Bauhaus. Journal - Magazin der Bauhaus-Universität Weimar
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IMPRESSUM BAUHAUS.JOURNAL Magazin der Bauhaus-Universität Weimar ERSCHEINUNGSJAHR 2021 HERAUSGEBER Der Präsident der Bauhaus-Universität Weimar, Prof. Dr. Winfried Speitkamp, 99421 Weimar CHEFREDAKTION/KONZEPT Claudia Weinreich REDAKTION Miriam Rebsamen GESTALTUNG Viola Kristin Steinberg AUTORINNEN UND AUTOREN DIESER AUSGABE Tina Feddersen, Marit Haferkamp, Paul Harhausen, Dana Horch, Mads Pankow, Miriam Rebsamen, Juliane Seeber, Winfried Speitkamp, Romy Weinhold, Claudia Weinreich, Luise Ziegler FOTOGRAFIE Sandra Hauer, Jüdisches Museum Frankfurt (S. 30), Philipp Montenegro (S. 36), Philotheus Nisch (S. 54–58), Elise Weiland und Maceo Carlo (S. 37/38), Lara Weller (S. 21), Dominique Wollniok (S. 4/5, S. 6, S. 14, S. 19, S. 20, S. 22/23, S. 34, S. 39, S. 43/44) COVERFOTOGRAFIE Philotheus Nisch COLLAGE Aline Helmcke (S. 8/9, S. 24/25, S. 40/41) ILLUSTRATION Anna Rupprecht (S.4/5, S. 11/12, S. 17, S. 27/28, S. 46–49, S. 50, S. 53) KORREKTORAT Franz Löbling DRUCK druckhaus köthen PAPIER Fly (Corporate Papier) SCHRIFTEN Linotype Syntax (Corporate Schrift), Runda (ps.type) Das BAUHAUS.JOURNAL ist unter www.uni-weimar.de/bauhausjournal abrufbar. Die aktuelle Ausgabe können Sie bestellen bei der Universitätskommunikation: Bauhaus-Universität Weimar, Amalienstraße 13 99423 Weimar, Telefon +49 (0) 3643/58 11 71 E-Mail info@uni-weimar.de Die Bauhaus-Universität Weimar finden Sie bei Facebook: www.facebook.com/bauhausuni Instagram: www.instagram.com/bauhaus_uni Twitter: www.twitter.com/bauhaus_uni Vimeo: www.vimeo.com/uniweimar Die Bauhaus-Universität Weimar unterstützt gendersensible Sprache. In den Artikeln in diesem Heft werden unterschiedliche Formen des sprachlichen Genderns verwendet, da diese die verschiedenen Perspektiven auf das Thema am geeignetsten widerspiegeln. Bauhaus.Journal
Die Universität als gesellschaftlicher Seismograph An einer Universität werden Bewegungen und Engagement auf die Lehre auswirkt, lesen Sie Veränderungen in der Gesellschaft besonders ab Seite 26. Die Studierenden in Weimar sind deutlich. In kaum einer anderen Institution dafür bekannt, dass sie die Dinge, die ihnen kommen Menschen so vieler unterschiedli- wichtig sind, selbst in die Hand nehmen. Die cher Herkünfte, sozialer Hintergründe und vielen studentischen Initiativen zeigen dies (Sei- Biographien zusammen. So nimmt die Univer- te 33). Gerade in der Coronakrise, als die Werk- sität wie ein Seismograph Schwingungen auf stätten, Arbeitsräume und Ateliers geschlossen und zeigt an, wo sich Umbrüche andeuten und waren, wurden Studierende besonders kreativ, letztlich geschehen. Diese Umbrüche werden um das Weimar so prägende gemeinschaftliche immer dann sichtbar, wenn gegenteilige Mei- Arbeiten aufrechterhalten zu können. Von drei nungen aufeinander treffen, Positionen kaum Beispielen berichten wir ab Seite 34. noch vereinbar scheinen, Konflikte scharf aus- Die zunehmende Digitalität unseres getragen werden. Als demokratische Einrich- Lebens prägt die Art und Weise, wie wir mit- tung ist eine Universität aber darauf angewie- einander kommunizieren. Im dritten Kapi- sen, dass in gewählten Gremien weitsichtige tel werfen wir Spotlights auf verschiedene Entscheidungen getroffen werden, die später Forschungsthemen und mögliche Zukunfts- die Zukunft vieler Personen beeinflussen. visionen dafür. Auch den internationalen Wie kann ein solch komplexer Organis- Austausch zwischen Universitäten verändern mus wie eine Universität heute Weichen für die digitalen Möglichkeiten. Den Umbruch, Zukünftiges stellen und die klügsten Antwor- der auf diesem Gebiet stattfindet, zeigen wir ten auf drängende Fragen finden? Der Schlüs- ab Seite 42. sel dazu kann nur im Gemeinsamen liegen: Wie kann Gemeinschaft in Zeiten der dem gemeinschaftlichen Dialog um die beste sozialen Distanz aussehen? Dieses Heft ist fast Lehre, Wissenschaft und Kunst; dem beständi- ausschließlich remote entstanden. Interviews, gen Ringen aller Gruppen um Antworten und Redaktionsabsprachen, Diskussionen über dem Aushandeln von Lösungen. Das bedingt visuelle Inhalte — all dies fand statt, ohne dass die Beteiligung vieler Personen und unent- sich die Beteiligten unmittelbar an einen Tisch wegte Kommunikation. Dazu den Willen, sich dafür setzen konnten. Bemerkenswert ist, wie trotz aller Unterschiedlichkeit mit Respekt und großartig die Zusammenarbeit trotzdem funk- auf Augenhöhe zu begegnen. tionieren kann. Ein besonderer Dank gilt daher In diesem Heft möchten wir Einblicke all jenen, die dafür gesorgt haben, dass dieses geben, wie dieses Tun und Handeln an der Bauhaus.Journal vor Ihnen liegt. Angefangen Bauhaus-Universität Weimar aussieht. Wie bei Viola Kristin Steinberg, die mit gestalteri- kann die Universität ein Ort sein, an dem das scher Kraft und Geduld sich jedem Detail gewid- Gemeinsame gelebt und die individuelle Frei- met hat. Miriam Rebsamen hat sich komplexer heit bewahrt wird? Im Auftaktinterview blickt Recherchen und Interviews angenommen und Universitätspräsident Prof. Winfried Speitkamp das Heft intensiv mit auf den Weg gebracht. aus seiner Perspektive auf den Kosmos Univer- Dominik Wollniok gelang es ganz vortrefflich, sität. Eine Initiative, welche die Bauhaus-Uni- die Protagonistinnen unserer Artikel zu porträ- versität Weimar langfristig beschäftigen wird tieren, ihre Fotografie prägt das Heft wesent- und diesen dialogorientierten Prozess versinn- lich. Anna Rupprecht bringt mit ihren Illustra- bildlicht, ist das Neue Europäische Bauhaus. tionen auch abstrakte Themen visuell auf den Von der Europäischen Union ausgelobt, betei- Punkt. Die Kapiteltrenner verdanken wir der ligen sich zahlreiche Universitätsangehörige Collagekünstlerin Aline Helmcke, die im Lock- an der Bewerbung für ein Neues Europäisches down zum Teil in Italien arbeitete. Bis kurz vor Bauhaus. Wie sie zusammen daran arbeiten der Drucklegung hat Coverfotograf Philotheus und die Universität damit im Gesamten verän- Nisch für das Titelfoto immer neue spannen- dern, lesen Sie ab Seite 10. Zudem stellen wir de Arrangements gefunden. Nicht zuletzt gilt Projekte vor, die klimafreundliche und ressour- unser Dank den vielen Autorinnen und Auto- censchonende Lösungen für unsere Lebensum- ren, die am Heft mitgewirkt haben. welt vorschlagen. Am besten, wir fangen mit »Universitas« — der Begriff stammt aus dem Klimaschutz auf dem eigenen Campus an. dem Lateinischen und meint die Gesamtheit Wie dieser klimaneutraler werden kann, erzäh- aller Lehrenden und Studierenden. Er soll- len Prof. Eckhard Kraft und Milena Hufnagel te uns auch heute noch leiten auf die Frage von der Klima-Arbeitsgruppe ab Seite 14. hin, in welcher Art von Universität wir stu- Zahlreiche Universitätsangehörige enga- dieren, lehren, arbeiten, forschen, die Zukunft gieren sich für mehr Teilhabe von Minderhei- gestalten wollen. ten und wenden sich aktiv gegen Diskrimi- nierungen jeder Art. All dies stärkt langfristig ir wünschen Ihnen W den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Welche eine anregende Lektüre! Problemstellen es noch gibt und wie sich ihr Claudia Weinreich Magazin der Bauhaus-Universität Weimar 3 Editorial
