Rohstoffboom und Kapitalimporte: Stolpersteine für die australische Wirtschaft? - Heribert Dieter - Stiftung Wissenschaft und Politik
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SWP-Studie Stiftung Wissenschaft und Politik Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit Heribert Dieter Rohstoffboom und Kapitalimporte: Stolpersteine für die australische Wirtschaft? S 26 November 2012 Berlin
Alle Rechte vorbehalten. Abdruck oder vergleichbare Verwendung von Arbeiten der Stiftung Wissenschaft und Politik ist auch in Aus- zügen nur mit vorheriger schriftlicher Genehmigung gestattet. SWP-Studien unterliegen einem Begutachtungsverfah- ren durch Fachkolleginnen und -kollegen und durch die Institutsleitung (peer review). Sie geben ausschließlich die persönliche Auffassung der Autoren und Autorinnen wieder. © Stiftung Wissenschaft und Politik, 2012 SWP Stiftung Wissenschaft und Politik Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit Ludwigkirchplatz 34 10719 Berlin Telefon +49 30 880 07-0 Fax +49 30 880 07-100 www.swp-berlin.org swp@swp-berlin.org ISSN 1611-6372
Inhalt 5 Problemstellung und Empfehlungen 7 Einleitung 9 Nach dem Höhenflug: Der Rohstoffsektor und das Ende der Übertreibungen 9 Fluch Rohstoffreichtum? 10 Wann endet der Eisenerzboom? 12 Fehlspekulation bei Erdgas? 13 Auswirkungen der Spekulation auf den Rohstoffhandel 15 Niedrige Steuern auf Rohstoffabbau 17 Stärken und Schwächen nach 20 Jahren Wachstum: Solide Fiskalpolitik, aber schlechte Infrastruktur 17 Grundsolide Fiskalpolitik 18 Achillesferse (Außen-)Verschuldung 21 Australien und die globale Wirtschaftskrise 24 Australiens außenwirtschaftliche Verflechtungen 24 Die wachsende Bedeutung des asiatisch-pazifischen Raums 24 Handelsbündnisse im asiatisch-pazifischen Raum 28 Australien und aufstrebende Mächte: Konflikt oder Kooperation mit asiatischen Schwellenländern? 28 Enttäuschte Erwartungen: Das australisch- amerikanische Handelsabkommen 29 Australien und finanzpolitische Zusammenarbeit in Asien 31 Die Wirtschaftsbeziehungen zwischen Australien und Europa 33 Schlussbemerkungen: Was bleibt nach dem Boom? 34 Abkürzungsverzeichnis
PD Dr. Heribert Dieter ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der Forschungsgruppe Globale Fragen und war Ko-Direktor der »Warwick Commission on International Financial Reform«
Problemstellung und Empfehlungen Rohstoffboom und Kapitalimporte: Stolpersteine für die australische Wirtschaft? Anfang der 1990er Jahre litt Australien unter einer schweren Wirtschafts- und Finanzkrise. Ähnlich wie heute Europa kämpfte die Wirtschaft des Fünften Kontinents mit Überschuldung, Pleiten und düsteren Aussichten. Australiens Regierungen haben seitdem viele Reformen umgesetzt und damit insbesondere die öffentlichen Finanzen und den Finanzsektor über- durchschnittlich krisen- und zukunftssicher gemacht. In diesen beiden Bereichen kann Europa von den aus- tralischen Erfahrungen profitieren. Doch die Zukunft der australischen Wirtschaft birgt auch erhebliche Risiken. Der seit 1991 anhaltende Aufschwung ist nicht nur der nachhaltigen Fiskal- und Finanzmarktpolitik, sondern vor allem zwei weiteren Faktoren geschuldet. So erlebt Australien anders als die meisten anderen OECD-Länder eine bis- lang ungebrochene Hochkonjunktur des Immobilien- sektors. Viele Beobachter halten das Preisniveau für Eigentumswohnungen und Häuser in den Großstäd- ten für übertrieben hoch. Aus deutscher Perspektive noch wichtiger ist, dass Australien deswegen boomt, weil die Preise sowohl für agrarische als auch für mineralische Rohstoffe seit der Jahrtausendwende geradezu explodiert sind. Zu fragen ist daher, ob Australiens wirtschaftliche Entwicklung nachhaltig sein wird. Darauf liegt der Schwerpunkt dieser Studie. Dabei interessiert zu- nächst, ob und wie lange der Höhenflug bei den Roh- stoffpreisen anhalten wird. In der Diskussion werden dazu zwei grundsätzlich divergierende Thesen ver- treten. Die erste lautet, die Strukturveränderungen in der Weltwirtschaft – etwa der Aufstieg der BRIC- Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China) – würden bewirken, dass sich die Nachfrage nach Rohstoffen stetig erhöhe und das Angebot schrumpfe. Danach wären auch künftig hohe Preise zu erwarten und die Wohlstandsposition Australiens würde sich weiter verbessern. Nach dieser Lesart würde der »Superboom« kein Ende nehmen. Die zweite These dagegen besagt, Rohstoffpreise seien während des gesamten 20. Jahr- hunderts real gefallen und mittelfristig sei eine Rück- kehr zu diesem Trend wahrscheinlich. Gerade im Fall von Rohstoffen wie Eisenerz, bei denen es keinen Mangel, sondern nur temporär zu geringe Förder- SWP Berlin Rohstoffboom und Kapitalimporte: Stolpersteine für die australische Wirtschaft? November 2012 5
Problemstellung und Empfehlungen kapazitäten gebe, wäre demnach zu vermuten, dass keinen Einfluss auf die Vermarktung australischer die Preise schon im laufenden Jahrzehnt deutlich Rohstoffe, so dass ein Regierungsabkommen nutzlos nachgeben werden. wäre. Für Deutschland und die deutsche Außenwirt- schaftspolitik sind diese Überlegungen von großer Bedeutung. Falls das Angebot vor allem an minerali- Empfehlungen schen Rohstoffen steigt und die realen Preise sinken, könnte die deutsche Wirtschaft wieder auf die markt- Australiens Fiskalpolitik hat es vorgemacht, wie wirtschaftliche Allokation von Rohstoffen setzen und sich nachhaltige Fiskalpolitik und hohes Wachstum darauf verzichten, staatliche Hilfen zu fordern. Damit verbinden lassen. Gerade für die Krisenstaaten würde es sich erübrigen, die Wirtschaft bei der Roh- Europas, aber auch für andere OECD-Staaten er- stoffversorgung staatlich zu unterstützen. geben sich aus diesem Modell wichtige Anreize Wenn sich abzeichnet, dass mineralische Rohstoffe für Reformen. spürbar billiger werden, sollten die deutsche und die Der Fall Australien zeigt zugleich, dass die Über- europäische Außenwirtschaftspolitik davon absehen, treibungen der letzten Jahre bei Rohstoffpreisen mittels staatlicher Interventionen die Versorgung der eine vorübergehende Erscheinung sind. Deutsch- Wirtschaft zu sichern. Stattdessen sollten sie mit Hilfe land und die EU sollten deshalb nicht überstürzt aufsichtsrechtlicher Maßnahmen die Aktivitäten von eine staatliche Rohstoffpolitik entwickeln. Aufgabe Finanzmarktakteuren eindämmen, die durch deriva- der Wirtschaftspolitik bleibt es, dafür Sorge zu tive Produkte Einfluss auf die Preisentwicklung von tragen, dass Märkte funktionieren. Die direkte Rohstoffen nehmen. Derivate sind nützlich, um Preis- Versorgung der deutschen und