Räume unter Strom Eine diskurstheoretische Analyse zu Aushandlungsprozessen im Zuge des Stromnetzausbaus - Sciendo
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Raumforsch Raumordn (2016) 74:323–338 DOI 10.1007/s13147-016-0417-4 WISSENSCHAFTLICHER BEITRAG Räume unter Strom Eine diskurstheoretische Analyse zu Aushandlungsprozessen im Zuge des Stromnetzausbaus Florian Weber1 · Olaf Kühne1 Eingegangen: 7. Dezember 2015 / Angenommen: 29. Juni 2016 / Online publiziert: 19. Juli 2016 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016 Zusammenfassung Die Energiewende verändert in Deutsch- Spaces and Power Lines land mit dem Ausstieg aus der Kernkraft und dem Ausbau A discourse-theoretical analysis of negotiation processes in erneuerbarer Energien in weitreichender Weise bisherige the course of the national power grid extension Strukturen der Energieversorgung und wirkt sich dabei räumlich stark aus. Einen Aspekt bilden hierbei Verände- Abstract With its phase-out of nuclear power generation rungen im bestehenden Stromnetz. Vorhandene Leitungs- and the expansion of renewably sourced energy, the German trassen sollen ertüchtigt, andere umfänglich neu gebaut energy transition (“Energiewende”) has radically changed werden, was Widerstände und Konflikte mit sich bringt. existing power supply structures, with wide geographical Der Artikel untersucht vor diesem Hintergrund aus dis- repercussions. One aspect of this is changes within the kurstheoretischer Perspektive, wie der Stromnetzausbau being national power grid. Existing networks are to be und mögliche Widerstände verhandelt werden und wel- upgraded and new long-distance power-lines built. This che Argumentationsmuster dabei vorherrschend sind. Die creates resistance and conflict. Against this background, durchgeführten Analysen fußen auf einem Methodenmix our article investigates from a discourse theory perspec- aus quantitativ orientierten und qualitativen Analysebe- tive how power grid extensions and possible opposition are standteilen, um sowohl zentrale Bezugnahmen auszudiffe- communicatively constructed, and what argumentation pat- renzieren als auch Einzelaspekte detaillierter zu betrachten. terns dominate the discussion. The analyses undertaken Zusammenfassend bilden die Bedarfsfrage des Stromnetz- here are based on a methodological mix of quantitative- ausbaus, Beteiligung, die eingesetzte Technik, Gesundheit, oriented and qualitative elements that facilitates both the Wirtschaft sowie Natur und Landschaft zentrale Konflikt- differentiation of central issues and detailed examination of felder, die innerhalb des Stromnetzausbaus ausgehandelt individual aspects. In sum, the underlying need for grid werden und sich in eher kognitive, emotionale und ästheti- extension and the technology involved on the one hand, sche Bewertungsmuster einreihen. and issues of health, local economies, natural environment, landscape, and participation in the decision-making pro- Schlüsselwörter Energiewende · Erneuerbare Energien · cess on the other hand, form central fields of conflict to be Stromnetzausbau · Diskurstheorie · Macht negotiated at cognitive, emotional and aesthetic levels of discourse. Keywords Energy transition · Renewable energies · Dr. Florian Weber Power grid extension · Discourse theory · Power florian.weber@hswt.de Prof. Dr. Dr. Olaf Kühne olaf.kuehne@hswt.de 1 Einleitung: Konfliktfeld Stromnetzausbau 1 Landschaftsarchitektur, Hochschule Weihenstephan-Triesdorf, Am Hofgarten 6, 85354 Freising, Vor dem Hintergrund der Reaktorkatastrophe in Fukushi- Deutschland ma im März 2011 wurden der Ausstieg aus der Kernkraft
324 F. Weber, O. Kühne bis 2022 und der weitere Ausbau erneuerbarer Energieträ- verschieben, ebenso wie sich Veränderungen im Hinblick ger Kernstücke politischen Agierens (vgl. unter anderem auf Beteiligungsverfahren ergeben (Schmidt 2015: 17). Bundesregierung 2015). Dieser Ausbau wird in Deutsch- Die Übertragungsnetzbetreiber 50 Hertz, TenneT, Amprion land generell weithin als notwendig, in großen Teilen so- und TransnetBW erstellen Netzentwicklungspläne mit als gar als wünschenswert betrachtet. Nach einer repräsentati- erforderlich angesehenen Ausbauvorhaben, die durch die ven Umfrage des Meinungsforschungsinstituts TNS Emnid Bundesnetzagentur geprüft werden. Auch hieran entzün- vom August 2015 bewerteten 93 % der Befragten den wei- den sich Konflikte, unter anderem mit dem Verweis auf teren Ausbau als „wichtig“ bis „außerordentlich wichtig“ unzureichende Transparenz (Stegert/Klagge 2015: 172). (Agentur für Erneuerbare Energien 2015: o. S.). Der grund- Der Prozess des Stromnetzausbaus wird zu einem Feld sätzlichen Zustimmung zum Trotz entzünden sich Konflikte unterschiedlicher Aushandlungsprozesse und Widerstän- auf lokaler Ebene an konkreten Planungen von Windkraft-, de. In bisherigen Veröffentlichungen wurden besonders Photovoltaik- oder Biomasseanlagen (vgl. Leibenath/Otto fallstudienbezogen Akzeptanzfragen sowie Medienbericht- 2013). Zudem ergeben sich Konfliktfelder im Zuge des ge- erstattung und Expertenpositionen fokussiert, die Entwick- planten Stromnetzausbaus – und dies nicht allein punkthaft lungen bis Jahresende 2012 (vgl. Schweizer-Ries 2010; an einzelnen Orten, sondern vielmehr linienhaft und ver- Zimmer/Kloke/Gaedtke 2012; Hübner/Hahn 2013) bzw. netzt: Landkreise, Kommunen und Bürgerinitiativen schlie- Herbst 2013 (Neukirch 2014) abdecken. Darüber hinaus ßen sich zu Bündnissen zusammen, tauschen sich aus und wurden Beteiligungsverfahren zu Projekten im Kontext streben Anpassungen von Planungen an oder haben zum des Energieleitungsausbaugesetzes (Koch/Odparlik/Köppel Ziel, ganze Trassen zu verhindern (z. B. Feneberg 2014; 2014) sowie Stellungnahmen zu Konsultationsverfahren Landkreis Hameln-Pyrmont 2014). zum Netzentwicklungsplan als Grundlage für Überlegun- Der Ausbau bestehender Stromnetze ist allerdings nicht gen zur Bürgerbeteiligung (Stegert/Klagge 2015) analy- erst ein Phänomen der Post-Fukushima-Ära. Im Jahr 2009 siert. Der deutlich angewachsene Widerstand, der im Juli wurden im Energieleitungsausbaugesetz (EnLAG) Vorha- 2015 in der politischen Entscheidung, Erdverkabelungen zu ben mit fast 2000 km Länge festgelegt (Riegel/Brandt 2015: favorisieren, mündete (vgl. Abb. 4), wurde für die Gleich- 10), wobei darin enthaltene bereits vor Inkrafttreten des Ge- strompassage Süd-Ost von Neukirch (2015) aufgegriffen, setzes initiiert wurden und sich an einem Streckenabschnitt aber noch nicht mit Fallstudien beleuchtet. Auch standen beispielsweise bereits 