RISSE IM BETON Linke Wahlerfolge in den Vereinigten Staaten Von Ethan Young - Rosa Luxemburg Stiftung
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RISSE IM BETON Linke Wahlerfolge in den Vereinigten Staaten ROSA LUXEMBURG STIFTUNG NEW YORK OFFICE Von Ethan Young
Inhaltsverzeichnis Ein Gezeitenwechsel? Von den Herausgebern................................................................................1 Risse im Beton Linke Wahlerfolge in den Vereinigten Staaten..........................................................................2 Von Ethan Young Die Linke und die Wahlarena......................................................................................................4 Die Demokratische Partei und die sozialen Bewegungen: Für sie und gegen sie.................7 Linker und rechter Populismus..................................................................................................9 Linke Siege und Zukunftsaussichten.......................................................................................11 New York, New York....................................................................................................12 Chicago, Illinois.............................................................................................................16 Newark, New Jersey.....................................................................................................20 Jackson, Mississippi......................................................................................................22 Richmond, California...................................................................................................24 Seattle, Washington.....................................................................................................26 Die Working Families Party........................................................................................................29 Obama und Everything After.....................................................................................................30 Wenn das Soziale politisch wird...............................................................................................32 Veröffentlicht von der Rosa-Luxemburg-Stiftung, Büro New York, November 2015 Herausgeber: Stefanie Ehmsen und Albert Scharenberg Adresse: 275 Madison Avenue, Suite 2114, New York, NY 10016 E-Mail: info@rosalux-nyc.org; Telefon: +1 (917) 409-1040 Gefördert mit Mitteln des Auswärtigen Amts Die Rosa-Luxemburg-Stiftung ist eine international tätige, progressive Non-Profit-Organisation für politische Bildung. In Zusammenarbeit mit vielen Organisationen rund um den Globus arbeitet sie für demokratische und soziale Partizipation, die Ermächtigung von benachteiligten Gruppen, Alternativen zur wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung und für friedliche Konfliktlösungen. Das New Yorker Büro erfüllt zwei Hauptaufgaben: sich mit Themen der Vereinten Nationen zu befassen und mit nordamerikanischen Linken in Hochschulen, Gewerkschaften, sozialen Bewegungen und der Politik zusammenzuarbeiten. ww w .r osal u x - n yc.or g
Ein Gezeitenwechsel? Es ist eine seltsame Zeit für die US-amerikanische Linke. Auf den ersten Blick scheinen ihre Geg- ner äußerst schwach zu sein – zumindest, wenn man sich das Wetteifern um die republikanische Präsidentschaftskandidatur ansieht, bei dem sich eine Reihe von Clowns an Lächerlichkeit – und an Angstmacherei – zu übertreffen sucht. Durch die selbstreferenzielle Dynamik dieses Diskurses entfernen sich die Republikaner dabei immer weiter von der Mehrheitsmeinung und drohen nur noch die Interessen eines schrumpfenden, wohlhabenden weißen Bevölkerungsanteils zu vertreten. Dennoch hat ebenjene Partei nicht nur 31 von 50 Gouverneursämtern inne, sondern auch die Mehr- heit in beiden Häusern des US-Kongresses. Dank ihrer aggressiven und institutionell erfolgreichen Bemühungen, den Zuschnitt der Wahlbezirke zu ihren Gunsten zu verändern und Wählerrechte ein- zuschränken, werden die Republikaner das Repräsentantenhaus auf absehbare Zeit dominieren. Und dank der Citizens-United-Entscheidung des Verfassungsgerichts und der zunehmenden Domi- nanz privater Multi-Millionenspenden für Wahlkämpfe – das bekannteste Beispiel hierfür bieten die Koch-Brüder – besteht die reale Chance, dass im Herbst 2016 ein Republikaner ins Weiße Haus ge- wählt wird. Auf Seiten der US-Linken sind die Widersprüche nicht weniger ausgeprägt. Die Demokratische Partei hat in fünf der letzten sechs Präsidentschaftswahlen die Stimmenmehrheit gewonnen und ist doch unfähig oder nicht bereit, eine Alternative zur aktuellen neoliberalen Austeritätspolitik zu schaffen. Zweifellos sind die Demokraten in einigen Politikfeldern, etwa in der Sozialpolitik, besser als ihre Gegner. In anderen Bereichen hingegen, beispielsweise mit Blick auf die Außenpolitik oder die finan- zielle Abhängigkeit von Großunternehmen, sind sie lediglich das geringere Übel. Insgesamt ist die Partei in der allgemeinen Krise der Politik in Washington gefangen. Außerhalb des demokratischen Apparats gibt es indes einigen Grund für Optimismus. Occupy Wall Street und Black Lives Matter sind zwei der wichtigsten und potenziell einflussreichsten sozialen Be- wegungen unserer Generation. Gleichzeitig hat die Präsidentschaftskampagne des selbst ernannten demokratischen Sozialisten Bernie Sanders die soziale Ungleichheit ins Blickfeld der Öffentlichkeit gerückt und auf diese Weise bei vielen Menschen großen Enthusiasmus erzeugt. Weniger im Fokus der Öffentlichkeit, aber keineswegs weniger bedeutsam, steht die Serie linker Wahlerfolge, die das Establishment der Demokratischen Partei ins Wanken bringen könnten. Die vorliegende Studie von Ethan Young, einem Aktivisten und Autor aus Brooklyn, analysiert die aktu- ellen Chancen und Herausforderungen für linke Politik auf der lokalen Ebene: die Wahl einer sozia- listischen Stadträtin in Seattle und linker schwarz-nationalistischer Bürgermeister in Jackson (Mis- sissippi) und Newark (New Jersey); fortschrittliche Bürgermeisterkampagnen in Chicago und New York; sowie verschiedene Wahlkoalitionen und politische Initiativen von der West- bis zur Ostküs- te. Sie alle konfrontieren die Politik des „business as usual“ mit neuen Herausforderungen. Welche Erfolgschancen haben sie? Beim Lesen der Studie finden Sie es heraus. Stefanie Ehmsen und Albert Scharenberg Leiter des Büros New York, November 2015 1
