Rohstoffboom und Kapitalimporte: Stolpersteine für die australische Wirtschaft? - Heribert Dieter - Stiftung Wissenschaft und Politik

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SWP-Studie
Stiftung Wissenschaft und Politik
Deutsches Institut für Internationale
Politik und Sicherheit

                                        Heribert Dieter

                                        Rohstoffboom und
                                        Kapitalimporte:
                                        Stolpersteine für die
                                        australische Wirtschaft?

                                        S 26
                                        November 2012
                                        Berlin
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ISSN 1611-6372
Inhalt

5    Problemstellung und Empfehlungen

7    Einleitung

9    Nach dem Höhenflug: Der Rohstoffsektor
     und das Ende der Übertreibungen
 9   Fluch Rohstoffreichtum?
10   Wann endet der Eisenerzboom?
12   Fehlspekulation bei Erdgas?
13   Auswirkungen der Spekulation
     auf den Rohstoffhandel
15   Niedrige Steuern auf Rohstoffabbau

17   Stärken und Schwächen nach 20 Jahren
     Wachstum: Solide Fiskalpolitik, aber
     schlechte Infrastruktur
17   Grundsolide Fiskalpolitik
18   Achillesferse (Außen-)Verschuldung
21   Australien und die globale Wirtschaftskrise

24   Australiens außenwirtschaftliche
     Verflechtungen
24   Die wachsende Bedeutung des
     asiatisch-pazifischen Raums
24   Handelsbündnisse im
     asiatisch-pazifischen Raum
28   Australien und aufstrebende Mächte:
     Konflikt oder Kooperation mit
     asiatischen Schwellenländern?
28   Enttäuschte Erwartungen: Das australisch-
     amerikanische Handelsabkommen
29   Australien und finanzpolitische
     Zusammenarbeit in Asien
31   Die Wirtschaftsbeziehungen zwischen
     Australien und Europa

33   Schlussbemerkungen: Was bleibt
     nach dem Boom?

34   Abkürzungsverzeichnis
PD Dr. Heribert Dieter ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der
Forschungsgruppe Globale Fragen und war Ko-Direktor der
»Warwick Commission on International Financial Reform«
Problemstellung und Empfehlungen

           Rohstoffboom und Kapitalimporte:
           Stolpersteine für die australische Wirtschaft?

           Anfang der 1990er Jahre litt Australien unter einer
           schweren Wirtschafts- und Finanzkrise. Ähnlich wie
           heute Europa kämpfte die Wirtschaft des Fünften
           Kontinents mit Überschuldung, Pleiten und düsteren
           Aussichten. Australiens Regierungen haben seitdem
           viele Reformen umgesetzt und damit insbesondere
           die öffentlichen Finanzen und den Finanzsektor über-
           durchschnittlich krisen- und zukunftssicher gemacht.
           In diesen beiden Bereichen kann Europa von den aus-
           tralischen Erfahrungen profitieren.
              Doch die Zukunft der australischen Wirtschaft birgt
           auch erhebliche Risiken. Der seit 1991 anhaltende
           Aufschwung ist nicht nur der nachhaltigen Fiskal-
           und Finanzmarktpolitik, sondern vor allem zwei
           weiteren Faktoren geschuldet. So erlebt Australien
           anders als die meisten anderen OECD-Länder eine bis-
           lang ungebrochene Hochkonjunktur des Immobilien-
           sektors. Viele Beobachter halten das Preisniveau für
           Eigentumswohnungen und Häuser in den Großstäd-
           ten für übertrieben hoch. Aus deutscher Perspektive
           noch wichtiger ist, dass Australien deswegen boomt,
           weil die Preise sowohl für agrarische als auch für
           mineralische Rohstoffe seit der Jahrtausendwende
           geradezu explodiert sind.
              Zu fragen ist daher, ob Australiens wirtschaftliche
           Entwicklung nachhaltig sein wird. Darauf liegt der
           Schwerpunkt dieser Studie. Dabei interessiert zu-
           nächst, ob und wie lange der Höhenflug bei den Roh-
           stoffpreisen anhalten wird. In der Diskussion werden
           dazu zwei grundsätzlich divergierende Thesen ver-
           treten. Die erste lautet, die Strukturveränderungen
           in der Weltwirtschaft – etwa der Aufstieg der BRIC-
           Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China) – würden
           bewirken, dass sich die Nachfrage nach Rohstoffen
           stetig erhöhe und das Angebot schrumpfe. Danach
           wären auch künftig hohe Preise zu erwarten und die
           Wohlstandsposition Australiens würde sich weiter
           verbessern. Nach dieser Lesart würde der »Superboom«
           kein Ende nehmen. Die zweite These dagegen besagt,
           Rohstoffpreise seien während des gesamten 20. Jahr-
           hunderts real gefallen und mittelfristig sei eine Rück-
           kehr zu diesem Trend wahrscheinlich. Gerade im
           Fall von Rohstoffen wie Eisenerz, bei denen es keinen
           Mangel, sondern nur temporär zu geringe Förder-

                                                                    SWP Berlin
Rohstoffboom und Kapitalimporte: Stolpersteine für die australische Wirtschaft?
                                                                November 2012

                                                                             5
Problemstellung und Empfehlungen

         kapazitäten gebe, wäre demnach zu vermuten, dass                       keinen Einfluss auf die Vermarktung australischer
         die Preise schon im laufenden Jahrzehnt deutlich                       Rohstoffe, so dass ein Regierungsabkommen nutzlos
         nachgeben werden.                                                      wäre.
            Für Deutschland und die deutsche Außenwirt-
         schaftspolitik sind diese Überlegungen von großer
         Bedeutung. Falls das Angebot vor allem an minerali-                    Empfehlungen
         schen Rohstoffen steigt und die realen Preise sinken,
         könnte die deutsche Wirtschaft wieder auf die markt-                   Australiens Fiskalpolitik hat es vorgemacht, wie
         wirtschaftliche Allokation von Rohstoffen setzen und                    sich nachhaltige Fiskalpolitik und hohes Wachstum
         darauf verzichten, staatliche Hilfen zu fordern. Damit                  verbinden lassen. Gerade für die Krisenstaaten
         würde es sich erübrigen, die Wirtschaft bei der Roh-                    Europas, aber auch für andere OECD-Staaten er-
         stoffversorgung staatlich zu unterstützen.                              geben sich aus diesem Modell wichtige Anreize
            Wenn sich abzeichnet, dass mineralische Rohstoffe                    für Reformen.
         spürbar billiger werden, sollten die deutsche und die                  Der Fall Australien zeigt zugleich, dass die Über-
         europäische Außenwirtschaftspolitik davon absehen,                      treibungen der letzten Jahre bei Rohstoffpreisen
         mittels staatlicher Interventionen die Versorgung der                   eine vorübergehende Erscheinung sind. Deutsch-
         Wirtschaft zu sichern. Stattdessen sollten sie mit Hilfe                land und die EU sollten deshalb nicht überstürzt
         aufsichtsrechtlicher Maßnahmen die Aktivitäten von                      eine staatliche Rohstoffpolitik entwickeln. Aufgabe
         Finanzmarktakteuren eindämmen, die durch deriva-                        der Wirtschaftspolitik bleibt es, dafür Sorge zu
         tive Produkte Einfluss auf die Preisentwicklung von                     tragen, dass Märkte funktionieren. Die direkte
         Rohstoffen nehmen. Derivate sind nützlich, um Preis-                    Versorgung der deutschen und europäischen Wirt-
         schwankungen abzufedern, aber ihre in den letzten                       schaft mit Rohstoffen sollte auch künftig von der
         Jahren stark ausgeweitete Nutzung hat zu Preisverzer-                   Privatwirtschaft, nicht vom Staat sichergestellt
         rungen geführt, die ohne ordnungspolitische Eingriffe                   werden.
         nicht beseitigt werden können.                                         Die jüngsten Entwicklungen im Rohstoffbereich
            Die zweite strukturelle Schwäche der australischen                   bestätigen, dass die Ausweitung des Angebots das
         Wirtschaft sind die anhaltenden Kapitalimporte. Aus-                    Preisniveau, insbesondere bei Eisenerz, beträchtlich
         traliens Außenverschuldung liegt auf einem gefähr-                      hat sinken lassen. Von September 2011 bis Septem-
         lich hohen Niveau, was die Akteure auf den internatio-                  ber 2012 fiel der Eisenerzpreis von 177 auf unter
         nalen Finanzmärkten bislang ignoriert haben. Sollten                    100 US-Dollar pro Tonne. Rohstoffpreise bleiben wie
         Europa und die USA in absehbarer Zeit ihre jeweiligen                   im gesamten 20. Jahrhundert auch nach dem Auf-
         Krisen überwinden, erscheint es recht wahrscheinlich,                   stieg Chinas und anderer Schwellenländer volatil.
         dass sich die Lage in Australien zuspitzt. Bisher lenken                Nicht die Politik, sondern die Marktteilnehmer sind
         die schweren Krisen in Europa und den USA von Aus-                      gefragt, übermäßige Schwankungen abzufedern,
         traliens Schwächen ab.                                                  und zwar durch langfristige Verträge oder deriva-
            Die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Australien                    tive Produkte.
         sollte auch künftig im Rahmen der multilateralen                       Australien sollte dem Beispiel anderer rohstoff-
         Ordnung stattfinden. Wenig sinnvoll erscheint eine                      extrahierender Ökonomien folgen und in Phasen
         stärkere institutionelle Absicherung, etwa durch ein                    hoher Rohstoffpreise Rücklagen für künftige Gene-
         Freihandelsabkommen oder eine Rohstoffpartner-                          rationen bilden.
         schaft. Die Produkte, die Australien anbietet, werden
         schon heute weitgehend zollfrei gehandelt, und in-
         folge der australischen Liberalisierungspolitik in den
         letzten Jahrzehnten ist etwa der Einfuhrzoll auf Autos
         in Australien heute halb so hoch wie der Zollsatz,
         den die EU selbst erhebt. Aus australischer Perspektive
         böte ein Freihandelsabkommen mit der Union nur
         dann Vorteile, wenn diese bereit wäre, den Agrar-
         handel zu liberalisieren. Realistisch ist dies nicht.
         Auch eine Rohstoffpartnerschaft mit Australien er-
         scheint wenig plausibel. Der australische Staat hat