Inhalt 2 Impressum 6 Ein Ort der Gemeinschaft Universitätspräsident Winfried Speitkamp über Gesellschaft, Krisen und die Universität Gemeinsam Verständigung Zukunft nachhaltig für gesellschaftlichen gestalten Zusammenhalt 10 Ein neues Bauhaus 26 Wir wollen etwas für Europa ändern! Gemeinschaftlich entwickelt die Wie Angehörige der Universität sich Universität Ideen für einen klima gegen Diskriminierung und für neutralen Kontinent eine offene Gesellschaft engagieren 14 Klimaneutraler 30 Unterschiedlichkeit Campus verbindet Wie krempelt man eine Institution Bauhaus-Gastprofessorin in Sachen Klimaschutz um? Mirjam Wenzel spricht über das Ein Gespräch mit Eckhard Kraft und Zusammenleben in einer diversen Milena Hufnagel Gesellschaft 17 Ideen aus dem 33 Initiative ergreifen? Zukunftslabor Ja, bitte! Material und Mobilität: Lehrende, Was die studentische Kultur in Studierende und Alumni wollen Weimar besonders macht mit ihren Projekten den Ressourcen verbrauch neu denken und 10 minimieren 34 Studentische Räume bleiben krisenfest Wie Weimars Studierende kreative Lösungen für gemeinschaftliche Arbeit trotz Social Distancing finden 14 4 Bauhaus.Journal
34 Erprobungsraum neuer 46 digitaler Formate 42 Virtuell verbunden Wie Digitalisierung den inter- nationalen Austausch beflügelt 46 Zukunftsblicke auf den Planeten Digital Sieben Wissenschaftler*innen teilen ihre Zukunftsvisionen 49 Freier Zugang zu Forschungsergebnissen Wie Open Access die Wissenschaftspraxis verändert 50 Digital Humanities Mit Algorithmen zu neuen Erkenntnissen? 54 Welcome Stranger Philotheus Nisch inszeniert den Kubus in einer unwägbaren Umwelt Magazin der Bauhaus-Universität Weimar 5
Ein Ort der Gemeinschaft Was charakterisiert die Gegenwart? Vor allem Widersprüche: Neue autoritäre Bewegungen und Regime, zugleich steigen- des Verlangen nach Partizipation. Weltweite Verflechtungen, aber partikulare Identitäts- politik. Glaube an die Wissenschaft, gleich- zeitig Verschwörungstheorien und abstruse Welterklärungsmodelle. Schrankenlose Rede- freiheit im Internet und Debatten über Sprech- verbote. Neoliberalismus einerseits, massive Krisenintervention des Staats andererseits. Vielleicht sind all dies Anzeichen einer glo- balen Wendezeit. Aber ob die oft totgesagte Moderne nun zu Ende geht? Ich hoffe nicht: Sie ist noch unvollendet; es lohnt sich, für ihre Werte einzutreten. Ist nur jetzt Krise? Oder eigentlich immer? Krise ist immer: Kriege, Revolutionen, gliedern über die gemeinsamen Aufgaben Was charakterisiert die Universität in Anschläge, Hungersnöte, Naturkatastrophen, ermöglichen. Indem sie zeigen, was es heißt, Zeiten der Krise? Wir haben Wirtschaftskrisen, Umweltkrisen, Epidemi- Verantwortung zu übernehmen und die Uni- Universitätspräsident Prof. Dr. Winfried en. In immer schnellerer Folge bestimmen versität zu gestalten. Plakative Postulate hel- Speitkamp zehn Fragen gestellt. immer neue Krisen unser Leben. Der vormo- fen wenig, wohl aber die Wertschätzung von derne Mensch hat Krisen hingenommen und Bildung, Kunst und Wissenschaft als Ressour- damit leben müssen — als Schicksal, Vorse- cen von Autonomie und Verantwortung. Die hung oder göttliches Zeichen. Der moderne Bauhaus-Universität Weimar hat sich in der Mensch lehnt sich auf und versucht dagegen Grundordnung zu ihren Werten bekannt. anzugehen: mit den Mitteln der Politik, der Technik, der Wissenschaft. Voltaire hat — am Beginn der Moderne — im Namen der Ver- nunft gegen das Erdbeben von Lissabon 1755 Wieviel Gemein- protestiert. Ob das vernünftig ist? schaft haben wir an der Bauhaus-Universität Wie können Uni Weimar? versitäten die Menschliche Gesellschaften kennzeichnet Demokratie stärken? einerseits das Streben nach Macht und Gewinn, andererseits das Bedürfnis nach Solidarität und Indem sie ihre Aufgaben und Werte ernst neh- Gemeinschaft. Auch im historischen Bauhaus men, indem sie ihre Studierenden ernst neh- sieht man beides: neue Modelle des gemein- men, indem sie das Gespräch unter allen Mit- samen Lebens und Arbeitens, zugleich Streit 6 Bauhaus.Journal
um Vorrang und Einfluss. Die Bauhaus-Uni- versität Weimar lernt daraus, indem sie Men- Worauf schen akzeptiert, wie sie sind, in ihrer Einzigar- kommt es beim tigkeit und Vielfalt, und zusammen mit ihnen am Neuen arbeitet. Um Gemeinschaft wird Studium an? hier immer wieder neu gerungen; das ist eine besondere Qualität. An erster Stelle natürlich: Freude am Lernen, am Erweitern der Kenntnisse, am Zugang zu Ungewohntem, am Entdecken neuer, eigener An welchen Stellen Fähigkeiten. Daran anknüpfend: Vertrauen in braucht es die eigene Arbeit gewinnen, sich ermutigen lassen, einen eigenen Weg finden. Und nicht mehr Zusammenhalt? zuletzt: in der Universität mitarbeiten, Ver- antwortung übernehmen, Gemeinschaft erle- Zusammenhalt sollte immer gestärkt werden. ben und gestalten, zu anderen Menschen neue Das heißt nicht, Verschiedenheit und Inte- Verbindungen knüpfen, die im besten Fall über ressenkonflikte zu leugnen, im Gegenteil: die Studienzeit hinaus halten. Zusammenhalt ist nur ehrlich, wenn es wirk- lich darum geht, Pluralität wahrzunehmen und zu ertragen, aber sich auf das Gemein- same zu besinnen, zuzuhören, respektvoll Gibt es ein zu kommunizieren, Widerspruch auszuhal- »Bauhaus heute«? ten. Die Bauhaus-Universität Weimar ist der ideale Ort dafür, weil sie Offenheit des Den- Ja! Zum Beispiel in Weimar — und überall auf kens und Lernens mit Formen der Koopera- der Welt, wo man sich mit dem Bauhaus aus- tion verbindet, die es so an anderen Univer- einandersetzt, daran reibt, daraus lernt. Bau- sitäten nicht gibt. haus heute — das ist also nicht das Privateigen- tum irgendeiner Institution oder eines Ortes, es wird nicht von