europäischen Wirt- schwankungen abzufedern, aber ihre in den letzten schaft mit Rohstoffen sollte auch künftig von der Jahren stark ausgeweitete Nutzung hat zu Preisverzer- Privatwirtschaft, nicht vom Staat sichergestellt rungen geführt, die ohne ordnungspolitische Eingriffe werden. nicht beseitigt werden können. Die jüngsten Entwicklungen im Rohstoffbereich Die zweite strukturelle Schwäche der australischen bestätigen, dass die Ausweitung des Angebots das Wirtschaft sind die anhaltenden Kapitalimporte. Aus- Preisniveau, insbesondere bei Eisenerz, beträchtlich traliens Außenverschuldung liegt auf einem gefähr- hat sinken lassen. Von September 2011 bis Septem- lich hohen Niveau, was die Akteure auf den internatio- ber 2012 fiel der Eisenerzpreis von 177 auf unter nalen Finanzmärkten bislang ignoriert haben. Sollten 100 US-Dollar pro Tonne. Rohstoffpreise bleiben wie Europa und die USA in absehbarer Zeit ihre jeweiligen im gesamten 20. Jahrhundert auch nach dem Auf- Krisen überwinden, erscheint es recht wahrscheinlich, stieg Chinas und anderer Schwellenländer volatil. dass sich die Lage in Australien zuspitzt. Bisher lenken Nicht die Politik, sondern die Marktteilnehmer sind die schweren Krisen in Europa und den USA von Aus- gefragt, übermäßige Schwankungen abzufedern, traliens Schwächen ab. und zwar durch langfristige Verträge oder deriva- Die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Australien tive Produkte. sollte auch künftig im Rahmen der multilateralen Australien sollte dem Beispiel anderer rohstoff- Ordnung stattfinden. Wenig sinnvoll erscheint eine extrahierender Ökonomien folgen und in Phasen stärkere institutionelle Absicherung, etwa durch ein hoher Rohstoffpreise Rücklagen für künftige Gene- Freihandelsabkommen oder eine Rohstoffpartner- rationen bilden. schaft. Die Produkte, die Australien anbietet, werden schon heute weitgehend zollfrei gehandelt, und in- folge der australischen Liberalisierungspolitik in den letzten Jahrzehnten ist etwa der Einfuhrzoll auf Autos in Australien heute halb so hoch wie der Zollsatz, den die EU selbst erhebt. Aus australischer Perspektive böte ein Freihandelsabkommen mit der Union nur dann Vorteile, wenn diese bereit wäre, den Agrar- handel zu liberalisieren. Realistisch ist dies nicht. Auch eine Rohstoffpartnerschaft mit Australien er- scheint wenig plausibel. Der australische Staat hat SWP Berlin Rohstoffboom und Kapitalimporte: Stolpersteine für die australische Wirtschaft? November 2012 6
Einleitung Einleitung Australien ist ein reiches Land, das seit Gründung des hat Australien den Boom durch üppige Kredite aus Australischen Bundes im Jahr 1901 von politischen dem Ausland finanziert. Unruhen verschont geblieben ist und in der inter- Während Australien in der Fiskalpolitik als Vorbild nationalen Politik keine wichtige Rolle zu spielen dienen kann, ist die übrige Wirtschaftspolitik eher scheint. Der Fünfte Kontinent wird auch in der von kurzfristigem Handeln gekennzeichnet. Ähnlich wissenschaftlichen Analyse gerne übersehen. Dies wie in anderen angelsächsisch geprägten Ökonomien ist bedauerlich, denn je genauer man Australien ist nachhaltiges Wirtschaften in Australien wenig untersucht, desto mehr Lehren für andere Länder und verbreitet. Besonders deutlich wird dies bei der un- Regionen ließen sich ziehen. In der Fiskalpolitik bei- zureichenden Vorsorge für mögliche Risiken im spielsweise hat Australien etwas vollbracht, was in Rohstoffsektor. Anders als etwa Norwegen oder die Europa unmöglich zu sein scheint: Wirtschaftswachs- Russische Föderation hat Australien keine Rücklagen tum und geringe Verschuldung wurden erfolgreich gebildet, um auf nachgebende Rohstoffpreise reagie- miteinander verknüpft. ren zu können. Vor allem hat es die australische Seit Überwindung der letzten schweren Wirt- Politik versäumt, den schleichenden Tod der verarbei- schaftskrise in den Jahren 1990/91 hat die australische tenden Industrie zu bekämpfen, den der Rohstoff- Volkswirtschaft eine lang anhaltende Phase hohen boom und der damit verbundene gestiegene Wechsel- Wachstums durchlaufen. In diesem nun schon über kurs des australischen Dollar verursacht haben. 20 Jahre währenden Höhenflug stieg der Lebensstan- Für die deutsche Außenpolitik ist nicht zuletzt dard schneller als in anderen OECD-Ländern, die Australiens Rolle im asiatisch-pazifischen Raum von Arbeitslosigkeit sank auf ein Rekordtief und die Interesse. Der Fünfte Kontinent hat ohne große Staatsverschuldung bewegt sich auf außerordentlich Fortune bilaterale Präferenzabkommen in der Region niedrigem Niveau. 1 Der Aufschwung erreichte auch vereinbart. Wichtiger als die handelspolitische Zu- die australischen Arbeitnehmer: Zwischen 1992 und sammenarbeit ist jedoch Australiens Stellenwert für 2006 wuchs nicht nur die Pro-Kopf-Wirtschaftsleistung die finanzpolitische Kooperation in der Region. (zu konstanten Preisen) um gut ein Fünftel (9000 US- In dieser Studie wird die wirtschaftliche Entwick- Dollar), sondern auch die Einkommen stiegen anders lung und Lage Australiens untersucht. Dabei gilt die als in einigen anderen OECD-Ländern deutlich an. 2 Aufmerksamkeit zunächst dem Rohstoffsektor. Die Australiens Boom fußte auf einer stetig hohen Zukunft dieses Sektors mitsamt seinen Risiken ist Binnennachfrage und, insbesondere nach der Jahr- besonders bedeutsam für Deutschland und die Welt- tausendwende, auf einer hohen Nachfrage nach aus- wirtschaft. Sodann wird die aktuelle wirtschaftliche tralischen Primärgütern bei stark gestiegenen Preisen, Lage in den Blick genommen. Dabei zeigt sich, dass vor allem mineralischen Rohstoffen. Australiens Öko- Australien zwar eine nachhaltige Fiskalpolitik be- nomie lebt auch im 21. Jahrhundert überwiegend vom treibt, mit seiner privaten Außenverschuldung jedoch Export agrarischer und mineralischer Rohstoffe. Der einen gefährlichen Kurs steuert. Dessen mögliche Anstieg der Rohstoffpreise in der ersten Dekade hat Abgründe werden von der australischen Politik und diese Abhängigkeit weiter verschärft, und im selben Australiens ausländischen Kreditgebern weitgehend Zeitraum ist die verarbeitende Industrie des Landes ausgeblendet. Die Vernachlässigung von Risiken weiter zurückgefallen. Steigende Immobilienpreise genau dieser Art aber hat Spanien, Irland und die spielten für den Aufschwung eine zentrale Rolle, so USA in eine schwere Finanzkrise gestürzt. wie in den USA und Großbritannien auch. Zugleich Als Nächstes werden Australiens außenwirtschaft- liche Verflechtungen analysiert. Im Mittelpunkt stehen dabei nicht nur die Beziehungen zu den auf- 1 Vgl. Organisation for Economic Co-operation and Develop- strebenden asiatischen Volkswirtschaften, sondern ment (OECD), Economic Survey Australia 2010, Paris 2010, S. 11f. auch die Perspektiven für eine Vertiefung der Be- 2 Vgl. OECD, Economic Survey Australia 2008, Paris 2008, S. 19. ziehungen zwischen Europa und dem Fünften Konti- SWP Berlin Rohstoffboom und Kapitalimporte: Stolpersteine für die australische Wirtschaft? November 2012 7
