsula Seite 6
Adieu Stadtparlament Seite 28
Olten tanzt Pentsula Seite 6 Adieu Stadtparlament Seite 28 - Jazz in Olten
Olten tanzt Pentsula Seite 6 Adieu Stadtparlament Seite 28 - Jazz in Olten
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Olten tanzt Pentsula Seite 6 Adieu Stadtparlament Seite 28 - Jazz in Olten
EDITORIAL

                                                                      November 2015

                                       In dieser KOLT-Ausgabe stecken viele Jahre.
                                   Jahrzehnte, um genau zu sein. Zum einen finden
                                    Sie, liebe Leserinnen und Leser, auf Seite 28 ein
                                     ungezwungenes Tischgespräch zwischen KOLT-
                                      Autor, Barchef und (als wäre das nicht genug)
                                  frischgebackenem Ex-Nationalratskandidat Daniel
                               Kissling und zwei Menschen, die zusammengezählt 36
                                      Jahre im Oltner Gemeinderat gesessen haben:
                               Anna Engeler und Roland Rudolf von Rohr sind dieses
                               Jahr beide von ihren Posten zurückgetreten. Während
                                sie sich auf Tanzstunden am Donnerstagabend freut,
                                    geniesst er die neugewonnene Freiheit in Sachen
                                  Ferienplanung. Selbstverständlich drehte sich das
                               Gespräch aber nicht nur um die neuen Möglichkeiten
                                    in Sachen Freizeit. KOLT wollte sich Anekdoten
                                 erzählen lassen, Einschätzungen zum Zustand des
                                Gemeinderats hören und erfahren, was sich über die
                                   letzten Jahre verändert hat im Gemeinderatssaal.

                                   Ein Gemeinschaftswerk ist gewissermassen auch
                                    unsere Titelstory über die Musikrichtung Jazz.
                                  Jazz. Ein grosses Wort. KOLT-Autor Josh Guelmino
                                       begab sich tapfer auf die Reise zum Jazz.
                                Was ist Jazz? So lautete die Frage, der Josh im Oktober
                                nachging. Hilfestellung erhielt unser Schreiberling von
                                Menschen, die eine Ahnung von der Materie haben. So
                                öffnete beispielsweise Christian Gerber für KOLT sein
                                 Fotoarchiv. Die Jazzgeschichte(n) zu den Bildern hat
                                       uns der Fotograf auch gleich mitgeliefert –
                                     lesen Sie sich hinein in den Jazz, auf Seite 10.
                                Ich hoffe, die Geschichte weckt ihre Neugier auf mehr.
                                 Denn das würde sich gut treffen, schliesslich stehen
                                    diesen Monat unter anderem auch die 9. Oltner
                                             Jazztage in der Kulturagenda.

                                                                        Nathalie Bursać
                                                                                                                                                                     Cover fotografiert von Christian Gerber

           IMPRESSUM VERLAG / HERAUSGEBER Verlag 2S GmbH, Leberngasse 17, 4600 Olten, verlag@v2s.ch, www.v2s.ch VERLAGSLEITUNG Yves Stuber (ys),
   REDAKTIONSLEITUNG Nathalie Bursać (nb), redaktion@kolt.ch FINANZEN Matthias Gubler INTERNETAUFTRITT Roger Burkhard LAYOUT / SATZ Christoph Haiderer,
      Gaia Giacomelli REDAKTIONELLE MITARBEIT Kilian Ziegler, Pedro Lenz, Marc Gerber, Daniel Kissling, Caspar Shaller, Ueli Dutka, Joshua Guelmino, Sarah Rüegger
     ILLUSTRATION Petra Bürgisser, Gaia Giacomelli FOTOGRAFIE Irene Loebell, Christian Gerber, Roman Gaigg, Yves Stuber LEKTORAT Mirjam Läubli LESERBRIEFE
 leserbriefe@kolt.ch, www.kolt.ch/leserbriefe AGENDA agenda@kolt.ch, www.kolt.ch/agenda ABO Jahresabonnement CHF 59.—(inkl. MwSt), Gönnerabonnement CHF 99.—
(inkl. MwSt), abo@kolt.ch, www.kolt.ch/abo INSERATE inserate@kolt.ch, www.kolt.ch/inserieren KONTAKT www.kolt.ch, hallo@kolt.ch AUFLAGE 1'800 DRUCK Dietschi AG
       Druck und Medien, Ziegelfeldstrasse 60, CH-4600 Olten. © 2015, Verlag 2S GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung.
                     Die Urheberrechte der Beiträge bleiben beim Verlag. Keine Gewähr für unverlangt eingesandte Manuskripte, Fotos und Illustrationen.

                                                                      KOLT    November 2015        4
Olten tanzt Pentsula Seite 6 Adieu Stadtparlament Seite 28 - Jazz in Olten
INHALT

               6

        Im Gespräch
  Ein Tanzstil hat Venter und
  Teboho aus dem Township
    bis nach Olten gebracht
                                                                                                      GENUSS

       KOLUMNEN                                                                                            26

                                                                                                         Film
               8                                                                               Gemeinschaftswerk über
                                                                                               eine unheimliche Schweiz
            NaRr
   Aus dem Fenster schauen
                                                                                                           27

        Kilian Ziegler                                                                                  Musik
    Ein Verleger hat wieder                                                                   In Langenthal leuchten kleine
     einmal eine gute Idee                                                                      Sterne am Musikhorizont

               9                              10 Reise zum Jazz                                            28
                                   Es gibt einfachere Aufgaben, als die, Jazz zu verstehen.
       Pedro & Petra                KOLT-Autor Josh Guelmino hat sich dennoch gewagt.                  Literatur
Ein Tschugger, ein Mob und eine                                                                      Wie wärs mit
Journalistin treffen aufeinander                                                                  einem Gedichtband

                                                                                                           34
        AUSLAND
                                                                                                 Der Koltige Monat
                                                                                                 Ein kurzer Monat und
              16                                                                               Schwielen an den Händen

           Im Exil
      Menschen aus der
     Region berichten aus
         dem Ausland

                                             28 Der Blick zurück
                                     Zwei, die sich viele Jahre lang für Olten uns seine
                                      Bewohner eingesetzt haben, lassen ihre Zeit im
                                              Stadtparlament Revue passieren.

                                                    KOLT   November 2015   5
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DAS GESPRÄCH

         «90 Minuten reichen, um Schweizern
             den Pantsula beizubringen»
        Alles begann mit einem Schweizer Dokumentarfilm über eine Gruppe von südafrikanischen
              Jugendlichen, deren Leben dank dem Tanzstil Pantsula eine neue Wende nahm.
              Diesen Monat besuchen die beiden Filmprotagonisten Venter Teele Rashaba und
         Teboho «Murder» Moloi Olten, um mit 560 Schülern ihre grosse Leidenschaft zu teilen.

