Digitale Grundbildung - Zeitenwende durch Schule 4.0? - CLV

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Digitale Grundbildung - Zeitenwende durch Schule 4.0? - CLV
JULI 2017

Das Schulblatt
                                                                               Zeitschrift des
                                                                  Christlichen Lehrervereins
                                                                           für Oberösterreich

                 Digitale Grundbildung
                 Zeitenwende durch Schule 4.0?
                 Autonomiepaket Vorsitzwechsel                Im Gespräch
                 Stellungnahmen       Dietmar Stütz wird      Christine Haberlander
                 und Positionierung   neuer ZA-Vorsitzender   und Fritz Enzenhofer
Digitale Grundbildung - Zeitenwende durch Schule 4.0? - CLV
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SCHULJAHR     K                             Die
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  Unterr innovativ
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Digitale Grundbildung - Zeitenwende durch Schule 4.0? - CLV
JULI 2017 | DAS SCHULBLATT                                                                                                                        EDITORIAL         3

                  Inhalt                                                                                                  Ein schön
                                                                                                                          schwerer Beruf

    4               Schon jetzt anmelden!
                                                                                                                          In dieser Ausgabe des Schulblatts
                                                                                                                          kommen Junglehrerinnen und Jungleh-
		                  CLV Seminarprogramm 2017/2018                                                                         rer zu Wort, die im heurigen Schuljahr

    5               Meine Meinung
                                                                                                                          ihr erstes Dienstjahr absolviert haben.
                                                                                                                          Sie berichten in kurzen Statements
		                  Wann kapiert ihr endlich?                                                                             über ihre Erfahrungen, die auf viele

    6               Digitalisierung
                                                                                                                          Berufsanfänger – aber bestimmt auch
                                                                                                                          weit darüber hinaus – übertragbar
		                  Zeitenwende durch Schule 4.0?                                                                         sind.

  10                Außensicht
                                                                                                                          Vorbereiten, Hefte korrigieren, koordi-
                                                                                                                          nieren, Elterngespräche führen, in der
		                  Diskussionen rund um die Schule                                                                       Früh noch schnell kopieren: Vom Auf-

  12                Im Gespräch
                                                                                                                          wand, den der Beruf abverlangt, sind
                                                                                                                          viele überrascht. Die Freizeit ist
		                  Christine Haberlander & Fritz Enzenhofer                                                              begrenzt, die Belastung wird spürbar.

  16                Grundschulreform
                                                                                                                          Nach wie vor gehören Wertschätzung,
                                                                                                                          pädagogisches Gespür, fachliches
		                  Was bringt das dem Schüler?                                                                           Wissen, Gelassenheit und Humor zur

   17               Generalversammlung
                                                                                                                          Grundausstattung eines Lehrers. Die
                                                                                                                          Anforderungen, die an Lehrkräfte
		                  Rainer M. Schießler spricht Klartext                                                                  gestellt werden, sind – das lassen die

  18                Bildungsstandards
                                                                                                                          Statements erkennen – anspruchsvoll
                                                                                                                          und bisweilen auch widersprüchlich:
		                  Deutschergebnisse im Überblick                                                                        Lerncoach, Wissensvermittler, Vertrau-

  20                CLV.2025
                                                                                                                          ensperson, Reibungsfläche, Elternbera-
                                                                                                                          ter, Regisseur, Dompteur, Unterricht-
		                  Die Zukunft hat begonnen                                                                              sentwickler, Herzensbildner. Der Lehr-

  21                Vorsitzwechsel im ZA
                                                                                                                          beruf ist, was die Belastung angeht,
                                                                                                                          mit kaum einer anderen Arbeit zu ver-
		                  Dietmar Stütz wird neuer ZA-Vorsitzender                                                              gleichen.

  22                Brennpunkt Schule
                                                                                                                          Und trotzdem: Auch wenn die Anfor-
                                                                                                                          derungen des Berufs anspruchsvoll,
		                  Die Schule kann, soll, muss, hat …                                                                    herausfordernd und hoch sind, zeigen

  28                Autonomiepaket
                                                                                                                          die Statements der jungen Kolleginnen
                                                                                                                          und Kollegen sehr eindrucksvoll, dass
		                  Stellungnahmen und Positionierung                                                                     Lehrer sein ein schöner und erfüllen-

  32                Schulblatt
                                                                                                                          der Beruf ist. Kindern etwas beizubrin-
                                                                                                                          gen, ihr Interesse zu wecken, sie ein
		                  The Making of                                                                                         Stück weit zu erziehen, schlummernde

  34                PISA
                                                                                                                          Talente zu fördern und ein Stück dazu
                                                                                                                          beizutragen, dass die Schüler eine
		                  Spezialauswertung für Oberösterreich                                                                  gute Lebensperspektive haben, darin

  35                CLV Sektionen berichten
                                                                                                                          liegt hohe Motivation und genau darin
                                                                                                                          liegen wohl auch die Gründe, wieso

  36
                                                                                                                          man sich trotz der hohen Belastung
                    Alleine im Klassenzimmer                                                                              nie einen anderen Beruf wünschen
		                  Erfahrungen von Berufseinsteigern                                                                     würde.
                                                                                                                          Da der Beruf aber so schön schwer ist,
                                                                                                                          braucht er unbedingt auch eins: genü-
Impressum

            Medieninhaber und Herausgeber: Christlicher Lehrerverein für Ober­österreich (CLV),
            Stifterstraße 23, 4020; Linz E-Mail: office@clv.at; Schriftleiter und verantwortlicher
                                                                                                                          gend Erholungszeiten. In diesem Sinne
            Redakteur: Maximilian Egger, MA; Redaktion: Michael Andexlinger, Birgit Loidl,                                wünsche ich Ihnen allen einen schönen
            Helmuth Nitsch, Sabine Schmidt, Mag. Wolfgang Schwarz, Michael Weber; Redaktions-
            sekretariat: Walter Utz (0732/77 68 67), Maria Pauleder; Anzeigenleitung: Walter Utz
                                                                                                                          und erholsamen Sommer. Genießen
                                                                                                     Titelfoto: Fotolia

            (0732/78 22 66); Erscheinungsort: Linz, Verlagspostamt 4020 Linz, P.b.b.; Offenlegung                         Sie die Ferien!
            lt.§ 25 Mediengesetz: Die grundlegende Richtung des „Schulblattes“ ergibt sich aus
            den Satzungen des Christ­lichen Lehrervereins.
                                                                                                                             Maximilian Egger, Redaktionsleitung
Digitale Grundbildung - Zeitenwende durch Schule 4.0? - CLV
4   CLV Seminare                                                                                                     DAS SCHULBLATT | JULI 2017

    CLV-Seminarprogramm 2017/2018                                                                                    Johanna Müller
                                                                                                                     Landesobfrau des CLV,
                                                                                                                     verantwortlich für
                                                                                                                     Fortbildung im CLV

    Hier ist das neue Seminarprogramm zum          abwechslungsreichen Seminarprogramm
    Vorplanen! Der CLV ist wieder mit einem        präsent!

     Nr.    Datum                    Thema                                                             Referent/in
     214.   13. bis 14. 10. 2017     Im Lehrberuf aufgehen statt draufgehen                            MMag. Dr. Rainer Holzinger
     215.   14. 10. 2017             LinzTour mit dem Segway                                           Tourguide
     216.   14. 10. 2017             Lamm: „Spezialitäten vom Grill“                                   Armin Lenz, Alfred Koblmüller
     217.   20. 10. 2017             Linzer Neustadt- und Museumsviertel – Stadtführung                Sigrid Leeb
     218.   21. 10. 2017             Reformationsjahr 2017: Evangelisches Museum Rutzenmoos            Sigrid Leeb
                                     und Toleranzkirche in Scharten
     219.   21. 10. 2017             Computerkurs für Einsteiger/innen                                 Cornelia Heuschober
     220.   17.11. 2017              Dichter, Denker, Musiker in der Linzer Altstadt – Stadtführung    Sigrid Leeb
     221.   18. 11. 2017             iPad: i-Nsatz im Unterricht                                       Jochen Reischl
     222.   24. bis 25. 11. 2017     Herausforderungen, die mich als zukünftige Schulleiterin und      Karin Lang
                                     zukünftigen Schulleiter erwarten
     223.   Termin wird nach         Schul- und Dienstrecht für Berufsschullehrer/innen                Judith Roth
            Bedarf festgelegt
     224.   12. bis 13. 1. 2018      Ich bewerbe mich als Leiter/in                                    Franz Heilinger
     225.   19. bis 20. 1. 2018      Schul- und Dienstrecht für Leiterbewerber/innen                   Franziska Groisböck
     226.   20. 1. 2018              Erste-Hilfe-Kurs                                                  Christoph Wallner
     227.   26. bis 27. 1. 2018      Langlaufen für Genießer/innen                                     Georg Pröll
     228.   27. 1. 2018              Grundlegende Arbeiten in e*SA für die Schulleitung                Wolfgang Schatzl
     229.   27. 1. 2018              e*SA für Junglehrer/innen und Klassenvorstände                    Wolfgang Schatzl
     230.   27. 1. 2018              Feine Desserts und kreative Patisserie                            Armin Lenz, Alfred Koblmüller
     231.   9. bis 10. 2. 2018       Professionelle Nähe und Distanz im Lehrberuf                      MMag. Dr. Rainer Holzinger
     232.   10. 3. 2018              Erben und Vererben                                                Dr. Heidemarie Tauber-Wolke
     233.   16. 3. 2018              Hitlers Linz – Stadtführung                                       Sigrid Leeb
     234.   16. bis 17. 3. 2018      Rhetorisch gekonnt den Wind aus den Segeln nehmen                 Mag. Beatrix Kastrun
     235.   17. 3. 2018              Computerkurs für Einsteiger/innen                                 Cornelia Heuschober
     236.   6. bis 7. 4. 2018        Streiten wie die Giraffen                                         Markus Engelberger
     237.   7. 4. 2018               Entlang der Traun: Stadl Paura, Lambach und Wels                  Sigrid Leeb
     238.   21. 4. 2018              Ihre Farben – Ihre Kombinationen                                  Elisabeth Motsch
     239.   26. 5. 2018              Klimt und Mahler am Attersee                                      Sigrid Leeb
     240.   26. 5. 2018              DonauTour mit dem Segway                                          Tourguide
     241.   9. 6. 2018               Durch die Wachau                                                  Sigrid Leeb
     242.   12. bis 13. 7. 2018      Aus der Praxis: Tipps für neue Leiter/innen                       Robert Thalhammer

