Olten tanzt Pentsula Seite 6 Adieu Stadtparlament Seite 28 - Jazz in Olten
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CHF 6.- DAS OLTNER STADT- UND KULTURMAGAZIN N°68 / November 2015 JA Z Z Seite 10 11 9771664 078001 Olten tanzt Pentsula Seite 6 Adieu Stadtparlament Seite 28
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EDITORIAL November 2015 In dieser KOLT-Ausgabe stecken viele Jahre. Jahrzehnte, um genau zu sein. Zum einen finden Sie, liebe Leserinnen und Leser, auf Seite 28 ein ungezwungenes Tischgespräch zwischen KOLT- Autor, Barchef und (als wäre das nicht genug) frischgebackenem Ex-Nationalratskandidat Daniel Kissling und zwei Menschen, die zusammengezählt 36 Jahre im Oltner Gemeinderat gesessen haben: Anna Engeler und Roland Rudolf von Rohr sind dieses Jahr beide von ihren Posten zurückgetreten. Während sie sich auf Tanzstunden am Donnerstagabend freut, geniesst er die neugewonnene Freiheit in Sachen Ferienplanung. Selbstverständlich drehte sich das Gespräch aber nicht nur um die neuen Möglichkeiten in Sachen Freizeit. KOLT wollte sich Anekdoten erzählen lassen, Einschätzungen zum Zustand des Gemeinderats hören und erfahren, was sich über die letzten Jahre verändert hat im Gemeinderatssaal. Ein Gemeinschaftswerk ist gewissermassen auch unsere Titelstory über die Musikrichtung Jazz. Jazz. Ein grosses Wort. KOLT-Autor Josh Guelmino begab sich tapfer auf die Reise zum Jazz. Was ist Jazz? So lautete die Frage, der Josh im Oktober nachging. Hilfestellung erhielt unser Schreiberling von Menschen, die eine Ahnung von der Materie haben. So öffnete beispielsweise Christian Gerber für KOLT sein Fotoarchiv. Die Jazzgeschichte(n) zu den Bildern hat uns der Fotograf auch gleich mitgeliefert – lesen Sie sich hinein in den Jazz, auf Seite 10. Ich hoffe, die Geschichte weckt ihre Neugier auf mehr. Denn das würde sich gut treffen, schliesslich stehen diesen Monat unter anderem auch die 9. Oltner Jazztage in der Kulturagenda. Nathalie Bursać Cover fotografiert von Christian Gerber IMPRESSUM VERLAG / HERAUSGEBER Verlag 2S GmbH, Leberngasse 17, 4600 Olten, verlag@v2s.ch, www.v2s.ch VERLAGSLEITUNG Yves Stuber (ys), REDAKTIONSLEITUNG Nathalie Bursać (nb), redaktion@kolt.ch FINANZEN Matthias Gubler INTERNETAUFTRITT Roger Burkhard LAYOUT / SATZ Christoph Haiderer, Gaia Giacomelli REDAKTIONELLE MITARBEIT Kilian Ziegler, Pedro Lenz, Marc Gerber, Daniel Kissling, Caspar Shaller, Ueli Dutka, Joshua Guelmino, Sarah Rüegger ILLUSTRATION Petra Bürgisser, Gaia Giacomelli FOTOGRAFIE Irene Loebell, Christian Gerber, Roman Gaigg, Yves Stuber LEKTORAT Mirjam Läubli LESERBRIEFE leserbriefe@kolt.ch, www.kolt.ch/leserbriefe AGENDA agenda@kolt.ch, www.kolt.ch/agenda ABO Jahresabonnement CHF 59.—(inkl. MwSt), Gönnerabonnement CHF 99.— (inkl. MwSt), abo@kolt.ch, www.kolt.ch/abo INSERATE inserate@kolt.ch, www.kolt.ch/inserieren KONTAKT www.kolt.ch, hallo@kolt.ch AUFLAGE 1'800 DRUCK Dietschi AG Druck und Medien, Ziegelfeldstrasse 60, CH-4600 Olten. © 2015, Verlag 2S GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung. Die Urheberrechte der Beiträge bleiben beim Verlag. Keine Gewähr für unverlangt eingesandte Manuskripte, Fotos und Illustrationen. KOLT November 2015 4
INHALT 6 Im Gespräch Ein Tanzstil hat Venter und Teboho aus dem Township bis nach Olten gebracht GENUSS KOLUMNEN 26 Film 8 Gemeinschaftswerk über eine unheimliche Schweiz NaRr Aus dem Fenster schauen 27 Kilian Ziegler Musik Ein Verleger hat wieder In Langenthal leuchten kleine einmal eine gute Idee Sterne am Musikhorizont 9 10 Reise zum Jazz 28 Es gibt einfachere Aufgaben, als die, Jazz zu verstehen. Pedro & Petra KOLT-Autor Josh Guelmino hat sich dennoch gewagt. Literatur Ein Tschugger, ein Mob und eine Wie wärs mit Journalistin treffen aufeinander einem Gedichtband 34 AUSLAND Der Koltige Monat Ein kurzer Monat und 16 Schwielen an den Händen Im Exil Menschen aus der Region berichten aus dem Ausland 28 Der Blick zurück Zwei, die sich viele Jahre lang für Olten uns seine Bewohner eingesetzt haben, lassen ihre Zeit im Stadtparlament Revue passieren. KOLT November 2015 5
DAS GESPRÄCH «90 Minuten reichen, um Schweizern den Pantsula beizubringen» Alles begann mit einem Schweizer Dokumentarfilm über eine Gruppe von südafrikanischen Jugendlichen, deren Leben dank dem Tanzstil Pantsula eine neue Wende nahm. Diesen Monat besuchen die beiden Filmprotagonisten Venter Teele Rashaba und Teboho «Murder» Moloi Olten, um mit 560 Schülern ihre grosse Leidenschaft zu teilen. Interview von Sarah Rüegger Foto von Irene Loebell V enter und Teboho, ihr habt gerade die für Schulklassen durchführen. Arbeitet ihr war und grossen Anklang fand. Das hat meinen Screening-Touren von «Life in Progress» auch in Südafrika auf diese Weise? Respekt für Irene noch einmal gesteigert. in der Schweiz und Südafrika beendet. Venter: In Südafrika haben wir diese Chance Venter: Mittlerweile sind wir uns sehr nahe, wir Hat dieser Film euer Leben verändert? nicht. Was wir in der Schweiz machen, ist das, kennen und verstehen uns. Sie ist eine Town- Venter: Bevor der Film herauskam, war ich ein- was wir uns für unser Land wünschen würden. ship-Lady. fach nur müde. Ich versuchte, voran zu kommen, Daheim sind wir arbeitslos. Ich lehre zwar auch Teboho: Ich habe ihr kürzlich ein Paar Converse doch alles fiel immer wieder in sich zusammen, hier Jugendlichen Pantsula, die Arbeit erhält Allstars-Turnschuhe gekauft (lacht). Allstars sind was man auch in «Life in Progress» sehen kann. aber weniger Wertschätzung. die besten Schuhe, um Pantsula zu tanzen – das Der Film erinnert mich daran, dass ich nicht sollten unsere Schweizer Schüler wissen! mehr dorthin zurück will. Er gibt mir Kraft. Wie schwer ist es, den Schweizern Teboho: Das Leben, das wir davor hatten und Pantsula beizubringen? Wenn ihr nach dieser Workshop-Tour nach jenes, das wir nun leben, sind total verschieden. Venter: Man hatte uns gewarnt, dass die Schwei- Südafrika zurückkehrt, was sind eure Und «Life in Progress» hat nicht nur unsere Le- zer nicht tanzen könnten. Doch wir merkten weiteren Pläne? ben verändert. Der Film inspiriert die jungen schnell, dass dies nicht wahr ist. Die Schweizer Venter: Ich will weiterhin versuchen, ein Stu- Leute hier in Johannesburg, ihr Leben selbst in lernen sehr schnell, sogar eher schneller als Süd- dium zu beginnen. Ich will Qualifikationen er- die Hand zu nehmen. afrikaner. Das hatten wir nicht erwartet. Um in langen, möchte Lehrer werden. Teboho: Mein Traum wäre es, eine grosse Pant- Ihr wart während eurer Promo-Tour das erste sula-Produktion aufzuziehen, in welcher Schüler Mal in der Schweiz. Was bedeutete diese Reise für euch? «Was wir in aus Südafrika und der Schweiz zusammen tan- zen und damit auch