RISSE IM BETON Linke Wahlerfolge in den Vereinigten Staaten Von Ethan Young - Rosa Luxemburg Stiftung

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RISSE IM BETON Linke Wahlerfolge in den Vereinigten Staaten Von Ethan Young - Rosa Luxemburg Stiftung
RISSE IM BETON
                  Linke Wahlerfolge in den Vereinigten Staaten
ROSA
LUXEMBURG
STIFTUNG
NEW YORK OFFICE   Von Ethan Young
Inhaltsverzeichnis

      Ein Gezeitenwechsel? Von den Herausgebern................................................................................1

      Risse im Beton
      Linke Wahlerfolge in den Vereinigten Staaten..........................................................................2

      Von Ethan Young

          Die Linke und die Wahlarena......................................................................................................4
          Die Demokratische Partei und die sozialen Bewegungen: Für sie und gegen sie.................7
          Linker und rechter Populismus..................................................................................................9
          Linke Siege und Zukunftsaussichten.......................................................................................11
      		              New York, New York....................................................................................................12
      		              Chicago, Illinois.............................................................................................................16
      		              Newark, New Jersey.....................................................................................................20
      		              Jackson, Mississippi......................................................................................................22
      		              Richmond, California...................................................................................................24
		Seattle, Washington.....................................................................................................26
          Die Working Families Party........................................................................................................29
          Obama und Everything After.....................................................................................................30
          Wenn das Soziale politisch wird...............................................................................................32

Veröffentlicht von der Rosa-Luxemburg-Stiftung, Büro New York, November 2015

Herausgeber: Stefanie Ehmsen und Albert Scharenberg
Adresse: 275 Madison Avenue, Suite 2114, New York, NY 10016
E-Mail: info@rosalux-nyc.org; Telefon: +1 (917) 409-1040

Gefördert mit Mitteln des Auswärtigen Amts

Die Rosa-Luxemburg-Stiftung ist eine international tätige, progressive Non-Profit-Organisation für
politische Bildung. In Zusammenarbeit mit vielen Organisationen rund um den Globus arbeitet sie für
demokratische und soziale Partizipation, die Ermächtigung von benachteiligten Gruppen, Alternativen
zur wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung und für friedliche Konfliktlösungen.

Das New Yorker Büro erfüllt zwei Hauptaufgaben: sich mit Themen der Vereinten Nationen zu befassen
und mit nordamerikanischen Linken in Hochschulen, Gewerkschaften, sozialen Bewegungen und der
Politik zusammenzuarbeiten.

                                           ww w .r osal u x - n yc.or g
Ein Gezeitenwechsel?

Es ist eine seltsame Zeit für die US-amerikanische Linke. Auf den ersten Blick scheinen ihre Geg-
ner äußerst schwach zu sein – zumindest, wenn man sich das Wetteifern um die republikanische
Präsidentschaftskandidatur ansieht, bei dem sich eine Reihe von Clowns an Lächerlichkeit – und
an Angstmacherei – zu übertreffen sucht. Durch die selbstreferenzielle Dynamik dieses Diskurses
entfernen sich die Republikaner dabei immer weiter von der Mehrheitsmeinung und drohen nur
noch die Interessen eines schrumpfenden, wohlhabenden weißen Bevölkerungsanteils zu vertreten.

Dennoch hat ebenjene Partei nicht nur 31 von 50 Gouverneursämtern inne, sondern auch die Mehr-
heit in beiden Häusern des US-Kongresses. Dank ihrer aggressiven und institutionell erfolgreichen
Bemühungen, den Zuschnitt der Wahlbezirke zu ihren Gunsten zu verändern und Wählerrechte ein-
zuschränken, werden die Republikaner das Repräsentantenhaus auf absehbare Zeit dominieren.
Und dank der Citizens-United-Entscheidung des Verfassungsgerichts und der zunehmenden Domi-
nanz privater Multi-Millionenspenden für Wahlkämpfe – das bekannteste Beispiel hierfür bieten die
Koch-Brüder – besteht die reale Chance, dass im Herbst 2016 ein Republikaner ins Weiße Haus ge-
wählt wird.

Auf Seiten der US-Linken sind die Widersprüche nicht weniger ausgeprägt. Die Demokratische Partei
hat in fünf der letzten sechs Präsidentschaftswahlen die Stimmenmehrheit gewonnen und ist doch
unfähig oder nicht bereit, eine Alternative zur aktuellen neoliberalen Austeritätspolitik zu schaffen.
Zweifellos sind die Demokraten in einigen Politikfeldern, etwa in der Sozialpolitik, besser als ihre
Gegner. In anderen Bereichen hingegen, beispielsweise mit Blick auf die Außenpolitik oder die finan-
zielle Abhängigkeit von Großunternehmen, sind sie lediglich das geringere Übel. Insgesamt ist die
Partei in der allgemeinen Krise der Politik in Washington gefangen.

Außerhalb des demokratischen Apparats gibt es indes einigen Grund für Optimismus. Occupy Wall
Street und Black Lives Matter sind zwei der wichtigsten und potenziell einflussreichsten sozialen Be-
wegungen unserer Generation. Gleichzeitig hat die Präsidentschaftskampagne des selbst ernannten
demokratischen Sozialisten Bernie Sanders die soziale Ungleichheit ins Blickfeld der Öffentlichkeit
gerückt und auf diese Weise bei vielen Menschen großen Enthusiasmus erzeugt.

Weniger im Fokus der Öffentlichkeit, aber keineswegs weniger bedeutsam, steht die Serie linker
Wahlerfolge, die das Establishment der Demokratischen Partei ins Wanken bringen könnten. Die
vorliegende Studie von Ethan Young, einem Aktivisten und Autor aus Brooklyn, analysiert die aktu-
ellen Chancen und Herausforderungen für linke Politik auf der lokalen Ebene: die Wahl einer sozia-
listischen Stadträtin in Seattle und linker schwarz-nationalistischer Bürgermeister in Jackson (Mis-
sissippi) und Newark (New Jersey); fortschrittliche Bürgermeisterkampagnen in Chicago und New
York; sowie verschiedene Wahlkoalitionen und politische Initiativen von der West- bis zur Ostküs-
te. Sie alle konfrontieren die Politik des „business as usual“ mit neuen Herausforderungen. Welche
Erfolgschancen haben sie? Beim Lesen der Studie finden Sie es heraus.

                                                              Stefanie Ehmsen und Albert Scharenberg
                                                            Leiter des Büros New York, November 2015

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Risse im Beton
Linker Wahlpolitik in den Vereinigten Staaten