    Alle weiteren, ausführlichen Informationen,    und in der gedruckten Seminarbroschü-        Wir freuen uns auf Ihre Anmeldung!
    wie Seminarinhalte, Referentenbeschrei-        re, die wir der nächsten Ausgabe des         Fax: 0732 77 68 67-15
    bungen, Seminarorte sowie Seminarpau-          Schulblattes beilegen werden! Sie können     Telefon: 0732 77 68 67-12
    schale und Aufenthaltskosten finden Sie        sich auch direkt über die Homepage des       E-Mail: office@clv.at
    demnächst unter www.clv.at (Seminare)          CLV anmelden.                                Internet: www.clv.at                        ■
Digitale Grundbildung - Zeitenwende durch Schule 4.0? - CLV
Fritz Enzenhofer               5

Meine Meinung                                                                                                 Wann kapiert ihr endlich, dass wirkliche
                                                                                                              Experten in die Bildungsdiskussion mitein-
                                                                                                              bezogen werden müssen.

Wann kapiert ihr endlich?                                                                                     Wann kapiert ihr endlich?

                                                                                                              Ihr Überpädagogen im Elfenbeinturm. Ihr
                                                                                                              bedingungslosen Heterogenphantasten.
                                                                                                              Wann versteht ihr, dass nicht die Schul-
                                                                                                              organisation trennt. Dass es gut wäre,
Keine Lehrerbeschimpfung! Keine Politikerbeschimpfung!                                                        kompetenzadäquat zu unterrichten. Dass
Keine Medienbeschimpfung! Nur eine riesengroße Sorge!                                                         homogene Lerngruppen nicht benachtei-
                                                                                                              ligen, sondern lerneffektiv sind.
                                                                                                                 Dass es gut wäre, Sonderpädagogen

I
  ch gestehe! Es geht mir manchmal die                         kapiert ihr, dass PISA nicht der Gradmesser    auszubilden, um Experten für unsere Kin-
  Luft aus. Bildungspolitik und Schulpo-                       für Bildung ist. Wann kapiert ihr, dass Bil-   der vorzubereiten. Dass es gut ist, den
  litik ist ein Marathon. Das ist mir nicht                    dung mehr ist als Wissen. Das Menschen-        Erfahrungsschatz von Sonderpädago-
neu. Was sich allerdings in der letzten Zeit                   bildung gerade in einer sehr offenen und       gen auch wissenschaftlich weiterzuent-
abspielt, ist haarsträubend.                                   pluralen Gesellschaft hohe Bedeutung hat.      wickeln.
                                                               Dass sich die Lehrer täglich einsetzen Werte
Wann kapiert ihr endlich!                                      zu vermitteln.                                 Wann BEGREIFT ihr endlich?

Ihr telegenen Kommentatoren, die über                          Wann kapiert ihr endlich!                      – Ich weiß, dass dieser Leitartikel sehr
Schule reden mit dem alleinigen Erfah-                                                                          polarisiert
rungsschatz der eigenen Schulzeit. Ihr                         Ihr bildungspolitisch Verantwortlichen in      – Ich weiß, dass viele Themen nicht so
selbsternannten Experten, die Bücher ver-                      den Parteien. Ihr Abgeordneten im Natio-         einfach abzuhandeln sind, wie es in
kaufen wollen und selbstgefällig Talkrun-                      nalrat, Bundesrat und Landtag. Ihr Entschei-     einem Leitartikel anzusprechen ist.
den im Fernsehen bestreiten. Ihr, die ihr                      dungsträger! Wann kapiert ihr endlich, dass    – Ich weiß aber auch, dass viele meinen:
noch nie für eine Schulklasse Verantwor-                       ideologische Spielchen allen auf den Geist       „Warum sagt das niemand!“
tung übernommen habt und nicht für                             gehen. Dass gesellschaftspolitische Gräben
Jahre, nicht einmal für einen Tag!                             aus dem vorigen Jahrhundert nicht mehr         ...und darum sage ich:
   Wann kapiert ihr endlich, dass Schule                       Thema einer modernen Schulentwicklung
mehr ist, wie eine Muppet-Show.                                sein können.                                   „Wann kapiert ihr endlich!“           ■
   Wann kapiert ihr endlich, dass Lehrer
täglich bemüht sind, nicht nur Wissen zu
vermitteln, Defizite auszugleichen, zu moti-
vieren, zu integrieren. Perspektiven für die
Schüler zu entwickeln. Schwache zu för-
dern und Starke zu fordern. Dass Lehrer
täglich Schüler motivieren, die gewohnt
sind, dass sie ohnehin alles bekommen.
Dass es Kinder gibt, die vom Krieg trau-
matisiert sind. Diese Liste wäre – ohne zu
jammern – seitenweise fortsetzbar.

Wann kapiert ihr endlich!

Ihr Bildungsvolksbegehrenden! Ihr Wissens-
gläubigen! Ihr, die ihr der Meinung seid,
Schule ist eine Wissensvermittlungsanstalt
                                               Foto: Fotolia

die Stückzahlen produziert. Ihr, die ihr die
Bildung mit Ausbildung verwechselt. Wann
Digitale Grundbildung - Zeitenwende durch Schule 4.0? - CLV
6

               Zeitenwende durch Schule 4.0 ?

              Wir schreiben das Jahr 2157. Tommy und Margie werden wie alle Kinder vom eigenen „machine
              teacher“ unterrichtet. Da findet der dreizehnjährige Tommy zufällig ein altes Buch über Schule.
              Es beschreibt, wie sie vor Jahrhunderten ablief. Margie war sehr überrascht, denn Schule wie
              anno dazumal gibt es nun nicht mehr. „Sure they had teacher, but it wasn’t a regular teacher.
              It was a man.“ – A human teacher! Diese Science Fiction Geschichte erzählt Isaac Asimov.
              („The Fun They Had“ in „Fantasy and Science Fiction“, 1951)

    G
            elingt mit Tablet, Laptop, PC, e-Book   dann vom Vermittler zum Moderator. Oder      Twitter, in den sozialen Medien angekom-
            und Whiteboard ein schulpädagogi-       werde gar vom „machine teacher“ abge-        men. Oft genug hantieren sie während des
            scher Durchbruch oder wird damit        löst. Der „pädagogische Bezug“ würde von     Unterrichts mit ihrem Smartphone unter der
    der Nürnberger Trichter des 21. Jahrhun-        der Mensch-Maschinen-Beziehung ersetzt.      Bank. Sie kommunizieren, spielen, bedienen
    derts gefunden? Mit dem Wunschtraum,            „Ein elektronisches Klassenzimmer wäre ein   ihre bis zu 20 Apps, googeln, verschicken
    Schülerinnen und Schüler könnten sich mit       verarmtes, steriles ohne Erleben und ohne    Fotos und manchmal böse Botschaften.
    dieser Form der „Eintrichterung“ Lernin-        Reflexion.“ (Kraus 1998, 119) – Unsere       – Schafft es Schule, die Schülerinnen und
    halte fast ohne Aufwand und Anstrengung         Schülerinnen und Schüler sind in der digi-   Schülern in einschlägigem Unterricht auf
    selbst aneignen. Die Lehrkraft mutierte         talen Welt von Internet, Google, Facebook,   verantwortlichen und sozialen Umgang
Digitale Grundbildung - Zeitenwende durch Schule 4.0? - CLV
Digitalisierung               7