Einleitung nent. Zum Schluss wird diskutiert, ob Australien auch mittelfristig ein Modell für andere Volkswirtschaften bleiben kann. In der gesamten Analyse wird ein beson- deres Augenmerk auf die Geschichte der australischen Wirtschaft und Außenwirtschaftspolitik gelegt. Vor allem das auf den ersten Blick gute, letztlich aber substanzarme Verhältnis Australiens zu den Staaten der EU ist kaum zu verstehen, wenn historische Entwicklungslinien außer Acht gelassen werden. SWP Berlin Rohstoffboom und Kapitalimporte: Stolpersteine für die australische Wirtschaft? November 2012 8
Fluch Rohstoffreichtum? Nach dem Höhenflug: Der Rohstoffsektor und das Ende der Übertreibungen Die australische Wirtschaft lebte lange »on the sheep’s Landes hemmen und beeinträchtigen kann. Ein Boom back«, war also von Produktion und Export landwirt- im Rohstoffsektor lässt Löhne und Renditeerwartun- schaftlicher Produkte, vorwiegend Wolle, abhängig. gen auch im industriellen Sektor steigen, der mit Während andere Branchen durch Zölle und hohe importierten Produkten konkurrieren muss.3 Transportkosten nach Australien geschützt waren und Anders als heute häufig diskutiert sind Wechsel- sich nicht zum Weltmarkt hin orientierten, produ- kurseffekte bei der Entstehung der holländischen zierten die australischen Farmer von Beginn der angel- Krankheit nicht notwendigerweise von Belang. Auch sächsischen Besiedlung an für den Export. Der Agrar- in einem System fester Wechselkurse sind die von sektor war wie auch der übrige Primärgütersektor Gregory analysierten negativen Effekte zu beobachten. stets gezwungen, rentabel und ohne Subventionie- Freilich kann in einem System flexibler Wechselkurse rung zu wirtschaften. die Aufwertung der Landeswährung zusätzlichen Agrarprodukte waren die ersten Exportschlager Problemdruck erzeugen, denn bei einem Rohstoff- Australiens. Wolle, Rindfleisch und Weizen brachten boom untergräbt sie obendrein die Wettbewerbs- wirtschaftlichen Aufschwung in den damals noch fähigkeit. Genau diese Konstellation prägt seit einigen britischen Kolonien und stellen noch heute wichtige Jahren die Lage der verarbeitenden Industrie in Aus- Exportgüter dar. Die Schwäche der australischen tralien. Industrie lässt sich teilweise mit der Stärke der Woll- Galt die australische Wirtschaft bis ins neue Jahr- produktion erklären. Die hohe Produktivität des tausend hinein wegen der großen Bedeutung von Wolle erzeugenden Agrarsektors reduzierte die Nei- Rohstoffexporten als rückständig, so machte sich in gung, Ressourcen in die verarbeitende Industrie zu der ersten Dekade des 21. Jahrhunderts eine Art neuer verlagern. Die frühe Dominanz des Primärsektors Goldrausch breit. Die massiv gestiegenen Rohstoff- bewirkte, dass weder private noch öffentliche Mittel preise beflügelten die australische Wirtschaft. Nicht in den verarbeitenden Sektor flossen. Nötige Investi- Gefahren des Rohstoffreichtums, sondern die enor- tionen in Forschung und Entwicklung wurden gleich- men Preisanstiege waren das bestimmende Thema. falls versäumt. Der lang anhaltende Erfolg des Primär- Der Fünfte Kontinent profitierte besonders davon, da sektors endete für die australische Wirtschaft in einer er enorme Reserven an mineralischen Rohstoffen Sackgasse. besitzt. Gold, Diamanten, Mineralsände, Kupfer, Blei, Eisenerz, Bauxit, Öl und Gas werden in Australien gefördert. Das Land verfügt über 12 Prozent der be- Fluch Rohstoffreichtum? kannten Vorkommen von Eisenerz. Auch bei Blei (13 Prozent), Bauxit (12 Prozent) und Zink (10 Prozent) Die Folgen des Rohstoffreichtums wurden in Austra- sind vergleichbar hohe Reserven zu verzeichnen. 4 lien intensiv untersucht. Es erwies sich, dass Rohstoffe Daneben hat Australien große Vorkommen an Stein- nicht unbedingt ein Segen für eine Volkswirtschaft kohle und Uran. Seit einigen Jahren werden zuneh- sind. Der australische Ökonom Robert Gregory setzte mend Gaslagerstätten an den Küsten Australiens sich mit den Folgen eines Rohstoffbooms für die Öko- erschlossen. Die Gasreserven im Nord-West-Festland- nomie des Landes auseinander. Sein Theorem ist seit sockel gehören zu den größten der Welt. Anders 1977 als holländische Krankheit (Dutch disease) be- gesagt: Nahezu alle Rohstoffe, die Asiens rasch wach- kannt: So bezeichnete man den Bedeutungsrückgang sende Volkswirtschaften benötigen, kommen in des verarbeitenden Sektors nach den Erdgasfunden Australien vor. vor der niederländischen Küste. Bis zu jenem Zeit- 3 Vgl. Robert G. Gregory, »Some Implications of the Growth punkt hatte man angenommen, Rohstoffreichtum of the Mineral Sector«, in: Australian Journal of Agricultural begünstige grundsätzlich den Entwicklungsprozess. Economics, 20 (August 1976) 2, S. 71–91. Gregory hatte aber schon zuvor nachgewiesen, dass 4 Vgl. The Economist Intelligence Unit, Country Profile Austral- Rohstoffreichtum die industrielle Entwicklung eines ia 2008, London u.a. 2008, S. 17. SWP Berlin Rohstoffboom und Kapitalimporte: Stolpersteine für die australische Wirtschaft? November 2012 9
Nach dem Höhenflug: Der Rohstoffsektor und das Ende der Übertreibungen Tabelle 1 Australiens Vorkommen und Exporte mineralischer Rohstoffe im Rechnungsjahr 2008/09 Rohstoff Exporte 2008/09 Anteil an den Ergiebigkeit der Weltrangliste: Position (in Mrd. australischen Rohstoffexporten bekannten Lagerstätten Australiens im Vergleich Dollar) (in %) (in Jahren) zu den Vorkommen anderer Länder Steinkohle 54,7 33,9 90 6 Eisenerz und Stahl 35,6 22,0 70 3 Gold 16,1 10,0 30 2 Aluminium 10,9 6,8 85 2 LNG (Flüssiggas) 10,1 6,2 60 14 Rohöl 8,8 5,4 10 3 Kupfer 5,9 3,6 85 2 Nickel 2,7 1,6 130 1 Zink 1,9 1,2 35 1 Mangan 1,4 0,9 20 4 Uran 1,0 0,6 125 1 Andere 12,5 7,8 / / Gesamtexporte 161,6 100,0 – – Quelle: OECD, Economic Survey Australia 2010 [wie Fn. 1], S. 44. Auf den ersten Blick erwies es sich für Australien Wann endet der Eisenerzboom? als sehr nützlich, dass die Rohstoffpreise seit der Jahr- tausendwende in die Höhe schossen, nachdem sie in Es stellt sich indes die Frage, ob der Rohstoffpreis- den vier Dekaden vor dem Jahr 2000 auf niedrigem boom anhalten wird. Historisch gesehen sind Rohstoff- Niveau verharrt hatten. Die australischen »terms of preise stets stark schwankend und von einem länger- trade« bewegten sich von 1959 bis 2000 in einem fristigen Preisverfall geprägt gewesen. Seit den 1950er relativ schmalen Band mit Indexwerten zwischen Jahren sind Preise für Metalle im Schnitt um 1,6 Pro- 80 und 120 (1959 = 100). 