Von Ethan Young

Angesichts der verbreiteten Enttäuschung über             gefunden. Die finanziell gut ausgestattete
das Zweiparteiensystem steht die US-ameri-                rechte Mobilisierung, zunächst jenseits der
kanische Linke vor einer existenziellen Frage:            urbanen Zonen, brachte in Verbindung mit ei-
Sollen wir überhaupt an Wahlen teilnehmen,                nem Rückgang der Wahlbeteiligung einige der
oder schaden wir damit nur uns selbst? Anders             reaktionärsten Gouverneure und Landesparla-
gefragt: Gibt eine Politik, die das elektorale Ter-       mente der US-Geschichte hervor.
rain preisgibt, nicht zugleich jede Möglichkeit
preis, auf demokratische Weise für radikalen              Seither haben die Republikaner Walker in Wis-
Wandel zu streiten?                                       consin, Rauner in Illinois und Snyder in Michi-
                                                          gan in historischen Industriezentren mit scharf
Ich vertrete die Auffassung, dass die Organisa-           antigewerkschaftlichen Programmen um die
tion von Wahlkämpfen notwendiger Bestand-                 Gouverneursposten gekämpft – und gewon-
teil politischen Handelns ist, wenn die Linke             nen. Sie propagieren die Agenda der Tea Party
hofft, Einfluss unter arbeitenden Menschen                und setzen sie durch: zur Hölle mit den Armen,
zu gewinnen, sie zu ermutigen und zu befähi-              zur Hölle mit der Demokratie, zur Hölle mit
gen, gesellschaftliche Macht zu erlangen und              dem Planeten. Es scheint, als schlage das Pen-
auszuüben. Die vorliegende Untersuchung                   del jetzt im Norden genauso weit nach rechts
konzentriert sich auf Wahlpolitik als ein Kern-           aus wie im Süden.
stück politischer Strategie, ohne sie jedoch
gegen andere Formen des Organisierens, der                Andererseits dürfte, wer Lokalwahlen näher
Straßenaktion oder des Protests ausspielen zu             beobachtet, seit Mitte des Jahrzehnts eine Zu-
wollen. Zunächst analysiere ich das Verhältnis            nahme der Anzahl und des Offensivgeists ein-
der Linken zu Wahlen und Wahlpolitik. Daran               deutig linker Wahlkampagnen bemerkt haben,
schließt sich dann eine Reihe kurzer Fallstu-             ja in einigen Fällen sogar beachtliche Wahler-
dien über bemerkenswerte Wahlkämpfe der                   folge. Die Siege von Bill de Blasio, Ras Baraka
letzten Jahre an.                                         und Chokwe Lumumba, die zu Bürgermeis-
                                                          tern von New York, Newark (New Jersey) und
Um auch nur behaupten zu können, dass sich                Jackson (Mississippi) gewählt wurden, ließen
bei Wahlen links etwas tut, muss ich ein wenig            die Möglichkeit einer landesweiten politischen
weiter ausholen. Als die Republikaner 2014                Kräfteverschiebung ahnen.
beide Häuser des US-Kongresses eroberten,
zog dort ein ganzer Schwarm von geschwo-                  Inzwischen scheint der erstaunliche Zulauf zu
renen Feinden progressiver Bewegungen ein.                den Kundgebungen des erklärten Sozialisten
Mit dem landesweiten Aufstieg der Tea Party               und rebellischen Präsidentschaftskandidaten
in Kleinstädten und ländlichen Gegenden seit              Bernie Sanders im Sommer 2015 zu bestäti-
2009 hatte ein antietatistischer, sozial konser-          gen, dass sich eine solche Kräfteverschiebung
vativer Rechtspopulismus seine Erfolgsformel              anbahnt.

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Diese Hinwendung zu progressiven Wahlan-                Mitte-Rechts-Kurs des vom Clinton-Lager do-
geboten begann mit einer spezifischen Popu-             minierten Democratic National Committee
lismusversion – mit Widerstand gegen die Re-            gebunden. Zwar ist der Druck in Richtung Aus-
gierungsführung durch Leute, die als elitäre            terität und Krieg weiterhin groß, doch links-
Außenseiter galten. So gewann Bill de Blasio            gerichtete Wählerinnen und Wähler beginnen
die Vorwahl der Demokraten in New York City             – zumindest in sozialen Brennpunkten und
2014 hauptsächlich, weil die unterlegene An-            Universitätsstädten – sich zu organisieren und
wärterin die Unterstützung seines mächtigen             den Wahlkampfmitteln der Konzerne ihre Waf-
Vorgängers Michael Bloomberg genoss. Der                fen entgegenzusetzen: Straßenaktionen und
scheidende Bürgermeister war der reichste               die Wucht der Zahlen.
Mann und seine Favoritin die zweitbekanntes-
te Lokalpolitikerin New Yorks, eine energische          Am deutlichsten zeigt sich diese Entwicklung in
Führungsfigur im Rat der Stadt. Der weniger             lokalen Wahlkämpfen auf unterer Ebene, und
bekannte de Blasio kümmerte sich nicht um               an ihr sind sowohl Demokraten als auch Unab-
die herkömmliche politische Hackordnung:                hängige beteiligt. Befördert wird sie vor allem
Vielmehr trat er nicht nur ausdrücklich für             von einem ökonomischen Populismus, der we-
den öffentlichen Sektor ein – er riskierte es           niger staatliche Eingriffe und Steuern ins Visier
sogar, polizeiliches Fehlverhalten zu kritisie-         nimmt als vielmehr das Unternehmerlager und
ren. Sein Erfolg war für politische Beobachter          Wall Street. Die heftigste Kritik richtet sich ge-
wie für das Establishment gleichermaßen ein             gen „social conservatism“, gegen borniertes
Schock.                                                 Festhalten an überkommenen Verhältnissen,
                                                        was jedoch nicht notwendigerweise zur Soli-
Wesentlichen Anteil am Wahlerfolg de Blasios            darisierung mit sozialen Bewegungen führt.
hatte die örtliche Organisation der Beschäftig-         Zunächst geht es darum, die breitestmögliche
ten im Gesundheitswesen, Local 1199 SEIU der            Front gegen die Konzernseite zu bilden – eine,
mächtigen Healthcare Workers Union. Über-               die den größten Teil der Basis, nicht aber die
haupt lässt sich sagen, dass gewerkschaftliche          unternehmerfreundliche Führungsriege der
Schlagkraft Bewegung in das politische Leben            Demokratischen Partei einschließt.
gebracht hat. So hat der Widerstand gegen die
Trans-Pacific Partnership (TPP) im Juni 2015 be-        Auch die sozialen Bewegungen gewinnen zu-
wirkt, dass die Demokraten im Kongress sich             nehmend an Durchsetzungskraft – manchmal
öffentlich gegen Obamas Weißes Haus stellten.           im Bündnis mit Vertretern der Demokrati-
Seit den Zeiten des Kalten Krieges haben die            schen Partei, manchmal ganz auf sich gestellt.
US-Gewerkschaften durchweg „gemäßigte“                  Manchmal gelingt es ihnen, dem System ein
Kandidaten der Demokraten gefördert, und                Schnippchen zu schlagen, manchmal auch
diese Praxis hält an. Aber dass wichtige Ge-            nicht. Manche Wahlbündnisse verstehen sich,
werkschaften des öffentlichen Dienstes und              wie etwa die Vermont Progressive Party, Pro-
der Lehrer letzthin linksgerichtete Außensei-           gressive Dane in Wisconsin und die Grünen,
terkandidaten unterstützt haben, markiert ei-           hauptsächlich als unabhängig. Andere wie
nen Wendepunkt.                                         New Haven Rising, Eastern Washington Vo-
                                                        ters, Florida New Majority, Virginia New Ma-
Dass linke oder Mitte-Links-orientierte Kan-            jority und viele andere arbeiten offen mit den
didaten Wahlen in Arbeiterstädten und -vier-            örtlichen Demokraten zusammen. Irgendwo
teln gewinnen, steht in krassem Widerspruch             dazwischen positioniert sich die Working Fa-
zu der verbreiteten Ansicht, die Linke sei ent-         milies Party, auf die ich in dieser Studie noch
weder einflusslos oder unwiderruflich an den            näher eingehen werde. Und schließlich gibt es

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auch Gruppen wie die Progressive Democrats                            All diese Projekte und Initiativen richten sich
of America, die sich ganz im Rahmen der De-                           gegen den Sparkurs und die Politik korrupter
mokratischen Partei bewegen.                                          Parteiapparate in bestimmten Regionen. Doch
                                                                      wenn solche lokalen Bestrebungen um sich
Viele Projekte konzentrieren sich auf politische                      greifen, können sie nicht dauerhaft isoliert blei-
Grundsatzfragen: Bei den Minnesotans for a                            ben, und in dem Maße, in dem sie erstarken,
Fair Economy beispielsweise handelt es sich                           werden sie die politische Landschaft USA-weit
um ein breites Bündnis, das erfolgreich Refe-                         verändern, und zwar innerhalb wie außerhalb
renden und Volksentscheide nutzt, um gegen                            der Demokratischen Partei. Die Parteiführung
den Neoliberalismus sowohl in seinen wirt-                            der Demokraten könnte das mit einem viel grö-
schaftlichen Erscheinungsformen wie in seiner                         ßeren Dilemma konfrontieren, als es eine kleine
antidemokratischen Politikpraxis, etwa der                            Partei außerhalb jemals vermöchte. Das Prob-
Einschränkung oder Behinderung von Wähler-                            lem für den demokratischen Apparat bestünde
rechten, anzugehen. Selbst in scheinbar abge-                         weniger in möglichen Stimmenverlusten als
legenen Orten wie etwa Las Cruces (New Me-                            darin, dass es im politischen Konsens der Be-
xico) gibt es Formationen wie die Progressive                         völkerung zu einer Linksverschiebung kommen
Voters Alliance, die kritische Stimmen in den                         könnte, auf deren Bewältigung die Parteifunk-
Wahlprozess einbringen.                                               tionäre in keiner Weise vorbereitet sind.