2004 eine Bürgerinitiative gründete bis dato Verfestigungsprozesse bestimmter Deutungsmus- (Neukirch 2014: 23). Die Perspektive, dass bis 2022 alle ter – Befürwortung und Gegnerschaft des Netzausbaus – deutschen Kernkraftwerke vom Netz gehen sollen, führ- multiperspektivisch weniger im Mittelpunkt. te jedoch zur dezidierten Benennung weiterer Vorhaben Im Rahmen eines Forschungsvorhabens im Auftrag des mit „vordringlichem Bedarf“: Im Bundesbedarfsplangesetz Bundesamtes für Strahlenschutz wurden von November (BBPlG), das im Juli 2013 in Kraft trat, wird ein „Bedarf 2014 bis Oktober 2015 zentrale Argumentationsmuster für rund 5000 Kilometer Netzausbau- und Netzverstär- und Konfliktlinien in den Mittelpunkt gerückt. Ausgehend kungsmaßnahmen“ konstatiert (Riegel/Brandt 2015: 10) von einer diskurstheoretischen Perspektive wurden aktuelle – begründet mit dem Verweis darauf, Energie aus dem Aushandlungsprozesse – innerhalb medialer Darstellungen windreichen Norden müsse in den verbrauchsstarken Sü- sowie experten- und fallstudienbezogen – ausdifferenziert. den transportiert werden. Für Windkraftanlagen günstige Es rückt damit eine Forschungsperspektive in den Mit- windhöffige Standorte „befinden sich [gerade] in den struk- telpunkt, die die Herstellung „sozialer Wirklichkeit“ und turschwachen und dünn besiedelten Regionen Norddeutsch- die Verfestigung bestimmter Bedeutungen fokussiert. Der lands bzw. in der Nord- und Ostsee“ (Neukirch 2014: 5). Beitrag geht vor diesem Hintergrund der Frage nach, wel- Zu den Vorhaben gehören auch der „SuedLink“ und die che zentralen Diskursstränge und darin enthaltene Haupt- „Gleichstrompassage Süd-Ost“, die in Gleichstromübertra- argumentationsmuster, insbesondere der Kritik, sich im gungstechnik errichtet werden sollen und zwischenzeitlich Zuge der Aushandlungsprozesse um den Stromnetzausbau zu besonders massivem Widerstand, gerade im Freistaat nachzeichnen lassen. Welche Positionen sind machtvoll – Bayern, führten. Während, vereinfachend dargestellt, die hegemonial – verankert, welche werden dagegen eher in Energieleitungsausbaugesetz-Vorhaben in Länderzustän- den Hintergrund gedrängt? Welche Bruchlinien lassen sich digkeit fallen, werden für länderübergreifende Bundesbe- dabei gegebenenfalls auch herausarbeiten? darfsplangesetz-Vorhaben die Bundesfachplanungen und Zunächst werden im Folgenden die diskurstheoretische die Planfeststellungsverfahren durch die Bundesnetzagen- Grundperspektive und das methodische Vorgehen sowie tur durchgeführt1, womit sich Planungszuständigkeiten Analysebestandteile erläutert (Abschn. 2). Im Anschluss werden zentrale Argumentationsmuster der Befürwortung 1 http://www.netzausbau.de/wissenswertes/recht/nabeg/de.html und der Gegnerschaft zum Stromnetzausbau unter Ein- (13.06.2016). beziehung fallstudienbezogener Spezifika dargestellt (Ab- K
Räume unter Strom 325 schn. 3). Vor dem Hintergrund der Ergebnisse werden und Ressourcenverschwendung erfolgt. Gleichzeitig sind abschließend Zusammenhänge und mögliche Folgen für immer Veränderungen möglich – es bestehen regelmäßig zukünftige Entwicklungen skizziert (Abschn. 4). unterschiedliche Diskursstränge, die miteinander konkur- rieren und bei denen auch bisher eher unterdrückte Deutun- gen zentral werden könn(t)en. Laclau und Mouffe (1985) 2 Diskurstheoretische Forschungsperspektive, betonen damit die Unmöglichkeit endgültig fixierter Struk- methodisches Vorgehen und Analysebestandteile turen. Auch in vermeintlich stabilen Verhältnissen können Veränderungen auftreten (Laclau 1994: 1 f.; Weber 2013: 2.1 Die diskurstheoretische Grundperspektive 50). Bedeutungsveränderungen sind vom Grundsatz her immer möglich. Aufgrund dieser Veränderlichkeit sind Planungen um den Stromnetzausbau zeigen mit einem Blick Deutungshoheiten temporär, wodurch diese einem ständi- auf die Entwicklungen der letzten Jahre, dass es hierbei gen Prozess der Verteidigung, Erosion, Umdefinition und immer wieder zu verschiedenen Veränderungen gekommen Neuerrichtung, kurz von Macht, unterliegen. Dies trifft bei- ist, wie beispielsweise die Definition von Vorhaben über spielsweise auf die Bewertung der in Deutschland in den das Bundesbedarfsplangesetz neben den bereits bestehen- 1960er-Jahren von vielen als zukunftsweisend erachteten den Vorhaben aus dem Energieleitungsausbaugesetz, die und heute eher mit Risiken verknüpften Kernkraftwerken Übernahme/Nicht-Übernahme von Vorschlägen der Über- zu (Gleitsmann 2011: 20, 23). tragungsnetzbetreiber in die Netzentwicklungspläne oder Entscheidend ist vor diesem Hintergrund, welche Dis- im Hinblick auf Freileitungen gegenüber Erdverkabelun- kursstränge – konkret innerhalb des Stromnetzausbaus – gen, die gerade beim SuedLink oder der Gleichstrompas- so unhinterfragt werden, dass ihre Veränderungsmöglich- sage Süd-Ost zunächst nicht vorgesehen waren. Gleichzei- keit in Vergessenheit gerät und sie unverrückbar scheinen. tig lässt sich beobachten, dass bestimmte Positionen, wie Solche Diskurse werden von Laclau und Mouffe als beson- die Legitimation des Netzausbaus über den Ausstieg aus ders machtvolle und erfolgreiche – hegemoniale – Diskur- der Kernkraft und den weiteren Ausbau erneuerbarer Ener- se bezeichnet. Verschiedene Momente reihen sich hierbei gien gerade in Norddeutschland recht fest verankert und in Äquivalenzketten um einen zentralen Knotenpunkt her- unumstößlich scheinen. Veränderungen einerseits und ver- um aneinander, womit der Diskurs repräsentiert wird (Phil- festigte Setzungen andererseits lassen sich als zwei Seiten lips/Jørgensen 2002: 26 f.). Gleichzeitig ergeben sich Ab- einer Medaille verstehen, die gerade aus einer diskurstheo- grenzungen von einem Außen, also dem, was der Diskurs retischen Forschungsperspektive in ihrem Wechselspiel be- nicht ist (vgl. Abb. 1). Dieses Außen wird so identitäts- leuchtet werden können. stiftend – als konstitutives, antagonistisches Außen für den Ausgangspunkt bildet in strukturalistischer und post- Diskurs zu betrachten (Laclau 1993; Thiem/Weber 2011: strukturalistischer Tradition der Zugang zur „sozialen Wirk- 175 f.; Weber 2015: 102). Alternative Deutungen werden lichkeit“ über Sprache, durch die Bedeutungen relational dadurch – zumindest zeitweise – unterdrückt (Laclau 1993; über Differenzbeziehungen verankert werden (vgl Abb. 1, Glasze/Mattissek 2009a: 162). vgl. ausführlich Glasze 2013). Sprache kann als zentraler Marginalisierte Diskursstränge lassen sich als Subdiskur- Mechanismus bei der Vermittlung einer „objektivierten“ se begreifen, die im Schatten hegemonialer Diskurse stehen, sozialen Welt gedeutet werden, die Wahrnehmungen struk- aber, wie erläutert wurde, vom Prinzip her auch hegemo- turiert und spezifische Wirklichkeiten herstellt (Torfing nial werden könnten (Weber 2013: 63, 69). Machtfragen 1999: 87; Phillips/Jørgensen 2002: 8 f.; Gailing/Leibenath erhalten so zentrale Relevanz, also welche Diskurse sich 2015: 126 f.). Durch regelmäßige Wiederholung werden im Vergleich zu anderen in Aushandlungsprozessen durch- bestimmte Deutungen verfestigt – sie erscheinen in der setzen und verfestigen, womit gleichzeitig das Sagbare de- Folge im Alltag als gegeben und „normal“. Entsprechend finiert und diskursiv verfestigt wird (vgl. auch Glasze 2013; werden sie nicht hinterfragt. Dadurch wird Bedeutung tem- Weber 2013). porär fixiert – von Laclau und Mouffe (1985: 112) als Diskurs gefasst (vgl. auch erläuternd Glasze 2013: 75 f.). 