                                                     Interview von Sarah Rüegger Foto von Irene Loebell

V
        enter und Teboho, ihr habt gerade die        für Schulklassen durchführen. Arbeitet ihr            war und grossen Anklang fand. Das hat meinen
        Screening-Touren von «Life in Progress»      auch in Südafrika auf diese Weise?                    Respekt für Irene noch einmal gesteigert.
        in der Schweiz und Südafrika beendet.        Venter: In Südafrika haben wir diese Chance           Venter: Mittlerweile sind wir uns sehr nahe, wir
Hat dieser Film euer Leben verändert?                nicht. Was wir in der Schweiz machen, ist das,        kennen und verstehen uns. Sie ist eine Town-
Venter: Bevor der Film herauskam, war ich ein-       was wir uns für unser Land wünschen würden.           ship-Lady.
fach nur müde. Ich versuchte, voran zu kommen,       Daheim sind wir arbeitslos. Ich lehre zwar auch       Teboho: Ich habe ihr kürzlich ein Paar Converse
doch alles fiel immer wieder in sich zusammen,       hier Jugendlichen Pantsula, die Arbeit erhält         Allstars-Turnschuhe gekauft (lacht). Allstars sind
was man auch in «Life in Progress» sehen kann.       aber weniger Wertschätzung.                           die besten Schuhe, um Pantsula zu tanzen – das
Der Film erinnert mich daran, dass ich nicht                                                               sollten unsere Schweizer Schüler wissen!
mehr dorthin zurück will. Er gibt mir Kraft.         Wie schwer ist es, den Schweizern
Teboho: Das Leben, das wir davor hatten und          Pantsula beizubringen?                                Wenn ihr nach dieser Workshop-Tour nach
jenes, das wir nun leben, sind total verschieden.    Venter: Man hatte uns gewarnt, dass die Schwei-       Südafrika zurückkehrt, was sind eure
Und «Life in Progress» hat nicht nur unsere Le-      zer nicht tanzen könnten. Doch wir merkten            weiteren Pläne?
ben verändert. Der Film inspiriert die jungen        schnell, dass dies nicht wahr ist. Die Schweizer      Venter: Ich will weiterhin versuchen, ein Stu-
Leute hier in Johannesburg, ihr Leben selbst in      lernen sehr schnell, sogar eher schneller als Süd-    dium zu beginnen. Ich will Qualifikationen er-
die Hand zu nehmen.                                  afrikaner. Das hatten wir nicht erwartet. Um in       langen, möchte Lehrer werden.
                                                                                                           Teboho: Mein Traum wäre es, eine grosse Pant-
Ihr wart während eurer Promo-Tour das erste                                                                sula-Produktion aufzuziehen, in welcher Schüler
Mal in der Schweiz. Was bedeutete diese Reise
für euch?
                                                                 «Was wir in                               aus Südafrika und der Schweiz zusammen tan-
                                                                                                           zen und damit auch ausserhalb unserer Län-
Teboho: Die Reise in die Schweiz hat mir so viele          der Schweiz machen,                             der touren. Die Show soll zeigen, dass nicht nur
Ideen gegeben, was ich hier in Südafrika machen                                                            schwarze Menschen Pantsula tanzen können,
könnte. Gerade, was das Tanzen betrifft, aber
                                                            ist das, was wir uns                           und sie soll dafür sorgen, dass die ganze Welt
auch den Lifestyle, den Menschen dort leben.                    für unser Land                             diesen Tanz kennenlernt.
Ich kann Dinge verändern, kann versuchen, zu
leben, wie es die Menschen in der Schweiz tun.             wünschen würden.»                               Das Interview erfolgte zwischen der
                                                                                                           Schweiz und Johannesburg über Skype.
In welchem Sinne?
Teboho: Hier in Südafrika beklagen wir uns bei-
spielsweise ständig, dass wir keine Arbeit finden.   Südafrika jemandem Pantsula beizubringen,
Wir klagen, anstatt zu versuchen, etwas zu än-       brauchen wir eine Woche. In der Schweiz rei-          Venter Teele Rashaba (25) und Teboho
dern. In der Schweiz habe ich so etwas nicht ge-     chen 90 Minuten.                                      «Murder» Moloi (29) sind zwei der Protagonisten
hört. Sogar wenn die Leute studieren, arbeiten                                                             des Doks «Life in Progress» (2014) der Zürcher
sie noch nebenbei, um etwas Geld zu verdienen.       Ihr seid noch immer sehr viel mit der Regisseurin     Regisseurin Irene Loebell. Vier Jahre lang begleitete
Venter: Die Schweiz ist eine total andere Welt,      Irene Loebell unterwegs, sie unterstützt euch         sie die Mitglieder der Pantsula-Tanzgruppe TAXIDO
ein privilegierte Welt. Natürlich haben die          auch bei der Workshop-Tour in der Schweiz.            in der Township Katlehong, rund 30 Kilometer von
Schweizer von Geburt an ganz andere Möglich-         Was ist Irene heute für euch?                         Johannesburg entfernt. Venter und Teboho werden
keiten. Was mir aber Eindruck gemacht hat, ist       Venter: Für mich ist sie Mutter- und Vaterfigur.      diesen Herbst in der Deutschschweiz Pantsula-
die Selbstdisziplin der Menschen. Die fehlt uns.     Sie und der Film haben mich als Persönlichkeit        Workshops an Schulen leiten.
Seit ich aus der Schweiz zurück bin, bin ich im-     weitergebracht.
mer pünktlich. Und: Die Leute in der Schweiz         Teboho: Ehrlich gesagt hätte ich nie gedacht,         Screening «Life in Progress»
sparen Geld für die Zukunft. So etwas kennen         welchen Effekt der Film haben würde. Als wir          Sonntag, 15.11.15, 16h, Capitol Kino Bühne
wir nicht. Wenn Geld da ist, geben wir es aus.       mit der Kamera in der Township unterwegs wa-
                                                     ren, war dies für uns eher ein Spiel. Wir taten so,   Pantsula-Flashmobs an den Oltner Tanztagen
Ihr werdet in der Schweiz unter anderem im           als würden wir nun berühmt – nur um später he-        Freitag, 20.11.15, 12h, Vor dem Hotel Arte
Rahmen der Oltner Tanztage Pantsula-Workshops        rauszufinden, dass der Film grossartig geworden       Samstag, 21.11.15, 15h, In der Kirchgasse

                                                                   KOLT   November 2015   6
Olten tanzt Pentsula Seite 6 Adieu Stadtparlament Seite 28 - Jazz in Olten
KOLT   November 2015   7
Olten tanzt Pentsula Seite 6 Adieu Stadtparlament Seite 28 - Jazz in Olten
NaRr                                                                        KILIAN ZIEGLER

         von Isabella Kettl

                                                                Ich, das Megatalent
Doch schön,
so sagen sie,
                                            M
                                                       ein Verleger hatte mich zu einer Castings-   diert, verdiene mein Geld mit bezüglich ihrer Qua-
sind Blumen                                            how angemeldet. Natürlich hatte er mich
                                                       gefragt, ob ich das überhaupt wolle. Lei-
                                                                                                    lität schwankenden Wortspielen und mein erfolg-
                                                                                                    reichster Text handelt von Alpakas. Verdammt, ich
  trotzdem                                  der erst, nachdem er mir im Fernsehstudio die Au-       bin keiner von ihnen!», dachte ich und sagte: «Alles
                                            genbinde abgenommen und «Überraschung» ge-              klar, Herr Kommissar.»
                                            rufen hatte. «Spinnst du? Vergiss es!» «Vertrag ist          So betrat ich die Bühne, bereit, mein Talent
   Irgendwann hat der Mensch                Vertrag, sorry.» Mein Verleger und seine Ideen.         zu offenbaren: «Kennste? Was ist der Unterschied
    entschieden, dass Blumen                So stand ich in diesem miefigen Provinzstudio und       zwischen einem neoliberalem Milk-Shake und ei-
 etwas Schönes seien. Niemand               war davor, bei «Tele Torpedo sucht das Megatalent»      nem...» Möööp! Die Juroren drückten beinahe
 stellt das in Frage, nicht einmal          aufzutreten. Origineller Titel, fürwahr. Eine weite-    gleichzeitig ihren Abwähl-Button. «Aber ich hab
   die Allergiker. Sie schneuzen            re Produktion, die den Rang des Talents überbeton-      doch kaum begonnen...» «Wenn du immer an dich
   und niessen und reiben sich              te und den Eindruck erweckte, dass man das gewis-       glaubst, kannst du irgendwann wirklich lustig wer-
    die Augen und mögen das                 se Etwas nun mal hat oder eben nicht. (Üben, um         den» (Miss Schwarzbubenland). «Tut mir leid, aber
     alles mühsam finden und                richtig gut zu werden? Gott                                                   du bist kacke» (Mister Peda-
    sich verkriechen, wenn die              bewahre!) Bald würde ich vor                                                  lo). «Das habe ich vorausgese-
  Pollen tanzen. Sie mögen die              der Jury stehen, also vor der      «Bald würde ich vor der                    hen!» (Mike Shiva).
 Fensterläden schliessen, grosse            amtierenden Miss Schwarz-                                                              Was glaubten die,
  Sonnenbrillen tragen und sich             bubenland, dem Schweizer-            Jury stehen, also vor                    wer sie waren? «Ich bin
kleine Papiernastuch-Kügelchen              meister im Pedalofahren und         der amtierenden Miss                      Künstler!», schrie ich, «ein
in die Nase stecken, doch schön,            – dem Star der Juroren – Mike                                                 echter Künstler! Diesen Kom-
     so sagen sie, sind Blumen              Shiva. Kurzum: die Jury ver-
                                                                                 Schwarzbubenland,                        merz-Müll habe ich nicht nö-
             trotzdem.                      einte genau die richtigen Per-      dem Schweizermeister                      tig! Keine Ahnung habt ihr!
                                            sonen, um zu beurteilen, was                                                  Ich bin ein Talent! Meine Fans
   Schönheit ist eine eigene                künstlerisch wertvoll sei.
                                                                               im Pedalofahren und –                      lieben mich!» Während ich
Kategorie. Was schön ist, muss                  Vor mir war ein Achtjäh-       dem Star der Juroren –                     gestenreich mit Ausrufezei-
nicht nützen und nicht helfen.              riger an der Reihe, sein Ta-
                                                                                     Mike Shiva.»                         chen um mich warf, zerrte
Was schön ist, muss auch nicht              lent: Yatzi-Spielen. Er würfel-                                               mich mein Verleger von der
gut sein. Was schön ist, gefällt.           te ein Viererpaar und die Jury                                                Bühne. «Ziegler, wie soll ich
Auch Qualvolles kann gefallen.              applaudierte, als hätte der reinkarnierte Michael       jetzt bloss meine Kinder ernähren?» «Du hast doch
  Auch Gefährliches kann uns                Jackson gerade an einer Steiner-Schule seinen Na-       gar keine Kinder?!» «Nicht mehr. Alle verhungert.»
 gefallen. Auch Dummes kann                 men gemoonwalkt. Der Junge qualifizierte sich für       «Haha, unglaublich lustig. Apropos hungern, lass
 gefallen. Auch der Gedanke,                die nächste Runde, bald würde ich es ihm gleich-        uns was essen gehen.» Mein Verleger nickte. «Ma-
  dass es uns besser geht, als              tun. Eigentlich wollte ich einen meiner Texte vorle-    chen wir, aber zunächst bestreitest du den Talent-
 anderen, kann gefallen. Auch               sen, doch mein Verleger hatte mir einen Comedy-af-      wettbewerb in Dulliken. Davon habe ich dir erzählt,
welke Blätter können gefallen,              finen Approach (seine Worte) nahegelegt. «Ich bin       oder?»
wenn sie fallen, im Herbst, und             Slam Poet, kennste? Kennste, Slam Poet?», irgend-
         es kälter wird.                    was in dieser Art. Kurz vor meinem Auftritt nahm        Eine gute Zeit
                                            mich mein Verleger zur Seite: «Solche Shows gewin-      La vache Kili
Isabella Kettl (*1990) lebt und studiert    nen meistens Kinder mit Jö-Effekt. Ziegler, du bist
in Salzburg und schreibt, u.a. fürs Narr.   nicht niedlich, das musst du kompensieren. Das Pu-      PS: Vor ein paar Wochen habe ich tatsächlich eine
                                            blikum muss spüren, dass du einer von ihnen bist!»      persönliche Einladung für «Die grössten Schweizer
          www.dasnarr.ch                    «Ich habe zweiundzwanzig Semester Soziologie stu-       Talente» erhalten. Was ich dazu sagte? Ab.