         SWP Berlin
         Rohstoffboom und Kapitalimporte: Stolpersteine für die australische Wirtschaft?
         November 2012

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Einleitung

Einleitung

Australien ist ein reiches Land, das seit Gründung des                hat Australien den Boom durch üppige Kredite aus
Australischen Bundes im Jahr 1901 von politischen                     dem Ausland finanziert.
Unruhen verschont geblieben ist und in der inter-                        Während Australien in der Fiskalpolitik als Vorbild
nationalen Politik keine wichtige Rolle zu spielen                    dienen kann, ist die übrige Wirtschaftspolitik eher
scheint. Der Fünfte Kontinent wird auch in der                        von kurzfristigem Handeln gekennzeichnet. Ähnlich
wissenschaftlichen Analyse gerne übersehen. Dies                      wie in anderen angelsächsisch geprägten Ökonomien
ist bedauerlich, denn je genauer man Australien                       ist nachhaltiges Wirtschaften in Australien wenig
untersucht, desto mehr Lehren für andere Länder und                   verbreitet. Besonders deutlich wird dies bei der un-
Regionen ließen sich ziehen. In der Fiskalpolitik bei-                zureichenden Vorsorge für mögliche Risiken im
spielsweise hat Australien etwas vollbracht, was in                   Rohstoffsektor. Anders als etwa Norwegen oder die
Europa unmöglich zu sein scheint: Wirtschaftswachs-                   Russische Föderation hat Australien keine Rücklagen
tum und geringe Verschuldung wurden erfolgreich                       gebildet, um auf nachgebende Rohstoffpreise reagie-
miteinander verknüpft.                                                ren zu können. Vor allem hat es die australische
   Seit Überwindung der letzten schweren Wirt-                        Politik versäumt, den schleichenden Tod der verarbei-
schaftskrise in den Jahren 1990/91 hat die australische               tenden Industrie zu bekämpfen, den der Rohstoff-
Volkswirtschaft eine lang anhaltende Phase hohen                      boom und der damit verbundene gestiegene Wechsel-
Wachstums durchlaufen. In diesem nun schon über                       kurs des australischen Dollar verursacht haben.
20 Jahre währenden Höhenflug stieg der Lebensstan-                       Für die deutsche Außenpolitik ist nicht zuletzt
dard schneller als in anderen OECD-Ländern, die                       Australiens Rolle im asiatisch-pazifischen Raum von
Arbeitslosigkeit sank auf ein Rekordtief und die                      Interesse. Der Fünfte Kontinent hat ohne große
Staatsverschuldung bewegt sich auf außerordentlich                    Fortune bilaterale Präferenzabkommen in der Region
niedrigem Niveau. 1 Der Aufschwung erreichte auch                     vereinbart. Wichtiger als die handelspolitische Zu-
die australischen Arbeitnehmer: Zwischen 1992 und                     sammenarbeit ist jedoch Australiens Stellenwert für
2006 wuchs nicht nur die Pro-Kopf-Wirtschaftsleistung                 die finanzpolitische Kooperation in der Region.
(zu konstanten Preisen) um gut ein Fünftel (9000 US-                     In dieser Studie wird die wirtschaftliche Entwick-
Dollar), sondern auch die Einkommen stiegen anders                    lung und Lage Australiens untersucht. Dabei gilt die
als in einigen anderen OECD-Ländern deutlich an. 2                    Aufmerksamkeit zunächst dem Rohstoffsektor. Die
   Australiens Boom fußte auf einer stetig hohen                      Zukunft dieses Sektors mitsamt seinen Risiken ist
Binnennachfrage und, insbesondere nach der Jahr-                      besonders bedeutsam für Deutschland und die Welt-
tausendwende, auf einer hohen Nachfrage nach aus-                     wirtschaft. Sodann wird die aktuelle wirtschaftliche
tralischen Primärgütern bei stark gestiegenen Preisen,                Lage in den Blick genommen. Dabei zeigt sich, dass
vor allem mineralischen Rohstoffen. Australiens Öko-                  Australien zwar eine nachhaltige Fiskalpolitik be-
nomie lebt auch im 21. Jahrhundert überwiegend vom                    treibt, mit seiner privaten Außenverschuldung jedoch
Export agrarischer und mineralischer Rohstoffe. Der                   einen gefährlichen Kurs steuert. Dessen mögliche
Anstieg der Rohstoffpreise in der ersten Dekade hat                   Abgründe werden von der australischen Politik und
diese Abhängigkeit weiter verschärft, und im selben                   Australiens ausländischen Kreditgebern weitgehend
Zeitraum ist die verarbeitende Industrie des Landes                   ausgeblendet. Die Vernachlässigung von Risiken
weiter zurückgefallen. Steigende Immobilienpreise                     genau dieser Art aber hat Spanien, Irland und die
spielten für den Aufschwung eine zentrale Rolle, so                   USA in eine schwere Finanzkrise gestürzt.
wie in den USA und Großbritannien auch. Zugleich                         Als Nächstes werden Australiens außenwirtschaft-
                                                                      liche Verflechtungen analysiert. Im Mittelpunkt
                                                                      stehen dabei nicht nur die Beziehungen zu den auf-
  1 Vgl. Organisation for Economic Co-operation and Develop-
                                                                      strebenden asiatischen Volkswirtschaften, sondern
  ment (OECD), Economic Survey Australia 2010, Paris 2010, S. 11f.    auch die Perspektiven für eine Vertiefung der Be-
  2 Vgl. OECD, Economic Survey Australia 2008, Paris 2008, S. 19.     ziehungen zwischen Europa und dem Fünften Konti-

                                                                                                                               SWP Berlin
                                                           Rohstoffboom und Kapitalimporte: Stolpersteine für die australische Wirtschaft?
                                                                                                                           November 2012

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Einleitung

             nent. Zum Schluss wird diskutiert, ob Australien auch
             mittelfristig ein Modell für andere Volkswirtschaften
             bleiben kann. In der gesamten Analyse wird ein beson-
             deres Augenmerk auf die Geschichte der australischen
             Wirtschaft und Außenwirtschaftspolitik gelegt. Vor
             allem das auf den ersten Blick gute, letztlich aber
             substanzarme Verhältnis Australiens zu den Staaten
             der EU ist kaum zu verstehen, wenn historische
             Entwicklungslinien außer Acht gelassen werden.

