Seelsorge & Strafvollzug - Heft Nummer 6 Themen
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Seelsorge & Strafvollzug Zur Praxis heutiger Gefängnisseelsorge Seelsorge & Strafvollzug Heft Nummer 6 Themen Die Wiederkehr von Emotionen in die Strafrechtstheorie Von den Möglichkeiten und Grenzen restaurativer Verfahren im Jugendbereich Restorative Justice – Versöhnung und Beziehung als Strafzweck Seelsorgeausbildung von und für Muslime in Deutschland Zürich 2021
© Verlag für Gefängnisseelsorge, Zürich 2021. Alle Rechte, auch die des Nachdrucks von Aus- zügen und der fotomechanischen Wiedergabe zu kommerziellen Zwecken, vorbehalten.
Inhalt 06 00 Editorial und Grusswort 41 03 Restorative Justice Versöhnung und Beziehung als Strafzweck 41 01 Vollzugsziel 09 01 Die Wiederkehr von Emotionen in die 42 02 Sicherheit statt Resozialisierung Strafrechtstheorie 43 03 Der Zweck des Strafens 45 04 Restorative Justice als Versöhnungsrecht 09 01 Ausblendung und Wiederkehr der Emotionen 51 05 Literaturverzeichnis 11 02 Emotionen als Grund für Strafe? 52 06 Kurzbiografie Aktuelle Theorien 13 03 Problemanzeigen 15 04 Theologische Perspektiven auf die Rückkehr der Emotionen ins Strafrecht 53 04 Seelsorgeausbildungen von und für 18 05 Fazit Muslime in Deutschland 20 06 Literaturverzeichnis Entwicklungen und Herausforderungen 22 07 Kurzbiografie 53 01 Seelsorgeverständnis 54 02 Entwicklung 55 03 Inhalte der Seelsorgeausbildungen 23 02 Von den Möglichkeiten und Grenzen 55 04 Chancen und Herausforderungen restaurativer Verfahren 58 05 Literaturverzeichnis im Jugendbereich 59 06 Kurzbiografie 23 01 Einleitung 25 02 Restorative Justice – ein Ansatz und seine Kontroversen 27 03 Restorative Justice in der Schweiz 30 04 Forschungsdesign der qualitativ-empirischen Interviewuntersuchung 31 05 Darstellung der Ergebnisse der Experteninterviews 37 06 Fazit und Ausblick 39 07 Literaturverzeichnis 40 08 Kurzbiografie
Editorial Wir blicken auf bewegte Monate mit der Zeit- Der zweite Beitrag ist aus einer Masterarbeit Friedrich Schwenger hat während seiner Zeit sorge mit Rechtstexten aus Deutschland, der schrift zurück, da wir innert kurzer Zeit nicht der Zürcher Hochschule für Angewandte Wis- im Massnahmenzentrum in Mohringen/D mit Schweiz und Österreich. Dazu kommt noch Heft Nr. 6 | Editorial Heft Nr. 6 | Editorial nur die beiden Hefte produzieren konnten, die senschaften (ZHAW) entstanden. Durch eine Methoden der RJ gearbeitet. Die Redaktion eine Sondernummer zu Restorative Justice, in wir regulär herausgeben, sondern auch noch Ankündigung in einem Newsletter von Prof. freut sich, dass in seinem Beitrag die Praxis der der Friedrich Schwenger über seine Erfahrun- zwei Sondernummern, die unsere Leser*in- Dirk Baier aus der ZHAW sind wir auf diese Seelsorge mit der Methodik der RJ verbunden gen und die verschiedenen spirituellen und nen zumindest teilweise erhalten haben. Die Arbeit aufmerksam geworden und haben die wurde. kulturellen Wurzeln der RJ schreibt. «Bibliografie zur Gefängnisseelsorge» war Verfasserin Shirine Tissira angefragt, ob sie Frau Dr. Christina Kayales gründete «Pon- Wir sind zufrieden, wie sich unser Zeit- 06 die erste Sondernummer und mit der «Coro- ihre Masterarbeit für diesen Aufsatz umschrei- te», das «Institut für Kultursensibilität in Bera- schriftenprojekt «Seelsorge & Strafvollzug. Zur 07 na-Studie zur Situation der Gefängnisseelsor- ben würde. Sie hat eine Arbeit vorgelegt, für tung und Seelsorge» und ist eine der Pionie- Praxis heutiger Gefängnisseelsorge» entwi- Seelsorge & Strafvollzug Seelsorge & Strafvollzug ge in der Schweiz während des Lockdowns die sie mit empirischen Methoden zum Thema rinnen interreligiöser Zusammenarbeit und ckelt. von März bis Juni 2020» folgte die zweite. Restorative Justice (RJ) im Jugendbereich ge- muslimischer Seelsorgeausbildung. Sie fasst Wenn Sie unsere Zeitschrift unterstützen Nun halten Sie Heft 6 in den Händen. Die- forscht hat. Die Gefängnisseelsorge insgesamt den Stand der muslimischen Seelsorgeausbil- möchten, freuen wir uns über jede Spende. se Ausgabe konnten wir thematisch etwas fo- ist der Methodik der RJ gegenüber sehr offen dungen in Deutschland zusammen und ermu- Dem Impressum können Sie entnehmen, wie kussieren, da wir vier aussergewöhnliche Au- und diese Zeitschrift befördert die Diskussion tigt zur interreligiösen Zusammenarbeit. Sie spenden können. Wenn Sie einen Text tor*innen gewinnen konnten. Das Heft dreht um die Möglichkeiten und Grenzen von RJ, Gern möchten wir unseren Leser*innen aus Ihrer Praxis oder Ihrem Forschungsgebiet sich vor allem um Strafethik, Restorative Jus- wenn sich Gelegenheit dazu bietet. einen Ausblick geben, was sie bis Mitte 2022 einreichen möchten, freuen wir uns sehr und tice und bietet eine kurze Zusammenfassung Der dritte Artikel wurde von Pastor i. R. von der Redaktion und der Zeitschrift erwar- bitten Sie, Ihr Exposé oder Ihre Idee an die Re- des Stands der muslimischen Seelsorgeaus- Friedrich Schwenger geschrieben. Er schliesst ten dürfen: Wir sind bereits an der Planung für daktion zu schicken. bildung in Deutschland. mit seiner Arbeit an die beiden vorherge- Heft 7. Die Autor*innen, die uns dort zugesagt Wir wünschen Ihnen gute Gesundheit, Frau Dr. Lisanne Teuchert ist wissenschaft- henden Texte inhaltlich an, da er sowohl das haben, lassen wiederum auf wichtige Inhalte einen sonnigen Sommer und wie immer ein liche Mitarbeiterin an der Ruhr-Universität Thema RJ wie auch das der Strafethik reflek- für die Gefängnisseelsorge schliessen. Zudem anregendes Lesevergnügen. Bochum und befasst sich mit dem Thema tiert. Pastor Schwenger ist ein ausgewiesener haben wir drei Sondernummern geplant. Alle Strafethik. In ihrem Artikel schreibt sie über Kenner von RJ in der Gefängnisseelsorge. drei sind bereits recht weit gediehen. Es wird Freundlich grüsst im Namen der Redaktion die Rückkehr der Emotionen in die Strafethik Arbeiten zu Restorative Justice werden häu- die angekündigte Ergänzungsbibliografie zur und verbindet darin den Emotionsdiskurs mit fig von Praktikern geschrieben (und gar nicht Gefängnisseelsorge geben, ebenso wie eine Dr. Frank Stüfen, theologischen Überlegungen. so selten von Gefängnisseelsorgenden), auch Rechtstextesammlung für die Gefängnisseel- Herausgeber