                                                                sem Falle daher zu (2012). Umso höher
                                                                muss schulische Medienpädagogik ein-                               Dr. Johannes Riedl
                                                                                                                                   OÖ. Landesschulrats-
                                                                geschätzt werden, damit sie über den                               präsident a. D.,
                                                                Unterricht hinaus wirksam bleibt.                                  ehemaliger Landes-
                                                                                                                                   obmann des CLV OÖ
                                                                Schule 4.0: „jetzt wird’s digital“ –
                                                                ein Reformvorhaben?
                                                                Schrittweise sollen, so das Arbeitsüberein-
                                                                kommen der Bundesregierung (Arbeitspro-
                                                                gramm 2013 – 2018, 42), zwischen 2017           Bildungsmedien ermöglicht neue Ein-
                                                                und 2021 die klassischen Unterrichtsmit-        satzformen und wird die Didaktik lang-
                                                                tel (z. B. Schulbücher) in der Pflichtschule    fristig nachhaltig verändern. Landes-
                                                                durch digitale Medien (z. B. Tablet-PCs,        hauptmann Thomas Stelzer hat bereits
                                                                E-Books, »Bildungs-Apps«) im Rahmen der         die Weichen gestellt, dass O.Ö. Vorreiter
                                                                Schulbuchaktion ergänzt werden. Damit           bleibt für Schulentwicklung durch digita-
                                                                wird Schule 4.0 an technischer Ausstattung      le Medien. So sollen alle Schulanfänger
                                                                orientiert gesamte Schullaufbahn umfasst.       Platinen bekommen, mit denen sie ler-
                                                                Mit der Umsetzung der Strategie erwerben        nen zu programmieren.
                                                                alle Schülerinnen und Schüler in Österreich
                                                                digitale Kompetenzen.                           Schule 4.0 – eine trügerische
                                                                    Dazu kommt ein Pflichtportfolio für Digi-   Analogie?
                                                                tale Kompetenz der Pädagoginnen und             4.0, das neue Zauberwort der Zeit! Macht
                                                                Pädagogen und ein eigenes Zentrum an der        es Sinn, „Industrie 4.0“ auch auf die Schule
                                                                PH OÖ und Future Learning Lab in Wien.          zu übertragen? Wie wird sie damit zurecht-
                                                                    Ist dies das Vorstellungsmodell eines       kommen, wie wird sie sich anpassen, ohne
                                                                „New Deal“ für die Schule? Wird die             ihre Balance zu verlieren? Droht eine Funk-
                                                                Computerintelligenz zum besseren Ins-           tionalisierung des Menschen? Wird Bildung
                                                                truktor, der seine Vermittlung in einer Klas-   der Nützlichkeit untergeordnet? Oder wird
                                                                sengemeinschaft optimal individualisiert?       doch der Traum von der Bildungschan-
                                                                Wird alles Lernen durchoperationalisiert        cengleichheit durch digitale Individuali-
                                                                und vermessen? Oder was davon kann              sierung wirklich? Der Computer liefert das
                                                                Digitalisierung in eine humane Leistungs-       Programm, die Lernaufgabe das „Input“.
                                                                schule eingebringen? Isaac Asimov warnt         Der Schüler arbeitet die Lösung in einer
                                                                mit seinem Essay!                               „Lernlandschaft“ ohne Klassenunterricht
                                                                                                                wie eine Maschine aus. Das Ergebnis wird
                                                Foto: Fotolia

                                                                Oberösterreich steht nicht am Anfang,           maschinell kontrolliert. Das Maschinenmo-
                                                                digitale Medien im Unterricht einzuset-         dell wird durch das Messmodell komplet-
                                                                zen. Eduhi, heute Edugroup, von Anton           tiert. Anpassung durch immer feinere Algo-
mit den digitalen Medien vorzubereiten?                         Knierzinger aufgebaut, Land, Gemein-            rithmen statt Bildung, d.h. der Entwicklung
Es ist notwendig! Längst lauern im Internet                     den und Sponsoren haben die innova-             zu Mündigkeit durch Kultur, statt Schule
geheime Verführer. Social Bots verbreiten                       tiven Lehrkräfte dabei unterstützt. Die         und Unterricht als Szenario der Begeg-
mittlerweile automatisiert manipulierte                         Pädagogischen Hochschulen haben ent-            nung! – Die Internetkonzerne haben dazu
Informationen, auf die viele hereinfallen.                      sprechende Bildungsangebote bereitge-           längst ihre profitorientierten Geschäfts-
Die Theologin Haberer (2015, 151ff u.189ff)                     stellt. In O.Ö. sind alle Schulen online,       und Marketingmodelle entwickelt.
legt mit „10 Geboten für die digitale Welt“                     verfügen bereits viele über Tablets oder
im Sinne einer „digitalen Moral“ einen                          Laptops, die von den Lehrkräften ziel-          Kompetenz statt Bildung?
Ethikkodex für die Nutzung digitaler Medien                     gerichtet eingesetzt werden. Erstmalig          Krautz (a.a.O.) prangert den Zauberbe-
vor. Dennoch: „Wer ohne zu denken surft,                        und einzigartig entwickelten Wolfgang           griff Kompetenz als Grundlage für diesen
bleibt zurück. Wer ohne zu surfen denkt,                        T. Schwarz und Johann Engleitner ein            Lernfunktionalismus an. In Anlehnung an
bleibt allein.“ (Rauscher 2012, 27ff)                           digitales Evaluierungssservice zur stand-       Franz Weinert, der sie für die OECD defi-
                                                                ortorientierten Qualitätssicherung von          niert hat, sind darunter die erlernbaren
Vorweg: Die Nutzung digitaler Medien                            Schulen, das gemeinsam mit Astrid Leeb          kognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten zur
in der Schule kann kontrolliert werden.                         von Edugroup online umgesetzt wird.             anwendungsbezogenen Problemlösung zu
Außerhalb findet der Zugang weitge-                             Als einziges Bundesland verfügt O.Ö.            verstehen. Wird die Schulpädagogik vom
hend unkontrolliert statt. Die Folgen                           über ein digitales Media-on-Demand              Kompetenzbegriff bestimmt? Fehlt gerade
zunehmender Internetnutzung in der                              Service, über das Bildungsmedien mit-           noch die „Inkompetenzkompensations-
Freizeit belegt die PISA-Studie 2015.                           tels Streaming, aber auch bildungsre-           kompetenz“ (Odo Marquard)!
Der Zusammenhang mit den schlech-                               levante Apps, abgerufen werden kön-                Nun über allen Kompetenzen die digi-
teren Schulleistungen wird aufgezeigt.                          nen. Die rasche und über alle digitalen         tale Kompetenz? Ein neuer „Containerbe-
– Spitzers einschlägige Kritik trifft in die-                   Medien mögliche Abrufbereitschaft der           griff“, vollgestopft mit Allerlei und Unbe-
Digitale Grundbildung - Zeitenwende durch Schule 4.0? - CLV
8   Digitalisierung

    stimmtem? Informationsmanagement und
    Methodenkompetenz verdrängen fachli-
    ches Wissen und Können. Überprüfbares
    statt „Ordnung der Vorstellungen“ (Otto
    Willmann) in den einzelnen Fachgebieten.
    Damit wird schulisches Lernen auf Kogniti-
    on verkürzt und inhaltsneutral. Lesekom-
    petenz kann z.B. an einem Rilkegedicht,
    aber auch an einer Betriebsanleitung für ein
    Smartphone geübt werden. Das Kompe-
    tenzkonzept sei ein gefährlicher „Trojaner“
    für Bildung. (Krautz 2015, 14)

