Rückkehrrecht? Geschichte und Gegenwart einer palästinensischen Forderung - Mideast Freedom Forum Berlin
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Rückkehrrecht? Geschichte und Gegenwart einer palästinensischen Forderung Herausgeber: Deutsch-Israelische Gesellschaft e.V. DIG-Bundesgeschäftsstelle Littenstraße 105 D-10179 Berlin www.deutsch-israelische-gesellschaft.de Diese Broschüre können sie unter info@digev.de bestellen Redaktion: Alexander Steder Die Autor:innen verantworten die Inhalte ihrer Texte Titelbild: Mariam Khoury, Das palästinensische Flüchtlingslager Schatila, Libanon Gestaltung: Felix S. Schulz, www.dieagentuer.de, Berlin Druck: adressdruck.de, Berlin © Deutsch-Israelische Gesellschaft, 2021 Nachdruck und Verwendung, auch auszugsweise, nur mit ausdrücklicher und schriftlicher Genehmigung der DIG. ISBN 978-3-00-069842-2 2 3
Vorwort 6 Jörg Rensmann Das Rückkehrrecht aus völkerrechtlicher Perspektive 8 Florian Markl & Alex Feuerherdt Inhalt Gescheiterter Friedensprozess: Arafat und das Rückkehrrecht 20 Michael Spaney Die Forderung nach dem Rückkehrrecht, die UNRWA und die Bundesregierung 28 Ulrike Becker Die Flüchtlingslager der UNWRA 36 Die Apathie der Nachkommen 38 Mariam Khoury Al-Yarmouk in Syrien. Die heimliche Hauptstadt der palästinensischen Diaspora 46 Alexander Steder The War of Return 54 Till Schmidt im Gespräch mit Einat Wilf Pragmatische Reformen für einen neuen Nahen Osten 64 Jörg Rensmann 4 5
Vorwort von Jörg Rensmann Nach über 70 Jahren bleibt die palästinen- Diese Broschüre fragt nach der Geschich- sische Flüchtlingsfrage noch immer unge- te, der gegenwärtigen Bedeutung und der löst. Das Hilfswerk der Vereinten Nationen Zukunft des sogenannten Rückkehrrechts und für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten vereint dabei unterschiedliche Zugriffe und Pers- Alex Feuerherdt und Florian Markl nehmen Alexander Steder interviewt Ahmad D.2 , der (engl. UNRWA) zählt heute rund 5,7 Millionen pektiven. Sie versteht sich als Debattenbeitrag zu diese Interpretation kritisch auf und besprechen als staatenloser Palästinenser im Flüchtlingsla- registrierte palästinensische Flüchtlinge. einer der wohl schwierigsten Fragen des Nahost- das sogenannte Rückkehrrecht aus einer histo- ger Al-Yarmouk bei Damaskus aufwuchs und im konflikts, die nicht nur die Beziehungen zwischen risch-völkerrechtlichen Perspektive. Januar 2016 aus dem syrischen Bürgerkrieg nach Sie sind die Nachkommen der arabischen den Israelis und Palästinensern berührt, sondern Deutschland floh. Heute studiert D. Nahostwis- Palästinenser, die im Zuge des arabischen Krie- auch viele andere Staaten und Akteure der Region Ihnen folgt Michael Spaney, der sich aus einer senschaften und engagiert sich in der Deradika- ges gegen Israel von 1948–1949 und des Sechsta- sowie internationale Organisationen und diplomatiegeschichtlichen Perspektive mit dem lisierungsarbeit. In seinen Antworten beschreibt gekriegs 1967 flüchteten oder vertrieben wurden. Entwicklungen berücksichtigen muss. Die letzten Jahr der so vielversprechend begonnenen er die Lebensrealitäten in Al-Yarmouk, geht auf Ihre Integration in die umliegenden arabischen Ersteller der Broschüre hoffen, ihrer Leser- Phase von Oslo beschäftigt. In seinem Beitrag das Verhältnis zwischen den syrischen Palästi- Staaten wurde in den darauffolgenden Jahrzehn- schaft eine grundlegende Übersicht zum beginnt er mit den US-vermittelten Friedensver- nensern und der Mehrheitsbevölkerung ein und ten bewusst blockiert, denn den arabischen Re- Thema und spannende Einblicke zu liefern sowie handlungen von Camp David im Jahr 2000 und erklärt, was die palästinensische Diasporaidenti- gierungen war daran gelegen, die Flüchtlinge als kritische Impulse an die deutsche Nahostpolitik fragt auf Basis unterschiedlicher Zeitdokumente tät ausmacht. politisches Druckmittel gegen Israel in Stellung auszusenden. und einem Interview mit dem damals beteiligten zu bringen. Gleichzeitig setzten sich innerhalb US-Diplomaten Dennis Ross, welchen Stellenwert Mit der Israelin Einat Wilf gelingt es Till Schmidt der palästinensischen Gemeinschaft diejenigen Das Flüchtlingselend, das der erste arabisch-is- die palästinensische Flüchtlingsfrage und das eine Perspektive der zionistischen Linken für die Kräfte durch, denen jeder Integrationsversuch raelische Krieg 1948–1949 auf der arabischen Rückkehrrecht für Arafats Ablehnung der Broschüre einzufangen. Sie war Beraterin des in die Gesellschaften ihrer Fluchtzielländer als und jüdischen Seite auslöste, hatte von Anfang sogenannten Clinton-Parameter hatten, die einen ehemaligen israelischen Premierministers Ehud Verrat an ihrer palästinensischen Identität galt an eine internationale Dimension. Inmitten der souveränen palästinensischen Staat mit Ostjeru- Barak, Knessetabgeordnete und veröffentlich- und die den Krieg gegen Israel mit allen Mit- Kriegshandlungen verabschiedete die General- salem als dessen Hauptstadt vorsahen. te mit ihrem Co-Autoren Adi Schwartz unlängst teln fortsetzen wollten. Statt konkreter Lösun- versammlung der Vereinigten Nationen (engl. UN) das Buch „The War of Return“. Darin beschreiben gen für das Leid der Flüchtlinge vor Ort forder- am 11. Dezember 1948 die Resolution 194. Sie sah Die Historikerin Ulrike Becker lenkt den Blick sie die Geschichte und ideologische Bedeutung ten sie ein uneingeschränktes Rückkehrrecht eine UN-Vermittlungskommission vor, die zu einer weg vom Nahen Osten und fragt in ihrem histori- der palästinensischen Rückkehrforderungen und in das heutige Israel. Obwohl die allermeisten Beendigung des Krieges beitragen sollte. Außer- schen Überblicksartikel nach den Positionen der kritisieren die bisherigen westlichen Annahmen palästinensischen Flüchtlinge der dritten und dem beinhaltete sie verschiedene Empfehlungen, bundesdeutschen Außenpolitik zur palästinensi- über den Nahostkonflikt. vierten Generation die Dörfer ihrer Groß- und wie den zahlreichen Flüchtlingen geholfen wer- schen Flüchtlingsproblematik und der Forderung Urgroßeltern nur aus mythischen Erzählungen den könnte, deren Anzahl auf arabischer Seite nach einem Recht auf Rückkehr. Auf Grundlage Den Abschluss dieser Broschüre stellt eine Be- kennen, bleibt das sogenannte Rückkehrrecht nach seriösen Schätzungen bis zu den Waffen- zahlreicher Quellen aus den Beständen des Poli- standsaufnahme der aktuellen Entwicklungen in das Kernland Israels bis heute eine wesentli- stillstandsverhandlungen 1949 auf bis zu 750.000 tischen Archivs des Auswärtigen Amts gelingt es im Nahen Osten dar, die darauf hindeuten, dass che politische Forderung aller palästinensischer Menschen anwuchs1. Palästinensische Akteure ihr, knapp die wichtigsten Etappen und Verän- das sogenannte Rückkehrrecht der Palästinen- Fraktionen