Risse im Beton Linker Wahlpolitik in den Vereinigten Staaten Von Ethan Young Angesichts der verbreiteten Enttäuschung über gefunden. Die finanziell gut ausgestattete das Zweiparteiensystem steht die US-ameri- rechte Mobilisierung, zunächst jenseits der kanische Linke vor einer existenziellen Frage: urbanen Zonen, brachte in Verbindung mit ei- Sollen wir überhaupt an Wahlen teilnehmen, nem Rückgang der Wahlbeteiligung einige der oder schaden wir damit nur uns selbst? Anders reaktionärsten Gouverneure und Landesparla- gefragt: Gibt eine Politik, die das elektorale Ter- mente der US-Geschichte hervor. rain preisgibt, nicht zugleich jede Möglichkeit preis, auf demokratische Weise für radikalen Seither haben die Republikaner Walker in Wis- Wandel zu streiten? consin, Rauner in Illinois und Snyder in Michi- gan in historischen Industriezentren mit scharf Ich vertrete die Auffassung, dass die Organisa- antigewerkschaftlichen Programmen um die tion von Wahlkämpfen notwendiger Bestand- Gouverneursposten gekämpft – und gewon- teil politischen Handelns ist, wenn die Linke nen. Sie propagieren die Agenda der Tea Party hofft, Einfluss unter arbeitenden Menschen und setzen sie durch: zur Hölle mit den Armen, zu gewinnen, sie zu ermutigen und zu befähi- zur Hölle mit der Demokratie, zur Hölle mit gen, gesellschaftliche Macht zu erlangen und dem Planeten. Es scheint, als schlage das Pen- auszuüben. Die vorliegende Untersuchung del jetzt im Norden genauso weit nach rechts konzentriert sich auf Wahlpolitik als ein Kern- aus wie im Süden. stück politischer Strategie, ohne sie jedoch gegen andere Formen des Organisierens, der Andererseits dürfte, wer Lokalwahlen näher Straßenaktion oder des Protests ausspielen zu beobachtet, seit Mitte des Jahrzehnts eine Zu- wollen. Zunächst analysiere ich das Verhältnis nahme der Anzahl und des Offensivgeists ein- der Linken zu Wahlen und Wahlpolitik. Daran deutig linker Wahlkampagnen bemerkt haben, schließt sich dann eine Reihe kurzer Fallstu- ja in einigen Fällen sogar beachtliche Wahler- dien über bemerkenswerte Wahlkämpfe der folge. Die Siege von Bill de Blasio, Ras Baraka letzten Jahre an. und Chokwe Lumumba, die zu Bürgermeis- tern von New York, Newark (New Jersey) und Um auch nur behaupten zu können, dass sich Jackson (Mississippi) gewählt wurden, ließen bei Wahlen links etwas tut, muss ich ein wenig die Möglichkeit einer landesweiten politischen weiter ausholen. Als die Republikaner 2014 Kräfteverschiebung ahnen. beide Häuser des US-Kongresses eroberten, zog dort ein ganzer Schwarm von geschwo- Inzwischen scheint der erstaunliche Zulauf zu renen Feinden progressiver Bewegungen ein. den Kundgebungen des erklärten Sozialisten Mit dem landesweiten Aufstieg der Tea Party und rebellischen Präsidentschaftskandidaten in Kleinstädten und ländlichen Gegenden seit Bernie Sanders im Sommer 2015 zu bestäti- 2009 hatte ein antietatistischer, sozial konser- gen, dass sich eine solche Kräfteverschiebung vativer Rechtspopulismus seine Erfolgsformel anbahnt. 2
ETHAN YOUNG LINKE WAHLERFOLGE IN DEN VEREINIGTEN STAATEN Diese Hinwendung zu progressiven Wahlan- Mitte-Rechts-Kurs des vom Clinton-Lager do- geboten begann mit einer spezifischen Popu- minierten Democratic National Committee lismusversion – mit Widerstand gegen die Re- gebunden. Zwar ist der Druck in Richtung Aus- gierungsführung durch Leute, die als elitäre terität und Krieg weiterhin groß, doch links- Außenseiter galten. So gewann Bill de Blasio gerichtete Wählerinnen und Wähler beginnen die Vorwahl der Demokraten in New York City – zumindest in sozialen Brennpunkten und 2014 hauptsächlich, weil die unterlegene An- Universitätsstädten – sich zu organisieren und wärterin die Unterstützung seines mächtigen den Wahlkampfmitteln der Konzerne ihre Waf- Vorgängers Michael Bloomberg genoss. Der fen entgegenzusetzen: Straßenaktionen und scheidende Bürgermeister war der reichste die Wucht der Zahlen. Mann und seine Favoritin die zweitbekanntes- te Lokalpolitikerin New Yorks, eine energische Am deutlichsten zeigt sich diese Entwicklung in Führungsfigur im Rat der Stadt. Der weniger lokalen Wahlkämpfen auf unterer Ebene, und bekannte de Blasio kümmerte sich nicht um an ihr sind sowohl Demokraten als auch Unab- die herkömmliche politische Hackordnung: hängige beteiligt. Befördert wird sie vor allem Vielmehr trat er nicht nur ausdrücklich für von einem ökonomischen Populismus, der we- den öffentlichen Sektor ein – er riskierte es niger staatliche Eingriffe und Steuern ins Visier sogar, polizeiliches Fehlverhalten zu kritisie- nimmt als vielmehr das Unternehmerlager und ren. Sein Erfolg war für politische Beobachter Wall Street. Die heftigste Kritik richtet sich ge- wie für das Establishment gleichermaßen ein gen „social conservatism“, gegen borniertes Schock. Festhalten an überkommenen Verhältnissen, was jedoch nicht notwendigerweise zur Soli- Wesentlichen Anteil am Wahlerfolg de Blasios darisierung mit sozialen Bewegungen führt. hatte die örtliche Organisation der Beschäftig- Zunächst geht es darum, die breitestmögliche ten im Gesundheitswesen, Local 1199 SEIU der Front gegen die Konzernseite zu bilden – eine, mächtigen Healthcare Workers Union. Über- die den größten Teil der Basis, nicht aber die haupt lässt sich sagen, dass gewerkschaftliche unternehmerfreundliche Führungsriege der Schlagkraft Bewegung in das politische Leben Demokratischen Partei einschließt. gebracht hat. So hat der Widerstand gegen die Trans-Pacific Partnership (TPP) im Juni 2015 be- Auch die sozialen Bewegungen gewinnen zu- wirkt, dass die Demokraten im Kongress sich nehmend an Durchsetzungskraft – manchmal öffentlich gegen Obamas Weißes Haus stellten. im Bündnis mit Vertretern der Demokrati- Seit den Zeiten des Kalten Krieges haben die schen Partei, manchmal ganz auf sich gestellt. US-Gewerkschaften durchweg „gemäßigte“ Manchmal gelingt es ihnen, dem System ein Kandidaten der Demokraten gefördert, und Schnippchen zu schlagen, manchmal auch diese Praxis hält an. Aber dass wichtige Ge- nicht. Manche Wahlbündnisse verstehen sich, werkschaften des öffentlichen Dienstes und wie etwa die Vermont Progressive Party, Pro- der Lehrer letzthin linksgerichtete Außensei- gressive Dane in Wisconsin und die Grünen, terkandidaten unterstützt haben, markiert ei- hauptsächlich als unabhängig. Andere wie nen Wendepunkt. New Haven Rising, Eastern Washington Vo- ters, Florida New Majority, Virginia New Ma- Dass linke oder Mitte-Links-orientierte Kan- jority und viele andere arbeiten offen mit den didaten Wahlen in Arbeiterstädten und -vier- örtlichen Demokraten zusammen. Irgendwo teln gewinnen, steht in krassem Widerspruch dazwischen positioniert sich die Working Fa- zu der verbreiteten Ansicht, die Linke sei ent- milies Party, auf die ich in dieser Studie noch weder einflusslos oder unwiderruflich an den näher eingehen werde. Und schließlich gibt es 3