             SWP Berlin
             Rohstoffboom und Kapitalimporte: Stolpersteine für die australische Wirtschaft?
             November 2012

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Fluch Rohstoffreichtum?

Nach dem Höhenflug:
Der Rohstoffsektor und das Ende der Übertreibungen

Die australische Wirtschaft lebte lange »on the sheep’s      Landes hemmen und beeinträchtigen kann. Ein Boom
back«, war also von Produktion und Export landwirt-          im Rohstoffsektor lässt Löhne und Renditeerwartun-
schaftlicher Produkte, vorwiegend Wolle, abhängig.           gen auch im industriellen Sektor steigen, der mit
Während andere Branchen durch Zölle und hohe                 importierten Produkten konkurrieren muss.3
Transportkosten nach Australien geschützt waren und             Anders als heute häufig diskutiert sind Wechsel-
sich nicht zum Weltmarkt hin orientierten, produ-            kurseffekte bei der Entstehung der holländischen
zierten die australischen Farmer von Beginn der angel-       Krankheit nicht notwendigerweise von Belang. Auch
sächsischen Besiedlung an für den Export. Der Agrar-         in einem System fester Wechselkurse sind die von
sektor war wie auch der übrige Primärgütersektor             Gregory analysierten negativen Effekte zu beobachten.
stets gezwungen, rentabel und ohne Subventionie-             Freilich kann in einem System flexibler Wechselkurse
rung zu wirtschaften.                                        die Aufwertung der Landeswährung zusätzlichen
   Agrarprodukte waren die ersten Exportschlager             Problemdruck erzeugen, denn bei einem Rohstoff-
Australiens. Wolle, Rindfleisch und Weizen brachten          boom untergräbt sie obendrein die Wettbewerbs-
wirtschaftlichen Aufschwung in den damals noch               fähigkeit. Genau diese Konstellation prägt seit einigen
britischen Kolonien und stellen noch heute wichtige          Jahren die Lage der verarbeitenden Industrie in Aus-
Exportgüter dar. Die Schwäche der australischen              tralien.
Industrie lässt sich teilweise mit der Stärke der Woll-         Galt die australische Wirtschaft bis ins neue Jahr-
produktion erklären. Die hohe Produktivität des              tausend hinein wegen der großen Bedeutung von
Wolle erzeugenden Agrarsektors reduzierte die Nei-           Rohstoffexporten als rückständig, so machte sich in
gung, Ressourcen in die verarbeitende Industrie zu           der ersten Dekade des 21. Jahrhunderts eine Art neuer
verlagern. Die frühe Dominanz des Primärsektors              Goldrausch breit. Die massiv gestiegenen Rohstoff-
bewirkte, dass weder private noch öffentliche Mittel         preise beflügelten die australische Wirtschaft. Nicht
in den verarbeitenden Sektor flossen. Nötige Investi-        Gefahren des Rohstoffreichtums, sondern die enor-
tionen in Forschung und Entwicklung wurden gleich-           men Preisanstiege waren das bestimmende Thema.
falls versäumt. Der lang anhaltende Erfolg des Primär-       Der Fünfte Kontinent profitierte besonders davon, da
sektors endete für die australische Wirtschaft in einer      er enorme Reserven an mineralischen Rohstoffen
Sackgasse.                                                   besitzt. Gold, Diamanten, Mineralsände, Kupfer, Blei,
                                                             Eisenerz, Bauxit, Öl und Gas werden in Australien
                                                             gefördert. Das Land verfügt über 12 Prozent der be-
Fluch Rohstoffreichtum?                                      kannten Vorkommen von Eisenerz. Auch bei Blei
                                                             (13 Prozent), Bauxit (12 Prozent) und Zink (10 Prozent)
Die Folgen des Rohstoffreichtums wurden in Austra-           sind vergleichbar hohe Reserven zu verzeichnen. 4
lien intensiv untersucht. Es erwies sich, dass Rohstoffe     Daneben hat Australien große Vorkommen an Stein-
nicht unbedingt ein Segen für eine Volkswirtschaft           kohle und Uran. Seit einigen Jahren werden zuneh-
sind. Der australische Ökonom Robert Gregory setzte          mend Gaslagerstätten an den Küsten Australiens
sich mit den Folgen eines Rohstoffbooms für die Öko-         erschlossen. Die Gasreserven im Nord-West-Festland-
nomie des Landes auseinander. Sein Theorem ist seit          sockel gehören zu den größten der Welt. Anders
1977 als holländische Krankheit (Dutch disease) be-          gesagt: Nahezu alle Rohstoffe, die Asiens rasch wach-
kannt: So bezeichnete man den Bedeutungsrückgang             sende Volkswirtschaften benötigen, kommen in
des verarbeitenden Sektors nach den Erdgasfunden             Australien vor.
vor der niederländischen Küste. Bis zu jenem Zeit-
                                                                3 Vgl. Robert G. Gregory, »Some Implications of the Growth
punkt hatte man angenommen, Rohstoffreichtum
                                                                of the Mineral Sector«, in: Australian Journal of Agricultural
begünstige grundsätzlich den Entwicklungsprozess.               Economics, 20 (August 1976) 2, S. 71–91.
Gregory hatte aber schon zuvor nachgewiesen, dass               4 Vgl. The Economist Intelligence Unit, Country Profile Austral-
Rohstoffreichtum die industrielle Entwicklung eines             ia 2008, London u.a. 2008, S. 17.

                                                                                                                      SWP Berlin
                                                  Rohstoffboom und Kapitalimporte: Stolpersteine für die australische Wirtschaft?
                                                                                                                  November 2012

                                                                                                                                   9
Nach dem Höhenflug: Der Rohstoffsektor und das Ende der Übertreibungen

          Tabelle 1
          Australiens Vorkommen und Exporte mineralischer Rohstoffe im Rechnungsjahr 2008/09

          Rohstoff                     Exporte 2008/09              Anteil an den           Ergiebigkeit der         Weltrangliste: Position
                                       (in Mrd. australischen       Rohstoffexporten        bekannten Lagerstätten   Australiens im Vergleich
                                       Dollar)                      (in %)                  (in Jahren)              zu den Vorkommen
                                                                                                                     anderer Länder
          Steinkohle                     54,7                         33,9                   90                       6
          Eisenerz und Stahl             35,6                         22,0                   70                       3
          Gold                           16,1                         10,0                   30                       2
          Aluminium                      10,9                          6,8                   85                       2
          LNG (Flüssiggas)               10,1                          6,2                   60                      14
          Rohöl                           8,8                          5,4                   10                       3
          Kupfer                          5,9                          3,6                   85                       2
          Nickel                          2,7                          1,6                  130                       1
          Zink                            1,9                          1,2                   35                       1
          Mangan                          1,4                          0,9                   20                       4
          Uran                            1,0                          0,6                  125                       1
          Andere                         12,5                          7,8                     /                       /
          Gesamtexporte                161,6                        100,0                     –                       –

          Quelle: OECD, Economic Survey Australia 2010 [wie Fn. 1], S. 44.