00 01 Heft Nr. 6 | Die Wiederkehr von Emotionen in die Strafrechtstheorie Die Wiederkehr von Emotionen Grusswort in die Strafrechtstheorie Als Schweizerischer Verein für Gefängnisseelsorge versuchen wir stets im Dia- Lisanne Teuchert, Heft Nr. 6 | Grusswort log zu sein mit allen Institutionen des Justizvollzugs, um auch unseren Bei- Bochum trag in der interdisziplinären Zusammenarbeit zu leisten und das gemeinsa- me Ziel der Resozialisierungsarbeit zu verfolgen. Dazu ist es wichtig, sich als eher kleiner Arbeitspartner gut zu vernetzen. Dies beginnt bei jedem und jeder 01 einzelnen Gefängnisseelsorgenden in der Zusammenarbeit mit dem Personal Ausblendung und Wiederkehr der Emotionen und der Gefängnisleitung bis hin zu Absprachen mit der Leitung des Amtes für 08 Justizvollzug des jeweiligen Kantons. Dass alles, was sich im Umfeld von strafrecht- mensionen des Menschseins herausnehmen. 09 Auch die Zeitschrift, die Sie in der Hand haben, dient dem Zweck, in wichtigen lichen Prozessen abspielt – das Erleben und Eine unparteiische Instanz sollte den Vorfall Seelsorge & Strafvollzug Seelsorge & Strafvollzug Fragestellungen dialogfähig zu bleiben, wie in der Vergangenheit beim Thema Zufügen einer Straftat, die nachfolgenden klären und seine Regelung in Form von Strafe des Assistierten Suizids oder bei den Auswirkungen der Pandemie auf die Ge- Empfindungen, der Strafprozess, die Verhän- oder Freispruch in die Hand nehmen. Absicht- fängnisseelsorgearbeit. Zu beidem haben wir Sondernummern publiziert. gung einer Strafe und ihr Vollzug –, hochemo- lich zog der Staat den Konflikt von den be- Der Verein für Gefängnisseelsorge, den ich präsidiere, hat eine Kooperations- tionale Vorgänge auslöst oder zumindest aus- troffenen Parteien ab und zog ihn an sich, um vereinbarung mit der Zeitschrift und schätzt die ehrenamtliche Arbeit der Re- lösen kann, ist keine neue Einsicht. Betroffene Fehderecht und Privatjustiz zu beenden und daktion und der Autor*innen unheimlich. Ohne diese altruistische Haltung können ein Konglomerat heterogener und Rechtsfrieden herzustellen. wäre das alles nicht möglich. ambivalenter Affekte, Emotionen und Gefüh- So sehr diese Entwicklung – die «stetige Nun hoffe ich, dass Sie die interessanten Artikel dieser Nummer anregen, wei- le durchleben.1 Das gilt für die Anklagenden Austreibung von Emotionen aus dem Tempel ter über Aspekte der Gefängnisseelsorge nachzudenken. genauso wie für die Angeklagten, für ihr jewei- der Justiz»3 – als zivilisatorische Errungen- Denken Sie bitte daran, dass wir auf Spenden angewiesen sind, um unsere liges Umfeld und in manchen Fällen auch für schaft grosse Anerkennung geniesst, lässt sie Arbeit fortzuführen. Wir sind für jeden Franken dankbar! die Öffentlichkeit. Wut, Trauer, Hass, Resigna- sich auch als Verlustgeschichte schreiben.4 tion, Reue, Bedrückung oder Empörung lösen Die institutionelle Aneignung hat den Preis, Herzlich, sich bruchartig ab oder nehmen eine Person dass die Gefühle der Betroffenen, ihr Erleben ganz in Beschlag. Die Gefängnisseelsorge, und ihre Perspektive ausgeblendet werden, Alfredo Díez, aber auch die Seelsorge mit den Opfern von wie opferorientierte Beiträge schon seit län- Präsident des Schweizerischen Vereines für Gefängnisseelsorge Straftaten – sofern sie stattfindet2 –, weiss da- gerer Zeit beklagen.5 Geschieht das zurecht? rum nur zu gut. Werden Geschädigte damit ein zweites Mal zu Gerade wegen der hohen Emotionali- Opfern, in ihren Ausdrucksmöglichkeiten und tät von Rechtsbruch und Strafe wurden mit ihrer Handlungsmacht ein weiteres Mal dras- der Entwicklung des modernen Strafrechts tisch beschränkt? Sind Emotionen denn tat- bewusst Trennungen vorgenommen, die die sächlich so korrumpierend; müssen sie derart rechtlichen Belange aus den sonstigen Di- radikal ausgeblendet werden?
Freilich bestehen schon länger Ansätze unserer Überzeugungen, unserer Erfahrung 02 von Restorative Justice, die auf die Wieder- und unseres Wissens als bedeutsam erfahren. Emotionen als Grund für Strafe? Aktuelle Theorien Heft Nr. 6 | Die Wiederkehr von Emotionen in die Strafrechtstheorie Heft Nr. 6 | Die Wiederkehr von Emotionen in die Strafrechtstheorie herstellung von Beziehung abzielen und Al- Zwar stellen neurowissenschaftliche Zugänge ternativen zur blossen Bestrafung anbieten. inzwischen wieder das vorbewusste, physi- Inzwischen lässt sich aber auch in Theorien, sche Aufflackern von Affekten in den Vorder- 02.1 die konventionelles staatliches Strafen be- grund. Für die Geisteswissenschaften hat sich Befriedung der Empörungsemotionen Dritter gründen wollen, eine Rückkehr der Emotio- aber ein emotional turn durchgesetzt, der die nen beobachten.6 Dabei gehen sie über das Verbindung von Emotionen zum kognitiven, Den unmittelbarsten Zugriff auf Emotionen in häufig mit einer evolutionstheoretischen Deu- klassische Spektrum von Retributivismus und moralischen und kulturellen System hervor- der Begründung staatlichen Strafens weist die tung hinterlegt wird.17 Präventionstheorien hinaus. Um diese Theo- hebt. Das gilt auch für aggressive Emotionen «empirisch-soziologische Begründung» auf.14 Fundiert auf dieser emotionalen empiri- rien soll es im Folgenden gehen. Emotionen des Verletztseins wie z.B. den Groll/das Übel- Hier sind es die Emotionen Dritter, also der schen Basis wird hier eine alte Strafbegrün- haben hier an Bedeutung gewonnen, und nehmen, die gerade nicht als verdächtig amo- Öffentlichkeit, die für die Begründung staatli- dung ins Feld geführt, nämlich dass Strafe zwar nicht nur für die Betreuung von Opfern ralisch, sondern als Ausweis von Normsensibi- chen Strafens massgeblich werden, und zwar zur Selbstverteidigung des Staates diene und Zeuginnen7, für die psychologische Ein- lität begriffen werden.12 als deren Fundament. Kurzgefasst: Wenn die und daher legitim sei.18 Denn eine Erosion schätzung einer Tat oder für die Flankierung Nun ist es allerdings hochgefährlich, Emo- Empörungsgefühle der Bevölkerung – samt des Vertrauens in die rechtsstaatlichen Me- des Strafrechts durch Mediation und andere tionen in der Straftheorie Raum zu geben, ihrer Strafbedürfnisse und Vergeltungsimpul- chanismen hätte selbstzersetzende Folgen. alternative Verfahren, sondern für die Begrün- sollen die Errungenschaften der modernen se, die als Ausdruck ihres Gerechtigkeitsemp- Letztlich handelt es sich hier also um eine dung des staatlichen Strafens selbst.8 Entwicklung des Strafrechts nicht preisgege- findens verstanden werden – durch den Staat präventive Begründung19: genau diese Folgen Das liegt auch daran, dass sich das Ver- ben werden.13 Welchen Platz kann Emotio- nicht aufgenommen werden würden, indem sollen verhindert werden. Im Blick sind aber 10 ständnis von Emotionen seit Mitte des 20. nalität in Theorien zur Strafbegründung also er straft, würde sich die Empörung gegen den weniger potenzielle zukünftige Opfer, um de- 11 Jahrhunderts erheblich gewandelt hat. Waren sinnigerweise