Räume unter Strom Eine diskurstheoretische Analyse zu Aushandlungsprozessen im Zuge des Stromnetzausbaus - Sciendo

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Räume unter Strom Eine diskurstheoretische Analyse zu Aushandlungsprozessen im Zuge des Stromnetzausbaus - Sciendo
Raumforsch Raumordn (2016) 74:323–338
DOI 10.1007/s13147-016-0417-4

    WISSENSCHAFTLICHER BEITRAG

Räume unter Strom
Eine diskurstheoretische Analyse zu Aushandlungsprozessen im Zuge des
Stromnetzausbaus

Florian Weber1 · Olaf Kühne1

Eingegangen: 7. Dezember 2015 / Angenommen: 29. Juni 2016 / Online publiziert: 19. Juli 2016
© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

Zusammenfassung Die Energiewende verändert in Deutsch-                     Spaces and Power Lines
land mit dem Ausstieg aus der Kernkraft und dem Ausbau                     A discourse-theoretical analysis of negotiation processes in
erneuerbarer Energien in weitreichender Weise bisherige                    the course of the national power grid extension
Strukturen der Energieversorgung und wirkt sich dabei
räumlich stark aus. Einen Aspekt bilden hierbei Verände-                   Abstract With its phase-out of nuclear power generation
rungen im bestehenden Stromnetz. Vorhandene Leitungs-                      and the expansion of renewably sourced energy, the German
trassen sollen ertüchtigt, andere umfänglich neu gebaut                    energy transition (“Energiewende”) has radically changed
werden, was Widerstände und Konflikte mit sich bringt.                     existing power supply structures, with wide geographical
Der Artikel untersucht vor diesem Hintergrund aus dis-                     repercussions. One aspect of this is changes within the
kurstheoretischer Perspektive, wie der Stromnetzausbau                     being national power grid. Existing networks are to be
und mögliche Widerstände verhandelt werden und wel-                        upgraded and new long-distance power-lines built. This
che Argumentationsmuster dabei vorherrschend sind. Die                     creates resistance and conflict. Against this background,
durchgeführten Analysen fußen auf einem Methodenmix                        our article investigates from a discourse theory perspec-
aus quantitativ orientierten und qualitativen Analysebe-                   tive how power grid extensions and possible opposition are
standteilen, um sowohl zentrale Bezugnahmen auszudiffe-                    communicatively constructed, and what argumentation pat-
renzieren als auch Einzelaspekte detaillierter zu betrachten.              terns dominate the discussion. The analyses undertaken
Zusammenfassend bilden die Bedarfsfrage des Stromnetz-                     here are based on a methodological mix of quantitative-
ausbaus, Beteiligung, die eingesetzte Technik, Gesundheit,                 oriented and qualitative elements that facilitates both the
Wirtschaft sowie Natur und Landschaft zentrale Konflikt-                   differentiation of central issues and detailed examination of
felder, die innerhalb des Stromnetzausbaus ausgehandelt                    individual aspects. In sum, the underlying need for grid
werden und sich in eher kognitive, emotionale und ästheti-                 extension and the technology involved on the one hand,
sche Bewertungsmuster einreihen.                                           and issues of health, local economies, natural environment,
                                                                           landscape, and participation in the decision-making pro-
Schlüsselwörter Energiewende · Erneuerbare Energien ·                      cess on the other hand, form central fields of conflict to be
Stromnetzausbau · Diskurstheorie · Macht                                   negotiated at cognitive, emotional and aesthetic levels of
                                                                           discourse.

                                                                           Keywords Energy transition · Renewable energies ·
 Dr. Florian Weber                                                        Power grid extension · Discourse theory · Power
     florian.weber@hswt.de
     Prof. Dr. Dr. Olaf Kühne
     olaf.kuehne@hswt.de
                                                                           1 Einleitung: Konfliktfeld Stromnetzausbau
1
     Landschaftsarchitektur, Hochschule
     Weihenstephan-Triesdorf, Am Hofgarten 6, 85354 Freising,              Vor dem Hintergrund der Reaktorkatastrophe in Fukushi-
     Deutschland                                                           ma im März 2011 wurden der Ausstieg aus der Kernkraft
324                                                                                                      F. Weber, O. Kühne

bis 2022 und der weitere Ausbau erneuerbarer Energieträ-        verschieben, ebenso wie sich Veränderungen im Hinblick
ger Kernstücke politischen Agierens (vgl. unter anderem         auf Beteiligungsverfahren ergeben (Schmidt 2015: 17).
Bundesregierung 2015). Dieser Ausbau wird in Deutsch-           Die Übertragungsnetzbetreiber 50 Hertz, TenneT, Amprion
land generell weithin als notwendig, in großen Teilen so-       und TransnetBW erstellen Netzentwicklungspläne mit als
gar als wünschenswert betrachtet. Nach einer repräsentati-      erforderlich angesehenen Ausbauvorhaben, die durch die
ven Umfrage des Meinungsforschungsinstituts TNS Emnid           Bundesnetzagentur geprüft werden. Auch hieran entzün-
vom August 2015 bewerteten 93 % der Befragten den wei-          den sich Konflikte, unter anderem mit dem Verweis auf
teren Ausbau als „wichtig“ bis „außerordentlich wichtig“        unzureichende Transparenz (Stegert/Klagge 2015: 172).
(Agentur für Erneuerbare Energien 2015: o. S.). Der grund-         Der Prozess des Stromnetzausbaus wird zu einem Feld
sätzlichen Zustimmung zum Trotz entzünden sich Konflikte        unterschiedlicher Aushandlungsprozesse und Widerstän-
auf lokaler Ebene an konkreten Planungen von Windkraft-,        de. In bisherigen Veröffentlichungen wurden besonders
Photovoltaik- oder Biomasseanlagen (vgl. Leibenath/Otto         fallstudienbezogen Akzeptanzfragen sowie Medienbericht-
2013). Zudem ergeben sich Konfliktfelder im Zuge des ge-        erstattung und Expertenpositionen fokussiert, die Entwick-
planten Stromnetzausbaus – und dies nicht allein punkthaft      lungen bis Jahresende 2012 (vgl. Schweizer-Ries 2010;
an einzelnen Orten, sondern vielmehr linienhaft und ver-        Zimmer/Kloke/Gaedtke 2012; Hübner/Hahn 2013) bzw.
netzt: Landkreise, Kommunen und Bürgerinitiativen schlie-       Herbst 2013 (Neukirch 2014) abdecken. Darüber hinaus
ßen sich zu Bündnissen zusammen, tauschen sich aus und          wurden Beteiligungsverfahren zu Projekten im Kontext
streben Anpassungen von Planungen an oder haben zum             des Energieleitungsausbaugesetzes (Koch/Odparlik/Köppel
Ziel, ganze Trassen zu verhindern (z. B. Feneberg 2014;         2014) sowie Stellungnahmen zu Konsultationsverfahren
Landkreis Hameln-Pyrmont 2014).                                 zum Netzentwicklungsplan als Grundlage für Überlegun-
   Der Ausbau bestehender Stromnetze ist allerdings nicht       gen zur Bürgerbeteiligung (Stegert/Klagge 2015) analy-
erst ein Phänomen der Post-Fukushima-Ära. Im Jahr 2009          siert. Der deutlich angewachsene Widerstand, der im Juli
wurden im Energieleitungsausbaugesetz (EnLAG) Vorha-            2015 in der politischen Entscheidung, Erdverkabelungen zu
ben mit fast 2000 km Länge festgelegt (Riegel/Brandt 2015:      favorisieren, mündete (vgl. Abb. 4), wurde für die Gleich-
10), wobei darin enthaltene bereits vor Inkrafttreten des Ge-   strompassage Süd-Ost von Neukirch (2015) aufgegriffen,
setzes initiiert wurden und sich an einem Streckenabschnitt     aber noch nicht mit Fallstudien beleuchtet. Auch standen
beispielsweise bereits 2004 eine Bürgerinitiative gründete      bis dato Verfestigungsprozesse bestimmter Deutungsmus-
(Neukirch 2014: 23). Die Perspektive, dass bis 2022 alle        ter – Befürwortung und Gegnerschaft des Netzausbaus –
deutschen Kernkraftwerke vom Netz gehen sollen, führ-           multiperspektivisch weniger im Mittelpunkt.
te jedoch zur dezidierten Benennung weiterer Vorhaben              Im Rahmen eines Forschungsvorhabens im Auftrag des
mit „vordringlichem Bedarf“: Im Bundesbedarfsplangesetz         Bundesamtes für Strahlenschutz wurden von November
(BBPlG), das im Juli 2013 in Kraft trat, wird ein „Bedarf       2014 bis Oktober 2015 zentrale Argumentationsmuster
für rund 5000 Kilometer Netzausbau- und Netzverstär-            und Konfliktlinien in den Mittelpunkt gerückt. Ausgehend
kungsmaßnahmen“ konstatiert (Riegel/Brandt 2015: 10)            von einer diskurstheoretischen Perspektive wurden aktuelle
– begründet mit dem Verweis darauf, Energie aus dem             Aushandlungsprozesse – innerhalb medialer Darstellungen
windreichen Norden müsse in den verbrauchsstarken Sü-           sowie experten- und fallstudienbezogen – ausdifferenziert.
den transportiert werden. Für Windkraftanlagen günstige         Es rückt damit eine Forschungsperspektive in den Mit-
windhöffige Standorte „befinden sich [gerade] in den struk-     telpunkt, die die Herstellung „sozialer Wirklichkeit“ und
turschwachen und dünn besiedelten Regionen Norddeutsch-         die Verfestigung bestimmter Bedeutungen fokussiert. Der
lands bzw. in der Nord- und Ostsee“ (Neukirch 2014: 5).         Beitrag geht vor diesem Hintergrund der Frage nach, wel-
Zu den Vorhaben gehören auch der „SuedLink“ und die             che zentralen Diskursstränge und darin enthaltene Haupt-
„Gleichstrompassage Süd-Ost“, die in Gleichstromübertra-        argumentationsmuster, insbesondere der Kritik, sich im
gungstechnik errichtet werden sollen und zwischenzeitlich       Zuge der Aushandlungsprozesse um den Stromnetzausbau
zu besonders massivem Widerstand, gerade im Freistaat           nachzeichnen lassen. Welche Positionen sind machtvoll –
Bayern, führten. Während, vereinfachend dargestellt, die        hegemonial – verankert, welche werden dagegen eher in
Energieleitungsausbaugesetz-Vorhaben in Länderzustän-           den Hintergrund gedrängt? Welche Bruchlinien lassen sich
digkeit fallen, werden für länderübergreifende Bundesbe-        dabei gegebenenfalls auch herausarbeiten?
darfsplangesetz-Vorhaben die Bundesfachplanungen und               Zunächst werden im Folgenden die diskurstheoretische
die Planfeststellungsverfahren durch die Bundesnetzagen-        Grundperspektive und das methodische Vorgehen sowie
tur durchgeführt1, womit sich Planungszuständigkeiten           Analysebestandteile erläutert (Abschn. 2). Im Anschluss
                                                                werden zentrale Argumentationsmuster der Befürwortung
1 http://www.netzausbau.de/wissenswertes/recht/nabeg/de.html    und der Gegnerschaft zum Stromnetzausbau unter Ein-
(13.06.2016).                                                   beziehung fallstudienbezogener Spezifika dargestellt (Ab-