             Auf den ersten Blick erwies es sich für Australien                  Wann endet der Eisenerzboom?
          als sehr nützlich, dass die Rohstoffpreise seit der Jahr-
          tausendwende in die Höhe schossen, nachdem sie in                      Es stellt sich indes die Frage, ob der Rohstoffpreis-
          den vier Dekaden vor dem Jahr 2000 auf niedrigem                       boom anhalten wird. Historisch gesehen sind Rohstoff-
          Niveau verharrt hatten. Die australischen »terms of                    preise stets stark schwankend und von einem länger-
          trade« bewegten sich von 1959 bis 2000 in einem                        fristigen Preisverfall geprägt gewesen. Seit den 1950er
          relativ schmalen Band mit Indexwerten zwischen                         Jahren sind Preise für Metalle im Schnitt um 1,6 Pro-
          80 und 120 (1959 = 100). 5 Bis zum Jahr 2010 dagegen                   zent pro Jahr gefallen. Dieser Trend wurde zwar in der
          schraubte sich der Wert auf den Rekord von über 170.                   ersten Dekade des 21. Jahrhundert gebrochen, doch
          Vereinfachend gesagt bedeutet dies, dass Australien                    ist zu fragen, ob es sich um eine dauerhafte Wende
          für die gleiche Menge von Industriegüterimporten                       handelt oder um eine Ausnahmesituation, die durch
          immer weniger Rohstoffe exportieren muss. 6 Glenn                      mehrere Einflussgrößen auf der Nachfrage- und
          Stevens, Direktor der australischen Zentralbank,                       Angebotsseite hervorgerufen wurde. Drei Faktoren
          illustrierte dies mit einem Vergleich: 2006 hätte eine                 könnten einen Preisverfall verursachen, der Australien
          Schiffsladung Eisenerz für den Kauf von 2000 Flach-                    empfindlich treffen würde:
          bildfernsehern ausgereicht, 2011 dagegen hätte man                        Erstens haben die hohen Rohstoffpreise schon
          schon 22 000 Fernseher dafür bekommen. 7                               zu massiven Neuinvestitionen geführt, vor allem in
                                                                                 Afrika, Lateinamerika und Australien. Die in wenigen
                                                                                 Jahren zu erwartende Ausweitung des Angebots an
               5 Als »terms of trade« werden die Austauschrelationen im
               internationalen Handel bezeichnet. Je höher die Zahl, desto       mineralischen Rohstoffen und Metallen wird die Prei-
               weniger muss eine Volkswirtschaft für den Import von Waren        se vermutlich sinken lassen.
               aufwenden. Umgekehrt weisen sinkende »terms of trade«                Zweitens begünstigen hohe Rohstoffpreise die Ent-
               darauf hin, dass eine Ökonomie immer mehr Güter ans Aus-          wicklung neuer, alternativer Technologien. Ein Bei-
               land verkaufen muss, um die gleiche Importmenge zu bezah-
                                                                                 spiel ist der Ersatz von Kupferkabeln durch Glasfaser-
               len.
               6 Vgl. OECD, Economic Survey Australia 2010 [wie Fn. 1], S. 24.
                                                                                 kabel, für deren Herstellung man im Wesentlichen
               7 Vgl. John Grimond, »No Worries? Special Report: Australia«,     nur den praktisch unbegrenzt verfügbaren Quarzsand
               in: The Economist, 28.5.2011, S. 5.                               benötigt. Auch im Bereich von Energierohstoffen wird

          SWP Berlin
          Rohstoffboom und Kapitalimporte: Stolpersteine für die australische Wirtschaft?
          November 2012

          10
Wann endet der Eisenerzboom?

in den Industrieländern mit Hochdruck an neuen                          Börse und dem Verbot, Kapital zu exportieren, sind
Technologien und Einsparmöglichkeiten gearbeitet.                       chinesische Anleger mit einem Anlagenotstand kon-
   Drittens sind die Vorkommen der meisten Metalle                      frontiert. Wohnungen verhießen einen Ausweg.
beträchtlich und Knappheit besteht nicht wegen zu                       Für die chinesische Regierung war der Bauboom in
kleiner Reserven, sondern wegen temporär zu gerin-                      doppelter Hinsicht nützlich. Zum einen sorgte er für
ger Förderkapazität.                                                    ein politisch willkommenes hohes Maß an Beschäfti-
   Die OECD hat in ihrem bisher letzten Economic                        gung. Zum anderen erzeugte er eine Wohlstands-
Survey die Erwartung geäußert, dass mittelfristig die                   illusion bei den Immobilienbesitzern, deren vermeint-
Rohstoffpreise wahrscheinlich wieder fallen werden. 8                   lich steigender Wohlstand ebenfalls zur Stabilisierung
Allerdings hatten sowohl die australische Regierung                     des politischen Systems beigetragen hat. Das Problem
als auch die Bergbauindustrie dies lange anders ein-                    ist nun, dass viele Chinesen die gleiche Einschätzung
geschätzt und einen anhaltenden Boom erhofft. Aber                      hatten und weit über den Bedarf hinaus in Immobi-
das Blatt scheint sich im Laufe des Jahres 2012 zu                      lien investierten. Das Ergebnis ist ein gigantisches
wenden. Australiens Rohstoffkonzerne wechseln die                       Überangebot, das sich in enormem Leerstand nieder-
Tonart und werden vorsichtig. 9                                         schlägt.
   BHP Billiton, der größte Bergbaukonzern der Welt,                       Die chinesische Regierung liefert keine verläss-
rechnet damit, dass Nachfrage und Preise zurück-                        lichen Zahlen über das Ausmaß des Leerstands, was
gehen, und überprüft nun geplante Investitionen,                        nicht überrascht, da dies politische Turbulenzen
etwa den auf 20 Milliarden australische Dollar ver-                     heraufbeschwören könnte. Peking hat ein Interesse
anschlagten Ausbau des westaustralischen Erzhafens                      daran, die Vermögensillusion der chinesischen
Port Hedland. 10 Von September 2011 bis September                       Mittelschicht nicht in Frage zu stellen. Informationen
2012 ist der Preis für Eisenerz deutlich gefallen, von                  kommen nur aus nicht-chinesischen Quellen: Der
177 auf unter 100 US-Dollar pro Tonne. Aus Australien                   staatliche australische Fernsehsender SBS hat im Jahr
stammen 40 Prozent der chinesischen Eisenerzimpor-                      2011 in einer großen Reportage über chinesische
te und 33 Prozent der Einfuhren von Kohle. Lässt das                    Geisterstädte berichtet und geschätzt, dass in China
Wachstum in China nach, könnten erhebliche Export-                      um die 64 Millionen Wohnungen leer stehen. 12 Auch
einbrüche in Australien die Folge sein. 11 Eisenerz ist                 die britische BBC bestätigt, dass es in China Geister-
nach Steinkohle das zweitwichtigste mineralische                        städte gibt, deren Existenz auf Fehlinvestitionen
Exportgut Australiens und hat deshalb große Bedeu-                      beruht. 13 Die englische Zeitung Daily Mail veröffent-
tung für die Wirtschaft des Landes.                                     lichte im Jahr 2011 Satellitenaufnahmen, die große,
   Zu bedenken ist, dass ein großer Teil des in China                   ungenutzte Neubausiedlungen zeigen. 14 Im Jahr 2012
verbrauchten Eisens für den Wohnungsbau genutzt                         sind die Immobilienpreise offenbar gesunken. Aller-
wird. In Europa wird die chinesische Immobilienblase                    dings scheint ein Niveau von 3700 Euro pro Quadrat-
bislang noch nicht ausreichend zur Kenntnis genom-                      meter in Pekinger Trabantenstädten noch immer
men. Falls der schon heute zu beobachtende riesige                      reichlich hoch zu sein. 15 Ein Durchschnittsverdiener
Überhang an Wohnungen bewirkt, dass die Bautätig-
                                                                           12 Adrian Brown, »China’s Ghost Cities«
keit abnimmt – und dies ist eigentlich nur eine Frage
                                                                           [Fernsehdokumentation], SBS One, 20.3.2011,
der Zeit –, wird die Nachfrage nach Eisenerz drastisch                      (eingesehen am 30.4.2012).
   Was ist über die Bautätigkeit in China bekannt?                         13 Peter Day, »Ordos: The Biggest Ghost Town in China«, in:
Für chinesische Bürgerinnen und Bürger ist der Kauf                        BBC News Magazine, 17.3.2012,  (eingesehen am 30.6.2012).
                                                                           14 »China’s Ghost Towns: New Satellite Pictures Show
Alter vorzusorgen. Angesichts niedriger Zinsen auf
                                                                           Massive Skyscraper Cities which Are STILL Completely
Spareinlagen, einer bereits sehr hoch bewerteten                           Empty«, in: [Daily] Mail online, 
  9 Christoph Hein, »Die großen Rohstoffkonzerne rudern                    (eingesehen am 30.6.2012).
  zurück«, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 21.5.2012, S. 12.           15 Christian Geinitz, »China: Aus der Immobilienblase ent-
  10 »BHP Billiton stellt alle Ausbaupläne auf den Prüfstand«,             weicht die Luft«, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 1.5.2012,
  in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 4.8.2012, S. 15.                      (ein-
  beeindruckt«, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 2.8.2012, S. 18.       gesehen am 8.8.2012).