ausserhalb unserer Län- Teboho: Die Reise in die Schweiz hat mir so viele der Schweiz machen, der touren. Die Show soll zeigen, dass nicht nur Ideen gegeben, was ich hier in Südafrika machen schwarze Menschen Pantsula tanzen können, könnte. Gerade, was das Tanzen betrifft, aber ist das, was wir uns und sie soll dafür sorgen, dass die ganze Welt auch den Lifestyle, den Menschen dort leben. für unser Land diesen Tanz kennenlernt. Ich kann Dinge verändern, kann versuchen, zu leben, wie es die Menschen in der Schweiz tun. wünschen würden.» Das Interview erfolgte zwischen der Schweiz und Johannesburg über Skype. In welchem Sinne? Teboho: Hier in Südafrika beklagen wir uns bei- spielsweise ständig, dass wir keine Arbeit finden. Südafrika jemandem Pantsula beizubringen, Wir klagen, anstatt zu versuchen, etwas zu än- brauchen wir eine Woche. In der Schweiz rei- Venter Teele Rashaba (25) und Teboho dern. In der Schweiz habe ich so etwas nicht ge- chen 90 Minuten. «Murder» Moloi (29) sind zwei der Protagonisten hört. Sogar wenn die Leute studieren, arbeiten des Doks «Life in Progress» (2014) der Zürcher sie noch nebenbei, um etwas Geld zu verdienen. Ihr seid noch immer sehr viel mit der Regisseurin Regisseurin Irene Loebell. Vier Jahre lang begleitete Venter: Die Schweiz ist eine total andere Welt, Irene Loebell unterwegs, sie unterstützt euch sie die Mitglieder der Pantsula-Tanzgruppe TAXIDO ein privilegierte Welt. Natürlich haben die auch bei der Workshop-Tour in der Schweiz. in der Township Katlehong, rund 30 Kilometer von Schweizer von Geburt an ganz andere Möglich- Was ist Irene heute für euch? Johannesburg entfernt. Venter und Teboho werden keiten. Was mir aber Eindruck gemacht hat, ist Venter: Für mich ist sie Mutter- und Vaterfigur. diesen Herbst in der Deutschschweiz Pantsula- die Selbstdisziplin der Menschen. Die fehlt uns. Sie und der Film haben mich als Persönlichkeit Workshops an Schulen leiten. Seit ich aus der Schweiz zurück bin, bin ich im- weitergebracht. mer pünktlich. Und: Die Leute in der Schweiz Teboho: Ehrlich gesagt hätte ich nie gedacht, Screening «Life in Progress» sparen Geld für die Zukunft. So etwas kennen welchen Effekt der Film haben würde. Als wir Sonntag, 15.11.15, 16h, Capitol Kino Bühne wir nicht. Wenn Geld da ist, geben wir es aus. mit der Kamera in der Township unterwegs wa- ren, war dies für uns eher ein Spiel. Wir taten so, Pantsula-Flashmobs an den Oltner Tanztagen Ihr werdet in der Schweiz unter anderem im als würden wir nun berühmt – nur um später he- Freitag, 20.11.15, 12h, Vor dem Hotel Arte Rahmen der Oltner Tanztage Pantsula-Workshops rauszufinden, dass der Film grossartig geworden Samstag, 21.11.15, 15h, In der Kirchgasse KOLT November 2015 6
NaRr KILIAN ZIEGLER von Isabella Kettl Ich, das Megatalent Doch schön, so sagen sie, M ein Verleger hatte mich zu einer Castings- diert, verdiene mein Geld mit bezüglich ihrer Qua- sind Blumen how angemeldet. Natürlich hatte er mich gefragt, ob ich das überhaupt wolle. Lei- lität schwankenden Wortspielen und mein erfolg- reichster Text handelt von Alpakas. Verdammt, ich trotzdem der erst, nachdem er mir im Fernsehstudio die Au- bin keiner von ihnen!», dachte ich und sagte: «Alles genbinde abgenommen und «Überraschung» ge- klar, Herr Kommissar.» rufen hatte. «Spinnst du? Vergiss es!» «Vertrag ist So betrat ich die Bühne, bereit, mein Talent Irgendwann hat der Mensch Vertrag, sorry.» Mein Verleger und seine Ideen. zu offenbaren: «Kennste? Was ist der Unterschied entschieden, dass Blumen So stand ich in diesem miefigen Provinzstudio und zwischen einem neoliberalem Milk-Shake und ei- etwas Schönes seien. Niemand war davor, bei «Tele Torpedo sucht das Megatalent» nem...» Möööp! Die Juroren drückten beinahe stellt das in Frage, nicht einmal aufzutreten. Origineller Titel, fürwahr. Eine weite- gleichzeitig ihren Abwähl-Button. «Aber ich hab die Allergiker. Sie schneuzen re Produktion, die den Rang des Talents überbeton- doch kaum begonnen...» «Wenn du immer an dich und niessen und reiben sich te und den Eindruck erweckte, dass man das gewis- glaubst, kannst du irgendwann wirklich lustig wer- die Augen und mögen das se Etwas nun mal hat oder eben nicht. (Üben, um den» (Miss Schwarzbubenland). «Tut mir leid, aber alles mühsam finden und richtig gut zu werden? Gott du bist kacke» (Mister Peda- sich verkriechen, wenn die bewahre!) Bald würde ich vor lo). «Das habe ich vorausgese- Pollen tanzen. Sie mögen die der Jury stehen, also vor der «Bald würde ich vor der hen!» (Mike Shiva). Fensterläden schliessen, grosse amtierenden Miss Schwarz- Was glaubten die, Sonnenbrillen tragen und sich bubenland, dem Schweizer- Jury stehen, also vor wer sie waren? «Ich bin kleine Papiernastuch-Kügelchen meister im Pedalofahren und der amtierenden Miss Künstler!», schrie ich, «ein in die Nase stecken, doch schön, – dem Star der Juroren – Mike echter Künstler! Diesen Kom- so sagen sie, sind Blumen Shiva. Kurzum: die Jury ver- Schwarzbubenland, merz-Müll habe ich nicht nö- trotzdem. einte genau die richtigen Per- dem Schweizermeister tig! Keine Ahnung habt ihr! sonen, um zu beurteilen, was Ich bin ein Talent! Meine Fans Schönheit ist eine eigene künstlerisch wertvoll sei. im Pedalofahren und – lieben mich!» Während ich Kategorie. Was schön ist, muss Vor mir war ein Achtjäh- dem Star der Juroren – gestenreich mit Ausrufezei- nicht nützen und nicht helfen. riger an der Reihe, sein Ta- Mike Shiva.» chen um mich warf, zerrte Was schön ist, muss auch nicht lent: Yatzi-Spielen. Er würfel- mich mein Verleger von der gut sein. Was schön ist, gefällt. te ein Viererpaar und die Jury Bühne. «Ziegler, wie soll ich Auch Qualvolles kann gefallen. applaudierte, als hätte der reinkarnierte Michael jetzt bloss meine Kinder ernähren?» «Du hast doch Auch Gefährliches kann uns Jackson gerade an einer Steiner-Schule seinen Na- gar keine Kinder?!» «Nicht mehr. Alle verhungert.» gefallen. Auch Dummes kann men gemoonwalkt. Der Junge qualifizierte sich für «Haha, unglaublich lustig. Apropos hungern, lass gefallen. Auch der Gedanke, die nächste Runde, bald würde ich es ihm gleich- uns was essen gehen.» Mein Verleger nickte. «Ma- dass es uns besser geht, als tun. Eigentlich wollte ich einen meiner Texte vorle- chen wir, aber zunächst bestreitest du den Talent- anderen, kann gefallen. Auch sen, doch mein Verleger hatte mir einen Comedy-af- wettbewerb in Dulliken. Davon habe ich dir erzählt, welke Blätter können gefallen, finen Approach (seine Worte) nahegelegt. «Ich bin oder?» wenn sie fallen, im Herbst, und Slam Poet, kennste? Kennste, Slam Poet?», irgend- es kälter wird. was in dieser Art. Kurz vor meinem Auftritt nahm Eine gute Zeit mich mein Verleger zur Seite: «Solche Shows gewin- La vache Kili Isabella Kettl (*1990) lebt und studiert nen meistens Kinder mit Jö-Effekt. Ziegler, du bist in Salzburg und schreibt, u.a. fürs Narr. nicht niedlich, das musst du kompensieren. Das Pu- PS: Vor ein paar Wochen habe ich tatsächlich eine blikum muss spüren, dass du einer von ihnen bist!» persönliche Einladung für «Die grössten Schweizer www.dasnarr.ch «Ich habe zweiundzwanzig Semester Soziologie stu- Talente» erhalten. Was ich dazu sagte? Ab. Ihre Firma setzt doch auch sonst auf Profis. Ihr Weihnachtsessen im Restaurant Aarhof. Jetzt reservieren! KOLT November 2015 8 Frohburgstrasse 2 – 4600 Olten Tel 062 212 88 62 – info@aarhof.ch – www.aarhof.ch