K
Räume unter Strom                                                                                                       325

schn. 3). Vor dem Hintergrund der Ergebnisse werden            und Ressourcenverschwendung erfolgt. Gleichzeitig sind
abschließend Zusammenhänge und mögliche Folgen für             immer Veränderungen möglich – es bestehen regelmäßig
zukünftige Entwicklungen skizziert (Abschn. 4).                unterschiedliche Diskursstränge, die miteinander konkur-
                                                               rieren und bei denen auch bisher eher unterdrückte Deutun-
                                                               gen zentral werden könn(t)en. Laclau und Mouffe (1985)
2 Diskurstheoretische Forschungsperspektive,                   betonen damit die Unmöglichkeit endgültig fixierter Struk-
  methodisches Vorgehen und Analysebestandteile                turen. Auch in vermeintlich stabilen Verhältnissen können
                                                               Veränderungen auftreten (Laclau 1994: 1 f.; Weber 2013:
2.1 Die diskurstheoretische Grundperspektive                   50). Bedeutungsveränderungen sind vom Grundsatz her
                                                               immer möglich. Aufgrund dieser Veränderlichkeit sind
Planungen um den Stromnetzausbau zeigen mit einem Blick        Deutungshoheiten temporär, wodurch diese einem ständi-
auf die Entwicklungen der letzten Jahre, dass es hierbei       gen Prozess der Verteidigung, Erosion, Umdefinition und
immer wieder zu verschiedenen Veränderungen gekommen           Neuerrichtung, kurz von Macht, unterliegen. Dies trifft bei-
ist, wie beispielsweise die Definition von Vorhaben über       spielsweise auf die Bewertung der in Deutschland in den
das Bundesbedarfsplangesetz neben den bereits bestehen-        1960er-Jahren von vielen als zukunftsweisend erachteten
den Vorhaben aus dem Energieleitungsausbaugesetz, die          und heute eher mit Risiken verknüpften Kernkraftwerken
Übernahme/Nicht-Übernahme von Vorschlägen der Über-            zu (Gleitsmann 2011: 20, 23).
tragungsnetzbetreiber in die Netzentwicklungspläne oder            Entscheidend ist vor diesem Hintergrund, welche Dis-
im Hinblick auf Freileitungen gegenüber Erdverkabelun-         kursstränge – konkret innerhalb des Stromnetzausbaus –
gen, die gerade beim SuedLink oder der Gleichstrompas-         so unhinterfragt werden, dass ihre Veränderungsmöglich-
sage Süd-Ost zunächst nicht vorgesehen waren. Gleichzei-       keit in Vergessenheit gerät und sie unverrückbar scheinen.
tig lässt sich beobachten, dass bestimmte Positionen, wie      Solche Diskurse werden von Laclau und Mouffe als beson-
die Legitimation des Netzausbaus über den Ausstieg aus         ders machtvolle und erfolgreiche – hegemoniale – Diskur-
der Kernkraft und den weiteren Ausbau erneuerbarer Ener-       se bezeichnet. Verschiedene Momente reihen sich hierbei
gien gerade in Norddeutschland recht fest verankert und        in Äquivalenzketten um einen zentralen Knotenpunkt her-
unumstößlich scheinen. Veränderungen einerseits und ver-       um aneinander, womit der Diskurs repräsentiert wird (Phil-
festigte Setzungen andererseits lassen sich als zwei Seiten    lips/Jørgensen 2002: 26 f.). Gleichzeitig ergeben sich Ab-
einer Medaille verstehen, die gerade aus einer diskurstheo-    grenzungen von einem Außen, also dem, was der Diskurs
retischen Forschungsperspektive in ihrem Wechselspiel be-      nicht ist (vgl. Abb. 1). Dieses Außen wird so identitäts-
leuchtet werden können.                                        stiftend – als konstitutives, antagonistisches Außen für den
    Ausgangspunkt bildet in strukturalistischer und post-      Diskurs zu betrachten (Laclau 1993; Thiem/Weber 2011:
strukturalistischer Tradition der Zugang zur „sozialen Wirk-   175 f.; Weber 2015: 102). Alternative Deutungen werden
lichkeit“ über Sprache, durch die Bedeutungen relational       dadurch – zumindest zeitweise – unterdrückt (Laclau 1993;
über Differenzbeziehungen verankert werden (vgl Abb. 1,        Glasze/Mattissek 2009a: 162).
vgl. ausführlich Glasze 2013). Sprache kann als zentraler          Marginalisierte Diskursstränge lassen sich als Subdiskur-
Mechanismus bei der Vermittlung einer „objektivierten“         se begreifen, die im Schatten hegemonialer Diskurse stehen,
sozialen Welt gedeutet werden, die Wahrnehmungen struk-        aber, wie erläutert wurde, vom Prinzip her auch hegemo-
turiert und spezifische Wirklichkeiten herstellt (Torfing      nial werden könnten (Weber 2013: 63, 69). Machtfragen
1999: 87; Phillips/Jørgensen 2002: 8 f.; Gailing/Leibenath     erhalten so zentrale Relevanz, also welche Diskurse sich
2015: 126 f.). Durch regelmäßige Wiederholung werden           im Vergleich zu anderen in Aushandlungsprozessen durch-
bestimmte Deutungen verfestigt – sie erscheinen in der         setzen und verfestigen, womit gleichzeitig das Sagbare de-
Folge im Alltag als gegeben und „normal“. Entsprechend         finiert und diskursiv verfestigt wird (vgl. auch Glasze 2013;
werden sie nicht hinterfragt. Dadurch wird Bedeutung tem-      Weber 2013).
porär fixiert – von Laclau und Mouffe (1985: 112) als
Diskurs gefasst (vgl. auch erläuternd Glasze 2013: 75 f.).     2.2 Methodisches Vorgehen: Systematisierung von
Diskurse umfassen „Sprache, Subjekte, nicht-sprachliche            Sprecherpositionen und Analyse narrativer Muster
Praktiken und Objekte“, die miteinander verbunden sind –
also die Gesamtheit des Diskurses bilden (Leibenath 2014:      Laclau und Mouffe haben in ihren Arbeiten primär ein „In-
125). Beispielhaft vereinfachend lässt sich dies am Dis-       teresse an politiktheoretischen Zusammenhängen und phi-
kurs um den Klimaschutz verdeutlichen, der unter anderem       losophischen Beweisen“ (Leibenath/Otto 2012: 123) ver-
mit Kohlenstoffdioxid-Reduktion und Ressourcenschonung         folgt und nur wenige Hinweise zu einer empirischen Ope-
verknüpft wird und bei dem eine Abgrenzung von Treib-          rationalisierung gegeben (Glasze 2013: 97). Um den theore-
hausgasemissionen, Rodung des tropischen Regenwaldes           tischen Implikationen der Theorie Rechnung zu tragen, sind
326                                                                                                            F. Weber, O. Kühne