5 Bis zum Jahr 2010 dagegen zent pro Jahr gefallen. Dieser Trend wurde zwar in der schraubte sich der Wert auf den Rekord von über 170. ersten Dekade des 21. Jahrhundert gebrochen, doch Vereinfachend gesagt bedeutet dies, dass Australien ist zu fragen, ob es sich um eine dauerhafte Wende für die gleiche Menge von Industriegüterimporten handelt oder um eine Ausnahmesituation, die durch immer weniger Rohstoffe exportieren muss. 6 Glenn mehrere Einflussgrößen auf der Nachfrage- und Stevens, Direktor der australischen Zentralbank, Angebotsseite hervorgerufen wurde. Drei Faktoren illustrierte dies mit einem Vergleich: 2006 hätte eine könnten einen Preisverfall verursachen, der Australien Schiffsladung Eisenerz für den Kauf von 2000 Flach- empfindlich treffen würde: bildfernsehern ausgereicht, 2011 dagegen hätte man Erstens haben die hohen Rohstoffpreise schon schon 22 000 Fernseher dafür bekommen. 7 zu massiven Neuinvestitionen geführt, vor allem in Afrika, Lateinamerika und Australien. Die in wenigen Jahren zu erwartende Ausweitung des Angebots an 5 Als »terms of trade« werden die Austauschrelationen im internationalen Handel bezeichnet. Je höher die Zahl, desto mineralischen Rohstoffen und Metallen wird die Prei- weniger muss eine Volkswirtschaft für den Import von Waren se vermutlich sinken lassen. aufwenden. Umgekehrt weisen sinkende »terms of trade« Zweitens begünstigen hohe Rohstoffpreise die Ent- darauf hin, dass eine Ökonomie immer mehr Güter ans Aus- wicklung neuer, alternativer Technologien. Ein Bei- land verkaufen muss, um die gleiche Importmenge zu bezah- spiel ist der Ersatz von Kupferkabeln durch Glasfaser- len. 6 Vgl. OECD, Economic Survey Australia 2010 [wie Fn. 1], S. 24. kabel, für deren Herstellung man im Wesentlichen 7 Vgl. John Grimond, »No Worries? Special Report: Australia«, nur den praktisch unbegrenzt verfügbaren Quarzsand in: The Economist, 28.5.2011, S. 5. benötigt. Auch im Bereich von Energierohstoffen wird SWP Berlin Rohstoffboom und Kapitalimporte: Stolpersteine für die australische Wirtschaft? November 2012 10
Wann endet der Eisenerzboom? in den Industrieländern mit Hochdruck an neuen Börse und dem Verbot, Kapital zu exportieren, sind Technologien und Einsparmöglichkeiten gearbeitet. chinesische Anleger mit einem Anlagenotstand kon- Drittens sind die Vorkommen der meisten Metalle frontiert. Wohnungen verhießen einen Ausweg. beträchtlich und Knappheit besteht nicht wegen zu Für die chinesische Regierung war der Bauboom in kleiner Reserven, sondern wegen temporär zu gerin- doppelter Hinsicht nützlich. Zum einen sorgte er für ger Förderkapazität. ein politisch willkommenes hohes Maß an Beschäfti- Die OECD hat in ihrem bisher letzten Economic gung. Zum anderen erzeugte er eine Wohlstands- Survey die Erwartung geäußert, dass mittelfristig die illusion bei den Immobilienbesitzern, deren vermeint- Rohstoffpreise wahrscheinlich wieder fallen werden. 8 lich steigender Wohlstand ebenfalls zur Stabilisierung Allerdings hatten sowohl die australische Regierung des politischen Systems beigetragen hat. Das Problem als auch die Bergbauindustrie dies lange anders ein- ist nun, dass viele Chinesen die gleiche Einschätzung geschätzt und einen anhaltenden Boom erhofft. Aber hatten und weit über den Bedarf hinaus in Immobi- das Blatt scheint sich im Laufe des Jahres 2012 zu lien investierten. Das Ergebnis ist ein gigantisches wenden. Australiens Rohstoffkonzerne wechseln die Überangebot, das sich in enormem Leerstand nieder- Tonart und werden vorsichtig. 9 schlägt. BHP Billiton, der größte Bergbaukonzern der Welt, Die chinesische Regierung liefert keine verläss- rechnet damit, dass Nachfrage und Preise zurück- lichen Zahlen über das Ausmaß des Leerstands, was gehen, und überprüft nun geplante Investitionen, nicht überrascht, da dies politische Turbulenzen etwa den auf 20 Milliarden australische Dollar ver- heraufbeschwören könnte. Peking hat ein Interesse anschlagten Ausbau des westaustralischen Erzhafens daran, die Vermögensillusion der chinesischen Port Hedland. 10 Von September 2011 bis September Mittelschicht nicht in Frage zu stellen. Informationen 2012 ist der Preis für Eisenerz deutlich gefallen, von kommen nur aus nicht-chinesischen Quellen: Der 177 auf unter 100 US-Dollar pro Tonne. Aus Australien staatliche australische Fernsehsender SBS hat im Jahr stammen 40 Prozent der chinesischen Eisenerzimpor- 2011 in einer großen Reportage über chinesische te und 33 Prozent der Einfuhren von Kohle. Lässt das Geisterstädte berichtet und geschätzt, dass in China Wachstum in China nach, könnten erhebliche Export- um die 64 Millionen Wohnungen leer stehen. 12 Auch einbrüche in Australien die Folge sein. 11 Eisenerz ist die britische BBC bestätigt, dass es in China Geister- nach Steinkohle das zweitwichtigste mineralische städte gibt, deren Existenz auf Fehlinvestitionen Exportgut Australiens und hat deshalb große Bedeu- beruht. 13 Die englische Zeitung Daily Mail veröffent- tung für die Wirtschaft des Landes. lichte im Jahr 2011 Satellitenaufnahmen, die große, Zu bedenken ist, dass ein großer Teil des in China ungenutzte Neubausiedlungen zeigen. 14 Im Jahr 2012 verbrauchten Eisens für den Wohnungsbau genutzt sind die Immobilienpreise offenbar gesunken. Aller- wird. In Europa wird die chinesische Immobilienblase dings scheint ein Niveau von 3700 Euro pro Quadrat- bislang noch nicht ausreichend zur Kenntnis genom- meter in Pekinger Trabantenstädten noch immer men. Falls der schon heute zu beobachtende riesige reichlich hoch zu sein. 15 Ein Durchschnittsverdiener Überhang an Wohnungen bewirkt, dass die Bautätig- 12 Adrian Brown, »China’s Ghost Cities« keit abnimmt – und dies ist eigentlich nur eine Frage [Fernsehdokumentation], SBS One, 20.3.2011, der Zeit –, wird die Nachfrage nach Eisenerz drastisch (eingesehen am 30.4.2012). Was ist über die Bautätigkeit in China bekannt? 13 Peter Day, »Ordos: The Biggest Ghost Town in China«, in: Für chinesische Bürgerinnen und Bürger ist der Kauf BBC News Magazine, 17.3.2012, (eingesehen am 30.6.2012). 14 »China’s Ghost Towns: New Satellite Pictures Show Alter vorzusorgen. Angesichts niedriger Zinsen auf Massive Skyscraper Cities which Are STILL Completely Spareinlagen, einer bereits sehr hoch bewerteten Empty«, in: [Daily] Mail online, 9 Christoph Hein, »Die großen Rohstoffkonzerne rudern (eingesehen am 30.6.2012). zurück«, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 21.5.2012, S. 12. 15 Christian Geinitz, »China: Aus der Immobilienblase ent- 10 »BHP Billiton stellt alle Ausbaupläne auf den Prüfstand«, weicht die Luft«, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 1.5.2012, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 4.8.2012, S. 15. (ein- beeindruckt«, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 2.8.2012, S. 18. gesehen am 8.8.2012). SWP Berlin Rohstoffboom und Kapitalimporte: Stolpersteine für die australische Wirtschaft? November 2012 11