und damit eine schwere Herausfor- beziehen sich bis heute auf das UN-Papier und derungen der bundesdeutschen Palästinapolitik ser in den arabischen Staaten an Unterstützung derung für konstruktive Friedensverhandlungen sehen darin eine legale Grundlage für ein Recht nachzuzeichnen. verliert. Damit ist keinesfalls gemeint, dass die zwischen Israel und den palästinensischen auf Rückkehr. Situation der Palästinenser heute nicht mehr in- Vertretern. Mariam Khoury begab sich für ihren Beitrag teressieren würde, im Gegenteil. Das Aufweichen in die palästinensischen Flüchtlingslager Scha- jahrzehntealter Dogmen eröffnet jedoch den tila und Burj Al-Barajne im krisengebeutelten Raum für neue Lösungsmöglichkeiten. Die deut- Libanon. Nach über 70 Jahren leben die palästi- sche Außenpolitik ist angehalten, sie zu ergreifen. nensischen Flüchtlinge und ihre Nachkommen noch immer unter diskriminierenden Sonder- 2 Zur Sicherheit wurde der Name gekürzt. gesetzen, die ihre Arbeitsplatzwahl und soziale Teilhabe massiv einschränken. Khoury zeigt in ihrem Streifzug durch die Lager, dass unter den jungen Palästinensern im Libanon kaum noch jemand der palästinensischen Führung vertraut und ernsthaft an das Versprechen der Rückkehr glaubt. 1 Morris, Benny: The Birth of the Palestinian Refugee Problem Revisi- ted, Cambridge 2004, S. 603. 6 7
Während einer Rede des palästinensischen Präsidenten Mahmoud Abbas vor der UN, protestiert eine Frau mit einem Sticker, der DAS RÜCKKEHRRECHT AUS VÖLKERRECHTLICHER PERSPEKTIVE FLORIAN MARKL & ALEX FEUERHERDT die Erfüllung der UN Resolution 194 fordert. Das Rückkehrrecht aus völkerrechtlicher Perspektive Geschichte, Gegenwart und Bedeutung einer gefährlichen Illusion Wo soll das Rückkehrrecht verankert sein? Anders, als stets behauptet wird, ist ein Recht auf von Florian Markl & Alex Feuerherdt Rückkehr hier jedoch nicht zu finden: Folgt man palästinensischen Darstellungen, dann besteht nicht der geringste Zweifel daran, dass Dass Flüchtlingen eine Rückkehr gestattet wer- das Recht auf Rückkehr der palästinensischen den „soll“, bringt einen Wunsch oder Appell zum Flüchtlinge fest im internationalen Recht veran- Ausdruck – mehr aber auch nicht. Noch deutlicher kert sei. Und nicht nur das: Seit Ende der 1960er wird das in der englischen Originalversion, der Jahre werde es von Organen wie der Generalver- zu entnehmen ist, dass die Rückkehr ermöglicht sammlung der Vereinten Nationen sogar als „un- werden „sollte“ („should“) . 2 Und dieser Wunsch veräußerliches Recht“ bezeichnet. Zurück gehe wurde noch deutlich abgeschwächt, indem er an dieses Rückkehrrecht auf Resolution 194 (III) der eine entscheidende Bedingung geknüpft wurde: UN-Generalversammlung, die am 11. Dezember Nur diejenigen sollten zurückkehren dürften, die 1948 verabschiedet wurde. Darin ist zum Thema bereit wären, in Frieden mit ihren (jüdischen) Flüchtlinge in der deutschen Übersetzung der Nachbarn zu leben. Wie und von wem diese Be- Diplomatischen Vertretung Palästinas in Deutsch- reitschaft inmitten des noch andauernden Krie- land Folgendes zu lesen: ges, der Israel von den arabischen Staaten aufge- zwungen worden war, hätte festgestellt werden Die Generalversammlung „beschließt, dass den- sollen, war der Resolution allerdings nicht zu ent- jenigen Flüchtlingen, die zu ihren Wohnstätten nehmen. zurückkehren und in Frieden mit ihren Nachbarn Ohne sich ins Reich der Spekulationen zu bege- leben wollen, dies zum frühestmöglichen Zeit- ben, war doch jedem klar, dass keineswegs alle punkt gestattet werden soll und dass für das Geflüchteten dieses Kriterium erfüllten. Eigentum derjenigen, die sich entscheiden, nicht zurückzukehren, sowie für den Verlust oder die Nicht zuletzt deshalb sollte gemäß der Resolu- Beschädigung von Eigentum, auf der Grundlage tion eine Schlichtungskommission damit beauf- internationalen Rechts oder nach Billigkeit von tragt werden, „die Rückführung, Umsiedlung und den verantwortlichen Regierungen und Behör- ökonomische sowie soziale Eingliederung der den Entschädigung gezahlt werden soll“.1 Flüchtlinge und die Zahlung von Entschädigung […] zu fördern“. 3 1 Palästinensische Mission: Recht der Flüchtlinge auf Rückkehr 2 Vgl. UN-Generalversammlung: Resolution 194 (III), 11. Dezember oder Entschädigung. Generalversammlung – Resolution 194 (III), 11. 1948, https://web.archive.org/web/20150506062438/domino.un.org/ Dezember 1948, http://www.palaestina.org/fileadmin/Daten/Doku- unispal.nsf/0/c758572b78d1cd0085256bcf0077e51a?OpenDocument. mente/Abkommen/UN-Resolutionen/resolution_194__11.12.1948.pdf. 3 Ebd. 8 9
DAS RÜCKKEHRRECHT AUS VÖLKERRECHTLICHER PERSPEKTIVE FLORIAN MARKL & ALEX FEUERHERDT Schon vor Israels Unabhängigkeitserklärung griffen irreguläre Noch während der kriegerischen Auseinander- arabische Milizen jüdische Ortschaften an. Das Bild zeigt setzungen von 1947–1949 verabschiedete die Kämpfer der „Armee des Heiligen Krieges“, die Freiwillige aus Generalversammlung der Vereinten Nationen mehreren arabischen Ländern rekrutierte. die UN-Resolution 194. Die Generalversammlung wollte demnach also Von all ihren anderen Inhalten ist freilich nie die Um sich also auf Resolution 194 als Grundla- hat, heute zu den Themen Flucht bzw. Vertrei- zwar die Rückkehr eines Teils der Flüchtlinge er- Rede, wenn auf Resolution 194 verwiesen wird. ge eines Rückkehrrechts zu berufen, muss man bung und Rückkehr zu sagen hat. Da es im Völker- möglichen, erachtete für den anderen Teil aber Herausgepickt wird nur eine einzige Passage. aus einer umfassenden Resolution eine einzelne recht keine rückwirkende Gültigkeit gibt, sind die dessen Umsiedlung und Integration in andere Passage herausgreifen (sowie einen beträcht- zahlreichen Verträge und Konventionen, die nach Länder als geeignete Maßnahmen, um das Flücht- Und selbst wenn die Resolution deutlichere Wor- lichen Teil des Absatzes weglassen, der andere 1948 vereinbart wurden, von den Genfer Konven- lingsproblem so zu lösen. te zur Frage der Rückkehr enthalten hätte, so Lösungen als eine Rückkehr vorsah) und die- tionen (1949) bis zum Römischen Statut des Inter- wäre damit kein verbrieftes Recht auf Rückkehr sen Abschnitt aus dem Zusammenhang mit al- nationalen Strafgerichtshofs (1998), schlichtweg Da dies der Weg war, mit dem sich andere – und entstanden. len anderen Forderungen reißen, die in der von nicht von Belang. Von Bedeutung ist ausschließ- zahlenmäßig weit größere – Flüchtlingskrisen den arabischen Staaten abgelehnten Resolution lich, wie sich der rechtliche Stand in den Jahren auf der Welt bewältigen ließen, war es nur allzu Denn Resolutionen der Generalversammlung der enthalten waren (und an die sich die arabische 1947/1948 gestaltete.4 verständlich, dass er auch für die Flüchtlinge in Vereinten Nationen schaffen kein