    Schule 4.0 – Vehikel der Human-
    kapitalpflege?
    Liessmann (206 u. 2014) oder Krautz (2009
    u. 2015) belegen den Zusammenhang zwi-
    schen Kompetenzorientierung und ökono-
    mischer Produktionsoptimierung. Die OECD
    hat das Europäische Bildungssystem in eine
    ökonomische Geiselhaft genommen. Schu-
    len als Produktionsstätten des Humanka-
    pitals in Analogie von Industrie 4.0? – Jahr
    für Jahr werden Millionen von Schülerinnen
    und Schülern vermessen. Der Dauertestlauf:
    Bildungsstandards, PISA, TIMSS, PIRLS,         (2014) haben neun populäre Mythen iden-           – Weil auf dem Wegweiser in die Zukunft
    IKM, Lesetest. Kommt nun ein neuer Test        tifiziert und auf deren wissenschaftlichen        Bildung steht, werden Schulen dann die
    für die Volksschule dazu? Der Computer         Gehalt überprüft. „Im Mittel der aggre-           Nase vorne haben, wenn sie die digitalen
    macht es möglich! Das Maschinenmodell          gierten Ergebnisse finden sich keine Belege       Medien in den pädagogischen Bezug ein-
    bleibt erhalten. Passen Kompetenztheorie,      dafür, dass die Nutzung digitaler Medien zur      betten und dabei Nutzen und Gefahren
    Maschinenmodell und Testkontrolle nicht        sozialen Vereinsamung führt, gesellschaft-        abwägen. Weder unkritische Anbetung
    gut zu einander? Optimieren sie nicht die      lich-politisches Engagement verhindert oder       oder blinde Verteufelung sind angemessen.
    Fremdsteuerung im schulischen Lernprozess.     die selbstberichtete Einsamkeit erhöht. Die
                                                   Zusammenhänge zwischen Internetnut-               Information und Wissen
    Digitale Demenz statt digitaler                zung und Wohlbefinden bzw. Depressivität          Europäische Universitätsprofessoren be-
    Kompetenz?                                     sind sehr klein, aber signifikant, wie auch die   richten besorgt über die mangelhaften
    Manfred Spitzer warnt mit 368 Seiten           Zusammenhänge zwischen der Nutzung                Voraussetzungen der Studienanfänger.
    vor „Digitaler Demenz- Wie wir uns und         von Bildschirmmedien und Übergewicht. Im          Vier von zehn von ihnen seien Teilanalpha-
    unsere Kinder um den Verstand bringen.“        Mittel zeigt sich ferner, dass das Lernen mit     beten. Eine Ursache dafür meint man in
    (2012). Seine These: Computer machen sie       Computer und Internet, inklusive Lernspiele,      der Digitalisierung ausgemacht zu haben.
    dumm, einsam, süchtig, gewalttätig – und       positive Konsequenzen haben kann. Aller-          Die Suchmaschinen Internet und Google
    dick. Wenn das Denken an den Compu-            dings sind die negativen Auswirkungen von         als Sündenböcke? „Mechanical teachers“,
    ter ausgelagert werde, verkümmere das          gewalthaltigen Videospielen auf aggressives       die weite Tore zu Wissen und Information
    Gehirn. Daher sollte man dieses Gerät von      Verhalten und Erleben ebenfalls gut belegt.“      öffnen; es ermöglichen, in virtuellen Expe-
    Kindern fern halten. Zuhause nützen es die     (a.a.O.) Der größte Wissenszuwachs sei zu         ditionen die mikro- und makroskopische
    Kinder vorwiegend oder ausschließlich, um      verzeichnen, wenn es sich bei Unterricht um       Welt zu erkunden; die Lernplattformen
    damit zu spielen, günstige Voraussetzung       eine Mischung aus Face-to-face-Kommuni-           mit nahezu unbegrenzten Möglichkeiten
    für die Entwicklung von Abhängigkeit. Die      kation und multimedialen Anteilen handelt.        nützen. Trotz ihrer Vorerfahrungen sind
    Verwendung des Computers im Unter-             – Auch die Wirkungsstudien zum Lernen mit         die Schülerinnen und Schüler weitgehend
    richt bringe keinen oder nur geringen          Computerspielen zeigen im Durchschnitt            „digital natives“. Sie müssen lernen, unter-
    Lernfortschritt. Tritt Spitzer mit „analoger   positive Effekte. Die Alternative zur panik-      schiedliche Informationsquellen zu nüt-
    Ignoranz“ auf? So fragte bereits 2012 die      machenden Verteufelung: Leben und Arbei-          zen, aus ihnen kritisch auszuwählen und
    FAZ. Wissenschaft hat längst Einwendun-        ten mit dem Computer, auch in der Schule,         zu bewerten. In den Entstehungsprozess
    gen gegen die Begründungszusammen-             aber zielorientiert und verantwortungsvoll        dringen sie ein, wenn sie selbst Informa-
    hänge Spitzers vorgebracht.                    – und mit einem Schlüsselwort des Arbeits-        tion, z.B. Blog herstellen. Cognitive maps,
       In einer Evaluierungsstudie im Auftrag      programmes: ergänzend!                            geistige Landkarten darüber, wie alles mit
    des BMB erbrachten Schülerinnen und                                                              allem zusammenhängt, entstehen durch
    Schüler in Notebook-Klassen der 9. Schul-      Über Nutzen und Gefahren                          verarbeitungstiefe, selbständige Aktivität.
    stufe bessere Leistungen als jene ohne Note-   Die Digitalisierung unserer Lebensberei-             Der international standardisierte Com-
    book. (Spiel 2015, 103f.) Appel u. Schreiner   che bewirkt eine Zeitenwende der Schule.          puterführerschein gehört unverzichtbar
Digitale Grundbildung - Zeitenwende durch Schule 4.0? - CLV
Digitalisierung                   9

                                                                       differenziert wissenschaftlich untersucht       angehängt werden. Auch eine Kustodiats-
                                                                       werden müssen, ehe es in Ho-Ruck-Aktion         stunde reicht dafür nicht. Was, wenn der
                                                                       allgemein eingeführt wird.                      „mechanical teacher“ ausfällt? Bitte war-
                                                                                                                       ten, bis der regionale Netzwerkbetreuer
                                                                       Kommunikation und Kooperation                   ankommt?
                                                                       Schülerinnen und Schüler leben längst              Google liefert zu „Lernplattformen für
                                                                       in realen Welten und in virtuellen Kom-         Schüler“ 259 000 Einträge!. Auch diese
                                                                       munikationsräumen und Netzwerken.               Lernhilfen erfordern Fachkompetenz für die
                                                                       Allerdings fehlen den meisten von ihnen         Auswahl (Baumgartner 2002) und brau-
                                                                       dafür die ethischen und moralischen Vor-        chen Service. Müssen dafür nicht eigene
                                                                       aussetzungen. Daher braucht es Lernpro-         Planstellen geschaffen, die von Netzwerk-
                                                                       gramme für verantwortlichen Umgang mit          managern besetzt werden? Bildungspolitik
                                                                       den sozialen Medien, z.B. in Projekten von      sollte an einer Kultur des „Zu-Ende-Den-
                                                                       Sparkling Science 2016. (Vgl. dazu auch         kens“ orientiert werden.
                                                                       www.bleibfair.at; www.saferinternet.at
                                                                       oder www.mimikamaka.at) Zahlreiche For-         „Laß den Anfang mit dem Ende sich in eins
                                                                       schungsprojekte untersuchen dazu optima-        zusammenzieh'n!“ (J. W. v. Goethe)    ■
                                                                       le Übungsformen. Von öffentlicher Hand in
                                                                       Auftrag gegebene oder kommerzielle digi-
                                                                       tale Lernmittel müssen wissenschaftlich auf     „Margie…was thinking about
                                                                       ihre Qualität und Nachhaltigkeit überprüft
                                                                       werden. Allemal droht digitaler Reduktio-       the old schools they had when
                                                       Foto: Fotolia

                                                                       nismus. Vermittelt wird, was der „mecha-        her grandfather's grandfather
                                                                       nical teacher“ kann.                            was a little boy. All the kids
                                                                          Er liefert die individualisierten Lernal-
zum Bildungsrepertoire der Schule im                                   gorithmen und bewertet die Aufgaben-            from the whole neighborhood
21. Jh. Bereits ab der Volksschule könnte das                          lösungen. . Fremdsteuerung gemäß dem            came, laughing and shouting in
Smartphone zum Übungsgerät für Vokabel,                                Maschinenmodell 4.0? Der „human tea-            the schoolyard, sitting together
für additive Operationen, für Recherchen                               cher“ begleitet den Prozess dann lediglich
im Unterricht, werden. Aber: Wann wird                                 als Monitor.                                    in the schoolroom, going home
das 10-Fingersystem für die alphanumeri-                                                                               together at the end of the day.
sche Tastatur gelernt, sollen Schülerinnen                             „Mechanical teachers“ brauchen                  They learned the same things,
und Schüler nicht im „fliegenden Zweifin-                              Servicemen!
gersystem“ stecken bleiben? Sie spielen                                Die Anschaffung der Hardware für die            so they could help one another
auch nicht nur mit zwei Fingern Klavier…                               Volksschulen und die Sekundarstufe I wird       on the homework and talk about
Welche Folgen wird die Tabletnutzung für                               zu einem großen Geschäft. Sollen die            it…And the teachers were
die Schreibschrift haben?                                              Geräte pädagogisch funktionell werden,
   e-Learning fordert Lehrer- und Schü-                                so müssen sie vernetzt und mit WLAN ver-        people...Margie was thinking
lerschaft gleichermaßen heraus. Wird der                               bunden werden. Selbst wenn eCloud-Ser-          about how the kids must have
Computer als Lernmittel reflektiert und                                vice genützt wird, erfordert es am Stand-       loved it in the old days. She was
vorbereitet eingesetzt, so kommt es zur                                ort Netzwerkbetreuung. Keine Zeile dazu
Steigerung der Lernleistung. (Spiel 2015,                              in der Ankündigung von Schule 4.0! Diese        thinking about the fun they
123f.) Die Wirkung von e-Learning wird                                 Aufgabe darf nicht wieder der Lehrerschaft      had.“ (Isaac Asimov)