PEDRO & PETRA Wie in der biblischen Geschichte von Pedro Lenz (Text) und Petra Bürgisser (Illustration) E r habe Angst gehabt, hat er zu beten, dass sie ihn nicht totschla- erzählt, einfach nur Angst, gen. Doch bevor es losgegangen grosse, schwere, lähmende sei, habe die Journalistin mit einer Angst. Aber dann sei da noch diese Handkamera zu filmen angefangen. Journalistin gewesen. Sie habe an Sie soll aufhören, hätte die Meute der genau gleichen Ecke den genau ihr zugerufen. Nein, sie höre nicht gleichen Fehler gemacht. Irgendwie auf, sie wolle jetzt filmen, wie zwei den Rückzug verpasst oder den Vor- Dutzend Typen einen einzelnen stoss, er wisse es nicht mehr. Dafür Mann und eine einzelne Frau nie- erinnere er sich noch an die Angst derschlagen, habe sie gesagt. und daran, wie er in seiner Angst Sie soll verschwinden, sonst noch bemerkt habe, dass er nicht komme sie genau so dran wie der alleine war. Auf jeden Fall waren sie Dreckstschugger, habe hierauf einer plötzlich eingekesselt. Die gewalt- gedroht. Aber die Frau habe einfach tätigsten unter den Demonstranten weitergefilmt, ruhig, furchtlos, kon- hätten Steinschleudern und Eisen- zentriert. Ob sie schon abgemacht stangen dabei gehabt. Natürlich hätten, wer als erster dreinschlage, trage er bei solchen Einsätzen den fragte sie und erklärte, dass sie froh Helm, einen Schulterpanzer und das wäre, es zu wissen, um die Szene gut Schutzschild, aber allein und umla- aufnehmen zu können. gert von einer Meute kampflustiger Wieso dann keiner angefangen Jungmänner, dazu noch in einer habe, dreinzuschlagen, wisse er dunklen Seitengasse, da nütze die- «Auf einmal selbst nicht recht. Vielleicht sei es ser Schutz herzlich wenig. das gleiche psychologische Phänomen, wie bei Man denke in solchen Augenblicken viel- habe sich die jener biblischen Geschichte, wo es heisst, wer leicht noch kurz an Berichte von Polizisten, die irgendwo zu Krüppeln geschlagen worden Meute einfach ohne Schuld sei, werfe den ersten Stein. Auf einmal habe sich die Meute einfach auf- waren. Aber solche Dinge geschähen meist im Ausland. Und er sei ja zuhause gewesen, in sei- aufgelöst. Er gelöst. Er habe es fast nicht glauben können. Zunächst sei er sogar so überrascht gewesen, ner Stadt, da wo er seit vielen Jahren seinen Dienst verrichte. habe es fast dass er vergessen habe, wegzulaufen. Danach sei eine gespenstische Ruhe eingekehrt. Der Rauch Wenn einer anfängt dreinzuschlagen, ist der Bann gebrochen, sei es ihm durch den Kopf nicht glauben und der Lärm hätten sich einfach verzogen. Nur seine Angst, die habe länger gebraucht, um sich gegangen. Dann bleibe ihm nichts mehr übrig als können.» zu verziehen, wesentlich länger. KOLT November 2015 9
Wo beginnen, wenn man nichts von Jazz versteht und dies doch gerne würde? Olten hat Jazz vor der Haustür. Und dies nicht nur während der Jazztage, die diesen Monat zum 9. Mal stattfinden. KOLT-Autor Josh Guelmino ist in den Jazz eingetaucht und traf dabei nicht nur auf viele kleine Geschichten, sondern auch auf Szene-Kenner wie den Fotografen und Mitbegründer der Oltner Jazztage Christian Gerber oder die beiden Musiker Thierry Kuster und Simon Spiess. KOLT November 2015 11
Jazz – Ein Annäherungs- versuch Nervöses Geklimper und Gezupfe, Getröte ohne Struktur und ein Publikum aus Anzugträgern mit Aktentaschen in der Lobby eines 5-Sterne-Hotels. Dieses Bild von Jazz brannte sich mir im Laufe der Jahre ins Unterbewusstsein und hielt sich dort hartnäckig. Text von Joshua Guelmino Fotos und Anekdoten von Christian Gerber «Das Publikum ist meist durch- inige Male habe ich versucht, es aus mischt, aber ganz Als nächstes wollte ich wissen, welche meinem Kopf zu verbannen, doch mehr als ein bis zwei Songs in Folge grundsätzlich Geschichte sich hinter Jazz verbirgt. Also habe ich mich auf eine Reise durch die Weiten des vermochte ich mir nicht anzutun. Mir fehlte es beim Jazz an Struktur, sind es doch eher World Wide Webs begeben und versucht, dem Jazz auf die Spur zu kommen. Grossvater des an Wiedererkennungswert, an einer eingängigen Melodie, an die ältere Leute» Jazz war wohl die Marschmusik des späten 19. Jahrhunderts. Daraus entwickelten sich mittels ich mich klammern konnte. Jazz erschien mir Improvisationselementen die frühen Formen des wie eine lose Abfolge von Tönen, eine einzige Thierry Kuster New Orleans Jazz und Dixieland. Im Laufe der Anarchie. Das machte mich – ein seit meiner Jahre behaupteten viele Musiker, «Erfinder» des Kindheit Popgeschädigter – anfangs völlig Jazz zu sein. Doch als Geburtshelfer wird oftmals fertig. Doch nach ermutigenden Gesprächen der Kornettist Buddy Bolden aus New Orleans mit Christian Gerber, Simon Spiess und Thierry Saxophonist Simon Spiess während unseres genannt. Von Boldens Spiel existieren leider Kuster lichtete sich der dichte Wald von Gesprächs im Caffè Spettacolo am Bahnhof Olten keine Aufnahmen, doch Augenzeugenberichte Improvisationen und scheinbar wirren Klängen. wunderbar zusammen. beschreiben seinen Stil als dem Jazz am nächsten. Ich habe festgestellt, dass auch das offene, wilde Allgemeinhin ist sich die Fachwelt einig, dass Jazz-Genre eine gewisse Struktur aufweist. Diese Der Bezug ist also hergestellt, und ich bemerke Jazz in New Orleans geboren wurde und in springt einem bloss nicht sofort ins Auge, wie es erstaunt: Ich bin ein wenig angetan von den New York und Chicago aufwuchs. Das Genre bei anderen Musikrichtungen der Fall ist. Man vollen Saxophonklängen und vibrierenden ist Schmelztiegel vieler Gegensätze und wurde muss Jazz verstehen und fühlen, damit man ihn Basssaiten. Fast schon bereue ich es, damals von Weissen wie auch Schwarzen gespielt, hören kann. Jazz ist ein Erlebnis. «Man muss den vor 18 Jahren das Sax an den Nagel gehängt wobei die schwarze Bevölkerung der USA im 20. Geist offen halten und nicht gleich abschalten, zu haben. Obwohl es damals während meiner Jahrhundert die Offenheit des Jazz massgeblich wenn es einem etwas schräg vorkommt. Geduld Proben oftmals tönte, als biege ein Dampfschiff prägte. Die Befreiung aus der Sklaverei und das ist wichtig – und am besten ist immer noch um die Ecke, hätte aus mir ja vielleicht doch noch damit neu gewonnene Freiheitsgefühl waren das Live-Erlebnis», fasst es der Aarburger ein kleiner John Coltrane werden können. wohl wegweisend für diese Entwicklung. KOLT November 2015 12