                                                                                                                                 SWP Berlin
                                                             Rohstoffboom und Kapitalimporte: Stolpersteine für die australische Wirtschaft?
                                                                                                                             November 2012

                                                                                                                                         11
Nach dem Höhenflug: Der Rohstoffsektor und das Ende der Übertreibungen

          in China muss 36 Jahresgehälter für eine durch-                        das Angebot, worauf ein Preisanstieg und im An-
          schnittliche Wohnung aufwenden, während in Singa-                      schluss Neuinvestitionen zu beobachten sind. Das
          pur 18, in New York 12 und in Frankfurt fünf Jahres-                   ausgeweitete Angebot übersteigt dann aber die Nach-
          gehälter dafür ausreichen. 16                                          frage, und die sinkenden Preise führen zu niedrigen
             Falls die genannten Schätzungen akkurat sein soll-                  Investitionen. Dieser Mechanismus, von Volkswirten
          ten, könnten in Chinas Geisterstädten rund 200 Millio-                 als »Schweinezyklus« bezeichnet, kennzeichnet vor
          nen Menschen ein neues Zuhause finden, ohne dass                       allem Märkte für agrarische Rohstoffe, bei denen die
          dafür eine einzige neue Wohnung gebaut werden                          Markteintrittskosten besonders niedrig sind. 18
          müsste. Auch der Vergleich mit Spanien verdeutlicht,                      Wie zu erwarten war, hat das hohe Preisniveau für
          welch krasse Fehlentwicklung in China stattfindet: In                  mineralische Rohstoffe einen wahren »Goldrausch«
          Spanien stehen (bei 46 Millionen Einwohnern) etwa                      ausgelöst. Insgesamt befinden sich in Australien
          eine Million Wohnungen leer, 17 in China (bei 1300                     neue Projekte mit einem Investitionsvolumen von
          Millionen Einwohnern) 64 Millionen Wohnungen. Der                      588 Milliarden australischen Dollar in der Vorberei-
          Leerstandsquotient (Leerstand pro 1000 Einwohner)                      tung. Davon sollen 231 Milliarden nach Westaustra-
          beträgt in Spanien 22 und in China 49. Danach sind in                  lien und 75 Milliarden nach Queensland fließen. 19
          China also mehr als doppelt so viele Wohnungen                         Diese enormen Erweiterungsinvestitionen werden
          unbewohnt wie im krisengeschüttelten Spanien.                          fast zwangsläufig bewirken, dass die realen Preise für
             Im Mittelpunkt dieser Studie stehen indes nicht                     mineralische Rohstoffe in den Keller rutschen.
          die Auswirkungen der vermutlich gerade platzenden
          Immobilienblase auf die Stabilität von Chinas politi-
          schem System und der dortigen Banken, sondern die                      Fehlspekulation bei Erdgas?
          Folgen für Australien. Chinas Bauindustrie ist für
          etwa 40 Prozent des landesweiten Stahlverbrauchs                       Ein Rohstoff, der für Australiens Exporte spürbar an
          verantwortlich. Ein Rückgang der Bautätigkeit auf die                  Relevanz gewonnen hat, ist verflüssigtes Erdgas.
          Hälfte des Spitzenwertes würde den chinesischen                        Gerade weil die Perspektiven von Energieausfuhren
          Stahlverbrauch um 20 Prozent verringern. Der Preis-                    zeitweilig als sehr rosig beurteilt wurden, ist die
          druck auf Eisenerzproduzenten, aber auch Stahl-                        Untersuchung der Gasexporte wichtig für die Wirt-
          hersteller wäre allem Anschein nach extrem hoch.                       schaft des Fünften Kontinents.
             Neben dem möglicherweise sinkenden Verbrauch                           Aufgrund der isolierten geographischen Lage des
          ist das wachsende Angebot ein weiterer Faktor, der                     Landes ist es nicht zweckmäßig, australisches Erdgas
          den Rohstoffproduzenten Australien in Bedrängnis                       über ein Pipelinenetzwerk zu transportieren. Statt-
          bringen könnte. Dies gilt insbesondere für Rohstoffe,                  dessen setzen die Ölkonzerne auf die Verflüssigung
          bei denen es keinen physischen Mangel, sondern                         des Gases. Im September 2009 verkündeten Chevron,
          höchstens zu wenig Abbaukapazitäten gibt. An erster                    Exxon und Shell, dass sie rund 25 Milliarden Euro
          Stelle steht hier Eisenerz. Gut fünf Prozent der Erd-                  investieren wollten, um das Gorgon-Gasfeld 50 Kilo-
          kruste bestehen daraus. Was gegenwärtig fehlt, sind                    meter vor der Küste Westaustraliens zu erschließen.
          Bergwerke zum Erzabbau, aber Eisen selbst ist alles                    Während ihrer auf 30 Jahre ausgelegten Lebensdauer
          andere als knapp.                                                      soll die Anlage Exporte im Wert von 300 Milliarden
             Beim Eisenerz zeigt sich einmal mehr die Bedeu-                     und Steuereinnahmen in Höhe von 40 Milliarden
          tung des zyklischen Verhaltens von Anbietern. In                       australischen Dollar erwirtschaften. Das Gorgon-
          Zeiten niedriger Preise wird nur wenig in den Ausbau                   Gasfeld soll acht Prozent des weltweiten Verbrauchs
          von Produktionskapazitäten investiert. Dies verknappt                  an Flüssiggas decken. 20 Gorgon ist indessen nur eines

               16 Patrick Chovanec, »China’s Real Estate Bubble May Have            18 Erstmals systematisch untersucht hat diese Zusammen-
               just Popped«, in: Foreign Affairs, 18.12.2011,  (eingesehen am 8.8.2012).            Jahr 1928. Vgl. Arthur Hanau, »Die Prognose der Schweine-
               17 Vgl. Michael Psotta, »Die Schrottwohnungen im Inneren             preise«, Berlin: Institut für Konjunkturforschung, 1928
               Spaniens«, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 1.7.2012,  (eingesehen am 15.8.2012).               20 Christoph Hein, »Das Zauberwort lautet Flüssiggas«, in:

          SWP Berlin
          Rohstoffboom und Kapitalimporte: Stolpersteine für die australische Wirtschaft?
          November 2012

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Auswirkungen der Spekulation auf den Rohstoffhandel