Die Linke und die Wahlarena

In den Vereinigten Staaten hat es niemals eine                        Die ersten vier Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts
sozialistische oder Arbeiterpartei gegeben, die                       hindurch waren es die rivalisierenden Partei-
die Demokraten als politische Heimat der Ge-                          en der Sozialisten und Kommunisten, die das
werkschaftsbewegung und der Arbeitnehmer-                             Bild der politischen Linken im Wesentlichen
wählerschaft hätte herausfordern oder gar                             bestimmten. Während des Zweiten Weltkriegs
ersetzen können. Infolgedessen gibt es kein                           wurde die Kommunistische Partei zur treuen
konsistentes politisches Zentrum, von dem aus                         Anhängerin der Koalition, auf die Franklin De-
landesweit linke soziale Bewegungen angesto-                          lano Roosevelt sich stützte. Das Gleiche gilt für
ßen und koordiniert werden könnten. Es sind                           einen Teil der Sozialistischen Partei. Aber auch,
einige Bündnisse und Führungskreise sozialer                          wenn sie sich anders verhalten hätten, würden
Bewegungen sowie sozialistische Sekten und                            es die Wahlgesetze und der Antikommunismus
arbeitnehmerfreundliche oder den sozialen Be-                         linken Parteien schwer, wenn nicht unmöglich
wegungen gewogene Strömungen in der Demo-                             gemacht haben, einen Platz an der Sonne zu
kratischen Partei, innerhalb derer die Linke1 sich                    finden. Doch die Auseinandersetzung darum,
ihrer selbst bewusst wird und Gestalt annimmt.                        ob sie sich innerhalb der Demokratischen Par-
                                                                      tei, an ihrer Seite oder aber gegen sie an Wahl-
1   Der hier verwendete Begriff der Linken ist offener und            kämpfen beteiligen sollte, tobte in der Linken
    inklusiver, als viele andere im linken Spektrum es für
    richtig halten mögen. Andererseits betrachten die Main-           das ganze letzte Jahrhundert hindurch.
    stream-Medien, die politische Mitte und Rechte so ziem-
    lich alles jenseits der Familie Bush als „die Linke“. – Für       Die Hauptanziehungskraft der Demokraten
    eine umfassendere Analyse vgl. Ethan Young, Mapping
    the Left: Progressive Politics in the United States, RLS-
                                                                      auf die meisten links oder gemäßigt eingestell-
    NYC-Studie, 2012, www.rosalux-nyc.org.                            ten Wähler dieser Partei besteht ganz einfach

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darin, dass sie keine Republikaner sind. Von de-         In den 1970er Jahren kam eine andere Sicht-
nen unterscheiden sich Amtsträger der Demo-              weise auf, die als „the inside/outside strategy“
kratischen Partei nämlich – je nach Blickwinkel          bekannt wurde. Arthur Kinoy, ein unabhängi-
– besten- oder schlimmstenfalls dadurch, dass            ger linker Rechtsanwalt mit engen Beziehun-
sie es meist nicht ganz so eilig haben, die Ar-          gen zur Gewerkschafts-, Black-Power- und zur
men und die Gewerkschaften zur Hölle zu                  Puertorikanischen Unabhängigkeitsbewegung
schicken. Soziale Bewegungen haben in der                bildete das National Committee for Indepen-
Demokratischen Partei nur wenig Einfluss, wo-            dent Political Action, das gleichzeitig örtliche
hingegen in der Grand Old Party die extreme              Dritte-Partei-Bestrebungen und bestimmte
Rechte über echte Machtpositionen verfügt.               Demokraten, darunter Jesse Jackson und sei-
Manche meinen, das ließe sich ändern, insbe-             nen Wahlkampf, unterstützte. Es handelte sich
sondere dann, wenn die Linke ihre Energien               um einen zweistufigen Ansatz: solange auf bei-
darauf konzentriert, die Führung der Partei zu           den Seiten des Zauns zu arbeiten, bis die Linke
erobern. Die Aussichten darauf, dass dies wirk-          stark genug ist, die alte Partei entweder zu er-
lich geschehen könnte, sind allerdings ziemlich          setzen oder zu übernehmen. Heute verfolgen
düster. Die eigentliche Frage besteht darin, ob          einige sozialistische Gruppen und – mutmaß-
eine verstärkte Mitarbeit bei den Demokraten,            lich – die meisten unabhängigen Linken in den
um den linken Einfluss in der Partei zu steigern,        sozialen Bewegungen wie auch ein Teil der aka-
den Bemühungen um eine Stärkung der Ge-                  demischen Welt diese Strategie.
werkschaften wie auch um Wiederherstellung
und Ermächtigung der Öffentlichkeit eher nüt-            Eine Abteilung der Linken zehrt von den Über-
zen oder eher schaden würde.                             resten der Avantgarde-Idee: Sie versucht eine
                                                         unabhängige, grundsätzlich antikapitalisti-
Es war einmal eine Dritte Partei, gegründet von          sche Partei zu bilden. An progressive Wähler
der aufsteigenden Bourgeoisie des Nordens                ergeht der Appell, die Demokratische Partei
und von Sklavereigegnern, die sich dann – als            umstandslos aufzugeben. Das soll durch be-
Republikanische Partei – zum Kraftzentrum ei-            harrliche Propagandaarbeit zu erreichen sein.
ner neuen herrschenden Klasse entwickelte.               Drei fundamentale Probleme dieser Position
Diese Partei erlitt in der ersten Hälfte des 20.         verweisen zugleich auf Grundprobleme der
Jahrhunderts ihre schwerste Niederlage, als die          US-Linken mit Avantgarde-Vorstellungen.
Dominanz freier Märkte durch den New Deal
gebrochen wurde. Dessen semi-staatssozialisti-           1. Doktrinäres Denken: Die Parteikonzeption des
sche Maßnahmen zielten darauf, die kapitalisti-          Dritte-Partei-jetzt-Lagers bedeutet einen Rück-
sche Wirtschaft mit Hilfe einer wiederbelebten           fall in Vorstellungen der sozialistischen Bewe-
Gewerkschaftsbewegung zu stabilisieren.                  gungen des 20. Jahrhunderts und noch früherer
                                                         Zeiten. Sie ignoriert die inzwischen eingetretene
Von Upton Sinclair über Earl Browder bis hin             Spektakularisierung der Politik. Sie kategorisiert
zu Michael Harrington haben sich sozialisti-             alle Parteien nach Klassen. Da es keine Arbeiter-
sche Führer dafür eingesetzt, statt ein Gebilde          partei gibt – so diese Theorie, ist die wichtigste
außerhalb des Zweiparteiensystems zu kons-               Aufgabe zuallererst, eine zu schaffen und dabei
truieren, besser in Wahlkämpfen auf Seiten               notfalls ganz von vorne anzufangen. Dabei wer-
der Demokratischen Partei und in deren inne-             den die Millionen von (meist weißen und frem-
ren Auseinandersetzungen Einfluss zu gewin-              denfeindlichen) Fach- und Landarbeitern außer
nen. Doch auch die Gegenposition wurde über              Acht gelassen, die sich mit den Republikanern
siebzig Jahre hindurch nicht minder beharrlich           identifizieren, desgleichen die Millionen von
und konsequent vertreten.                                Gewerkschaftsmitgliedern, Freiberuflern, an-