Abb. 1 Diskursverständnis –
Knotenpunkt mit angereihten
Momenten, Grenzziehung sowie
Außen des Diskurses. (Glasze
2013: 83, verändert)

                                               Differenzbeziehung                             Momente des Diskurses
                                               zu bestimmter Zeit
                                                                                              Knotenpunkt
                                               Äquivalenzbeziehung
                                                                                              antagonistische Grenze

angepasste Methoden erforderlich (vgl. Glasze/Mattissek                Um „überindividuelle, ,hegemoniale‘ Muster des Spre-
2009b). Wie in Abschn. 2.1 ausgeführt wurde, besteht der            chens über einzelne Themen“ (Mattissek 2008: 115) nach-
Ansatzpunkt der Diskurstheorie in der Deutung von Dis-              zuzeichnen, wurde die Analyse narrativer Muster herange-
kursen als temporäre Fixierung von Bedeutung, die gera-             zogen (Glasze/Husseini/Mose 2009). Sie untersucht, „wie
de dadurch hergestellt wird, dass vergleichbare Muster re-          Bedeutungen konstituiert werden, indem sprachliche Ele-
gelmäßig (re)produziert werden. Alternative Deutungsmög-            mente in bestimmte Muster eingebunden werden und ge-
lichkeiten rücken so ins Abseits. Methodisch ist also darauf        wisse Regelmäßigkeiten offenbaren“ (Weber 2013: 67). Der
zu achten, Regelmäßigkeiten herauszuarbeiten, mit denen             Fokus lässt sich damit gerade auf Äquivalenzbeziehungen
spezifische Deutungsmuster verfestigt werden.                       und Gegensätze richten (Somers 1994: 616), um so Mo-
    Um Positionen und Hegemonien im Diskurs abzubilden,             mente des Diskurses in Beziehung zu setzen, zentrale Kno-
wurden innerhalb der Analysebestandteile zitierte Sprecher          tenpunkte zu identifizieren und nachzuzeichnen, wovon je-
und deren Sprecherpositionen ausdifferenziert und quanti-           weils Abgrenzungen – dem Außen des Diskurses – erfol-
fiziert. Unter Sprecherpositionen werden „institutionell sta-       gen. Regelmäßig werden spezifische Narrationen genutzt,
bilisierte Positionen“ (Glasze 2007) verstanden, also Po-           die durch ihre Wiederholung verfestigt werden und zur Be-
sitionen, die Teil von Diskursen sind und von Sprechern             deutungsfixierung beitragen (Glasze/Husseini/Mose 2009:
(also Subjekten) (re)produziert werden. Hierbei wurden die          293 f.). Zielsetzung der Analyse ist, diese Regelmäßigkeiten
Untersuchungsmaterialien Google-Treffer, SZ- und Focus-             herauszuarbeiten. So können zentrale Momente und Kno-
Artikel, die Artikel der regionalen und lokalen Zeitungen           tenpunkte sowie Grenzziehungen aufgefächert werden, die
zu den Fallstudien sowie die Internet-/Facebook-Seiten der          spezifische Deutungsmuster im Zuge der Aushandlungspro-
Bürgerinitiativen (vgl. Abschn. 2.3) durch ein Mitglied des         zesse um den Stromnetzausbau (re)produzieren.
Projektteams gelesen, durch weitere Mitglieder gegenge-
prüft und ausgewertet. Ein automatisiertes Vorgehen mit             2.3 Übersicht über die Bestandteile der Analysen
computergestützter Software wie bei lexikometrischen Ver-
fahren in Bezug auf hegemonial verankerte Wörter und                Innerhalb der durchgeführten Analysen wurden mediale Re-
Wortfolgen (vgl. z. B. Weber 2015) ist nicht möglich, da            präsentationen, Einschätzungen von Interviewpartnern mit
sich dieser methodische Zugang an der Grenze zu quali-              Bundes- und Länderbezug sowie lokale Fallstudien berück-
tativen Verfahren bewegt, wenn auch ein quantifizierendes           sichtigt, um einen multiperspektivischen Blick zu ermögli-
Ergebnis angestrebt wird.                                           chen (vgl. Tab. 1).
                                                                       Dem Internet kommt als Informations- sowie Willensbil-
                                                                    dungs- und Partizipationsplattform wachsende Bedeutung

K
Räume unter Strom                                                                                                                    327

Tab. 1 Übersicht über die Analysebestandteile
Ebene                             Medium/Interviewpartner                                        Zeitpunkt/Zeitraum      Kürzel
Bundesweit                        50 erste Google-Treffer zum Schlagwort „Stromnetzausbau“       04.03.2015              GT01 bis
                                  http://www.google.de                                                                   GT50
                                  Tageszeitung Süddeutsche Zeitung (SZ)                          17.05.2010–23.04.2015   SZ
                                  http://www.sueddeutsche.de
                                  Wochenmagazin Focus                                            27.08.2010–08.05.2015   FO
                                  http://www.focus.de
                                  Internetauftritte und Facebook-Profile von Bürgerinitiativen   Dezember 2014–Januar    BI
                                  im Kontext des Stromnetzausbaus                                2015
                                  Interviews                                                     März–April 2015
                                  BMWi (Bundesministerium für Wirtschaft und Energie)                                    IP01
                                  BMUB (Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau                                   IP02
                                  und Reaktorsicherheit)
                                  BNetzA (Bundesnetzagentur)                                                             IP03
                                  Amprion GmbH                                                                           IP04 + 05
                                  TenneT TSO GmbH                                                                        IP06
                                  DUH (Deutsche Umwelthilfe e. V.)                                                       IP11
                                  Mitarbeiter Bürgerbeteiligungsprozess Demoenergie                                      IP12
                                  Mediziner, Experte für elektrische und magnetische Felder                              IP13
                                  NABU (Naturschutzbund Deutschland)                                                     IP15
                                  Systemanalytiker Netzausbau                                                            IP16
Nord-         Landesebene         Interviews                                                     März–April 2015
deutschland                       NMU (Niedersächsisches Ministerium für Umwelt, Energie                                 IP08
                                  und Klimaschutz)
                                  NLWKN (Niedersächsischer Landesbetrieb für Wasserwirt-                                 IP09
                                  schaft, Küsten- und Naturschutz)
                                  Stimme aus dem ministeriellen Bereich Nordrhein-Westfa-                                IP10
                                  lens
              „Keine 380 kV-      Webinhalt Bürgerinitiative „Keine 380 kV-Freileitung am        März–April 2015         Mat-lok09
              Freileitung am      Teuto“
              Teuto“              Flyer, Infomaterial, Erklärungen Bürgerinitiative „Keine       März–April 2015         Mat-lok10
                                  380 kV-Freileitung am Teuto“
                                  Trassendialog Lüstringen – Hesseln. Gemeinsame Erklä-          März–April 2015         Mat-lok11
                                  rung unter Beteiligung der Bürgerinitiative „Keine 380 kV-
                                  Freileitung am Teuto“
                                  Neue Westfälische (NW)                                         04.09.2014–12.04.2015   N-lok07
                                  http://www.nw.de
                                  Westdeutsche Allgemeine Zeitung (WAZ)                          31.10.2012–10.04.2015   N-lok08
                                  http://www.derwesten.de
                                  Interviews mit einem Kommunalvertreter aus Hilter am Teu-      März 2015               IP-lok07
                                  toburger Wald sowie der Bürgerinitiative                                               IP-lok08
              „Delligsen in der   Internet-Kommunalinformationen Delligsen, Informationen        März–April 2015         Mat-lok06
              Hilsmulde“          rund um die „Hamelner Erklärung“
                                  Webinhalt Bürgerinitiative „Delligsen in der Hilsmulde“        März–April 2015         Mat-lok07
                                  Flyer, Infomaterial Bürgerinitiative „Delligsen in der Hils-   März–April 2015         Mat-lok08
                                  mulde“
                                  Einbecker Morgenpost                                           22.07.2010–17.07.2014   N-lok05
                                  https://www.einbecker-morgenpost.de/einblicke.html
                                  Hessische Niedersächsische Allgemeine (hna) http://www.        25.10.2010–09.03.2015   N-lok06
                                  hna.de
                                  Interviews mit einem Kommunalvertreter aus Delligsen so-       März 2015               IP-lok05
                                  wie der Bürgerinitiative                                                               IP-lok06
328                                                                                                                         F. Weber, O. Kühne