Shepp Archie , Newport '68 «Man muss den Geist offen halten, Der Jazz schaffte es in den 20er-Jahren in die und nicht gleich älteren Zuhören aufgesucht wurde. Nachtclubs der Grossstädte, und mit Louis Armstrong war der «Hot Jazz» geboren. Die 30er- abschalten, wenn es «Das Publikum ist meist durchmischt, aber ganz grundsätzlich sind es doch eher ältere Leute», und frühen 40er-Jahre gehörten dem Swing rund um den «King of Swing» Benny Goodman. Dizzy einem etwas schräg bestätigt Thierry Kuster meinen Eindruck. Anscheinend ist eine gewisse geistige Reife beim Gillespie und Charlie Parker revolutionierten den Jazz anfangs der 40er-Jahre mit ihren vorkommt. Geduld Hören von Jazz von Vorteil: Reife in dem Sinn, dass man sich die Zeit nimmt, Musik bewusst zu Jamsessions und Solos und gründeten das ist wichtig – und am erleben und zu fühlen. Vor allem in einer Zeit, wilde, oft zügellose Bebop-Genre. Dave Brubeck in der Musik ein Fast-Food-Konsumgut geworden prägte in den Fünfzigern mit dem «Cool Jazz» besten ist immer noch ist, wovon man sich jederzeit und überall wieder einen ruhigeren und massentauglicheren Gegenpol zum wilden Bebop. Miles Davis, John das Live-Erlebnis» im Hintergrund berieseln lassen kann, ist es schwierig, eine solche Reife zu entwickeln. Coltrane und viele andere störten sich aber an der zu klassisch und europäisch wirkenden Simon Spiess Gibt man sich jedoch hin, werden Geklimper, Entwicklung in Richtung «Cool Jazz» und Gezupfe und Getröte zu wunderbaren Melodien, boten mit dem «Hard Bop» wieder einen die einem einerseits zum Träumen einladen, blueslastigeren, afro-amerikanischeren Stil. aber auch das Tanzbein zum Zucken bringen. Über «Free Jazz» entwickelte sich der «Fusion- Persönlichkeiten sowie die eindrücklichen Bilder Jazz» der 70er-Jahre mit Herbie Hancock als von Christian Gerber bewegten mich dazu, im Ich habe in den letzten Tagen einen kleinen grossem Aushängeschild. Synthesizer und Vario den smoothen Klängen des Kanadiers Alex Einblick in die Welt des Jazz erhalten, einige elektrische Bässe hielten Einzug in den Jazz. Maksymiw zu lauschen. Playlists auf Spotify abonniert sowie ein Konzert Nach meinem Konzertbesuch wehrte sich noch besucht. Die Vielfältigkeit und Offenheit dieses Nach dieser ausgedehnten Recherche hatte ein einziges Vorurteil hartnäckig dagegen, Genres gefällt mir sehr, und ich werde ihn mich der Jazz völlig in seinen Händen. Seine zerstört zu werden. Was mir im Vario auffiel, Zukunft wohl das eine oder andere Jazzkonzert Entwicklung, die Lebensgeschichten dieser Jazz- war, dass das Konzert zu einem grossen Teil von in der Region besuchen. KOLT November 2015 13
Den Jazz im Sucher Der Fotograf Christian Gerber ist Mitbegründer der Oltner Jazztage und Chronist der internationalen Jazzszene. Nicht nur in seiner Heimatstadt, sondern auf der ganzen Welt hat er Jazzlegenden auf und hinter der Bühne abgelichtet. Christian Gerber (71), der gebürtige Oltner lebt und arbeitet in Locarno. «Die Besitzer des Circolo kochten ch war damals Gründungsmitglied und internationale Künstler ins Circolo innerung bleiben mir auch die ersten Jazz- jeweils vor den des Vereins «Jazz in Olten» und Mit- Hagberg gelockt hatte. Um von Geldern aus tage im Jahr 1998 in der Schützi. Wir haben Konzerten, und initiator der 1. und 2. Oltner Jazztage. Kuratorium und Lotteriefonds profitieren uns damals vielleicht etwas übernommen In Olten bestand bereits seit längerer zu können, gründeten wir 1988 den Verein und die Organisation war schon etwas hap- wir assen alle Zeit die Tradition, Jazz-Musikern eine «Jazz in Olten». Die ersten Jazztage fanden pig. Am Schluss gab es für die Besucher fünf Bühne zur Verfügung zu stellen. Schon in im selben Jahr an verschiedenen Stätten in Tage Jazz. Die zweiten Jazztage im Jahr 2000 i den 50er-Jahren gab es verschiedene Initi- ativen, in Olten einen Jazzclub zu gründen. der Stadt Olten statt. Während meiner Zeit als Mitorganisator gab es viele schöne Mo- waren dann noch einmal grösser in Bezug auf das Programm und das Budget. Grund zusammen am selben Tisch. Doch die Clubs bestanden jeweils immer mente, und die Nächte im Circolo waren für dafür war natürlich die grosse Anzahl an nur für einige wenige Jahre. Konkret wurde mich jedes Mal ein Highlight. Weil das Lo- internationalen Musikern wie etwa Benny Alles war sehr es erst im Jahr 1988 mit meinen Freunden kal ziemlich klein war, entstand eine ganz Golson, die auf das Budget drückten. Oder Jakob Hug, Fredi Eiholzer und Alex Schnel- spezielle, intime Atmosphäre, die man in etwa auch die Tatsache, dass wir vor dem ungezwungen und ler. In Zusammenarbeit mit der «Associa- grossen Konzerthallen nicht fand. Die Besit- National zusätzlich eine Bühne aufgebaut zone Ricreativo Circolo Hagberg» begannen zer des Circolo kochten jeweils vor den Kon- hatten, damit einige Musiker ihren Gig un- dadurch für mich wir, regelmässig Jazz-Konzerte in Olten zu zerten, und wir assen alle zusammen am ter freiem Himmel spielen konnten. organisieren. Mit Jakob Hug hatten wir je- selben Tisch. Alles war sehr ungezwungen sehr spannend.» manden in der Gruppe, der sich in der Jazz- und dadurch für mich sehr spannend. Die Szene bestens auskannte und bis bereits Musiker schätzten das Interesse und diese zuvor immer wieder regionale, nationale spezielle Atmosphäre ebenfalls. In guter Er-
Miles Davies, Montreux '73 Wir Fotografen mussten während des Konzerts extrem lange warten, bis wir ein gutes Bild von Miles schiessen konnten, weil er immer mit dem Rücken zum Publikum spielte. Viele empfanden das als arrogant, doch es galt die Meinung, dass Miles so besser mit seinen Mitmu- sikern kommunizieren konnte. Das Bild zeigt ihn in einem der seltenen Momente, in denen er sich Publikum und Kameras zuwandte. Nach dem Konzert fragte mich Claude Nobs, ob ich ein Foto von Miles schiessen könne, während er einen Preis erhält. Ich sagte natürlich zu und packte sofort meine Pentax, eine ziemlich einfache Ausrüstung, und wollte loseilen. Da fragte mich Nobs ungläubig: «Willst du etwa damit die Fotos machen?» Der Jazz-Star Davis wollte nicht ein riesiges Theater auf der Bühne, sondern nahm den Preis im Keller entgegen. Als ich in den Raum trat, sass Miles lässig, mit Sonnenbrille auf dem Kopf und einem chick auf dem Schoss, auf einem Sofa und betrachtete abschätzig die Trophäe. Diese groteske Situation machte es für mich unmöglich, ein brauchbares Foto der «grossen Preisübergabe» zu schiessen.