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                                                         LINKE WAHLERFOLGE IN DEN VEREINIGTEN STAATEN

oder ungelernten Arbeitern und Arbeitslosen              sich in Bündnissen halbwegs erwachsen auf-
unter den Wählern der Demokratischen Partei.             zuführen.
Die Theorie fragt nicht, warum diese Millionen
das tun. Allenfalls erklärt sie es als Folge „fal-       Solches Sektierertum spiegelt ein tiefer lie-
schen Bewusstseins“. Stattdessen behaupten               gendes Problem wider: ein grundsätzliches
die Doktrinären, bei der nichtwählenden Mehr-            Missverständnis der Art und Weise, in der po-
heit handele es sich in Wahrheit um aufgeklärte          litische Strukturen, die Massen zu mobilisieren
Massen, die bereit sind, aus dem Zweiparteien-           vermögen, in Wirklichkeit entstehen und sich
system auszubrechen.                                     entwickeln. In diesem Prozess sind die Selbst-
                                                         organisation und die politischen Programme
2. Verschwörungsdenken: Auch ein anderer Flü-            linker Gruppen oder ihre Einstellung zum Zwei-
gel der politischen Linken, der weniger unter            parteiensystem nämlich alles andere als prio-
dem Einfluss traditioneller Sozialismusströ-             ritär.
mungen steht, denkt ähnlich wie das Drit-
te-Partei-jetzt-Lager. Hier herrscht die Neigung         Worauf es in diesem Prozess hingegen tatsäch-
vor, alle politischen Entwicklungen als Machen-          lich ankommt, das ist die Beteiligung von Mas-
schaften mächtiger Drahtzieher zu betrachten,            sen an der Druckausübung auf ganz bestimm-
die einer ahnungslosen Öffentlichkeit, von lan-          te Hebelpunkte, an denen die Widersprüche
ger Hand sorgfältig vorbereitet, aufgezwungen            des Systems öffentliche Krisen auslösen. Die-
werden. Zu Massenaktionen kann es in diesem              ser Faktor ist Kernstück eines jeden demokra-
Szenario nur kommen, wenn Wachhunde und                  tischen Projekts, ob es nun darum geht, die
Wahrheitssucher die Öffentlichkeit aufklären             Demokratie zu verteidigen und ihr eine klas-
und enthüllen, wie die Puppenspieler ihre Fä-            senbewusste Richtung zu geben, oder darum,
den ziehen. Die Parallelen zum Verfahren der             einer Initiative für Minderheiteninteressen mit
Doktrinären, die anachronistische Lehren zum             demokratischen Mitteln zum Erfolg zu ver-
Reinheitsmaß machen, liegen auf der Hand –               helfen.
und beide Flügel kommen auch gut miteinan-
                                                         Eine Alternative in selbstzufriedener Isolation
der zurecht. Aus einer solchen Perspektive ent-
                                                         entwickeln zu wollen – oder die Einstellungen
larvt Bernie Sanders sich mit der Ankündigung,
                                                         von Millionen Menschen, die den bestehen-
er werde den Sieger der Demokraten-Vorwah-
                                                         den politischen Verhältnissen verhaftet sind,
len unterstützen, als „Schäferhund“, der arglo-
                                                         zu ignorieren –, entfremdet die Linke von so-
se Wähler ins Lager Hillary Clintons treibt. Po-
                                                         zialen Bewegungen, die erst dabei sind, ihre
litik wird so auf ein Match zwischen Guten und
                                                         politische Richtung zu finden. Wer so verfährt
Bösen reduziert.
                                                         und vorgegebene, auf sich selbst fixierte Füh-
                                                         rungsgruppen (Sekten) in den Mittelpunkt
3. Sektierertum: Dieser Teil der politischen
                                                         rückt, kann der Herausbildung demokratischer
Linken besteht aus heillos zerstrittenen Split-
                                                         Strukturen aus den sozialen Bewegungen her-
tergruppen. Deren Hauptsorge besteht, grob
                                                         aus nur schaden.
gesagt, darin, ihrer jeweiligen Partei oder
Parteigründungsinitiative Mitglieder zuzu-
                                                         Mike Parker von der Richmond Progressive Al-
führen und den eigenen Einfluss in sozialen
                                                         liance (der kein Befürworter einer Zusammen-
Bewegungen auszubauen, üblicherweise auf
                                                         arbeit mit den Demokraten ist) hat die wahl-
Kosten der konkurrierenden Sekten. Wenn es
                                                         politische Rolle der Linken treffend resümiert:
nach dem jeweiligen Selbstverständnis geht,
arbeiten diese Gruppen auf eigene Faust oder                Diejenigen unter uns, die in Amerika progressi-
gegeneinander – auch wenn sie es schaffen,                  ven Wandel sehen möchten, betrachten Wahl-

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  kampfaktivitäten nicht als Selbstzweck, sondern               […]; (2) Wahlkämpfe für Bildungsarbeit, die Ide-
  als wichtiges Mittel zum Zweck. Diese Aktivitäten             en in die Öffentlichkeit trägt, nutzen; (3) durch
  sollen dreierlei erreichen: (1) politischen Wandel            kämpferische Aktivität zur Bewusstseinsbildung
  auf Bundes- oder Bundesstaatsebene bewirken.                  beitragen.2

Die Demokratische Partei und die sozialen Bewegungen: Für sie
und gegen sie

Das Sündenregister der Scheußlichkeiten und                 gen, von denen einige in der Tradition des New
Vertrauensbrüche, die der Demokratischen                    Deal stehen, während andere im Neoliberalis-
Partei anzulasten sind, ist lang. Doch es steht             mus wurzeln. Gewiss, die Partei überlässt dem
bei den meisten Befürwortern einer linken                   Großkapital das Ruder, aber zu ihren wichtigs-
Dritten Partei gar nicht im Zentrum ihres Plä-              ten Sponsoren und Stimmenbeschaffern ge-
doyers. Folgt man ihrer Beschreibung, so han-               hört ein Großteil der Gewerkschaften.2
delt es sich bei der Demokratischen Partei um
einen Monolithen, der die Massen und anfällige              Ein alter trotzkistischer Slogan reimt sich (so
soziale Bewegungen durch raffinierte Propa-                 nicht übersetzbar): „break with the ass, build a
ganda und Kooptationsmacht umgarnt. Struk-                  party of the working class“. Das Problem damit
tur und Zweckbestimmung der Partei sind in                  ist unter anderem, dass eine „Partei der Arbei-
dieser Sicht einheitlich und straff koordiniert.            terklasse“ nicht dadurch entstehen kann, dass
Für Arbeitnehmer ist die Demokratische Partei               man die Kämpfe für Arbeiterinteressen, die im
eine Falle, und wer ihr beitritt oder auch nur              Rahmen der Wahlkampagnen für Kandidaten
mit ihr zusammenarbeitet, akzeptiert ein fest-              der Demokratischen Partei stattfinden, igno-
stehendes Programm und bindet sich mehr                     riert oder sich gar gegen sie stellt. Im Übrigen
oder weniger an die Parteidisziplin – wenn er               sind die Massenbasis und die finanziellen Mit-
nicht gar einen Teufelspakt schließt und seine              tel, die für den Start einer linken Gegenpartei
Prinzipien einer komfortablen Karriere opfert.              gegen die Demokraten erforderlich wären,
                                                            nirgends in Sicht. Das Wahlsystem ist massiv
Deshalb, so heißt es dann, besteht der erste                darauf zugeschnitten, ernsthafte Außenseiter
Schritt jedes fortschrittlichen Engagements                 nicht hochkommen zu lassen. Die politische
bei Wahlen darin, ein Demokraten-freies Poli-               Linke ist gespalten, isoliert und zutiefst ver-
tikvehikel zu konstruieren, sei es auch noch so             wirrt. Diesen Zustand gilt es zur Kenntnis zu
kümmerlich und marginal. Einige linke Sekten                nehmen, bevor wir eine konsistente Alterna-
verfolgen anscheinend die Strategie, still und              tive propagieren können, sei sie nun als blo-
leise die Kontrolle über diese künftige Wahl-               ßes „Durchgangsstadium“ gedacht oder ambi-
partei zu übernehmen oder sogar sich selbst                 tionierter.
mit ihren winzigen Kadern als deren Keimzelle
zu etablieren.                                              Ein anderes Missverständnis bei der Suche
                                                            nach einer unabhängigen Alternative besteht
Falls diese Vorstellungen je einen Realitäts-               in der fixen Idee, dass alle Demokraten sich als
gehalt gehabt haben sollten – heute stimmen
                                                            2   „Building Power through Electoral Efforts: Approa-
sie ganz gewiss nicht mehr. In der Demokra-                     ches to Independent Political Action“, solidarity-us.org,
tischen Partei gibt es divergierende Strömun-                   21.5.2015.