Tab. 1 Übersicht über die Analysebestandteile (Fortsetzung)
Ebene                               Medium/Interviewpartner                                          Zeitpunkt/Zeitraum          Kürzel
Bayern        Landesebene           Interviews                                                       März–April 2015
                                    StMWi (Bayerisches Staatsministerium für Wirtschaft und                                      IP07
                                    Medien, Energie und Technologie)
                                    Bund Naturschutz Bayern e. V.                                                                IP14
              „Pegnitz unter        Internet-Kommunalinformationen Pegnitz sowie Reden und           März–April 2015             Mat-lok03
              Strom“                Schreiben des Bürgermeisters gegen die Gleichstrompassage,
                                    Pegnitzer Resolution zur Energiewende, Informationen zum
                                    Verein „Kommunen gegen die Gleichstrompassage“
                                    Webinhalt Bürgerinitiative „Pegnitz unter Strom“                 März–April 2015             Mat-lok04
                                    Flyer, Infomaterial Bürgerinitiative „Pegnitz unter Strom“       März–April 2015             Mat-lok05
                                    Frankenpost – Tageszeitung für Oberbayern                        27.12.2012–03.02.2015       N-lok03
                                    http://www.frankenpost.de
                                    Nürnberger Land (Hersbrucker Zeitung, Pegnitz-Zeitung und        15.10.2012–22.02.2015       N-lok04
                                    Der Bote)
                                    http://www.n-land.de
                                    Interviews mit einem Kommunalvertreter aus Pegnitz sowie         März 2015                   IP-lok03
                                    der Bürgerinitiative                                                                         IP-lok04
              „Hormersdorf-         Internet-Kommunalinformationen Markt Schnaittach                 März–April 2015             Mat-lok01
              Schnaittach“          („Gleichstrompassage“ auf Startseite positioniert)
                                    Webinhalt Bürgerinitiative „Hormersdorf-Schnaittach“             März–April 2015             Mat-lok02
                                    Mein Mitteilungsblatt Schnaittach                                09.01.2013–18.01.2015       N-lok01
                                    http://www.mein-mitteilungsblatt.de/schnaittach/themen/
                                    hormersdorf.html
                                    Online-Portal Nürnberger Zeitung und Nürnberger Nachrich-        30.05.2012–09.03.2015       N-lok02
                                    ten
                                    http://www.nordbayern.de
                                    Interviews mit einem Kommunalvertreter aus Schnaittach           März 2015                   IP-lok01
                                    sowie der Bürgerinitiative                                                                   IP-lok02
GT Google-Treffer, SZ Süddeutsche Zeitung, FO Focus, BI Bürgerinitiative, IP Interviewpartner,
Mat-lok Materialien der lokalen Ebene, das heißt, Internetseiteninhalte sowie Flyer, Postkarten etc.,
N-lok Online frei verfügbare (Zeitungs-)Artikel auf regionaler bzw. lokaler Ebene. Die unterschiedlichen Zeiträume bei den Artikeln ergeben sich
aus abweichenden Zeiträumen vorhandener Artikel innerhalb der Onlineportale der Medien,
IP-lok Interviewpartner auf der Ebene der Fallstudien

als schnelle und unkomplizierte Möglichkeit der Recherche                 und FO jeweils mit Angabe des Erscheinungsdatums). Mit
zu und gerade hoch gerankte Google-Treffer werden häu-                    Google-Treffern sowie SZ und Focus gehen wir über bis-
fig zum ersten Zugang zu Informationen (Pan/Hembrooke/                    herige mediendiskursanalytische Ansätze hinaus, die sich
Joachims et al. 2007; vgl. Schmidt 2011). Entsprechend                    zumeist auf ein Medium beschränkten (vgl. z. B. Brailich/
wurden zur Berücksichtigung medialer Darstellungen die                    Germes/Schirmel et al. 2008; Schirmel 2011; Kühne 2012;
ersten 50 Treffer der Suchmaschine Google zum Schlag-                     Glasze/Weber 2014).
wort „Stromnetzausbau“ zusammengestellt und analysiert                       Aktuelle Einschätzungen und Bewertungen wurden
(GT01 bis GT50; Google ist in Deutschland unangefoch-                     durch 16 qualitative episodische Interviews2 mit Vertre-
tener Marktführer der Suchmaschinen). Um den medialen                     tern von Institutionen und Initiativen erfasst. Gleichzeitig
Diskurs zum Stromnetzausbau mit nationaler Schwerpunkt-                   wurden darüber Argumentationsmuster im Detail analysiert
setzung abzubilden, wurden alle online frei zugänglichen                  und auch solche Muster beleuchtet, die medial weniger do-
und damit vom Grundsatz her breit rezipierbaren Artikel des               minieren. Die Narrationen der Interviewpartner können dis-
Marktführers bei überregionalen Zeitungen, der Tageszei-                  kurstheoretisch als „artikulatorische Akte“ (Nonhoff 2006:
tung Süddeutsche Zeitung (SZ), und des Wochenmagazins                     185) aufgefasst werden, die diese als Teil von Institutionen
mit der größten Internetreichweite, dem Focus (FO), zum
Schlagwort „Netzausbau“ (mit Bezug zum Stromnetzaus-
                                                                          2 Entsprechend den Prämissen der Diskurstheorie wurden möglichst
bau, unberücksichtigt blieben damit unter anderem Beiträ-
                                                                          offene Interviews mit langen Erzählpassagen geführt. Um durch die
ge um den Ausbau der Mobilfunknetze) in Deutschland zu-                   Weite des Feldes keine Verlorenheit zu produzieren, wurden Fragen
sammengestellt, die einen Zeitraum zwischen Mai/August                    als Anstöße gestellt, wodurch Erzählepisoden zu einzelnen Aspekten
2010 und April/Mai 2015 abdecken (systematisiert als SZ                   entstanden (vgl. auch Weber 2013: 71 ff.).

K
Räume unter Strom                                                                                                      329