Dizzy Gillespie, Newport '67 Dizzy hat mich damals in die Welt des Bebops geführt. Von Bill Haley und Elvis über New Joony Booth, Newport '68 Orleans Jazz und Dixieland bin Dieses Bild, am Newport ich in den Bebop gerutscht. Die Jazzfestival 1968 aufgenommen, Beboper waren damals wie Revo- hat mich in der Entscheidung luzzer, die den Wechsel vom tradi- Fotograf zu werden, bestärkt. tionellen Jazz des Louis Armstrong, Benny Goodman und Co. zum modernen Jazz mit Dizzy oder etwa Charlie Parker bewirkten. KOLT November 2015 Hampton Hawes, David Murray, Olten '96 16 Montreux '71 Murray luden wir nach Olten in den Saal des Hotels Hampton war eine Arte ein, weil das Circolo für ein solches Konzert zu tragische Figur der Jazz- klein war. Zuerst dachten wir an die Färbi als Veranstal- Szene. Er war ein Talent tungsort, doch kamen wir dann zum Schluss, dass die in der Bebop-Szene, ehe Färbi nicht für das Jazz-Publikum geeignet war. er mit Drogen abstürzte. Mitte der 60er-Jahre schaffte er es dann, clean zu werden, doch spielte keine Konzerte mehr in Europa – bis auf eine Ausnahme. 1973 trat er mit einem Trio in Montreux zu einem sehr emotionalen Konzert an. Dort entstand auch dieses Foto.
Terry Clark, Olten '01 Der Auftritt von Clark Terry war ein Reminder an die Oltner Jazztage, die nur alle zwei Jahre stattfinden. Der Schweizer Saxophonist George Robert war für lange Zeit in den USA und tourte mit Terry durch Europa. Eines Tages meldete er sich bei uns und fragte, ob es möglich wäre, in Olten aufzutreten und zwar am Samstag in einem Sextett und am Sonntag mit der Umbi Arlatis Rehearsal Big Band – mit Oltner und weiteren bekannten Schweizer Musikern sowie Clark Terry als Solist. Am Schluss des Gigs ging er in den Trompetensatz und spielte mit den Amateuren zusammen. Michael Neu- enschwander musste ihn dann wieder nach vorne geleiten, da er aufgrund seiner Diabeteskrankheit kaum noch sehen konnte. Terry faszinierte mich als Mensch. Und er war ein wegweisender Trompeter, der die Modellierung des Tons mit Hilfe der Lippen prägte und unter anderen auch Miles Davis beeinflusste. Frank Zappa, Wetzikon '75 Zappa war ein richtiger Freak aus der Hippie-Zeit, der einen Mix aus Rock und verschiedenen Jazz-Elementen spielte. Bereits 1971 befand er sich in KOLT Montreux. Damals brannte das Casino, wo das Konzert stattfand, jedoch ab. Deep Purple war im Publikum und die Stones liehen Zappa daraufhin ihren Bus. November 2015 Das Foto entstand während des Sound- 17 checks in Wetzikon. Am Abend während des Konzerts verunmöglichten die vielen nervösen Lichter eine Aufnahme. Michel Besson, Madagaskar '95 Besson und ich befanden uns im Auftrag des Bundes- amtes für Umwelt Wald und Landschaft (BUWaL) mit Patent Ochsner auf einer Tournee in Madagaskar. Besson war nicht der typische Jazzer, seine Musik hatte viele Elemente von Jazz und Volksmusik. Das Foto zeigt ihn auf einem seiner Abstecher unter die Leute. Es war unglaublich zu sehen, wie sich Jung und Alt um ihn scharten, während er mit sei- nem Akkordeon spielte.
Acht Dinge über Jazz, die du wohl noch nicht gewusst hast. #1 #3 Das Wort «Jazz» hat keine Dizzy Gillespie war ein wirklich tiefere Bedeutung begnadeter Trompetenspieler oder Herkunft. Vielmehr stand und eine faszinierende es ursprünglich für Verrucht- heit und Sex. So bedeutete #2 Persönlichkeit. Aber was ihn zudem auszeichnete, war zum Beispiel «jazzing», mit Jazz ohne Saxophon kann der verbogene Becher an jemandem Sex zu haben. Ein man sich heute eigentlich kaum seiner Trompete. Um das «Jazzbo» war ein Liebhaber noch vorstellen. Tatsächlich markante Instrument ranken und ein «Jazz baby» eine Frau, fand das ursprünglich aus Bel- sich unzählige Geschichten. die man leicht rumkriegt. Für gien stammende Instrument erst Man erzählt sich, Dizzy habe viele Musiker steht das Wort in den 20er-Jahren seinen Platz einmal in der Badewanne das aber für Befreiung, Freiheit und im Jazz-Zirkus. Die Brüder der Trompetenspielen geübt, sei Improvisation, was wohl an der Six Brown Brothers verhalfen dann ausgerutscht und auf die Offenheit und dem Ursprung dem Saxophon schlussendlich Trompete gefallen. Seither sei des Genres liegt. zum Durchbruch. der Becher so verbogen. KOLT November 2015 18
#6 Pannonica de Koenigswarter, besser bekannt als Bebop oder Jazz-Baroness, war eine ge- borene Rothschild, die in New York über 300 Jazz-Musiker in ihrem Appartement wohnen liess. Sie fragte die Musiker nach ihren drei grössten Wünschen und fotografierte sie in alltäglichen Situationen, fernab von der Bühne. Ihre gesammelten Wünsche und #4 Fotos wurden von ihrer Gross- nichte veröffentlicht. Sie galt als Jazz wird allgemeinhin als grosse Förderin des Jazz und elitär und leicht snobig unterstützte die Musiker, wo sie empfunden. Die Wurzeln des nur konnte. Viele behaupten, Jazz liegen aber jenseits der der moderne Jazz hätte nie #3.1 Lebenswelt der gutbetuchten eine solche Entwicklung durch- und feinen Leute. Das Genre laufen, wenn die Baroness Eine andere Geschichte zu entwickelte sich in der unter- nicht gewesen wäre. Dizzys verbogenem Becher drückten schwarzen Gemeinde lautet folgendermassen: Ein in den USA. Diesem Ursprung Tänzer fiel während einer Geburtstagsparty für Gillespies verdankt der Stil auch seine #7 verruchte und wilde Art. Frau auf dessen Trompete. Charles Parker galt mit Die verbogene Trompete Dizzy Gillespie als Begründer erhielt durch den neuen Winkel einen anderen Ton, der Dizzy #5 des Bebops. Doch den Saxo- phonisten plagten Drogen- so gut gefiel, dass er fortan nur Der Legende nach hat der probleme, die sein Leben viel noch Trompeten spielte, die mit Saxophonist John Coltrane am zu früh beendeten. Als er bei einem Winkel von 45 Grad Ende eines Konzerts in einem der Jazz-Baroness wohnte, verbogen waren. Was sicher New Yorker Nachtclub nach schaute er sich eine Sendung ist: Dizzy machte das Resultat seinem Soloauftritt die Bühne mit burlesken Jongleuren am eines allfälligen Malheurs zu verlassen und auf der Toilette Fernsehen an und starb an seinem Markenzeichen. weiter soliert. einem Lachanfall. KOLT November 2015 19