einnehmen? Wie geschieht das Staat selbst richten. Aufgebrachte Bevölke- rentwillen Strafe gerechtfertigt wäre, sondern Seelsorge & Strafvollzug Seelsorge & Strafvollzug Emotionen über viele Jahrhunderte als das in aktuellen Straftheorien? Und wie ist das rungsgruppen machten dem Staat sein Straf- die Akzeptanz der staatlichen Regelung von Andere zur Ratio wahrgenommen und einer schliesslich aus theologisch-ethischer Sicht monopol streitig. Ohne Strafe würden bei der Rechtsbrüchen. Ohne das Selbsterhaltungs- inferioren physischen Seite des Menschen zu- zu beurteilen? Diesen Fragen geht der Beitrag Polizei die Fensterscheiben eingeworfen, wie argument, aber doch ähnlich, funktioniert das geschlagen worden, wurde dieser cartesische im Folgenden nach. Zunächst werden einige Tonio Walter es überspitzt formuliert.15 Dass «argument from democracy» (Murphy): Wenn Dualismus nun angeprangert.9 Ähnlich wie die Straftheorien in aller Kürze dahingehend vor- man die Emotionen der Öffentlichkeit ernst- viele Menschen Empörung spüren oder Strafe Ausblendung und Abwertung des Körpers Wi- gestellt, wie sie auf Emotionen Bezug neh- nehmen muss, wird dabei mit empirischen wollen, müsse der Staat das doch berücksich- derspruch erfuhr, kam auch den Emotionen men. Die vertiefte, differenzierte Argumenta- Nachweisen unterfüttert.16 Der Drang zur Ver- tigen.20 als körperlich fundierten Phänomenen neue tion z.B. in aktuellen rechtswissenschaftlichen geltung sei empirisch breit nachweisbar, was Aufmerksamkeit zu. Einfluss auf die Geistes- Dissertationen, die für solche neueren Straf- wissenschaften gewann dann allerdings die theorien eintreten, kann hier nicht in Gänze 02.2 weitergehende Einsicht, dass Emotionen nicht aufgearbeitet oder auch nur wiedergegeben Befriedung des emotionalen Aufruhrs der Opfer21 nur physische Reaktionen darstellen (wie z.B. werden. Auf sie wird in den Anmerkungen der Adrenalinstoss bei Gefahr als Angst), son- verwiesen. Es geht im Folgenden um grundle- Auf andere Weise nehmen die sogenannten giert werden müsste – etwa: «Du bist es nicht dern zutiefst mit Geist und Kultur zusammen- gende Denkmöglichkeiten, wie Emotionen in expressiv-kommunikativen Theorien Emotio- wert, besser behandelt zu werden.» Aufgabe hängen.10 Die appraisal-Theorien der 60er Straftheorien ein Platz gegeben werden kann nen in ihren Argumentationsgang auf. Hierbei des Staates sei es nun, auf diese in der physi- Jahre sahen in Emotionen ein Beurteilungs- und aktuell auch wird. Anschliessend reagiere handelt es sich eher um eine Familie von Theo- schen Ebene verborgen liegende symbolische oder Werturteil enthalten:11 Emotionen treten ich darauf aus theologischer Perspektive. rien als um eine einzelne Theorie. Gemeinsam Ebene zu reagieren und z.B. die Botschaft zu auf, wenn wir Erlebtes vor dem Hintergrund ist den verschiedenen Spielarten, dass sie den senden: «Nein, wir alle sind gleichberechtigt.» Strafprozess, das Strafurteil und z.T. auch die Diese Botschaft auszudrücken und zu kom- Strafe selbst als Akte der symbolischen Kom- munizieren, dazu dient Strafe. munikation auffassen. Denn schon mit der Tat Emotionen können in dieser Grundauffassung sei eine Botschaft gesendet worden, die korri- auf verschiedene Weise vorkommen. Grund-
sätzlich knüpfen expressiv-kommunikative Ohne ihn könnten sie das Vertrauen in Staat 02.4 Theorien an den schon angedeuteten Dis- und Rechtsordnung verlieren. Sie sind er- Aufruf zu Reue und Busse der Täter Heft Nr. 6 | Die Wiederkehr von Emotionen in die Strafrechtstheorie Heft Nr. 6 | Die Wiederkehr von Emotionen in die Strafrechtstheorie kurs um Peter Strawsons Sozialphilosophie schüttert in ihrer Verhaltenserwartung ande- reaktiver Einstellungen an. Für Strawson ist ren gegenüber, hegen unter Umständen ag- Die letzten beiden Theorien stammten aus men sich moralisch orientierte Gemeinschaf- unser emotional gefärbter Vorwurf an andere gressive Emotionen oder geben sich selbst die opferorientierter kommunikativer Theorie- ten zum Vorbild dafür, wie mit Fehlverhalten fundamental dafür, dass wir uns gegenseitig Schuld. Das kann nicht nur destruktive Folgen bildung. Aber nicht nur als Kommunikation umgegangen werden soll.29 Antony Duff hat in für verantwortliche Menschen halten. Solche für ihr eigenes Leben, sondern auch für ihr so- gegenüber den Opfern, sondern auch gegen- diesem Kontext eine Straftheorie entwickelt, emotionalen, reaktiven Einstellungen wie Vor- ziales Umfeld und das Sozialleben der ganzen über den Tätern – sollten sie sich als solche die sogar auf eine zweiseitige Kommunikation wurf oder Dankbarkeit sind kein Störfaktor für Gesellschaft haben. Um den emotionalen Auf- herausstellen – lässt sich staatliches Strafen hofft: Die Täterin gewinnt im Strafvollzug die die Regulation des Soziallebens, sondern be- ruhr der Geschädigten zu befrieden, können verstehen.28 Es soll dann dazu dienen, der Chance, ihrerseits Reue, Einsicht und Wie- reichern und vertiefen es vielmehr. In diesem der Strafprozess, das Urteil und die Verhän- Täterin die Missbilligung ihrer Tat durch den dergutmachungswillen zu kommunizieren.30 Sinn können Emotionen als Hintergrund für gung einer Strafe grosse Dienste leisten. Darin Staat und die Rechtsgemeinschaft klarzuma- Auch die Spezialpräventionstheorie hatte jede kommunikative Straftheorie dienen.22 liege ihr eigentlicher Sinn.23 chen. Dabei können die Emotionen des Täters auf Einsicht, Therapie und Besserung gezielt Wenn Emotionen noch explizierter in die Dass Strafprozesse einen solchen Effekt zu einem eigenen Ziel der Kommunikation – allerdings lag das Gewicht nicht auf einer Strafbegründung aufgenommen werden, ge- haben können, wird kaum bestritten. Strittig werden. Die Täterin soll zu Reue und Busse angestrebten symbolischen Kommunikation schieht das in Bezug auf unterschiedliche ist dagegen die Frage, ob die Befriedung der angeleitet werden. aus der eigenen veränderten Innerlichkeit he- Personenkreise. Zum einen lässt sich darauf Emotionen der Geschädigten einen ausrei- Anders als in der älteren Theorie der Spe- raus, sondern schlicht darauf, dass die Person verweisen, wie sehr die Geschädigten den chenden Strafzweck darstellt, um eine Be- zialprävention hat diese Theorie die Emo- keine weiteren Straftaten mehr begeht. Inwie- staatlichen Kommunikationsakt brauchen. gründung für staatliches Strafen zu leisten.24 tionen des Täters nicht nur wegen künftiger fern das Innenleben des Täters aber Zielpunkt 12 potenzieller Opfer im Blick, sondern als Ziel- staatlicher Akte sein kann und darf, ist hoch 13 02.3 punkt der Kommunikation selbst. Die Ver- umstritten, genauso