und Initiativen – damit in deren Namen – als Sprecher im       3 Ergebnisse: Konstituierung von
Diskurs vornehmen. Wird berücksichtigt, dass immer meh-          „Energiewende“ und zentrale Knotenpunkte
rere Diskursstränge parallel existieren, leitet sich daraus      der Ablehnung von Planungen
auch ab, dass Befragte in der Regel nicht nur einen Diskurs
wiedergeben, sondern Stränge unterschiedlicher Diskur-         3.1 Diskursive Grundlagen des Stromnetzausbaus, die
se einfließen (Mattissek 2005: 120; Weber 2013: 60 f.).            „Energiewende“ und die „Bedarfsfrage“
Neben Mitarbeitern aus Bundes- und Landesministerien,
der Bundesnetzagentur und der Übertragungsnetzbetreiber        Die Diskursstränge um Energiewende und Stromnetzausbau
wurden Experten aus dem Bereich der Dialoggestaltung,          leiten sich – im Rahmen des Beitrags aus Platzgründen ent-
von Umwelt- und Naturschutzverbänden, der Medizin und          komplexisierend – aus gesamtgesellschaftlichen Diskursen
der Energiesystementwicklung befragt (IP01 bis IP16).          ab: Klimawandel, Energiepreisentwicklungen, Energieaut-
   Zur Erfassung bürgerschaftlichen Engagements wur-           arkie und Kernkraft sind eng mit der Energiewende und
den mittels Google Bürgerinitiativen, die sich im Zuge         damit auch mit dem Netzausbau verbunden (vgl. Abb. 2).
des Stromnetzausbaus konstituiert haben und über eine          Auch wenn von einigen Stimmen in der medialen Bericht-
eigene Website oder ein Facebook-Profil verfügen, recher-      erstattung – Google, Süddeutsche Zeitung und Focus – der
chiert und deren Profile nach weiteren genannten Initiativen   Klimawandel als „Erfindung“ von Wissenschaft und Politik
durchsucht. Auf diese Weise wurden 90 Bürgerinitiativen        gerahmt wird, ist dieser hegemonial als „Fakt“ verankert,
ermittelt und deren angebotene Informationen auf zentrale      auf den zu reagieren sei, gerade mit dem Ausbau erneuerba-
Positionierungen hin untersucht.                               rer Energien und damit dem Ausbau bestehender Stromnet-
   Um zu überprüfen, ob sich regionale und lokale Bezug-       ze (z. B. SZ-12.06.2011, SZ-28.08.2012). Wird davon aus-
nahmen von eher nationalen oder länderbezogenen unter-         gegangen, dass im Zuge einer Verknappung fossiler Ener-
scheiden, wurden diskursive Aushandlungsprozesse rund          gieträger erneuerbare Energien konkurrenzfähiger werden
um vier Bürgerinitiativen analysiert. Ausgehend vom star-      und im Zeitalter wachsender Vernetzung nationale Ener-
ken Ausbau erneuerbarer Energien im Norden, deren Strom        gieautarkie im Gegensatz zu europäischen Stromnetzen nur
in den industriereichen Süden Deutschlands transportiert       schwerlich umsetzbar erscheint, so wird auch hierüber der
werden soll (vgl. Übertragungsnetzbetreiber 2014a; Über-       Stromnetzausbau als erforderlich diskursiv (re)produziert.
tragungsnetzbetreiber 2014b), wurden in Relation zur Ana-      Nach Fukushima gehört es – Stichwort „Risiken der Kern-
lyse der 90 Bürgerinitiativen mit Webprofil zwei Fallstudi-    energienutzung“ – kaum noch zum Bereich des „Sagbaren“
en aus Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen sowie zwei        (in Anschluss an Michel Foucault, vgl. Weber 2013: 61 ff.),
aus Bayern ausgewählt. Zu den Fallstudien „Keine 380 kV-       die weitere zivile Nutzung der Kernkraft zu favorisieren
Freileitung im Teuto“ (Zusammenschluss von Initiativen         („Sicherheitsdiskurs“ nach Leibenath/Otto 2012: 129). Die
mehrerer Orte „unter einem Dach“), „Delligsen in der Hils-     Folgen eines Reaktorunfalls seien nicht vertretbar, ein Aus-
mulde“ (seit 2008 bestehend und damit mit langer „Pro-         stieg aus der Kernkraft entsprechend zwingend erforderlich,
testerfahrung“ (Marg/Geiges/Butzlaff et al. 2013)) (beide      die Herausforderungen einer Endlagerung hochradioaktiver
Norddeutschland), „Pegnitz unter Strom“ (starke Verknüp-       Abfälle nicht gelöst (z. B. GT08, FO-17.02.2014).
fung Bürgerinitiative und Stadt Pegnitz sowie Stadt Pegnitz        Die skizzierten Argumentationsstränge führen – tenden-
im Verein „Kommunen gegen die Gleichstrompassage Süd-          ziell übergreifend geteilt – zur Bewertung, die Energie-
Ost“ engagiert) und „Bürgerinitiative Hormersdorf-Schnait-     wende sei notwendig – die Energiewende als zentraler dis-
tach“ (Markt Schnaittach nicht in vorgenanntem Verein en-      kursiver Knotenpunkt. Dass nun damit allerdings auch ein
gagiert) (beide Bayern) wurden Artikel aus zwei Zeitungen      umfänglicher Bedarf des Ausbaus bestehender Stromnetze
pro Fallkontext – jeweils zum einen eher regional und zum      bestehe, wird nicht durchgehend geteilt (Konfliktfeld Be-
anderen lokal – untersucht (Zeiträume Juli 2010 bis März       darfsfrage, vgl. auch Abb. 2). Die Infragestellung der Not-
2015, N-lok01 bis N-lok08), jeweils ein hoher kommuna-         wendigkeit erfolgt – tendenziell kognitiv argumentierend –
ler Vertreter und Mitglieder der Bürgerinitiativen befragt     besonders mit dem Hinweis darauf, dass die Berechnungen
(IP-lok01 bis IP-lok08) sowie die Internetinformationen der    in den Netzentwicklungsplänen nicht nachvollziehbar seien
Kommunen und Bürgerinitiativen und ergänzende Materia-         bzw. befürchtet würde, über die Trassen würde Kohlestrom
lien ausgewertet (Mat-lok01 bis Mat-lok11). Innerhalb der      aus Ostdeutschland und Atomstrom aus dem Ausland trans-
nachfolgenden Analyse werden synthetisierend zentrale Ar-      portiert (vgl. auch Jarass/Obermair 2012; Neukirch 2014;
gumentationsmuster, insbesondere der Kritik, und regionale     Neukirch 2015) – dazu beispielhaft: Der Bund für Umwelt
Unterschiede herausgearbeitet.                                 und Naturschutz Deutschland (BUND) lehne die Trassen
                                                               ab, „solange deren Notwendigkeit [...] nicht nachgewiesen
                                                               und nachvollziehbar begründet wurde“ (GT30). Der Netz-
                                                               ausbau diene dem „Transport von Braunkohlestrom zeit-
330                                                                                                        F. Weber, O. Kühne

Abb. 2 Diskursive Aushand-
lungsprozesse – Synthetisie-
rende, entkomplexisierende
Darstellung zentraler Argumen-
tationszusammenhänge, Aus-
handlungsprozesse insbesondere
um die Bedarfsfrage des Netz-
ausbaus (rot hervorgehoben)
sowie im Hinblick auf die ange-
führten Konfliktfelder (dunkler
schattiert). (Eigene Darstellung
auf der Basis der Diskursana-
lysen der Google-Treffer, SZ-
und Focus-Artikel, der geführten
Interviews sowie der Fallstudien
(vgl. Tab. 1). Umsetzung Tobias
Sontheim (2016))

gleich zu Starkwindeinspeisungen in Ostdeutschland“ und        (IP03) seien zu stärken und „wir brauchen diese Stromtrasse
eröffne zusätzlich die Möglichkeit, „dass Atomstrom ein-       auf keinen Fall“ (IP-lok04). In Schnaittach heißt es: „wir se-
gespeist wird“ (IP16 Systemanalytiker). Entsprechende Ar-      hen diese Trassen als völlig kontraproduktiv für diese Ener-
gumentationsmuster werden tendenziell – regional gesehen       giewende“ an (IP-lok02 Bürgerinitiative). Von 38 in Bay-
– im Freistaat Bayern (re)produziert. Dort wird zusätzlich     ern mit Internet- oder Facebook-Auftritt ermittelten Bür-
regelmäßig über das Streben nach einer dezentralen, re-        gerinitiativen (90 auf Deutschlandebene, vgl Abschn. 2.3).
gionalen Energieversorgung argumentiert. Der Ausbau er-        sprachen sich im Januar 2015 insgesamt 37 grundsätzlich
neuerbarer Energien sei für die „bayerische Energiewende“      gegen neue Stromtrassen aus. Auch die ermittelten hessi-
vorangetrieben worden, dem nun die geplanten neuen Tras-       schen (8), baden-württembergischen (5) und thüringischen
sen zuwiderliefen, weswegen sich Widerstand rege (unter        (4) Bürgerinitiativen lehnen die Trassenplanungen ab (vgl
anderem IP14 Bund Naturschutz Bayern, IP16 Systemana-          Abb. 3). – tendenziell also ein Schwerpunkt Süddeutsch-
lytiker). Die Energiewende wird dort mit dezentraler, re-      land/Südostdeutschland.
gionaler Energieversorgung verwoben, womit der geplan-            Aushandlungsprozesse um das „Wie“ des Netzausbaus
te Stromnetzausbau hier regional zum Außen des „Ener-          werden durch die Grundsätzlichkeit der Ablehnung er-
giewende“-Diskurses wird. Damit wird gleichzeitig Ener-        schwert bzw. fast unmöglich. Auffällig ist auch, wie bereits
giewende zu einem „flottierenden Signifikanten“ (Laclau        in der Einleitung angedeutet, der starke Vernetzungsgrad
2007: 131), also einem Knotenpunkt, der an unterschiedli-      von Bürgerinitiativen gegen den Stromnetzausbau, was
che Diskursstränge anschlussfähig ist: Energiewende – im       auch die Durchführung gemeinschaftlicher Aktionen ein-
nationalen Diskurs – in Verbindung mit dem Stromnetz-          schließt. So fanden in Bayern ab Februar 2014 mehrere
ausbau gegenüber dezentraler, bayerischer Energiewende.        „Trassenkonferenzen“, Treffen und Aktionstage statt. Das
Auch in den bayerischen Fallstudien „Pegnitz unter Strom“      Handeln der bayerischen Staatsregierung zeigt sich stark
und „Hormersdorf-Schnaittach“ sind Narrationen einer re-       mit dem Agieren der Initiativen rückgekoppelt: Forderte
gionalen Energiewende und einer dezidierten Ablehnung          sie noch im Oktober 2013 einen stärkeren Netzausbau,
geplanter Stromtrassen, hier speziell der Gleichstrompassa-    wurden zwischenzeitlich ab Oktober 2014 neue Strom-
ge Süd-Ost, hegemonial verankert. Kommunalvertreter (IP-       trassen abgelehnt, bis im Juli 2015 Erdverkabelungen statt
lok03) und ein Mitglied der Bürgerinitiative in Pegnitz füh-   Freileitungen vereinbart wurden (vgl. Abb. 4). Der massive
ren unter anderem an, „dezentrale Versorgungselemente“         Protest bayerischer Bürgerinitiativen blieb nicht folgen-