                                                                                           Ihre Firma setzt doch
                                                                                           auch sonst auf Profis.
                                                                                                                      Ihr Weihnachtsessen
                                                                                                                     im Restaurant Aarhof.
                                                                                                                          Jetzt reservieren!
                                                               KOLT   November 2015   8               Frohburgstrasse 2 – 4600 Olten
                                                                                Tel 062 212 88 62 – info@aarhof.ch – www.aarhof.ch
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PEDRO & PETRA

                                              Wie in der
                                        biblischen Geschichte
von Pedro Lenz (Text)
und Petra Bürgisser (Illustration)

E
       r habe Angst gehabt, hat er                                                          zu beten, dass sie ihn nicht totschla-
       erzählt, einfach nur Angst,                                                          gen. Doch bevor es losgegangen
       grosse, schwere, lähmende                                                            sei, habe die Journalistin mit einer
Angst. Aber dann sei da noch diese                                                          Handkamera zu filmen angefangen.
Journalistin gewesen. Sie habe an                                                           Sie soll aufhören, hätte die Meute
der genau gleichen Ecke den genau                                                           ihr zugerufen. Nein, sie höre nicht
gleichen Fehler gemacht. Irgendwie                                                          auf, sie wolle jetzt filmen, wie zwei
den Rückzug verpasst oder den Vor-                                                          Dutzend Typen einen einzelnen
stoss, er wisse es nicht mehr. Dafür                                                        Mann und eine einzelne Frau nie-
erinnere er sich noch an die Angst                                                          derschlagen, habe sie gesagt.
und daran, wie er in seiner Angst                                                                   Sie soll verschwinden, sonst
noch bemerkt habe, dass er nicht                                                            komme sie genau so dran wie der
alleine war. Auf jeden Fall waren sie                                                       Dreckstschugger, habe hierauf einer
plötzlich eingekesselt. Die gewalt-                                                         gedroht. Aber die Frau habe einfach
tätigsten unter den Demonstranten                                                           weitergefilmt, ruhig, furchtlos, kon-
hätten Steinschleudern und Eisen-                                                           zentriert. Ob sie schon abgemacht
stangen dabei gehabt. Natürlich                                                             hätten, wer als erster dreinschlage,
trage er bei solchen Einsätzen den                                                          fragte sie und erklärte, dass sie froh
Helm, einen Schulterpanzer und das                                                          wäre, es zu wissen, um die Szene gut
Schutzschild, aber allein und umla-                                                         aufnehmen zu können.
gert von einer Meute kampflustiger                                                          Wieso dann keiner angefangen
Jungmänner, dazu noch in einer                                                              habe, dreinzuschlagen, wisse er
dunklen Seitengasse, da nütze die-                 «Auf einmal                              selbst nicht recht. Vielleicht sei es
ser Schutz herzlich wenig.                                                     das gleiche psychologische Phänomen, wie bei
     Man denke in solchen Augenblicken viel-      habe sich die                jener biblischen Geschichte, wo es heisst, wer
leicht noch kurz an Berichte von Polizisten,
die irgendwo zu Krüppeln geschlagen worden        Meute einfach                ohne Schuld sei, werfe den ersten Stein.
                                                                                   Auf einmal habe sich die Meute einfach auf-
waren. Aber solche Dinge geschähen meist im
Ausland. Und er sei ja zuhause gewesen, in sei-
                                                   aufgelöst. Er               gelöst. Er habe es fast nicht glauben können.
                                                                               Zunächst sei er sogar so überrascht gewesen,
ner Stadt, da wo er seit vielen Jahren seinen
Dienst verrichte.
                                                   habe es fast                dass er vergessen habe, wegzulaufen. Danach sei
                                                                               eine gespenstische Ruhe eingekehrt. Der Rauch
     Wenn einer anfängt dreinzuschlagen, ist
der Bann gebrochen, sei es ihm durch den Kopf
                                                  nicht glauben                und der Lärm hätten sich einfach verzogen. Nur
                                                                               seine Angst, die habe länger gebraucht, um sich
gegangen. Dann bleibe ihm nichts mehr übrig als     können.»                   zu verziehen, wesentlich länger.

                                                    KOLT   November 2015   9
Olten tanzt Pentsula Seite 6 Adieu Stadtparlament Seite 28 - Jazz in Olten
KOLT   November 2015   10
Wo beginnen, wenn man nichts von Jazz versteht und dies doch gerne
 würde? Olten hat Jazz vor der Haustür. Und dies nicht nur während
 der Jazztage, die diesen Monat zum 9. Mal stattfinden. KOLT-Autor
Josh Guelmino ist in den Jazz eingetaucht und traf dabei nicht nur auf
  viele kleine Geschichten, sondern auch auf Szene-Kenner wie den
 Fotografen und Mitbegründer der Oltner Jazztage Christian Gerber
       oder die beiden Musiker Thierry Kuster und Simon Spiess.

                             KOLT   November 2015   11
Jazz – Ein
                              Annäherungs-
                                 versuch
               Nervöses Geklimper und Gezupfe, Getröte ohne Struktur und ein
               Publikum aus Anzugträgern mit Aktentaschen in der Lobby eines
              5-Sterne-Hotels. Dieses Bild von Jazz brannte sich mir im Laufe der
                   Jahre ins Unterbewusstsein und hielt sich dort hartnäckig.

                                                                  Text von Joshua Guelmino
                                                          Fotos und Anekdoten von Christian Gerber

                                                           «Das Publikum
                                                           ist meist durch-
             inige Male habe ich versucht, es aus         mischt, aber ganz                               Als nächstes wollte ich wissen, welche
             meinem Kopf zu verbannen, doch
             mehr als ein bis zwei Songs in Folge
                                                            grundsätzlich                                 Geschichte sich hinter Jazz verbirgt. Also habe
                                                                                                          ich mich auf eine Reise durch die Weiten des
             vermochte ich mir nicht anzutun.
             Mir fehlte es beim Jazz an Struktur,
                                                          sind es doch eher                               World Wide Webs begeben und versucht, dem
                                                                                                          Jazz auf die Spur zu kommen. Grossvater des
             an Wiedererkennungswert, an
             einer eingängigen Melodie, an die
                                                             ältere Leute»                                Jazz war wohl die Marschmusik des späten 19.
                                                                                                          Jahrhunderts. Daraus entwickelten sich mittels
ich mich klammern konnte. Jazz erschien mir                                                               Improvisationselementen die frühen Formen des
wie eine lose Abfolge von Tönen, eine einzige
                                                                      Thierry Kuster                      New Orleans Jazz und Dixieland. Im Laufe der
Anarchie. Das machte mich – ein seit meiner                                                               Jahre behaupteten viele Musiker, «Erfinder» des
Kindheit Popgeschädigter – anfangs völlig                                                                 Jazz zu sein. Doch als Geburtshelfer wird oftmals
fertig. Doch nach ermutigenden Gesprächen                                                                 der Kornettist Buddy Bolden aus New Orleans
mit Christian Gerber, Simon Spiess und Thierry       Saxophonist Simon Spiess während unseres             genannt. Von Boldens Spiel existieren leider
Kuster lichtete sich der dichte Wald von             Gesprächs im Caffè Spettacolo am Bahnhof Olten       keine Aufnahmen, doch Augenzeugenberichte
Improvisationen und scheinbar wirren Klängen.        wunderbar zusammen.                                  beschreiben seinen Stil als dem Jazz am nächsten.
Ich habe festgestellt, dass auch das offene, wilde                                                        Allgemeinhin ist sich die Fachwelt einig, dass
Jazz-Genre eine gewisse Struktur aufweist. Diese     Der Bezug ist also hergestellt, und ich bemerke      Jazz in New Orleans geboren wurde und in
springt einem bloss nicht sofort ins Auge, wie es    erstaunt: Ich bin ein wenig angetan von den          New York und Chicago aufwuchs. Das Genre
bei anderen Musikrichtungen der Fall ist. Man        vollen Saxophonklängen und vibrierenden              ist Schmelztiegel vieler Gegensätze und wurde
muss Jazz verstehen und fühlen, damit man ihn        Basssaiten. Fast schon bereue ich es, damals         von Weissen wie auch Schwarzen gespielt,
hören kann. Jazz ist ein Erlebnis. «Man muss den     vor 18 Jahren das Sax an den Nagel gehängt           wobei die schwarze Bevölkerung der USA im 20.
Geist offen halten und nicht gleich abschalten,      zu haben. Obwohl es damals während meiner            Jahrhundert die Offenheit des Jazz massgeblich
wenn es einem etwas schräg vorkommt. Geduld          Proben oftmals tönte, als biege ein Dampfschiff      prägte. Die Befreiung aus der Sklaverei und das
ist wichtig – und am besten ist immer noch           um die Ecke, hätte aus mir ja vielleicht doch noch   damit neu gewonnene Freiheitsgefühl waren
das Live-Erlebnis», fasst es der Aarburger           ein kleiner John Coltrane werden können.             wohl wegweisend für diese Entwicklung.