wie die Überblendung Seelsorge & Strafvollzug Seelsorge & Strafvollzug Berücksichtigung legitimer, emotional eingebetteter wandtschaft mit dem religiösen Terminus der von Rechtsstaat mit moralischen oder religiö- Interessen der Opfer Busse ist dabei kein Zufall. Stimmen aus der sen Gemeinschaften und von Recht und Moral anglo-amerikanischen Moralphilosophie neh- überhaupt.31 Zum anderen können Emotionen – immer können Geschädigte ein legitimes Interesse noch innerhalb expressiv-kommunikativer haben. Denn sie trägt anderen Charakter als Theorien – mittelbarer in die Begründung von die Kommunikation im Alltag oder in Mediati- 03 Strafe eingebracht werden. Sie erscheinen onsverfahren: Von offizieller Seite wird die Tat Problemanzeigen dann eher als Einbettung «legitime[r] Interes- missbilligt, das Unrecht als Unrecht anerkannt sen»25 der Geschädigten, die sich aber auch und die Solidarität der Rechtsgemeinschaft Die Theorien, die hier nur in maximaler Kürze angerissen werden konnten, stellen verschiedene völlig abgekoppelt von Emotionen formu- bekundet.26 Dass eine gemeinsame Norm ver- gelungene Versuche dar, Emotionen einen Platz in der Begründung staatlichen Strafens zuzu- lieren lassen. Ein solches legitimes Interesse letzt wurde, kann nur durch einen staatlichen weisen. Sie haben jeweils mit Problempunkten zu kämpfen, die in der Rechtstheorie entspre- könnte z.B. an der Aufklärung der Ereignisse Strafprozess festgestellt werden.27 Das Straf- chend verhandelt werden: bestehen. Denn gerade die ungeklärte Schuld- urteil dient damit legitimen Interessen und frage füge den Betroffenen weiteren Schaden bringt gleichzeitig einen gewissen emotiona- Eine direkte Begründungsfunktion von Emo- aussehen? Das Gleiche gilt letztlich auch für zu. Selbstzweifel und Verdachtsmomente aus len benefit hervor. Emotionen fungieren hier tionen wie bei der empirischen Strafbegrün- die Berücksichtigung von Opferemotionen dem Umfeld der Geschädigten tragen dazu eher als Anlass denn als Grund für Aufklärung dung (2.1) muss sich mit dem Vorwurf des (2.2), auch wenn es dort leichter scheint, die- bei. Auch an der staatlichen Stellungnahme und Urteilsfindung. naturalistischen Fehlschlusses auseinander- sen einen Ort in der Strafbegründung zuzu- setzen.32 Reicht das empirische Vorhanden- gestehen, weil die Rechte der Geschädigten sein bestimmter Emotionen schon aus, um da- als Mitglieder der Rechtsgemeinschaft ja tat- raus staatliches Handeln zu legitimieren? Sind sächlich verletzt wurden. Um dem Problem diese Emotionen per se legitim oder brauchen der Subjektivität und der Varianz von Emotio- sie einen Wertungsfilter?33 Wie könnte dieser nen – ihrem Aufleben und Abebben, ihrer ver-
schiedenen Intensität bei verschiedenen Men- auch in seinen Körper einzugreifen – nicht nur, werden im Übrigen auch kollektiv und kulturell den oben skizzierten Theorien aufgenommen schen – zu entgehen, damit in der Sphäre des weil Emotionen ohnehin nur im Resonanz- geprägt. Schon von daher lassen sie sich nicht werden, stehen aber auch repräsentativ für die Heft Nr. 6 | Die Wiederkehr von Emotionen in die Strafrechtstheorie Heft Nr. 6 | Die Wiederkehr von Emotionen in die Strafrechtstheorie Rechts mit objektivierbaren Massstäben ge- raum des Körpers erfahren werden, sondern einfach aus dem Bereich des Öffentlichen ins aktuelle Streitfrage, welchen Ort qualitatives, messen werden kann, lassen sich Emotionen auch, weil sie sich ins Leibgedächtnis ein- Reich des Inneren verbannen. Auch die libera- verkörpertes Erleben in der Perspektive der indirekter in den Begründungsgang einführen schreiben und leibliche Spuren hinterlassen le Demokratie braucht «ein gewisses Ausmaß ersten Person im öffentlichen Diskursraum ha- (2.3).34 Dann aber können Emotionen allen- können. Dass die Verhängung und der Vollzug an Passion für ihren eigenen Entwurf, und die ben kann und soll.41 Insofern handelt es sich falls zum Einstieg in die eigentliche Problem- einer Strafe bereits grosse emotionale Folgen notwendigen Gefühle der Zugehörigkeit und um einen exemplarischen Schauplatz für eine verhandlung dienen, ein Einstieg, den man für die Betreffenden und ihr Umfeld nach sich Loyalität sind eine wichtige Voraussetzung gesamtgesellschaftliche Frage, die hier wie später hinter sich lassen kann. Es lassen sich ziehen, liegt auf der Hand. Etwas anderes ist für ihr Funktionieren.»40 Die verschiedenen dort weiterverhandelt werden wird. Filter wie der des legitimen Interesses einbau- es aber, eine Änderung im Emotionenhaushalt Abstraktionsgrade, mit denen Emotionen in en, die aber auf lange Sicht dazu führen, dass der betreffenden Person direkt anzusteuern Emotionen zum Nebeneffekt von Strafe wer- und als Strafzweck anzugeben. Besonders au- 04 den und eine eigenständige Begründung und genfällig wird das bei den sogenannten ‹sha- Theologische Perspektiven auf die Rückkehr vollständige Theorie von Strafe nicht geleistet me sanctions›, wie sie bis in die Gegenwart in der Emotionen ins Strafrecht werden kann (abgesehen von Delikten ohne den USA angeordnet werden.37 Im Umgang emotionalen Anteil). Emotionen schliesslich mit Emotionen ist also noch grössere Vorsicht 04.1 als Ziel in die Begründung staatlichen Strafens geraten als bei Strafe generell, damit die Ach- Begründungsversuche und ihre Kritik einzuführen (2.4), also als End- statt Ausgangs- tung der Person nicht unterminiert wird. punkt, verlässt wiederum die Sphäre rechtli- Angesichts rechtstheoretischer Versuche, Schützenhilfe für die staatliche Anmassung, 14 cher Objektivität und dringt in das Innenleben 2 die Praxis staatlichen Strafens zu begründen im Namen Gottes strafen zu wollen, zu einem 15 des Subjekts vor – eine Grenzüberschreitung, Emotionen haben eine Eigendynamik. Gerade und zu legitimieren, wird die Theologie stets breiten Konsens theologischer Ethik gewor- Seelsorge & Strafvollzug Seelsorge & Strafvollzug die kritisch hinterfragt werden muss.35 im Nachgang von mutmasslichen Strafdelik- vorsichtig sein, solchen Begründungen bei- den, und das zurecht. Die Theologie kann Diese Problemfelder sind mit einem weite- ten – so wird uns in letzter Zeit immer wieder zuspringen. Diese Zurückhaltung ist vor dem aber ihre eigenen Deutungsrahmen einbrin- ren verbunden: der Wiederkehr der Moral im bewusst – können sich medial Empörungs- Hintergrund langewährender ideologischer gen, was nun versucht werden soll. Strafrecht.36 Wie oben schon angesprochen, wellen aufbauen, die sich selbst verstärken.38 war der Konnex zwischen Emotionen und Mo- Auch in der Erinnerung der Betroffenen selbst 04.2 ral einer der Gründe für