Name Thierry Kuster Alter 32 Wie habt ihr es mit Beruf Musiker; Lehrer an Musikschulen Ausbildung Jazzschule Zürich Geboren und wohnhaft in dem Jazz...? Olten Projekte «Lukas Brügger Jazz Orchestra», «Angel Maria Torres y Sus Ultimos Mamboleros» Leben erhielt 2009 den Werkjahresbeitrag des Kantons Solothurn und Sie sind jung und haben das Saxophonspiel zu ihrem 2012 den Studienpreis der «Werner und Berti Beruf gemacht: Simon Spiess und Thierry Kuster. Jazz ist Teil Alter-Stiftung» für ihres Lebens. Vier Fragen und acht persönliche Antworten. aussergewöhnliche musikpädagogische Fotos von Roman Gaigg Leistungen. Wie bist du zum Jazz gekommen, und was bedeutet er für dich? Thierry Kuster: Grossen Einfluss auf mich hatten John Coltrane und Alex Henriksen, mein erster Jazz-Lehrer in Olten. Durch sie bin ich zum Jazz gekommen. Und natürlich auch durch die Tatsache, dass mit «Jazz in Olten» bereits ein gutes Angebot in der Stadt bestand. Ich war bereits in meiner Ju- gend von extremen Musikrichtungen wie Metal angetan und so überrascht es wohl nicht, dass mein erster Zugang zum Jazz über den Freejazz führte. Danach besuchte ich dann jeweils den «Jazzbaragge Wednesday Jam» und war faszi- niert davon, dass sich durch die Musik unter den Musikern eine gemeinsame Sprache entwi- ckelte. Jazz ist heute für mich vor allem ein Ge- meinschaftsgefühl. Es bedeutet, mit Freunden etwas auszukochen und zusammen zu arbeiten – das ist Jazz für mich. Simon Spiess: Ich fühlte mich bereits als Kind von der Musik angezogen, was auch mit meinen Eltern zu tun hat. Zuerst interessierte ich mich für R'n'B, Gos- pel und Funk. Als ich dann in Olten im ehema- ligen Plattenladen «Bro» einige Kisten durch- stöberte, fiel mir eine Platte von John Coltrane in die Hand. Sofort war ich fasziniert von der Musik und der Lebensphilosophie des Jazz, und das Genre wurde zu meiner grossen Liebe. Jazz ist ein sehr reflexiver Musikstil, gleichzeitig aber auch provokant und entspannend. KOLT November 2015 20
Ist Jazz wirklich so elitär, wie dies oft behauptet wird? Thierry Kuster: Die Jam-Kultur des Jazz ist eigentlich völlig un- elitär und kommt aus einem ganz anderen Mi- lieu. Für das Publikum ist das Genre auch nicht immer einfach fassbar, weil es keine einfache Sprache spricht. Jazz scheint für Leute, die nor- malerweise populärere Musik hören, oft un- strukturiert und das missfällt ihnen. Darum denken sie wohl, es sei etwas Elitäres. Simon Spiess: Jazz war in den 50er- und 60er-Jahren die Mu- sik der Studenten und daher eher für die Intel- Name Simon Spiess lektuellen. Jazz erfordert eine gewisse Attitude Beruf Musiker und Grundeinstellung, daher ist es schwierig, Wie hat sich Ausbildung: Master in das Genre «normalen» Leuten näher zu brin- gen. Aber Jazz ist auch provokant und verrucht, das Genre für dich Musikpädagogik an der Musik-Akademie Basel also gar nicht elitär. Wenn ich es mit einem Ge- in den letzten Geboren in Aarburg, schmack erklären müsste, schmeckt es für mich Jahren entwickelt? wohnhaft zurzeit in Olten. wie Morgenkaffee mit Zigarette und Whisky. Hauptprojekt: «Simon Spiess Trio» Thierry Kuster: Leben: Gewann diverse Es entwickelt sich weiterhin in alle Richtungen Förderpreise und lebte in Welches sind weiter. Ich spüre aber eine leichte Tendenz zu- Berlin und Paris. Nahm in für dich die grössten rück in Richtung akustischer Jazz ohne elektro- nisches Equipment und Synthesizer. New York Privatunterricht Jazz-Musiker? bei Jazz-Grössen. Simon Spiess: Thierry Kuster: R'n'B, Gospel und Funk sind sozusagen die John Coltrane, Warne Marsh, Dick Oatts und Göttibueben des Jazz. Auch Hip Hop hatte Jazz meine ehemaligen Lehrer Alex Henriksen, Reto als Vorbild und ist quasi dessen Enkel. Jazz ist Suhner und Christoph Grab. der offenste Musikstil überhaupt, und über die Jahre haben so viele verschiedene andere Stile Simon Spiess: Einfluss genommen und neue Stilrichtungen ge- John Coltrane, Warne Marsh, Domenic Landolf schaffen. Diese Entwicklung wird wohl immer und Mark Turner. so weiter gehen. KOLT November 2015 21
Wer im Ausland lebt oder seine Ferien jenseits der Grenze verbringt, ist herzlich eingeladen, IM EXIL KOLT einen Beitrag für diese Rubrik zu schicken: ein Bild und max. 1000 Zeichen Text an redaktion@kolt.ch. «Ich habe ein Lächeln im Gesicht und vergesse meine Sorgen» Menschen aus der Region berichten aus der Welt – dieses Mal Sólheimasandur, Island über eine historische Bruchlandung A auf Island, Meditieren in Uruguay m 22. November 1973 berichtet das Ferne ein Objekt, das sich gar nicht gross von und amerikanische Achterbahnen Morgunbladid vom Absturz eines seiner Umgebung abheben will. Es ist das Flug- made in Switzerland. amerikanischen Militärflugzeugs am zeugwrack einer alten Douglas-Militärma- Strand von Sólheimasandur, einer von Lava- schine, von der heute nur noch der Rumpf so- gestein schwarzgefärbten unendlichen Sand- wie Teile der beiden Triebwerke vorhanden wüste an der Südküste Islands. Es ist uns nur sind. Bug und Flügel sind verlorengegangen. sehr wenig über den Absturz und ein dort Im garstigen Gegenwind versuchen wir uns noch immer herumliegendes Flugzeugwrack vorzustellen, wie die Bruchlandung damals ab- bekannt. Wir zweigen irgendwo im Niemands- gelaufen war. Es mussten ähnliche Wetterbe- land zwischen Vik und Skogar von der asphal- dingungen geherrscht haben wie am Tag unse- tierten Ringstrasse ab, schlängeln uns an ei- res Besuchs. Ein schweigendes Wrack in einer nem heruntergekommenen Schafszaun vorbei nassgrauen, kargen Szenerie, gerahmt von ei- und gelangen auf eine in der Einöde kaum er- nem wolkenverhangenen Himmel und einer kennbare Schotterpiste. Dieser folgen wir rauen, aschfarbenen Sandwüste. zirka sechs Kilometer mit Tempo 20 in die is- ländische Pampa hinein. Irgendwann nach ei- Emanuel Biland (32) ist Architekt, stammt aus nem Meer von Schlaglöchern erscheint in der Olten und bereiste eine Woche lang Island. Laufend ausgewählte Filme KOLT November 2015 22
Costa Azul, Uruguay I ch sitze auf meiner Meditationsmatte und bestaune den vom Sonnenunter- gang orange-rot gefärbten Horizont. Die riesige Fensterfront in der Medi- tationshalle hier in «La I», einem Retreat-Zentrum an der Küste Urugu- ays, eröffnet einen traumhaften Ausblick direkt auf die Meeresküste der Costa Azul. «Cómo te sientes?», zu Deutsch «Wie fühlst du dich?», ist eine der Stan- dartfragen hier und stellt für viele, die sich zum ersten Mal eine Auszeit in diesem von Liebe erfüllten Ort gönnen, eine ziemliche Herausforderung dar. Sonst kümmert es ja eher wenige Mitmenschen, wie man sich wirklich fühlt, im Gegenteil scheint es meist von Vorteil, seine wahren Gefühle zu verbergen. Hier haben sie jedoch allerhöchste Priorität denn man geht davon aus, dass das ständige Unterdrücken und Zurückhalten unserer Gefühle nicht nur enor- men physischen und psychischen Stress, sondern auch zwischenmenschli- che Distanz, Isolation, Traurigkeit und Wut verursacht. Vielen von uns wurde schon von klein auf beigebracht, vor allem die sogenannten negativen Gefühle wie Wut und Traurigkeit möglichst zu verbergen: so halten wir sie also meis- Tampa Bay, Florida tens zurück, um Konflikte oder unangenehme Situationen zu vermeiden. Dass W wir damit einen tieferen zwischenmenschlichen Kontakt verunmöglichen, ist as genau bedeutet Erholung? Zum Beispiel, dass uns leider oft nicht bewusst. Mehr und mehr wage ich mich also, mich zusam- man vom Alltag abschalten kann. Genau das habe men mit