internationales Konfliktseite niemals gehalten hat), um sodann Palästina vorgeschlagen wurde. Bis heute wollen Recht und sind gemäß der UN-Charta rechtlich zu behaupten, dass damit ein unveräußerliches Und hier ist das Urteil eindeutig: Damals gab es die Vertreter der Palästinenser von dieser Alter- nicht bindend – sie sind kaum mehr als Empfeh- Recht festgeschrieben worden sei – ungeachtet weder in internationalen Abkommen, mit denen native zur geforderten Rückkehr jedoch nichts lungen an den Sicherheitsrat oder die sogenann- der Tatsache, dass ein solches darin nicht zu fin- Völkerrecht geschaffen worden war, noch im so- wissen. Daher ist es auch kein Wunder, dass die te internationale Staatengemeinschaft. den ist und ohnehin rechtlich nicht bindend ge- genannten Völkergewohnheitsrecht Hinweise auf Palästinensische Mission in Deutschland diese Die einzige UN-Institution, die bindende Be- wesen wäre. ein Rückkehrrecht für Flüchtlinge. Mehr noch: Passage in ihrer Übersetzung der Resolution ein- schlüsse fassen kann, ist der Sicherheitsrat der Selbst wenn man für einen Moment der anti- fach unter den Tisch fallen lässt. Vereinten Nationen Doch dieser hat sich zu kei- Was internationales Recht zur Rückkehr von israelischen Propaganda Glauben schenkt und nem Zeitpunkt für ein Rückkehrrecht der Palästi- Flüchtlingen sagt annimmt, dass zwischen 1947 und 1949 eine ge- In Resolution 194 ging es aber nicht nur um nenser ausgesprochen. plante und rücksichtslose ethnische Säuberung Flüchtlinge, sondern auch um eine Reihe anderer Dass in Resolution 194 ein Recht auf Rückkehr der Araber aus dem neu geschaffenen jüdischen Themen, darunter um die Forderung nach Schutz Im Falle der Resolution 194 verhielt es sich dar- nicht zu finden ist, hat einen einfachen Grund: Staat stattgefunden hat, so hätte Israel nicht ge- von und freiem Zugang zu heiligen Stätten sowie über hinaus so, dass sie von den damals sechs Niemand wäre damals auf die Idee gekommen, gen damals geltendes internationales Recht ver- um Verhandlungen zwischen den Konfliktpartei- arabischen UN-Mitgliedsstaaten und von der Füh- dass ein solches Recht existiert. stoßen. 5 en, um sämtliche strittigen Fragen zu klären. Ar- rung der Araber in Palästina – von Palästinensern Wie Andrew Kent in einer Studie über die Bewer- tikel 11, der Abschnitt über die Flüchtlinge, war sprach damals noch niemand – vehement abge- tung des palästinensischen Rückkehrrechts aus- lediglich einer von 15 Artikeln der viel umfang- lehnt wurde, weil sie aus ihrer Sicht eine implizite führt, ist es irrelevant, was das internationale 4 Vgl. Kent, Andrew: Evaluating the Palestinian’s Claimed Right of Re- turn, University of Pennsylvania Journal of International Law, Vol. 34 reicheren Resolution. und völlig inakzeptable Anerkennung Israels be- Recht, das seit Mitte des 20. Jahrhunderts in fast (2012–2013), Iss. 1 (2012), S. 149–275, hier S. 175ff. inhaltete. allen Bereichen enorm an Umfang zugenommen 5 Vgl. ebd., S. 179ff. 10 11
DAS RÜCKKEHRRECHT AUS VÖLKERRECHTLICHER PERSPEKTIVE FLORIAN MARKL & ALEX FEUERHERDT Was internationale Abkommen betrifft, so gab eines Rückkehrrechts für Flüchtlinge fand, wie probates, wenn nicht gar bestes Mittel zur Lösung schen aus Osteuropa, dies sei es lediglich die Haager Landkriegsordnung von sah es dann mit der zweiten wichtigen Quel- von Konflikten angesehen wurden. Wie Kent fest- 1899/1907, deren Bestimmungen auf den ara- le der internationalen Rechtsordnung aus: stellt, hat sich anfangs des 20. Jahrhunderts die „die Methode, die, soweit wir sehen konnten, die bisch-israelischen Krieg allerdings nicht An- dem Völkergewohnheitsrecht? Ansicht durchgesetzt, dass in Kriegszeiten die beste und dauerhafteste sein wird. Es wird kei- wendung finden konnten: Die möglicherweise Deportation der Bevölkerung aus einem besetz- ne Vermischung der Bevölkerungen geben, die relevanten Passagen im dritten Abschnitt des Gab die betreffende Passage von Resolution 194 ten Gebiet durch die Besatzungsarmee illegal sei. endlose Probleme verursachen könnte. […] Es Vertragstextes zielten nämlich ausschließlich auf lediglich wieder, was gemäß der Staatenpraxis wird ein sauberer Schnitt gemacht. Ich bin von „militärische Gewalt auf besetztem feindlichen sowie der opinio iuris (der subjektiven Überzeu- „Aber außerhalb dieses engen Kontextes hatte diesen umfangreichen Umsiedlungen nicht be- Gebiet“ ab und umfassten daher nicht die Flucht gung der Staaten, in ihrer Praxis einer rechtlichen das Völkerrecht keine Verbote für zwangsweise unruhigt.“9 eines Teils der arabischen Bevölkerung aus Israel. Verpflichtung zu folgen) als zwar nicht vertraglich Bevölkerungstransfers oder Massenvertreibung Vertreibungen waren laut Haager Abkommen zu- festgeschriebenes, aber dennoch verbindliches entwickelt. Im Gegenteil, Zwangstransfer von US-Präsident Roosevelt stimmte ihm zu: dem nicht explizit verboten, und über ein Rück- Recht gegolten hat?6 Kurz gesagt: Nein, ganz im Bevölkerungen zur Lösung langjähriger ethni- kehrrecht für Flüchtlinge fand sich kein Wort. Gegenteil! scher Streitigkeiten wurde allgemein als legal „Das ist zwar eine harsche Vorgangsweise, aber anerkannt.“7 es ist der einzige Weg, um den Frieden zu er- Überdies konnte die Haager Landkriegsordnung Ein Blick auf die Staatenpraxis offenbart, dass Be- halten.“10 schon allein aus formalen Gründen keine Gültig- völkerungsverschiebungen – auf freiwilliger Basis So sahen auch die Jahre unmittelbar vor der keit haben, da weder Israel noch arabische Feind- oder durch Zwangsmaßnahmen – nicht nur nicht Gründung Israels eine Reihe von Kriegen und Kri- Fraglich ist, wie nach dem Zweiten Weltkrieg eine staaten wie Ägypten, Syrien, Jordanien oder der geächtet waren, sondern allgemein als zumindest sen, deren Beendigung mit der Umsiedlung gro- Friedensordnung hätte aussehen können, die Libanon zu ihren Unterzeichnern zählten – sie ßer Bevölkerungsgruppen einherging – nach all dem von Deutschen verursachten Grau- alle hatten 1907 noch nicht einmal existiert und en nicht die Flucht und Vertreibung der Deut- waren ihr auch danach nie beigetreten. 