ETHAN YOUNG LINKE WAHLERFOLGE IN DEN VEREINIGTEN STAATEN auch Gruppen wie die Progressive Democrats All diese Projekte und Initiativen richten sich of America, die sich ganz im Rahmen der De- gegen den Sparkurs und die Politik korrupter mokratischen Partei bewegen. Parteiapparate in bestimmten Regionen. Doch wenn solche lokalen Bestrebungen um sich Viele Projekte konzentrieren sich auf politische greifen, können sie nicht dauerhaft isoliert blei- Grundsatzfragen: Bei den Minnesotans for a ben, und in dem Maße, in dem sie erstarken, Fair Economy beispielsweise handelt es sich werden sie die politische Landschaft USA-weit um ein breites Bündnis, das erfolgreich Refe- verändern, und zwar innerhalb wie außerhalb renden und Volksentscheide nutzt, um gegen der Demokratischen Partei. Die Parteiführung den Neoliberalismus sowohl in seinen wirt- der Demokraten könnte das mit einem viel grö- schaftlichen Erscheinungsformen wie in seiner ßeren Dilemma konfrontieren, als es eine kleine antidemokratischen Politikpraxis, etwa der Partei außerhalb jemals vermöchte. Das Prob- Einschränkung oder Behinderung von Wähler- lem für den demokratischen Apparat bestünde rechten, anzugehen. Selbst in scheinbar abge- weniger in möglichen Stimmenverlusten als legenen Orten wie etwa Las Cruces (New Me- darin, dass es im politischen Konsens der Be- xico) gibt es Formationen wie die Progressive völkerung zu einer Linksverschiebung kommen Voters Alliance, die kritische Stimmen in den könnte, auf deren Bewältigung die Parteifunk- Wahlprozess einbringen. tionäre in keiner Weise vorbereitet sind. Die Linke und die Wahlarena In den Vereinigten Staaten hat es niemals eine Die ersten vier Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts sozialistische oder Arbeiterpartei gegeben, die hindurch waren es die rivalisierenden Partei- die Demokraten als politische Heimat der Ge- en der Sozialisten und Kommunisten, die das werkschaftsbewegung und der Arbeitnehmer- Bild der politischen Linken im Wesentlichen wählerschaft hätte herausfordern oder gar bestimmten. Während des Zweiten Weltkriegs ersetzen können. Infolgedessen gibt es kein wurde die Kommunistische Partei zur treuen konsistentes politisches Zentrum, von dem aus Anhängerin der Koalition, auf die Franklin De- landesweit linke soziale Bewegungen angesto- lano Roosevelt sich stützte. Das Gleiche gilt für ßen und koordiniert werden könnten. Es sind einen Teil der Sozialistischen Partei. Aber auch, einige Bündnisse und Führungskreise sozialer wenn sie sich anders verhalten hätten, würden Bewegungen sowie sozialistische Sekten und es die Wahlgesetze und der Antikommunismus arbeitnehmerfreundliche oder den sozialen Be- linken Parteien schwer, wenn nicht unmöglich wegungen gewogene Strömungen in der Demo- gemacht haben, einen Platz an der Sonne zu kratischen Partei, innerhalb derer die Linke1 sich finden. Doch die Auseinandersetzung darum, ihrer selbst bewusst wird und Gestalt annimmt. ob sie sich innerhalb der Demokratischen Par- tei, an ihrer Seite oder aber gegen sie an Wahl- 1 Der hier verwendete Begriff der Linken ist offener und kämpfen beteiligen sollte, tobte in der Linken inklusiver, als viele andere im linken Spektrum es für richtig halten mögen. Andererseits betrachten die Main- das ganze letzte Jahrhundert hindurch. stream-Medien, die politische Mitte und Rechte so ziem- lich alles jenseits der Familie Bush als „die Linke“. – Für Die Hauptanziehungskraft der Demokraten eine umfassendere Analyse vgl. Ethan Young, Mapping the Left: Progressive Politics in the United States, RLS- auf die meisten links oder gemäßigt eingestell- NYC-Studie, 2012, www.rosalux-nyc.org. ten Wähler dieser Partei besteht ganz einfach 4
ETHAN YOUNG LINKE WAHLERFOLGE IN DEN VEREINIGTEN STAATEN darin, dass sie keine Republikaner sind. Von de- In den 1970er Jahren kam eine andere Sicht- nen unterscheiden sich Amtsträger der Demo- weise auf, die als „the inside/outside strategy“ kratischen Partei nämlich – je nach Blickwinkel bekannt wurde. Arthur Kinoy, ein unabhängi- – besten- oder schlimmstenfalls dadurch, dass ger linker Rechtsanwalt mit engen Beziehun- sie es meist nicht ganz so eilig haben, die Ar- gen zur Gewerkschafts-, Black-Power- und zur men und die Gewerkschaften zur Hölle zu Puertorikanischen Unabhängigkeitsbewegung schicken. Soziale Bewegungen haben in der bildete das National Committee for Indepen- Demokratischen Partei nur wenig Einfluss, wo- dent Political Action, das gleichzeitig örtliche hingegen in der Grand Old Party die extreme Dritte-Partei-Bestrebungen und bestimmte Rechte über echte Machtpositionen verfügt. Demokraten, darunter Jesse Jackson und sei- Manche meinen, das ließe sich ändern, insbe- nen Wahlkampf, unterstützte. Es handelte sich sondere dann, wenn die Linke ihre Energien um einen zweistufigen Ansatz: solange auf bei- darauf konzentriert, die Führung der Partei zu den Seiten des Zauns zu arbeiten, bis die Linke erobern. Die Aussichten darauf, dass dies wirk- stark genug ist, die alte Partei entweder zu er- lich geschehen könnte, sind allerdings ziemlich setzen oder zu übernehmen. Heute verfolgen düster. Die eigentliche Frage besteht darin, ob einige sozialistische Gruppen und – mutmaß- eine verstärkte Mitarbeit bei den Demokraten, lich – die meisten unabhängigen Linken in den um den linken Einfluss in der Partei zu steigern, sozialen Bewegungen wie auch ein Teil der aka- den Bemühungen um eine Stärkung der Ge- demischen Welt diese Strategie. werkschaften wie auch um Wiederherstellung und Ermächtigung der Öffentlichkeit eher nüt- Eine Abteilung der Linken zehrt von den Über- zen oder eher schaden würde. resten der Avantgarde-Idee: Sie versucht eine unabhängige, grundsätzlich antikapitalisti- Es war einmal eine Dritte Partei, gegründet von sche Partei zu bilden. An progressive Wähler der aufsteigenden Bourgeoisie des Nordens ergeht der Appell, die Demokratische Partei und von Sklavereigegnern, die sich dann – als umstandslos aufzugeben. Das soll durch be- Republikanische Partei – zum Kraftzentrum ei- harrliche Propagandaarbeit zu erreichen sein. ner neuen herrschenden Klasse entwickelte. Drei fundamentale Probleme dieser Position Diese Partei erlitt in der ersten Hälfte des 20. verweisen zugleich auf Grundprobleme der Jahrhunderts ihre schwerste Niederlage, als die US-Linken mit Avantgarde-Vorstellungen. Dominanz freier Märkte durch den New Deal gebrochen wurde. Dessen semi-staatssozialisti- 1. Doktrinäres Denken: Die Parteikonzeption des sche Maßnahmen zielten darauf, die kapitalisti- Dritte-Partei-jetzt-Lagers bedeutet einen Rück- sche Wirtschaft mit Hilfe einer wiederbelebten fall in Vorstellungen der sozialistischen Bewe- Gewerkschaftsbewegung zu stabilisieren. gungen des 20. Jahrhunderts und noch früherer Zeiten. Sie ignoriert die inzwischen eingetretene Von Upton Sinclair über Earl Browder bis hin Spektakularisierung der Politik. Sie kategorisiert zu Michael Harrington haben sich sozialisti- alle Parteien nach Klassen. Da es keine Arbeiter- sche Führer dafür eingesetzt, statt ein Gebilde partei gibt – so diese Theorie, ist die wichtigste außerhalb des Zweiparteiensystems zu kons- Aufgabe zuallererst, eine zu schaffen und dabei truieren, besser in Wahlkämpfen auf Seiten notfalls ganz von vorne anzufangen. Dabei wer- der Demokratischen Partei und in deren inne- den die Millionen von (meist weißen und frem- ren Auseinandersetzungen Einfluss zu gewin- denfeindlichen) Fach- und Landarbeitern außer nen. Doch auch die Gegenposition wurde über Acht gelassen, die sich mit den Republikanern siebzig Jahre hindurch nicht minder beharrlich identifizieren, desgleichen die Millionen von und konsequent vertreten. Gewerkschaftsmitgliedern, Freiberuflern, an- 5