von zahlreichen Projekten zur Erzeugung von Flüssig-                Anbieter im laufenden Jahrzehnt zu einem ernst-
gas. Gegenwärtig sind Investitionen in Höhe von                     haften Konkurrenten für die australischen Gasprodu-
180 Milliarden australischen Dollar zur Erschließung                zenten avancieren. Im Jahr 2017 könnten die USA drei
neuer Lagerstätten geplant. Per Saldo will Australien               Milliarden Kubikfuß Flüssiggas pro Tag exportieren,
seine Flüssiggasexporte bis zum Ende der laufenden                  etwa ein Drittel des für 2017 geplanten australischen
Dekade vervierfachen und Katar als bedeutendsten                    Exportvolumens. 26 Arthur Hanaus »Schweinezyklus«
Flüssiggasexporteur ablösen. 21                                     funktioniert offenbar auch auf den Energiemärkten.
   Ähnlich wie beim Eisenerz scheinen sich aber auch
die Investoren beim Flüssiggas verrechnet zu haben.
Australisches Gas ist teuer, und weil das Angebot                   Auswirkungen der Spekulation
wächst, stehen die Gasmärkte vor drastischen Ver-                   auf den Rohstoffhandel
änderungen, die die australischen Anbieter weit
zurückwerfen dürften.                                               Rohstoffmärkte waren schon immer volatil und
   Die beträchtlichen Kosten sind unter anderem den                 reagierten auf die unterschiedlichsten Einflüsse, etwa
hohen Löhnen in Westaustralien geschuldet. Schon                    Dürren, Fluten oder Tierseuchen, mit heftigen Preis-
auf dem Festland kassieren angelernte Arbeiter in den               schwankungen. In den letzten Jahren ist aber eine
Minen Jahresgehälter von 100 000 Euro und mehr. 22                  qualitative Veränderung der Rohstoffmärkte festzu-
Für die zur Gaserschließung notwendigen Spezialis-                  stellen: Die Finanzmärkte haben den Rohstoffhandel
ten, die auf Bohrinseln vor der Küste arbeiten müssen,              als neues Betätigungsfeld entdeckt.
liegen die Löhne noch deutlich höher. Die Produk-                      Bei der Analyse, welche Folgen das verstärkte Auf-
tionskosten für australisches Flüssiggas bewegen sich               treten von Spekulanten auf den Rohstoffmärkten hat,
auch deshalb bei sechs bis acht US-Dollar pro Million               gibt es zwei diametral entgegengesetzte Interpreta-
British Thermal Units (BTU). 23 Solange auf den Kassa-              tionen. Die erste besagt, dass spekulative Aktivitäten
Märkten in Asien jedoch Preise von etwa 16 US-Dollar                nützlich und zugleich unschädlich sind. 27 Vertreter
pro Million BTU bezahlt werden, liegt dies noch im                  dieser Argumentationslinie bestreiten, dass die ge-
Rahmen. 24 Das Problem ist ein anderes: die Energie-                häufte Nutzung derivativer Instrumente sich auf die
wende in den USA. Dort ist durch die Erschließung                   Kassa-Märkte auswirkt. 28 Mit anderen Worten: Speku-
nicht-konventioneller Lagerstätten der Preis auf das                lation habe keinen Einfluss darauf, zu welchem Preis
Zehnjahrestief von unter drei US-Dollar pro Million                 Rohstoffe von Anbietern verkauft und von Abnehmern
BTU gefallen. 25 Was in den USA noch fehlt, sind An-                gekauft werden. 29
lagen zur Verflüssigung des Gases, aber diese befinden                 Die zweite, stichhaltigere Position dagegen lautet,
sich im Bau. Wahrscheinlich werden amerikanische                    dass die Zunahme spekulativer Geschäfte die Rohstoff-

  Frankfurter Allgemeine Zeitung, 2.7.2010,  (eingesehen am 20.11.2012).                27 Die Begriffe Spekulation und spekulative Aktivitäten
  21 Rebekah Kebede, »Gas Projects in Australia Hit Obstacles«,        werden in dieser Studie synonym benutzt. Als Spekulation
  in: International Herald Tribune, 24.1.2012, S. 16.                  wird der Einsatz derivativer Instrumente bezeichnet, wenn
  22 Die hohen Löhne sorgten für einen Rationalisierungs-              diese nicht zur Preissicherung, sondern zur Gewinnerzielung
  schub. Der Bergbaukonzern Rio Tinto hat 150 vollautomati-            genutzt werden. Ein Bauer, der im Mai die Ernte des Monats
  sierte Lastwagen beim japanischen Hersteller Komatsu be-             August mittels eines Derivats verkauft und damit seine künf-
  stellt, die eine Nutzlast von je 300 Tonnen haben und von            tigen Einnahmen sichert, spekuliert nicht. Eine Bank jedoch,
  Perth aus ferngesteuert im 24-Stunden-Betrieb laufen sollen.         die auf fallende oder steigende Preise setzt, ohne den Rohstoff
  Vgl. Amanda O’Brien, »Rio Hits Top Gear with New Robot               zu besitzen (und ohne die Absicht, diese je zu erwerben),
  Fleet for the Pilbara«, in: The Australian, 3.11.2011, S. 22.        spekuliert.
  23 »British Thermal Unit« ist eine Maßeinheit zur Messung            28 Derivate oder derivative Produkte sind Finanzmarkt-
  des Energiegehalts eines Rohstoffs.                                  instrumente, die keinen eigenen Wert haben, sondern deren
  24 Kassa-Märkte, im Englischen »spot markets« genannt, sind          Wert von Gütern oder Wertpapieren abgeleitet wird. Derivate
  die Märkte, auf denen Waren und Wertpapiere, jedoch keine            werden auch als Finanztermingeschäfte bezeichnet.
  Derivate gehandelt werden.                                           29 Vgl Ingo Pies, »Die Moral der Agrar-Spekulation«, in:
  25 Vgl. Guy Chazan, »Chevron Bets on the ›Goldilocks‹ of             Frankfurter Allgemeine Zeitung, 31.8.2012,  (eingesehen am 8.8.2012).                                       18.10.2012).

                                                                                                                             SWP Berlin
                                                         Rohstoffboom und Kapitalimporte: Stolpersteine für die australische Wirtschaft?
                                                                                                                         November 2012

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Nach dem Höhenflug: Der Rohstoffsektor und das Ende der Übertreibungen

          märkte strukturell verändert habe und diese im                          erneut ein Geschäft abgeschlossen – mit neuer Lauf-
          21. Jahrhundert zur Spielwiese von Spekulanten                          zeit, aber wiederum auf einen Anstieg setzend. Die
          geworden seien. Deren Herdenverhalten könne das                         Indexfonds treten damit in direkte Konkurrenz zu
          Preisniveau zumindest zeitweise beeinflussen. 30 Das                    anderen Käufern von Futures, die diese aber nicht
          heiße, wenn viele Akteure auf steigende Preise setzen                   zu spekulativen Zwecken einsetzen, sondern um ihre
          und zudem derivative Produkte verwenden würden,                         Produktion abzusichern. Dies können Nahrungs-
          könnten die Preise temporär in die Höhe schnellen.                      mittelhersteller sein oder auch Eisenhütten.
          Langfristig werde sich die durch Finanzinnovationen                        George Soros, einer der prominentesten Spekulan-
          beflügelte Hochpreisphase abschwächen, aber einige                      ten der Welt, hat schon im Jahr 2008 vor den Folgen
          Jahre lang könnten solche Übertreibungen durchaus                       des zunehmenden Einflusses institutioneller Investo-
          Bestand haben.                                                          ren auf die Rohstoffmärkte gewarnt. Soros stellte fest,
             Nicht zu bezweifeln ist jedenfalls, dass die Rohstoff-               dass die spekulativen Einflüsse die Preise auf den Roh-
          märkte sich gewandelt haben. Noch Ende der 1990er                       stoffmärkten verändern können – sie setzen auf ein
          Jahre waren an den Warenterminbörsen, allen voran                       bestimmtes Ergebnis und haben genug Macht, den
          die führende Börse in Chicago, Spekulanten in der                       Markt aus dem Gleichgewicht zu bringen. 34 Diese
          Minderheit. Die meisten Transaktionen wurden von                        durch die Spekulation getriebene Entwicklung hat
          Marktteilnehmern getätigt, die ein direktes Interesse                   den Charakter einer sich selbst erfüllenden Erwar-
          daran hatten, einen bestimmten Preis zu sichern. Dies                   tung: Alle reden über ein neues Paradigma, alle
          heißt, dass Einkäufer, etwa eine Brotfabrik, und Ver-                   wetten auf eine neue Epoche, und zumindest zeit-
          käufer, beispielsweise ein Bauer oder ein Getreide-                     weilig können die erwarteten Ergebnisse tatsächlich
          händler, Sicherungsgeschäfte (hedging) abgeschlossen                    eintreten.
          haben. Im Oktober 1998 betrug das Verhältnis von                           Allerdings hat diese Entwicklung wenig mit
          Sicherungsgeschäften zu reinen Finanzwetten an der                      marktwirtschaftlichen Preisfindungsprozessen zu tun,
          Chicagoer Weizenbörse 70,5 zu 29,5 Prozent. Zehn                        sondern offenbart Anzeichen des von der britischen
          Jahre später hatte sich das Verhältnis genau umge-                      Ökonomin Susan Strange schon vor vielen Jahren so
          kehrt und lag nun bei 25,1 zu 74,9 Prozent. 31 Die Euro-                bezeichneten »Mad Money«. Strange schrieb das
          päische Kommission hat auf stark gestiegene Aktivi-                     gleichnamige Buch kurz vor ihrem Tod im Jahr 1998
          täten institutioneller Investoren auf den Rohstoff-                     und kritisierte darin scharf die Untätigkeit staatlicher
          märkten hingewiesen. Von 2003 bis 2008 wuchsen                          Aufsichtsbehörden, die das »verrückte« Treiben auf
          die Investitionen dieser Akteure allein in Rohstoff-                    den Finanzmärkten zuließen. 35 Gerade die Entwick-
          derivaten von 13 Milliarden Euro auf 170 bis 205 Mil-                   lungen auf den Rohstoffmärkten sind ein Beispiel
          liarden Euro und haben 2010 die bisherigen Höchst-                      dafür, wie schlecht Aktivitäten vieler Marktakteure
          werte des Jahres 2008 erreicht oder überschritten. 32                   ordnungspolitisch flankiert werden.
          Die Warenterminbörsen sind zu Kasinos geworden,                            Doch für Befürworter weitgehend unregulierter
          in denen Finanzwetten dominieren.                                       Rohstoffmärkte zählen diese Einwände nicht. Sie
             Besonders problematisch ist, dass seit einigen                       behaupten, dass es die Kassa-Märkte sind, die über
          Jahren immer mehr Indexfonds auftreten, die in der                      die Preisentwicklung entscheiden, nicht die Termin-
          Regel auf einen Preisanstieg setzen. 33 Die dazu ver-                   geschäfte. So äußerte Nobelpreisträger Paul Krugman,
          wendeten Instrumente sind sogenannte rollierende                        die immer wieder unterstellte Verbindung zwischen
          Futures: Bei Fälligkeit eines Termingeschäfts wird                      Termingeschäften und Kassa-Märkten würde ihn