K
Räume unter Strom                                                                                                                                                          331

            Bayern                                                                                      37                                                             1

     Niedersachsen            2                               12                               3

Nordrhein-Westfalen                   4                  5            1

            Hessen                             8

Baden-Württemberg                         5

         Thüringen                    4

       Brandenburg                3

 Schleswig-Holstein           2           1

    Rheinland-Pfalz       1

           Sachsen        1

                      0                            5                      10              15                 20                25                 30              35        40

                                              gegen Trasse generell        pro Erdkabel   Alternativtrasse    Überarbeitung Grenzwerte, Mindestabstandsregelung

Abb. 3 Ziele der Bürgerinitiativen nach Ländern. (Weber/Jenal/Kühne 2016: 54)

los für politische Entscheidungen und das Agieren der                                                   der Energiewende recht stark verankert. 66 % (Google),
bayerischen Staatsregierung beförderte die Intensität des                                               67 % (SZ) und 76 % (Focus) der Sprecherpositionen vo-
Widerstandes der Bürgerinitiativen.                                                                     tieren für die Umsetzung vorliegender Trassenplanungen,3
    Der grundsätzlich ablehnenden Haltung mit regiona-                                                  wobei hier gerade Bundes- und Landespolitiker, Netzbe-
lem Schwerpunkt Süddeutschland/Südostdeutschland –                                                      treiber und die Bundesnetzagentur, aber deutlich weniger
fallstudienbezogen mit Schwerpunkt Bayern untersucht –                                                  Bürgerinitiativen zu Wort kommen. Letztere finden in
können Diskursstränge mit eher nationalem und norddeut-                                                 den regionalen und vor allem den lokalen Zeitungen der
schem Schwerpunkt gegenübergestellt werden, in denen                                                    Fallstudien mittlere bis starke Berücksichtigung (vgl. aus-
in erster Linie kognitiv über betriebswirtschaftlich-techni-                                            führlich Weber/Kühne/Jenal et al. 2015: 82 ff.). Gegen die
sche Notwendigkeiten argumentiert wird. Die bestehenden                                                 Trassenplanungen votieren jeweils weniger als ein Viertel
Stromnetze reichten nicht aus, um ohne vielfältige Eingriffe                                            der Sprecher bei Google, SZ und Focus. Ein Eintreten für
Versorgungssicherheit zur gewährleisten. „Bund, Länder[-]                                               Erdkabel ist hier maximal als ein Subdiskurs zu werten.
und Netzbetreiber[-]“ konstatierten unter anderem, dass                                                 25 der 33 ermittelten Bürgerinitiativen aus Niedersach-
der Netzausbau „benötigt“ werde (GT15) beziehungswei-                                                   sen, Nordrhein-Westfalen, Brandenburg und Schleswig-
se wird der Netzausbau als „Voraussetzung“ beschrieben,                                                 Holstein – vereinfachend „norddeutsche“ – sprechen sich
um den weiteren Ausbau erneuerbarer Energien gewähr-                                                    wiederum für Erdverkabelungen, alternative Trassenfüh-
leisten zu können (GT16, vergleichbar GT35). Wer die                                                    rungen oder Überarbeitungen der bestehenden Grenzwerte
Energiewende wolle, müsse „den Strom dort produzie-                                                     bzw. für Mindestabstandsregelungen aus, während nur acht
ren, wo es am günstigsten“ sei, dies sei „beim Wind in                                                  gänzlich die Trassenplanungen ablehnen (vgl. Abb. 3).
Norddeutschland der Fall. Es muss dann aber auch der
Transport nach Süddeutschland“ ermöglicht werden (FO-                                                   3 In den Google-Treffern wurden 77, in den SZ-Artikeln 135 und in
07.10.2014). Innerhalb der in den Google-Treffern, den                                                  den Focus-Artikeln 108 Sprecherpositionen erfasst, die den Feldern
SZ- und den Focus-Artikeln vertretenen Sprecherpositionen                                               „pro Trasse“, „pro Erdkabel“, „erneute Prüfung“ und „gegen Trasse“
ist die Befürwortung des Netzausbaus zur Gewährleistung                                                 zugeordnet wurden.
332                                                                                                                                F. Weber, O. Kühne

                                                                                10/2013                                                07/2015
                                                                                Stellungnahme aus                                      Erdverkabelungen/
                                                                                bayerischem Wirtschafts-                               Ertüchtigungen,
                          06/2011
                                                                                ministerium: Forderung                                 Zustimmung zu
                          Regierungserklärung:
                                                                                nach stärkerem                                         zwei großen Trassen
                          Plädoyer für Ausbau
                                                                                Netzausbau
                          Netze und erneuer-
                          barer Energien                           06/2013
                03/2011                                            Zustimmung                                                      05/2015
                Befürwor-                                          Bayerns                                                         Vorschlag
                tung Aus-                                          zum Strom-                                                      Verschiebung
                stieg aus                                          netzausbau                                                      SuedLink nach
                Kernkraft                                          im Bundesrat                                                    Westen

                                            2012          2013                            2014                           2015
vor 03/2011
Befürwortung Kernkraft,
tendenziell Kritik an                                                       Anfang 02/2014                     10/2014
erneuerbaren Energien                                                      Seehofer kritisiert                 Seehofer lehnt
                                                                          Netzausbaupläne,                     nun alle Trassen
                                                                          Ablehnung Gleich-                    ab, auch SuedLink
                                                                             strompassage
                                                                                   Süd-Ost
                                                                                   24/02/2014
                                                                 1. ,Trassenkonferenz‘ gegen
                                                                  ,Stromautobahn‘ mit Bürger-
                                                                      meistern, Landräten und
                                                                              Bürgerinitiativen

                                                                                  16/03/2014
                                                                              Kommunalwahlen

                                                             02/04/2014: ,Trassenweites BI-Treffen‘   29/06/2014: ,Trassenweiter Aktionstag‘

                                                                                                  26/05/2014
                                                                                                  2. ,Trassenkonferenz‘, Vereinsgründung
                                                                                                  ,Kommunen gegen die Gleichstrompassage
                                                                                                  SÜD-OST e.V.‘

Abb. 4 Markante Positionswechsel der bayerischen Staatsregierung (Befürwortung versus Ablehnung Kernkraft sowie Zustimmung versus Ab-
lehnung Stromnetzausbauplanungen). (Weber/Kühne/Jenal et al. 2016: 84, leicht verändert)