                                                                  KOLT   November 2015   12
Shepp Archie , Newport '68

                                                       «Man muss den
                                                     Geist offen halten,
Der Jazz schaffte es in den 20er-Jahren in die         und nicht gleich                              älteren Zuhören aufgesucht wurde.
Nachtclubs der Grossstädte, und mit Louis
Armstrong war der «Hot Jazz» geboren. Die 30er-
                                                   abschalten, wenn es                               «Das Publikum ist meist durchmischt, aber ganz
                                                                                                     grundsätzlich sind es doch eher ältere Leute»,
und frühen 40er-Jahre gehörten dem Swing rund
um den «King of Swing» Benny Goodman. Dizzy
                                                    einem etwas schräg                               bestätigt Thierry Kuster meinen Eindruck.
                                                                                                     Anscheinend ist eine gewisse geistige Reife beim
Gillespie und Charlie Parker revolutionierten
den Jazz anfangs der 40er-Jahre mit ihren
                                                     vorkommt. Geduld                                Hören von Jazz von Vorteil: Reife in dem Sinn,
                                                                                                     dass man sich die Zeit nimmt, Musik bewusst zu
Jamsessions und Solos und gründeten das             ist wichtig – und am                             erleben und zu fühlen. Vor allem in einer Zeit,
wilde, oft zügellose Bebop-Genre. Dave Brubeck                                                       in der Musik ein Fast-Food-Konsumgut geworden
prägte in den Fünfzigern mit dem «Cool Jazz»       besten ist immer noch                             ist, wovon man sich jederzeit und überall
wieder einen ruhigeren und massentauglicheren
Gegenpol zum wilden Bebop. Miles Davis, John         das Live-Erlebnis»                              im Hintergrund berieseln lassen kann, ist es
                                                                                                     schwierig, eine solche Reife zu entwickeln.
Coltrane und viele andere störten sich aber an
der zu klassisch und europäisch wirkenden                         Simon Spiess                       Gibt man sich jedoch hin, werden Geklimper,
Entwicklung in Richtung «Cool Jazz» und                                                              Gezupfe und Getröte zu wunderbaren Melodien,
boten mit dem «Hard Bop» wieder einen                                                                die einem einerseits zum Träumen einladen,
blueslastigeren, afro-amerikanischeren Stil.                                                         aber auch das Tanzbein zum Zucken bringen.
Über «Free Jazz» entwickelte sich der «Fusion-    Persönlichkeiten sowie die eindrücklichen Bilder
Jazz» der 70er-Jahre mit Herbie Hancock als       von Christian Gerber bewegten mich dazu, im        Ich habe in den letzten Tagen einen kleinen
grossem Aushängeschild. Synthesizer und           Vario den smoothen Klängen des Kanadiers Alex      Einblick in die Welt des Jazz erhalten, einige
elektrische Bässe hielten Einzug in den Jazz.     Maksymiw zu lauschen.                              Playlists auf Spotify abonniert sowie ein Konzert
                                                  Nach meinem Konzertbesuch wehrte sich noch         besucht. Die Vielfältigkeit und Offenheit dieses
Nach dieser ausgedehnten Recherche hatte          ein einziges Vorurteil hartnäckig dagegen,         Genres gefällt mir sehr, und ich werde ihn
mich der Jazz völlig in seinen Händen. Seine      zerstört zu werden. Was mir im Vario auffiel,        Zukunft wohl das eine oder andere Jazzkonzert
Entwicklung, die Lebensgeschichten dieser Jazz-   war, dass das Konzert zu einem grossen Teil von    in der Region besuchen.

                                                               KOLT   November 2015   13
Den
                             Jazz im
                             Sucher
Der Fotograf Christian Gerber ist Mitbegründer der Oltner
Jazztage und Chronist der internationalen Jazzszene. Nicht
nur in seiner Heimatstadt, sondern auf der ganzen Welt hat
  er Jazzlegenden auf und hinter der Bühne abgelichtet.
                                                                                                  Christian Gerber (71),
                                                                                                  der gebürtige Oltner lebt
                                                                                                  und arbeitet in Locarno.
                                                                                                                                                «Die Besitzer des
                                                                                                                                                 Circolo kochten
      ch war damals Gründungsmitglied            und internationale Künstler ins Circolo        innerung bleiben mir auch die ersten Jazz-
                                                                                                                                                 jeweils vor den
      des Vereins «Jazz in Olten» und Mit-       Hagberg gelockt hatte. Um von Geldern aus      tage im Jahr 1998 in der Schützi. Wir haben      Konzerten, und
      initiator der 1. und 2. Oltner Jazztage.   Kuratorium und Lotteriefonds profitieren       uns damals vielleicht etwas übernommen
      In Olten bestand bereits seit längerer     zu können, gründeten wir 1988 den Verein       und die Organisation war schon etwas hap-         wir assen alle
      Zeit die Tradition, Jazz-Musikern eine     «Jazz in Olten». Die ersten Jazztage fanden    pig. Am Schluss gab es für die Besucher fünf
Bühne zur Verfügung zu stellen. Schon in         im selben Jahr an verschiedenen Stätten in     Tage Jazz. Die zweiten Jazztage im Jahr 2000
i
den 50er-Jahren gab es verschiedene Initi-
ativen, in Olten einen Jazzclub zu gründen.
                                                 der Stadt Olten statt. Während meiner Zeit
                                                 als Mitorganisator gab es viele schöne Mo-
                                                                                                waren dann noch einmal grösser in Bezug
                                                                                                auf das Programm und das Budget. Grund
                                                                                                                                                  zusammen am
                                                                                                                                                   selben Tisch.
Doch die Clubs bestanden jeweils immer           mente, und die Nächte im Circolo waren für     dafür war natürlich die grosse Anzahl an
nur für einige wenige Jahre. Konkret wurde       mich jedes Mal ein Highlight. Weil das Lo-     internationalen Musikern wie etwa Benny           Alles war sehr
es erst im Jahr 1988 mit meinen Freunden         kal ziemlich klein war, entstand eine ganz     Golson, die auf das Budget drückten. Oder
Jakob Hug, Fredi Eiholzer und Alex Schnel-       spezielle, intime Atmosphäre, die man in       etwa auch die Tatsache, dass wir vor dem       ungezwungen und
ler. In Zusammenarbeit mit der «Associa-         grossen Konzerthallen nicht fand. Die Besit-   National zusätzlich eine Bühne aufgebaut
zone Ricreativo Circolo Hagberg» begannen        zer des Circolo kochten jeweils vor den Kon-   hatten, damit einige Musiker ihren Gig un-      dadurch für mich
wir, regelmässig Jazz-Konzerte in Olten zu       zerten, und wir assen alle zusammen am         ter freiem Himmel spielen konnten.
organisieren. Mit Jakob Hug hatten wir je-       selben Tisch. Alles war sehr ungezwungen
                                                                                                                                                sehr spannend.»
manden in der Gruppe, der sich in der Jazz-      und dadurch für mich sehr spannend. Die
Szene bestens auskannte und bis bereits          Musiker schätzten das Interesse und diese
zuvor immer wieder regionale, nationale          spezielle Atmosphäre ebenfalls. In guter Er-
Miles Davies, Montreux '73
Wir Fotografen mussten während
des Konzerts extrem lange warten,
bis wir ein gutes Bild von Miles
schiessen konnten, weil er immer mit
dem Rücken zum Publikum spielte.
Viele empfanden das als arrogant,
doch es galt die Meinung, dass
Miles so besser mit seinen Mitmu-
sikern kommunizieren konnte. Das
Bild zeigt ihn in einem der seltenen
Momente, in denen er sich Publikum
und Kameras zuwandte.
Nach dem Konzert fragte mich
Claude Nobs, ob ich ein Foto von
Miles schiessen könne, während er
einen Preis erhält. Ich sagte natürlich
zu und packte sofort meine Pentax,
eine ziemlich einfache Ausrüstung,
und wollte loseilen. Da fragte mich
Nobs ungläubig: «Willst du etwa
damit die Fotos machen?»

Der Jazz-Star Davis wollte nicht
ein riesiges Theater auf der Bühne,
sondern nahm den Preis im Keller
entgegen. Als ich in den Raum trat,
sass Miles lässig, mit Sonnenbrille
auf dem Kopf und einem chick auf
dem Schoss, auf einem Sofa und
betrachtete abschätzig die Trophäe.
Diese groteske Situation machte es
für mich unmöglich, ein brauchbares
Foto der «grossen Preisübergabe»
zu schiessen.
Dizzy Gillespie, Newport '67
                                                                              Dizzy hat mich damals in die
                                                                              Welt des Bebops geführt. Von
                                                                              Bill Haley und Elvis über New
                Joony Booth, Newport '68
                                                                              Orleans Jazz und Dixieland bin
                Dieses Bild, am Newport
                                                                              ich in den Bebop gerutscht. Die
                Jazzfestival 1968 aufgenommen,
                                                                              Beboper waren damals wie Revo-
                hat mich in der Entscheidung
                                                                              luzzer, die den Wechsel vom tradi-
                Fotograf zu werden, bestärkt.
                                                                              tionellen Jazz des Louis Armstrong,
                                                                              Benny Goodman und Co. zum
                                                                              modernen Jazz mit Dizzy oder
                                                                              etwa Charlie Parker bewirkten.