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Feinde sozialer Bewegungen verstehen und                  widerstehen. Im Verhältnis der von Milliardä-
betätigen. Auf manchen mag diese Beschrei-                ren unterstützten, aber von kleinunternehme-
bung tatsächlich passen, aber die meisten De-             rischen und mittelständischen Kreisen getra-
mokraten denken anders. Manche schätzen                   genen Tea Party zur Republikanischen Partei
soziale Bewegungen, so lange sie der Einwer-              hat das funktioniert. Aber bei den Demokraten
bung von Wahlkampfgeldern nicht in die Quere              wird die Stellung finanziell schlecht gestellter
kommen; andere sind direkt aus Bewegungen                 Abweichler durch Widerspruch noch prekärer,
hervorgegangen und von deren Unterstützung                es sei denn, Massenbewegungen bieten ihnen
weiterhin abhängig, wenn sie im Amt bleiben               Rückhalt.
wollen; wieder andere neigen Bewegungen
außerhalb der Partei stärker zu als irgendwel-            Was wiederum den Rückhalt verewigt, den die
chen innerparteilichen Strömungen. Nur ganz               Demokratischen Partei in den sozialen Bewe-
wenige sehen ihre Aufgabe darin, soziale Be-              gungen – in den Gewerkschaften, in sozialen
wegungen zu unterdrücken, zu kaufen oder                  Brennpunkten, bei Frauen, LGBTQs oder der
zu schlucken, wenn man von Fällen absieht, in             Umweltbewegung – genießt, das ist in erster Li-
denen jemand glaubt, sie gefährdeten ganz un-             nie Angst vor den Republikanern. Die Prediger
mittelbar seine Karriere.                                 des Gebots „Du sollst nicht ...“ (mit Demokraten
                                                          oder für sie arbeiten) behaupten beharrlich, die
Das soll nicht heißen, dass es keine Demokra-             Demokraten hätten so wenig von einem „klei-
ten gibt, die in oder für Wall Street arbeiten.           neren Übel“ an sich, dass dies Argument nicht
Doch die Erkenntnis, welche anderen Funk-                 ziehe. Schließlich stärke jeder Kompromiss
tionen Wahlkampagnen der (oder für die)                   mit der Demokratischen Partei nur deren Zu-
Demokratische(n) Partei haben, ist von ent-               griff auf die sozialen Bewegungen. Die meisten
scheidender Bedeutung dafür, dass die Linke               Wählerinnen und Wähler kümmern sich nicht
Widersprüche zwischen den großen Parteien                 um solche Ratschläge, aber nicht deshalb, weil
und zwischen politischen Tendenzen in deren               die Basis der Demokraten aus Dummköpfen
Führung erkennen und nutzen kann.                         besteht, sondern weil die Republikaner sich ein
                                                          ums andere Mal als der tödlichere Feind erwei-
Die sozialen Bewegungen sind nicht gleichzu-              sen. Kleinunternehmer und Sozialkonservative
setzen mit der politischen Linken. Selbst wo              aller Klassen haben die GOP ganz real zu ihrer
es Überschneidungen gibt, haben die ersteren              Heimat gemacht, in der sie reale Macht gewin-
ganz andere Ansichten zur Rolle der Demo-                 nen, weil sie die republikanischen Ziele teilen:
kratischen Partei. Manche soziale Aktivisten              die Gewerkschaften zu zerstören und die sozi-
halten diese Partei sogar für ihre politische             alen Errungenschaften der 1960er und 1970er
Heimat, was sie in Wirklichkeit ganz sicher               Jahre zurückzurollen. Ebendies besorgen die
nicht ist. Einfluss auf die Parteipolitik haben sie       Republikaner in jedem Bundesstaat und jeder
nur, wenn irgendeine Form von organisiertem               Region, wo sie die Gesetzgebung dominieren,
Druck dahinter steht.                                     während die Demokraten, wie schwach auch
                                                          immer, alles sind, was dem auf nationaler Ebe-
Ganz allgemein gesprochen hängt die Fähig-                ne im Wege steht.
keit sozialer Bewegungen, politische Wirkung
zu erzielen, von ihrer Bereitschaft ab, im ent-           Die Offensive der extremen Rechten geht nicht
scheidenden Augenblick, nämlich dann, wenn                in erster Linie von oben (von big business) aus,
Partei- und Bewegungsinteressen scharf von-               aber wenn ihr kein Widerstand entgegenge-
einander abweichen, der Parteiführung und                 setzt wird, verschiebt sie die politische Mitte
gewählten Amtsträgern der Demokraten zu                   gefährlich weit(er) nach rechts. (Gefährdet

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sind in diesem Fall sowohl die Rechte und Le-           kontrolliert wird, kein Instrument für radikalen
bensbedingungen der Arbeitnehmer als auch               Wandel sein. Die Partei kann die Präsenz linker
der Zugang des Kapitals zu Arbeits- und Kon-            Stimmen tolerieren, aber man geriete in eine
sumentenmärkten.) Unter diesen Umständen                Sackgasse, wollte man ganz auf ihre Zukunft
wäre es selbstmörderisch, die Demokraten                setzen. Die Arbeitnehmerbasis der Partei lei-
rundum zurückzuweisen. Manch unabhängige                det unter der zunehmenden Austerität und Mi-
Kampagne bereitet de facto den Republikanern            litarisierung der Gesellschaft (politischen Ent-
den Boden, auch wenn manche Linke das nicht             wicklungen, die von den Demokraten entwe-
wahrhaben wollen und als Gruselstory abtun,             der mit betrieben oder nur zaghaft bekämpft
mit der Wählerinnen und Wähler ins Lager der            werden). Das wird sich so schnell nicht ändern.
Demokraten zurückgescheucht werden sollen.              Die Linke muss ihre Autonomie gegenüber der
                                                        Demokratischen Partei wahren, oder jeder
Gleichwohl wird die Demokratische Partei, so            Versuch, mit dem Neoliberalismus Schluss zu
lange sie Konzernen gehört und von diesen               machen, wird scheitern.

Linker und rechter Populismus

Antistaatlicher Populismus mobilisiert die Ba-          außerhalb der Partei an, die erkennen, dass
sis der Republikaner. Der ökonomische Popu-             der Neoliberalismus ihnen schadet.
lismus hingegen beginnt gerade erst, bei Wäh-
lern der Demokratischen Partei Fuß zu fas-              Sowohl beim Links- wie beim Rechtspopulis-
sen. Bis vor kurzem war Elizabeth Warren die            mus handelt es sich um Reaktionen auf die Ver-
bekannteste Vertreterin dieser Richtung, die            schlechterung der Lebensverhältnisse, die der
jetzt Bernie Sanders für seine Kampagne, als            Generalangriff der neoliberalen Austeritätspo-
Präsidentschaftskandidat der Demokraten no-             litik bewirkt. Der Rechtspopulismus stellt den
miniert zu werden, nutzt. Wirtschaftspopulis-           Staat als Fremdkörper dar, als elitäres Gebilde
mus ist sicher noch kein Sozialismus, aber sein         mit dem Ziel, die Mittelschicht zu zerstören. Er
Vordringen auf die nationale politische Ebene           appelliert an uralte Mythen, die im Alltag der
kommt sozialistischen Vorstellungen näher als           middle class tief verwurzelt sind: Patriarchat
irgendetwas sonst seit Menschengedenken.                und Hierarchie der „Rassen“ als schicksalhafte
Dieser Populismus fordert die neuerliche Regu-          Gegebenheiten der Biologie; harte Arbeit und
lierung der Großwirtschaft, insbesondere der            playing by the rules als Wohlstandsgarantie;
Banken, durch den Staat ebenso wie progres-             Vorrang der Religion vor säkularer Bildung und
sive Besteuerung und massive Investitionen in           Wissenschaft; und schließlich Angst vor und
den öffentlichen Sektor, etwa ins Bildungswe-           Wut auf jene, deren bloße Existenz die Lügen,
sen und in eine einheitliche Krankenversiche-           auf denen solche Vorstellungen basieren, zu
rung. Zugleich bildet er für linke Aktivisten in        bestätigen scheint.
der Demokratischen Partei eine Brücke zu den
eher links-liberalen, freihandelskritischen und         Dass der Linkspopulismus erstarkt, liegt
gewerkschaftsfreundlichen „Old New Dealers“             zum Teil daran, dass die wichtigsten Model-
gleich nebenan. Obendrein spricht der Wirt-             le der traditionellen Linken – Sozialismus und
schaftspopulismus unentschlossene Wähler                New-Deal-Wohlfahrtsstaat – als Alternativen