2.2 Methodisches Vorgehen: Systematisierung von Diskurse umfassen „Sprache, Subjekte, nicht-sprachliche Sprecherpositionen und Analyse narrativer Muster Praktiken und Objekte“, die miteinander verbunden sind – also die Gesamtheit des Diskurses bilden (Leibenath 2014: Laclau und Mouffe haben in ihren Arbeiten primär ein „In- 125). Beispielhaft vereinfachend lässt sich dies am Dis- teresse an politiktheoretischen Zusammenhängen und phi- kurs um den Klimaschutz verdeutlichen, der unter anderem losophischen Beweisen“ (Leibenath/Otto 2012: 123) ver- mit Kohlenstoffdioxid-Reduktion und Ressourcenschonung folgt und nur wenige Hinweise zu einer empirischen Ope- verknüpft wird und bei dem eine Abgrenzung von Treib- rationalisierung gegeben (Glasze 2013: 97). Um den theore- hausgasemissionen, Rodung des tropischen Regenwaldes tischen Implikationen der Theorie Rechnung zu tragen, sind
326 F. Weber, O. Kühne Abb. 1 Diskursverständnis – Knotenpunkt mit angereihten Momenten, Grenzziehung sowie Außen des Diskurses. (Glasze 2013: 83, verändert) Differenzbeziehung Momente des Diskurses zu bestimmter Zeit Knotenpunkt Äquivalenzbeziehung antagonistische Grenze angepasste Methoden erforderlich (vgl. Glasze/Mattissek Um „überindividuelle, ,hegemoniale‘ Muster des Spre- 2009b). Wie in Abschn. 2.1 ausgeführt wurde, besteht der chens über einzelne Themen“ (Mattissek 2008: 115) nach- Ansatzpunkt der Diskurstheorie in der Deutung von Dis- zuzeichnen, wurde die Analyse narrativer Muster herange- kursen als temporäre Fixierung von Bedeutung, die gera- zogen (Glasze/Husseini/Mose 2009). Sie untersucht, „wie de dadurch hergestellt wird, dass vergleichbare Muster re- Bedeutungen konstituiert werden, indem sprachliche Ele- gelmäßig (re)produziert werden. Alternative Deutungsmög- mente in bestimmte Muster eingebunden werden und ge- lichkeiten rücken so ins Abseits. Methodisch ist also darauf wisse Regelmäßigkeiten offenbaren“ (Weber 2013: 67). Der zu achten, Regelmäßigkeiten herauszuarbeiten, mit denen Fokus lässt sich damit gerade auf Äquivalenzbeziehungen spezifische Deutungsmuster verfestigt werden. und Gegensätze richten (Somers 1994: 616), um so Mo- Um Positionen und Hegemonien im Diskurs abzubilden, mente des Diskurses in Beziehung zu setzen, zentrale Kno- wurden innerhalb der Analysebestandteile zitierte Sprecher tenpunkte zu identifizieren und nachzuzeichnen, wovon je- und deren Sprecherpositionen ausdifferenziert und quanti- weils Abgrenzungen – dem Außen des Diskurses – erfol- fiziert. Unter Sprecherpositionen werden „institutionell sta- gen. Regelmäßig werden spezifische Narrationen genutzt, bilisierte Positionen“ (Glasze 2007) verstanden, also Po- die durch ihre Wiederholung verfestigt werden und zur Be- sitionen, die Teil von Diskursen sind und von Sprechern deutungsfixierung beitragen (Glasze/Husseini/Mose 2009: (also Subjekten) (re)produziert werden. Hierbei wurden die 293 f.). Zielsetzung der Analyse ist, diese Regelmäßigkeiten Untersuchungsmaterialien Google-Treffer, SZ- und Focus- herauszuarbeiten. So können zentrale Momente und Kno- Artikel, die Artikel der regionalen und lokalen Zeitungen tenpunkte sowie Grenzziehungen aufgefächert werden, die zu den Fallstudien sowie die Internet-/Facebook-Seiten der spezifische Deutungsmuster im Zuge der Aushandlungspro- Bürgerinitiativen (vgl. Abschn. 2.3) durch ein Mitglied des zesse um den Stromnetzausbau (re)produzieren. Projektteams gelesen, durch weitere Mitglieder gegenge- prüft und ausgewertet. Ein automatisiertes Vorgehen mit 2.3 Übersicht über die Bestandteile der Analysen computergestützter Software wie bei lexikometrischen Ver- fahren in Bezug auf hegemonial verankerte Wörter und Innerhalb der durchgeführten Analysen wurden mediale Re- Wortfolgen (vgl. z. B. Weber 2015) ist nicht möglich, da präsentationen, Einschätzungen von Interviewpartnern mit sich dieser methodische Zugang an der Grenze zu quali- Bundes- und Länderbezug sowie lokale Fallstudien berück- tativen Verfahren bewegt, wenn auch ein quantifizierendes sichtigt, um einen multiperspektivischen Blick zu ermögli- Ergebnis angestrebt wird. chen (vgl. Tab. 1). Dem Internet kommt als Informations- sowie Willensbil- dungs- und Partizipationsplattform wachsende Bedeutung K
Räume unter Strom 327 Tab. 1 Übersicht über die Analysebestandteile Ebene Medium/Interviewpartner Zeitpunkt/Zeitraum Kürzel Bundesweit 50 erste Google-Treffer zum Schlagwort „Stromnetzausbau“ 04.03.2015 GT01 bis http://www.google.de GT50 Tageszeitung Süddeutsche Zeitung (SZ) 17.05.2010–23.04.2015 SZ http://www.sueddeutsche.de Wochenmagazin Focus 27.08.2010–08.05.2015 FO http://www.focus.de Internetauftritte und Facebook-Profile von Bürgerinitiativen Dezember 2014–Januar BI im Kontext des Stromnetzausbaus 2015 Interviews März–April 2015 BMWi (Bundesministerium für Wirtschaft und Energie) IP01 BMUB (Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau IP02 und Reaktorsicherheit) BNetzA (Bundesnetzagentur) IP03 Amprion GmbH IP04 + 05 TenneT TSO GmbH IP06 DUH (Deutsche Umwelthilfe e. V.) IP11 Mitarbeiter Bürgerbeteiligungsprozess Demoenergie IP12 Mediziner, Experte für elektrische und magnetische Felder IP13 NABU (Naturschutzbund Deutschland) IP15 Systemanalytiker Netzausbau IP16 Nord- Landesebene Interviews März–April 2015 deutschland NMU (Niedersächsisches Ministerium für Umwelt, Energie IP08 und Klimaschutz) NLWKN (Niedersächsischer Landesbetrieb für Wasserwirt- IP09 schaft, Küsten- und Naturschutz) Stimme aus dem ministeriellen Bereich Nordrhein-Westfa- IP10 lens „Keine 380 kV- Webinhalt Bürgerinitiative „Keine 380 kV-Freileitung am März–April 2015 Mat-lok09 Freileitung am Teuto“ Teuto“ Flyer, Infomaterial, Erklärungen