6 So die Behauptung der „Palästinensischen Mission in Deutschland“ darunter der griechisch-türkische Bevölkerungs- schen beinhaltet hätte. in einem Schreiben an die Autoren dieses Beitrags. Vgl. Markl, Flo- rian: Palästinensische Mission in Deutschland: Pseudo-juristischer austausch, der 1923 begann und rund eineinhalb Wenn sich schon in vertraglich vereinbarten Jargon ohne Substanz, Mena-Watch, 20. April 2018, https://www.me- Millionen Griechen sowie eine halbe Million Tür- Da Bevölkerungstransfers in aller Regel als Mit- Bestimmungen kein Hinweis auf die Existenz na-watch.com/palaestinensische-mission-in-deutschland-pseudo- ken umfasste, die Flucht und Vertreibung von tel zur Beendigung von Konflikten betrachtet juristischer-jargon-ohne-substanz/. rund zwölf Millionen Deutschen aus Zentral-, Ost- wurden, muss nicht eigens betont werden, dass und Südosteuropa sowie die Umsiedlung von ins- selbstverständlich niemand an eine Rückkehr der gesamt rund 13 Millionen Hindus, Sikhs und Mus- zahlreichen davon betroffenen Menschen in ihre limen im Zuge der Unabhängigkeit Indiens und frühere Heimat dachte – geschweige denn darin der Abspaltung Pakistans 1947.8 ein unveräußerliches Recht sah. Fazit: Die Annah- me, dass das in Resolution 194 angeblich enthal- Doch derartige Bevölkerungsverschiebungen – tene Rückkehrrecht lediglich die Wiedergabe des mit all ihrem immensen persönlichen Leid und damals geltenden Völkergewohnheitsrechts ge- den zahlreichen mit ihnen einhergehenden Toten wesen sei, ist nicht haltbar. – wurden nicht als Ursache für das Fortdauern eines Konflikts gesehen, sondern ganz im Gegen- Der Fall der Palästinenser im Kontext der teil als Voraussetzung für eine friedlichere Zu- Geschichte kunft. Der Architekt des griechisch-türkischen Austauschs etwa, der Norweger Fridtjof Nansen, Das infolge des von irregulären arabischen Mi- bekam für seine Bemühungen zur Bewältigung lizen und den arabischen Staaten begonnenen der Flüchtlingsprobleme nach dem Ersten Welt- Krieges gegen den jüdischen Staat erwachsene krieg den Friedensnobelpreis verliehen. Flüchtlingsproblem unterschied sich nicht grund- sätzlich von den anderen erwähnten Fällen, von Großbritanniens Premierminister Winston Chur- denen kein einziger als illegal oder Bruch des chill meinte anlässlich der Vertreibung der Deut- Völkerrechts betrachtet wurde. 7 Kent; Evaluating the Palestinian’s Claimed Right of Return, S. 216. 8 Einen Überblick bieten Shulewitz, Malka Hillel/Israeli, Raphael: Ex- changes of Populations Worldwide: The First World War to the 1990s, 9 Zit. nach Kent; Evaluating the Palestinian’s Claimed Right of Return, in Shulewitz, Malka (Hrsg.): The Forgotten Millions. The Modern Je- S. 219. wish Exodus from Arab Lands, London/New York 2000, S. 126–141. 10 Zit. nach ebd. Eine palästinensische Familie flieht aus Galiläa 1948. Viele glaubten, dass sie schon 12 13 nach kurzer Zeit zurückkehren können.
DAS RÜCKKEHRRECHT AUS VÖLKERRECHTLICHER PERSPEKTIVE FLORIAN MARKL & ALEX FEUERHERDT Im Vergleich zu anderen Fluchtbewegungen der arabischen Länder, mit Waffengewalt die verlief jener der Araber aus Israel sogar relativ Gründung Israels zu verhindern, hatte bei den glimpflich. An manchen Orten fanden zwar Ver- Palästinensern große Hoffnungen geweckt.“12 treibungen statt, insbesondere gegen Ende des Krieges, als Israel sich darum bemühte, die unter Dem Strom der Ausreisenden schloss sich auch Kontrolle gebrachten Gebiete zu sichern. Doch Khalafs Familie an: der Großteil der Geflüchteten wurde nicht von den Israelis mit Gewalt in die Flucht gezwun- „Nicht ahnend, was sie erwartete, entschlossen gen, sondern verließ aus anderen Gründen sei- meine Eltern sich ebenfalls, ins Exil zu gehen. ne Wohnorte: etwa um dem Kriegsgeschehen zu Wir suchten unsere Zuflucht in Gaza, der Ge- entgehen, nach Aufforderung arabischer Führer burtsstadt meines Vaters. Wir ließen Hab und oder aus – zum Teil gezielt geschürter – Angst Gut zurück und nahmen nur das Notwendigste vor israelischer Gewalt, als Symptom des Zusam- an persönlichen Dingen mit. Noch heute sehe menbruchs des arabischen Teils der Gesellschaft ich meinen Vater vor mir, wie er die Schlüssel usw. Auch wenn anti-israelische Agitatoren eifrig unserer Wohnung in der Hand hält und beruhi- daran arbeiten, den gegenteiligen Eindruck zu gend zu uns sagt, wir würden bald wieder zurück erwecken: Eine umfassende, von jüdischen Trup- sein.“13 pen in Gang gesetzte ethnische Säuberung gab es nicht.11 Nicht zuletzt deshalb verblieben am Nicht nur spielte Zwang eine wesentlich geringere Ende des Krieges rund 150.000 Araber in Israel Rolle als in ähnlichen Fällen; verglichen mit der und bildeten den Kern der arabischen Minderheit Vertreibung der Deutschen aus Osteuropa, bei im Land, die seither auf weit über eineinhalb Mil- der mehrere Hunderttausend Menschen ums Le- Eine jüdische Familie flieht aus dem Jemen. lionen Menschen angewachsen ist und über 20 ben kamen, sowie der Trennung von Indien und Israel nahm nach seiner Gründung hundert- tausende Jüdinnen und Juden aus den arabi- Prozent der israelischen Bevölkerung ausmacht. Pakistan, die geschätzt dreieinhalb Millionen schen Ländern und dem Iran auf. Dass die Fluchtbewegung nicht in erster Linie auf Menschenleben kostete, war auch der Verlust an Zwang zurückzuführen war, bestätigte auch eine Menschenleben unter den Palästinensern nicht Quelle, der man zionistische Propaganda mit Si- außergewöhnlich hoch: Er entsprach im Verhält- cherheit nicht nachsagen konnte: Salah Khalaf, nis ungefähr dem der jüdischen Seite. Und er war Dazu kam, dass es sich nicht um eine einseitige die arabische Welt mit ihren ungleich größeren einer der Gründer der Fatah, lange Jahre Geheim- zum weit überwiegenden Teil nicht das Resultat Fluchtbewegung der Araber handelte, sondern, Ressourcen sollte sich der Araber annehmen, die dienstchef sowie Nummer zwei der PLO hinter gezielter Gewalttaten gegen die Zivilbevölkerung. wenn man auch den Exodus der Juden aus der aus Israel geflüchtet waren. Die beiden Gruppen, Jassir Arafat und einer der Anführer der Terror- Das Ausmaß und die Qualität der Gewalt, die die arabischen Welt berücksichtigt, um eine Art von jüdische und arabische Flüchtlinge, hielten sich organisation Schwarzer September. Als Ergebnis arabisch-palästinensische Seite erfuhr, reichten Bevölkerungsaustausch – ein Umstand, der heu- zahlenmäßig ungefähr die Waage. Erst die Jahr- der durch arabische Gräuelpropaganda geschür- nicht annähernd an die massenhaften Grausam- te fast in Vergessenheit geraten ist und in den zehnte andauernde Propaganda der arabischen ten Furcht vor jüdischen Gewalttaten, schrieb er keiten heran, die die Sudetendeutschen erlitten Diskussionen über die Lösung des Flüchtlings- Staaten sowie deren Übernahme durch die Ver- in seinen Memoiren, hatten oder die sich praktisch zeitgleich zum ara- problems oftmals übersehen wird. Binnen weni- einten Nationen bzw. die Integration der jüdi- bisch-israelischen Krieg in Indien/Pakistan ereig- ger Jahrzehnte hörten im gesamten Nahen Osten schen Flüchtlinge in Israel ließen die eine Gruppe „entschlossen sich Hunderttausende, ihre Hei- neten. Wie Adi Schwartz und Einat Wilf betonen, und in Nordafrika etliche jüdische Gemeinden zu von Flüchtlingen in Vergessenheit geraten, wäh- mat zu verlassen. Sie wurden in diesem Ent- zeigen diese Vergleiche, existieren auf, die es dort seit Hunderten oder – rend für die andere gleichzeitig ein Rückkehrrecht