seiner Tradition gefesselt, sondern von seiner Geschichte getragen. Es Wie gehen Sie geht um ein Reservoir an Erfahrungen, um ein mit Widersprüch Ideenbündel, um einen Zugang zur Formge- bung der Gegenwart, um eine aktive und ver- lichkeiten an der antwortungsvolle Haltung zur Welt. Bauhaus-Universität Weimar um? Was können Indem ich zu unterscheiden versuche: Welche Widersprüchlichkeiten sind nötig und konstruk- wir von der Zukunft tiv, geben heilsame Denkanstöße, motivieren erwarten? zu Austausch und Weiterentwicklung. Welche Widersprüchlichkeiten dagegen sind hemmend In vormoderner Zeit blühten die Prophezei- und destruktiv, blockieren das freie Denken, ungen, mit denen man die Ungewissheit über behindern das Lernen und Arbeiten in Weimar. das Kommende erträglich machen wollte. In Und welche Widersprüchlichkeiten müssen ein- moderner Zeit ist an ihre Stelle die Prognos- fach ausgehalten werden, weil Ambivalenz und tik getreten, die vermeintlich präzise wissen- Ambiguität zum Leben gehören. schaftliche Voraussagen erlaubt. Ob das alles wirklich helfen wird? Besser ist es, Zukunft zu gestalten. Wir können die Universität der Worin Zukunft gestalten: vielfältig, aber gemeinsam, besteht wirkliche tolerant, aber durchaus mit Haltung. iversität? D Vielfalt ist unvermeidlich. Menschen kommen mit unterschiedlichen Geschichten, Vorausset- zungen und Erfahrungen bei uns zusammen. Das ist eine Chance. Nur durch Neugier auf das Fremde, Unbekannte kann man das Eigene verstehen und zugleich wahrnehmen, dass es auch andere legitime Perspektiven gibt. Und nur durch die Begegnung mit dem Anderen entsteht Neues. Übrigens: Vielfalt ist ein Men- schenrecht. Darin steckt das Recht auf Schutz und Anerkennung. Alles in allem: Diversität und Universität gehören zusammen. Magazin der Bauhaus-Universität Weimar 7
ZUKUNFT NACHHALTIG Gemeinschaftlich arbeiten Lehrende und Studierende täg- lich daran, clevere Lösungen zu finden, um unsere Lebens umwelt nachhaltig zu verändern. Ein »Weiter so« kann und will vor allem die junge Generation nicht hinnehmen. Was kann die Bauhaus- Universität Weimar heute für mehr Nachhaltigkeit leisten? Welche Fähigkeiten sollten Stu- dierende haben, um kompe- tente Zukunftsgestalter*innen zu werden? Wie sieht der Weg hin zur klimaneutralen Uni- versität aus? Welche Materia- lien haben das Zeug, die gebaute Umwelt, aber auch Alltagsdinge nachhaltiger zu machen? Wie kann der Verkehr in Städten mit- hilfe künstlicher Intelligenz re- duziert werden? Magazin der Bauhaus-Universität Weimar 9 →
Ein neues Bauhaus für Europa Was kann das Bauhaus heute für ein klimaneutrales Europa tun? Die Bauhaus- Universität Weimar sucht gemeinschaftlich nach Antworten. A Alle neunzig Sekunden folgt eine Idee auf die Das Zusammenspiel von Wissenschaft, Tech- andere: Wer die Bauhaus-Universität Weimar nik, Kunst und Kultur findet hier im Austausch in all ihren Dimensionen kennenlernen möch- zwischen den Fakultäten seit Jahren statt. Ob te, hat genau jetzt die Gelegenheit. Selten in der Gestaltung von lebenswerten Städten, kommen so viele unterschiedliche Einblicke bei der schonenden Ressourcennutzung, dem in so geballter Form zusammen wie an diesem Einsatz alternativer und neuer Materialen in Freitagnachmittag im Februar 2021, als Mit- Bau, Architektur und Design, an vielen Stel- arbeitende, Studierende, Lehrende ihre Vor- len wird nachhaltig gedacht und entworfen. schläge für ein New European Bauhaus pit- Nicht verwunderlich also, dass die Initi- chen. Spätestens jetzt ist klar: Das Projekt der ative des New European Bauhaus, an der Bau- Europäischen Union bewegt die Bauhaus-Uni- haus-Universität Weimar auf äußerst frucht- versität Weimar, beteiligen wollen sich viele. baren Boden fällt. Während auf europäischer Über siebzig Beiträge und über 300 Zuschau- Ebene ein breitflächiger Co-Creation-Pro- ende übertreffen die Erwartungen bei Weitem. zess in Gang gesetzt wird, entstehen auch in In Zeiten von Präsenzveranstaltungen wäre das Weimar erste Ideen. Personen aus den unter- Audimax bis oben hin besetzt — nun kommen schiedlichsten Bereichen der Universität tei- sie vor ihren Bildschirmen zusammen. len ihre Vorschläge für und Erwartungen an ein Obwohl das Projekt der Europäischen neues Bauhaus, teils enthusiastisch, teils mit Kommission zunächst recht vage bleibt, kritischen Tönen. Wie kann ein mögliches New erkennt sich die Bauhaus-Universität Weimar European Bauhaus Weimar aussehen? sofort darin wieder. Denn täglich setzen sich Konkrete Vorstellungen von zeitnah prak- Weimarer Studierende und Forschende damit tisch umsetzbaren Projekten an der Universität auseinander, wie sie das Zusammenleben, die und in ihrer Umgebung treffen dabei auf phi- Gegenwart und die Zukunft gestalten wollen. losophische Betrachtungen über Gesellschaft Text: Miriam Rebsamen 10 Bauhaus.Journal
und Umwelt. Daneben finden sich Überlegun- gen, wie die Lehre an einem neuen Bauhaus aussehen sollte. Zugrunde liegen ein leben- diger Gestaltungswille und die Bereitschaft, die enormen Herausforderungen anzugehen, die der Klimawandel und dessen Bewältigung für die jetzigen und kommenden Generatio- nen darstellen. Zeigen, wie Klimaneutralität aussehen kann Ein wahrer Gewinn für das Klima entsteht, wenn Personen ins »Machen« kommen. Wenn sie konkrete Antworten geben, wenn sie Lösungen aufzeigen. Unzählige Einzelprojekte stehen an jenem Freitagnachmittag beim Ide- enpitch auf der Agenda. Nicht jeder Vorschlag lässt sich innerhalb von neunzig Sekunden in seiner Gänze und Tragweite erfassen. Dennoch bleibt der Eindruck, dass hier in der Summe ein gewaltiges Potenzial schlummert, die Zukunft von Weimar aus nachhaltig zu prägen. Textil und Nachhaltigkeit, Mobilitäts- konzepte, Lehmbau oder Vorteile von Virtual Reality-Anwendungen, urbane Nahrungsmit- telproduktion und Begrünung von Städ- ten — ihre Vorstellungen schildern die Künst ler*innen, Forscher*innen und Designer*innen ebenso ideenreich wie engagiert. Aus ganz unterschiedlichen Perspektiven präsentie- ren sie konkrete Möglichkeiten der Ressour- ceneinsparung, Green Business Models, Kli- magerechtigkeit und CO2-arme Alternativen. Die Bauhaus-Universität Weimar möchte zum Vorbild werden und — ganz im Sinne des EU-Projektes — den Wandel für weite Teile der Gesellschaft attraktiv machen. Wer Vorbild sein will, muss bei sich tierens und Umsetzens kann die Universität selbst anfangen. Warum also nicht den eige- einem wichtigen Grundgedanken des New nen Campus als