Bürgerinitiative „Keine März–April 2015 Mat-lok10 380 kV-Freileitung am Teuto“ Trassendialog Lüstringen – Hesseln. Gemeinsame Erklä- März–April 2015 Mat-lok11 rung unter Beteiligung der Bürgerinitiative „Keine 380 kV- Freileitung am Teuto“ Neue Westfälische (NW) 04.09.2014–12.04.2015 N-lok07 http://www.nw.de Westdeutsche Allgemeine Zeitung (WAZ) 31.10.2012–10.04.2015 N-lok08 http://www.derwesten.de Interviews mit einem Kommunalvertreter aus Hilter am Teu- März 2015 IP-lok07 toburger Wald sowie der Bürgerinitiative IP-lok08 „Delligsen in der Internet-Kommunalinformationen Delligsen, Informationen März–April 2015 Mat-lok06 Hilsmulde“ rund um die „Hamelner Erklärung“ Webinhalt Bürgerinitiative „Delligsen in der Hilsmulde“ März–April 2015 Mat-lok07 Flyer, Infomaterial Bürgerinitiative „Delligsen in der Hils- März–April 2015 Mat-lok08 mulde“ Einbecker Morgenpost 22.07.2010–17.07.2014 N-lok05 https://www.einbecker-morgenpost.de/einblicke.html Hessische Niedersächsische Allgemeine (hna) http://www. 25.10.2010–09.03.2015 N-lok06 hna.de Interviews mit einem Kommunalvertreter aus Delligsen so- März 2015 IP-lok05 wie der Bürgerinitiative IP-lok06
328 F. Weber, O. Kühne Tab. 1 Übersicht über die Analysebestandteile (Fortsetzung) Ebene Medium/Interviewpartner Zeitpunkt/Zeitraum Kürzel Bayern Landesebene Interviews März–April 2015 StMWi (Bayerisches Staatsministerium für Wirtschaft und IP07 Medien, Energie und Technologie) Bund Naturschutz Bayern e. V. IP14 „Pegnitz unter Internet-Kommunalinformationen Pegnitz sowie Reden und März–April 2015 Mat-lok03 Strom“ Schreiben des Bürgermeisters gegen die Gleichstrompassage, Pegnitzer Resolution zur Energiewende, Informationen zum Verein „Kommunen gegen die Gleichstrompassage“ Webinhalt Bürgerinitiative „Pegnitz unter Strom“ März–April 2015 Mat-lok04 Flyer, Infomaterial Bürgerinitiative „Pegnitz unter Strom“ März–April 2015 Mat-lok05 Frankenpost – Tageszeitung für Oberbayern 27.12.2012–03.02.2015 N-lok03 http://www.frankenpost.de Nürnberger Land (Hersbrucker Zeitung, Pegnitz-Zeitung und 15.10.2012–22.02.2015 N-lok04 Der Bote) http://www.n-land.de Interviews mit einem Kommunalvertreter aus Pegnitz sowie März 2015 IP-lok03 der Bürgerinitiative IP-lok04 „Hormersdorf- Internet-Kommunalinformationen Markt Schnaittach März–April 2015 Mat-lok01 Schnaittach“ („Gleichstrompassage“ auf Startseite positioniert) Webinhalt Bürgerinitiative „Hormersdorf-Schnaittach“ März–April 2015 Mat-lok02 Mein Mitteilungsblatt Schnaittach 09.01.2013–18.01.2015 N-lok01 http://www.mein-mitteilungsblatt.de/schnaittach/themen/ hormersdorf.html Online-Portal Nürnberger Zeitung und Nürnberger Nachrich- 30.05.2012–09.03.2015 N-lok02 ten http://www.nordbayern.de Interviews mit einem Kommunalvertreter aus Schnaittach März 2015 IP-lok01 sowie der Bürgerinitiative IP-lok02 GT Google-Treffer, SZ Süddeutsche Zeitung, FO Focus, BI Bürgerinitiative, IP Interviewpartner, Mat-lok Materialien der lokalen Ebene, das heißt, Internetseiteninhalte sowie Flyer, Postkarten etc., N-lok Online frei verfügbare (Zeitungs-)Artikel auf regionaler bzw. lokaler Ebene. Die unterschiedlichen Zeiträume bei den Artikeln ergeben sich aus abweichenden Zeiträumen vorhandener Artikel innerhalb der Onlineportale der Medien, IP-lok Interviewpartner auf der Ebene der Fallstudien als schnelle und unkomplizierte Möglichkeit der Recherche und FO jeweils mit Angabe des Erscheinungsdatums). Mit zu und gerade hoch gerankte Google-Treffer werden häu- Google-Treffern sowie SZ und Focus gehen wir über bis- fig zum ersten Zugang zu Informationen (Pan/Hembrooke/ herige mediendiskursanalytische Ansätze hinaus, die sich Joachims et al. 2007; vgl. Schmidt 2011). Entsprechend zumeist auf ein Medium beschränkten (vgl. z. B. Brailich/ wurden zur Berücksichtigung medialer Darstellungen die Germes/Schirmel et al. 2008; Schirmel 2011; Kühne 2012; ersten 50 Treffer der Suchmaschine Google zum Schlag- Glasze/Weber 2014). wort „Stromnetzausbau“ zusammengestellt und analysiert Aktuelle Einschätzungen und Bewertungen wurden (GT01 bis GT50; Google ist in Deutschland unangefoch- durch 16 qualitative episodische Interviews2 mit Vertre- tener Marktführer der Suchmaschinen). Um den medialen tern von Institutionen und Initiativen erfasst. Gleichzeitig Diskurs zum Stromnetzausbau mit nationaler Schwerpunkt- wurden darüber Argumentationsmuster im Detail analysiert setzung abzubilden, wurden alle online frei zugänglichen und auch solche Muster beleuchtet, die medial weniger do- und damit vom Grundsatz her breit rezipierbaren Artikel des minieren. Die Narrationen der Interviewpartner können dis- Marktführers bei überregionalen Zeitungen, der Tageszei- kurstheoretisch als „artikulatorische Akte“ (Nonhoff 2006: tung Süddeutsche Zeitung (SZ), und des Wochenmagazins 185) aufgefasst werden, die diese als Teil von Institutionen mit der größten Internetreichweite, dem Focus (FO), zum Schlagwort „Netzausbau“ (mit Bezug zum Stromnetzaus- 2 Entsprechend den Prämissen der Diskurstheorie wurden möglichst bau, unberücksichtigt blieben damit unter anderem Beiträ- offene Interviews mit langen Erzählpassagen geführt. Um durch die ge um den Ausbau der Mobilfunknetze) in Deutschland zu- Weite des Feldes keine Verlorenheit zu produzieren, wurden Fragen sammengestellt, die einen Zeitraum zwischen Mai/August als Anstöße gestellt, wodurch Erzählepisoden zu einzelnen Aspekten 2010 und April/Mai 2015 abdecken (systematisiert als SZ entstanden (vgl. auch Weber 2013: 71 ff.). K
Räume unter Strom 329 und Initiativen – damit in deren Namen – als Sprecher im 3 Ergebnisse: Konstituierung von Diskurs vornehmen. Wird berücksichtigt, dass immer meh- „Energiewende“ und zentrale Knotenpunkte rere Diskursstränge parallel existieren, leitet sich daraus der Ablehnung von Planungen auch ab, dass Befragte in der Regel nicht nur einen Diskurs wiedergeben, sondern Stränge unterschiedlicher Diskur- 3.1 Diskursive Grundlagen des Stromnetzausbaus, die se einfließen (Mattissek 2005: 120; Weber 2013: 60 f.). „Energiewende“ und die „Bedarfsfrage“ Neben Mitarbeitern aus Bundes- und Landesministerien, der Bundesnetzagentur und der Übertragungsnetzbetreiber Die Diskursstränge um Energiewende und Stromnetzausbau wurden Experten aus dem Bereich der Dialoggestaltung, leiten sich – im Rahmen des Beitrags aus Platzgründen ent- von Umwelt- und Naturschutzverbänden, der Medizin und komplexisierend – aus gesamtgesellschaftlichen Diskursen der Energiesystementwicklung befragt (IP01 bis IP16). ab: Klimawandel, Energiepreisentwicklungen, Energieaut- Zur Erfassung