schluss noch bestärkt durch einige ‚Nationale wie im Fall des Irak – gar schon seit Tausenden propagiert wurde, das es in Wahrheit nicht gibt Komitees’, die vor allem in Jaffa von militanten „dass nichts bei der Entstehung des palästinen- Jahren gegeben hatte; die noch übrig gebliebe- und das auch auf keine andere Flüchtlingsgruppe Nationalisten gegründet worden waren und sischen Flüchtlingsproblems außergewöhnlich nen, schrumpften kontinuierlich dahin. Von den weltweit Anwendung findet. ihnen versicherten, dass ihr Exil nur von kur- war, weder von seiner Art her noch von seinem insgesamt rund 820.000 Juden, die ihre Heimat- zer Dauer sein werde, nur einige Wochen oder Ausmaß oder seiner Schwere“.14 länder verlassen mussten, fanden fast 600.000 in Zweierlei Flüchtlinge: die Palästinenser – Monate; diese Zeit würden die verbündeten Israel eine neue Heimat. und alle anderen arabischen Armeen benötigen, um die zionisti- schen Streitkräfte zu besiegen. Die Entscheidung 12 Abu Ijad: Heimat oder Tod. Der Freiheitskampf der Palästinenser, Aus der Sicht Israels hatte eine Art Bevölkerungs- Gemessen an der gewaltvollen Geschichte zer- Düsseldorf/Wien 1979, S. 30. austausch stattgefunden: Der jüdische Staat hat- fallener Imperien und neu entstandener Staaten 13 Ebd., S. 31. te sich um die aus den arabischen Staaten Ge- im 19. und 20. Jahrhundert stellt das palästinen- 11 Vgl. zu den vielfältigen Fluchtursachen und der verschiedenen 14 Schwartz, Adi/Wilf, Einat: The War of Return. How Western Indul- Phasen der Fluchtbewegung ausführlich Morris, Benny: The Birth of gence of the Palestinian Dream has Obstructed the Path to Peace, flüchteten sowie um die Juden zu kümmern, die sische Flüchtlingsproblem keine Besonderheit the Palestinian Refugee Problem Revisited, Cambridge 2004. New York 2000, S. 18. endlich aus Europa ins Land kommen konnten – dar. Außergewöhnlich ist es ausschließlich, weil 14 15
DAS RÜCKKEHRRECHT AUS VÖLKERRECHTLICHER PERSPEKTIVE FLORIAN MARKL & ALEX FEUERHERDT Vor allem aufseiten Ägyptens, Saudi-Arabiens und zwar auf das Territorium, das nun israelisch und des Libanon gab es Vorbehalte. Aus deren war. Schließlich hätte eine Integration, gar eine Sicht wären die arabischen Palästina-Flüchtlin- Einbürgerung der Flüchtlinge deren Rückkehr ob- ge marginalisiert worden, wenn man sie zu den solet gemacht sowie ihren Verzicht darauf und anderen Geflüchteten gezählt und genauso be- damit auch die Anerkennung Israels bedeutet. handelt hätte.16 Das aber war völlig ausgeschlossen. Laut arabischer Auffassung ergab sich das paläs- Die UNRWA zählte zu den Palästina-Flüchtlin- tinensische Flüchtlingsproblem unmittelbar aus gen ursprünglich auch diejenigen Juden, die aus dem UN-Teilungsplan, also der UN-Resolution jenen Teilen des britischen Mandatsgebiets Pa- 181 vom 29. November 1947. Das heißt, die ara- lästina geflohen waren, die im Teilungsplan dem bischen Länder machten die Vereinten Nationen zu gründenden arabisch-palästinensischen Staat direkt für dieses Problem verantwortlich, nach zugeschlagen worden waren. Außerdem rechnete dem Motto: kein Teilungsplan – kein Staat Israel – das Hilfswerk diejenigen Araber hinzu, die zwar keine Flüchtlinge. Deshalb waren sie der Ansicht, im Zuge des Krieges ihre Behausung sowie ihre dass die Verantwortung der UNO für das Schick- Existenzgrundlage verloren hatten, aber in Is- sal der palästinensischen Araber eine Verpflich- rael geblieben waren. Jedoch kam der jüdische tung bedeutet, eine separate UNO-Organisation Staat mit der UNRWA überein, dass diese Per- zu gründen, die sich nur mit diesen Flüchtlingen sonengruppen nicht zu den Flüchtlingen gezählt befasst, während der UNHCR für alle anderen Ge- werden und Israel für ihr Wohlergehen verant- flüchteten auf der Welt zuständig sein sollte. wortlich ist.17 Damit beschränkte sich die Zustän- digkeit der UNRWA auf die rund 700.000 palästi- Tatsächlich wurde eine solche separate Orga- nensischen Araber, die im Zuge des israelischen Essensausgabe in einer UNRWA-Einrichtung in Gaza 1956. Das UN-Hilfswerk wurde nisation wenige Tage nach dem Beschluss, den Unabhängigkeitskrieges den neu gegründeten jü- am 8. Dezember 1949 begründet, um den arabischen und jüdischen Palästina- flüchtlingen humanitäre Hilfe zukommen zu lassen. Heute existiert die UN-Or- UNHCR aufzubauen, gegründet: Es entstand die dischen Staat nach dem Überfall der arabischen ganisation noch immer. United Nations Relief and Works Agency for Pa- Staaten verlassen hatten oder verlassen muss- lestine Refugees in the Near East (UNRWA), das ten und nach Jordanien, nach Syrien, in den Liba- Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina- non, in den Gazastreifen oder ins Westjordanland Flüchtlinge, das im Frühjahr 1950 seine Arbeit gekommen waren. Dort unterhält die UNRWA bis es überhaupt noch existiert – und nicht, wie alle Nur im Fall der palästinensischen Flüchtlinge ist aufnahm. Somit stand bereits am Anfang der heute ihre Einrichtungen – und ihr Mandat, das anderen vergleichbaren Flüchtlingskrisen, binnen das anders – obwohl deren Integration in die UNWRA eine Geschichtsklitterung: Nicht der ara- ursprünglich nur bis Ende des Jahres 1950 gehen relativ kurzer Zeit durch die Neuansiedlung der arabischen Staaten ein Leichtes gewesen wäre. bische Krieg gegen Israel soll die Ursache des sollte, wird von der UN-Generalversammlung Geflüchteten und deren Integration in die Aufnah- Gescheitert ist diese nicht an unüberbrückbaren palästinensischen Flüchtlingsproblems gewesen seither alle drei Jahre verlängert. meländer gelöst wurde. Zum Vergleich: Im Zuge ethnischen, religiösen oder kulturellen Differen- sein, sondern der UN-Teilungsbeschluss. Die ara- des Korea-Krieges (1950–1953), bei dem rund eine zen, wie sie andere Flüchtlingskrisen charakteri- bischen Staaten schoben die Schuld am Flücht- Zu Beginn betrachtete es die UNRWA noch als ihre halbe Million Menschen getötet wurden, nahm sieren, sondern schlicht am politischen Willen. lingselend, das sie selbst hervorgerufen hatten, hauptsächliche Aufgabe, den Flüchtlingen bei der Südkorea mehr als drei Millionen Flüchtlinge aus Dazu muss man wissen, dass die Palästina-Flücht- einfach auf die Vereinten Nationen. Hinzu kam: Integration zu helfen und die Wirtschaft in den Nordkorea auf. Innerhalb von fünf Jahren nach linge eigentlich ein Fall für das Hohe Flüchtlings- Die arabischen Regierungen wollten nicht, dass Aufnahmeländern zu stärken, sodass die Geflüch- Kriegsende sowie mit internationaler Unterstüt- kommissariat der Vereinten Nationen (UNHCR) sich die palästinensischen Flüchtlinge dauerhaft teten sich dort einfügen und unabhängig werden zung waren alle von ihnen in die südkoreanische gewesen wären, dessen Gründung im Dezember auf ihrem Staatsgebiet ansiedeln und