die Wiederkehr der können sich Emotionen herausbilden, verän- Emotionsagenda als Protest Emotionen insgesamt. Emotionen spielen dern und abbauen; auch sie unterliegen einer gegen anthropologische Reduktionen auch deswegen wieder eine Rolle, weil sie als eigenen Dynamik. Emotionen sind in dieser moralische Gefühle wahrgenommen werden. vielschichtigen, individuellen und kollektiven Von einem theologischen Standpunkt aus ringere künftige Kriminalität, Verdeutlichung Damit wird allerdings die Frage, wie sich Recht Dynamik ambivalent und opak. Sie können können die Bestrebungen, Emotionen in und Stabilisierung der betreffenden Norm bis und Moral zueinander verhalten sollen, erneut daher auch – gerade in Bezug auf die Rolle Straftheorien zur Geltung zu bringen, als Pro- hin zur Statuierung eines Exempels. Beiden aufgeworfen. der Öffentlichkeit – im Kontext von Strafe zum test gegen anthropologische Reduktionen ge- Grosstheorien lässt sich so gesehen eine Ver- Umgekehrt betrachtet offenbart das Rin- Einfallstor für Beschämungsgelüste werden, deutet werden. Es soll darauf aufmerksam ge- drängung des personalen und interpersona- gen der Rechtstheorie um einen angemes- die über die Geschichte hinweg immer wieder macht werden, dass mehr verletzt ist als eine len Elements vorwerfen. senen Platz von Emotionen in der Strafbe- neue Manifestationen gefunden haben und gesetzliche Norm. Das trifft angesichts der Dass es im Recht insgesamt aber um inter- gründung grundlegende Eigenschaften von weiter finden werden.39 Geschichte der Strafbegründung durchaus personale Vorgänge, nämlich um «Gewährung Emotionalität: einen Punkt. Während sich im klassischen Re- von Anerkennungsverhältnissen und Auf- 3 tributivismus eine Staatsmetaphysik ausbrei- rechterhaltung von Erwartungssicherheit»42 1 Emotionen werden subjektiv erlebt – aber sie tete, die das gesamte Geschehen im Umfeld geht und Strafe nur von hier aus ihr relatives Emotionen sind zutiefst mit dem Ganzen des beschränken sich nicht auf ein Subjekt. Emo- einer Straftat an sich zog, wurde in der Prä- Recht erhält, hat auch Hans-Richard Reuter Menschen verbunden. Auf Emotionen zuzu- tionen können geteilt werden, sie können auf ventionstheorie die Person des Bestraften für als evangelisch-theologischer Ethiker heraus- greifen, bedeutet, tiefer in den Menschen und gemeinsame Normen zurückgehen und sie allgemeine Interessen instrumentalisiert – ge- gearbeitet. Mit dieser Auffassung konvergie-
ren am ehesten die Ansätze in 2.2 und 2.3. Sie einen zentralen Platz zuweisen. In der Seel- 04.4 unterstreichen aus emotionsorientierter und sorge rund um Verletzungen und Konflikte war Emotionen als Indikatoren eschatischer Sehnsüchte Heft Nr. 6 | Die Wiederkehr von Emotionen in die Strafrechtstheorie Heft Nr. 6 | Die Wiederkehr von Emotionen in die Strafrechtstheorie viktimologischer Perspektive, dass der Sinn von jeher ein Sensorium für die vielfältigen des Strafrechts in der Wiederherstellung der Erlebnisfacetten vorhanden. Wenn nun Emo- Ein Jurist führt die Re-Emotionalisierung des Ort, um zurückzuschauen, ihr ungesehenes Anerkennungsverhältnisse und der Erwar- tionen ins Strafrecht wiederkehren, wird eine Strafrechts zurück auf einen theoretischen Leid zu betrauern und laut zu beklagen – und tungssicherheit liegen sollte. Aber auch hier ganzheitliche christliche Anthropologie dafür Paradigmenwechsel, nämlich von der Täter- ihre Tränen abgewischt zu bekommen. Die bleibt es eine Aufgabe der Theologie, an den Verständnis haben, insofern sie hierin einen zur Opferorientierung.45 Eine Soziologin sieht Eschatologie verwahrt das Verlangen nach ultima-ratio-Charakter der Strafe zu erinnern Hinweis auf die grundsätzliche conditio huma- dahinterliegende Faktoren, etwa das Gefühl einer ultimativen Aufklärung des Gewesenen und einer ideologischen Aufladung der vor- na erkennt. Christliche Theologie weiss um die des Verlustes der sozialen Kohäsion und den und nach Gottes Solidaritätsbekundung: «Was handenen Emotionen – auch derjenigen der Macht von Emotionen im Guten wie im Bösen. Mangel an kollektiven Empfindungen,46 so- ihr getan habt einem von diesen meinen ge- mutmasslichen Opfer – entgegenzuwirken. Sie wird daher die Rückkehr der Emotionen in dass Strafprozesse dazu genutzt werden, um ringsten Brüdern, das habt ihr mir getan.» (Mt Ebenfalls bleibt daran zu erinnern, dass damit die Strafrechtstheorie im besten Sinne kritisch «moralisch-affektive Komponenten sozialer 25,40). 2 auch die Anerkennung der Täterin als Person dabei begleiten, die Grenzen dessen auszulo- Kohäsion»47 heraufzubeschwören oder das gemeint sein muss. ten, inwieweit das Strafrecht auf emotionales Gefühl von Frustration in der Mittelschicht – Christliche Theologie auf der Höhe der Erleben eingehen kann und was es an andere durch Erosion des Leistungsprinzips in der Manche Kommunikationstheorien der Strafe Zeit wird Emotionalität in ihrer Anthropologie Institutionen und Praktiken delegieren muss. Statusdefinition, wachsende Einkommens- wollen dem Täter evident machen: Das war differenzen und den Abbau des Sozialstaats.48 falsch. Verstehst Du es auch wirklich?51 Darin Aus theologischer Sicht lassen sich in vielem, lässt sich das Verlangen erkennen, dass der 04.3 was in der Wiederkehr der Emotionen in die Täterin aufgeht, was sie angerichtet hat, dass 16 Emotionen zwischen passivem Erleben und aktiver Gestaltung Strafrechtstheorie oben angeklungen ist, sie es nicht nur hinnimmt, sondern auch be- 17 Sehnsüchte, Hoffnungen und menschliches greift und bedauert. Dass das Ausmass und Seelsorge & Strafvollzug Seelsorge & Strafvollzug Wenn auch aus der Perspektive theologischer etwa hat eine Theologie der Emotionen vor- Verlangen wiedererkennen, die sich im christ- die Bedeutung der geschehenen Verletzungen Anthropologie das Gewicht von Emotionen gelegt, die davon ausgeht, dass Emotionen lichen Deutungsrahmen auf Gottes endzeitli- allumfassend offenbar werden – im Äusseren anerkannt und zur Geltung gebracht werden geschöpflich gegeben und bereichernd sind, ches Handeln richten: wie im Inneren –, erhofft die christliche Ge- 1 muss, heisst das nicht, dass Emotionen der aber sozial destruktiv entgleisen können und richtserwartung. Bewirkt wird diese Einsicht menschlichen Gestaltung vollständig entzo- so der Kontrolle bedürfen.44 Beides – Kontrol- durch die Konfrontation mit den Wirkungen gen sind. Einerseits wird insbesondere in der le wie wachsame Kritik der einzelnen Kontroll- Die Rede vom Jüngsten Gericht trägt das unseres Tuns, auch den verborgen gebliebe- evangelischen Theologie das passive Wider- mechanismen – wird nötig, um den «Leiden- starke Verlangen in sich, dass vor allem den nen, langfristigen, indirekten – und sie ist in fahren von Emotionen betont. So ist es vor schaften» ihren berechtigten Platz zukommen Opfern Recht widerfährt. Am Ende der Ge- diesen Qualitäten erst am Ende der Geschich- allem bei Melanchthon grundgelegt, der die zu lassen. Das muss nicht stoisch ausfallen im schichte sollen ihre Wunden nicht vergessen, te möglich. 