KOLT
November 2015
                                   Hampton Hawes,              David Murray, Olten '96

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                                   Montreux '71                Murray luden wir nach Olten in den Saal des Hotels
                                   Hampton war eine            Arte ein, weil das Circolo für ein solches Konzert zu
                                   tragische Figur der Jazz-   klein war. Zuerst dachten wir an die Färbi als Veranstal-
                                   Szene. Er war ein Talent    tungsort, doch kamen wir dann zum Schluss, dass die
                                   in der Bebop-Szene, ehe     Färbi nicht für das Jazz-Publikum geeignet war.
                                   er mit Drogen abstürzte.
                                   Mitte der 60er-Jahre
                                   schaffte er es dann,
                                   clean zu werden, doch
                                   spielte keine Konzerte
                                   mehr in Europa – bis auf
                                   eine Ausnahme. 1973
                                   trat er mit einem Trio in
                                   Montreux zu einem sehr
                                   emotionalen Konzert
                                   an. Dort entstand auch
                                   dieses Foto.
Terry Clark, Olten '01
                                                                                              Der Auftritt von Clark Terry war ein Reminder an die Oltner
                                                                                              Jazztage, die nur alle zwei Jahre stattfinden. Der Schweizer
                                                                                              Saxophonist George Robert war für lange Zeit in den USA
                                                                                              und tourte mit Terry durch Europa. Eines Tages meldete er sich
                                                                                              bei uns und fragte, ob es möglich wäre, in Olten aufzutreten
                                                                                              und zwar am Samstag in einem Sextett und am Sonntag
                                                                                              mit der Umbi Arlatis Rehearsal Big Band – mit Oltner und
                                                                                              weiteren bekannten Schweizer Musikern sowie Clark Terry
                                                                                              als Solist. Am Schluss des Gigs ging er in den Trompetensatz
                                                                                              und spielte mit den Amateuren zusammen. Michael Neu-
                                                                                              enschwander musste ihn dann wieder nach vorne geleiten,
                                                                                              da er aufgrund seiner Diabeteskrankheit kaum noch sehen
                                                                                              konnte. Terry faszinierte mich als Mensch. Und er war ein
                                                                                              wegweisender Trompeter, der die Modellierung des Tons mit
                                                                                              Hilfe der Lippen prägte und unter anderen auch Miles Davis
                                                                                              beeinflusste.

                                                   Frank Zappa, Wetzikon '75
                                                   Zappa war ein richtiger Freak aus der
                                                   Hippie-Zeit, der einen Mix aus Rock
                                                   und verschiedenen Jazz-Elementen
                                                   spielte. Bereits 1971 befand er sich in

KOLT
                                                   Montreux. Damals brannte das Casino,
                                                   wo das Konzert stattfand, jedoch ab.
                                                   Deep Purple war im Publikum und die
                                                   Stones liehen Zappa daraufhin ihren Bus.

November 2015
                                                   Das Foto entstand während des Sound-

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                                                   checks in Wetzikon. Am Abend während
                                                   des Konzerts verunmöglichten die vielen
                                                   nervösen Lichter eine Aufnahme.

                               Michel Besson,
                             Madagaskar '95
                      Besson und ich befanden
                    uns im Auftrag des Bundes-
                    amtes für Umwelt Wald und
                Landschaft (BUWaL) mit Patent
                     Ochsner auf einer Tournee
                   in Madagaskar. Besson war
                nicht der typische Jazzer, seine
                Musik hatte viele Elemente von
                 Jazz und Volksmusik. Das Foto
                      zeigt ihn auf einem seiner
                      Abstecher unter die Leute.
                  Es war unglaublich zu sehen,
                   wie sich Jung und Alt um ihn
                  scharten, während er mit sei-
                        nem Akkordeon spielte.
Acht Dinge über
Jazz, die du wohl
noch nicht
gewusst hast.

#1                                                                     #3
Das Wort «Jazz» hat keine                                              Dizzy Gillespie war ein
wirklich tiefere Bedeutung                                             begnadeter Trompetenspieler
oder Herkunft. Vielmehr stand                                          und eine faszinierende
es ursprünglich für Verrucht-
heit und Sex. So bedeutete
                                   #2                                  Persönlichkeit. Aber was ihn
                                                                       zudem auszeichnete, war
zum Beispiel «jazzing», mit        Jazz ohne Saxophon kann             der verbogene Becher an
jemandem Sex zu haben. Ein         man sich heute eigentlich kaum      seiner Trompete. Um das
«Jazzbo» war ein Liebhaber         noch vorstellen. Tatsächlich        markante Instrument ranken
und ein «Jazz baby» eine Frau,     fand das ursprünglich aus Bel-      sich unzählige Geschichten.
die man leicht rumkriegt. Für      gien stammende Instrument erst      Man erzählt sich, Dizzy habe
viele Musiker steht das Wort       in den 20er-Jahren seinen Platz     einmal in der Badewanne das
aber für Befreiung, Freiheit und   im Jazz-Zirkus. Die Brüder der      Trompetenspielen geübt, sei
Improvisation, was wohl an der     Six Brown Brothers verhalfen        dann ausgerutscht und auf die
Offenheit und dem Ursprung         dem Saxophon schlussendlich         Trompete gefallen. Seither sei
des Genres liegt.                  zum Durchbruch.                     der Becher so verbogen.

                                           KOLT   November 2015   18
#6
                                                                        Pannonica de Koenigswarter,
                                                                        besser bekannt als Bebop oder
                                                                        Jazz-Baroness, war eine ge-
                                                                        borene Rothschild, die in New
                                                                        York über 300 Jazz-Musiker
                                                                        in ihrem Appartement wohnen
                                                                        liess. Sie fragte die Musiker
                                                                        nach ihren drei grössten
                                                                        Wünschen und fotografierte
                                                                        sie in alltäglichen Situationen,
                                                                        fernab von der Bühne. Ihre
                                                                        gesammelten Wünsche und

                                    #4                                  Fotos wurden von ihrer Gross-
                                                                        nichte veröffentlicht. Sie galt als
                                    Jazz wird allgemeinhin als          grosse Förderin des Jazz und
                                    elitär und leicht snobig            unterstützte die Musiker, wo sie
                                    empfunden. Die Wurzeln des          nur konnte. Viele behaupten,
                                    Jazz liegen aber jenseits der       der moderne Jazz hätte nie
#3.1                                Lebenswelt der gutbetuchten         eine solche Entwicklung durch-
                                    und feinen Leute. Das Genre         laufen, wenn die Baroness
Eine andere Geschichte zu
                                    entwickelte sich in der unter-      nicht gewesen wäre.
Dizzys verbogenem Becher
                                    drückten schwarzen Gemeinde
lautet folgendermassen: Ein
                                    in den USA. Diesem Ursprung
Tänzer fiel während einer
Geburtstagsparty für Gillespies
                                    verdankt der Stil auch seine        #7
                                    verruchte und wilde Art.
Frau auf dessen Trompete.                                               Charles Parker galt mit
Die verbogene Trompete                                                  Dizzy Gillespie als Begründer
erhielt durch den neuen Winkel
einen anderen Ton, der Dizzy
                                    #5                                  des Bebops. Doch den Saxo-
                                                                        phonisten plagten Drogen-
so gut gefiel, dass er fortan nur   Der Legende nach hat der            probleme, die sein Leben viel
noch Trompeten spielte, die mit     Saxophonist John Coltrane am        zu früh beendeten. Als er bei
einem Winkel von 45 Grad            Ende eines Konzerts in einem        der Jazz-Baroness wohnte,
verbogen waren. Was sicher          New Yorker Nachtclub nach           schaute er sich eine Sendung
ist: Dizzy machte das Resultat      seinem Soloauftritt die Bühne       mit burlesken Jongleuren am
eines allfälligen Malheurs zu       verlassen und auf der Toilette      Fernsehen an und starb an
seinem Markenzeichen.               weiter soliert.                     einem Lachanfall.

                                            KOLT   November 2015   19
Name Thierry Kuster
Alter 32
                            Wie habt
                            ihr es mit
Beruf Musiker; Lehrer
an Musikschulen
Ausbildung
Jazzschule Zürich
Geboren und wohnhaft in

                           dem Jazz...?
Olten
Projekte «Lukas Brügger
Jazz Orchestra»,
«Angel Maria Torres y
Sus Ultimos Mamboleros»
Leben erhielt 2009 den
Werkjahresbeitrag des
Kantons Solothurn und         Sie sind jung und haben das Saxophonspiel zu ihrem
2012 den Studienpreis
der «Werner und Berti
                          Beruf gemacht: Simon Spiess und Thierry Kuster. Jazz ist Teil
Alter-Stiftung» für        ihres Lebens. Vier Fragen und acht persönliche Antworten.
aussergewöhnliche
musikpädagogische
                                                            Fotos von Roman Gaigg
Leistungen.