               30 Vgl. hierzu Harald Schumann, Die Hungermacher. Wie                34 Wörtlich sagte Soros: »... the institutions are piling in on
               Deutsche Bank, Goldman Sachs & Co. auf Kosten der Ärmsten mit        one side of the market and they have sufficient weight to
               Lebensmitteln spekulieren, Berlin 2011, S. 38ff.                     unbalance it.« Zugleich warnt er vor einem Crash auf den
               31 Sicherungsgeschäfte werden von Anbietern und Nutzern              Rohstoffmärkten für den Fall, dass sich die Erwartungen der
               eines Rohstoffs getätigt. Vgl. ebd., S. 41.                          institutionellen Investoren ändern und viele zur gleichen
               32 Vgl. Europäische Kommission, Grundstoffmärkte und Roh-            Zeit auf fallende Preise setzen. Joanna Chung, »Soros Sounds
               stoffe: Herausforderungen und Lösungsansätze, Brüssel, 2.2.2011,     Alarm on Oil ›Bubble‹«, in: Financial Times, 3.6.2008,  (eingesehen am 1.8.2012).
               33 Indexfonds versuchen, einen bestimmten Index möglichst            35 Vgl. Susan Strange, Mad Money. When Markets Outgrow
               exakt nachzubilden. Auf Rohstoffindizes setzende Indexfonds          Governments, Ann Arbor: The University of Michigan Press,
               sind nur ein Teil dieser Anlageklasse.                               1998, S. 1, 3.

          SWP Berlin
          Rohstoffboom und Kapitalimporte: Stolpersteine für die australische Wirtschaft?
          November 2012

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Niedrige Steuern auf Rohstoffabbau

»wahnsinnig machen«. Krugman meint, dass Termin-                 0,3 Prozent auf 0,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts
geschäfte überhaupt keine Auswirkungen auf die                   (BIP). Zwar stiegen im gleichen Zeitraum auch die
Kassa-Märkte hätten: »It has no, zero, nada effect on            Unternehmenssteuern um 1,1 Prozent des BIP, aber
the spot price.« 36                                              nur ein Teil dieses Anstiegs entfiel auf den Rohstoff-
   Die Frage bleibt indes, warum Produzenten von                 sektor. 37
Rohstoffen nicht die Entwicklungen auf den Termin-                  Die Rechte an der Förderung von Rohstoffen liegen
märkten nutzen sollten. Steigt also der Preis für eine           im Prinzip bei der britischen Königin (sogenanntes
Tonne Eisenerz auf den Terminmärkten auf ein be-                 Crown Land), werden aber von den australischen
stimmtes Niveau, beispielsweise 150 US-Dollar pro                Bundesstaaten wahrgenommen. Ihnen obliegt die
Tonne, dann kann der Erzeuger des Rohstoffs zu                   Aufsicht über die Erschließung etwa von Kohlelagern.
jenem Preis ein Termingeschäft abschließen und das               Die Bundesstaaten vergeben Lizenzen und verlangen
Erz verkaufen. Welchen Preis für das Produkt er dann             dafür Gebühren. In Zeiten niedriger Rohstoffpreise
auf dem Kassa-Markt erzielt, muss den Produzenten                war die minimale Besteuerung des Bergbaus sinnvoll,
nicht mehr interessieren. Mit dem Termingeschäft hat             aber die in Boomzeiten erwirtschafteten, zum Teil
er den Preis von 150 US-Dollar abgesichert. Selbst               spektakulären Gewinne müssten weitaus rigider be-
Krugman räumt ein, dass die Preise auf den Termin-               steuert werden. Das australische Steuersystem unter-
märkten dann Einfluss auf die Kassa-Märkte haben                 scheidet sich deutlich von den Systemen in anderen
können, wenn Akteure auf beiden Märkten aktiv                    OECD-Ländern mit nennenswerter Rohstoffförderung.
werden.                                                          Im Jahr 2007 machten die aus der Ölförderung stam-
   Umgekehrt müsste man fragen, warum ein Roh-                   menden Steuereinnahmen in Norwegen 15 Prozent
stoffproduzent seine Ware unterhalb des Preises ver-             der Staatseinnahmen aus, in Mexiko wird dieser Wert
kaufen sollte, der für Termingeschäfte gezahlt wird.             sogar auf 40 Prozent geschätzt. Eine höhere Besteue-
Verfechter weitgehend unreglementierter Termin-                  rung des Rohstoffabbaus in Australien erscheint ge-
geschäfte unterstellen, Kassa-Märkte und Termin-                 rechtfertigt, weil die Erträge daraus der gesamten
geschäfte seien strikt getrennt. Das trifft so aber nicht        Gesellschaft und nicht nur den Betreibern von Berg-
zu. Wegen der in den letzten Jahren deutlich aus-                werken zugute kommen sollten.
geweiteten spekulativen Aktivitäten auf Rohstoff-                   Zu diesem Thema präsentierte das Australian
märkten ist davon auszugehen, dass reale Faktoren,               Bureau of Agricultural and Resource Economics im
also etwa der Aufstieg Chinas, die hohen Rohstoff-               Jahr 2007 eine Studie und schlug vor, im Bergbau
preise nur zum Teil erklären können. Im Umkehr-                  erzielte Profite zu versteuern. 38 Premierminister
schluss heißt dies aber auch, dass für eine Fortsetzung          Kevin Rudd versuchte die Empfehlungen umzusetzen
des Rohstoffbooms nicht nur eine anhaltend hohe                  und den Bergbauunternehmen im Mai 2010 eine
Nachfrage erforderlich ist, sondern dass eine Re-Regu-           40-prozentige Steuer aufzuerlegen (Resource Super
lierung der Rohstoffmärkte die Preise womöglich auf              Profits Tax, RSPT). Damit scheiterte er jedoch im
breiter Front einbrechen lassen kann.                            ersten Anlauf, unter anderem am Widerstand der
                                                                 Bergbaulobby. Rudds Niederlage trug nicht unerheb-
                                                                 lich dazu bei, dass er im Juni 2010 zurücktreten
Niedrige Steuern auf Rohstoffabbau                               musste und von seiner Stellvertreterin Julia Gillard
                                                                 abgelöst wurde.
Obwohl in Australien schon seit dem 19. Jahrhundert                 Nachdem die Regierung Gillard in den Wahlen vom
mineralische Rohstoffe gefördert werden, war das                 August 2010 bestätigt worden war, wurde eine neue
System der Besteuerung des Rohstoffabbaus lange                  Form der Besteuerung des Bergbaus auf den Weg ge-
nicht überzeugend. Die vor allem von den Bundes-                 bracht. Hauptkomponente ist die Abkehr von einem
staaten erhobenen Abgaben waren niedrig und stiegen              Lizenzierungsverfahren hin zur Besteuerung von Ge-
auch im Rohstoffboom kaum an, vom Rechnungsjahr                  winnen. Im alten System wurden Lizenzen gegen
2000/01 bis zum Rechnungsjahr 2006/07 lediglich von              Gebühren vergeben, doch wenn die Rohstoffpreise
                                                                 nach Vergabe der Lizenzen stiegen, profitierten die
                                                                 Steuerzahler nicht davon. Zugleich beeinträchtigen
  36 Paul Krugman, »Speculative Nonsense, Once Again«,
  in: The New York Times [Blog Paul Krugman], 23.6.2008,
   (eingesehen am 30.7.2012).                  38 Vgl. ebd.