Literatur und Quellen
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Arbeitsprogramm der österreichischen Bundesregierung 2013–2018: https://www.bka.gv.at/DocView.axd?CobId=53264
Schule 4.0. – jetzt wird’s digital:
https://www.bmb.gv.at/schulen/schule40/index.html
Baumgartner, P. (u.a.) (2002). E-Learning Praxishandbuch: Auswahl von Lernplattformen; Innsbruck: Studienverlag
Bericht der Expertenkommission des BMBF (D) zur Medienbildung : Kompetenzen in einer digital geprägten Kultur. Berlin 2010 (https://www.qualifizierungdigital.de/_medien/.../
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Bildungsoffensive für die digitale Wissensgesellschaft
Strategie des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Berlin 2016
Haberer, J. (2015). Digitale Theologie. München: Kösel.
Kompetenzen in einer digital geprägten Kultur. (2010) Hrsg.v. BMBF. Bielefeld: Bertelsmann.
Kraus, J. (1998). Spaßpädagogik. 2. Aufl. München: Universitas.
Krautz, J. (2009). Bildung als Anpassung. Das Kompetenz Konzept im Kontext einer ökonomisierten Bildung. In: Fromm Forum 13, 87–100
Krautz, J. (2015). Kompetenzen machen unmündig. Berlin: GEW. 2.Aufl.
Liessmann, K.P. (2006). Theorie der Unbildung. Wien: Zsolnay.
Liessmann, K.P. (2014). Geisterstunde. Die Praxis der Unbildung. Wien: Zsolnay.
Marquard, O. (1982). Inkompensationskompetenz? In: Abschied vom Prinzipiellen.Stuttgart: Reclam, 23–38 (Universalbibliothek, 7724)
Morozov, Evgeny (2016) Vom Global Village zum Feudalstaat. NZZ 30.08.16
Rauscher, E. (2012). Schule sind wir. Bessermachen statt Schlechtreden. St.Pölten: Residenzverlag.
Spiel, Chr. (2015). Schule. Etsdorf: Galila.
Spitzer, M. (2012). Digitale Demenz. München: Droemer. (Droemer TB 30056)
Digitale Grundbildung - Zeitenwende durch Schule 4.0? - CLV
10              AUSSENSICHT                                                                                                             DAS SCHULBLATT | JULI 2017
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                „Welche Diskussion führen wir eigentlich?
                Eine pädagogische oder eine gesellschaftspolitische?“
                                                              Über Wahlfreiheit und Vorteile von Sonderschulen

                Sonderschulen grenzen nicht aus!                                                                                     Astrid Ebenberger

                B
                       is zum Jahr 2020 will Bildungsminis- nicht alle betroffenen Eltern und Kinder
                       terin Sonja Hammerschmid alle Son-   teilen. Es gibt Fälle, bei denen die Eltern
                       derschulen abschaffen und durch      eine sonderpädagogische Einrichtung für
                Inklusionsklassen – Kinder mit und ohne     die bessere Lösung halten: Weil bestimm-
                Behinderung sitzen in einer Klasse und      te Krankheiten oder Behinderungen eine
                werden gemeinsam unterreicht – erset-       ganz spezielle Ausbildung des Lehrper-          zudem, ob eine Inklusion bei unterschied-
                zen. Selbstverständlich                                       sonales und einen höhe-       lichen Lehrplänen, d.h. unterschiedli-
                darf kein Kind zurück-                                        ren Betreuungsschlüssel       cher Stundenanzahl, unterschiedlichen
                gelassen werden. Aber                                         erfordern oder weil viele     Bildungszielen tatsächlich pädagogisch
                                             Niemand darf einem
                welche Diskussion füh-                                        sonderpädagogische Ein-       durchführbar ist. Ich vermute, dass es wie-
                ren wir eigentlich? Eine     Kind das Recht auf Inklu- richtungen hochspezia-               der der Phantasie und der Kreativität der
                pädagogische oder            sion verwehren. Dabei            lisierte Therapiezentren      Lehrerinnen und Lehrer überlassen bleibt,
                eine gesellschaftspoli-                                       sind, die großartige Arbeit   wie qualitativ der gemeinsame Unterricht
                                             wird allerdings überse-
                tische?                                                       leisten.                      abläuft. Die Herausforderungen an alle
                    Ich erlebe eine gesell-  hen, dass dieses Ziel                Jedes Kind ist einzig-    sind dann immens.
                schaftspolitische. Die       nicht alle betroffenen           artig   und muss seinen          Sonderschulen erweisen sich als gut
                sogenannte Wertege-                                           Anlagen und Fähigkeiten       funktionierende und notwendige Bil-
                                             Eltern und Kinder teilen.
                meinschaft beschreibt                                         entsprechend gefördert        dungseinrichtungen. Ihr Erhalt garantiert
                Neue Mittelschulen als                                        werden. Wenn uns das          die Wahlfreiheit für Kinder und Eltern. Sie
                Restschulen, berufliche                                       Wohl jedes einzelnen Kin-     grenzen nicht aus! Sie ermöglichen vielen
                Bildung als weniger erstrebenswert und      des als oberstes Prinzip gilt, dann müssen      Kindern den Weg in ein selbstbestimmtes
                Sonderschulen als Stätten der Ausgren-      wir hinterfragen, wie gut diese Inklusion       Leben!                                  ■
                zung. Unbestritten ist: Wo es möglich       derzeit gelingen kann! Viele Schulen sind
                ist, müssen Schülerinnen und Schüler        nicht vorbereitet auf echten, inklusiven
                                                                                                            Zur Person: Dr. Astrid Ebenberger ist Vizepräsidentin des
                mit Beeinträchtigung bestmöglich inter-     d.h. gemeinsamen Unterricht. Oft man-           Katholischen Familienverbandes. Sie ist ausgebildete
                giert werden. Niemand darf einem Kind       gelt es an baulichen Gegebenheiten und          Hauptschullehrerin und promovierte Bildungswissen-
                                                                                                            schaftlerin. Derzeit leitet sie eine NMS in NÖ und lehrt
                das Recht auf Inklusion verwehren. Dabei    speziell ausgebildetem Lehrpersonal in          an der Kirchlichen Pädagogischen Hochschule Wien/
                wird allerdings übersehen, dass dieses Ziel ausreichender Anzahl. Zu hinterfragen ist       Krems.
JULI 2017 | DAS SCHULBLATT                                                                                                   Aussensicht                   11

Wir dürfen Lehrern nicht vermitteln, dass sie nur
mit einer bestimmten Lernform die Schüler gut und
glücklich machen können.