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zur ungezügelten Marktwirtschaft diskredi-              te und wütende Masse. In dem Maße, in dem
tiert wurden, besonders infolge des Aufstiegs           diese Basis gewahr wird, wie viel politischen
des Neoliberalismus und des Zusammen-                   Druck sie tatsächlich ausüben kann, wird
bruchs des Sowjetlagers. Allerdings handelt es          der Populismus zum gemeinsamen Nenner
sich beim Linkspopulismus immer noch eher               unterschiedlicher Parteiströmungen und
um ein unbeschriebenes Blatt als um ausge-              Wählergruppen (wie dies bei der Rechten
arbeitete politische Theorie oder Strategie. Ob         bereits geschehen ist). Das erfolgt, wie die
links oder rechts – Populismus erwächst aus             Sanders-Kampagne beweist, sowohl in lan-
einem (meist kollektiven) Gefühl, (meist ganz           desweiten als auch in regionalen und lokalen
persönlich) Opfer zu sein. Dieses wiederum ist          Wahlkämpfen.
oft die erste Reaktion der Betroffenen auf so-
ziale Fragmentierung und Austerität.                    Der Wirtschaftspopulismus ermöglicht es zu-
                                                        dem der Öffentlichkeit, sich über das Wesen
Diese Form des Populismus ist eben erst da-             des Neoliberalismus und die Zerstörung des
bei, ihre Sprache und ihren Standort zu fin-            Sozialstaats, für die er steht, illusionslos klar
den. Sie lässt viele Fragen offen, schließt aber        zu werden. In der Clinton-Ära haben (links)libe-
keine progressive Alternative – nicht einmal            rale Demokraten entweder eine Rückkehr zu
Sozialismus – aus. Das S-Wort mag immer                 den Vor-Reagan-Zeiten oder Verständnis dafür
noch befremdlich auf viele Amerikaner wirken            verlangt, dass es eben der Markt sei, der die
und selbst für Linke etwas mysteriös klingen.           Gesellschaft regiert. Mittlerweile aber wendet
Aber diejenigen, die dem Sog nach rechts und            sich die Diskussion der Notwendigkeit koope-
rechtsaußen nicht verfallen, sind in der Mehr-          rativer Produktionsformen, grüner Jobs und
heit, und das dem Sozialismus anhaftende                einer Wiederbelebung der Gewerkschaftsbe-
Stigma wirkt heute weit weniger bedrohlich              wegung zu. Die Diskutanten kommen aus un-
als während des Kalten Krieges. Aus diesem              terschiedlichen Richtungen, aber alle befassen
Grunde kann der sozialistische Senator Bernie           sich mit folgender Frage: Brauchen wir einen
Sanders als Bannerträger des Wirtschaftspo-             neuen New Deal oder würden wir auf diesem
pulismus Zustimmung finden.                             Wege lediglich staatliche Top-Down-Dienstleis-
                                                        tungen restaurieren, und das zudem unter den
Der Linkspopulismus weist, anders als der               Bedingungen einer niedergehenden und völlig
Wohlfahrtsstaat, auf mancherlei Art in Richtung         korrupten Marktwirtschaft?
Sozialismus, geht aber dabei (noch) nicht so
weit, das Ende des Kapitalismus zu fordern. Was         Es handelt sich um einen Durchbruch im Dis-
Libertäre oder Neofaschisten ganz besonders             kurs der politischen Linken, inspiriert durch
in Rage bringt, ist der Gedanke der Umvertei-           Verfechter des Kooperativengedankens wie
lung von oben nach unten. Bei den Demokraten            Gar Alperovitz und Bewegungen, die sich vor
befürchten das „gemäßigte“ Democratic Natio-            allem mit Umverteilungsfragen befassen. Aus-
nal Committee und erst recht die konservati-            gelöst wurde er durch die Umweltkrise und die
vere Blue Dog Coalition, Populismus könne das           Misere, in die der Neoliberalismus das Leben
Verhältnis der Partei zu diversen Kapital- und          arbeitender Menschen verwandelt. Die Grund-
Finanzkreisen und deren Spendenbereitschaft             annahme linker Populisten besagt, dass der
schädigen – Kreisen, gegen die sich der Zorn der        Staat von großunternehmerischen und finan-
Populisten ganz besonders richtet.                      zindustriellen Einflüssen gereinigt werden
                                                        muss. Seit Occupy Wall Street wissen wir aller-
Die Parteibasis verwandelt sich gerade aus              dings besser, wie schwer und langwierig dieses
einer zutraulichen Herde in eine beunruhig-             Vorhaben sein wird.

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Linke Siege und Zukunftsaussichten

Die Bürgermeisterwahl in New York City mar-            menge um jede Stimme. Initiatoren dieser Her-
kiert – unabhängig davon, ob Bürgermeister             ausforderung des Amtsinhabers waren nicht
de Blasio seine Versprechen hält oder nicht –          etwa parteiinterne Rivalen, die Initiative ging
einen Pendelschlag, einen Umschwung von                vielmehr von der rebellischen Lehrergewerk-
landesweiter Bedeutung. De Blasio wurde auf-           schaft Chicagos aus – Local 1 der American Fe-
grund eines progressiven Programms gewählt,            deration of Teachers. García verlor das Rennen
und zwar von einer ungeachtet der Hautfarbe            zwar, aber die Umstände waren ungewöhnlich
vor allem aus Werktätigen bestehenden Wäh-             genug, und einige Beobachter resümierten,
lerschaft. Das markiert einen bedeutsamen              dieses Ergebnis zeige, dass die Linke durchaus
Umbruch im Wahlverhalten, der allerdings               noch Wahlen gewinnen und wichtige Lehren
nicht isoliert dasteht.                                aus ihnen ziehen könne.