ETHAN YOUNG LINKE WAHLERFOLGE IN DEN VEREINIGTEN STAATEN oder ungelernten Arbeitern und Arbeitslosen sich in Bündnissen halbwegs erwachsen auf- unter den Wählern der Demokratischen Partei. zuführen. Die Theorie fragt nicht, warum diese Millionen das tun. Allenfalls erklärt sie es als Folge „fal- Solches Sektierertum spiegelt ein tiefer lie- schen Bewusstseins“. Stattdessen behaupten gendes Problem wider: ein grundsätzliches die Doktrinären, bei der nichtwählenden Mehr- Missverständnis der Art und Weise, in der po- heit handele es sich in Wahrheit um aufgeklärte litische Strukturen, die Massen zu mobilisieren Massen, die bereit sind, aus dem Zweiparteien- vermögen, in Wirklichkeit entstehen und sich system auszubrechen. entwickeln. In diesem Prozess sind die Selbst- organisation und die politischen Programme 2. Verschwörungsdenken: Auch ein anderer Flü- linker Gruppen oder ihre Einstellung zum Zwei- gel der politischen Linken, der weniger unter parteiensystem nämlich alles andere als prio- dem Einfluss traditioneller Sozialismusströ- ritär. mungen steht, denkt ähnlich wie das Drit- te-Partei-jetzt-Lager. Hier herrscht die Neigung Worauf es in diesem Prozess hingegen tatsäch- vor, alle politischen Entwicklungen als Machen- lich ankommt, das ist die Beteiligung von Mas- schaften mächtiger Drahtzieher zu betrachten, sen an der Druckausübung auf ganz bestimm- die einer ahnungslosen Öffentlichkeit, von lan- te Hebelpunkte, an denen die Widersprüche ger Hand sorgfältig vorbereitet, aufgezwungen des Systems öffentliche Krisen auslösen. Die- werden. Zu Massenaktionen kann es in diesem ser Faktor ist Kernstück eines jeden demokra- Szenario nur kommen, wenn Wachhunde und tischen Projekts, ob es nun darum geht, die Wahrheitssucher die Öffentlichkeit aufklären Demokratie zu verteidigen und ihr eine klas- und enthüllen, wie die Puppenspieler ihre Fä- senbewusste Richtung zu geben, oder darum, den ziehen. Die Parallelen zum Verfahren der einer Initiative für Minderheiteninteressen mit Doktrinären, die anachronistische Lehren zum demokratischen Mitteln zum Erfolg zu ver- Reinheitsmaß machen, liegen auf der Hand – helfen. und beide Flügel kommen auch gut miteinan- Eine Alternative in selbstzufriedener Isolation der zurecht. Aus einer solchen Perspektive ent- entwickeln zu wollen – oder die Einstellungen larvt Bernie Sanders sich mit der Ankündigung, von Millionen Menschen, die den bestehen- er werde den Sieger der Demokraten-Vorwah- den politischen Verhältnissen verhaftet sind, len unterstützen, als „Schäferhund“, der arglo- zu ignorieren –, entfremdet die Linke von so- se Wähler ins Lager Hillary Clintons treibt. Po- zialen Bewegungen, die erst dabei sind, ihre litik wird so auf ein Match zwischen Guten und politische Richtung zu finden. Wer so verfährt Bösen reduziert. und vorgegebene, auf sich selbst fixierte Füh- rungsgruppen (Sekten) in den Mittelpunkt 3. Sektierertum: Dieser Teil der politischen rückt, kann der Herausbildung demokratischer Linken besteht aus heillos zerstrittenen Split- Strukturen aus den sozialen Bewegungen her- tergruppen. Deren Hauptsorge besteht, grob aus nur schaden. gesagt, darin, ihrer jeweiligen Partei oder Parteigründungsinitiative Mitglieder zuzu- Mike Parker von der Richmond Progressive Al- führen und den eigenen Einfluss in sozialen liance (der kein Befürworter einer Zusammen- Bewegungen auszubauen, üblicherweise auf arbeit mit den Demokraten ist) hat die wahl- Kosten der konkurrierenden Sekten. Wenn es politische Rolle der Linken treffend resümiert: nach dem jeweiligen Selbstverständnis geht, arbeiten diese Gruppen auf eigene Faust oder Diejenigen unter uns, die in Amerika progressi- gegeneinander – auch wenn sie es schaffen, ven Wandel sehen möchten, betrachten Wahl- 6
ETHAN YOUNG LINKE WAHLERFOLGE IN DEN VEREINIGTEN STAATEN kampfaktivitäten nicht als Selbstzweck, sondern […]; (2) Wahlkämpfe für Bildungsarbeit, die Ide- als wichtiges Mittel zum Zweck. Diese Aktivitäten en in die Öffentlichkeit trägt, nutzen; (3) durch sollen dreierlei erreichen: (1) politischen Wandel kämpferische Aktivität zur Bewusstseinsbildung auf Bundes- oder Bundesstaatsebene bewirken. beitragen.2 Die Demokratische Partei und die sozialen Bewegungen: Für sie und gegen sie Das Sündenregister der Scheußlichkeiten und gen, von denen einige in der Tradition des New Vertrauensbrüche, die der Demokratischen Deal stehen, während andere im Neoliberalis- Partei anzulasten sind, ist lang. Doch es steht mus wurzeln. Gewiss, die Partei überlässt dem bei den meisten Befürwortern einer linken Großkapital das Ruder, aber zu ihren wichtigs- Dritten Partei gar nicht im Zentrum ihres Plä- ten Sponsoren und Stimmenbeschaffern ge- doyers. Folgt man ihrer Beschreibung, so han- hört ein Großteil der Gewerkschaften.2 delt es sich bei der Demokratischen Partei um einen Monolithen, der die Massen und anfällige Ein alter trotzkistischer Slogan reimt sich (so soziale Bewegungen durch raffinierte Propa- nicht übersetzbar): „break with the ass, build a ganda und Kooptationsmacht umgarnt. Struk- party of the working class“. Das Problem damit tur und Zweckbestimmung der Partei sind in ist unter anderem, dass eine „Partei der Arbei- dieser Sicht einheitlich und straff koordiniert. terklasse“ nicht dadurch entstehen kann, dass Für Arbeitnehmer ist die Demokratische Partei man die Kämpfe für Arbeiterinteressen, die im eine Falle, und wer ihr beitritt oder auch nur Rahmen der Wahlkampagnen für Kandidaten mit ihr zusammenarbeitet, akzeptiert ein fest- der Demokratischen Partei stattfinden, igno- stehendes Programm und bindet sich mehr riert oder sich gar gegen sie stellt. Im Übrigen oder weniger an die Parteidisziplin – wenn er sind die Massenbasis und die finanziellen Mit- nicht gar einen Teufelspakt schließt und seine tel, die für den Start einer linken Gegenpartei Prinzipien einer komfortablen Karriere opfert. gegen die Demokraten erforderlich wären, nirgends in Sicht. Das Wahlsystem ist massiv Deshalb, so heißt es dann, besteht der erste darauf zugeschnitten, ernsthafte Außenseiter Schritt jedes fortschrittlichen Engagements nicht hochkommen zu lassen. Die politische bei Wahlen darin, ein Demokraten-freies Poli- Linke ist gespalten, isoliert und zutiefst ver- tikvehikel zu konstruieren, sei es auch noch so wirrt. Diesen Zustand gilt es zur Kenntnis zu kümmerlich und marginal. Einige linke Sekten nehmen, bevor wir eine konsistente Alterna- verfolgen anscheinend die Strategie, still und tive propagieren können, sei sie nun als blo- leise die Kontrolle über diese künftige Wahl- ßes „Durchgangsstadium“ gedacht oder ambi- partei zu übernehmen oder sogar sich selbst tionierter. mit ihren winzigen Kadern als deren Keimzelle zu etablieren. Ein anderes Missverständnis bei der Suche nach einer unabhängigen Alternative besteht Falls diese Vorstellungen je einen Realitäts- in der fixen Idee, dass alle Demokraten sich als gehalt gehabt haben sollten – heute stimmen 2 „Building Power through Electoral Efforts: Approa- sie ganz gewiss nicht mehr. In der Demokra- ches to Independent Political Action“, solidarity-us.org, tischen Partei gibt es divergierende Strömun- 21.5.2015. 7