Bildungsforscher Ulrich Trautwein über Ideologie in den Diskussio-                              form konzentriert, können sich Lernmilieus
                                                                                                etablieren, die nicht leistungsförderlich
nen über Inklusion, Gesamtschule und lehrerzentrierten Unterricht.                              sind. Braucht man aber eine Schule für alle,
                                                                                                damit die Leistungsschwächeren von den
                                                                                                Stärkeren mitgezogen werden? Da bin ich
Wie oft ärgern Sie sich, weil irgendwelche         Was ist an dem Argument dran, dass die       mir nicht so sicher. Auch mit den unteren
Reformen diskutiert werden, für die es wis-        stärkeren Schüler die schwächeren mit-       50 Prozent können Lehrer ein leistungs-
senschaftlich keine Basis gibt?                    ziehen?                                      orientiertes Lernmilieu aufbauen.
Trautwein (TW): Ich werde regelmäßig               TW: Wenn durch die Leistungsdifferen-
mit ideologischen Positionen konfrontiert.         zierung Lernmilieus entstehen, die stark     Wie viel macht denn überhaupt die Schul-
Dafür, wie viel Geld in die Bildung fließt, ist    geprägt sind von Schülern, die bereits       form aus?
das Maß an nicht-ideologischer Qualitäts-                                                       TW: Die öffentliche Diskussion kreist 90
sicherung erstaunlich gering.                                                                   Prozent der Zeit um Fragen nach Schul-
                                                                                                formen, Leistungsdifferenzierung und
Warum ist das ausgerechnet bei Bildungs-                                                        Unterrichtsformen. Aber wahrscheinlich
fragen so stark?                                                                                erklären diese Faktoren nur zehn Prozent
TW: Bildungsfragen sind Wertefragen und                                                         des Lernerfolgs. Viel wichtiger ist es, ob
das ist auch in Ordnung. Nicht in Ordnung                                                       Lehrer es schaffen, eine hohe Unterrichts-
ist, wenn das vermischt wird. Man muss                                                          qualität zu bieten.
deutlich trennen: Wo geht es um Werte –
wofür haben wir Evidenz.                                                                        Man diskutiert also, wenn es um Verände-
                                                                                                rungen der Schule geht, zu 90 Prozent über
Haben Sie dafür ein Beispiel?                                                                   das Falsche.
TW: Etwa die Inklusion von Kindern mit                                                          TW: Man diskutiert zu viel über Faktoren,
Behinderung. Dass in inklusiven Settings                                                        die sich nicht direkt auf das Ergebnis aus-
alle besser lernen, kann ich empirisch nicht                                                    wirken. Entscheidend ist, was im Unterricht
nachvollziehen. Trotzdem kann man natür-                                                        passiert: Gelingt es Lehrern, die Zeit wirk-
lich für die Inklusion eintreten, weil man es                                                   lich für den Unterricht zu nutzen? Schaffen
wichtig findet, dass moderne Gesellschaf-                                                       sie es, dass Schüler intensiv mit dem Lern-
ten so organisiert sind.                                                                        stoff arbeiten? Bauen sie eine Beziehung
                                                                                                auf, die die Motivation der Schüler stärkt?
Das gemeinsame Lernen ist auch ein                                                              Darüber muss man sich mehr Gedanken
Streitthema. Stimmt es, dass davon alle pro-                                                    machen.
fitieren – wie manche gern argumentieren?
TW: Auch hier findet man oft eine Ver-                                                          Es geht also um die Lehrer.
mischung ideologischer Positionen mit                                                           TW: Aber auch hier ist Ideologie fehl am
angeblichen empirischen Ergebnissen. Die                                                        Platz. Wenn man einem, der guten lehrer-
Datenlage ist weit weniger eindeutig als                                                        zentrierten Unterricht gemacht hat, sagt,
oft behauptet. Die Leistungsunterschiede                                                        er muss auf Teufel komm raus Gruppen-
zwischen Schülern in der Sekundarstufe                                                          arbeit einführen, tut man den Schülern
sind sehr groß. Wenn da alle Schüler vom           schulische Misserfolgskarrieren aufweisen,   nichts Gutes. Wir dürfen Lehrern nicht
gemeinsamen Lernen profitieren sollen,             zu Hause wenig Unterstützung erfahren,       vermitteln, dass sie nur mit einer bestimm-
muss man den Unterricht sehr gut orga-             und vielleicht von schwachen Lehrern         ten Lernform die Schüler gut und glücklich
nisieren. Das Zauberwort lautet da meist:          unterrichtet werden, die keine hohen Leis-   machen können.                           ■
Individualisierung. Aber leider ist Individuali-   tungserwartungen haben, hat man tat-
sierung in der konkreten Umsetzung enorm           sächlich ein Problem.
schwierig, und so manche Lehrkraft schei-                                                       ZUR PERSON: Prof. Dr. Ulrich Trautwein ist Professor für
                                                                                                empirische Bildungsforschung an der Universität Tübin-
tert daran. Lernformen, die sehr stark an          Ist also eine stärkere Durchmischung der     gen. Einer seiner Schwerpunkte ist Effektivität im Bil-
selbstregulative Fähigkeiten geknüpft sind,        Schüler nötig?                               dungssystem. Der hier abgedruckte Interviewauszug
                                                                                                erscheint mit freundlicher Zustimmung von Herrn Prof.
überfordern dann womöglich ganz beson-             TW: Wenn man die 15 bis 25 Prozent leis-     Trautwein und von Frau Bernadette Bayrhammer, die das
ders die leistungsschwächeren Schüler.             tungsschwächsten Schüler in einer Schul-     Interview für die Tageszeitung DIE PRESSE führte.
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               Nachgefragt
               Mag.a Christine Haberlander (CH), seit einigen Monaten Landesrätin für
               Gesundheit, Bildung und Frauen, und der Präsident des LSR f. OÖ, HR Fritz
               Enzenhofer (FE), geben ihr erstes gemeinsames Interview. Im Gespräch mit
               dem Schulblatt sprechen sie unter anderem über die aktuelle Bildungspolitik,
               die von der FPÖ eingerichtete Meldestelle für Parteipolitik an Schulen,
               über Inklusion und den Aha-Effekt beim Lernen.

     Frau Landesrätin, Sie sagen, dass eines der     Schwerpunkte, die wir in OÖ setzen, wie       Von Gewerkschaftsseite gibt es großen
     wichtigsten Dinge als Politikerin für Sie       die Digitalisierung. Das Schöne ist meiner    Widerstand gegen das Autonomiepaket.
     das „Zuhören können“ sei. Haben Sie bei         Meinung nach, dass man in der Bildungs-       Können Sie diesen Widerstand nachvollzie-
     Ihren Gesprächen über Bildung auch schon        politik schon spürt, dass es grundsätzlich    hen oder sagen Sie auch, dass die Eckpunkte
     Aha-Erlebnisse gehabt?                          um das Kind geht. Das Kind ist im Mittel-     des Pakets nicht verhandelbar sind?
     CH: Jedes Gespräch ist aus meiner Sicht         punkt aller Überlegungen und Entwick-         CH: Ich verstehe, dass die Gewerkschaft
     ein Gespräch, bei dem es ein Aha-Erlebnis       lungen und auch im Fokus jedes einzelnen      Kritik übt und ich verstehe auch, dass sie
     gibt. Von meinem Selbstverständnis her ist      aus diesem Bereich.                           auf ihrer Position besteht. Mein persönli-
     es so, dass man aus allen Gesprächen etwas      FE: Die derzeitige bildungspolitische Dis-    cher Zugang ist, dass Veränderungen in
     mitnehmen kann. Das ist meine Grundein-         kussion ist gekennzeichnet durch eine Ver-    einem so großen Bereich nur möglich sind,
     stellung, mit der ich in einem Gespräch         mengung aus einer pädagogischen und           wenn sie von allen Beteiligten mitgetragen
     meinem Gegenüber begegne.                       einer organisatorischen Diskussion. Teile     werden. Das heißt, dass man Gespräche
                                                     dieser organisatorischen Diskussion betref-   führen muss bis Lösungen gefunden wer-
     Wie beurteilen Sie die aktuelle Bildungspo-     fen klar die Cluster. Das ist auch indirekt   den, die von allen akzeptiert werden.
     litik?                                          eine pädagogische Diskussion. Das Thema
     CH: Die Bildungspolitik ist in Fluss. Es gibt   der Verwaltungsreform ist aber grundsätz-     Ihnen wäre es also wichtig, dass man zu
     laufende Veränderungen hinsichtlich der         lich kein Bildungsthema. Es ist ein Thema     einem sozialpartnerschaftlichen Abschluss
     demografischen Entwicklung zum einen,           der Staatsreform. Dort soll geklärt werden,   kommt?
     zum anderen gibt es bundespolitische            welche Aufgaben hat das Bundesland, wel-      CH: Eine Lösung kann nur gemeinsam mit
     Vorgaben im Bildungsbereich, die zur            che hat die Gemeinde und welche hat der       den Lehrerinnen und Lehrern gefunden
     Diskussion stehen und in Entwicklung            Bund. Man sollte meiner Meinung nach          werden. Diese müssen sich dabei auch
     sind, bei denen wir aber zum aktuel-            diese beiden Diskussionen voneinander         wiederfinden können. Dass Reformen und
     len Zeitpunkt nicht wissen, wie sie sich        trennen und die vorerst einmal pädagogi-      Veränderungen nicht immer für alle Partner
     entwickeln werden. Es gibt aber auch            schen Punkte in den Mittelpunkt rücken.       von Anfang an in Ordnung sind, ist klar.
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                                                                                          Veränderungen und
            Unser Bestreben müsste eigentlich                                             Entwicklungen können nur
            sein, die Pädagogik vom Kinder-                                               entstehen, wenn sie gemeinsam
            garten bis zur AHS-Oberstufe und                                              entstehen, gemeinsam
            bis zur HTL in einer zuständigen                                              entwickelt und gemeinsam
            Stelle zu vereinen.                                                           getragen werden.