Nach dem Höhenflug: Der Rohstoffsektor und das Ende der Übertreibungen in China muss 36 Jahresgehälter für eine durch- das Angebot, worauf ein Preisanstieg und im An- schnittliche Wohnung aufwenden, während in Singa- schluss Neuinvestitionen zu beobachten sind. Das pur 18, in New York 12 und in Frankfurt fünf Jahres- ausgeweitete Angebot übersteigt dann aber die Nach- gehälter dafür ausreichen. 16 frage, und die sinkenden Preise führen zu niedrigen Falls die genannten Schätzungen akkurat sein soll- Investitionen. Dieser Mechanismus, von Volkswirten ten, könnten in Chinas Geisterstädten rund 200 Millio- als »Schweinezyklus« bezeichnet, kennzeichnet vor nen Menschen ein neues Zuhause finden, ohne dass allem Märkte für agrarische Rohstoffe, bei denen die dafür eine einzige neue Wohnung gebaut werden Markteintrittskosten besonders niedrig sind. 18 müsste. Auch der Vergleich mit Spanien verdeutlicht, Wie zu erwarten war, hat das hohe Preisniveau für welch krasse Fehlentwicklung in China stattfindet: In mineralische Rohstoffe einen wahren »Goldrausch« Spanien stehen (bei 46 Millionen Einwohnern) etwa ausgelöst. Insgesamt befinden sich in Australien eine Million Wohnungen leer, 17 in China (bei 1300 neue Projekte mit einem Investitionsvolumen von Millionen Einwohnern) 64 Millionen Wohnungen. Der 588 Milliarden australischen Dollar in der Vorberei- Leerstandsquotient (Leerstand pro 1000 Einwohner) tung. Davon sollen 231 Milliarden nach Westaustra- beträgt in Spanien 22 und in China 49. Danach sind in lien und 75 Milliarden nach Queensland fließen. 19 China also mehr als doppelt so viele Wohnungen Diese enormen Erweiterungsinvestitionen werden unbewohnt wie im krisengeschüttelten Spanien. fast zwangsläufig bewirken, dass die realen Preise für Im Mittelpunkt dieser Studie stehen indes nicht mineralische Rohstoffe in den Keller rutschen. die Auswirkungen der vermutlich gerade platzenden Immobilienblase auf die Stabilität von Chinas politi- schem System und der dortigen Banken, sondern die Fehlspekulation bei Erdgas? Folgen für Australien. Chinas Bauindustrie ist für etwa 40 Prozent des landesweiten Stahlverbrauchs Ein Rohstoff, der für Australiens Exporte spürbar an verantwortlich. Ein Rückgang der Bautätigkeit auf die Relevanz gewonnen hat, ist verflüssigtes Erdgas. Hälfte des Spitzenwertes würde den chinesischen Gerade weil die Perspektiven von Energieausfuhren Stahlverbrauch um 20 Prozent verringern. Der Preis- zeitweilig als sehr rosig beurteilt wurden, ist die druck auf Eisenerzproduzenten, aber auch Stahl- Untersuchung der Gasexporte wichtig für die Wirt- hersteller wäre allem Anschein nach extrem hoch. schaft des Fünften Kontinents. Neben dem möglicherweise sinkenden Verbrauch Aufgrund der isolierten geographischen Lage des ist das wachsende Angebot ein weiterer Faktor, der Landes ist es nicht zweckmäßig, australisches Erdgas den Rohstoffproduzenten Australien in Bedrängnis über ein Pipelinenetzwerk zu transportieren. Statt- bringen könnte. Dies gilt insbesondere für Rohstoffe, dessen setzen die Ölkonzerne auf die Verflüssigung bei denen es keinen physischen Mangel, sondern des Gases. Im September 2009 verkündeten Chevron, höchstens zu wenig Abbaukapazitäten gibt. An erster Exxon und Shell, dass sie rund 25 Milliarden Euro Stelle steht hier Eisenerz. Gut fünf Prozent der Erd- investieren wollten, um das Gorgon-Gasfeld 50 Kilo- kruste bestehen daraus. Was gegenwärtig fehlt, sind meter vor der Küste Westaustraliens zu erschließen. Bergwerke zum Erzabbau, aber Eisen selbst ist alles Während ihrer auf 30 Jahre ausgelegten Lebensdauer andere als knapp. soll die Anlage Exporte im Wert von 300 Milliarden Beim Eisenerz zeigt sich einmal mehr die Bedeu- und Steuereinnahmen in Höhe von 40 Milliarden tung des zyklischen Verhaltens von Anbietern. In australischen Dollar erwirtschaften. Das Gorgon- Zeiten niedriger Preise wird nur wenig in den Ausbau Gasfeld soll acht Prozent des weltweiten Verbrauchs von Produktionskapazitäten investiert. Dies verknappt an Flüssiggas decken. 20 Gorgon ist indessen nur eines 16 Patrick Chovanec, »China’s Real Estate Bubble May Have 18 Erstmals systematisch untersucht hat diese Zusammen- just Popped«, in: Foreign Affairs, 18.12.2011, (eingesehen am 8.8.2012). Jahr 1928. Vgl. Arthur Hanau, »Die Prognose der Schweine- 17 Vgl. Michael Psotta, »Die Schrottwohnungen im Inneren preise«, Berlin: Institut für Konjunkturforschung, 1928 Spaniens«, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 1.7.2012, (eingesehen am 15.8.2012). 20 Christoph Hein, »Das Zauberwort lautet Flüssiggas«, in: SWP Berlin Rohstoffboom und Kapitalimporte: Stolpersteine für die australische Wirtschaft? November 2012 12
Auswirkungen der Spekulation auf den Rohstoffhandel von zahlreichen Projekten zur Erzeugung von Flüssig- Anbieter im laufenden Jahrzehnt zu einem ernst- gas. Gegenwärtig sind Investitionen in Höhe von haften Konkurrenten für die australischen Gasprodu- 180 Milliarden australischen Dollar zur Erschließung zenten avancieren. Im Jahr 2017 könnten die USA drei neuer Lagerstätten geplant. Per Saldo will Australien Milliarden Kubikfuß Flüssiggas pro Tag exportieren, seine Flüssiggasexporte bis zum Ende der laufenden etwa ein Drittel des für 2017 geplanten australischen Dekade vervierfachen und Katar als bedeutendsten Exportvolumens. 26 Arthur Hanaus »Schweinezyklus« Flüssiggasexporteur ablösen. 