3 Überwältigung des Menschen durch sündi- Sinn einer vollständigen oder teilweisen Be- sondern in ihrer ganzen Tragweite offenbart, ge Affekte ausfaltet und von dort seine gan- herrschung von bestimmten Emotionen oder anerkannt, gewürdigt und betrauert werden. ze Dogmatik entwickelt.43 Nur vom Heiligen der Unterdrückung von Emotionalität gene- Wie die Wundmale des Auferstandenen ver- Die eschatologisch erhoffte, umfassende Evi- Geist geleitet kann das affektive Zentrum des rell. Ein verantwortlicher Umgang mit Emo- sinnbildlichen, bleiben die Wunden der Ge- denz ist auch eine öffentliche: Allen soll offen- Menschen zur Gottesliebe bewegt werden. tionen, auch auf sozialer Ebene, ist uns aber schichte in Gott selbst eingeschrieben.49 Mit bar werden, was gewesen ist. Menschen ha- Die Möglichkeiten der aktiven Selbstkontrolle durchaus zuzumuten. Auch eine Straftheorie der Verabschiedung der Vergeltungstheorie ben im Lauf der Geschichte die Hoffnung auf sind also speziell aus reformatorischer Sicht wird daher Emotionen nicht bloss hinneh- und der Durchsetzung von Prävention und Gottes zurechtbringendes Handeln gerichtet, beschränkt. Andererseits hat evangelische men müssen, wie es bei der empirisch-sozio- Resozialisation ging dem Strafrecht womög- durch das scheinbare Wohltäter entlarvt und Theologie auch von der Verwandlung der Af- logischen Strafbegründung den Anschein hat. lich die Perspektive des Rückblicks verloren – Übeltäter als solche benannt werden – wohl- fekte, vom Werden des neuen Menschen zu Gleiches gilt für die Berücksichtigung der vor- das mag ein Grund sein, warum nicht nur die weisslich, dass beides auch immer auf die erzählen. Emotionen sind prinzipiell also auch handenen Emotionen von Geschädigten, was Emotionen, sondern auch retributivistische eigene Person zutrifft und sich nicht auf Per- veränderbar bzw. gibt es verschiedene Wei- einen sensiblen Umgang im Prozessverfahren Theorien in letzter Zeit wiederkehren.50 Denn sonengruppen aufteilen lässt. Gerechtigkeit sen, Emotionen zu leben. Ingolf U. Dalferth nicht ausschliesst. Betroffene haben das Verlangen nach einem und Recht sind in der Geschichte nie vollstän-
dig zur Deckung zu bringen. Das erfahren alle auch christlichen Hoffnungen – wobei der nicht nur Aufklärung, Kommunikation und tionen einen Platz zuzuweisen, der sie anthro- Menschen, auch die nicht direkt betroffenen. Unterschied in der kreuzestheologischen Un- Stellungnahme –, also vor allem das Strafübel pologisch und eschatologisch, d.h. vom Sein Heft Nr. 6 | Die Wiederkehr von Emotionen in die Strafrechtstheorie Heft Nr. 6 | Die Wiederkehr von Emotionen in die Strafrechtstheorie Darüber empören sie sich zurecht: über For- terwanderung von Dualismen zwischen Täter notwendig sein muss, bleibt schwierig. Nun ist und Werden des Menschen und der Welt her, men von Recht, die zum Unrecht geworden und Opfer, Anklägerin und Angeklagtem, Rich- es allerdings nicht das genuine Ziel von Theo- ernstnimmt; Begründungsansprüche für Stra- sind (wie in der Situation der sozialkritischen terin und Anwalt liegen dürfte. Empörungs- logie und Kirche, eine solche Begründung an- fe aber, die sich auf sie lagern, kritisch zu über- Propheten), über Recht, das zum Instrument gefühle und auch Rachewünsche sollten in zustreben. Aus theologischer Sicht müssen prüfen. Eine Aufgabe für die Systematische der Mächtigen geworden ist (wie in der Exils- diesem Licht von christlicher Theologie nicht Überlegungen zu Rechtsbrüchen nicht not- Theologie wäre es, diesen Entwicklungen mit situation der Psalmbeter in Babylon), aber von vornherein pathologisiert, geächtet oder wendig in der Strafe, auch nicht in der Strafe in einer Theologie der Emotionen zu begegnen, auch nur darüber, dass menschliches Recht unterdrückt werden.52 ihrer aktuellen Form, münden.53 Vielmehr soll- die sie geschöpflich anerkennt, hamartiolo- schlicht begrenzt und umfassende Gerech- Vom eschatologischen Standpunkt her er- te es in diesem Bereich darum gehen, Emo- gisch begrenzt und eschatologisch würdigt. tigkeit nie herzustellen in der Lage ist. Die Er- fahren die Sehnsüchte und Ansprüche aber fahrungen von den Grenzen des Rechts, die es auch ihre kritische Grenze: All das, worauf sich Fussnoten zwangsläufig immer geben wird, solange wir diese Sehnsüchte und Ansprüche richten, hat 8 Für einen weiteren Gegenstandsbereich, der auch Krimi- unter dem eschatologischen Vorbehalt leben, eschatologische Qualität, kann also nicht in 1 Ob von Emotionen, Gefühlen o.a. die Rede ist, differiert. nalpolitik, kollektive Emotionen, Punitivität, sozio-emo- werden in der eschatologischen Hoffnung auf- Fülle von Menschen und menschlichen Insti- Die Begrifflichkeit wird z.T. im Emotionendiskurs, ins- tionale Entwicklungen u.v.m einschliesst, vgl. den sehr genommen und finden dort ihren Platz, was tutionen geleistet werden, sondern allein von besondere in der Theologie, uneinheitlich verwendet, lesenswerten Artikel aus soziologischer Sicht: Susanne vgl. Rebekka A. Klein 2017. Affekte gelten als unmittel- allerdings nicht zu stillstellender Befriedung Gott. Im Recht, aber auch in Seelsorge und Karstedt 2007. Vgl. auch Heather Strang, Ian Loader und bares Auflodern, das auch schnell wieder vergehen kann Susanne Karstedt 2011, dort speziell zur Restorative führt. Vielmehr sind Menschen in dieser Pers- Kirche, werden immer Wünsche offen und (anders als Stimmungen z.B.) und körperlich fundiert Justice Meredith Rossner 2011. pektive ausgespannt auf diese Hoffnung hin: Sehnsüchte unerfüllt bleiben. Auch hier gelin- ist; Emotionen werden häufig über ihr Gerichtetsein auf 9 Vgl. als Kurzdarstellung Frank Biess 2019, 27f. als Ver- 18 Sie orientieren sich daran, messen die Gegen- gen Heilung und Versöhnung nur fragmenta- anderes und andere definiert; der Begriff ‹Gefühl› setzt treter: Antonio R. Damasio 1995. 19 wart kritisch daran und versuchen, das Recht risch. Dessen eingedenk wäre unter eschato- oft ein eigenes Sich-Gewahr-Werden im Selbstverhältnis 10 Seelsorge & Strafvollzug Seelsorge & Strafvollzug Vgl. Frank Biess 2019, 29. darauf hin zu gestalten. logischer Perspektive einer Überfrachtung des voraus. 