Man muss sich aufeinander zubewegen.            sche Verantwortliche, sogar Nationalrats-      und Kenntnisse, die nicht jede Lehrerin
Das ist ein großes Thema bei dieser Bil-        abgeordnete, in das Unterrichtsgeschehen       bzw. jeder Lehrer haben kann. Auch in der
dungsreform. Es geht sicherlich auch um         hineininterveniert. Da sieht man, dass die     Medizin ist es so, dass selbst hervorragen-
die Art und Weise, wie man miteinander          „Autonomie“ nicht sehr ernst genommen          de Allgemeinmediziner die Fachärzte nicht
spricht, wobei ich das in diesem Kontext        wird, sondern versucht wird, die Schule        ersetzen können. Man muss sich die Frage
nicht beurteilen kann, weil ich nicht dabei     von oben herab zu lenken.                      stellen, welche Aufgabe hat die Schule für
bin oder auch nicht war. Ein Endergebnis                                                       das einzelne Kind. Welche soziale Aufgabe
sollte schlussendlich von allen mitgetragen     Das Thema „Inklusion“ ist in aller Munde.      hat sie, um Menschen, die unterschiedliche
werden. Das ist schon sehr wesentlich und       Bis 2020 soll die Sonderschule der Vergan-     Zugänge haben, wirklich zusammenzufüh-
es ist auch notwendig, dass man die Beden-      genheit angehören. Wie sehen Sie diese         ren und wo haben wir als Schule die Aufga-
ken der Gewerkschaft sehr ernst nimmt.          Thematik?                                      be Menschen so zu fördern, dass es in ihren
Die Akzeptanz der Lehrerinnen und Lehrer        CH: Ich bekenne mich zu den aktuell            Möglichkeiten wirklich zu einer optimalen
ist sehr wichtig. Mein politischer Zugang       bestehenden Sonderschulen. Ich war vor         Lösung kommt. Wichtig ist, dass in jedem
ist nicht von oben verordnen, sondern           wenigen Tagen in St. Isidor. Unsere Lan-       einzelnen Fall sorgsam zum Wohl des Kin-
gemeinsames Gestalten. Veränderungen            dessonderschulen sind großartige Schulen.      des entschieden wird.
und Entwicklungen können nur entstehen,         Ich glaube, dass es notwendig ist, dass es
wenn sie gemeinsam entstehen, gemein-           die Form der Sonderschule auch über das
sam entwickelt und gemeinsam getragen           Jahr 2020 hinausgehend gibt. In diesem         Wie beurteilen Sie die von der FPÖ einge-
werden.                                         Punkt der Bildungsreform, der auch von         richtete Meldestelle für Parteipolitik an
FE: Ich halte Teile des Autonomiepakets für     der Gewerkschaft kritisiert wird, teile ich    Schulen?
problematisch. Man gibt vor für Autono-         die Meinung der Gewerkschaft. Unsere           CH: Aus meiner Sicht braucht man sie
mie zu sein, in Wahrheit ist man jedoch für     Landessonderschulen sind für mich ein          nicht. Es braucht keine Parallelstruktur einer
Zentralismus. Einige Beispiele der letzten      Bestandteil unseres Bildungssystems. Sie       politischen Partei. Wir haben bestehende
Tage und Wochen zeigen, dass das Minis-         leisten hervorragende Arbeit.                  gute Strukturen der Behörde und diese ist
terium einerseits versucht hat, direkt in den   FE: Ich halte es für falsch, die Sonderschu-   dafür zuständig und dort wird das in einer
Schulen Einfluss zu nehmen und sich dabei       len abzuschaffen. Ich weiß, dass die Son-      sehr hohen Qualität abgewickelt.
auch in die tägliche Unterrichtsgestaltung      derschulen eine enorme Qualität bieten.        FE: Dieser pädagogische Pranger, der da
begeben hat, andererseits haben politi-         Die Sonderschullehrer haben Qualitäten         jetzt in Form einer Homepage eingerichtet
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                               Was ich aber vehement
                               ablehne, sind Rankings,                                       Ich glaube, dass es notwendig
                               so etwas wäre eine                                                   ist, dass es die Form der
                               gesellschaftspolitische                                         Sonderschule auch über das
                               Niederlage.                                                    Jahr 2020 hinausgehend gibt.

     wurde, ist eigentlich kein pädagogischer         Zum Beispiel Kindergartenpädagogen,            beim Lesen nicht erreichen, ist aber doch
     Pranger sondern ein politischer Pranger.         Volksschullehrer in hohem Ausmaß, das          sehr hoch. Woran kann das liegen?
     Diesen halte ich für absolut gefährlich.         war früher noch etwas anders. Das ist jetzt    CH: Ich sehe es so, dass die Verantwor-
     Wir hatten das schon in der Vergangen-           keine Wertung, aber ich beobachte, je          tung für das „Lesen können“ nicht allein
     heit. Das ist abzulehnen. Sollte in dieser       mehr man mental einen Beruf als Sozial-        in der Schule liegt. Schon lange vor dem
     Angelegenheit etwas gemeldet werden,             beruf sieht, umso eher ist er weiblich. Das    Schuleintritt machen Kinder wichtige
     werden wir mit den Daten sehr sorgsam            geschieht automatisch im Unterbewusst-         Erfahrungen mit Sprache. Hier muss man
     umgehen. Man kann nicht ausschließen,            sein der Bevölkerung und daher sollten         einen Appell an die Eltern richten, dass
     dass tatsächlich Problemfälle genannt            wir bei diesen Berufen deutlicher darauf       sie mit den Kindern lesen und dass sie
     werden. Dem muss man natürlich nachge-           hinweisen, dass es zwar soziale Arbeitsbe-     den Kindern von Beginn an vorlesen. Es
     hen. Vernaderung soll aber keine Chance          reiche gibt, die zu erfüllen sind, dass dies   kann nicht jede Aufgabe von der Schule
     haben.                                           aber nur ein Teil des Berufes ist.             übernommen werden. Jetzt sage ich nicht,
                                                      Es ist zum Beispiel sehr wichtig, dass wir     dass die Eltern den Kindern das Alphabet
     Man diskutiert oft über die Frauenquote.         in den Kindergärten eine pädagogische          beibringen müssen, aber es ist wichtig,
     Aus schulischer Sicht stellt sich die Frage      Einrichtung sehen. Es ist kein Ort, wo Kin-    dass jemand daheim da ist, präsent ist, der
     ein bisschen anders, braucht es eine Män-        der nur ihre Zeit verbringen, sondern es       den Kindern auch ein sprachliches Vorbild,
     nerquote?                                        ist ein zutiefst pädagogischer Ort. Dassel-    ein Lesevorbild ist. In diesem Zusammen-
     CH: Ich bin so oder so gegen Quoten,             be gilt natürlich auch für die Volksschule.    hang sind die digitalen Medien natürlich
     daher auch hier. Wobei ich schon glau-           Unser Bestreben müsste eigentlich sein,        auch eine Verlockung. Es ist aber ganz
     be, dass es mehr Männer in der Pädago-           die Pädagogik vom Kindergarten bis zur         wichtig, dass die Verantwortung für die
     gik, mehr Männer in den Klassenzimmern           AHS-Oberstufe und bis zur HTL in einer         sprachliche Entwicklung auch zuhause
     braucht. Ich begrüße jede Initiative, die es     zuständigen Stelle zu vereinen. Ich glaube,    wahrgenommen wird.
     in diese Richtung gibt.                          damit könnte man das Problem der Nahts-
     FE: Hier halte ich es mit der Frau Landes-       tellen wesentlich verbessern.                  Die Frage etwas anders an den Präsidenten
     rätin, das ist kein Thema der Quoten. Die                                                       des LSR. PISA und Standards – sinnvoll oder
     Frage, die sich mir aber dabei stellt, ist ein   OÖ schnitt bei den Bildungsstandards und       sinnlos?
     gesellschaftliches Phänomen. Es gibt Beru-       auch bei PISA sehr gut ab. Der Anteil der      FE: Bevor ich darauf antworte, sei mir ein
     fe, die immer männeruntypischer werden.          Jugendlichen, die die Mindestanforderung       kurzer Rückgriff auf das soeben Gesag-
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                                                                                                                                                             Fotos: Walter Utz
                                                                                                                                                           Fotos: Walter Utz
            Dieser pädagogische Pranger, der                                         Aus meiner Sicht braucht man
            da jetzt in Form einer Homepage                                            die Meldestelle der FPÖ für
            eingerichtet wurde, ist eigentlich                                      Parteipolitik an Schulen nicht.
            kein pädagogischer Pranger                                            Es braucht keine Parallelstruktur
            sondern ein politischer Pranger.                                               einer politischen Partei.