                                                                                  Wie bist du zum
                                                                                 Jazz gekommen,
                                                                                 und was bedeutet
                                                                                    er für dich?

                                                                          Thierry Kuster:
                                                                          Grossen Einfluss auf mich hatten John Coltrane
                                                                          und Alex Henriksen, mein erster Jazz-Lehrer in
                                                                          Olten. Durch sie bin ich zum Jazz gekommen.
                                                                          Und natürlich auch durch die Tatsache, dass
                                                                          mit «Jazz in Olten» bereits ein gutes Angebot in
                                                                          der Stadt bestand. Ich war bereits in meiner Ju-
                                                                          gend von extremen Musikrichtungen wie Metal
                                                                          angetan und so überrascht es wohl nicht, dass
                                                                          mein erster Zugang zum Jazz über den Freejazz
                                                                          führte. Danach besuchte ich dann jeweils den
                                                                          «Jazzbaragge Wednesday Jam» und war faszi-
                                                                          niert davon, dass sich durch die Musik unter
                                                                          den Musikern eine gemeinsame Sprache entwi-
                                                                          ckelte. Jazz ist heute für mich vor allem ein Ge-
                                                                          meinschaftsgefühl. Es bedeutet, mit Freunden
                                                                          etwas auszukochen und zusammen zu arbeiten
                                                                          – das ist Jazz für mich.

                                                                          Simon Spiess:
                                                                          Ich fühlte mich bereits als Kind von der Musik
                                                                          angezogen, was auch mit meinen Eltern zu tun
                                                                          hat. Zuerst interessierte ich mich für R'n'B, Gos-
                                                                          pel und Funk. Als ich dann in Olten im ehema-
                                                                          ligen Plattenladen «Bro» einige Kisten durch-
                                                                          stöberte, fiel mir eine Platte von John Coltrane
                                                                          in die Hand. Sofort war ich fasziniert von der
                                                                          Musik und der Lebensphilosophie des Jazz, und
                                                                          das Genre wurde zu meiner grossen Liebe. Jazz
                                                                          ist ein sehr reflexiver Musikstil, gleichzeitig
                                                                          aber auch provokant und entspannend.

                                KOLT   November 2015   20
Ist Jazz wirklich
    so elitär, wie dies oft
      behauptet wird?

Thierry Kuster:
Die Jam-Kultur des Jazz ist eigentlich völlig un-
elitär und kommt aus einem ganz anderen Mi-
lieu. Für das Publikum ist das Genre auch nicht
immer einfach fassbar, weil es keine einfache
Sprache spricht. Jazz scheint für Leute, die nor-
malerweise populärere Musik hören, oft un-
strukturiert und das missfällt ihnen. Darum
denken sie wohl, es sei etwas Elitäres.

Simon Spiess:
Jazz war in den 50er- und 60er-Jahren die Mu-
sik der Studenten und daher eher für die Intel-                                                        Name Simon Spiess
lektuellen. Jazz erfordert eine gewisse Attitude                                                       Beruf Musiker
und Grundeinstellung, daher ist es schwierig,                Wie hat sich                              Ausbildung: Master in
das Genre «normalen» Leuten näher zu brin-
gen. Aber Jazz ist auch provokant und verrucht,
                                                          das Genre für dich                           Musikpädagogik an der
                                                                                                       Musik-Akademie Basel
also gar nicht elitär. Wenn ich es mit einem Ge-            in den letzten                             Geboren in Aarburg,
schmack erklären müsste, schmeckt es für mich             Jahren entwickelt?                           wohnhaft zurzeit in Olten.
wie Morgenkaffee mit Zigarette und Whisky.                                                             Hauptprojekt:
                                                                                                       «Simon Spiess Trio»
                                                    Thierry Kuster:                                    Leben: Gewann diverse
                                                    Es entwickelt sich weiterhin in alle Richtungen    Förderpreise und lebte in
        Welches sind                                weiter. Ich spüre aber eine leichte Tendenz zu-    Berlin und Paris. Nahm in
    für dich die grössten                           rück in Richtung akustischer Jazz ohne elektro-
                                                    nisches Equipment und Synthesizer.
                                                                                                       New York Privatunterricht
       Jazz-Musiker?                                                                                   bei Jazz-Grössen.

                                                    Simon Spiess:
Thierry Kuster:                                     R'n'B, Gospel und Funk sind sozusagen die
John Coltrane, Warne Marsh, Dick Oatts und          Göttibueben des Jazz. Auch Hip Hop hatte Jazz
meine ehemaligen Lehrer Alex Henriksen, Reto        als Vorbild und ist quasi dessen Enkel. Jazz ist
Suhner und Christoph Grab.                          der offenste Musikstil überhaupt, und über die
                                                    Jahre haben so viele verschiedene andere Stile
Simon Spiess:                                       Einfluss genommen und neue Stilrichtungen ge-
John Coltrane, Warne Marsh, Domenic Landolf         schaffen. Diese Entwicklung wird wohl immer
und Mark Turner.                                    so weiter gehen.

                                                               KOLT   November 2015   21
Wer im Ausland lebt oder seine Ferien jenseits
der Grenze verbringt, ist herzlich eingeladen,                     IM EXIL
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redaktion@kolt.ch.

    «Ich habe
  ein Lächeln im
   Gesicht und
 vergesse meine
     Sorgen»
     Menschen aus der Region
berichten aus der Welt – dieses Mal                Sólheimasandur, Island
über eine historische Bruchlandung

                                                   A
 auf Island, Meditieren in Uruguay                         m 22. November 1973 berichtet das       Ferne ein Objekt, das sich gar nicht gross von
 und amerikanische Achterbahnen                            Morgunbladid vom Absturz eines          seiner Umgebung abheben will. Es ist das Flug-
        made in Switzerland.                               amerikanischen Militärflugzeugs am       zeugwrack einer alten Douglas-Militärma-
                                                   Strand von Sólheimasandur, einer von Lava-      schine, von der heute nur noch der Rumpf so-
                                                   gestein schwarzgefärbten unendlichen Sand-      wie Teile der beiden Triebwerke vorhanden
                                                   wüste an der Südküste Islands. Es ist uns nur   sind. Bug und Flügel sind verlorengegangen.
                                                   sehr wenig über den Absturz und ein dort        Im garstigen Gegenwind versuchen wir uns
                                                   noch immer herumliegendes Flugzeugwrack         vorzustellen, wie die Bruchlandung damals ab-
                                                   bekannt. Wir zweigen irgendwo im Niemands-      gelaufen war. Es mussten ähnliche Wetterbe-
                                                   land zwischen Vik und Skogar von der asphal-    dingungen geherrscht haben wie am Tag unse-
                                                   tierten Ringstrasse ab, schlängeln uns an ei-   res Besuchs. Ein schweigendes Wrack in einer
                                                   nem heruntergekommenen Schafszaun vorbei        nassgrauen, kargen Szenerie, gerahmt von ei-
                                                   und gelangen auf eine in der Einöde kaum er-    nem wolkenverhangenen Himmel und einer
                                                   kennbare Schotterpiste. Dieser folgen wir       rauen, aschfarbenen Sandwüste.
                                                   zirka sechs Kilometer mit Tempo 20 in die is-
                                                   ländische Pampa hinein. Irgendwann nach ei-     Emanuel Biland (32) ist Architekt, stammt aus
                                                   nem Meer von Schlaglöchern erscheint in der     Olten und bereiste eine Woche lang Island.

                                                        Laufend ausgewählte

                                                               Filme
                                                            KOLT   November 2015   22
Costa Azul, Uruguay

I
    ch sitze auf meiner Meditationsmatte und bestaune den vom Sonnenunter-
    gang orange-rot gefärbten Horizont. Die riesige Fensterfront in der Medi-
    tationshalle hier in «La I», einem Retreat-Zentrum an der Küste Urugu-
ays, eröffnet einen traumhaften Ausblick direkt auf die Meeresküste der Costa
Azul. «Cómo te sientes?», zu Deutsch «Wie fühlst du dich?», ist eine der Stan-
dartfragen hier und stellt für viele, die sich zum ersten Mal eine Auszeit in
diesem von Liebe erfüllten Ort gönnen, eine ziemliche Herausforderung dar.
Sonst kümmert es ja eher wenige Mitmenschen, wie man sich wirklich fühlt,
im Gegenteil scheint es meist von Vorteil, seine wahren Gefühle zu verbergen.
Hier haben sie jedoch allerhöchste Priorität denn man geht davon aus, dass
das ständige Unterdrücken und Zurückhalten unserer Gefühle nicht nur enor-
men physischen und psychischen Stress, sondern auch zwischenmenschli-
che Distanz, Isolation, Traurigkeit und Wut verursacht. Vielen von uns wurde
schon von klein auf beigebracht, vor allem die sogenannten negativen Gefühle
wie Wut und Traurigkeit möglichst zu verbergen: so halten wir sie also meis-                   Tampa Bay, Florida
tens zurück, um Konflikte oder unangenehme Situationen zu vermeiden. Dass