ETHAN YOUNG LINKE WAHLERFOLGE IN DEN VEREINIGTEN STAATEN Feinde sozialer Bewegungen verstehen und widerstehen. Im Verhältnis der von Milliardä- betätigen. Auf manchen mag diese Beschrei- ren unterstützten, aber von kleinunternehme- bung tatsächlich passen, aber die meisten De- rischen und mittelständischen Kreisen getra- mokraten denken anders. Manche schätzen genen Tea Party zur Republikanischen Partei soziale Bewegungen, so lange sie der Einwer- hat das funktioniert. Aber bei den Demokraten bung von Wahlkampfgeldern nicht in die Quere wird die Stellung finanziell schlecht gestellter kommen; andere sind direkt aus Bewegungen Abweichler durch Widerspruch noch prekärer, hervorgegangen und von deren Unterstützung es sei denn, Massenbewegungen bieten ihnen weiterhin abhängig, wenn sie im Amt bleiben Rückhalt. wollen; wieder andere neigen Bewegungen außerhalb der Partei stärker zu als irgendwel- Was wiederum den Rückhalt verewigt, den die chen innerparteilichen Strömungen. Nur ganz Demokratischen Partei in den sozialen Bewe- wenige sehen ihre Aufgabe darin, soziale Be- gungen – in den Gewerkschaften, in sozialen wegungen zu unterdrücken, zu kaufen oder Brennpunkten, bei Frauen, LGBTQs oder der zu schlucken, wenn man von Fällen absieht, in Umweltbewegung – genießt, das ist in erster Li- denen jemand glaubt, sie gefährdeten ganz un- nie Angst vor den Republikanern. Die Prediger mittelbar seine Karriere. des Gebots „Du sollst nicht ...“ (mit Demokraten oder für sie arbeiten) behaupten beharrlich, die Das soll nicht heißen, dass es keine Demokra- Demokraten hätten so wenig von einem „klei- ten gibt, die in oder für Wall Street arbeiten. neren Übel“ an sich, dass dies Argument nicht Doch die Erkenntnis, welche anderen Funk- ziehe. Schließlich stärke jeder Kompromiss tionen Wahlkampagnen der (oder für die) mit der Demokratischen Partei nur deren Zu- Demokratische(n) Partei haben, ist von ent- griff auf die sozialen Bewegungen. Die meisten scheidender Bedeutung dafür, dass die Linke Wählerinnen und Wähler kümmern sich nicht Widersprüche zwischen den großen Parteien um solche Ratschläge, aber nicht deshalb, weil und zwischen politischen Tendenzen in deren die Basis der Demokraten aus Dummköpfen Führung erkennen und nutzen kann. besteht, sondern weil die Republikaner sich ein ums andere Mal als der tödlichere Feind erwei- Die sozialen Bewegungen sind nicht gleichzu- sen. Kleinunternehmer und Sozialkonservative setzen mit der politischen Linken. Selbst wo aller Klassen haben die GOP ganz real zu ihrer es Überschneidungen gibt, haben die ersteren Heimat gemacht, in der sie reale Macht gewin- ganz andere Ansichten zur Rolle der Demo- nen, weil sie die republikanischen Ziele teilen: kratischen Partei. Manche soziale Aktivisten die Gewerkschaften zu zerstören und die sozi- halten diese Partei sogar für ihre politische alen Errungenschaften der 1960er und 1970er Heimat, was sie in Wirklichkeit ganz sicher Jahre zurückzurollen. Ebendies besorgen die nicht ist. Einfluss auf die Parteipolitik haben sie Republikaner in jedem Bundesstaat und jeder nur, wenn irgendeine Form von organisiertem Region, wo sie die Gesetzgebung dominieren, Druck dahinter steht. während die Demokraten, wie schwach auch immer, alles sind, was dem auf nationaler Ebe- Ganz allgemein gesprochen hängt die Fähig- ne im Wege steht. keit sozialer Bewegungen, politische Wirkung zu erzielen, von ihrer Bereitschaft ab, im ent- Die Offensive der extremen Rechten geht nicht scheidenden Augenblick, nämlich dann, wenn in erster Linie von oben (von big business) aus, Partei- und Bewegungsinteressen scharf von- aber wenn ihr kein Widerstand entgegenge- einander abweichen, der Parteiführung und setzt wird, verschiebt sie die politische Mitte gewählten Amtsträgern der Demokraten zu gefährlich weit(er) nach rechts. (Gefährdet 8
ETHAN YOUNG LINKE WAHLERFOLGE IN DEN VEREINIGTEN STAATEN sind in diesem Fall sowohl die Rechte und Le- kontrolliert wird, kein Instrument für radikalen bensbedingungen der Arbeitnehmer als auch Wandel sein. Die Partei kann die Präsenz linker der Zugang des Kapitals zu Arbeits- und Kon- Stimmen tolerieren, aber man geriete in eine sumentenmärkten.) Unter diesen Umständen Sackgasse, wollte man ganz auf ihre Zukunft wäre es selbstmörderisch, die Demokraten setzen. Die Arbeitnehmerbasis der Partei lei- rundum zurückzuweisen. Manch unabhängige det unter der zunehmenden Austerität und Mi- Kampagne bereitet de facto den Republikanern litarisierung der Gesellschaft (politischen Ent- den Boden, auch wenn manche Linke das nicht wicklungen, die von den Demokraten entwe- wahrhaben wollen und als Gruselstory abtun, der mit betrieben oder nur zaghaft bekämpft mit der Wählerinnen und Wähler ins Lager der werden). Das wird sich so schnell nicht ändern. Demokraten zurückgescheucht werden sollen. Die Linke muss ihre Autonomie gegenüber der Demokratischen Partei wahren, oder jeder Gleichwohl wird die Demokratische Partei, so Versuch, mit dem Neoliberalismus Schluss zu lange sie Konzernen gehört und von diesen machen, wird scheitern. Linker und rechter Populismus Antistaatlicher Populismus mobilisiert die Ba- außerhalb der Partei an, die erkennen, dass sis der Republikaner. Der ökonomische Popu- der Neoliberalismus ihnen schadet. lismus hingegen beginnt gerade erst, bei Wäh- lern der Demokratischen Partei Fuß zu fas- Sowohl beim Links- wie beim Rechtspopulis- sen. Bis vor kurzem war Elizabeth Warren die mus handelt es sich um Reaktionen auf die Ver- bekannteste Vertreterin dieser Richtung, die schlechterung der Lebensverhältnisse, die der jetzt Bernie Sanders für seine Kampagne, als Generalangriff der neoliberalen Austeritätspo- Präsidentschaftskandidat der Demokraten no- litik bewirkt. Der Rechtspopulismus stellt den miniert zu