Dieser und andere in der vorliegenden Studie           In zwei Städten mit einem hohen Bevölke-
untersuchte Fälle zeigen, dass die Linke dabei         rungsanteil von Afroamerikanern und Ar-
ist, in Schlüssellokalitäten Durchbrüche zu            beitern – Newark (New Jersey) und Jackson
erzielen. Dabei sind die Umstände jedes Mal            (Mississippi) – konnten Kandidaten, die offen
andere. Einige Kandidaten haben in nonparti-           als radikale Linke auftraten, die Bürgermeis-
san elections gewonnen (also in Wahlen ohne            terwahlen gewinnen: Ras Baraka (Sohn des
Parteizugehörigkeitsangaben auf den Stimm-             Schriftstellers und führenden Aktivisten Ami-
zetteln). Einige haben sich auf den Widerstand         ri Baraka) und Chokwe Lumumba (ein Führer
gegen Unternehmermacht konzentriert. Man-              der linken schwarznationalistischen New-Afri-
che nahmen Polizeigewalt ins Visier, andere            kan-Independence-Bewegung). Die etablier-
Netzwerke der Korruption. Einige machten               ten Kräfte der Rechten und der Mitte konnten
die Verteidigung des öffentlichen Bildungswe-          nur verblüfft registrieren, wie diese beiden an
sens zu ihrem Thema. Alle aber haben sie an            ihnen vorbei- und ins Rathaus einzogen.
populistische Stimmungen unter Arbeitneh-
mergruppen angeknüpft und dazu aufgerufen,             Die Wahlen in Newark und Jackson verdienen
sich gemeinsam gegen die Austeritätspolitik            aus einer Reihe von Gründen Beachtung. In
zu wehren. Genau deshalb konnten sie be-               beiden Fällen führte jahrelange Organizing-
achtliche Wahl- oder Abstimmungsergebnisse             Erfahrung dazu, dass die Kandidaten allgemein
erzielen.                                              bekannt waren und so die Parteihengste, de-
                                                       nen die Status-quo-Politik, Korruption, Auste-
Bei den Chicagoer Bürgermeisterwahlen 2015             ritätsmaßnahmen und Wahlrechtseinschrän-
traten Jesús „Chuy“ García, ein reformorien-           kungen angelastet wurden, überflügeln konn-
tierter Landrat von Cook County (Illinois) mit         ten. Beide Wahlsieger verkörperten darüber
engem Verhältnis zur lokalen Basis, und Rahm           hinaus einen Bruch mit der Entwicklung, die
Emanuel als Kandidaten gegeneinander an,               die Schwarzen-Wahlbewegung seit den 60er
letzterer ein technokratischer Strippenzieher,         Jahren genommen hatte. Aus dieser hervorge-
den der lokale Parteiapparat der Demokraten            gangene und mittlerweile etablierte Amtsträ-
im Bunde mit Obamas Weißem Haus instal-                ger hatten den Schwerpunkt der Communi-
liert hatte. Die Garcia-Wahlkampagne, die zu-          ty-Politik von links in die Mitte verschoben,
nächst als Donquijoterie galt, verwandelte die         während die Basis sich als unfähig – oder nicht
Bürgermeisterwahl in ein erbittertes Handge-           gewillt – erwies, dem entgegenzuwirken. Jetzt

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aber beginnen die Wählerinnen und Wähler               oder den Herrschenden in die Falle zu gehen.
aus der arbeitenden Bevölkerung, im Zuge ih-           In derart maximalistischen Positionen kommt
rer Repolitisierung die Gewichte nach links zu         die mangelnde Kohärenz unserer Politik zum
verschieben.                                           Ausdruck. Sie bieten keine Lösungen und hel-
                                                       fen auch nicht bei der Lösungssuche.
Zwei andere Fälle, in denen die Kandidaten lin-
ker Dritte-Partei-Initiativen etablierte Demo-
kraten und Republikaner besiegen konnten,              New York, New York
lassen vermuten, dass das Zweiparteiensys-
tem unter bestimmten örtlichen Umständen               Bedenkt man seine Vorgeschichte als linker Ak-
sogar als solches verwundbar sein kann. In             tivist – bevor er in die „seriöse“ Politik ging –, so
Seattle eroberte Kshama Sawant mit einem               ist Bill de Blasios Aufstieg schon bemerkens-
nicht parteigebundenen Wahlkampf einen                 wert. In Hillary Clintons Wahlkampf um den
Stadtratssitz. Sawant, Mitglied der trotzkis-          Senatorenposten 2000 spielte de Blasio eine
tischen Gruppe Socialist Alternative trat als          wichtige Rolle; damals als Stadtratsmitglied,
parteilose Sozialistin an. Ein konträres Szena-        das Park Slope – ein linksliberales, von Gentri-
rio bot die den Gewerkschaften verbundene              fizierung bedrohtes Viertel – vertrat. Während
Working Families Party (WFP): In Hartford und          der dritten Amtsperiode des Bürgermeisters
New York City brachten sie ohne Wahlabspra-            Bloomberg übte de Blasio von 2010 bis 2013
chen mit den Demokraten zwei Kandidaten in             das Wahlamt des Public Advocate (einer Art
Staatsämter, während in Philadelphia ein von           Ombudsmann) aus.
der WFP unterstützter Kandidat bei den Demo-
kraten die Primary zu den Bürgermeisterwah-            Früher aber, in den 1980er Jahren, hatte de Bla-
len gewann.                                            sio sich in der Mittelamerika-Solidaritätsbewe-
                                                       gung engagiert, die zu Zeiten Ronald Reagans
Aus Richmond (Kalifornien), einem Indus-               und George H. W. Bushs durch die Radikalität
triezentrum nordöstlich von Oakland, ist ein           ihrer politische Aktivitäten auffiel. 1989 betei-
weiterer, wiederum anders gearteter Fall               ligte er sich an der Wahlkampagne, die David
zu berichten: Hier schlug eine konzernkriti-           Dinkins, New Yorks ersten (und immer noch
sche Koalition eine der mächtigsten Ölgesell-          einzigen) schwarzen Bürgermeister ins Amt
schaften auf deren – vermeintlich – eigenem            brachte. Damals wurde er zum Aufsteiger in
Terrain.                                               der Demokratischen Partei, Mitarbeiter des
                                                       Harlemer Kongressabgeordneten Charles Ran-
Diese Handvoll Beispiele möge genügen, um              gel und der Bill-Clinton-Administration.
einen deutlichen und vielversprechenden
Wandel des politischen Klimas zu illustrieren,         Er ist mit einer Schwarzen verheiratet, und
der im nationalen Diskurs erst ganz allmählich         seine Kinder traten im Wahlkampf offen als
Beachtung findet. Besorgniserregend ist aller-         Schwarze auf. Was ihn vor nicht allzu langer
dings die Gleichgültigkeit, mit der große Teile        Zeit noch zur politischen Unperson gemacht
der Linken dieser bedeutsamen Verschiebung             hätte, scheint jetzt ganz im Gegenteil seine
im politischen Koordinatensystem begegnen.             Popularität gesteigert zu haben, und zwar so-
Manche glauben, Wahlpolitik lenke von Stra-            wohl unter Schwarzen als auch unter Weißen.
ßenaktionen oder Graswurzel-Organisierungs-            Bedenkt man die historische Rolle von „Ras-
arbeit ab. In einem Teil der Linken dominiert          sen“- und Gender-Stereotypen, so erstaunt
traditionell die Vorstellung, Wahlkampfarbeit          wohl am meisten, dass es ihm politisch nicht
bedeute, entweder sich selbst aufzugeben               geschadet hat, mit Chirlane McCray verheiratet