21 funktioniert offenbar auch auf den Energiemärkten. Ähnlich wie beim Eisenerz scheinen sich aber auch die Investoren beim Flüssiggas verrechnet zu haben. Australisches Gas ist teuer, und weil das Angebot Auswirkungen der Spekulation wächst, stehen die Gasmärkte vor drastischen Ver- auf den Rohstoffhandel änderungen, die die australischen Anbieter weit zurückwerfen dürften. Rohstoffmärkte waren schon immer volatil und Die beträchtlichen Kosten sind unter anderem den reagierten auf die unterschiedlichsten Einflüsse, etwa hohen Löhnen in Westaustralien geschuldet. Schon Dürren, Fluten oder Tierseuchen, mit heftigen Preis- auf dem Festland kassieren angelernte Arbeiter in den schwankungen. In den letzten Jahren ist aber eine Minen Jahresgehälter von 100 000 Euro und mehr. 22 qualitative Veränderung der Rohstoffmärkte festzu- Für die zur Gaserschließung notwendigen Spezialis- stellen: Die Finanzmärkte haben den Rohstoffhandel ten, die auf Bohrinseln vor der Küste arbeiten müssen, als neues Betätigungsfeld entdeckt. liegen die Löhne noch deutlich höher. Die Produk- Bei der Analyse, welche Folgen das verstärkte Auf- tionskosten für australisches Flüssiggas bewegen sich treten von Spekulanten auf den Rohstoffmärkten hat, auch deshalb bei sechs bis acht US-Dollar pro Million gibt es zwei diametral entgegengesetzte Interpreta- British Thermal Units (BTU). 23 Solange auf den Kassa- tionen. Die erste besagt, dass spekulative Aktivitäten Märkten in Asien jedoch Preise von etwa 16 US-Dollar nützlich und zugleich unschädlich sind. 27 Vertreter pro Million BTU bezahlt werden, liegt dies noch im dieser Argumentationslinie bestreiten, dass die ge- Rahmen. 24 Das Problem ist ein anderes: die Energie- häufte Nutzung derivativer Instrumente sich auf die wende in den USA. Dort ist durch die Erschließung Kassa-Märkte auswirkt. 28 Mit anderen Worten: Speku- nicht-konventioneller Lagerstätten der Preis auf das lation habe keinen Einfluss darauf, zu welchem Preis Zehnjahrestief von unter drei US-Dollar pro Million Rohstoffe von Anbietern verkauft und von Abnehmern BTU gefallen. 25 Was in den USA noch fehlt, sind An- gekauft werden. 29 lagen zur Verflüssigung des Gases, aber diese befinden Die zweite, stichhaltigere Position dagegen lautet, sich im Bau. Wahrscheinlich werden amerikanische dass die Zunahme spekulativer Geschäfte die Rohstoff- Frankfurter Allgemeine Zeitung, 2.7.2010, (eingesehen am 20.11.2012). 27 Die Begriffe Spekulation und spekulative Aktivitäten 21 Rebekah Kebede, »Gas Projects in Australia Hit Obstacles«, werden in dieser Studie synonym benutzt. Als Spekulation in: International Herald Tribune, 24.1.2012, S. 16. wird der Einsatz derivativer Instrumente bezeichnet, wenn 22 Die hohen Löhne sorgten für einen Rationalisierungs- diese nicht zur Preissicherung, sondern zur Gewinnerzielung schub. Der Bergbaukonzern Rio Tinto hat 150 vollautomati- genutzt werden. Ein Bauer, der im Mai die Ernte des Monats sierte Lastwagen beim japanischen Hersteller Komatsu be- August mittels eines Derivats verkauft und damit seine künf- stellt, die eine Nutzlast von je 300 Tonnen haben und von tigen Einnahmen sichert, spekuliert nicht. Eine Bank jedoch, Perth aus ferngesteuert im 24-Stunden-Betrieb laufen sollen. die auf fallende oder steigende Preise setzt, ohne den Rohstoff Vgl. Amanda O’Brien, »Rio Hits Top Gear with New Robot zu besitzen (und ohne die Absicht, diese je zu erwerben), Fleet for the Pilbara«, in: The Australian, 3.11.2011, S. 22. spekuliert. 23 »British Thermal Unit« ist eine Maßeinheit zur Messung 28 Derivate oder derivative Produkte sind Finanzmarkt- des Energiegehalts eines Rohstoffs. instrumente, die keinen eigenen Wert haben, sondern deren 24 Kassa-Märkte, im Englischen »spot markets« genannt, sind Wert von Gütern oder Wertpapieren abgeleitet wird. Derivate die Märkte, auf denen Waren und Wertpapiere, jedoch keine werden auch als Finanztermingeschäfte bezeichnet. Derivate gehandelt werden. 29 Vgl Ingo Pies, »Die Moral der Agrar-Spekulation«, in: 25 Vgl. Guy Chazan, »Chevron Bets on the ›Goldilocks‹ of Frankfurter Allgemeine Zeitung, 31.8.2012, (eingesehen am 8.8.2012). 18.10.2012). SWP Berlin Rohstoffboom und Kapitalimporte: Stolpersteine für die australische Wirtschaft? November 2012 13
Nach dem Höhenflug: Der Rohstoffsektor und das Ende der Übertreibungen märkte strukturell verändert habe und diese im erneut ein Geschäft abgeschlossen – mit neuer Lauf- 21. Jahrhundert zur Spielwiese von Spekulanten zeit, aber wiederum auf einen Anstieg setzend. Die geworden seien. Deren Herdenverhalten könne das Indexfonds treten damit in direkte Konkurrenz zu Preisniveau zumindest zeitweise beeinflussen. 30 Das anderen Käufern von Futures, die diese aber nicht heiße, wenn viele Akteure auf steigende Preise setzen zu spekulativen Zwecken einsetzen, sondern um ihre und zudem derivative Produkte verwenden würden, Produktion abzusichern. Dies können Nahrungs- könnten die Preise temporär in die Höhe schnellen. mittelhersteller sein oder auch Eisenhütten. Langfristig werde sich die durch Finanzinnovationen George Soros, einer der prominentesten Spekulan- beflügelte Hochpreisphase abschwächen, aber einige ten der Welt, hat schon im Jahr 2008 vor den Folgen Jahre lang könnten solche Übertreibungen durchaus des zunehmenden Einflusses institutioneller Investo- Bestand haben. ren auf die Rohstoffmärkte gewarnt. Soros stellte fest, Nicht zu bezweifeln ist jedenfalls, dass die Rohstoff- dass die spekulativen Einflüsse die Preise auf den Roh- märkte sich gewandelt haben. Noch Ende der 1990er stoffmärkten verändern können – sie setzen auf ein Jahre waren an den Warenterminbörsen, allen voran bestimmtes Ergebnis und haben genug Macht, den die führende Börse in Chicago, Spekulanten in der Markt aus dem Gleichgewicht zu bringen. 34 Diese Minderheit. Die meisten Transaktionen wurden von durch die Spekulation getriebene Entwicklung hat Marktteilnehmern getätigt, die ein direktes Interesse den Charakter einer sich selbst erfüllenden Erwar- daran hatten, einen bestimmten Preis zu sichern. Dies tung: Alle reden über ein neues Paradigma, alle heißt, dass Einkäufer, etwa eine Brotfabrik, und Ver- wetten auf eine neue Epoche, und zumindest zeit- käufer, beispielsweise ein Bauer oder ein Getreide- weilig können die erwarteten Ergebnisse tatsächlich händler, Sicherungsgeschäfte (hedging) abgeschlossen eintreten. haben. Im Oktober 1998 betrug das Verhältnis von Allerdings hat diese Entwicklung wenig mit Sicherungsgeschäften zu reinen Finanzwetten an der marktwirtschaftlichen Preisfindungsprozessen zu tun, Chicagoer Weizenbörse 70,5 zu 29,5 Prozent. Zehn sondern offenbart Anzeichen des von der britischen Jahre später hatte sich das Verhältnis genau umge- Ökonomin Susan Strange schon vor vielen Jahren so kehrt und lag nun bei 25,1 zu 74,9 Prozent. 31 Die Euro- bezeichneten »Mad Money«. Strange schrieb das päische Kommission hat auf stark gestiegene Aktivi- gleichnamige Buch kurz vor ihrem Tod im Jahr 1998 täten institutioneller Investoren auf den Rohstoff- und kritisierte darin scharf die Untätigkeit staatlicher märkten hingewiesen. Von 2003 bis 2008 wuchsen Aufsichtsbehörden, die das »verrückte« Treiben auf die Investitionen dieser Akteure allein in Rohstoff- den Finanzmärkten zuließen. 