werden, nutzt. Wirtschaftspopulis- Staat als Fremdkörper dar, als elitäres Gebilde mus ist sicher noch kein Sozialismus, aber sein mit dem Ziel, die Mittelschicht zu zerstören. Er Vordringen auf die nationale politische Ebene appelliert an uralte Mythen, die im Alltag der kommt sozialistischen Vorstellungen näher als middle class tief verwurzelt sind: Patriarchat irgendetwas sonst seit Menschengedenken. und Hierarchie der „Rassen“ als schicksalhafte Dieser Populismus fordert die neuerliche Regu- Gegebenheiten der Biologie; harte Arbeit und lierung der Großwirtschaft, insbesondere der playing by the rules als Wohlstandsgarantie; Banken, durch den Staat ebenso wie progres- Vorrang der Religion vor säkularer Bildung und sive Besteuerung und massive Investitionen in Wissenschaft; und schließlich Angst vor und den öffentlichen Sektor, etwa ins Bildungswe- Wut auf jene, deren bloße Existenz die Lügen, sen und in eine einheitliche Krankenversiche- auf denen solche Vorstellungen basieren, zu rung. Zugleich bildet er für linke Aktivisten in bestätigen scheint. der Demokratischen Partei eine Brücke zu den eher links-liberalen, freihandelskritischen und Dass der Linkspopulismus erstarkt, liegt gewerkschaftsfreundlichen „Old New Dealers“ zum Teil daran, dass die wichtigsten Model- gleich nebenan. Obendrein spricht der Wirt- le der traditionellen Linken – Sozialismus und schaftspopulismus unentschlossene Wähler New-Deal-Wohlfahrtsstaat – als Alternativen 9
ETHAN YOUNG LINKE WAHLERFOLGE IN DEN VEREINIGTEN STAATEN zur ungezügelten Marktwirtschaft diskredi- te und wütende Masse. In dem Maße, in dem tiert wurden, besonders infolge des Aufstiegs diese Basis gewahr wird, wie viel politischen des Neoliberalismus und des Zusammen- Druck sie tatsächlich ausüben kann, wird bruchs des Sowjetlagers. Allerdings handelt es der Populismus zum gemeinsamen Nenner sich beim Linkspopulismus immer noch eher unterschiedlicher Parteiströmungen und um ein unbeschriebenes Blatt als um ausge- Wählergruppen (wie dies bei der Rechten arbeitete politische Theorie oder Strategie. Ob bereits geschehen ist). Das erfolgt, wie die links oder rechts – Populismus erwächst aus Sanders-Kampagne beweist, sowohl in lan- einem (meist kollektiven) Gefühl, (meist ganz desweiten als auch in regionalen und lokalen persönlich) Opfer zu sein. Dieses wiederum ist Wahlkämpfen. oft die erste Reaktion der Betroffenen auf so- ziale Fragmentierung und Austerität. Der Wirtschaftspopulismus ermöglicht es zu- dem der Öffentlichkeit, sich über das Wesen Diese Form des Populismus ist eben erst da- des Neoliberalismus und die Zerstörung des bei, ihre Sprache und ihren Standort zu fin- Sozialstaats, für die er steht, illusionslos klar den. Sie lässt viele Fragen offen, schließt aber zu werden. In der Clinton-Ära haben (links)libe- keine progressive Alternative – nicht einmal rale Demokraten entweder eine Rückkehr zu Sozialismus – aus. Das S-Wort mag immer den Vor-Reagan-Zeiten oder Verständnis dafür noch befremdlich auf viele Amerikaner wirken verlangt, dass es eben der Markt sei, der die und selbst für Linke etwas mysteriös klingen. Gesellschaft regiert. Mittlerweile aber wendet Aber diejenigen, die dem Sog nach rechts und sich die Diskussion der Notwendigkeit koope- rechtsaußen nicht verfallen, sind in der Mehr- rativer Produktionsformen, grüner Jobs und heit, und das dem Sozialismus anhaftende einer Wiederbelebung der Gewerkschaftsbe- Stigma wirkt heute weit weniger bedrohlich wegung zu. Die Diskutanten kommen aus un- als während des Kalten Krieges. Aus diesem terschiedlichen Richtungen, aber alle befassen Grunde kann der sozialistische Senator Bernie sich mit folgender Frage: Brauchen wir einen Sanders als Bannerträger des Wirtschaftspo- neuen New Deal oder würden wir auf diesem pulismus Zustimmung finden. Wege lediglich staatliche Top-Down-Dienstleis- tungen restaurieren, und das zudem unter den Der Linkspopulismus weist, anders als der Bedingungen einer niedergehenden und völlig Wohlfahrtsstaat, auf mancherlei Art in Richtung korrupten Marktwirtschaft? Sozialismus, geht aber dabei (noch) nicht so weit, das Ende des Kapitalismus zu fordern. Was Es handelt sich um einen Durchbruch im Dis- Libertäre oder Neofaschisten ganz besonders kurs der politischen Linken, inspiriert durch in Rage bringt, ist der Gedanke der Umvertei- Verfechter des Kooperativengedankens wie lung von oben nach unten. Bei den Demokraten Gar Alperovitz und Bewegungen, die sich vor befürchten das „gemäßigte“ Democratic Natio- allem mit Umverteilungsfragen befassen. Aus- nal Committee und erst recht die konservati- gelöst wurde er durch die Umweltkrise und die vere Blue Dog Coalition, Populismus könne das Misere, in die der Neoliberalismus das Leben Verhältnis der Partei zu diversen Kapital- und arbeitender Menschen verwandelt. Die Grund- Finanzkreisen und deren Spendenbereitschaft annahme linker Populisten besagt, dass der schädigen – Kreisen, gegen die sich der Zorn der Staat von großunternehmerischen und finan- Populisten ganz besonders richtet. zindustriellen Einflüssen gereinigt werden muss. Seit Occupy Wall Street wissen wir aller- Die Parteibasis verwandelt sich gerade aus dings besser, wie schwer und langwierig dieses einer zutraulichen Herde in eine beunruhig- Vorhaben sein wird. 10
ETHAN YOUNG LINKE WAHLERFOLGE IN DEN VEREINIGTEN STAATEN Linke Siege und Zukunftsaussichten Die Bürgermeisterwahl in New York City mar- menge um jede Stimme. Initiatoren dieser Her- kiert – unabhängig davon, ob Bürgermeister ausforderung des Amtsinhabers waren nicht de Blasio seine Versprechen hält oder nicht – etwa parteiinterne Rivalen, die Initiative ging einen Pendelschlag, einen Umschwung von vielmehr von der rebellischen Lehrergewerk- landesweiter Bedeutung. De Blasio wurde auf- schaft Chicagos aus – Local 1 der American Fe- grund eines progressiven Programms gewählt, deration of Teachers. García verlor das Rennen und zwar von einer ungeachtet der Hautfarbe zwar, aber die Umstände waren ungewöhnlich vor allem aus Werktätigen bestehenden Wäh- genug, und einige Beobachter resümierten, lerschaft. Das markiert einen bedeutsamen dieses Ergebnis zeige, dass die Linke durchaus Umbruch im Wahlverhalten, der allerdings noch Wahlen gewinnen und wichtige Lehren nicht isoliert dasteht. aus ihnen ziehen könne. Dieser und andere in der vorliegenden Studie In zwei Städten mit einem hohen Bevölke- untersuchte Fälle zeigen, dass die Linke dabei rungsanteil von Afroamerikanern und Ar- ist, in Schlüssellokalitäten Durchbrüche zu beitern – Newark (New Jersey) und Jackson erzielen. Dabei sind die Umstände jedes Mal (Mississippi) – konnten Kandidaten, die offen andere. Einige Kandidaten haben in nonparti- als radikale Linke auftraten, die Bürgermeis- san elections gewonnen (also in Wahlen ohne terwahlen gewinnen: Ras