öffentliches Experimentierfeld European Bauhaus nachkommen: vermitteln, nutzen? Diesem Gedanken folgen verschie- wie die klimaneutrale Transformation funkti- dene Pitch-Präsentationen. Einige betrach- onieren und wirklichkeitsnah umgesetzt wer- ten die eigenen Gebäude: Wo kann Energie den kann. Es wäre ein Beweis, dass Verände- eingespart, wie die Effizienz verbessert wer- rung machbar und wirkungsvoll ist. den? Wie steht es um die Nutzung erneuer- barer Energien vor Ort? Andere befassen sich mit der Aufbereitung von Wasser oder Kon- zepten für klimaneutrale Mobilität. Ein Vor- Empathisch und schlag geht buchstäblich dem Campus an die reflektiert Substanz: Der graue Beton von Parkplatzflä- chen soll einem grünen Zukunftscampus wei- die Gesellschaft chen. Zahlreiche Kommentare im Chat und gestalten digitaler Beifall zeigen, dass das Vorhaben sichtlich die Gemüter erregt. Kein Wunder, Besonders die jungen Leute — jene, die am betrifft es doch die unmittelbare Lern- und längsten von den Auswirkungen des Klima- Arbeitsumgebung der Universitätsmitglieder. wandels, von Veränderungen und Umbrü- Ein Umbau auf dem eigenen Campus würde chen betroffen sein werden — sind bereit, zum öffentlichen Beispiel, wie klimaneutrales Verantwortung für ihre Zukunft zu überneh- Bauen und neue Technologien konkret ausse- men, sie aktiv zu formen. Mit großer Leiden- hen können. Hier könnten sich die verschie- schaft treten sie für ihr Recht auf eine lebens- denen Ansätze für eine klimaneutrale Bau- werte Zukunft ein; ein simples »Weiter so« haus-Universität Weimar vereinen und für ist keine Option. Das zeigt sich auch an die- alle sichtbar werden. Als Ort des Experimen- sem Nachmittag im Februar. Die Beiträge 12 Bauhaus.Journal
www der studentischen Teilnehmer*innen lassen Tür für Partnerschaften öffnen, die andernfalls uni-weimar.de/europeanbauhaus erkennen: Wenn in Weimar ein New Euro- nicht zustande kommen würden. Der inter- europa.eu/new-european-bauhaus pean Bauhaus entsteht, wollen sie mitreden; nationale Wissensaustausch wäre nicht nur dann muss Veränderung sichtbar werden und ein großer Gewinn für die Lernenden — die gemeinsam gestaltet sein. unterschiedlichen Perspektiven und For- Ein neues Bauhaus muss die junge Gene- schungsansätze könnten sich ergänzen, gegen- ration ernst nehmen und verantwortungsvoll seitig voranbringen, neue Ideen produzie- einbinden. Die Universität erscheint als her- ren und in der Konsequenz den Weg für ein vorragendes Umfeld dafür. Hier wird die Gene- klimaneutrales Europa ebnen. ration ausgebildet, welche als nächste in die Verantwortung rückt und etwas bewirken kann. Um so wichtiger ist eine Ausbildung, die sie bestmöglich auf diese verantwortungsvolle New European Rolle vorbereitet. Bauhaus oder Um mit den zukunftsträchtigen Aufga- ben adäquat umzugehen, braucht es Kompe- Neue tenzen, die über das reine fachspezifische Wis- Bauhaus-Universität sen hinausgehen. So überrascht es nicht, dass gleich mehrere Teilnehmer*innen ihre Über- Weimar? legungen dazu beim Ideenpitch präsentier- Zurück nach Weimar, wo auch nach guten ten — die Überschneidungen sind dabei nicht drei Stunden noch eine beträchtliche Anzahl zu übersehen. Schulung von Wahrnehmung an Zuschauenden vor den Bildschirmen sitzt und Achtsamkeit werden als ein Baustein der und den letzten Kurzvorträgen lauscht. Es war zukünftigen Lehre vorgestellt. Wahrnehmen, ein geballter Auftakt für des New European in welcher Weise sich Wandel auf uns aus- Bauhaus Weimar. Ein wenig Zeit bleibt, um wirkt, Zusammenhänge erkennen, reflektieren durchzuatmen, dann will die große Menge Weshalb soll ein »New European und in Worte fassen: Das sind wichtige Fähig- an Visionen sortiert werden. Wo thematische Bauhaus« entstehen? keiten, um aktiv eine nachhaltige Lebens- Überschneidungen auszumachen sind, finden welt gestalten zu können. Persönlichkeitsent- sich Lehrende, Studierende und Mitarbeiterin- Der Anstoß zu einem »New European wicklung wird zum noch wesentlicheren Teil nen zu Arbeitsgruppen zusammen, verknüp- Bauhaus« kommt von EU-Kommis der Ausbildung als bisher an der Bauhaus- fen sich und ihre Ansätze und denken von dort sionspräsidentin Ursula von der Leyen Universität Weimar. Studierende werden aus gemeinsam weiter. Nach und nach formen im Herbst 2020. Visionär beschreibt explizit darin geschult, einander zuzuhören, sich erste Skizzen, die zeigen, wie ein neues sie es als einen »Raum, in dem empathisch zu handeln und eine gefestigte Bauhaus aussehen könnte. Architekten, Künstler, Studenten, In- Haltung zu entwickeln. Mit den passenden Ob es ein Neues Europäisches Bauhaus genieure und Designer gemeinsam Formaten und Räumen soll ein neues Bau- Weimar geben wird oder nicht — letztendlich und kreativ« daran arbeiten, die Ziele haus in Weimar Gesellschaftsgestalter*innen spielt das vielleicht gar keine so große Rol- des sogenannten New Green Deal ausbilden, die in der Lage sind, interdisziplinär le. Denn die Initiative hat jetzt schon einiges zu erreichen. Europa soll bis zum Jahr und partizipativ zu agieren. bewegt an der Bauhaus-Universität Weimar 2050 der erste klimaneutrale Konti- und gibt ihr eine Richtung für die kommen- nent werden. den Jahre vor — hin zu einem »Mehr« an Um den CO2-Ausstoß zu redu- Gemeinschaft, Klimaschutz, Ressourcenscho- zieren, sind massive Umwälzungen vor Von Weimar nung und Nachhaltigkeit. allem in den energieintensiven Sek- aus nach ganz toren Bau und Mobilität unabdingbar. Effizientere Ressourcennutzung Europa und Kreislaufwirtschaft rücken in den Während die einen intensiv darauf schauen, was Fokus. sich vor Ort ändern kann, richten andere ihren Der Klimawandel betrifft Men- Blick in die nähere und ferne Umgebung. Ein schen und Regionen auf ganz un- Neues Europäisches Bauhaus in Weimar hört terschiedliche Weise. Deshalb soll das nicht an den Grenzen des Campus und auch New European Bauhaus nicht nur ein nicht am Weimarer Stadtrand auf. Es erstreckt ökologisches und wirtschaftliches sich über die ländlichen Gebiete Thüringens bis Projekt sein, sondern auch eine kul- in die europäischen Metropolen. Dabei stehen turelle Initiative, die die Menschen der Austausch untereinander und die Vermitt- breitflächig einbindet und zusammen- lung zwischen verschiedenen Perspektiven im bringt. Es geht um die kollaborative Mittelpunkt. Auch auf dieser Ebene gilt: zuhö- Gestaltung von nachhaltigen, inklusi- ren und voneinander lernen. Wie unterschei- ven, aber auch ästhetisch anspre- den sich die Herausforderungen im ländlichen chenden Lebensräumen. Raum von jenen in Städten? Wie wirkt sich die Unter dem Motto »beautiful | Veränderung des Klimas vom Norden bis Süden, sustainable | together« soll Verände- Osten bis Westen Europas aus? rung attraktiv gestaltet werden. Der Vorschlag eines neuen Hochschul- An zunächst fünf europäischen Stand- netzwerks, das sich thematisch an der euro- orten sollen dafür »neue Bauhäuser« päischen Initiative orientiert, wird in den entstehen. Raum gestellt. Für die Weimarer Universi- tät könnte diese spezifische Ausrichtung die Magazin der Bauhaus-Universität Weimar 13