bürgerschaftlichen Engagements wur- arkie und Kernkraft sind eng mit der Energiewende und den mittels Google Bürgerinitiativen, die sich im Zuge damit auch mit dem Netzausbau verbunden (vgl. Abb. 2). des Stromnetzausbaus konstituiert haben und über eine Auch wenn von einigen Stimmen in der medialen Bericht- eigene Website oder ein Facebook-Profil verfügen, recher- erstattung – Google, Süddeutsche Zeitung und Focus – der chiert und deren Profile nach weiteren genannten Initiativen Klimawandel als „Erfindung“ von Wissenschaft und Politik durchsucht. Auf diese Weise wurden 90 Bürgerinitiativen gerahmt wird, ist dieser hegemonial als „Fakt“ verankert, ermittelt und deren angebotene Informationen auf zentrale auf den zu reagieren sei, gerade mit dem Ausbau erneuerba- Positionierungen hin untersucht. rer Energien und damit dem Ausbau bestehender Stromnet- Um zu überprüfen, ob sich regionale und lokale Bezug- ze (z. B. SZ-12.06.2011, SZ-28.08.2012). Wird davon aus- nahmen von eher nationalen oder länderbezogenen unter- gegangen, dass im Zuge einer Verknappung fossiler Ener- scheiden, wurden diskursive Aushandlungsprozesse rund gieträger erneuerbare Energien konkurrenzfähiger werden um vier Bürgerinitiativen analysiert. Ausgehend vom star- und im Zeitalter wachsender Vernetzung nationale Ener- ken Ausbau erneuerbarer Energien im Norden, deren Strom gieautarkie im Gegensatz zu europäischen Stromnetzen nur in den industriereichen Süden Deutschlands transportiert schwerlich umsetzbar erscheint, so wird auch hierüber der werden soll (vgl. Übertragungsnetzbetreiber 2014a; Über- Stromnetzausbau als erforderlich diskursiv (re)produziert. tragungsnetzbetreiber 2014b), wurden in Relation zur Ana- Nach Fukushima gehört es – Stichwort „Risiken der Kern- lyse der 90 Bürgerinitiativen mit Webprofil zwei Fallstudi- energienutzung“ – kaum noch zum Bereich des „Sagbaren“ en aus Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen sowie zwei (in Anschluss an Michel Foucault, vgl. Weber 2013: 61 ff.), aus Bayern ausgewählt. Zu den Fallstudien „Keine 380 kV- die weitere zivile Nutzung der Kernkraft zu favorisieren Freileitung im Teuto“ (Zusammenschluss von Initiativen („Sicherheitsdiskurs“ nach Leibenath/Otto 2012: 129). Die mehrerer Orte „unter einem Dach“), „Delligsen in der Hils- Folgen eines Reaktorunfalls seien nicht vertretbar, ein Aus- mulde“ (seit 2008 bestehend und damit mit langer „Pro- stieg aus der Kernkraft entsprechend zwingend erforderlich, testerfahrung“ (Marg/Geiges/Butzlaff et al. 2013)) (beide die Herausforderungen einer Endlagerung hochradioaktiver Norddeutschland), „Pegnitz unter Strom“ (starke Verknüp- Abfälle nicht gelöst (z. B. GT08, FO-17.02.2014). fung Bürgerinitiative und Stadt Pegnitz sowie Stadt Pegnitz Die skizzierten Argumentationsstränge führen – tenden- im Verein „Kommunen gegen die Gleichstrompassage Süd- ziell übergreifend geteilt – zur Bewertung, die Energie- Ost“ engagiert) und „Bürgerinitiative Hormersdorf-Schnait- wende sei notwendig – die Energiewende als zentraler dis- tach“ (Markt Schnaittach nicht in vorgenanntem Verein en- kursiver Knotenpunkt. Dass nun damit allerdings auch ein gagiert) (beide Bayern) wurden Artikel aus zwei Zeitungen umfänglicher Bedarf des Ausbaus bestehender Stromnetze pro Fallkontext – jeweils zum einen eher regional und zum bestehe, wird nicht durchgehend geteilt (Konfliktfeld Be- anderen lokal – untersucht (Zeiträume Juli 2010 bis März darfsfrage, vgl. auch Abb. 2). Die Infragestellung der Not- 2015, N-lok01 bis N-lok08), jeweils ein hoher kommuna- wendigkeit erfolgt – tendenziell kognitiv argumentierend – ler Vertreter und Mitglieder der Bürgerinitiativen befragt besonders mit dem Hinweis darauf, dass die Berechnungen (IP-lok01 bis IP-lok08) sowie die Internetinformationen der in den Netzentwicklungsplänen nicht nachvollziehbar seien Kommunen und Bürgerinitiativen und ergänzende Materia- bzw. befürchtet würde, über die Trassen würde Kohlestrom lien ausgewertet (Mat-lok01 bis Mat-lok11). Innerhalb der aus Ostdeutschland und Atomstrom aus dem Ausland trans- nachfolgenden Analyse werden synthetisierend zentrale Ar- portiert (vgl. auch Jarass/Obermair 2012; Neukirch 2014; gumentationsmuster, insbesondere der Kritik, und regionale Neukirch 2015) – dazu beispielhaft: Der Bund für Umwelt Unterschiede herausgearbeitet. und Naturschutz Deutschland (BUND) lehne die Trassen ab, „solange deren Notwendigkeit [...] nicht nachgewiesen und nachvollziehbar begründet wurde“ (GT30). Der Netz- ausbau diene dem „Transport von Braunkohlestrom zeit-
330 F. Weber, O. Kühne Abb. 2 Diskursive Aushand- lungsprozesse – Synthetisie- rende, entkomplexisierende Darstellung zentraler Argumen- tationszusammenhänge, Aus- handlungsprozesse insbesondere um die Bedarfsfrage des Netz- ausbaus (rot hervorgehoben) sowie im Hinblick auf die ange- führten Konfliktfelder (dunkler schattiert). (Eigene Darstellung auf der Basis der Diskursana- lysen der Google-Treffer, SZ- und Focus-Artikel, der geführten Interviews sowie der Fallstudien (vgl. Tab. 1). Umsetzung Tobias Sontheim (2016)) gleich zu Starkwindeinspeisungen in Ostdeutschland“ und (IP03) seien zu stärken und „wir brauchen diese Stromtrasse eröffne zusätzlich die Möglichkeit, „dass Atomstrom ein- auf keinen Fall“ (IP-lok04). In Schnaittach heißt es: „wir se- gespeist wird“ (IP16 Systemanalytiker). Entsprechende Ar- hen diese Trassen als völlig kontraproduktiv für diese Ener- gumentationsmuster werden tendenziell – regional gesehen giewende“ an (IP-lok02 Bürgerinitiative). Von 38 in Bay- – im Freistaat Bayern (re)produziert. Dort wird zusätzlich ern mit Internet- oder Facebook-Auftritt ermittelten Bür- regelmäßig über das Streben nach einer dezentralen, re- gerinitiativen (90 auf Deutschlandebene, vgl Abschn. 