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zu sein. Immerhin hatte diese einmal – Mitte             Die Unzufriedenheit über Bloombergs Politik
der 1970er Jahre – einer der ersten schwarzen            war allgemein spürbar. Bevor Bloomberg Oc-
Lesbengruppen, dem Combahee River Collec-                cupy Wall Street auseinandertrieb, hatte die-
tive, angehört.                                          se Bewegung den New Yorkern Möglichkeiten
                                                         geboten, ihre Ängste und ihren Zorn zu arti-
Die (Vor-)Geschichte de Blasios lässt noch               kulieren. Die Ungleichheit in der Stadt war in
deutlicher werden, welche Bedeutung seiner               dem Maße gewachsen, in dem Manhattan sich
Wahl zukommt. Er ist (Links-)Liberaler und er            in eine Art Laufstall der Reichen verwandelte.
ist ein Insider, durchaus aber keine Parteikrea-         Gleichzeitig wurden die öffentlichen Schulen
tur. Als er beschloss, für die Nominierung zum           der Stadt durch Spar- und Privatisierungsmaß-
Bürgermeisterkandidaten der Demokraten zu                nahmen kaputtgemacht. Bezahlbarer Wohn-
kämpfen, fand er ein dicht gedrängtes Kandi-             raum verschwand. Bloomberg hasste Gewerk-
datenfeld vor, darunter mit Bill Thompson ei-            schaften und ließ die städtischen Beschäftig-
nen Afroamerikaner, der Bloomberg in der letz-           ten in Sachen Arbeitsverträge wiederholt im
ten Runde fast geschlagen hätte; ferner einen            Regen stehen. Noch dringlicher war das The-
populären Finanzchef der Stadt, John Liu, der            ma Polizei: Bloomberg hatte, als er Rudi Giu-
New Yorks schnell wachsende asiatischstäm-               liani im Amt nachfolgte, an dessen Polizeichef
mige Wählerschaft beeindruckte, und noch                 Ray Kelly festgehalten, und Kellys mittlerweile
einige mehr. Angeführt wurde dieses Feld zu              berüchtigte Strategie des „stop and frisk“ („An-
diesem Zeitpunkt von Christine Quinn, damals             halten und Durchsuchen“) wuchs sich allmäh-
Stadtratsvorsitzende, die sich von einer Refor-          lich zu einem Riesenskandal aus.
merin aus dem vormaligen Bohème-Stadtteil
Greenwich Village zur strikten Bloombergia-              Diese – durch Occupy Wall Street aufgebrach-
nerin gewandelt hatte. Quinn, eine Weiße und             ten – Themen führten in eine Konfrontation
erklärte Lesbierin, schadete sich selbst, indem          mit den wichtigsten Machtfaktoren New Yorks
sie bezahlten Krankheitsurlaub für städtische            – dem FIRE-Establishment (F wie Finanzwelt, I
Angestellte ablehnte und den Stadtrat (erfolg-           wie Insurance/Versicherungen und RE wie Real
reich) nötigte, die Amtszeitbegrenzung des               Estate, also dem Immobiliengeschäft) und der
Bürgermeisters aufzuheben, weil Bloomberg                städtischen Polizei. Welche Absichten de Bla-
weitermachen wollte. Nachdem sie in den Um-              sio vor der Wahl auch immer verfolgt haben
fragen lange vorn gelegen hatte, fiel sie zur            oder was er im Amt tatsächlich leisten mag:
Verwunderung vieler Beobachter in den Wo-                Seine Popularität beruht großenteils darauf,
chen vor der Primary weit zurück.                        dass er die Mächtigen mit gerade diesen Wahl-
                                                         kampfthemen herausforderte.
New Yorks Elektorat besteht aus eine Reihe
mehr oder weniger fest umrissener Stimmblö-              Die Vielfältigkeit seiner Wählerbasis wirft
cke, die tendenziell miteinander rivalisieren            Licht auf neue Entwicklungen, die sich in der
und soziale, ethnische und Gender-Zugehörig-             elektoralen Landschaft abzeichnen. Nach der
keiten widerspiegeln. Es verwunderte deshalb,            Vorwahl lag de Blasio in allen Bereichen vorn
dass de Blasio, ein waschechter weißer Mann,             – außer in dreien: Die wohlhabendsten Wähler
in allen Teilen der Stadt dem Feld davonziehen           stimmten für Quinn, Afroamerikaner und Asi-
konnte, auch in Arbeitervierteln, in denen wei-          aten entschieden sich in den entsprechenden
ße Wähler die Minderheit bilden. Doch er un-             Vierteln jeweils in großer Zahl für Thompson
terschied sich auch auf andere Weise: Zu einer           respektive Liu. Gewerkschaftlich organisier-
Reihe von Schlüsselfragen vertrat de Blasio be-          te Arbeitnehmer wiederum verteilten ihre
wusst linke Positionen.                                  Zustimmung – sei es aus Zufall oder ganz be-

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wusst – auf alle vier Kandidaten. Unter den re-                    Community-Gruppen aus der Arbeiterschaft
levanten Gewerkschaften fand de Blasio in der                      die Gelegenheit, ein wenig die Muskeln spielen
Vorwahl nur bei SEIU 1199 Rückhalt, wobei es                       zu lassen.
sich allerdings um den wichtigsten lokalen Ver-
band mit der besten „Get-out-the-vote“-Bilanz                      Veränderungen gab es bei dieser Wahl auch
handelt (der Mitglieder und Anhänger beson-                        im Hinblick auf die in den Stadtrat entsandten
ders erfolgreich zum Urnengang motivieren                          Bezirksvertreter. 2013 zählte der Progressive
konnte – D. Übs.)                                                  Caucus dort elf Mitglieder. Durch neu in den
                                                                   Rat gewählte Mitglieder wuchs diese Zahl 2014
Nach seinem Primary-Sieg fand de Blasio die                        auf 19 an, und die Co-Vorsitzende des Caucus,
massive, wahlentscheidende Unterstützung                           Melissa Mark-Viverito, wurde sogar zur Rats-
des jetzt vereint votierenden Gewerkschafts-                       vorsitzenden gewählt.
blocks. Der Politikwissenschaftler J. Philip
Thompson (vom Massachusetts Institute of                           Einige der ersten Schritte de Blasios nach der
Technology/MIT) konstatiert:                                       Wahl begeisterten seine Anhänger, andere
                                                                   erbosten sie. Die Berufung der angesehenen
    De Blasio gewann 73 Prozent der Stimmen, der
                                                                   Pädagogin Carmen Fariña zur Schuldezernen-
    Republikaner Joe Lhota 24 Prozent – eine Diffe-
    renz von fast fünfzig Punkten. So etwas kommt                  tin ermutigte Eltern, deren Kinder öffentliche
    bei Bürgermeisterwahlen eigentlich gar nicht vor.              Schulen besuchen, und die Lehrergewerk-
    Es war ein erstaunlicher Sieg, der anzeigt, dass               schaft. Den Betreibern der Privatisierung die-
    de Blasio eine Sehnsucht der Wählerschaft nach                 ser Schulen – eines Lieblingsprojekts sowohl
    einer anderen Politik nutzen konnte […]. Während
                                                                   Bloombergs als auch Andrew Cuomos, des
    de Blasio und Lhota die Stimmen der weißen
    Männer gleichmäßig unter sich aufteilten, konn-                Gouverneurs von New York State – machte
    te de Blasio bei den weißen Wählerinnen, deren                 diese Personalentscheidung hingegen einen
    Stimmen er zu 60 Prozent gewann, Lhota abhän-                  Strich durch die Rechnung. De Blasio befür-
    gen. Den stärksten Auftrieb aber, der das Rennen               wortet entschieden, im Rahmen des enorm di-
    für Lhota aussichtslos werden ließ, verschaffte                mensionierten New Yorker Schulsystems „pre
    de Blasio die massive Unterstützung der People
                                                                   kindergarten classes“ (pre-K) für alle Kinder
    of Color – 96 Prozent der schwarzen Wähler, 87
    Prozent der Latinos und 70 Prozent der Asiaten                 einzuführen und durch progressive Besteue-
    stimmten für ihn.3                                             rung zu finanzieren. Dies ist eines der zentra-
                                                                   len Themen des schärfer werdenden Kampfes
Am eigentlichen Wahltag konnte de Blasio auf                       zwischen dem Bürgermeister und dem eben-
einen hohen Identifikations- (und nicht nur                        so ehrgeizigen wie sparwütigen Gouverneur.
Bekanntheits-)Grad sowohl unter schwarzen                          Um die Finanzierung der öffentlichen Schulen
Wählern als auch unter wichtigen Demokra-                          muss de Blasio weiterhin kämpfen, doch die
ten zählen. Politische Insider in Harlem wie in                    stadtweite „Pre-K“-Einführung konnte er be-
Brooklyn kannten und schätzten ihn. Sein frü-                      reits durchsetzen. Auch bei der Aushandlung
heres Engagement, das ihn nach Lateinameri-                        neuer Verträge für die Beschäftigten der Stadt
ka geführt hatte, half ihm wahrscheinlich, auch                    hat er schon wichtige Hürden genommen:
die traditionell politikfremde und verstreu-                       Ausweitung der Krankengeldansprüche, Anhe-
te Latino-Wählerschaft anzusprechen. Seine                         bung des Mindestlohns von 8,75 auf 13 Dollar
Wahlkampagne verschaffte den (nach der Vor-                        und erste Maßnahmen zur Verbesserung der
wahl wieder vereinten) Gewerkschaften und                          Umweltverhältnisse in der Stadt.

3   J. Phillip Thompson, Does De Blasio’s Win Represent the
    Birth of a New Urban Populism?”, in: „New Labor Fo-            Was die Schlüsselfrage bezahlbaren Wohn-
    rum“, Winter 2015.                                             raums betrifft, hat de Blasio versucht, einem

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