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                                                      Rohstoffboom und Kapitalimporte: Stolpersteine für die australische Wirtschaft?
                                                                                                                      November 2012

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Nach dem Höhenflug: Der Rohstoffsektor und das Ende der Übertreibungen

          hohe Lizenzgebühren die Investitionsbereitschaft im
          Bergbau. Eine Besteuerung von Erträgen ist hingegen
          sehr viel effizienter: In Phasen niedriger Rohstoff-
          preise und schmaler Gewinne sind auch die Steuern
          gering, im Boom umso höher. 39
             Die Regierung Gillard hat die Empfehlung der
          OECD aus ihrem Economic Survey des Jahres 2010
          befolgt und zum 1. Juli 2012 eine Besteuerung von
          Gewinnen aus der Rohstoffförderung in Höhe von
          30 Prozent eingeführt (Mineral Resources Rent Tax,
          MRRT). 40 Der Ausgleich zwischen den Interessen von
          Bundes- und Länderregierungen wird in einem kom-
          plexen administrativen Verfahren geregelt. Die Bun-
          desstaaten dürfen weiter Lizenzgebühren verlangen,
          und die Unternehmen dürfen bereits gezahlte Gebüh-
          ren von der an den Bund zu entrichtenden Steuer
          abziehen. 41 Bemerkenswert ist, dass die Besteuerung
          von Profiten aus dem Bergbau so lange auf sich warten
          ließ und die australische Politik und Gesellschaft
          nicht schon lange darauf bestanden haben, an den
          Gewinnen aus der Förderung natürlicher Rohstoffe
          angemessen beteiligt zu werden.

               39 Vgl. OECD, Economic Survey Australia 2010 [wie Fn. 1], S. 69.
               40 Vgl. »Bergbaukonzerne spüren die Abkühlung in China«,
               in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 21.3.2012, S. 17.
               41 Vgl. »MRRT Not that Complex: Henry«, in: The Sydney
               Morning Herald, 22.11.2010,  (eingesehen am 5.12.2010).

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Grundsolide Fiskalpolitik

Stärken und Schwächen nach 20 Jahren Wachstum:
Solide Fiskalpolitik, aber schlechte Infrastruktur

Der Fünfte Kontinent wurde, wie bereits erwähnt, in          moderat: Im Jahr 2011 entsprach sie 26,6 Prozent der
den Jahren 1990/91 von einer schweren Finanzkrise            Wirtschaftsleistung, während der Durchschnittswert
erschüttert. Vorausgegangen war eine Wachstums-              aller OECD-Länder im gleichen Jahr bei 103,0 Prozent
phase, die Premierminister Bob Hawke und sein                des BIP lag (siehe Tabelle 2, folgende Seite).
Finanzminister Paul Keating von 1983 an mit einer               Gerade für die Debatte über die wachsende Über-
Liberalisierung des Kapitalverkehrs und einer De-            schuldung zahlreicher europäischer Staaten ist das
regulierung der Finanzmärkte eingeleitet hatten.             Beispiel Australiens von Interesse. Trotz einer im Ver-
Diese Phase endete mit dem Crash des Jahres 1990.            gleich unproblematischen demographischen Entwick-
Nachdem diese tiefe Krise überwunden war, hat                lung (Australien weist sowohl eine hohe Geburtenrate
die australische Volkswirtschaft einen langen Auf-           als auch eine Zuwanderung qualifizierter Arbeitneh-
schwung erlebt.                                              mer auf) hat das Land erfolgreich die Gesamtverschul-
                                                             dung reduziert. Eine sich verselbständigende staat-
                                                             liche Überschuldung wie etwa im Falle Griechenlands,
Grundsolide Fiskalpolitik                                    Japans oder der USA ist verhindert worden. Australien
                                                             hat das geschafft, was in der aktuellen Verschuldungs-
Von einigen OECD-Ländern, deren Ökonomien zeit-              debatte in Europa als Antagonismus dargestellt wird:
weilig rasch gewachsen sind (etwa Großbritannien,            Die Wirtschaft wuchs, während gleichzeitig die staat-
Island, Irland, Griechenland und Ungarn), unter-             liche Verschuldung verringert wurde.
scheidet sich Australien vor allem dadurch, dass sein           Allerdings hatte die Sparpolitik der Regierung
Wachstum von einer extrem restriktiven Fiskalpolitik         Howard auch gravierende Nachteile. Vor allem in den
begleitet wurde. Während zahlreiche andere OECD-             Bereichen Bildung, öffentliche Verkehrssysteme und
Länder im Boom die Staatsausgaben steigerten, hat            Infrastruktur leidet Australien heute auch aufgrund
die Regierung des von 1996 bis 2007 amtierenden              der Sparmaßnahmen an schwerwiegenden Defiziten.
Konservativen John Howard die Aufschwungphasen               Die Universitäten sind darauf angewiesen, ausländi-
genutzt, um die Staatsverschuldung zu verringern.            sche Studenten anzuwerben, die hohe Studiengebüh-
Damit hat die Regierung sich die Chance eröffnet, in         ren entrichten. Die öffentlichen Verkehrssysteme der
einer Krise massiv die Nachfrage zu steigern. Howards        großen Städte hinken weit hinter europäischen und
konservative Fiskalpolitik ermöglichte dem Labor-            inzwischen auch asiatischen Standards hinterher. In
Premierminister Kevin Rudd eine keynesianische               der Millionenstadt Sydney etwa kann selbst in den
Antwort auf die Krise. Mit anderen Worten: Die drasti-       dichter besiedelten Stadtteilen nicht von einem leis-
sche Reduzierung der staatlichen Defizite unter der          tungsfähigen Nahverkehr gesprochen werden. Viele
konservativen Regierung hat die Labor Party erst in          Busse in Sydney wurden schon in den 1980er Jahren
die Lage versetzt, mit großzügigen Ausgabenprogram-          in Dienst gestellt. Die knapp 300 Kilometer lange
men auf die Wirtschaftskrise zu reagieren.                   Zugfahrt von der Hauptstadt Canberra nach Sydney
   Im Jahr 1992, unmittelbar nach der letzten schwe-         dauert viereinhalb Stunden. Diese wenigen Beispiele
ren Krise, machte die staatliche Neuverschuldung             illustrieren, dass der rigorose Sparkurs nicht ohne
noch 5,5 Prozent der australischen Wirtschaftsleis-          Folgen für die Leistungsfähigkeit der australischen
tung aus. 1998 wurde erstmals ein Plus von 1,6 Pro-          Volkswirtschaft blieb. Allerdings haben die Regierun-
zent des BIP erwirtschaftet. Abgesehen von einem             gen Rudd und Gillard, indem sie Konjunkturpakete
minimalen Defizit im Jahr 2001 wurden seitdem                schnürten, schon erhebliche Anstrengungen für die
bis einschließlich 2007 stets Überschüsse zwischen           Modernisierung der Infrastruktur unternommen und
0,7 und 1,7 Prozent des BIP realisiert. Erst infolge der     zahlreiche Investitionen in die Wege geleitet.
Weltfinanzkrise entstand ab dem Jahr 2008 wieder                Die Infrastruktur leistungsfähiger zu machen ist
ein Defizit in den öffentlichen Haushalten und die           eine der großen Herausforderungen für die australi-
Staatsverschuldung stieg, allerdings vergleichsweise         sche Politik. Dies gilt nicht nur für die Verkehrswege

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                                                                                                                  November 2012

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