2.3). gionalen Energieversorgung argumentiert. Der Ausbau er- sprachen sich im Januar 2015 insgesamt 37 grundsätzlich neuerbarer Energien sei für die „bayerische Energiewende“ gegen neue Stromtrassen aus. Auch die ermittelten hessi- vorangetrieben worden, dem nun die geplanten neuen Tras- schen (8), baden-württembergischen (5) und thüringischen sen zuwiderliefen, weswegen sich Widerstand rege (unter (4) Bürgerinitiativen lehnen die Trassenplanungen ab (vgl anderem IP14 Bund Naturschutz Bayern, IP16 Systemana- Abb. 3). – tendenziell also ein Schwerpunkt Süddeutsch- lytiker). Die Energiewende wird dort mit dezentraler, re- land/Südostdeutschland. gionaler Energieversorgung verwoben, womit der geplan- Aushandlungsprozesse um das „Wie“ des Netzausbaus te Stromnetzausbau hier regional zum Außen des „Ener- werden durch die Grundsätzlichkeit der Ablehnung er- giewende“-Diskurses wird. Damit wird gleichzeitig Ener- schwert bzw. fast unmöglich. Auffällig ist auch, wie bereits giewende zu einem „flottierenden Signifikanten“ (Laclau in der Einleitung angedeutet, der starke Vernetzungsgrad 2007: 131), also einem Knotenpunkt, der an unterschiedli- von Bürgerinitiativen gegen den Stromnetzausbau, was che Diskursstränge anschlussfähig ist: Energiewende – im auch die Durchführung gemeinschaftlicher Aktionen ein- nationalen Diskurs – in Verbindung mit dem Stromnetz- schließt. So fanden in Bayern ab Februar 2014 mehrere ausbau gegenüber dezentraler, bayerischer Energiewende. „Trassenkonferenzen“, Treffen und Aktionstage statt. Das Auch in den bayerischen Fallstudien „Pegnitz unter Strom“ Handeln der bayerischen Staatsregierung zeigt sich stark und „Hormersdorf-Schnaittach“ sind Narrationen einer re- mit dem Agieren der Initiativen rückgekoppelt: Forderte gionalen Energiewende und einer dezidierten Ablehnung sie noch im Oktober 2013 einen stärkeren Netzausbau, geplanter Stromtrassen, hier speziell der Gleichstrompassa- wurden zwischenzeitlich ab Oktober 2014 neue Strom- ge Süd-Ost, hegemonial verankert. Kommunalvertreter (IP- trassen abgelehnt, bis im Juli 2015 Erdverkabelungen statt lok03) und ein Mitglied der Bürgerinitiative in Pegnitz füh- Freileitungen vereinbart wurden (vgl. Abb. 4). Der massive ren unter anderem an, „dezentrale Versorgungselemente“ Protest bayerischer Bürgerinitiativen blieb nicht folgen- K
Räume unter Strom 331 Bayern 37 1 Niedersachsen 2 12 3 Nordrhein-Westfalen 4 5 1 Hessen 8 Baden-Württemberg 5 Thüringen 4 Brandenburg 3 Schleswig-Holstein 2 1 Rheinland-Pfalz 1 Sachsen 1 0 5 10 15 20 25 30 35 40 gegen Trasse generell pro Erdkabel Alternativtrasse Überarbeitung Grenzwerte, Mindestabstandsregelung Abb. 3 Ziele der Bürgerinitiativen nach Ländern. (Weber/Jenal/Kühne 2016: 54) los für politische Entscheidungen und das Agieren der der Energiewende recht stark verankert. 66 % (Google), bayerischen Staatsregierung beförderte die Intensität des 67 % (SZ) und 76 % (Focus) der Sprecherpositionen vo- Widerstandes der Bürgerinitiativen. tieren für die Umsetzung vorliegender Trassenplanungen,3 Der grundsätzlich ablehnenden Haltung mit regiona- wobei hier gerade Bundes- und Landespolitiker, Netzbe- lem Schwerpunkt Süddeutschland/Südostdeutschland – treiber und die Bundesnetzagentur, aber deutlich weniger fallstudienbezogen mit Schwerpunkt Bayern untersucht – Bürgerinitiativen zu Wort kommen. Letztere finden in können Diskursstränge mit eher nationalem und norddeut- den regionalen und vor allem den lokalen Zeitungen der schem Schwerpunkt gegenübergestellt werden, in denen Fallstudien mittlere bis starke Berücksichtigung (vgl. aus- in erster Linie kognitiv über betriebswirtschaftlich-techni- führlich Weber/Kühne/Jenal et al. 2015: 82 ff.). Gegen die sche Notwendigkeiten argumentiert wird. Die bestehenden Trassenplanungen votieren jeweils weniger als ein Viertel Stromnetze reichten nicht aus, um ohne vielfältige Eingriffe der Sprecher bei Google, SZ und Focus. Ein Eintreten für Versorgungssicherheit zur gewährleisten. „Bund, Länder[-] Erdkabel ist hier maximal als ein Subdiskurs zu werten. und Netzbetreiber[-]“ konstatierten unter anderem, dass 25 der 33 ermittelten Bürgerinitiativen aus Niedersach- der Netzausbau „benötigt“ werde (GT15) beziehungswei- sen, Nordrhein-Westfalen, Brandenburg und Schleswig- se wird der Netzausbau als „Voraussetzung“ beschrieben, Holstein – vereinfachend „norddeutsche“ – sprechen sich um den weiteren Ausbau erneuerbarer Energien gewähr- wiederum für Erdverkabelungen, alternative Trassenfüh- leisten zu können (GT16, vergleichbar GT35). Wer die rungen oder Überarbeitungen der bestehenden Grenzwerte Energiewende wolle, müsse „den Strom dort produzie- bzw. für Mindestabstandsregelungen aus, während nur acht ren, wo es am günstigsten“ sei, dies sei „beim Wind in gänzlich die Trassenplanungen ablehnen (vgl. Abb. 3). Norddeutschland der Fall. Es muss dann aber auch der Transport nach Süddeutschland“ ermöglicht werden (FO- 3 In den Google-Treffern wurden 77, in den SZ-Artikeln 135 und in 07.10.2014). Innerhalb der in den Google-Treffern, den den Focus-Artikeln 108 Sprecherpositionen erfasst, die den Feldern SZ- und den Focus-Artikeln vertretenen Sprecherpositionen „pro Trasse“, „pro Erdkabel“, „erneute Prüfung“ und „gegen Trasse“ ist die Befürwortung des Netzausbaus zur Gewährleistung zugeordnet wurden.
332 F. Weber, O. Kühne 10/2013 07/2015 Stellungnahme aus Erdverkabelungen/ bayerischem Wirtschafts- Ertüchtigungen, 06/2011 ministerium: Forderung Zustimmung zu Regierungserklärung: nach stärkerem zwei großen Trassen Plädoyer für Ausbau Netzausbau Netze und erneuer- barer Energien 06/2013 03/2011 Zustimmung 05/2015 Befürwor- Bayerns Vorschlag tung Aus- zum Strom- Verschiebung stieg aus netzausbau SuedLink nach Kernkraft im Bundesrat Westen 2012 2013 2014 2015 vor 03/2011 Befürwortung Kernkraft, tendenziell Kritik an Anfang 02/2014 10/2014 erneuerbaren Energien Seehofer kritisiert Seehofer lehnt Netzausbaupläne, nun alle Trassen Ablehnung Gleich- ab, auch SuedLink strompassage Süd-Ost 24/02/2014 1. ,Trassenkonferenz‘ gegen ,Stromautobahn‘ mit Bürger- meistern, Landräten und Bürgerinitiativen 16/03/2014 Kommunalwahlen 02/04/2014: ,Trassenweites BI-Treffen‘ 29/06/2014: ,Trassenweiter Aktionstag‘ 26/05/2014 2. ,Trassenkonferenz‘, Vereinsgründung ,Kommunen gegen die Gleichstrompassage SÜD-OST e.V.‘ Abb. 4 Markante Positionswechsel der bayerischen Staatsregierung (Befürwortung versus Ablehnung Kernkraft sowie Zustimmung versus Ab- lehnung Stromnetzausbauplanungen). (Weber/Kühne/Jenal et al. 2016: 84, leicht verändert) In den geführten Interviews wird die tendenzielle Befür- was jedoch nicht zur Folge hat, dass auch bisherige Pla- wortung des Stromnetzausbaus im nationalen Mediendis- nungen „einfach“ akzeptiert würden. Als zentrale Konflikt- kurs und bei den norddeutschen Bürgerinitiativen in Verbin- felder konnten Beteiligung, Technik und Gesundheit, Öko- dung mit der Energiewende unterstrichen. Ohne den Strom- nomie sowie Natur und Landschaft herausgearbeitet werden netzausbau sei die Energiewende mit dem Ausbau der er- (vgl. auch Abb. 2), die im Folgenden beleuchtet werden. neuerbaren Energien „gar nicht zu schaffen“ (IP04 Ampri- on) bzw. die Energiewende erfordere, Netze „umzubauen 3.2 Ablehnung von Planungen durch spezifische und auszubauen“ (IP06 TenneT). Diskurstheoretisch inter- Bezugnahmen pretiert