»Eine gewisse Radikalität täte uns sicher gut« Interview: Miriam Rebsamen und Claudia Weinreich Bauhaus.Journal
Die Bauhaus-Universität sinnvoll, gerade unter Corona-Bedingungen. Doch es ist leider wesentlich komplexer als Weimar bekennt gedacht. Das Konzept kam gut an, aber die sich dazu, klimaneutral Umsetzung ist schwierig. Erst müssen Versi- cherungen usw. abgeschlossen werden, bevor werden zu wollen. wir das Rad kaufen können. Doch wie krempelt man STICHWORT MOBILITÄT: IHRE FOR DERUNG, DIENSTREISEN UNTER eine Institution in 1000 KILOMETER ENTFERNUNG PER Sachen Klimaschutz ZUG ZU ABSOLVIEREN, HAT DAS PRÄSIDIUM INZWISCHEN BESCHLOS ckhard um? Prof. Dr. E SEN. WAS STECKT DAHINTER UND Kraft und Milena IST DAS PRAKTIKABEL IM WISSEN SCHAFTSBETRIEB? Hufnagel leiten die vom EK Für Dienstreisen unter 1000 Kilometer den Universitätssenat Zug zu nehmen — das war eine der ersten For- derungen, die wir an das Präsidium herange- eingerichtete Klima- tragen haben. Nur im Ausnahmefall wird eine Arbeitsgruppe. Flugreise genehmigt und muss dann begründet werden. Es geht ums Umdenken: Bestimmte Wir haben nachgefragt. Distanzen sind in Mitteleuropa zu vertretba- ren Zeiten und Kosten locker mit dem Zug zu bewältigen. Spätestens Corona hat uns beige- bracht, dass das möglich ist. Sollte eine Flu- greise wirklich nötig sein, könnte man diese auch kompensieren. WORAN DENKEN SIE DABEI? EK Denkbar wäre, dass die Universität auf einer ihrer Liegenschaften selbst aufforstet. Das ist die ehrlichste Form der Kompensation. So zeigen wir auch nach außen, was wir tun. Kompensationen sind aber absolutes Neu- land, auch im Thüringer Wissenschaftsminis- FRAU HUFNAGEL, HERR PROFESSOR terium. Man ist bei uns nicht gewohnt, dafür KRAFT, WO SIND DIE STELL Geld auszugeben. SCHRAUBEN, AN DENEN WIR WIE SIEHT ES BEIM THEMA NAH- DREHEN MÜSSEN: WO IST UNSERE VERKEHRSMOBILITÄT AUS? NICHT UNIVERSITÄT IN SACHEN KLIMA JEDER KANN UND WILL MIT SCHUTZ ÜBERHAUPT VERÄNDERBAR? DEM FAHRRAD AUF DEN CAMPUS ECKHARD KRAFT In der Klima-AG ist die kli- KOMMEN. maneutrale Universität unsere oberste Prämis- EK Das ist eine wichtige Stellschraube. Die se. Diese Forderung hat aber viele Facetten und Klima-AG hat dazu unter allen Mitarbeiten- man muss genau hinsehen, was dies umfasst. den eine Umfrage gestartet. Wir hatten einen MILENA HUFNAGEL Wir müssen an absolut sehr guten Rücklauf, was zeigt, dass das The- alles herangehen und zwar nach und nach und ma viele Menschen interessiert. Wir möchten systematisch. Eine wichtige Frage ist: Wo sind einen sinnvollen Vorschlag unterbreiten, wie die großen Verbrauche? Gebäude sind zum wir stärker auf den öffentlichen Nahverkehr Beispiel ein Riesenthema. umsteigen können. Viele der Mitarbeitenden EK Bei den Bereichen Gebäude und Ener- kommen aus dem Umland, doch nicht jede gie muss sich die Institution zu etwas beken- oder jeder fährt aus Überzeugung mit dem Zug. nen. Sie muss mit dem Land darum ringen, So sieht man am Jobticket: Nicht jedes ver- dass es schneller geht, klimaneutral zu wer- meintliche Anreizinstrument setzt auch Anrei- den, denn viele der Liegenschaften sind Lan- ze. Es funktioniert derzeit nicht gut bei uns. desliegenschaften. Anteilig ist dieser Prozess Aber es stellt sich die Frage, ob wir uns zukünf- bereits angestoßen. Unser Ansatz ist: Wie kön- tig mehr mobiles Arbeiten vorstellen können, nen wir besser werden? Der oder die Einzel- um Energie für Mobilität einzusparen. ne kann sich da nur begrenzt einbringen, aber MH Auch hier gilt es, größer zu denken und schon durch den sorgsamen Umgang mit den mutiger zu sein. Eine gewisse Radikalität täte Gebäuden einen Beitrag leisten. Auch bei den da sicher gut. Dabei geht es nicht darum, dass Technika und Laboren können wir sparsamer jede*r mit dem Fahrrad zum Campus fahren mit Energie umgehen. Ich habe bei meinem muss, sondern dass wir gemeinsam an Lösun- eigenen Labor, an meiner Professur, angefan- gen arbeiten, die CO2-neutral sind. gen. Ein weiteres wichtiges Thema ist für uns INWIEFERN SOLLTE SICH AUCH DIE die Mobilität. LEHRE VERÄNDERN? MH Die Studierenden haben dem Präsidium MH Ich finde, dass die Lehre stärker auf Klima- schon vor einiger Zeit die Anschaffung eines und Umweltschutzfragen ausgerichtet werden Lastenrads vorgeschlagen. Das wäre total sollte. Als Studierende wollen wir viel lernen Magazin der Bauhaus-Universität Weimar 15
über die Bereiche, in denen sich was bewegen UND WIE UNTERSCHEIDET SICH AUS www muss, etwa, wie wir Gebäude bauen können, STUDENTISCHER PERSPEKTIVE uni-weimar.de/klima-ag ohne unsere Lebensgrundlagen zu zerstören. DIE ARBEIT IN DER UNIVERSITÄT VOM EK Das Thema Lehre ist kniffelig. Ich den- AKTIVISMUS BEI GRUPPIERUNGEN ke auch, der Nachhaltigkeitsgedanke sollte WIE STUDENTS FOR FUTURE? stärker in den Lehrveranstaltungen verankert MH Beides ist nicht miteinander vergleichbar. werden — aber ohne jemandem Vorschrif- Ich habe aktivistisch recht viel im Klimagerech- ten machen zu wollen. Es gibt Fachbereiche, tigkeitsbereich gemacht. Dort funktioniert es die sich traditionell stärker damit beschäfti- ganz anders, es sind andere Systeme. Man ist gen, und andere, die sich dessen erst anneh- viel spontaner, kann selbst entscheiden, wen men müssen. Einige Fächer sind in ihrer For- man sich ins Boot holt. Man ist sehr viel frei- schung schon sehr weit, aber die Ergebnisse er, kann aber auch weniger systematisch vor- sind noch nicht in die Lehre integriert, dass gehen. Die Motivation, mich in der Klima-AG muss schneller geschehen. Die neuesten For- zu engagieren, kommt daher, dass ich glaube, schungsergebnisse müssen umgehend auch dass man da ansetzen sollte, wo man lebt und die neue Generation erreichen. Denn das ist arbeitet. Das sollte jeder Mensch tun. Gleich- unser Unterschied und Vorteil zu anderen Ins- zeitig merken wir Studierenden, wie frustrie- titutionen: Wir bilden Menschen aus. rend es ist, mit der Bürokratie zurechtzukom- WIE KÖNNEN WIR DENN ÜBER men, etwa beim Lastenrad. Wir alle wünschen HAUPT ALLE ANGEHÖRIGEN AN DER uns sehr, dass die Institution Bauhaus-Univer- UNIVERSITÄT ERREICHEN? BRAUCHT sität Weimar endlich Verantwortung über- ES — WIE ES DAS HISTORISCHE nimmt. Es kann nicht sein, dass Lehrende oder BAUHAUS GEFORDERT HAT — EINEN Studierende diese Aufgaben in ihrer Freizeit NEUEN MENSCHEN? ehrenamtlich stemmen. Wir haben eine Zeit- MH Ich glaube, dass ist eine totale Gratwande- spanne, die sehr kurz ist, und die Arbeit müss- rung. Wir müssen versuchen, andere Narrative te noch stärker professionalisiert werden. zu entwickeln, denn »Weiter wie bisher« wird EK Ich fand es gut, dass sich die Studierenden nicht mehr lange funktionieren. Narrative, die bereit erklärt haben, den beschwerlichen Weg uns zeigen, wie sie gut aussehen könnte, die mitzugehen. Es macht die Klima-AG glaub- postfossile Gesellschaft. Also nicht: Was kön- würdig, wenn alle bereit sind, Verantwortung nen wir dann alles nicht machen? Sondern zu zu übernehmen, nicht nur laut danach rufen. zeigen, dass wir dadurch ganz neue Möglich- Wenn wir das Präsidium von unseren Konzep- keiten haben. Es funktioniert nicht, dystopisch ten überzeugen, können wir wirklich etwas zu denken, diese Konfrontation nützt keinem bewegen. Wir wollen den Finger immer wie- Was ist die Klima-Arbeitsgruppe? etwas. Und Geld für die kommenden Verän- der in die Wunde legen — im positiven Sinne. derungen müssen wir sowieso ausgeben. Kli- MH Es ist auch eine Zeitfrage, jeder von uns Die Klima-AG gründete sich Anfang mawandel ist wahnsinnig teuer! Es wird sogar hat ja noch die Lehre oder das Studium. Da 2020 auf Anregung des Senats immer teurer, je länger wir warten. würde eine Institutionalisierung helfen. der Bauhaus-Universität Weimar. Dort EK Wichtig dabei ist, dass wir die Chancen EK Das ›würde‹ können wir streichen. Da muss hatte eine Gruppe von Studierenden betonen. Was können wir erreichen? Wenn eine Institutionalisierung her. die Forderung eingebracht, den wir als Institution, als politischer Raum, die WAS WÜRDEN SIE SICH WÜNSCHEN: Klimanotstand auszurufen und damit Arbeitsmarktchancen betonen, die sich damit WIE SIEHT DIE BAUHAUS- anzuerkennen. Auch wenn sich die verbinden, dann ist dies vielleicht nicht unse- UNIVERSITÄT WEIMAR IN ZEHN Mehrheit der Senator*innen nicht da- ren Großeltern einsichtig, aber der nächsten JAHREN AUS? für aussprach den Klimanotstand Generation schon. Diese wird bemerken, dass MH Das kommt darauf an, welchen Weg wir auszurufen, bestand in dem Gremium es ein vorwärtsgewandtes Denken und Han- einschlagen. Ich wünsche mir, dass wir dann große Einigkeit darin, sich zukünftig deln ist. Da sehe ich große Chancen für die eine Avantgarderolle einnehmen und die Uni viel stärker den drängenden Fragen Bauhaus-Universität Weimar: Wer, wenn nicht ein Ort ist, an dem man sich über alle Hie- des Klimaschutzes anzunehmen — die wir, hat so viele junge Menschen an Bord! rarchien hinweg austauschen und über Kli- Einrichtung der Klima-AG wurde be- MH Ich merke das in meinem Umfeld: Es mathemen sprechen kann. Auch an den schlossen. Die Doppelspitze der herrscht schon so etwas wie Müdigkeit vor. Schnittstellen zwischen sozialer Gerechtigkeit AG bilden Milena Hufnagel, Studen- Die kommt durch die extrem langsamen Pro- und ökologischen Problemstellungen wird tin der Urbanistik, und Prof. Dr.-Ing. zesse. Ich finde es schade, dass dadurch so viel geforscht. Unsere Infrastruktur wäre verbes- Eckhard Kraft, Professor für Biotech- Potenzial verloren geht. Ich glaube, es braucht sert, transformiert. Und es wäre noch viel ein- nologie in der Ressourcenwirtschaft das Bewusstsein, dass es sowieso Verände- facher, sich mit dem Fahrrad fortzubewegen. und Klimabeauftragter des P räsidiums. rungen geben wird. Wir müssen und können EK Ich wünsche mir, dass wir 2030 klimaneut- Partizipieren kann jede*r Universi- aber die Dinge dahin lenken, wo sie uns hel- ral sind oder wenigstens genau wüssten, wann tätsangehörige und thematisch ist die fen. Gleichzeitig finde ich wichtig, sich klar zu wir es zeitnah werden. Und dass wir gefragt Arbeitsgruppe breit aufgestellt: machen: Es geht nicht darum, schon alles wis- würden: Wie habt ihr das denn geschafft? Wel- Die Mitglieder beschäftigen sich mit sen zu müssen. Die Bewältigung der Klima- che Schritte seid ihr gegangen, wie habt ihr das Themen der Ressourcenschonung und krise ist eine Riesenaufgabe, für die wir erst angepackt? Wenn wir mindestens in Thüringen Klimagerechtigkeit, angefangen einmal die Basis schaffen müssen. Neben der als erste Universität klimaneutral und als Insti- bei den Universitätsgebäuden, Laboren CO2-Neutralität geht es ja auch um soziale tution ein Vorbild wären. Dann wäre es offen- und Werkstätten, der Mobilität, Gerechtigkeit. Diese Sachen müssen mitein- sichtlich gelungen, andere zu erreichen. Diesen der Lehre und digitalen Ressourcen ander verknüpft werden. Das ist sehr wichtig. Avantgarde-Status sollten wir als Universität bis hin zu sozialen Aspekten der ge- WELCHE ROLLE NEHMEN DIE beanspruchen, um allen zu zeigen, wohin sich sellschaftlichen Transformation. STUDIERENDEN IM PROZESS EIN die Gesellschaft bewegen muss. 16 Bauhaus.Journal
Ideen aus dem Zukunftslabor Wie Lehrende, Studierende und Alumni unseren Alltag hinterfragen und mit ihren Projekten den Ressourcenverbrauch neu denken und minimieren wollen Bauhaus. MobilityLab: Neue Lösungen für städtische Mobilität Wie wäre das: Mein bestelltes Paket kommt nicht gleich morgen und auch nicht übermor- gen, denn der schnelle Klick beim Online- Versandhändler löst keine sofortige Waren lieferung aus. Das Paket kommt erst dann, wenn auch andere Pakete in der Nachbarschaft ausgeliefert werden. Die Folgen: Unsere Städte würden grüner und lebenswerter, denn es gäbe weniger Verkehr durch Paketfahrzeuge, weni- ger Lärm, weniger Emissionen. Veränderun- gen im Bereich Logistik können Ansatzpunkte sein, um Städte zu entlasten, bestätigt Goetz von Scheidt, Projektmanager bei Siemens Digi- tal Logistics. Sie können aber leider auch das Gegenteil bedeuten: »Gerade in der Pande- mie sind wir als Privatpersonen durch unsere Vielzahl an Bestellungen der Auslöser für mehr Emissionen«, erklärt von Scheidt. Im Jahr 2020 wurden rund drei Milliarden Pakete transpor- tiert. Und das prägt unsere Städte. Reibung setzt Ideen frei Dass es anders gehen muss, dessen sind sich die Forschenden im Bauhaus.MobilityLab sicher. Ziel des Projektes ist, Städte zu ver ändern, neue Ideen in Logistik, Mobilität und Energie umzusetzen. Beteiligt sind Part ner*innen aus den Bereichen Wissenschaft wie die Bauhaus-Universität Weimar, aber auch Magazin der Bauhaus-Universität Weimar 17