dort inte- können. Da die arabischen Staaten und auch die Gesellschaft integriert.15 Auch die aus Osteuropa 1949 beschlossen wurde. Die arabischen Staaten grieren oder gar zu Staatsbürgern werden. Sie Mehrheit der Flüchtlinge das aber entschieden geflüchteten Deutschen und deren Nachkommen versuchten damals, massiv Einfluss auf die Sta- wollten vielmehr eine externe Unterstützung für ablehnten und stattdessen ein unverhandelba- müssen heute ihr Dasein nicht in Flüchtlingsla- tuten des UNHCR sowie auf die Formulierung der die Geflüchteten bis zu jenem Tag, an dem die aus res Rückkehrrecht propagierten, entwickelte sich gern fristen, wo sie auf eine Rückkehr in Gebiete UN-Flüchtlingskonvention zu nehmen. Doch trotz ihrer Sicht einzig mögliche Lösung zur Wirklich- die Einrichtung zu einer Art Quasi-Regierung, die warten, in denen die meisten von ihnen noch nie weitgehender Konzessionen traten viele von ih- keit wird – nämlich die Rückkehr der Flüchtlinge, in großem Umfang mit Versorgungsleistungen in gewesen sind. nen schließlich weder dem UNHCR bei, noch rati- den Bereichen Bildung, Gesundheit und Sozial- fizierten sie die Flüchtlingskonvention. fürsorge aufwartete. 16 Vgl. Zilbershats, Yaffa/Goren-Amitai, Nimra: Return of Palestinian Refugees to the State of Israel, Metzilah Center for Zionist, Jewish, Li- beral and Humanist Thought, Jerusalem 2011, http://din-online.info/ 15 Vgl. Schwartz/Wilf: The War of Return, S. 80f. pdf/mz7.pdf, S. 28f. 17 Vgl. ebd., S. 114f. 16 17
DAS RÜCKKEHRRECHT AUS VÖLKERRECHTLICHER PERSPEKTIVE FLORIAN MARKL & ALEX FEUERHERDT So wuchs die Abhängigkeit der Flüchtlinge von Der UNHCR hat lediglich rund 17.000 Mitarbeiter, ihr mit der Zeit immer mehr, und die arabischen die aber für 20,4 Millionen Geflüchtete zuständig Staaten, in denen die Geflüchteten und deren sind. 21 Nachkommen leben, hatten sich somit der Ver- antwortung für das Wohlergehen der Palästi- Die Definition der UNRWA, wer als Flüchtling an- nenser entledigt – jener Palästinenser, die doch zusehen ist, hat sich seit ihrer Gründung mehr- sonst bei jeder Gelegenheit als arabische Brüder mals geändert. Spielte zunächst noch die Be- und Schwestern firmieren. Doch in Wahrheit hat dürftigkeit eine Rolle, so entfiel dieses Kriterium man sie vor allem als Waffe im Propagandakrieg später. Nach der heute gültigen Definition ist ein gegen Israel benutzt, und speziell im Libanon palästinensischer Flüchtling jeder, der „zwischen sind sie massiver Benachteiligung und Diskrimi- dem 1. Juni 1946 und dem 15. Mai 1948 in Palästi- nierung ausgesetzt.18 na ansässig war und der sein Haus oder seinen Das 1950 gegründete Flüchtlingslager Ein Beit el-Ma‘ (rot markiert) exis- Lebensunterhalt durch die Kriege 1948 oder 1967 tiert auch unter palästinensischer Selbstverwaltung weiter. Heute ist das Warum die Palästinenser auf der Rückkehr verlor“22 – sowie alle seine Nachkommen, so- Camp ein Viertel von Nablus in der Westbank, seine Bewohner gelten noch beharren gar geschiedene Ehepartner mit einer anderen immer als Flüchtlinge. Staatsangehörigkeit. 23 Das heißt, bei den Paläs- Der Unterschied zwischen der UNRWA und dem tinensern wird der Flüchtlingsstatus – anders UNHCR ist eklatant: Während der UNHCR seine als bei allen anderen Flüchtlingen – vererbt, bis Gleichwohl leben heute Millionen von Palästi- Rückkehr, wie sie die Palästinenser fordern, Aufgabe darin sieht, die Probleme seiner Flücht- die Rückkehr erfolgt ist. Die erdrückende Mehr- nensern als Flüchtlinge auf palästinensischem beendet worden wäre. Auch nicht im früheren linge zu lösen, besteht die Politik der UNRWA heit der mittlerweile über fünfeinhalb Millionen Grund und Boden und streben ihre Rückkehr Jugoslawien in den 1990er-Jahren, obwohl es darin, die Schwierigkeiten ihrer Flüchtlinge zu Palästinenser, die bei der UNRWA als Flüchtlinge an – in ein Land, in dem sie nie gelebt haben. dort sogar ein Abkommen gab, das ausdrück- verstetigen. Der UNHCR versucht, nötigenfalls registriert sind und auf ihrer Rückkehr beharren, Und die UNRWA unterstützt sie dabei ausdrück- lich eine Repatriierung von Geflüchteten und eine neue Heimat für die Flüchtlinge zu finden, ist also niemals geflohen. lich. Mit ihrer Hilfe können die Palästinenser an Vertriebenen vorsah, vor allem in Bosnien-Her- und hilft ihnen bei den Hürden und Formalitäten ihrem Vorhaben festhalten, über eine Rückkehr zegowina. Das Beharren der Palästinenser auf der Einwanderung. Die UNRWA hingegen hat, so Stattdessen erhielten sie diesen Status durch die Demografie in Israel so zu verändern, dass einer Rückkehr von über fünfeinhalb Millionen schrieb sie es selbst anlässlich ihres 60-jährigen die Abstammung von echten Flüchtlingen. Von die Juden zur Minderheit würden. Genau das Nachkommen der Flüchtlinge von 1948 folgt Bestehens, den palästinensischen Arabern, die während des ist auch ein Grund, warum auch die arabischen dem Ziel der Zerstörung Israels auch auf de- Krieges 1948 das Land verließen, lebten Schät- Staaten das Thema der Rückkehr vor allem an- mografischem Weg. Es bildet zudem den Ver- „kein Mandat, um dauerhafte Lösungen für die zungen zufolge im Jahr 2012 noch etwa 30.000. 24 fangs so in den Vordergrund stellten: Auf diesem such, die Ergebnisse eines Krieges rückgängig palästinensischen Flüchtlinge zu finden“19. Heute dürfte diese Zahl noch erheblich kleiner Wege versuchen sie, zu erreichen, was ihnen im zu machen, den arabische Staaten gegen den sein. Krieg gegen den jüdischen Staat auf militäri- jüdischen Staat begonnen hatten– nicht um- Heute ist die UNRWA die größte Einzelorganisa- schem Weg nicht gelungen war. Der ägyptische gekehrt. Das vermeintliche Rückkehrrecht der tion der Vereinten Nationen (und der zweitgrößte Zu bedenken ist dabei ferner, dass über die Außenminister führte das 1949 in aller Klarheit Palästinenser ist völkerrechtlich nicht verbrieft, Arbeitgeber in den palästinensischen Gebieten Hälfte der 1948 geflüchteten palästinensischen aus: Wenn die arabischen Staaten eine Rück- daran ändert auch die Existenz eines eigenen, hinter der Autonomiebehörde). Sie beschäftigt Araber arabisch-palästinensisches Gebiet gar kehr der Flüchtlinge nach Palästina forderten, aufgeblähten UN-Flüchtlingshilfswerks nichts, mehr als 27.000 Mitarbeiter – 99 Prozent davon nicht verließ, sondern ins Westjordanland oder dann meinten sie, „dass sie als Beherrscher das die palästinensische Illusion einer Rück- sind Palästinenser – und verfügt über ein jähr- in den Gazastreifen umsiedelte. Weitere zehn des Heimatlandes zurückkommen sollen, nicht kehr tatkräftig fördert. Es ist eine gefährliche liches Budget von etwa 1,2 Milliarden US-Dollar. 20 Prozent gingen nach Jordanien, dessen Territo- als Sklaven. Um es noch deutlicher zu sagen: Illusion, die jede Verhandlung belastet und eine Zum Vergleich: rium bis 1922 ebenfalls ein Teil Palästinas war. Sie wollen den Staat Israel vernichten.