entsteht eine Äquivalenzkette aus Energiewende, er- neuerbaren Energien und Stromnetzausbau. Im Gegensatz 3.2.1 Unzureichende Beteiligung zu den bayerischen ist die dargestellte Verknüpfung in den norddeutschen Fallstudien Teil des lokalen Diskurses. Ver- Fragen der Bürgerbeteiligung erfahren eine sehr unter- treter der Bürgerinitiative „Keine 380 kV-Freileitung am schiedliche Einschätzung. Auf der einen Seite wird auf In- Teuto“ (Grenzbereich Niedersachsen/Nordrhein-Westfalen) formationsveranstaltungen und Dialogprozesse rekurriert, akzeptieren die Koppelung aus Energiewende und Nord- die dazu dienten, einen „möglichst breiten gesellschaftli- Süd-Stromtransport: Die „Notwendigkeit der Energiewen- chen Konsens“ zu erzielen (GT10). Die Bundesnetzagentur de, das ist nicht in Frage gestellt“, „niemand würde sa- veranstaltet seit Herbst 2012 Informationsveranstaltungen gen, wir brauchen keine Stromnetze“, begründet darüber, („Infotage“) zur Information der Öffentlichkeit: „Wir haben dass „Windstrom aus dem Norden nach Süden muss“ (IP- von Anfang an geplant, bewusst eine breite Öffentlichkeit lok08). Dieses Muster findet sich auch bei der Fallstudie mitzunehmen, breiter als es gesetzlich vorgegeben ist“ „Delligsen in der Hilsmulde“, beispielsweise (re)produziert (IP03). Die Übertragungsnetzbetreiber führen Informati- durch einen Kommunalvertreter (IP-lok05): „wir brauchen ons- und Dialogveranstaltungen sowie „Runde Tische“ an, die Energie ja und wir müssen die Energie auch transpor- bei denen diese „Rede und Antwort stehen“ (IP04 Ampri- tieren und deswegen brauchen wir auch die Stromautobah- on) und Bürger einbeziehen würden (IP06 TenneT). Grund- nen, sag ich mal. [...]. Wenn das nicht gelingt, dann kriegen sätzlich besteht Konsens, Bürgerbeteiligung zur Umsetzung wir auch diese Wende nicht hin.“ Der Stromnetzausbau als von Planungszielen sei unumgänglich, wie eine Narration Konsequenz der Energiewende ist hegemonial verankert, des Ministerpräsidenten von Schleswig-Holstein, Torsten K
Räume unter Strom 333 Albig, beispielhaft zeigt: „Der Netzausbau gelingt nur, lage für ihre Tätigkeit. Und das Gesetz hat sich nicht ge- wenn wir die Menschen in der Region dabei mitnehmen“ ändert und so lange wie es sich nicht ändert, haben sie den (FO-30.01.2013). Der Ansatz „frühzeitiger“ Information Auftrag“ (IP-lok04 Bürgerinitiative „Pegnitz unter Strom“). und das Einräumen von Mitgestaltungsmöglichkeiten wird Der Bezug auf gesetzliche Rahmenbedingungen wird eher auf fast identische Weise von unterschiedlichen Sprechern als Ausrede denn als stichhaltiges Argument gewertet. Bür- – Ministerien, Deutsche Umwelthilfe (DUH), Übertra- gerbeteiligung wird als unzureichend (re)produziert, womit gungsnetzbetreiber – (re)produziert und auf diese Weise zu Planungsprozesse delegitimiert werden. Diskurstheoretisch einem festen Bestandteil aktueller Diskussionskultur – als gefasst ist Beteiligung als wünschens- und erstrebenswert hegemonial diskursiv verankert zu deuten. hegemonial verankert, allerdings besteht Dissens in Bezug Auf der anderen Seite werfen Landesregierungen und auf deren Erfüllung. Bürgerinitiativen den Verantwortlichen allerdings auch mangelnde Transparenz und Beteiligungsmöglichkeiten 3.2.2 Begrenztes Vertrauen in neue Technik und vor (SZ-04.02.2014 und SZ-23.02.2013). Mitarbeiter der gesundheitliche Befürchtungen Bundesnetzagentur merken hierzu an, die Übertragungs- netzbetreiber schienen von starker Beteiligung und Protest Als konkrete Argumente, die gegen bestehende Planun- überrascht gewesen zu sein. Diese seien „vielleicht erst gen vorgebracht werden bzw. die als solche wahrgenom- einmal nach altbewährtem Muster an die Sache herange- men werden und damit in Diskurssträngen um den Strom- gangen“, was sich aber gewandelt habe: „Die Transparenz netzausbau mitschwingen, wird regelmäßig auf die techni- oder Informationsbereitschaft der Übertragungsnetzbetrei- sche Umsetzung rekurriert, was vielfach in engem Zusam- ber hat sich positiv entwickelt“ (IP03). In diese Richtung menhang mit gesundheitsbezogenen Befürchtungen steht. argumentiert auch ein Mitarbeiter von TenneT: „Wir haben Unter anderem der SuedLink und die Gleichstrompassa- unsere Arbeit so umgestellt, dass wir sehr früh informie- ge Süd-Ost werden in Hochspannungsgleichstromübertra- ren“ (IP06). Als Problematik wird mehrfach angeführt, gungstechnik (HGÜ) geplant – einer bisher in Deutschland in Dialogveranstaltungen hätten Bürger zwar die Mög- noch nicht eingesetzten Technik, die mit „viel größeren lichkeit, ihre Wünsche zu äußern, aber erst im offiziellen Beschwerden, [...] viel größeren Ängsten“ durch die neue Planfeststellungsverfahren lägen endgültig konkrete Tras- Technik verbunden würde, so beispielsweise ein Amprion- senverläufe vor und erst in diesem könne „der Bürger dann Mitarbeiter (IP04) (allgemein zu Fragen von Technikakzep- seine mögliche konkrete Betroffenheit endgültig einschät- tanz vgl. Renn 2005). Im Mittelpunkt stehen „so genann- zen“ (IP03 BNetzA, ähnlich IP02 BMUB, IP04 Amprion; te[-] Korona-Effekte [...], die bei Regen oder Schnee Lärm- zu den Problematiken von Bürgerbeteiligung beim Strom- beziehungsweise Geräuschpegel verursachen können“ und netzausbau vgl. auch ausführlich Stegert/Klagge 2015: „wo sich ionisierte Raumladungswolken über wenige Kilo- 181 ff.). meter hinweg verteilen und noch messbar sind. [...]. Nach Die Untersuchungen der Bürgerinitiativen zeigen in ver- derzeitigem Stand der Wissenschaft sind durch Ionenwol- schiedenen, vergleichbaren narrativen Mustern Bezüge auf ken keine gesundheitlichen Auswirkungen auf den mensch- fehlendes Vertrauen gegenüber den Übertragungsnetzbe- lichen Organismus zu erwarten“ (IP03 BNetzA). Ein be- treibern, Politik und Planung. Diese hätten zu Planungs- fragter Mediziner (IP13) führt dagegen an, „Staub und an- beginn unzureichend informiert und fehlendes Vertrauen dere Partikel“ könnten sich „kumulierend ansammeln und könne kaum wiederhergestellt werden, wie nachfolgende so eine Art zusätzliche Belastung für die Bevölkerung er- Passagen der Fallstudien „Keine 380 kV-Freileitung am geben“. Durch mehrere Interviewpartner wird ein bisher Teuto“ und „Pegnitz unter Strom“ verdeutlichen: „Die Feh- bestehendes Forschungsdefizit zur HGÜ-Technik angeführt ler wurden am Anfang gemacht, da wurde nicht ausrei- (IP03 BNetzA, IP10 Ministeriumsebene Nordrhein-Westfa- chend, auch nicht auf Augenhöhe informiert, sondern von len). So wird auch durch den Kommunalvertreter aus Peg- oben herab.