35 Gerade die Entwick- derivaten von 13 Milliarden Euro auf 170 bis 205 Mil- lungen auf den Rohstoffmärkten sind ein Beispiel liarden Euro und haben 2010 die bisherigen Höchst- dafür, wie schlecht Aktivitäten vieler Marktakteure werte des Jahres 2008 erreicht oder überschritten. 32 ordnungspolitisch flankiert werden. Die Warenterminbörsen sind zu Kasinos geworden, Doch für Befürworter weitgehend unregulierter in denen Finanzwetten dominieren. Rohstoffmärkte zählen diese Einwände nicht. Sie Besonders problematisch ist, dass seit einigen behaupten, dass es die Kassa-Märkte sind, die über Jahren immer mehr Indexfonds auftreten, die in der die Preisentwicklung entscheiden, nicht die Termin- Regel auf einen Preisanstieg setzen. 33 Die dazu ver- geschäfte. So äußerte Nobelpreisträger Paul Krugman, wendeten Instrumente sind sogenannte rollierende die immer wieder unterstellte Verbindung zwischen Futures: Bei Fälligkeit eines Termingeschäfts wird Termingeschäften und Kassa-Märkten würde ihn 30 Vgl. hierzu Harald Schumann, Die Hungermacher. Wie 34 Wörtlich sagte Soros: »... the institutions are piling in on Deutsche Bank, Goldman Sachs & Co. auf Kosten der Ärmsten mit one side of the market and they have sufficient weight to Lebensmitteln spekulieren, Berlin 2011, S. 38ff. unbalance it.« Zugleich warnt er vor einem Crash auf den 31 Sicherungsgeschäfte werden von Anbietern und Nutzern Rohstoffmärkten für den Fall, dass sich die Erwartungen der eines Rohstoffs getätigt. Vgl. ebd., S. 41. institutionellen Investoren ändern und viele zur gleichen 32 Vgl. Europäische Kommission, Grundstoffmärkte und Roh- Zeit auf fallende Preise setzen. Joanna Chung, »Soros Sounds stoffe: Herausforderungen und Lösungsansätze, Brüssel, 2.2.2011, Alarm on Oil ›Bubble‹«, in: Financial Times, 3.6.2008, (eingesehen am 1.8.2012). 33 Indexfonds versuchen, einen bestimmten Index möglichst 35 Vgl. Susan Strange, Mad Money. When Markets Outgrow exakt nachzubilden. Auf Rohstoffindizes setzende Indexfonds Governments, Ann Arbor: The University of Michigan Press, sind nur ein Teil dieser Anlageklasse. 1998, S. 1, 3. SWP Berlin Rohstoffboom und Kapitalimporte: Stolpersteine für die australische Wirtschaft? November 2012 14
Niedrige Steuern auf Rohstoffabbau »wahnsinnig machen«. Krugman meint, dass Termin- 0,3 Prozent auf 0,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts geschäfte überhaupt keine Auswirkungen auf die (BIP). Zwar stiegen im gleichen Zeitraum auch die Kassa-Märkte hätten: »It has no, zero, nada effect on Unternehmenssteuern um 1,1 Prozent des BIP, aber the spot price.« 36 nur ein Teil dieses Anstiegs entfiel auf den Rohstoff- Die Frage bleibt indes, warum Produzenten von sektor. 37 Rohstoffen nicht die Entwicklungen auf den Termin- Die Rechte an der Förderung von Rohstoffen liegen märkten nutzen sollten. Steigt also der Preis für eine im Prinzip bei der britischen Königin (sogenanntes Tonne Eisenerz auf den Terminmärkten auf ein be- Crown Land), werden aber von den australischen stimmtes Niveau, beispielsweise 150 US-Dollar pro Bundesstaaten wahrgenommen. Ihnen obliegt die Tonne, dann kann der Erzeuger des Rohstoffs zu Aufsicht über die Erschließung etwa von Kohlelagern. jenem Preis ein Termingeschäft abschließen und das Die Bundesstaaten vergeben Lizenzen und verlangen Erz verkaufen. Welchen Preis für das Produkt er dann dafür Gebühren. In Zeiten niedriger Rohstoffpreise auf dem Kassa-Markt erzielt, muss den Produzenten war die minimale Besteuerung des Bergbaus sinnvoll, nicht mehr interessieren. Mit dem Termingeschäft hat aber die in Boomzeiten erwirtschafteten, zum Teil er den Preis von 150 US-Dollar abgesichert. Selbst spektakulären Gewinne müssten weitaus rigider be- Krugman räumt ein, dass die Preise auf den Termin- steuert werden. Das australische Steuersystem unter- märkten dann Einfluss auf die Kassa-Märkte haben scheidet sich deutlich von den Systemen in anderen können, wenn Akteure auf beiden Märkten aktiv OECD-Ländern mit nennenswerter Rohstoffförderung. werden. Im Jahr 2007 machten die aus der Ölförderung stam- Umgekehrt müsste man fragen, warum ein Roh- menden Steuereinnahmen in Norwegen 15 Prozent stoffproduzent seine Ware unterhalb des Preises ver- der Staatseinnahmen aus, in Mexiko wird dieser Wert kaufen sollte, der für Termingeschäfte gezahlt wird. sogar auf 40 Prozent geschätzt. Eine höhere Besteue- Verfechter weitgehend unreglementierter Termin- rung des Rohstoffabbaus in Australien erscheint ge- geschäfte unterstellen, Kassa-Märkte und Termin- rechtfertigt, weil die Erträge daraus der gesamten geschäfte seien strikt getrennt. Das trifft so aber nicht Gesellschaft und nicht nur den Betreibern von Berg- zu. Wegen der in den letzten Jahren deutlich aus- werken zugute kommen sollten. geweiteten spekulativen Aktivitäten auf Rohstoff- Zu diesem Thema präsentierte das Australian märkten ist davon auszugehen, dass reale Faktoren, Bureau of Agricultural and Resource Economics im also etwa der Aufstieg Chinas, die hohen Rohstoff- Jahr 2007 eine Studie und schlug vor, im Bergbau preise nur zum Teil erklären können. Im Umkehr- erzielte Profite zu versteuern. 38 Premierminister schluss heißt dies aber auch, dass für eine Fortsetzung Kevin Rudd versuchte die Empfehlungen umzusetzen des Rohstoffbooms nicht nur eine anhaltend hohe und den Bergbauunternehmen im Mai 2010 eine Nachfrage erforderlich ist, sondern dass eine Re-Regu- 40-prozentige Steuer aufzuerlegen (Resource Super lierung der Rohstoffmärkte die Preise womöglich auf Profits Tax, RSPT). Damit scheiterte er jedoch im breiter Front einbrechen lassen kann. ersten Anlauf, unter anderem am Widerstand der Bergbaulobby. Rudds Niederlage trug nicht unerheb- lich dazu bei, dass er im Juni 2010 zurücktreten Niedrige Steuern auf Rohstoffabbau musste und von seiner Stellvertreterin Julia Gillard abgelöst wurde. Obwohl in Australien schon seit dem 19. Jahrhundert Nachdem die Regierung Gillard in den Wahlen vom mineralische Rohstoffe gefördert werden, war das August 2010 bestätigt worden war, wurde eine neue System der Besteuerung des Rohstoffabbaus lange Form der Besteuerung des Bergbaus auf den Weg ge- nicht überzeugend. Die vor allem von den Bundes- bracht. Hauptkomponente ist die Abkehr von einem staaten erhobenen Abgaben waren niedrig und stiegen Lizenzierungsverfahren hin zur Besteuerung von Ge- auch im Rohstoffboom kaum an, vom Rechnungsjahr winnen. Im alten System wurden Lizenzen gegen 2000/01 bis zum Rechnungsjahr 2006/07 lediglich von Gebühren vergeben, doch wenn die Rohstoffpreise nach Vergabe der Lizenzen stiegen, profitierten die Steuerzahler nicht davon. Zugleich beeinträchtigen 36 Paul Krugman, »Speculative Nonsense, Once Again«, in: The New York Times [Blog Paul Krugman], 23.6.2008, (eingesehen am 30.7.2012). 38 Vgl. ebd. SWP Berlin Rohstoffboom und Kapitalimporte: Stolpersteine für die australische Wirtschaft? November 2012 15