                                                                                               W
wir damit einen tieferen zwischenmenschlichen Kontakt verunmöglichen, ist                                   as genau bedeutet Erholung? Zum Beispiel, dass
uns leider oft nicht bewusst. Mehr und mehr wage ich mich also, mich zusam-                                 man vom Alltag abschalten kann. Genau das habe
men mit den restlichen Teilnehmern dem Fühlen und Ausdrücken meiner                                         ich in meinen Ferien gemacht: nicht am überfüllten
Gefühle vollkommen hinzugeben und erlebe mit Staunen, wie dabei unglaub-                       Strand, sondern auf den extremsten Achterbahnen der USA.
liche Nähe und Vertrautheit zwischen uns allen entsteht. Sich verletzlich zu                   Busch Gardens Africa im schönen Tampa Bay Florida, das war
zeigen ist nie Schwäche, sondern schafft die Basis, um sich selbst und ande-                   mein Reiseziel. Die Anlage gehört zu den weltweit angesagtesten
re bedingungslos annehmen und lieben zu können. So komme ich auch heute                        Freizeitparks. Acht der spektakulärsten Achterbahnen der
immer wieder zu dieser Frage zurück und lasse mich meine Antworten dank-                       Welt warten in Themenbereichen mit Namen wie «Kongo»,
bar fühlen.                                                                                    «Ägypten» oder «Nairobi» auf den Besucher. Dort fühlt man sich
                                                                                               beinahe so, als befände man sich wirklich in Afrika – natürlich
Raphaela Bordoni (35) aus Olten verweilte drei Monate in Uruguay und plant,                    alles schön kitschig übertrieben, wie es die Amerikaner lieben.
nächstes Jahr für den zweiten Teil ihres Meditationstrainings zurückzukehren.                      Da hätten wir zum Beispiel den Kumba. Einen 45 Meter
                                                                                               hoher Looping-Coaster, der den Fahrgast mit 100 Kilometer pro
                                                                                               Stunde durch sieben Inversionen schiesst oder den 75 Meter
                                                                                               hohen Dive-Coaster, mit dem man für ein paar Sekunden am
                                                                                               Abgrund wartet, bevor man steil in die Tiefe stürzt. Alle diese
                                                                                               Achterbahnen sind nicht etwa «Made in USA», sondern kommen
                                                                                               aus dem Wallis und Zug. Ihr habt richtig gehört, wir sind das
                                                                                               Land mit den grössten und besten Achterbahnfirmen.
                                                                                                   Mit Patriotismus hat meine Leidenschaft aber wenig zu tun.
                                                                                               Ich liebe das Gefühl von Geschwindigkeit, Schwerelosigkeit und
                                                                                               den G-Kräften, die einem so schön in den Sitz pressen. Genau in
                                                                                               diesen wenigen Sekunden fühle ich mich frei, habe ein Lächeln
                                                                                               im Gesicht und vergesse all meine Sorgen. Auch nach über
                                                                                               160 verschiedenen Achterbahnen ist meine Sucht noch nicht
                                                                                               besiegt, die nächste Reise nach Amerika ist schon gebucht – zu
                                                                                               neuen Achterbahnen. Bis dahin ist aber definitiv Busch Gardens
                                                                                               Tampa mein Exil.

                                                                                               Marc Gerber (29) kommt ursprünglich aus Langenthal und
                                                                                               schreibt im KOLT-Magazin über Schweizer Musik.

                                                                                                                                     www.bijouterie-maegli.ch

                                                                                                               AnziehungskrAft
                                                                                                               liegt in unserer nAtur.

                                                                   KOLT   November 2015   23
SERIE                                                                                       FILM

                                                                                Unheimlichland
                                                                         Eine apokalyptische Wolke hängt über der Schweiz.
                                                                                                       von Caspar Shaller

    D        ass der Kinosaal so voll
    sein würde, als am vergangenen
  Zürcher Filmfestival (ZFF) die Pilot-
 folge von «Mr. Robot» gezeigt wurde,
     war ja klar. Serienscreenings an
     Filmfestivals sind en vogue und
   wenn gratis, so wie am ZFF, defini-
tiv ein Muss. Mehr als bloss ein nettes
   Zückerli war die Anwesenheit von
  Autor, Produzenten und den beiden
    Hauptdarstellern Christian Slater
   und Rami Malek. Das «Mr. Robot»-

                                                   W
    Team war sichtlich heiter, immer                           ie kalt ist dieses Land. Es besteht aus Eis         hen. Es ist beindruckend, wie die Filmemacher eine
 noch geflasht vom dem sich seit Juni                          und Stein, Stahl und Glas. In wunder-               gemeinsame Bildsprache gefunden haben, doch so
   exponentiell steigernden Hype um                            schönen Bildern zeigt der Film «Heimat-             viele Geschichten überladen den Film. Weniger und
 «Mr. Robot». Insofern ist dieser Seri-            land» eine Schweiz, bestehend aus nichts als Infra-             dafür längere, tiefergehende Sequenzen wären schö-
 entipp von vorgestern. Egal. Was gut              struktur, Industriearealen, Bahnhöfen, Autobahnen,              ner gewesen.
 ist, gehört jedem aufs Auge gedrückt.             Büros und Supermärkten. Eine Wolke bedeckt das                       Aber der Impuls ist verständlich; In der Schweiz
     Zum Inhalt: Ein talentierter und              Land, sie bringt die Apokalypse. Der Strom fällt aus,           ist die Selbstreflexion über die heimische Kultur fast
     sozial handicapierter Hacktivist              das Wasser ebenso, das Ende naht, Millionen von                 vollständig von wandernden Fernsehmoderatoren
namens Elliott bildet das Epizentrum               Menschen flüchten.                                               und kochenden Bauersfrauen erdrückt worden – da
dieser Geschichte. Er ist die Sorte von                                                                            muss die seltene Chance, einmal die vielen, vielen
Freund, die man sich eigentlich nicht              Ein Wunder: «Heimatland» ist nicht plump, sondern               Themen anzuschneiden, die man besprechen sollte,
wünscht: Er schwänzt deine Geburts-                packend und anrührend. Schauspieler sprechen wie                doppelt genutzt werden.
  tagsparty, nimmt Drogen und hackt                echte Menschen, in allen Sprachen dieses Landes,                     «Heimatland» präsentiert eindrücklich die
  sich in die tiefsten Abgründe deiner             nicht wie behäbige Mundartroboter. Der Film ist ein             Malaise dieses Landes: Gier und Hedonismus, Isolati-
    Internetidentität. Gut, dass er die            Gemeinschaftsprojekt von zehn Regisseuren, die alle             on und Rassismus. «C’est la nuage de l’honte», spricht
  meiste Zeit damit beschäftigt ist, die           zu nennen den Umfang dieser Rezension sprengen                  Jean Ziegler den Subtext für diejenigen aus, die es
Welt vom Bösen zu retten. Im schwar-               würde. Die Regisseure sind angeblich jung, also zwi-            noch nicht begriffen haben: Es ist die Wolke der
  zen Hoodie bewegt er sich irgendwo               schen 30 und 40 Jahre alt. Formiert haben sie sich um           Schande. Und siehe da: Die Wolke endet an der Gren-
zwischen Tag und Nacht, Realität und               Michael Krummenacher und Jan Gassmann («Chri-                   ze. Die Katastrophe kommt aus dem Inneren und sie
   Psychose, Liebe und Freundschaft.               gu»), welche die ursprüngliche Idee hatten, perfor-             betrifft nur uns. Die EU schliesst die Grenze, hinaus
  Hello friend, please stay forever. (nb)          mativ die Isolation, die sie der Schweizer Gesellschaft         kommt nur, wer im Besitz eines europäischen Passes
                                                   diagnostizieren, zu durchbrechen. Die Filmemacher               ist, wie etwa die Familie eines kroatischen Taxifah-
            Mr. Robot                              haben sich gegenseitig assistiert und es entstand ein           rers. Sich diese Situation gerade in diesen Tagen vor
  2015, 10 Episoden, +1 Staffel,                   Werk, dem man nicht anmerkt, dass es so viele Väter             Augen zu führen, täte diesem kalten Land wohl gut.
    Cyperpunk-Thriller, USA                        und Mütter hat. Fast nicht. Heimatland ist aufgebaut
                                                   wie ein klassischer Katastrophenfilm. Er erzählt,               Heimatland (CH/2015)
                                                   wie verschiedene Menschen mit der Wolke umge-                   Offizieller Kinostart: 12. November

DIE   5        ALBEN MEINES LEBENS                     von Dodo
                                                                                                                  Alpha Blondy
                                                                                                                   Cocody Rock
                                                                                                                                                      Peter Fox
                                                                                                                                                      Stadtaffe
                                           Damian Marley                     Bilderbuch                  Ich wuchs an der Elfenbeinküs-       Die Lyrik bewegt sich auf
        Major Lazer                     Welcome to Jamrock                  Schick Schock                 te auf und Alpha Blondy, der      dem höchsten Level der Pop-
      Free the Universe               Dieser unglaubliche Flow,       Für mich die Entdeckung des        erste afrikanische Reggae-Star,   geschichte. Und weil die Texte
 Dort will ich hin. Auf diesen       kombiniert mit Reggae, der      Jahres. Die vielen Falco-Zitate        lief daheim in Dauerrotati-    perfekt mit den von Streichern
Planeten, in dieses Universum       sich nicht scheut, Hip-Hop-,       bewegen mich deshalb so               on. Die Bläser-Sätze sind     und Bläsern unterlegten Beats
– zu dieser Musik! Das ist so          Soul- und World Music-       sehr, weil «Rock me Amadeus»           unschlagbar und der Song         harmonieren, gibt es keinen
verdammt fresh, so revolutio-      Elemente in sich aufzunehmen,       meine erste Erfahrung mit         «Jerusalem» hat die wohl beste     treffenderen Ausdruck dafür
  när, so dreckig und schön.            ist einfach nur WOW.              Sprechgesang war.               Reggae-Basslinie überhaupt.             als: Audio-Porno!