Unternehmen und die Stadt Erfurt. So ver- Wien: Ein neuer Stadtteil www schieden die Partner sind, so eint sie doch eine als Reallabor bauhausmobilitylab.de Perspektive: die nachhaltige Zukunft. Prof. Mit der Idee, Wissenschaft, Wirtschaft Uwe Plank-Wiedenbeck von der Bauhaus-Uni- und Gesellschaft an einen Tisch zu bringen und versität Weimar: »Die Reibung unter uns ist Versuche zu wagen, ist das Erfurter Reallabor spannend. Die Universität arbeitet wissen- nicht allein: Als Idee in den USA entwickelt, schaftlich und versucht dabei, große Zusam- gibt es mittlerweile unzählige Reallabore auf menhänge zu sehen. Ein Unternehmen ist eher der ganzen Welt. »In allen Bereichen — sei es daran interessiert, dass am Ende idealerweise bei Bürger*innen, bei Städten und Kommu- zukunftsfähige Produkte entstehen, mit denen nen, bei Unternehmen — ist klargeworden, Umsatz und Arbeitsplätze gesichert werden. dass ein Allein-Agieren nicht zielführend ist«, Das ist unsere große Klammer: Zukunftsfähig sagt Christoph Kirchberger von der Techni- heißt, dass wir das Thema Nachhaltigkeit zu schen Universität Wien. Er koordiniert die unserer gemeinsamen Maxime machen.« Arbeiten des dortigen Reallabors, des aspern. mobil LAB, das Partner des Erfurter Realla- Die Stadt Erfurt als Blaupause bors ist. Im neu entstandenen Wiener Stadt- Schauplatz des Projekts und Versuchs- teil Seestadt angesiedelt, bietet das aspern. objekt gleichermaßen ist Erfurt. Die Thüringer mobil LAB Forschungseinrichtungen sowie Landeshauptstadt hat mit ihrem jetzt schon Unternehmen die Möglichkeit, Innovatio- durchgeführten umfangreichen Verkehrsmo- nen mithilfe der Bewohner*innen zu testen. nitoring sowie der Umweltdetektion etwas, Diese wurden in den vergangenen vier Jah- was andere Städte nicht haben. Mit ihren gut ren in über 50 Veranstaltungen, Experimen- 210.000 Einwohner*innen hat sie wiederum te und Mitmach-Formate einbezogen. Real Universalcharakter, so Plank-Wiedenbeck: labore, wie jene aus Wien und Erfurt, mischen »Erfurt ist groß genug und klein genug. Groß sich dabei nicht nur in den Alltag der Men- genug, um Dinge, die wir hier entwickeln, auf schen ein, sie haben auch das Potenzial, Wis- 95 Prozent der deutschen Großstädte über- senschaft hinter dicken Universitätsmauern tragen zu können und klein genug, um die auf die Straße hervorzuholen. Erkenntnisse auch auf kleine Städte anwen- den zu können.« Im besonderen Fokus steht Den Versuch wagen dabei der Stadtteil Brühl, unweit des Dom- Doch die Mitarbeit und die Lust auf platzes. Ziel des Vorhabens ist es, eine IT-ba- das Experiment sind auch bei einer sehr offe- sierte Plattform zu entwickeln, die erst einmal nen Bewohnerschaft endlich. Wenn es also Daten aus Erfurt zur Grundlage hat — unter in Erfurt darum gehen könnte, die Zuliefe- anderem demografische Daten, Nutzung rung von Paketen zu verändern, kann nicht von Verkehrsmitteln oder Art und Häufigkeit unbedingt von Zuspruch ausgegangen wer- von Paketzustellungen. den. »Der entscheidende Punkt ist: Kei- ne Änderung ist ohne politisches Eingrei- Künstliche Intelligenz als Werkzeug fen möglich«, so der Logistiker von Scheidt. Mithilfe von Künstlicher Intelligenz (KI) »Entweder überlasse ich es den Leuten, dass werden in diesen Datenmengen Zusammen- sie aufgrund ihres Umweltbewusstseins auf hänge erkannt — dies ist die zentrale Idee des die 24-Stunden-Lieferung verzichten. Oder Projekts, das durch den »KI-Innovationswett- ich schlage eine Strategie ein, die es vermei- bewerb« des Bundesministeriums für Wirt- det, die Umwelt unnötig zu belasten, indem schaft und Energie gefördert wird. »17 Millio- ich beispielswiese Diesel-Fahrzeuge verbiete nen Euro werden investiert, um ein Labor zu und Lastenfahrräder einsetze. Das kann der schaffen, das auch nach Projektende der Bau- Einzelne gar nicht entscheiden, weil die Pro- haus-Universität Weimar zur Verfügung steht. zesse von anderen gemacht werden.« Gehört Und zwar allen Disziplinen«, betont Plank-Wie- der parkende Sprinter auf dem Gehweg also denbeck die langfristige Planung. Doch auch zukünftig der Vergangenheit an? Ab morgen Unternehmen und andere Forschungseinrich- kein Klingeln an der Tür mehr, sondern Pakete, tungen sollen die Plattform nutzen können, die beim Einkaufen im Supermarkt gleich dort um eigene Fragestellungen und Produktide- mitgenommen werden können und genau wie en daran erproben zu können. Denkbar wäre andere Produkte über das Kassenband wan- eine Smartphone-App, die für die Nutzenden dern? Einen Versuch wäre es wert. alle Verkehrsmittel — vom Leihfahrrad bis hin Text: Tina Feddersen zum Carsharing — sinnvoll miteinander kom- biniert. Eingebunden in diese Arbeit werden auch Start-Ups wie »Mobilista«, eine Initiati- ve von Urbanistik-Absolvent*innen aus Wei- mar, die dabei unter anderem beratend tätig sind. »Wir lassen unseren Fokus auf nachhal- tige Mobilitätslösungen einfließen, versuchen aber, auch andere Blickwinkel — soziale, ver- kehrsplanerische — anzuwenden«, beschreibt Luise Kraaz, eine der Initiator*innen des Start-Ups, die Zusammenarbeit. 18 Bauhaus.Journal
Daube bezeichnet den Lehmbau als »gesun- Lehm: des Bauen« — sowohl für den Menschen als Ein altes Material auch für die Umwelt. »Lehm ist regional ver- fügbar, dadurch fallen CO2-Emissionen durch kommt wieder lange Transportwege weg — das macht ihn zu einem sehr nachhaltigen Material«, betont sie. Lehm ist eine Mischung aus Sand, Schluff, einer speziellen Bodenart, und Ton. Ihn auf- zubereiten ist energiearm und er kann gut wiederverwertet werden. »Etwas überspitzt dargestellt ließe sich eine Lehmwand auch bedenkenlos auf dem Acker entsorgen«, sagt Daube. Gleichzeitig haben Lehmgebäude das Potenzial, die Luftqualität in Städten zu ver- bessern: Das Material bindet Abgase aus der Umgebungsluft. Die Fähigkeit, Luftfeuch- tigkeit aufzunehmen und abzugeben, sorgt außerdem für ein gutes Raumklima im Innern. Gefördert wird Daubes Forschungsprojekt vom Bundes-Innovationsprogramm »Zukunft Bau«. Auch die Studierenden interessieren sich für den Lehmbau — der Zulauf zu entspre- chenden Lehrveranstaltungen ist groß. Dieser Zuspruch bestärkt Daube in ihrem Vorhaben, dem Lehmbau