Nach dem Höhenflug: Der Rohstoffsektor und das Ende der Übertreibungen hohe Lizenzgebühren die Investitionsbereitschaft im Bergbau. Eine Besteuerung von Erträgen ist hingegen sehr viel effizienter: In Phasen niedriger Rohstoff- preise und schmaler Gewinne sind auch die Steuern gering, im Boom umso höher. 39 Die Regierung Gillard hat die Empfehlung der OECD aus ihrem Economic Survey des Jahres 2010 befolgt und zum 1. Juli 2012 eine Besteuerung von Gewinnen aus der Rohstoffförderung in Höhe von 30 Prozent eingeführt (Mineral Resources Rent Tax, MRRT). 40 Der Ausgleich zwischen den Interessen von Bundes- und Länderregierungen wird in einem kom- plexen administrativen Verfahren geregelt. Die Bun- desstaaten dürfen weiter Lizenzgebühren verlangen, und die Unternehmen dürfen bereits gezahlte Gebüh- ren von der an den Bund zu entrichtenden Steuer abziehen. 41 Bemerkenswert ist, dass die Besteuerung von Profiten aus dem Bergbau so lange auf sich warten ließ und die australische Politik und Gesellschaft nicht schon lange darauf bestanden haben, an den Gewinnen aus der Förderung natürlicher Rohstoffe angemessen beteiligt zu werden. 39 Vgl. OECD, Economic Survey Australia 2010 [wie Fn. 1], S. 69. 40 Vgl. »Bergbaukonzerne spüren die Abkühlung in China«, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 21.3.2012, S. 17. 41 Vgl. »MRRT Not that Complex: Henry«, in: The Sydney Morning Herald, 22.11.2010, (eingesehen am 5.12.2010). SWP Berlin Rohstoffboom und Kapitalimporte: Stolpersteine für die australische Wirtschaft? November 2012 16
Grundsolide Fiskalpolitik Stärken und Schwächen nach 20 Jahren Wachstum: Solide Fiskalpolitik, aber schlechte Infrastruktur Der Fünfte Kontinent wurde, wie bereits erwähnt, in moderat: Im Jahr 2011 entsprach sie 26,6 Prozent der den Jahren 1990/91 von einer schweren Finanzkrise Wirtschaftsleistung, während der Durchschnittswert erschüttert. Vorausgegangen war eine Wachstums- aller OECD-Länder im gleichen Jahr bei 103,0 Prozent phase, die Premierminister Bob Hawke und sein des BIP lag (siehe Tabelle 2, folgende Seite). Finanzminister Paul Keating von 1983 an mit einer Gerade für die Debatte über die wachsende Über- Liberalisierung des Kapitalverkehrs und einer De- schuldung zahlreicher europäischer Staaten ist das regulierung der Finanzmärkte eingeleitet hatten. Beispiel Australiens von Interesse. Trotz einer im Ver- Diese Phase endete mit dem Crash des Jahres 1990. gleich unproblematischen demographischen Entwick- Nachdem diese tiefe Krise überwunden war, hat lung (Australien weist sowohl eine hohe Geburtenrate die australische Volkswirtschaft einen langen Auf- als auch eine Zuwanderung qualifizierter Arbeitneh- schwung erlebt. mer auf) hat das Land erfolgreich die Gesamtverschul- dung reduziert. Eine sich verselbständigende staat- liche Überschuldung wie etwa im Falle Griechenlands, Grundsolide Fiskalpolitik Japans oder der USA ist verhindert worden. Australien hat das geschafft, was in der aktuellen Verschuldungs- Von einigen OECD-Ländern, deren Ökonomien zeit- debatte in Europa als Antagonismus dargestellt wird: weilig rasch gewachsen sind (etwa Großbritannien, Die Wirtschaft wuchs, während gleichzeitig die staat- Island, Irland, Griechenland und Ungarn), unter- liche Verschuldung verringert wurde. scheidet sich Australien vor allem dadurch, dass sein Allerdings hatte die Sparpolitik der Regierung Wachstum von einer extrem restriktiven Fiskalpolitik Howard auch gravierende Nachteile. Vor allem in den begleitet wurde. Während zahlreiche andere OECD- Bereichen Bildung, öffentliche Verkehrssysteme und Länder im Boom die Staatsausgaben steigerten, hat Infrastruktur leidet Australien heute auch aufgrund die Regierung des von 1996 bis 2007 amtierenden der Sparmaßnahmen an schwerwiegenden Defiziten. Konservativen John Howard die Aufschwungphasen Die Universitäten sind darauf angewiesen, ausländi- genutzt, um die Staatsverschuldung zu verringern. sche Studenten anzuwerben, die hohe Studiengebüh- Damit hat die Regierung sich die Chance eröffnet, in ren entrichten. Die öffentlichen Verkehrssysteme der einer Krise massiv die Nachfrage zu steigern. Howards großen Städte hinken weit hinter europäischen und konservative Fiskalpolitik ermöglichte dem Labor- inzwischen auch asiatischen Standards hinterher. In Premierminister Kevin Rudd eine keynesianische der Millionenstadt Sydney etwa kann selbst in den Antwort auf die Krise. Mit anderen Worten: Die drasti- dichter besiedelten Stadtteilen nicht von einem leis- sche Reduzierung der staatlichen Defizite unter der tungsfähigen Nahverkehr gesprochen werden. Viele konservativen Regierung hat die Labor Party erst in Busse in Sydney wurden schon in den 1980er Jahren die Lage versetzt, mit großzügigen Ausgabenprogram- in Dienst gestellt. Die knapp 300 Kilometer lange men auf die Wirtschaftskrise zu reagieren. Zugfahrt von der Hauptstadt Canberra nach Sydney Im Jahr 1992, unmittelbar nach der letzten schwe- dauert viereinhalb Stunden. Diese wenigen Beispiele ren Krise, machte die staatliche Neuverschuldung illustrieren, dass der rigorose Sparkurs nicht ohne noch 5,5 Prozent der australischen Wirtschaftsleis- Folgen für die Leistungsfähigkeit der australischen tung aus. 1998 wurde erstmals ein Plus von 1,6 Pro- Volkswirtschaft blieb. Allerdings haben die Regierun- zent des BIP erwirtschaftet. Abgesehen von einem gen Rudd und Gillard, indem sie Konjunkturpakete minimalen Defizit im Jahr 2001 wurden seitdem schnürten, schon erhebliche Anstrengungen für die bis einschließlich 2007 stets Überschüsse zwischen Modernisierung der Infrastruktur unternommen und 0,7 und 1,7 Prozent des BIP realisiert. Erst infolge der zahlreiche Investitionen in die Wege geleitet. Weltfinanzkrise entstand ab dem Jahr 2008 wieder Die Infrastruktur leistungsfähiger zu machen ist ein Defizit in den öffentlichen Haushalten und die eine der großen Herausforderungen für die australi- Staatsverschuldung stieg, allerdings vergleichsweise sche Politik. Dies gilt nicht nur für die Verkehrswege SWP Berlin Rohstoffboom und Kapitalimporte: Stolpersteine für die australische Wirtschaft? November 2012 17
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