                                                                       KOLT   November 2015   24
MUSIK

                   Ist da irgendwer?
                In Langenthal dürfte es ruhig etwas lauter sein –
          in musikalischer Hinsicht. Gut, machen da die einheimischen
                  Anybody Out There seit neustem etwas Lärm.

                                            von Marc Gerber

                                                                                                          Impression FreeSign®3
                                                                                                          das beste Gleitsichtglas
                                                                                                          von Rodenstock.

W
             ohin geht man in den Ausgang?             Freunde und ungefähr jeder Langenthaler, der
             Nach Bern, Luzern, Basel oder             wieder einmal in der Heimat in den Ausgang
             Zürich? Als Langenthaler musste
man sich früher diese Frage nicht stellen, denn
                                                       wollte, waren vor Ort. Zwei Boxen, eine Mi-
                                                       schpult-App auf dem iPad und gute Stimmung,        Erleben Sie die absolute
in Langenthal war immer etwas los. Ob im
LaKuZ, im Chrämi oder in der Traube, irgend-
                                                       mehr brauchte es nicht für ein tolles Konzert.
                                                       Klar darf man hier keine Perfektion erwar-         Freiheit des natürlichen
                                                                                                          Sehens.
wo gab es immer ein Konzert. Die Zeiten aber           ten wie bei Pink Floyd, doch die Jungs waren
haben sich geändert. Wer heute in Langent-             mit Herzblut dabei. Das spürte man spätestens
hal in den Ausgang geht, der findet nicht mehr         dann, als Keyboarder Simon Freiburghaus sich
viel, was als Beweis für ein vielseitiges Nachtle-     schon fast hypnotisch zu dem Beat bewegte.
ben herhalten würde (danke, liebe Stadtregie-
rung). Zum Glück gibt es aber ab und zu immer          Die Musik von Anybody Out There zu beschrei-
noch ein Konzert, und das sogar von der loka-          ben, ist definitiv ein schwieriges Unterfangen,
len Indie-Pop-Band Anybody Out There.                  denn es schleicht sich das Gefühl ein, dass
                                                       sich die Herren selbst nicht einig sind, in wel-
Anybody Out There luden am 10. Oktober zu              che Richtung ihr Sound gehen soll. Dies merkt
ihrem EP-Release-Konzert ein. Über ein Jahr            man auch ihrer selbstgemachten EP an: so sind
haben die drei Langenthaler Simon Freiburg-            die ersten zwei Songs «Drown» und «Full Wor-
haus, Manuel Jordi, Matthias Nyfeler und der           ld» innovativ, sphärisch und die Gitarrenparts
Berner Drummer Martin Müller an der EP ge-             ausgetüftelt. Die anderen Tracks wirken hinge-
arbeitet. Nicht etwa in einem grossen Tonstu-          gen blasser und können nicht an die Kreativi-
dio, nein, bei Gitarrist Manuel Jordis Eltern im       tät der ersten Hälfte der EP anknüpfen. Dazu
Keller. Diese Musik – Achtung, schlechter Witz         merkt das geschulte Ohr, das hier die Stimme
– ist also wirklich underground.                       des Sängers Matthias Nyfeler auch an seine                       Bartlomé Optik AG
                                                       Grenzen kommt. Viel Potenzial, viel Liebe zur              Brillen und Kontaktlinsen
Im Provisorium, einer kleinen Bar, wurde der           Musik, das ist «Anybody Out There». Ich warte          Hauptgasse 33 - 4600 Olten
Release gefeiert. Viele Familienmitglieder,            voller Neugier auf das erste Album.

                                        KOLT   November 2015   25
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         KOLT
          liest                                                                        von Daniel Kissling

        DIE SCHWEIZ IST
       DES WAHNSINNS –
         EIN WARNRUF                                         Dem Bürger fliegt von
          von Lukas Bärfuss
  Bärfuss bringt in seinem Essay (FAZ
    vom 15.10.) auf den Punkt, wor-
                                                             spitzem Kopf der Hut
   an die Schweiz krankt. Der Autor
  beschreibt treffend und schonungs-                                Menschheitsdämmerung von Kurt Pinthus
  los, wohin die reaktionäre und auf
   Profit erpichte Politik dieses Land
  geführt hat und noch führen wird.
  Damit ging er ein hohes Risiko ein.
  Denn mit «Nestbeschmutzern» geht

                                          E
   man hierzulande nicht zimperlich             igentlich bin ich                                                             wenn wir heute auch
    um. Alleine deshalb aber ist der            ein Gegner von Ge-                                                            keinen Weltkrieg hinter
        mutige Text lesenswert.                 dichtbänden, noch                                                             uns haben, es uns ver-
      Martin Bachmann, KOLT-Reviewer      mehr, wenn sie nicht                                                                gleichsweise gut geht:
                                          aus einer Feder stam-                                                               die Stimmung stimmt.
       DER SUSAN-EFFEKT                   men. Ich denke an «Die                                                              Niemand weiss, wo es
            von Peter Høeg                100 schönsten Liebesge-                                                             hin geht, alle sprechen
    Lange nach Fräulein Smilla und        dichte» oder «Blumen                                                                davon, dass sich was
  auch lange nach seinem noch viel        der deutschen Lyrik»                                                                ändern muss, doch nie-
   besseren «Die Frau und der Affe»       und damit – ohne es despektierlich zu meinen – an        mand weiss, was und wie.
   driftet Høeg wieder wie gewohnt        ältere Damen, die neben Reader's Digest und dem
  ins Absurde, verliert mich da und       «grossen Kreuzworträtsel-Lexikon» auch noch ein          Fast hundert Jahre ist «Menschheitsdämmerung»
  dort und zieht mich dennoch kom-        paar Verse Goethe stehen haben. Und gerade des-          mittlerweile alt. Dessen so treffender, wie unter-
   plett hinein. Nach dieser Lektüre      wegen empfehle ich euch hiermit einen Gedicht-           treibender Untertitel: «Ein Dokument des Expressi-
     frage ich mich, was hinter den       band.                                                    onismus. Treffend, weil es kein anderes Buch, zu-
    Kulissen dieser Welt wohl alles                                                                mal für 15 Franken, gibt, das einen so exakten, so
    geschieht, ohne dass ich davon        «Menschheitsdämmerung» ist nämlich nicht ein-            stimmungsvollen Einblick in die wahrscheinlich ex-
            Wind bekomme.                 fach eine Ansammlung wohlklingender Zeilen – im          plosivsten Jahre der deutschen Literaturgeschichte
     Fabienne Käppelii, KOLT-Reviewerin   Gegenteil! Expressionismus, das ist Industrial Noi-      bietet. Untertreibend, weil diese 384 Seiten einen,
                                          se Punk, laut krachend, fies zischend und dissonant      hat man sich einmal darauf eingelassen, nie mehr
        VERSCHWÖRUNG                      kreischend. Kriegserklärungen, Todesurteile, Hoff-       loslassen werden. Oder wie viele eurer Matura-Bü-
        von David Lagercrantz             nungsschreie und Abgesänge sind das und zwar             cher habt ihr in den letzten Jahren immer und im-
      Obwohl hübsch konstruiert,          von den Besten der Besten: Benn, Trackl, Stramm,         mer wieder zur Hand genommen? Ich bin ein Geg-
  verprasst Lagercrantz das gesamte       Heym und Else Lasker-Schüler – wer heute Poetry          ner von (normalen) Gedichtbänden. Deswegen
  Erbe von Stieg Larsson und hinter-      Slammer als Sprach-Akrobaten bezeichnet, kennt           empfehle ich euch diesen.
  lässt ein Buch ohne eigenes Profil,     diese Extremisten der deutschen Sprache nicht.
    eine Totenmaske des Urhebers,                                                                  Kurt Pinthus
  dessen Figuren wie Statisten einer      «Dem Bürger fliegt von spitzem Kopf den Hut», so          Menschheitsdämmerung.
  amerikanischen Krimiserie in der        beginnt das erste Gedicht. Eine Kampfansage, die         Ein Dokument des
         achten Staffel wirken.           Programm ist, denn 1919, als «Menschheitsdäm-            Expressionismus
           Jorma Müller, Fotograf         merung» von Herausgeber Kurt Pinthus das erste           Herausgegeben von Kurt Pinthus.
                                          Mal erschien, herrschte Untergangsstimmung. Und          Rowohlt Taschenbuch, 1959.

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                                                          KOLT
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                                                                 November 2015   26       DIETSCHI PRINT&DESIGN AG
                                                                                          Ziegelfeldstrasse 60 4601 Olten
                                                                                                                            T 062 205 75 75
                                                                                                                            F 062 205 75 00    www.dietschi-pd.ch
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