11 2 Vgl. z.B. Martha C. Nussbaum 2003. Strafrechts mit Erwartungen vorzubeugen, Dass das bislang nicht gezielt und flächendeckend der 12 Fall ist, stellt Frank Stüfen fest und fordert eine opfer- Vgl. als Überblick zu beidem – zur vermeintlichen Irratio- Emotionalität im Strafrecht spricht also nicht die nicht nur dessen systemische Grenzen, nalität von Emotionen und der Moralität von Vergel- orientierte Seelsorge. Vgl. Frank Stüfen 2019, besonders nur die dunklen Seiten des Menschen an – sondern auch prinzipielle voreschatologische 79f. tungsemotionen – Florian Zimmermann 2012, 69ff.; den Mob, der «Kreuzige ihn!» ruft. Es bestehen Grenzen überschreiten. 3 Susanne Karstedt 2007, 26 (in Bezug auf Norbert Elias‘ Victor Tadros 2004, 332f. Um den Begriff resentment auch Konvergenzen mit urmenschlichen, aber Analyse des Prozesses der Modernisierung). (Übelnehmen) hat sich eine rege, rehabilitierende 4 Debatte entfaltet, ausgehend von: Peter F. Strawson Vgl. hierzu Klaus Günther 2002, 211ff. 1974. Vgl. aber z.B. auch: Jeffrie Murphy 1988b; Jeffrie 5 Vgl. Winfried Hassemer und Jan P. Reemtsma 2002, 122f. Murphy 1988a. 05 u.ö. 13 Vgl. Thomas Weigend 2010, 40: «Angesichts des per- Fazit 6 Mit Verweis auf Susanne Karstedt 2007 (vgl. hier zipierten Wechsels von der Beschuldigten- zur Opfer- dann v.a. 28) stellt diesen Befund auch Heike Jung 2011, orientierung fürchten nicht wenige Beobachter bereits Die Sichtung der Diskussionslage in der rechts- den Ort von Emotionen im öffentlichen Dis- 384.390–392. Jung fasst zusammen: «Strafrechtspflege um die historische Errungenschaft einer Ent-Emotio- wird nicht mehr als ein bürokratisches Modell, sondern philosophischen Straftheorie zeigt: Es gibt un- kursraum die neuzeitliche Ausblendung von nalisierung und Rationalisierung der Strafrechtspflege als ein hochemotionales Geschehen begriffen. Zwar sowie um das Gleichgewicht im Strafverfahren.». abweislich eine Wiederkehr der Emotionen, Emotionen aus dem Strafrecht infrage. Die wurde die Strafrechtspflege zu keiner Zeit als emotions- 14 Vgl. Tobias R. Andrissek 2017; s. auch Tonio Walter 2011. aber es wird noch um den richtigen Platz von aktuellen Versuche, aufruhend auf Emotionen lose Prozedur praktiziert. Doch galt im Gefolge der 15 Vgl. Tonio Walter 2017, VIII. Emotionen in der Straftheorie gerungen. Eine staatliches Strafen zu begründen, weisen aller- Aufklärungszeit die Devise der rationalen Konfliktbewäl- 16 Vgl. John L. Mackie 1982, 68f. einfache Ausblendung von Emotionen wird dings ihre eigenen Probleme auf: Subjektivität tigung.» (a.a.O. 392). Vgl. auch Victor Tadros 2004, 332: 17 «Recently, there has been a strong focus on the role of Vgl. Tobias R. Andrissek 2017, 14ff. Die empirische Basis schwieriger – und zwar von theoretischer wie und Objektivität, bestehendes Rechtssystem emotions in criminal law and punishment.» wird dann in Bezug auf die Wirkungen von Strafe er- von gesellschaftlicher Seite aus. Zu sehr stel- und andere Systeme (Zuständigkeits- und 7 Im Folgenden werden die grammatikalischen weitert, vgl. a.a.O., 90–113. Vgl. auch Tonio Walter 2011, len verschiedene Entwicklungen in der Sicht Grenzfragen) oder das Verhältnis von Recht 638ff. Geschlechtsformen alternierend verwendet. Eine spezi- auf Emotionen generell, auf den Zuschnitt und Moral, um nur einige zu nennen. Eine voll- fische Zuschreibung der jeweiligen Aussage auf ein 18 Vgl. Jean-Claude Wolf 1992, 34. und die Orientierung des Strafrechts und auf ständige Begründung, warum Strafe – und bestimmtes Geschlecht ist damit nicht intendiert. 19 Andrissek versteht seinen Ansatz auch als «empirische
Variante der positiven Generalprävention […], die man 35 Hier droht z.B. eine ‹infantilisierende Überpädagogisie- als ‹retributive Generalprävention› bezeichnen könnte.» rung› von Strafe, wie sie schon gegen präventive Theo- andere Geschichte der Bundesrepublik, Reinbek und zurück?, in: K. Kühl und G. Seher (Hg.), Rom, (Tobias R. Andrissek 2017, 237). rien zu richten war (vgl. Knut Berner 2012, 18f., Zitat 19). bei Hamburg. Recht, Religion: Symposion für Udo Ebert zum 20 Heft Nr. 6 | Die Wiederkehr von Emotionen in die Strafrechtstheorie Heft Nr. 6 | Die Wiederkehr von Emotionen in die Strafrechtstheorie Vgl. Florian Zimmermann 2012, 64. 36 Vgl. z.B. Thomas Weigend 2011, 39. siebzigsten Geburtstag, Tübingen, 383–399. 21 Vgl. als Grundierung für die nächsten Abschnitte Tatjana 37 Ute Frevert beschreibt einen Fall von 2012, in dem sich Bourne, Richard (2014), Communication, pu- Hörnle 2017, 38ff. eine Frau mit einem diffamierenden Schild an eine nishment, and virtue: The theological limitation Jung, Matthias (2017), Symbolische Verkörpe- 22 Kreuzung stellen musste, weil sie mehrfach auf den Bür- Vgl. Tobias Zürcher 2014. of (post)secular penance, in: Journal of religious rung: Die Lebendigkeit des Sinns, Tübingen. 23 Vgl. Winfried Hassemer und Jan P. Reemtsma 2002; gersteig gefahren war, um einen Schulbus zu überholen. ethics 42 (1), 78–107. Roman Hamel 2009. Vgl. Ute Frevert 2017, 7f. 38 Karstedt, Susanne (2007), Die Vernunft der 24 Vgl. Thomas Weigend 2010. Vgl. Tatjana Hörnle 2017, 43. 39 Dalferth, Ingolf U. (2013), Selbstlose Leiden- Gefühle: Emotion, Kriminalität und Strafrecht, in: 25 Vgl. Tatjana Hörnle 2017, 38f. Vgl. Ute Frevert 2017. Karstedt spricht von einer «Rück- 26 kehr der Scham», v.a. in den USA, vgl. Susanne Karstedt schaften: Christlicher Glaube und menschliche Kriminologisches Journal 39 (9. Beiheft), 25–45. Vgl. Roman Hamel 2009, 181f. Hamel arbeitet insbeson- 2007, 29. Passionen, Tübingen. dere die Rolle des Sprechakts durch das Strafurteil für die Opfer heraus. 40 Susanne Karstedt 2007, 41. Klein, Rebekka A. (2017), Was ist ein Gefühl? 27 Zur Bezweiflung der Wirkmacht des staatlichen Urteils 41 Vgl. z.B. Matthias Jung 2017. Damasio, Antonio R. (1995), Descartes’ Irrtum: Interdisziplinäre Konzepte aus der Emotionsfor- vgl. Frank Stüfen 2019, 66: «Die schiere Anzahl der Fälle 42 Hans-Richard Reuter 1996, 178. Fühlen, Denken und das menschliche Gehirn, schung, in: Kerygma und Dogma 63 (2), 102–114. muss Kirche und Gesellschaft ständig für die Situation 43 Vgl. Philipp Melanchthon 1993. München, Leipzig. der Opfer sensibel sein lassen. Die Schwere dieser De- 44 Vgl. Ingolf U. Dalferth 2013. Mackie, John L. (1982), Morality and the Retri- likte und die mit ihnen verbundene tiefe Erschütterung 45 Duff, Anthony (2011), Retrieving Retributi- butive Emotions, in: Criminal Justice Ethics (3), Vgl. Heike Jung 2011, 392. lassen es nicht zu, davon auszugehen, dass direkte und 46 Vgl. Susanne Karstedt 2007, 34f. vism, in: M. D. White (Hg.), Retributivism: Essays 3–10. indirekte Opfer mit der Verkündung eines Urteils Genug- tuung und Sicherheit zurückerlangen.» 