“25 Dass Lösung des Konflikts unmöglich werden lässt. keine israelische Regierung – ganz egal, welche Parteien ihr angehören – sich darauf einlas- sen kann und wird, versteht sich von selbst. 18 Vgl. Roberts, Rebecca: Flüchtlinge zweiter Klasse: Palästinenser im Libanon, Bundeszentrale für politische Bildung, 26. Mai 2016, 21 Vgl. UNHCR: Figures at a Glance, 18. Juni 2020, https://www.unhcr. Ohnehin existiert weltweit kein einziger Fall, https://www.bpb.de/gesellschaft/migration/laenderprofile/228365/ org/figures-at-a-glance.html. palaestinenser-im-libanon. 22 Definition der UNRWA, nachzulesen auf ihrer Website: https:// in dem ein Flüchtlingsproblem oder gar ein 19 Bartholomeusz, Lance: The mandate of UNRWA at sixty, UNRWA, www.unrwa.org/palestine-refugees. politischer Konflikt durch eine massenhafte 1. Januar 2010, https://www.unrwa.org/userfiles/201006109246.pdf. 23 Vgl. Hafner, Georg M./Schapira, Esther: Israel ist an allem schuld. 20 Vgl. UNRWA in figures, 31. Dezember 2019, https://www.unrwa.org/ Warum der Judenstaat so gehasst wird, Köln 2015, S. 279. sites/default/files/content/resources/unrwa_in_figures_2020_eng_ 24 Vgl. Schanzer, Jonathan: Status Update, Foreign Policy, 21. Mai 2012, v2_final.pdf. https://foreignpolicy.com/2012/05/21/status-update/. 25 Zit. nach Dershowitz, Alan: The Case for Israel, Hoboken 2003, S. 85. 18 19
GESCHEITERTER FRIEDENSPROZESS: ARAFAT UND DAS RÜCKKEHRRECHT MICHAEL SPANEY Ein historischer Handschlag. Die feierliche Gescheiterter Friedensprozess: Verabschiedung der Prinzipienerklärung über die vorübergehende Selbstverwaltung vom 13. September 1993 ließ viele auf Frieden hoffen. Arafat und das Rückkehrrecht Der historische Handschlag zwischen dem PLO- Es war dabei US-Präsident Clinton, der die Initia- Führer Jassir Arafat und dem israelischen Premi- tive ergriff und Barak und Arafat im Sommer 2000 erminister Jizchak Rabin im Rosengarten des Wei- nach Camp David – dem Landsitz der US-Präsi- von Michael Spaney ßen Hauses ging um die Welt. Kaum eine Zeitung denten – einlud, um über Endstatusverhandlun- wählte am Folgetag ein anderes Motiv für ihre Ti- gen eine Zweistaatenlösung herbeizuführen. telseite. Für viele schien es damals, als wäre ein finaler Friedensschluss in greifbarer Nähe. Die In Camp David rangen die israelische und pa- feierliche Verabschiedung der Prinzipienerklärung lästinensische Delegation zwei Wochen lang um über die vorübergehende Selbstverwaltung am 13. eine abschließende Lösung. Die Israelis präsen- September 1993 sollte dabei nur der Auftakt einer tierten dabei einen Plan, der den völligen Rück- ganzen Reihe weiterer Vereinbarungen sein. Und zug aus dem Gazastreifen und bis zu 92% aus tatsächlich kamen zum Vertragswerk am 29. April der Westbank vorgesehen hätte. Die drei großen 1994 das Protokoll über die wirtschaftlichen Be- Siedlungsblöcke, in denen rund 80 bis 90% aller ziehungen und kurz darauf das Gaza-Jericho-Ab- jüdischer Siedler lebten, wären an Israel ange- kommen hinzu, bevor Arafat am 1. Juli 1994 aus gliedert, alle anderen aufgegeben worden. Dafür seinem tunesischen Exil zurückkehrte, um den wäre der zukünftige Staat Palästina mit israeli- Aufbau der Palästinensischen Autonomiebehör- schen Territorien entschädigt worden. Zudem de voranzubringen. sollte das zukünftige Palästina die Souveränität über einige mehrheitlich arabische Stadtteile in Der weitere Fahrplan sah den Abzug israelischer Ostjerusalem erhalten. Doch Arafat und Barak Truppen aus Teilen der besetzten Gebiete inner- verließen Camp David ohne eine Einigung. Clinton halb der nächsten fünf Jahren vor. Die heiklen übernahm daraufhin wesentliche Vorschläge der Fragen zum Status von Jerusalem, zur palästi- Israelis und führte sie im Dezember 2000 zu ei- nensische Flüchtlingsproblematik und zu den nem Kompromisspapier zusammen, das das dro- israelischen Siedlungen wurden zunächst noch hende Scheitern der Verhandlungen doch noch ausgeklammert. Bevor diese verhandelt werden abwenden sollte. Diese, später als Clinton-Para- konnten, sorgten jedoch eine im Herbst 1994 ein- meter bekannten Vorschläge, gingen noch über setzende Anschlagsserie der Hamas auf israeli- das israelische Angebot hinaus. Doch es blieb da- sche Zivilisten, die Ermordung Rabins durch einen bei. Während Barak Clintons Kompromissen zu- jüdischen Extremisten und der israelische Regie- stimmte, lehnte Arafat ab. Die Gewaltwelle der zu rungswechsel von Shimon Peres zu Benjamin Ne- diesem Zeitpunkt längst laufenden Zweiten Inti- tanjahu im Mai 1996 für eine Verlangsamung des fada verhinderte schließlich jede weitere Chance Friedensprozesses. Erst mit der Regierungsüber- einer Verhandlungslösung. nahme durch Ehud Barak im Mai 1999 konnten die Verhandlungen erneut Fahrt aufnehmen. 20 21
GESCHEITERTER FRIEDENSPROZESS: ARAFAT UND DAS RÜCKKEHRRECHT Symbolträchtige Albereien in Camp David. MICHAEL SPANEY Weder Arafat noch Barak möchten sich den Vortritt zu den Friedensgesprächen gewähren lassen. Für das Scheitern der zweiwöchigen Camp Da- „der neue Staat Palästina die Heimat (home- vid-Verhandlungen liegen heute zahlreiche Erklä- land) der Flüchtlinge [geworden], die im Krieg rungsversuche vor, die die Verantwortung bei der von 1948 und danach vertrieben wurden oder einen oder anderen Seite sehen. Entscheidender geflüchtet sind“.4 ist aber, warum Arafat die Clinton Parameter im Januar 2001 endgültig zurückwies und welchen Weiterhin sollten Kompensationen und die An- Stellenwert das sogenannte Rückkehrrecht und siedlung in den unterschiedlichen Fluchtländern die palästinensischen Flüchtlinge für Arafats in Betracht gezogen werden. Zudem wurde Israel Rückzug hatten. Darum soll es im Folgenden ge- dazu angehalten, auf Grundlage eigenen Ermes- hen. sens, eine symbolische Anzahl von Flüchtlingen aufzunehmen, die vorzugsweise aus dem Libanon Die Flüchtlingsfrage kommen sollten, wo ihre humanitäre Situation besonders angespannt war. Der US-Vorschlag Die Clinton Parameter brachten wesentliche dockte damit direkt an die Vorschläge der UN-Re- Kompromissformeln hervor, die auch heute noch solution 194 an. Mehr konnte Arafat kaum erwar- als Blaupause für eine Zweistaatenlösung die- ten. Clinton bilanzierte später in seiner Autobio- nen.1 Sie hätten der palästinensischen Seite ei- grafie, dass seine Parameter nen Staat im Gebiet des gesamten Gazastreifens und 94–96% der Westbank garantiert. Wie schon „das Beste [waren], was ich den Parteien anbie- von den Israelis vorgeschlagen, sollten lediglich ten konnte. Sie sollten innerhalb dieser Richt- die drei großen Siedlungsblöcke bei Israel ver- linien ein endgültiges Abkommen aushandeln.