   In den geführten Interviews wird die tendenzielle Befür-           was jedoch nicht zur Folge hat, dass auch bisherige Pla-
wortung des Stromnetzausbaus im nationalen Mediendis-                 nungen „einfach“ akzeptiert würden. Als zentrale Konflikt-
kurs und bei den norddeutschen Bürgerinitiativen in Verbin-           felder konnten Beteiligung, Technik und Gesundheit, Öko-
dung mit der Energiewende unterstrichen. Ohne den Strom-              nomie sowie Natur und Landschaft herausgearbeitet werden
netzausbau sei die Energiewende mit dem Ausbau der er-                (vgl. auch Abb. 2), die im Folgenden beleuchtet werden.
neuerbaren Energien „gar nicht zu schaffen“ (IP04 Ampri-
on) bzw. die Energiewende erfordere, Netze „umzubauen                 3.2 Ablehnung von Planungen durch spezifische
und auszubauen“ (IP06 TenneT). Diskurstheoretisch inter-                  Bezugnahmen
pretiert entsteht eine Äquivalenzkette aus Energiewende, er-
neuerbaren Energien und Stromnetzausbau. Im Gegensatz                 3.2.1 Unzureichende Beteiligung
zu den bayerischen ist die dargestellte Verknüpfung in den
norddeutschen Fallstudien Teil des lokalen Diskurses. Ver-            Fragen der Bürgerbeteiligung erfahren eine sehr unter-
treter der Bürgerinitiative „Keine 380 kV-Freileitung am              schiedliche Einschätzung. Auf der einen Seite wird auf In-
Teuto“ (Grenzbereich Niedersachsen/Nordrhein-Westfalen)               formationsveranstaltungen und Dialogprozesse rekurriert,
akzeptieren die Koppelung aus Energiewende und Nord-                  die dazu dienten, einen „möglichst breiten gesellschaftli-
Süd-Stromtransport: Die „Notwendigkeit der Energiewen-                chen Konsens“ zu erzielen (GT10). Die Bundesnetzagentur
de, das ist nicht in Frage gestellt“, „niemand würde sa-              veranstaltet seit Herbst 2012 Informationsveranstaltungen
gen, wir brauchen keine Stromnetze“, begründet darüber,               („Infotage“) zur Information der Öffentlichkeit: „Wir haben
dass „Windstrom aus dem Norden nach Süden muss“ (IP-                  von Anfang an geplant, bewusst eine breite Öffentlichkeit
lok08). Dieses Muster findet sich auch bei der Fallstudie             mitzunehmen, breiter als es gesetzlich vorgegeben ist“
„Delligsen in der Hilsmulde“, beispielsweise (re)produziert           (IP03). Die Übertragungsnetzbetreiber führen Informati-
durch einen Kommunalvertreter (IP-lok05): „wir brauchen               ons- und Dialogveranstaltungen sowie „Runde Tische“ an,
die Energie ja und wir müssen die Energie auch transpor-              bei denen diese „Rede und Antwort stehen“ (IP04 Ampri-
tieren und deswegen brauchen wir auch die Stromautobah-               on) und Bürger einbeziehen würden (IP06 TenneT). Grund-
nen, sag ich mal. [...]. Wenn das nicht gelingt, dann kriegen         sätzlich besteht Konsens, Bürgerbeteiligung zur Umsetzung
wir auch diese Wende nicht hin.“ Der Stromnetzausbau als              von Planungszielen sei unumgänglich, wie eine Narration
Konsequenz der Energiewende ist hegemonial verankert,                 des Ministerpräsidenten von Schleswig-Holstein, Torsten

K
Räume unter Strom                                                                                                        333

Albig, beispielhaft zeigt: „Der Netzausbau gelingt nur,         lage für ihre Tätigkeit. Und das Gesetz hat sich nicht ge-
wenn wir die Menschen in der Region dabei mitnehmen“            ändert und so lange wie es sich nicht ändert, haben sie den
(FO-30.01.2013). Der Ansatz „frühzeitiger“ Information          Auftrag“ (IP-lok04 Bürgerinitiative „Pegnitz unter Strom“).
und das Einräumen von Mitgestaltungsmöglichkeiten wird          Der Bezug auf gesetzliche Rahmenbedingungen wird eher
auf fast identische Weise von unterschiedlichen Sprechern       als Ausrede denn als stichhaltiges Argument gewertet. Bür-
– Ministerien, Deutsche Umwelthilfe (DUH), Übertra-             gerbeteiligung wird als unzureichend (re)produziert, womit
gungsnetzbetreiber – (re)produziert und auf diese Weise zu      Planungsprozesse delegitimiert werden. Diskurstheoretisch
einem festen Bestandteil aktueller Diskussionskultur – als      gefasst ist Beteiligung als wünschens- und erstrebenswert
hegemonial diskursiv verankert zu deuten.                       hegemonial verankert, allerdings besteht Dissens in Bezug
   Auf der anderen Seite werfen Landesregierungen und           auf deren Erfüllung.
Bürgerinitiativen den Verantwortlichen allerdings auch
mangelnde Transparenz und Beteiligungsmöglichkeiten             3.2.2 Begrenztes Vertrauen in neue Technik und
vor (SZ-04.02.2014 und SZ-23.02.2013). Mitarbeiter der                gesundheitliche Befürchtungen
Bundesnetzagentur merken hierzu an, die Übertragungs-
netzbetreiber schienen von starker Beteiligung und Protest      Als konkrete Argumente, die gegen bestehende Planun-
überrascht gewesen zu sein. Diese seien „vielleicht erst        gen vorgebracht werden bzw. die als solche wahrgenom-
einmal nach altbewährtem Muster an die Sache herange-           men werden und damit in Diskurssträngen um den Strom-
gangen“, was sich aber gewandelt habe: „Die Transparenz         netzausbau mitschwingen, wird regelmäßig auf die techni-
oder Informationsbereitschaft der Übertragungsnetzbetrei-       sche Umsetzung rekurriert, was vielfach in engem Zusam-
ber hat sich positiv entwickelt“ (IP03). In diese Richtung      menhang mit gesundheitsbezogenen Befürchtungen steht.
argumentiert auch ein Mitarbeiter von TenneT: „Wir haben        Unter anderem der SuedLink und die Gleichstrompassa-
unsere Arbeit so umgestellt, dass wir sehr früh informie-       ge Süd-Ost werden in Hochspannungsgleichstromübertra-
ren“ (IP06). Als Problematik wird mehrfach angeführt,           gungstechnik (HGÜ) geplant – einer bisher in Deutschland
in Dialogveranstaltungen hätten Bürger zwar die Mög-            noch nicht eingesetzten Technik, die mit „viel größeren
lichkeit, ihre Wünsche zu äußern, aber erst im offiziellen      Beschwerden, [...] viel größeren Ängsten“ durch die neue
Planfeststellungsverfahren lägen endgültig konkrete Tras-       Technik verbunden würde, so beispielsweise ein Amprion-
senverläufe vor und erst in diesem könne „der Bürger dann       Mitarbeiter (IP04) (allgemein zu Fragen von Technikakzep-
seine mögliche konkrete Betroffenheit endgültig einschät-       tanz vgl. Renn 2005). Im Mittelpunkt stehen „so genann-
zen“ (IP03 BNetzA, ähnlich IP02 BMUB, IP04 Amprion;             te[-] Korona-Effekte [...], die bei Regen oder Schnee Lärm-
zu den Problematiken von Bürgerbeteiligung beim Strom-          beziehungsweise Geräuschpegel verursachen können“ und
netzausbau vgl. auch ausführlich Stegert/Klagge 2015:           „wo sich ionisierte Raumladungswolken über wenige Kilo-
181 ff.).                                                       meter hinweg verteilen und noch messbar sind. [...]. Nach
   Die Untersuchungen der Bürgerinitiativen zeigen in ver-      derzeitigem Stand der Wissenschaft sind durch Ionenwol-
schiedenen, vergleichbaren narrativen Mustern Bezüge auf        ken keine gesundheitlichen Auswirkungen auf den mensch-
fehlendes Vertrauen gegenüber den Übertragungsnetzbe-           lichen Organismus zu erwarten“ (IP03 BNetzA). Ein be-
treibern, Politik und Planung. Diese hätten zu Planungs-        fragter Mediziner (IP13) führt dagegen an, „Staub und an-
beginn unzureichend informiert und fehlendes Vertrauen          dere Partikel“ könnten sich „kumulierend ansammeln und
könne kaum wiederhergestellt werden, wie nachfolgende           so eine Art zusätzliche Belastung für die Bevölkerung er-
Passagen der Fallstudien „Keine 380 kV-Freileitung am           geben“. Durch mehrere Interviewpartner wird ein bisher
Teuto“ und „Pegnitz unter Strom“ verdeutlichen: „Die Feh-       bestehendes Forschungsdefizit zur HGÜ-Technik angeführt
ler wurden am Anfang gemacht, da wurde nicht ausrei-            (IP03 BNetzA, IP10 Ministeriumsebene Nordrhein-Westfa-
chend, auch nicht auf Augenhöhe informiert, sondern von         len). So wird auch durch den Kommunalvertreter aus Peg-
oben herab.“ Wenn Vertrauen nicht mehr gegeben sei, „ist        nitz (IP-lok04) der Einsatz dieser Technik mit dem Verweis
es unheimlich schwer, da wieder ein Vertrauen reinzubrin-       auf gesundheitliche Befürchtungen strikt abgelehnt: „Wir
gen“ (IP-lok07 Kommunalvertreter Hilter, Kontext „Kei-          sprechen über eine neuartige Technik, da bin ich jetzt gleich
ne 380 kV-Freileitung am Teuto“). Unzufriedenheit drückt        mal schon in der kritischen Betrachtung dieser geplanten
sich in emotionalen Bezugnahmen aus: „Amprion hat eine          Trassen, das ist die HGÜ-Technik [...], die es bei uns in
Veranstaltung gemacht, die noch zwei Mal wiederholt wur-        Deutschland nicht gibt, die es in Europa nicht gibt, sondern
de. Skandalös war’s. Skandalös, weil von hinten bis vorne       die mal in Nordamerika probiert wurde und in Afrika. Also
mit Unwahrheiten informiert wurde und wenn man dann             wir haben überhaupt keine Erfahrung, ob damit gesundheit-
konkrete Fragen gestellt hat, dann ist man denen sehr, sehr     liche Beeinträchtigungen gegeben sind oder nicht. Und so
ungeschickt ausgewichen.“ Amprion mache „es sich sehr,          lange das nicht geklärt ist, halten wir es für nicht vertret-
sehr einfach [...]. Es gibt ein Gesetz und das ist die Grund-
334                                                                                                            F. Weber, O. Kühne