den restlichen Teilnehmern dem Fühlen und Ausdrücken meiner ich in meinen Ferien gemacht: nicht am überfüllten Gefühle vollkommen hinzugeben und erlebe mit Staunen, wie dabei unglaub- Strand, sondern auf den extremsten Achterbahnen der USA. liche Nähe und Vertrautheit zwischen uns allen entsteht. Sich verletzlich zu Busch Gardens Africa im schönen Tampa Bay Florida, das war zeigen ist nie Schwäche, sondern schafft die Basis, um sich selbst und ande- mein Reiseziel. Die Anlage gehört zu den weltweit angesagtesten re bedingungslos annehmen und lieben zu können. So komme ich auch heute Freizeitparks. Acht der spektakulärsten Achterbahnen der immer wieder zu dieser Frage zurück und lasse mich meine Antworten dank- Welt warten in Themenbereichen mit Namen wie «Kongo», bar fühlen. «Ägypten» oder «Nairobi» auf den Besucher. Dort fühlt man sich beinahe so, als befände man sich wirklich in Afrika – natürlich Raphaela Bordoni (35) aus Olten verweilte drei Monate in Uruguay und plant, alles schön kitschig übertrieben, wie es die Amerikaner lieben. nächstes Jahr für den zweiten Teil ihres Meditationstrainings zurückzukehren. Da hätten wir zum Beispiel den Kumba. Einen 45 Meter hoher Looping-Coaster, der den Fahrgast mit 100 Kilometer pro Stunde durch sieben Inversionen schiesst oder den 75 Meter hohen Dive-Coaster, mit dem man für ein paar Sekunden am Abgrund wartet, bevor man steil in die Tiefe stürzt. Alle diese Achterbahnen sind nicht etwa «Made in USA», sondern kommen aus dem Wallis und Zug. Ihr habt richtig gehört, wir sind das Land mit den grössten und besten Achterbahnfirmen. Mit Patriotismus hat meine Leidenschaft aber wenig zu tun. Ich liebe das Gefühl von Geschwindigkeit, Schwerelosigkeit und den G-Kräften, die einem so schön in den Sitz pressen. Genau in diesen wenigen Sekunden fühle ich mich frei, habe ein Lächeln im Gesicht und vergesse all meine Sorgen. Auch nach über 160 verschiedenen Achterbahnen ist meine Sucht noch nicht besiegt, die nächste Reise nach Amerika ist schon gebucht – zu neuen Achterbahnen. Bis dahin ist aber definitiv Busch Gardens Tampa mein Exil. Marc Gerber (29) kommt ursprünglich aus Langenthal und schreibt im KOLT-Magazin über Schweizer Musik. www.bijouterie-maegli.ch AnziehungskrAft liegt in unserer nAtur. KOLT November 2015 23
SERIE FILM Unheimlichland Eine apokalyptische Wolke hängt über der Schweiz. von Caspar Shaller D ass der Kinosaal so voll sein würde, als am vergangenen Zürcher Filmfestival (ZFF) die Pilot- folge von «Mr. Robot» gezeigt wurde, war ja klar. Serienscreenings an Filmfestivals sind en vogue und wenn gratis, so wie am ZFF, defini- tiv ein Muss. Mehr als bloss ein nettes Zückerli war die Anwesenheit von Autor, Produzenten und den beiden Hauptdarstellern Christian Slater und Rami Malek. Das «Mr. Robot»- W Team war sichtlich heiter, immer ie kalt ist dieses Land. Es besteht aus Eis hen. Es ist beindruckend, wie die Filmemacher eine noch geflasht vom dem sich seit Juni und Stein, Stahl und Glas. In wunder- gemeinsame Bildsprache gefunden haben, doch so exponentiell steigernden Hype um schönen Bildern zeigt der Film «Heimat- viele Geschichten überladen den Film. Weniger und «Mr. Robot». Insofern ist dieser Seri- land» eine Schweiz, bestehend aus nichts als Infra- dafür längere, tiefergehende Sequenzen wären schö- entipp von vorgestern. Egal. Was gut struktur, Industriearealen, Bahnhöfen, Autobahnen, ner gewesen. ist, gehört jedem aufs Auge gedrückt. Büros und Supermärkten. Eine Wolke bedeckt das Aber der Impuls ist verständlich; In der Schweiz Zum Inhalt: Ein talentierter und Land, sie bringt die Apokalypse. Der Strom fällt aus, ist die Selbstreflexion über die heimische Kultur fast sozial handicapierter Hacktivist das Wasser ebenso, das Ende naht, Millionen von vollständig von wandernden Fernsehmoderatoren namens Elliott bildet das Epizentrum Menschen flüchten. und kochenden Bauersfrauen erdrückt worden – da dieser Geschichte. Er ist die Sorte von muss die seltene Chance, einmal die vielen, vielen Freund, die man sich eigentlich nicht Ein Wunder: «Heimatland» ist nicht plump, sondern Themen anzuschneiden, die man besprechen sollte, wünscht: Er schwänzt deine Geburts- packend und anrührend. Schauspieler sprechen wie doppelt genutzt werden. tagsparty, nimmt Drogen und hackt echte Menschen, in allen Sprachen dieses Landes, «Heimatland» präsentiert eindrücklich die sich in die tiefsten Abgründe deiner nicht wie behäbige Mundartroboter. Der Film ist ein Malaise dieses Landes: Gier und Hedonismus, Isolati- Internetidentität. Gut, dass er die Gemeinschaftsprojekt von zehn Regisseuren, die alle on und Rassismus. «C’est la nuage de l’honte», spricht meiste Zeit damit beschäftigt ist, die zu nennen den Umfang dieser Rezension sprengen Jean Ziegler den Subtext für diejenigen aus, die es Welt vom Bösen zu retten. Im schwar- würde. Die Regisseure sind angeblich jung, also zwi- noch nicht begriffen haben: Es ist die Wolke der zen Hoodie bewegt er sich irgendwo schen 30 und 40 Jahre alt. Formiert haben sie sich um Schande. Und siehe da: Die Wolke endet an der Gren- zwischen Tag und Nacht, Realität und Michael Krummenacher und Jan Gassmann («Chri- ze. Die Katastrophe kommt aus dem Inneren und sie Psychose, Liebe und Freundschaft. gu»), welche die ursprüngliche Idee hatten, perfor- betrifft nur uns. Die EU schliesst die Grenze, hinaus Hello friend, please stay forever. (nb) mativ die Isolation, die sie der Schweizer Gesellschaft kommt nur, wer im Besitz eines europäischen Passes diagnostizieren, zu durchbrechen. Die Filmemacher ist, wie etwa die Familie eines kroatischen Taxifah- Mr. Robot haben sich gegenseitig assistiert und es entstand ein rers. Sich diese Situation gerade in diesen Tagen vor 2015, 10 Episoden, +1 Staffel, Werk, dem man nicht anmerkt, dass es so viele Väter Augen zu führen, täte diesem kalten Land wohl gut. Cyperpunk-Thriller, USA und Mütter hat. Fast nicht. Heimatland ist aufgebaut wie ein klassischer Katastrophenfilm. Er erzählt, Heimatland (CH/2015) wie verschiedene Menschen mit der Wolke umge- Offizieller Kinostart: 12. November DIE 5 ALBEN MEINES LEBENS von Dodo Alpha Blondy Cocody Rock Peter Fox Stadtaffe Damian Marley Bilderbuch Ich wuchs an der Elfenbeinküs- Die Lyrik bewegt sich auf Major Lazer Welcome to Jamrock Schick Schock te auf und Alpha Blondy, der dem höchsten Level der Pop- Free the Universe Dieser unglaubliche Flow, Für mich die Entdeckung des erste afrikanische Reggae-Star, geschichte. Und weil die Texte Dort will ich hin. Auf diesen kombiniert mit Reggae, der Jahres. Die vielen Falco-Zitate lief daheim in Dauerrotati- perfekt mit den von Streichern Planeten, in dieses Universum sich nicht scheut, Hip-Hop-, bewegen mich deshalb so on. Die Bläser-Sätze sind und Bläsern unterlegten Beats – zu dieser Musik! Das ist so Soul- und World Music- sehr, weil «Rock me Amadeus» unschlagbar und der Song harmonieren, gibt es keinen verdammt fresh, so revolutio- Elemente in sich aufzunehmen, meine erste Erfahrung mit «Jerusalem» hat die wohl beste treffenderen Ausdruck dafür när, so dreckig und schön. ist einfach nur WOW. Sprechgesang war. Reggae-Basslinie überhaupt. als: Audio-Porno! KOLT November 2015 24