“5 bleiben. Diese Fläche wäre 1:1 kompensiert, und alle sonstigen Siedlungen sollten geräumt wer- Doch das Beste reichte nicht. Am 2. Januar 2001 den. 2 Auch hinsichtlich der israelischen Sicher- reagierte das palästinensische Verhandlungs- heitsbedenken ist man dem palästinensischen team mit einer offiziellen Erklärung auf Clintons Verhandlungsteam entgegengekommen, indem Kompromisspapier. Darin hieß es zur Flüchtlings- man vorschlug, die weitere israelische Militärprä- frage: senz an der jordanischen Grenze auf sechs Jahre zu beschränken und durch UN-Soldaten zu er- [...] Die US-Vorschlag spiegelt eine komplette gänzen. Sogar für den Zankapfel Jerusalem lagen Annahme der israelischen Position wider, die Lösungen vor, mit denen alle arabischen Viertel eine Implementierung des Rückkehrrechts ein- Ostjerusalems – einschließlich des Tempelbergs 3 zig Israels Ermessen unterordnet. Es ist wichtig – die Hauptstadt Palästinas hätten werden kön- in Erinnerung zu rufen, dass Resolution 194, die nen. Mit seiner Zustimmung zu dieser Lösung für lange als Basis für eine gerechte Lösung des Jerusalem ging Barak weiter als jeder israelische Flüchtlingsproblems galt, nach einer Rückkehr Premier zuvor. der palästinensischen Flüchtlinge, wo immer sie sich befinden, in „ihre Häuser“ verlangt und Schließlich legte Clintons Team auch zur Flücht- nicht, wo auch immer gelegen in „ihre Heimat“ lingsfrage eine pragmatische Lösung vor. Dabei (original: homeland) oder ins „historische Paläs- wäre tina“. Der Kern des Rückkehrrechts ist die freie Wahl: Palästinensern sollte die Option gegeben wer- 1 Ross, Dennis: The Missing Peace: The Inside Story of the Fight for den, zu wählen, wo sie sich ansiedeln wollen, Middle East Peace, New York 2004 S.752; Hier findet sich eine präzise- inklusive der Rückkehr in die Häuser (original: re Darstellung der Clinton Parameter. 2 Vgl. Rabinovich, Itamar: Waging Peace, Israel and the Arabs 1948– homes), aus denen sie vertrieben wurden. 2003, Princeton 2004, S. 178 3 Palästina sollte laut Clinton Souveränität auf dem Haram al-Sha- rif (arabische Bezeichnung für den Tempelberg) mit der Al-Aqsa Mo- 4 Clinton, Bill: My Life, New York u. London 2005, S. 937, Übersetzung: schee und dem Felsendom ausüben, Israel über die angrenzende M.S. Klagemauer. 5 Ebd. 22 23
GESCHEITERTER FRIEDENSPROZESS: ARAFAT UND DAS RÜCKKEHRRECHT MICHAEL SPANEY Die Zweite Intifada bildet das Ende von Oslo. Mehrere tausend Menschen verlieren auf beiden Seiten ihr Leben. Es gibt keinen historischen Präzedenzfall, bei digung zusteht, diese erfolgen. Von einer freien dem ein Volk sein grundlegendes Recht auf Entscheidung, wohin zurückgekehrt werden soll, Rückkehr in ihre Häuser (homes) aufgab, egal, wird nicht gesprochen. Schließlich hält auch das ob sie dazu gezwungen wurden oder aus Angst formalistische Beharren auf dem englischen Be- flohen. Wir werden dies nicht als erstes Volk der griff „homes“, was sowohl Häuser wie Heimat be- Geschichte tun. Anerkennung des Rückkehr- deuten kann, keiner Überprüfung stand. Aus der rechts und die freie Wahl für die Flüchtlinge sind UN-Resolution 194 geht deutlich hervor, dass da- Vorbedingungen für ein Ende des Konflikts. Die mit kein kollektiver Anspruch, sondern vielmehr Palästinenser sind darauf vorbereitet, flexibel eine Option für einzelne Flüchtlinge gemeint ist. und kreativ über die Mechanismen der Imple- Alle anderen sollten entschädigt oder in ihren mentierung des Rückkehrrechts nachzudenken Fluchtorten dauerhaft angesiedelt werden. […]“6 Das Rückkehrrecht als Verhandlungs- Zwar wird am Ende des Textes eine gewisse Ver- strategie und Ideologie handlungsbereitschaft angedeutet, dennoch zeigen die vorausgehenden Passagen, wie tief- Die Frage, warum das palästinensische Verhand- gehend die grundsätzliche Ablehnung der US- lungsteam die Camp David Vorschläge zur Flücht- Vorschläge reichte. Die Anerkennung des Rück- lingsfrage derart dogmatisch ausschlug, wird un- kehrrechts und die freie Wahl der Ansiedlung terschiedlich beantwortet. Für den israelischen werden eindeutig als Dreh- und Angelpunkt für Professor und Ex-Diplomaten Itamar Rabinovich die Beendigung des Gesamtkonflikts genannt. steht die Forderung nach einem uneingeschränk- Ihre Bezeichnung als Vorbedingung für ein Kon- ten Rückkehrrecht vor allem für eine diplomati- fliktende bedeutet letztlich, dass diese Punk- sche Verhandlungsstrategie. Arafat hätte durch te nicht verhandelbar sind, noch in irgendeinen seine kompromisslose Haltung letztlich Zeit ge- Kompromiss überführt werden können. winnen wollen, weil er sich zu einem späteren Verhandlungszeitpunkt größere Zugeständnisse Es ist bemerkenswert, dass das palästinensische versprach.7 Verhandlungsteam Clintons Kompromisslösung so einfach vom Tisch fegte. Denn der US-Präsi- Adi Schwartz und Einat Wilf betonen in ihrer dent hatte ihnen ja durchaus eine Möglichkeit ein- neuen Studie The War of Return hingegen den geräumt, das Rückkehrrecht – wenn auch einge- ideologischen Gehalt des sogenannten Rück- schränkt, so doch gesichtswahrend – in den neu kehrrechts und attestieren dem israelischen entstehenden Staat Palästina zu verwirklichen. Verhandlungsteam in Camp David eine generel- Stattdessen begegnete man dieser historischen le Fehleinschätzung (vgl. S. 54-63). So hätte man Chance mit äußerst eigenwilligen Annahmen und die Annahme vertreten, dass die Besatzung und Rechtsauffassungen. Wie Alex Feuerherft und nicht das Rückkehrrecht das grundsätzliche Prob- Florian Markl bereits in ihrem Beitrag dargelegt lem im palästinensisch-israelischen Konflikt dar- haben, ist die Vorstellung eines historischen stelle. Zudem glaubte man, dass sich die palästi- Rechts auf Rückkehr vollkommen aus der Luft ge- nensische Seite inzwischen mit Israels Existenz griffen. Ein garantiertes Rückkehrrecht findet sich abgefunden hätte und anerkennen würde, dass auch nicht in der ins Feld geführten UN-Resolu- eine millionenfache Rückkehr von Flüchtlingen tion 194 (vgl. S. 8-19). Von einer Wahl ist nur an den nationalen Charakter des jüdischen Staates einer Stelle die Rede, nämlich wenn Flüchtlinge untergraben würde. Der allgemeinen internatio- wählen sollten, nicht zurückzukehren. Dann sollte, nalen Einschätzung folgend, sah man bei der PLO falls ihnen nach internationalem Recht Entschä- eine prinzipielle Bereitschaft, einer Zweistaaten- lösung zuzustimmen, die dem Grundsatz zwei Staaten für zwei Völker als friedliche Nachbarn 6 Palestinian Negotiating Team: Remarks and Questions Regarding the Clinton Plan (January 2, 2001). Zit. n. Laqueur, Walter/Schueftan, Dan: The Israel-Arab Reader, 8. überarb. Aufl., New York 2016, S. 488– 7 Rabinovich, Itamar: Waging Peace, Israel and the Arabs 1948–2003, 494, hier S. 491, Übersetzung: M.S. Princeton 2004. 24 25
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