“ Wenn Vertrauen nicht mehr gegeben sei, „ist nitz (IP-lok04) der Einsatz dieser Technik mit dem Verweis es unheimlich schwer, da wieder ein Vertrauen reinzubrin- auf gesundheitliche Befürchtungen strikt abgelehnt: „Wir gen“ (IP-lok07 Kommunalvertreter Hilter, Kontext „Kei- sprechen über eine neuartige Technik, da bin ich jetzt gleich ne 380 kV-Freileitung am Teuto“). Unzufriedenheit drückt mal schon in der kritischen Betrachtung dieser geplanten sich in emotionalen Bezugnahmen aus: „Amprion hat eine Trassen, das ist die HGÜ-Technik [...], die es bei uns in Veranstaltung gemacht, die noch zwei Mal wiederholt wur- Deutschland nicht gibt, die es in Europa nicht gibt, sondern de. Skandalös war’s. Skandalös, weil von hinten bis vorne die mal in Nordamerika probiert wurde und in Afrika. Also mit Unwahrheiten informiert wurde und wenn man dann wir haben überhaupt keine Erfahrung, ob damit gesundheit- konkrete Fragen gestellt hat, dann ist man denen sehr, sehr liche Beeinträchtigungen gegeben sind oder nicht. Und so ungeschickt ausgewichen.“ Amprion mache „es sich sehr, lange das nicht geklärt ist, halten wir es für nicht vertret- sehr einfach [...]. Es gibt ein Gesetz und das ist die Grund-
334 F. Weber, O. Kühne bar, dass wir in Bayern oder überhaupt in Deutschland als Für von Stromtrassen Betroffene ergebe sich ein möglicher Versuchskaninchen herhalten müssen.“ Verlust von Grundstückswerten als Risiko, das vor den Darüber hinaus werden Freileitungen, unabhängig von Planungen nicht ausreichend berücksichtigt worden sei. der Technik, tendenziell negativ bewertet. Abgesehen von Die entsprechenden Befürchtungen finden sich innerhalb einigen Teststrecken für Erdverkabelungen sahen die ur- der Fallstudien auf lokaler Ebene wieder: „Wertverlust von sprünglichen Vorhabenplanungen Freileitungen vor. Letz- Immobilien und Grundstücken sowie Einbußen für den tere werden aber explizit mit „gesundheitlichen Schäden“ Tourismus“ (Mat-lok09 Webinhalt) werden im Fallkon- (GT04) und „Angst vor Elektro-Smog“ (GT05) verbunden. text „Keine 380 kV-Freileitung am Teuto“ befürchtet, die Deren „biologische Wirkung“ seien „bisher (ähnlich dem „Vermeidung der Wertverluste bei Gebäuden und Grund- Mobilfunk) nicht eindeutig geklärt“ (GT24). Freileitungen stücken“ wird entsprechend angestrebt (Mat-lok10 Flyer werden mit Risiken, Ängsten und Ungewissheiten – emo- der Bürgerinitiative). Gerade für den im Fallkontext inter- tionale Bezugnahmen – verknüpft, denen Bürger ausgesetzt viewten Kommunalvertreter wird dieses Argument relevant, würden. Konkretisiert wird auf ein befürchtetes, erhöhtes da er von verschiedenen Personen darauf angesprochen Krebsrisiko, gerade ein Leukämie-Risiko bei Kindern, re- werde, dass Häuserverkäufe durch die Trassenplanungen kurriert – bisherige wissenschaftliche Ergebnisse bleiben al- erschwert oder nicht mehr möglich würden (IP-lok07). lerdings hierzu uneindeutig (unter anderem SZ-06.02.2014, In Delligsen wird bemängelt, der „Wert der Immobilien“ IP04 Amprion, IP13 Mediziner). Ob nun Gesundheitsrisi- werde „durch die Freileitungen erheblich vermindert“, „das ken als gegeben oder nicht gegeben bewertet werden, sie zunehmende touristische Interesse an der Region“ wür- sind Bestandteil des Diskurses um den Stromnetzausbau, den Freileitungen „völlig zerstören“ (Mat-lok07 Webinhalt ohne dass eine Position die andere bisher in den Hinter- der Bürgerinitiative). Im Rahmen der Fallstudie „Pegnitz grund drängen konnte. unter Strom“ finden sich fast identische Formulierun- Erdverkabelungen werden mit geringeren Belastun- gen. Grundstückseigentümern drohe die „Entwertung ihrer gen assoziiert und somit eingefordert, insbesondere durch Grundstücke, ihres Hab und Gutes“ (Mat-lok03 Schrei- Bürgerinitiativen, wie sich medial (FO-30.05.2012) und ben an Bundesminister Gabriel), „die Immobilien werden innerhalb der norddeutschen Bürgerinitiativen (unter an- entwertet“, „Industriegebiet-Erweiterung, Gewerbegebiets- derem IP-lok08 Bürgerinitiative „Keine 380 kV-Freilei- erweiterung werden zunichte gemacht, weil da keiner mehr tung am Teuto“, IP-lok05 Kommunalvertreter Delligsen) baut“ (IP-lok04 Bürgerinitiative). zeigt. Vor diesem Hintergrund werden Erdkabel tendenzi- Die bisherigen Planungen lassen nur Aussagen zu recht ell als konfliktärmere Lösung und als anschlussfähiger an breiten Trassenkorridoren (500–1000 m Breite) zu. Wo die einen schnellen Netzausbau gerahmt (z. B. IP06 TenneT, neuen Stromtrassen „genau“ entlang führen werden, ist erst IP11 DUH). Die Bundesnetzagentur fragt in diesem Zu- noch festzulegen.4 Eine potenziell mögliche Betroffenheit sammenhang, ob Erdkabel „den Planungsprozess beschleu- führt allerdings zum jetzigen Zeitpunkt zu Sorgen, die nigen und diese [...] eine Art Befriedungsfunktion“ erfüllen schwer entkräftet werden können und diskursiv ausgehan- könnten – „[w]as die Tendenz bezüglich der einzusetzenden delt werden. Technik anbelangt, ist ein Großteil der Bevölkerung für die Erdverkabelung“ – (IP03), womit Erdkabel und Akzeptanz 3.2.4 „Verschandelung“ und „Zerstörung“ von Natur und argumentativ diskursiv verschnitten werden. Die politische Landschaft Entscheidung vom Juli 2015, die großen Nord-Süd-Strom- trassen vorrangig mit Erdkabeln umzusetzen, kann in diese Besonders häufig finden sich in den untersuchten Analy- Richtung gedeutet werden. sebestandteilen bei der Beleuchtung von Protestargumen- ten schließlich Bezugnahmen auf Natur und Landschaft. 3.2.3 Sorge um wirtschaftliche und tourismusbezogene Im Rahmen medialer Darstellungen wird insbesondere auf Einbußen (nicht vorhandene) Ästhetik – „schön“ versus „hässlich“ – von Freileitungen Bezug genommen: „Ob im Vereinig- Als weitere Argumente von Netzausbaugegnern und damit ten Königreich, im Rest Europas oder hierzulande: Es wird Momente im Stromnetzausbau-Diskurs fungieren Sorgen nicht viele Menschen geben, die die stählernen Ungetüme um sinkende Immobilienpreise und Einbußen im Tou- besonders schön finden. Landschaftsliebhabern sind sie seit rismus. Die Bundesnetzagentur führt als Konfliktfelder jeher ein Dorn im Auge“ (SZ-12.06.2011). Natur, Land- „Wertverlust der Immobilien, de[n] geminderte[n] Erho- schaft und das Umfeld werden zu Momenten im Diskurs lungszweck und de[n] Wohnumfeldschutz“ (IP03) an, Am- der Ablehnung von Freileitungen: „Natur- und Landschafts- prion spricht vom befürchteten „Wertverlust von Grund- stücken und Häusern“ (IP05) und der Bund Naturschutz 4 http://www.netzausbau.de/5schritte/bundesfachplanung/de.html Bayern von „Grundstückswerte[n]“, die „bedroht“ würden. (28.06.2016). K
Sie können auch lesen