MUSIK Ist da irgendwer? In Langenthal dürfte es ruhig etwas lauter sein – in musikalischer Hinsicht. Gut, machen da die einheimischen Anybody Out There seit neustem etwas Lärm. von Marc Gerber Impression FreeSign®3 das beste Gleitsichtglas von Rodenstock. W ohin geht man in den Ausgang? Freunde und ungefähr jeder Langenthaler, der Nach Bern, Luzern, Basel oder wieder einmal in der Heimat in den Ausgang Zürich? Als Langenthaler musste man sich früher diese Frage nicht stellen, denn wollte, waren vor Ort. Zwei Boxen, eine Mi- schpult-App auf dem iPad und gute Stimmung, Erleben Sie die absolute in Langenthal war immer etwas los. Ob im LaKuZ, im Chrämi oder in der Traube, irgend- mehr brauchte es nicht für ein tolles Konzert. Klar darf man hier keine Perfektion erwar- Freiheit des natürlichen Sehens. wo gab es immer ein Konzert. Die Zeiten aber ten wie bei Pink Floyd, doch die Jungs waren haben sich geändert. Wer heute in Langent- mit Herzblut dabei. Das spürte man spätestens hal in den Ausgang geht, der findet nicht mehr dann, als Keyboarder Simon Freiburghaus sich viel, was als Beweis für ein vielseitiges Nachtle- schon fast hypnotisch zu dem Beat bewegte. ben herhalten würde (danke, liebe Stadtregie- rung). Zum Glück gibt es aber ab und zu immer Die Musik von Anybody Out There zu beschrei- noch ein Konzert, und das sogar von der loka- ben, ist definitiv ein schwieriges Unterfangen, len Indie-Pop-Band Anybody Out There. denn es schleicht sich das Gefühl ein, dass sich die Herren selbst nicht einig sind, in wel- Anybody Out There luden am 10. Oktober zu che Richtung ihr Sound gehen soll. Dies merkt ihrem EP-Release-Konzert ein. Über ein Jahr man auch ihrer selbstgemachten EP an: so sind haben die drei Langenthaler Simon Freiburg- die ersten zwei Songs «Drown» und «Full Wor- haus, Manuel Jordi, Matthias Nyfeler und der ld» innovativ, sphärisch und die Gitarrenparts Berner Drummer Martin Müller an der EP ge- ausgetüftelt. Die anderen Tracks wirken hinge- arbeitet. Nicht etwa in einem grossen Tonstu- gen blasser und können nicht an die Kreativi- dio, nein, bei Gitarrist Manuel Jordis Eltern im tät der ersten Hälfte der EP anknüpfen. Dazu Keller. Diese Musik – Achtung, schlechter Witz merkt das geschulte Ohr, das hier die Stimme – ist also wirklich underground. des Sängers Matthias Nyfeler auch an seine Bartlomé Optik AG Grenzen kommt. Viel Potenzial, viel Liebe zur Brillen und Kontaktlinsen Im Provisorium, einer kleinen Bar, wurde der Musik, das ist «Anybody Out There». Ich warte Hauptgasse 33 - 4600 Olten Release gefeiert. Viele Familienmitglieder, voller Neugier auf das erste Album. KOLT November 2015 25
......................... BUCH KOLT liest von Daniel Kissling DIE SCHWEIZ IST DES WAHNSINNS – EIN WARNRUF Dem Bürger fliegt von von Lukas Bärfuss Bärfuss bringt in seinem Essay (FAZ vom 15.10.) auf den Punkt, wor- spitzem Kopf der Hut an die Schweiz krankt. Der Autor beschreibt treffend und schonungs- Menschheitsdämmerung von Kurt Pinthus los, wohin die reaktionäre und auf Profit erpichte Politik dieses Land geführt hat und noch führen wird. Damit ging er ein hohes Risiko ein. Denn mit «Nestbeschmutzern» geht E man hierzulande nicht zimperlich igentlich bin ich wenn wir heute auch um. Alleine deshalb aber ist der ein Gegner von Ge- keinen Weltkrieg hinter mutige Text lesenswert. dichtbänden, noch uns haben, es uns ver- Martin Bachmann, KOLT-Reviewer mehr, wenn sie nicht gleichsweise gut geht: aus einer Feder stam- die Stimmung stimmt. DER SUSAN-EFFEKT men. Ich denke an «Die Niemand weiss, wo es von Peter Høeg 100 schönsten Liebesge- hin geht, alle sprechen Lange nach Fräulein Smilla und dichte» oder «Blumen davon, dass sich was auch lange nach seinem noch viel der deutschen Lyrik» ändern muss, doch nie- besseren «Die Frau und der Affe» und damit – ohne es despektierlich zu meinen – an mand weiss, was und wie. driftet Høeg wieder wie gewohnt ältere Damen, die neben Reader's Digest und dem ins Absurde, verliert mich da und «grossen Kreuzworträtsel-Lexikon» auch noch ein Fast hundert Jahre ist «Menschheitsdämmerung» dort und zieht mich dennoch kom- paar Verse Goethe stehen haben. Und gerade des- mittlerweile alt. Dessen so treffender, wie unter- plett hinein. Nach dieser Lektüre wegen empfehle ich euch hiermit einen Gedicht- treibender Untertitel: «Ein Dokument des Expressi- frage ich mich, was hinter den band. onismus. Treffend, weil es kein anderes Buch, zu- Kulissen dieser Welt wohl alles mal für 15 Franken, gibt, das einen so exakten, so geschieht, ohne dass ich davon «Menschheitsdämmerung» ist nämlich nicht ein- stimmungsvollen Einblick in die wahrscheinlich ex- Wind bekomme. fach eine Ansammlung wohlklingender Zeilen – im plosivsten Jahre der deutschen Literaturgeschichte Fabienne Käppelii, KOLT-Reviewerin Gegenteil! Expressionismus, das ist Industrial Noi- bietet. Untertreibend, weil diese 384 Seiten einen, se Punk, laut krachend, fies zischend und dissonant hat man sich einmal darauf eingelassen, nie mehr VERSCHWÖRUNG kreischend. Kriegserklärungen, Todesurteile, Hoff- loslassen werden. Oder wie viele eurer Matura-Bü- von David Lagercrantz nungsschreie und Abgesänge sind das und zwar cher habt ihr in den letzten Jahren immer und im- Obwohl hübsch konstruiert, von den Besten der Besten: Benn, Trackl, Stramm, mer wieder zur Hand genommen? Ich bin ein Geg- verprasst Lagercrantz das gesamte Heym und Else Lasker-Schüler – wer heute Poetry ner von (normalen) Gedichtbänden. Deswegen Erbe von Stieg Larsson und hinter- Slammer als Sprach-Akrobaten bezeichnet, kennt empfehle ich euch diesen. lässt ein Buch ohne eigenes Profil, diese Extremisten der deutschen Sprache nicht. eine Totenmaske des Urhebers, Kurt Pinthus dessen Figuren wie Statisten einer «Dem Bürger fliegt von spitzem Kopf den Hut», so Menschheitsdämmerung. amerikanischen Krimiserie in der beginnt das erste Gedicht. Eine Kampfansage, die Ein Dokument des achten Staffel wirken. Programm ist, denn 1919, als «Menschheitsdäm- Expressionismus Jorma Müller, Fotograf merung» von Herausgeber Kurt Pinthus das erste Herausgegeben von Kurt Pinthus. Mal erschien, herrschte Untergangsstimmung. Und Rowohlt Taschenbuch, 1959. MEHR ALS EINE DRUCKEREI KOLT ... November 2015 26 DIETSCHI PRINT&DESIGN AG Ziegelfeldstrasse 60 4601 Olten T 062 205 75 75 F 062 205 75 00 www.dietschi-pd.ch
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