durch ihre Forschung zu neu- em Aufschwung zu verhelfen. Text: Miriam Rebsamen H2-Well: Grüner Wasserstoff für nachhaltigen Verkehr Es klingt wie ein Traum: schadstofffreien Was- serstoff regional aus erneuerbaren Energi- en erzeugen und ihn dann beispielsweise als Larissa Daube ist Mitarbeiterin Lehm hat eine bemerkenswert lange Traditi- Kraftstoff nutzen. Wenn es nach Prof. Dr. Mark an den Fakultäten Architektur und on als Baustoff, schon vor 12.000 Jahren wur- Jentsch ginge, Professor für Energiesysteme Urbanistik sowie Bauingenieur- de er im asiatischen Raum verwendet. Heute an der Bauhaus-Universität Weimar, ist dieser wesen und möchte mit ihrer interdis sind Lehmbauten in Deutschland ein seltener Traum bald Realität. »Wasserstoff kann künftig ziplinären Forschung dem Anblick geworden. Im Zuge der Industrialisie- über sämtliche energierelevante Sektoren von traditionellen Baustoff Lehm zu rung verschwand Lehm aus unseren Städten der Elektrizitätswirtschaft über das Verkehrs- Aufschwung verhelfen. zugunsten anderer Materialien wie dem zeit- wesen bis hin zur Wärmebereitstellung einge- sparenden und stabilen Stahlbeton. setzt werden«, erklärt er. Genau daran arbeitet Larissa Daube möchte dies ändern: die er mit mehr als 40 Partnern: lokal erzeugten Wissenschaftliche Mitarbeiterin an den Profes- Wasserstoff als emissionsfreien Kraftstoff für suren Massivbau II sowie Konstruktives Ent- Autos, Busse und Bahnen zu nutzen — ohne werfen und Tragwerkslehre entwickelt erstma- Einschränkungen bei der Reichweite. Saubere lig eine Lehmfertigbauweise, die lasttragend ist Luft in den Städten inklusive. Jentsch ist wis- und die gleichzeitig dämmt. Diese für moderne senschaftlicher Koordinator und einer der Ini- Bauten essenziellen Eigenschaften erhält der tiatoren des H2-Well-Bündnisses. H2-Well Lehm durch das Beimengen anderer natürlicher steht für Wasserstoffquell- und Wertschöp- Materialien wie Kork, Hanf oder Stroh, den fungsregion Main-Elbe-LINK. sogenannten Zuschlagstoffen. Auch bei der Bereitstellung von Wärme »Eine wesentliche Neuheit ist die Vor- in Gebäuden oder in der Glas- und Zemen- fertigung«, erläutert Daube. »Das Material tindustrie eröffnen sich mit Wasserstofftech- kommt in fertigen Lehmtafeln auf die Bau- nologien innovative Wertschöpfungsmög- stelle. Im Vergleich zu anderen Techniken, bei lichkeiten. Darüber hinaus kann Elektrizität denen der Lehm vor Ort gestampft oder auf- mithilfe von Wasserstoff dezentral zwischen- geschichtet wird, sparen wir viel Zeit und mini- gespeichert und zu einem späteren Zeitpunkt mieren zugleich die Baukosten.« Dies erhöht wieder verstromt werden. Selbst der bei der www die Aussichten, mit anderen Bauweisen in den Herstellung von Wasserstoff gewonnene Sau- z ukunftbau.de/projekte Wettbewerb zu treten. erstoff kann verwendet werden, beispiels Magazin der Bauhaus-Universität Weimar 19
weise zur Erzeugung von Ozon, das man für Vergangenheit angehören. Das H2-Well-Bünd- www die Beseitigung von Mikroschadstoffen in nis legt den Grundstein für eine umfassende h 2well.de Abwässern benötigt. Energie- und Mobilitätswende — hin zu einer Der Vorteil gegenüber fossilen Brennstof- nachhaltigen Zukunft. Gefördert wird die Initi- fen ist groß: Sie zu gewinnen, über das Meer ative H2-Well vom Bundesministerium für Bil- oder Pipelines zu Raffinerien zu transportieren, dung und Forschung (BMBF) im Forschungs- von dort über Autobahnen zu den Tankstel- programm WIR! — Wandel durch Innovation in len — dieser Vorgang ist komplex, energieauf- der Region neben weiteren 20 Initiativen, die wendig, kosten- und emissionsintensiv. Schrei- ostdeutschen Regionen im strukturellen Wan- tet die Wasserstofftechnologie weiter voran, del neue Perspektiven eröffnen wollen. könnten solche Szenarien nach und nach der Text: Luise Ziegler Den Park als Ressource nutzen Maserungen unterschiedlichster Färbungen bilden ein markantes Muster im Holz, hell bis fastschwarz. Die einzelnen Bausteine weisen natürlich entstandene Linien auf, Astlöcher, angeschnittene Rinden und Schädlingsspu- ren. Der sonst makellose, genormte Holzbal- ken gewohnte Blick sieht sich mit Fehlerstel- len konfrontiert, die normalerweise irritieren würden. Hier aber stören sie nicht, sondern kommunizieren die Vielfältigkeit und Nut- zungsmöglichkeiten von Holz jenseits indus- trieller Klassifizierungen. Die Szenerie umgibt ein intensiver, warmer Geruch von frisch gehobeltem Holz. Der temporäre Pavillonbau »Grünes Labor« im Park an der Ilm in Weimar zeigt auf experimentelle Weise, wie Architektur aus den Materialien entstehen kann, die die Umgebung ihr überlässt. Erdacht, entworfen und erbaut haben den Holzkubus drei Alum- ni der Bauhaus-Universität Weimar: Hannes Schmidt, Julius Tischler und Susann Paduch im Auftrag der Klassik Stiftung Weimar, anlässlich des Themenjahres »Neue Natur«. »Der Mittelpunkt unserer Überlegungen war, den Park selbst als Ressource zu verste- hen. Welche Materialien bringt die Natur im Wechsel der Jahreszeiten hervor? Wie können wir diese für unsere Pavillonarchitektur ver- wenden? Und welcher gartenpflegerische Auf- wand ist mit der ›Verwaltung‹ dieses Materi- Bäume: Dürreperioden, Starkregen, Stürme als verbunden?«, so Paduch. Die drei Kreativen und Schädlingsbefall setzen ihnen zu. In den sprachen im Vorfeld intensiv mit Gärtnerinnen letzten Jahren kam es vermehrt zu Astausbrü- und Gärtnern und halfen für ihre Recherchen chen, die auch eine Gefahr für die Gäste der bei den Parkarbeiten mit. Parkanlagen darstellten. Regelmäßig müssen Susann Paduch sammelte Grasschnitt, Bäume kontrolliert und beschnitten, teilwei- Laub, Holz, Früchte und Blüten und ver- se sogar gefällt werden. suchte, durch Verdichten, Pressen und die Nun kommt das sonst als Brennmaterial Zugabe natürlicher Bindestoffe ein geeigne- verwendete Parkholz im Grünen Labor zu tes Baumaterial zu fertigen. Doch keines der neuem Einsatz. »Wir haben eine mauerartige Materialien erwies sich als so witterungsbe- Struktur aus Holzblöcken entwickelt, die wir ständig und für die Architektur substanzi- aus dem Parkholz zuschneiden«, sagt Tisch- ell, dass es länger überdauert hätte. Und so ler. »Da wir hier kein handelsübliches, gera- rückte das Holz der Parkbäume in den Fokus. de gewachsenes Nutzholz verarbeiten, sind www Bedingt durch den Klimawandel leiden die die einzelnen Module kleiner als konventio- k lassik-stiftung.de/neue-natur 20 Bauhaus.Journal
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