te erlaubt. Ich war vor kurzem bei einer       Reflexion, die mir sehr wichtig erscheint.     dieser Aha-Effekt da. Deswegen habe auch
Veranstaltung, wo ein ORF-Moderator von        Was ich aber vehement ablehne, sind Ran-       sehr gerne gelernt. Ich erinnere mich
der Bühne herab zu mir gesagt hat: „Na         kings, so etwas wäre eine gesellschaftspo-     gerne zurück, wenn ich daheim gelernt
Herr Präsident, was könnten wir denn tun,      litische Niederlage.                           habe, weil mir dabei immer auch etwas
damit die Schüler mehr lesen?“ Ich habe                                                       aufgegangen ist. Das ist, glaube ich, etwa
auf die Bühne gerufen: „Den Fernseher          Frau Landesrätin, LH Stelzer hat gesagt,       sehr Wertvolles, was Schule vermitteln
abschalten!“ Genauso ist es! Jeder hat Ver-    man möchte für OÖ wieder eine eigene           kann: den Aha-Effekt.                   ■
antwortung: die Schule, die Eltern, die Leh-   PISA-Landesauswertung. Welche Position
rer, die Gesellschaft. Wenn uns das Lesen      nehmen Sie in dieser Frage ein?
ein Anliegen ist, dann müssen wir uns alle     CH: Diese Frage werden wir beizeiten ent-
gemeinsam bemühen. Die Schule strengt          scheiden. Daten sind natürlich für betrof-
sich an das Beste zu geben.                    fene Organisationen ein wichtiges Instru-      Zur Person: Christine Haberlander wuchs in Enns in
                                                                                              Oberösterreich auf. Nach der Matura an der Körnerschu-
Nun zur eigentlichen Frage. Ich freue          ment, aber ich stimme Fritz Enzenhofer zu,     le Linz studierte sie Wirtschaftswissenschaft an der Uni-
mich natürlich über die Ergebnisse. Es ist     man muss sehr sorgsam damit umgehen            versität Linz. 2009 kandidierte sie für die ÖVP bei der
                                                                                              Europawahl. Sie arbeitete mehrere Jahre im ÖVP-Land-
bekannt, dass ich Testungen wie PISA vom       und sich auch ansehen, was sie wirklich        tagsklub und war beim Landesspitalsträger Gespag für
Ertrag her sehr skeptisch gegenüberstehe,      bringen.                                       den Bereich Gesundheitsorganisation zuständig. Ab
                                                                                              Februar 2015 war sie im Büro von Landeshauptmann
denn PISA bringt mir für die Schule gar                                                       Josef Pühringer als Referentin für Gesundheitsagenden
nichts. Rangreihungen zwischen Ländern         Eine abschließende Frage an die Gastgebe-      tätig. Am 6. April 2017 wurde sie zur Landesrätin
                                                                                              gewählt und angelobt.
helfen uns nicht weiter. Auch das Suchen       rin: Was sind die wertvollsten Erinnerungen,
von Schuldigen und Unschuldigen bringt         die Sie mit Ihrer Schulzeit verbinden?
uns nicht weiter. Die Bildungsstandards        CH: Der eingangs besprochene Aha-Effekt
sehe ich anders. Hier bin ich sehr offen,      passt hier sehr gut. Ich hatte immer Leh-
denn die Standards geben den Schu-             rerinnen und Lehrer, die uns beigebracht
len - somit auch den Lehrern - Rückmel-        haben, über das Fach hinauszudenken. Das
dung und das sehr authentisch und noch         habe ich immer sehr geschätzt, beispiels-
einigermaßen zeitnah. Natürlich nicht          weise wenn ausgehend vom Deutschun-
mehr für den einzelnen Schüler, den man        terricht Literatur, Musik und Geschichte so    Das Interview führten
unterrichtet hat, aber für eine persönliche    ineinandergegriffen haben. Da war dann         Birgit Loidl und Maximilian Egger
16   Grundschulreform                                                                                                                   DAS SCHULBLATT | JULI 2017

     Was bringt das dem Schüler?                                                                                                       Andrea Fürtauer-
                                                                                                                                       Mann
                                                                                                                                       VS-Lehrerin

     Teile der Grundschulreform wurden in den vergangenen Wochen
     von den PädagogInnen bereits in die Tat umgesetzt. Vor allem
     wurde fleißig verschriftlicht, was früher zwar auch dokumentiert                                             unterrichtet werden. Was ab dem Schuljahr
     wurde, aber nun eine neue Dimension in der Leistungsbeurtei-                                                 2017/18 nach Abstimmung mit der Schul-
                                                                                                                  aufsicht möglich sein wird.
     lungsverordnung § 23 a erreicht hat.                                                                            Damit die Schüler bessere Leistungen
                                                                                                                  bringen und die Schule gelingt, liegt laut
                                                                                                                  Hattie fast ausschließlich im Können der

     W
               as bitte bringt das den Schü-      Dass durch Reformen alleine die Schule                          LehrerInnen. Übrigens definiert Hattie in
               lern?“ haben sich viele Pädago-    nicht viel besser wird, hat schon der Pädago-                   seinem Buch den perfekten Lehrer so:
               ginnen und Pädagogen gefragt,      gikprofessor der Universität of Melbourne
     als ihnen in den vergangenen Monaten         John Hattie in seinem Buch „Lernprozesse                        Sie/Er muss …
     die Grundschulreform präsentiert wurde.      sichtbar machen“ festgehalten. Nach 15                          • wie ein Regisseur arbeiten – den Unter-
     Vor allem die Leistungsbeurteilungsver-      Jahren wissenschaftlicher Arbeit ist der Bil-                     richt dirigieren und planen, sodass die
     ordnung §23a erfordert von jedem ein-        dungsexperte zu der Erkenntnis gekommen,                          Schüler ihre Stärken entfalten können.
     zelnen Pädagogen einen enormen büro-         dass guter Unterricht allein vom Können                         • Beziehung eingehen – „Es geht darum,
     kratischen Mehraufwand. „Bisher haben        der Lehrerin oder des Lehrers abhänge. Die                        in jedem Kind etwas Goldenes zu sehen“.
     80 Prozent der Volksschulen in Oberös-       Debatte über die äußeren Strukturen von                         • den Kindern zuhören – bei den Arbei-
     terreich ohnehin die alternative Beurtei-    Schulen und Unterricht hält er für über-                          ten der Kinder nicht die Fehler zu
     lung praktiziert. Es wurden ausführliche     schätzt. Dem kann Petra Praschesaits nur                          sehen, sondern zu erkennen, ob und
     Elterngespräche geführt, Beurteilungs-       zustimmen: „Den Schülern würde es viel                            wie sie lernen.
     bogen ausgefüllt oder Noten vergeben“,       mehr bringen, wenn wir an den Volksschu-                        • Leidenschaft zeigen – Begeisterung für
     schildert VD Petra Praschesaits, stellver-   len ein ähnliches Teamteaching-System wie                         das Lernen habe den größten Einfluss
     tretende Vorsitzende im ZA für APS GBA.      an unseren Neuen Mittelschulen hätten.                            auf die Schüler.
     Nun müssen die Lernfortschritte, Leis-       Es ist nun einmal so, wenn ich mehr Qua-                        • die Eltern verstehen – dafür braucht es
     tungsstärken, Begabungen und allfällige      lität für den Schüler will, muss ins Personal                     eine klare Linie im Umgang mit den
     Mängel, gemessen an den Lernzielen,          investiert werden.“ Vor allem wird dies an                        Eltern.
     sowie weiters allenfalls gesetzte oder zu    jenen Schulstandorten dringend notwendig
     setzende Fördermaßnahmen erörtert und        werden, wo Klassen jahrgangsübergreifend                        Abgesehen von der nun umfangreichen
     dokumentiert werden, …                       – von der Vorschulstufe bis zur 2. Klasse –                     verschriftlichten Form der Leistungsbeurtei-
                                                                                                                  lung kann eine gelungene Feedback-Kultur
                                                                                                                  an einer Schule eine große Chance für die
                                                                                                                  Lernfortschritte der Schüler sein. Laut Hattie
                                                                                                                  gehört Kurz-Lob in jenen Bereich, der dem
                                                                                                                  Kind „auf die Sprünge hilft“. Wird Lob pro-
                                                                                                                  fessionell eingesetzt und zum Feedback, hat
                                                                                                                  es eine längerfristige positive Wirkung auf
                                                                                                                  die Leistung der Kinder. Grundvorausset-
                                                                                                                  zung für das Gelingen ist die Zusammen-
                                                                                                                  arbeit in den beiden Lebenswelten Eltern-
                                                                                                                  haus und Schule. Dazu müssen sich Kinder,
                                                                                                                  Lehrkräfte und Eltern gemeinsam auf den
                                                                                                                  Weg machen und nicht über Lernerfolge
                                                                                                                  sprechen, sondern sich mit dem Lernpro-
                                                                                                                  zess auseinandersetzen: Lehrkräfte verste-
                                                                                                                  hen sich somit als professionelle Begleiter,
                                                                                                                  Schüler als verantwortungsvolle Selbstlerner
                                                                                                                  und Eltern sind gut informiert über das Ler-
                                                                                                                  nen ihrer Kinder und sind aktive Kooperati-
                                                                                                                  onspartner. Was es dazu braucht: Transpa-
                                                                                                                  renz, Offenheit, Zielsetzung, Kontrollen und
                                                                                                  Foto: Fotolia

                                                                                                                  laufende Kommunikation. Was nicht fehlen
                                                                                                                  darf: das Feiern von Erreichtem!           ■
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