Baraka (Sohn des Parteizugehörigkeitsangaben auf den Stimm- Schriftstellers und führenden Aktivisten Ami- zetteln). Einige haben sich auf den Widerstand ri Baraka) und Chokwe Lumumba (ein Führer gegen Unternehmermacht konzentriert. Man- der linken schwarznationalistischen New-Afri- che nahmen Polizeigewalt ins Visier, andere kan-Independence-Bewegung). Die etablier- Netzwerke der Korruption. Einige machten ten Kräfte der Rechten und der Mitte konnten die Verteidigung des öffentlichen Bildungswe- nur verblüfft registrieren, wie diese beiden an sens zu ihrem Thema. Alle aber haben sie an ihnen vorbei- und ins Rathaus einzogen. populistische Stimmungen unter Arbeitneh- mergruppen angeknüpft und dazu aufgerufen, Die Wahlen in Newark und Jackson verdienen sich gemeinsam gegen die Austeritätspolitik aus einer Reihe von Gründen Beachtung. In zu wehren. Genau deshalb konnten sie be- beiden Fällen führte jahrelange Organizing- achtliche Wahl- oder Abstimmungsergebnisse Erfahrung dazu, dass die Kandidaten allgemein erzielen. bekannt waren und so die Parteihengste, de- nen die Status-quo-Politik, Korruption, Auste- Bei den Chicagoer Bürgermeisterwahlen 2015 ritätsmaßnahmen und Wahlrechtseinschrän- traten Jesús „Chuy“ García, ein reformorien- kungen angelastet wurden, überflügeln konn- tierter Landrat von Cook County (Illinois) mit ten. Beide Wahlsieger verkörperten darüber engem Verhältnis zur lokalen Basis, und Rahm hinaus einen Bruch mit der Entwicklung, die Emanuel als Kandidaten gegeneinander an, die Schwarzen-Wahlbewegung seit den 60er letzterer ein technokratischer Strippenzieher, Jahren genommen hatte. Aus dieser hervorge- den der lokale Parteiapparat der Demokraten gangene und mittlerweile etablierte Amtsträ- im Bunde mit Obamas Weißem Haus instal- ger hatten den Schwerpunkt der Communi- liert hatte. Die Garcia-Wahlkampagne, die zu- ty-Politik von links in die Mitte verschoben, nächst als Donquijoterie galt, verwandelte die während die Basis sich als unfähig – oder nicht Bürgermeisterwahl in ein erbittertes Handge- gewillt – erwies, dem entgegenzuwirken. Jetzt 11
ETHAN YOUNG LINKE WAHLERFOLGE IN DEN VEREINIGTEN STAATEN aber beginnen die Wählerinnen und Wähler oder den Herrschenden in die Falle zu gehen. aus der arbeitenden Bevölkerung, im Zuge ih- In derart maximalistischen Positionen kommt rer Repolitisierung die Gewichte nach links zu die mangelnde Kohärenz unserer Politik zum verschieben. Ausdruck. Sie bieten keine Lösungen und hel- fen auch nicht bei der Lösungssuche. Zwei andere Fälle, in denen die Kandidaten lin- ker Dritte-Partei-Initiativen etablierte Demo- kraten und Republikaner besiegen konnten, New York, New York lassen vermuten, dass das Zweiparteiensys- tem unter bestimmten örtlichen Umständen Bedenkt man seine Vorgeschichte als linker Ak- sogar als solches verwundbar sein kann. In tivist – bevor er in die „seriöse“ Politik ging –, so Seattle eroberte Kshama Sawant mit einem ist Bill de Blasios Aufstieg schon bemerkens- nicht parteigebundenen Wahlkampf einen wert. In Hillary Clintons Wahlkampf um den Stadtratssitz. Sawant, Mitglied der trotzkis- Senatorenposten 2000 spielte de Blasio eine tischen Gruppe Socialist Alternative trat als wichtige Rolle; damals als Stadtratsmitglied, parteilose Sozialistin an. Ein konträres Szena- das Park Slope – ein linksliberales, von Gentri- rio bot die den Gewerkschaften verbundene fizierung bedrohtes Viertel – vertrat. Während Working Families Party (WFP): In Hartford und der dritten Amtsperiode des Bürgermeisters New York City brachten sie ohne Wahlabspra- Bloomberg übte de Blasio von 2010 bis 2013 chen mit den Demokraten zwei Kandidaten in das Wahlamt des Public Advocate (einer Art Staatsämter, während in Philadelphia ein von Ombudsmann) aus. der WFP unterstützter Kandidat bei den Demo- kraten die Primary zu den Bürgermeisterwah- Früher aber, in den 1980er Jahren, hatte de Bla- len gewann. sio sich in der Mittelamerika-Solidaritätsbewe- gung engagiert, die zu Zeiten Ronald Reagans Aus Richmond (Kalifornien), einem Indus- und George H. W. Bushs durch die Radikalität triezentrum nordöstlich von Oakland, ist ein ihrer politische Aktivitäten auffiel. 1989 betei- weiterer, wiederum anders gearteter Fall ligte er sich an der Wahlkampagne, die David zu berichten: Hier schlug eine konzernkriti- Dinkins, New Yorks ersten (und immer noch sche Koalition eine der mächtigsten Ölgesell- einzigen) schwarzen Bürgermeister ins Amt schaften auf deren – vermeintlich – eigenem brachte. Damals wurde er zum Aufsteiger in Terrain. der Demokratischen Partei, Mitarbeiter des Harlemer Kongressabgeordneten Charles Ran- Diese Handvoll Beispiele möge genügen, um gel und der Bill-Clinton-Administration. einen deutlichen und vielversprechenden Wandel des politischen Klimas zu illustrieren, Er ist mit einer Schwarzen verheiratet, und der im nationalen Diskurs erst ganz allmählich seine Kinder traten im Wahlkampf offen als Beachtung findet. Besorgniserregend ist aller- Schwarze auf. Was ihn vor nicht allzu langer dings die Gleichgültigkeit, mit der große Teile Zeit noch zur politischen Unperson gemacht der Linken dieser bedeutsamen Verschiebung hätte, scheint jetzt ganz im Gegenteil seine im politischen Koordinatensystem begegnen. Popularität gesteigert zu haben, und zwar so- Manche glauben, Wahlpolitik lenke von Stra- wohl unter Schwarzen als auch unter Weißen. ßenaktionen oder Graswurzel-Organisierungs- Bedenkt man die historische Rolle von „Ras- arbeit ab. In einem Teil der Linken dominiert sen“- und Gender-Stereotypen, so erstaunt traditionell die Vorstellung, Wahlkampfarbeit wohl am meisten, dass es ihm politisch nicht bedeute, entweder sich selbst aufzugeben geschadet hat, mit Chirlane McCray verheiratet 12
ETHAN YOUNG LINKE WAHLERFOLGE IN DEN VEREINIGTEN STAATEN zu sein. Immerhin hatte diese einmal – Mitte Die Unzufriedenheit über Bloombergs Politik der 1970er Jahre – einer der ersten schwarzen war allgemein spürbar. Bevor Bloomberg Oc- Lesbengruppen, dem Combahee River Collec- cupy Wall Street auseinandertrieb, hatte die- tive, angehört. se Bewegung den New Yorkern Möglichkeiten geboten, ihre Ängste und ihren Zorn zu arti- Die (Vor-)Geschichte de Blasios lässt noch kulieren. Die Ungleichheit in der Stadt war in deutlicher werden, welche Bedeutung seiner dem Maße gewachsen, in dem Manhattan sich Wahl zukommt. Er ist (Links-)Liberaler und er in eine Art Laufstall der Reichen verwandelte. ist ein Insider, durchaus aber keine Parteikrea- Gleichzeitig wurden die öffentlichen Schulen tur. Als er beschloss, für die Nominierung zum der Stadt durch Spar- und Privatisierungsmaß- Bürgermeisterkandidaten der Demokraten zu nahmen kaputtgemacht. Bezahlbarer Wohn- kämpfen, fand er ein dicht gedrängtes Kandi- raum verschwand. Bloomberg hasste Gewerk- datenfeld vor, darunter