bar, dass wir in Bayern oder überhaupt in Deutschland als       Für von Stromtrassen Betroffene ergebe sich ein möglicher
Versuchskaninchen herhalten müssen.“                            Verlust von Grundstückswerten als Risiko, das vor den
   Darüber hinaus werden Freileitungen, unabhängig von          Planungen nicht ausreichend berücksichtigt worden sei.
der Technik, tendenziell negativ bewertet. Abgesehen von        Die entsprechenden Befürchtungen finden sich innerhalb
einigen Teststrecken für Erdverkabelungen sahen die ur-         der Fallstudien auf lokaler Ebene wieder: „Wertverlust von
sprünglichen Vorhabenplanungen Freileitungen vor. Letz-         Immobilien und Grundstücken sowie Einbußen für den
tere werden aber explizit mit „gesundheitlichen Schäden“        Tourismus“ (Mat-lok09 Webinhalt) werden im Fallkon-
(GT04) und „Angst vor Elektro-Smog“ (GT05) verbunden.           text „Keine 380 kV-Freileitung am Teuto“ befürchtet, die
Deren „biologische Wirkung“ seien „bisher (ähnlich dem          „Vermeidung der Wertverluste bei Gebäuden und Grund-
Mobilfunk) nicht eindeutig geklärt“ (GT24). Freileitungen       stücken“ wird entsprechend angestrebt (Mat-lok10 Flyer
werden mit Risiken, Ängsten und Ungewissheiten – emo-           der Bürgerinitiative). Gerade für den im Fallkontext inter-
tionale Bezugnahmen – verknüpft, denen Bürger ausgesetzt        viewten Kommunalvertreter wird dieses Argument relevant,
würden. Konkretisiert wird auf ein befürchtetes, erhöhtes       da er von verschiedenen Personen darauf angesprochen
Krebsrisiko, gerade ein Leukämie-Risiko bei Kindern, re-        werde, dass Häuserverkäufe durch die Trassenplanungen
kurriert – bisherige wissenschaftliche Ergebnisse bleiben al-   erschwert oder nicht mehr möglich würden (IP-lok07).
lerdings hierzu uneindeutig (unter anderem SZ-06.02.2014,       In Delligsen wird bemängelt, der „Wert der Immobilien“
IP04 Amprion, IP13 Mediziner). Ob nun Gesundheitsrisi-          werde „durch die Freileitungen erheblich vermindert“, „das
ken als gegeben oder nicht gegeben bewertet werden, sie         zunehmende touristische Interesse an der Region“ wür-
sind Bestandteil des Diskurses um den Stromnetzausbau,          den Freileitungen „völlig zerstören“ (Mat-lok07 Webinhalt
ohne dass eine Position die andere bisher in den Hinter-        der Bürgerinitiative). Im Rahmen der Fallstudie „Pegnitz
grund drängen konnte.                                           unter Strom“ finden sich fast identische Formulierun-
   Erdverkabelungen werden mit geringeren Belastun-             gen. Grundstückseigentümern drohe die „Entwertung ihrer
gen assoziiert und somit eingefordert, insbesondere durch       Grundstücke, ihres Hab und Gutes“ (Mat-lok03 Schrei-
Bürgerinitiativen, wie sich medial (FO-30.05.2012) und          ben an Bundesminister Gabriel), „die Immobilien werden
innerhalb der norddeutschen Bürgerinitiativen (unter an-        entwertet“, „Industriegebiet-Erweiterung, Gewerbegebiets-
derem IP-lok08 Bürgerinitiative „Keine 380 kV-Freilei-          erweiterung werden zunichte gemacht, weil da keiner mehr
tung am Teuto“, IP-lok05 Kommunalvertreter Delligsen)           baut“ (IP-lok04 Bürgerinitiative).
zeigt. Vor diesem Hintergrund werden Erdkabel tendenzi-            Die bisherigen Planungen lassen nur Aussagen zu recht
ell als konfliktärmere Lösung und als anschlussfähiger an       breiten Trassenkorridoren (500–1000 m Breite) zu. Wo die
einen schnellen Netzausbau gerahmt (z. B. IP06 TenneT,          neuen Stromtrassen „genau“ entlang führen werden, ist erst
IP11 DUH). Die Bundesnetzagentur fragt in diesem Zu-            noch festzulegen.4 Eine potenziell mögliche Betroffenheit
sammenhang, ob Erdkabel „den Planungsprozess beschleu-          führt allerdings zum jetzigen Zeitpunkt zu Sorgen, die
nigen und diese [...] eine Art Befriedungsfunktion“ erfüllen    schwer entkräftet werden können und diskursiv ausgehan-
könnten – „[w]as die Tendenz bezüglich der einzusetzenden       delt werden.
Technik anbelangt, ist ein Großteil der Bevölkerung für die
Erdverkabelung“ – (IP03), womit Erdkabel und Akzeptanz          3.2.4 „Verschandelung“ und „Zerstörung“ von Natur und
argumentativ diskursiv verschnitten werden. Die politische            Landschaft
Entscheidung vom Juli 2015, die großen Nord-Süd-Strom-
trassen vorrangig mit Erdkabeln umzusetzen, kann in diese       Besonders häufig finden sich in den untersuchten Analy-
Richtung gedeutet werden.                                       sebestandteilen bei der Beleuchtung von Protestargumen-
                                                                ten schließlich Bezugnahmen auf Natur und Landschaft.
3.2.3 Sorge um wirtschaftliche und tourismusbezogene            Im Rahmen medialer Darstellungen wird insbesondere auf
      Einbußen                                                  (nicht vorhandene) Ästhetik – „schön“ versus „hässlich“
                                                                – von Freileitungen Bezug genommen: „Ob im Vereinig-
Als weitere Argumente von Netzausbaugegnern und damit           ten Königreich, im Rest Europas oder hierzulande: Es wird
Momente im Stromnetzausbau-Diskurs fungieren Sorgen             nicht viele Menschen geben, die die stählernen Ungetüme
um sinkende Immobilienpreise und Einbußen im Tou-               besonders schön finden. Landschaftsliebhabern sind sie seit
rismus. Die Bundesnetzagentur führt als Konfliktfelder          jeher ein Dorn im Auge“ (SZ-12.06.2011). Natur, Land-
„Wertverlust der Immobilien, de[n] geminderte[n] Erho-          schaft und das Umfeld werden zu Momenten im Diskurs
lungszweck und de[n] Wohnumfeldschutz“ (IP03) an, Am-           der Ablehnung von Freileitungen: „Natur- und Landschafts-
prion spricht vom befürchteten „Wertverlust von Grund-
stücken und Häusern“ (IP05) und der Bund Naturschutz            4 http://www.netzausbau.de/5schritte/bundesfachplanung/de.html

Bayern von „Grundstückswerte[n]“, die „bedroht“ würden.         (28.06.2016).

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