mit Bill Thompson ei- schaften und ließ die städtischen Beschäftig- nen Afroamerikaner, der Bloomberg in der letz- ten in Sachen Arbeitsverträge wiederholt im ten Runde fast geschlagen hätte; ferner einen Regen stehen. Noch dringlicher war das The- populären Finanzchef der Stadt, John Liu, der ma Polizei: Bloomberg hatte, als er Rudi Giu- New Yorks schnell wachsende asiatischstäm- liani im Amt nachfolgte, an dessen Polizeichef mige Wählerschaft beeindruckte, und noch Ray Kelly festgehalten, und Kellys mittlerweile einige mehr. Angeführt wurde dieses Feld zu berüchtigte Strategie des „stop and frisk“ („An- diesem Zeitpunkt von Christine Quinn, damals halten und Durchsuchen“) wuchs sich allmäh- Stadtratsvorsitzende, die sich von einer Refor- lich zu einem Riesenskandal aus. merin aus dem vormaligen Bohème-Stadtteil Greenwich Village zur strikten Bloombergia- Diese – durch Occupy Wall Street aufgebrach- nerin gewandelt hatte. Quinn, eine Weiße und ten – Themen führten in eine Konfrontation erklärte Lesbierin, schadete sich selbst, indem mit den wichtigsten Machtfaktoren New Yorks sie bezahlten Krankheitsurlaub für städtische – dem FIRE-Establishment (F wie Finanzwelt, I Angestellte ablehnte und den Stadtrat (erfolg- wie Insurance/Versicherungen und RE wie Real reich) nötigte, die Amtszeitbegrenzung des Estate, also dem Immobiliengeschäft) und der Bürgermeisters aufzuheben, weil Bloomberg städtischen Polizei. Welche Absichten de Bla- weitermachen wollte. Nachdem sie in den Um- sio vor der Wahl auch immer verfolgt haben fragen lange vorn gelegen hatte, fiel sie zur oder was er im Amt tatsächlich leisten mag: Verwunderung vieler Beobachter in den Wo- Seine Popularität beruht großenteils darauf, chen vor der Primary weit zurück. dass er die Mächtigen mit gerade diesen Wahl- kampfthemen herausforderte. New Yorks Elektorat besteht aus eine Reihe mehr oder weniger fest umrissener Stimmblö- Die Vielfältigkeit seiner Wählerbasis wirft cke, die tendenziell miteinander rivalisieren Licht auf neue Entwicklungen, die sich in der und soziale, ethnische und Gender-Zugehörig- elektoralen Landschaft abzeichnen. Nach der keiten widerspiegeln. Es verwunderte deshalb, Vorwahl lag de Blasio in allen Bereichen vorn dass de Blasio, ein waschechter weißer Mann, – außer in dreien: Die wohlhabendsten Wähler in allen Teilen der Stadt dem Feld davonziehen stimmten für Quinn, Afroamerikaner und Asi- konnte, auch in Arbeitervierteln, in denen wei- aten entschieden sich in den entsprechenden ße Wähler die Minderheit bilden. Doch er un- Vierteln jeweils in großer Zahl für Thompson terschied sich auch auf andere Weise: Zu einer respektive Liu. Gewerkschaftlich organisier- Reihe von Schlüsselfragen vertrat de Blasio be- te Arbeitnehmer wiederum verteilten ihre wusst linke Positionen. Zustimmung – sei es aus Zufall oder ganz be- 13
ETHAN YOUNG LINKE WAHLERFOLGE IN DEN VEREINIGTEN STAATEN wusst – auf alle vier Kandidaten. Unter den re- Community-Gruppen aus der Arbeiterschaft levanten Gewerkschaften fand de Blasio in der die Gelegenheit, ein wenig die Muskeln spielen Vorwahl nur bei SEIU 1199 Rückhalt, wobei es zu lassen. sich allerdings um den wichtigsten lokalen Ver- band mit der besten „Get-out-the-vote“-Bilanz Veränderungen gab es bei dieser Wahl auch handelt (der Mitglieder und Anhänger beson- im Hinblick auf die in den Stadtrat entsandten ders erfolgreich zum Urnengang motivieren Bezirksvertreter. 2013 zählte der Progressive konnte – D. Übs.) Caucus dort elf Mitglieder. Durch neu in den Rat gewählte Mitglieder wuchs diese Zahl 2014 Nach seinem Primary-Sieg fand de Blasio die auf 19 an, und die Co-Vorsitzende des Caucus, massive, wahlentscheidende Unterstützung Melissa Mark-Viverito, wurde sogar zur Rats- des jetzt vereint votierenden Gewerkschafts- vorsitzenden gewählt. blocks. Der Politikwissenschaftler J. Philip Thompson (vom Massachusetts Institute of Einige der ersten Schritte de Blasios nach der Technology/MIT) konstatiert: Wahl begeisterten seine Anhänger, andere erbosten sie. Die Berufung der angesehenen De Blasio gewann 73 Prozent der Stimmen, der Pädagogin Carmen Fariña zur Schuldezernen- Republikaner Joe Lhota 24 Prozent – eine Diffe- renz von fast fünfzig Punkten. So etwas kommt tin ermutigte Eltern, deren Kinder öffentliche bei Bürgermeisterwahlen eigentlich gar nicht vor. Schulen besuchen, und die Lehrergewerk- Es war ein erstaunlicher Sieg, der anzeigt, dass schaft. Den Betreibern der Privatisierung die- de Blasio eine Sehnsucht der Wählerschaft nach ser Schulen – eines Lieblingsprojekts sowohl einer anderen Politik nutzen konnte […]. Während Bloombergs als auch Andrew Cuomos, des de Blasio und Lhota die Stimmen der weißen Männer gleichmäßig unter sich aufteilten, konn- Gouverneurs von New York State – machte te de Blasio bei den weißen Wählerinnen, deren diese Personalentscheidung hingegen einen Stimmen er zu 60 Prozent gewann, Lhota abhän- Strich durch die Rechnung. De Blasio befür- gen. Den stärksten Auftrieb aber, der das Rennen wortet entschieden, im Rahmen des enorm di- für Lhota aussichtslos werden ließ, verschaffte mensionierten New Yorker Schulsystems „pre de Blasio die massive Unterstützung der People kindergarten classes“ (pre-K) für alle Kinder of Color – 96 Prozent der schwarzen Wähler, 87 Prozent der Latinos und 70 Prozent der Asiaten einzuführen und durch progressive Besteue- stimmten für ihn.3 rung zu finanzieren. Dies ist eines der zentra- len Themen des schärfer werdenden Kampfes Am eigentlichen Wahltag konnte de Blasio auf zwischen dem Bürgermeister und dem eben- einen hohen Identifikations- (und nicht nur so ehrgeizigen wie sparwütigen Gouverneur. Bekanntheits-)Grad sowohl unter schwarzen Um die Finanzierung der öffentlichen Schulen Wählern als auch unter wichtigen Demokra- muss de Blasio weiterhin kämpfen, doch die ten zählen. Politische Insider in Harlem wie in stadtweite „Pre-K“-Einführung konnte er be- Brooklyn kannten und schätzten ihn. Sein frü- reits durchsetzen. Auch bei der Aushandlung heres Engagement, das ihn nach Lateinameri- neuer Verträge für die Beschäftigten der Stadt ka geführt hatte, half ihm wahrscheinlich, auch hat er schon wichtige Hürden genommen: die traditionell politikfremde und verstreu- Ausweitung der Krankengeldansprüche, Anhe- te Latino-Wählerschaft anzusprechen. Seine bung des Mindestlohns von 8,75 auf 13 Dollar Wahlkampagne verschaffte den (nach der Vor- und erste Maßnahmen zur Verbesserung der wahl wieder vereinten) Gewerkschaften und Umweltverhältnisse in der Stadt. 3 J. Phillip Thompson, Does De Blasio’s Win Represent the Birth of a New Urban Populism?”, in: „New Labor Fo- Was die Schlüsselfrage bezahlbaren Wohn- rum“, Winter 2015. raums betrifft, hat de Blasio versucht, einem 14
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