47 Susanne Karstedt 2007, 34. on theory and policy, New York, 3–24. 20 28 Vgl. Tatjana Hörnle 2017, 34ff. 48 Vgl. Susanne Karstedt 2007, 39. Melanchthon, Philipp (1993), Loci commu- 21 29 Vgl. Tatjana Hörnle 2017, 36. 49 Vgl. Knut Berner 2006, 40. Frevert, Ute (2017), Die Politik der Demüti- nes 1521: Lateinisch – Deutsch, übersetzt und Seelsorge & Strafvollzug Seelsorge & Strafvollzug 30 Vgl. in Aufsatzform Anthony Duff 2011. 50 Vgl. Heike Jung 2011; als Reaktion auf diese Wiederkehr gung: Schauplätze von Macht und Ohnmacht, mit kommentierenden Anmerkungen versehen 31 In kritischer Auseinandersetzung mit Duff zur Unter- exemplarisch Florian Zimmermann 2012. Frankfurt am Main. von Georg Pöhlmann, hg. vom Lutherischen 51 scheidung von staatlicher und religiöser Busse vgl. Auch manche forensisch-psychiatrische Therapie über- Kirchenamt der Vereinigten Evangelisch-Luther- Richard Bourne 2014. schreitet verhaltenstherapeutische Ansätze hin zu Günther, Klaus (2002), Die symbolisch-ex- ischen Kirche Deutschlands, Gütersloh. einem moralischen Urteil. Für diesen Hinweis danke ich 32 Vgl. verteidigend Tobias R. Andrissek 2017, 88ff. und pressive Bedeutung der Strafe: Eine neue Straf- Frank Stüfen. Tonio Walter 2011, 636. 52 theorie jenseits von Vergeltung und Prävention?, Murphy, Jeffrie (1988a), Hatred: a qualified 33 Vgl. Knut Berner 2012, 14. Vgl. Tobias R. Andrissek 2017, 113ff. in: C. Prittwitz (Hg.), Festschrift für Klaus Lüders- defense, in: Ders. und J. Hampton, Forgiveness 53 34 Nicht zufällig stehen viele Stimmen in Theologie und Vgl. zu diesen Subjektivitätsproblemen Florian Zimmer- sen: Zum 70. Geburtstag am 2. Mai 2002, Ba- and Mercy, Cambridge u.a., 88–110. Kirche Praktiken der Restorative Justice nahe; vgl. dazu mann 2012, 132ff. den-Baden, 205–219. z.B. die entsprechenden Aufsätze in diesem Heft. Murphy, Jeffrie (1988b), The retributive emo- 06 Hamel, Roman (2009), Strafen als Sprechakt: tions, in: Ders. und J. Hampton, Forgiveness and Literaturverzeichnis Die Bedeutung der Strafe für das Opfer, Schriften Mercy, Cambridge u.a., 1–9. zum Strafrecht Bd. 208, Berlin. Andrissek, Tobias R. (2017), Vergeltung als Zeitschrift 23 (1), 26–42. Nussbaum, Martha C. (2003), Upheavals of Strafzweck: Empirisch-soziologische Begrün- Hassemer, Winfried und Reemtsma, Jan P. thought: The intelligence of emotions, Cam- dung und kriminalpolitische Folgerungen, Stu- Berner, Knut (2012), Verhüllte Nemesis – Blin- (2002), Verbrechensopfer: Gesetz und Gerechtig- bridge u.a. dien und Beiträge zum Strafrecht Bd. 13, Tübin- de Justitia: Strafe als Vergeltung aus Sicht theo- keit, München. gen. logischer Ethik, in: H. Sünker und K. Berner (Hg.), Reuter, Hans-Richard (1996), Rechtsethik in Vergeltung ohne Ende? Über Strafe und ihre Al- Hörnle, Tatjana (2017), Straftheorien, Tübin- theologischer Perspektive: Studien zur Grundle- Berner, Knut (2006), Vergessen – Verzeihen – ternativen im 21. Jahrhundert, Lahnstein, 1–38. gen. gung und Konkretion, Öffentliche Theologie Bd. Eingedenken: Das Gedächtnis als Thema theolo- 8, Gütersloh. gischer Anthropologie, in: Berliner Theologische Biess, Frank (2019), Republik der Angst: Eine Jung, Heike (2011), Von der Rache zur Strafe
02 Rossner, Meredith (2011), Reintegrative Ri- ziologische Begründung und kriminalpolitische tual: Restorative Justice and Micro-Sociology, in: Folgerungen, Studien und Beiträge zum Straf- Heft Nr. 6 | Die Wiederkehr von Emotionen in die Strafrechtstheorie H. Strang, I. Loader und S. Karstedt (Hg.), Emo- recht Bd. 13, Tübingen, VII–VIII. tions, crime and justice, Oxford, Portland, OR, 169–191. Weigend, Thomas (2010), «Die Strafe für das Opfer»? Zur Renaissance des Genugtuungs- Heft Nr. 6 | Restaurative Verfahren im Jugendbereich Von den Möglichkeiten und Strang, Heather, Loader, Ian und Kars- gedankens im Straf- und Strafverfahrensrecht, tedt, Susanne (Hg.) (2011), Emotions, Crime in: Zeitschrift für rechtswissenschaftliche For- and Justice, Oxford, Portland, OR. schung 1 (1), 39–57. Grenzen restaurativer Verfahren Strawson, Peter F. (1974), Freedom and Re- sentment, in: Ders., Freedom and Resentment Weigend, Thomas (2011), Kommentar zu Tat- jana Hörnle, Gegenwärtige Strafbegründungs- im Jugendbereich and other essays, London, 1–25. theorien, in: A. v. Hirsch, K. Seelmann und U. Shirine Tissira, Neumann (Hg.), Strafe – Warum? Gegenwärtige Zürich Stüfen, Frank (2019), Opferorientierte Seel- Strafbegründungen im Lichte von Hegels Straf- sorge als kirchliche und gesellschaftliche Not- theorie, Baden-Baden, 31–42. wendigkeit, in: Seelsorge & Strafvollzug 2, 55–81. Abstract Wolf, Jean-Claude (1992), Verhütung oder Tadros, Victor (2004), Attribution, Ethics and Vergeltung? Einführung in ethische Straftheo- Der vorliegende Artikel gibt in zusammen- vor. Durch die Masterarbeit wurden erstmals 22 Emotions in Criminal Responsibility, in: The Mo- rien, Alber-Reihe praktische Philosophie Bd. 43, fassender Weise die Masterthesis zum An- Möglichkeiten und Grenzen restaurativer Ver- 23 dern Law Review Limited 67 (2), 322–338. Freiburg. satz Restorative Justice im Jugendbereich fahrensformen für Jugendliche in der Schweiz Seelsorge & Strafvollzug Seelsorge & Strafvollzug wieder. Der Ansatz sieht sowohl alternative qualitativ-empirisch untersucht, um dadurch Walter, Tonio (2011), Vergeltung als Straf- Zimmermann, Florian (2012), Verdienst und Strafprozesse wie auch Konfliktlösungsver- praxisorientierte Anregungen für die (Weiter-) zweck: Prävention und Resozialisierung als Vergeltung, Tübingen. fahren für nicht strafrechtlich gerahmte Fälle Entwicklung aufzuzeigen. Pflichten der Kriminalpolitik, in: Zeitschrift für in- ternationale Strafrechtsdogmatik 6 (7), 636–647. Zürcher, Tobias (2014), Legitimation von Stra- 01 fe: Die expressiv-kommunikative Straftheorie zur Einleitung Walter, Tonio (2017), Geleitwort, in: T. R. An- moralischen Rechtfertigung von Strafe, Grund- drissek, Vergeltung als Strafzweck: Empirisch-so- lagen der Rechtswissenschaft Bd. 21, Tübingen. Die vorliegende Abhandlung befasst sich mit thesis, bevor der Kern der Arbeit mit den For- dem ungenutzten Potential restaurativer Ver- schungsergebnissen dargestellt wird und der fahren im Jugendbereich in der Schweiz und Artikel mit einem Fazit und Ausblick schliesst. 07 basiert auf der Masterthesis der Autorin. Diese Kurzbiografie wurde im Rahmen des Studiums in Sozialer Dem Ansatz der Restaurativen Justiz (nach- Arbeit an der Zürcher Hochschule für Ange- folgend RJ) widmete das Fachmagazin zum Dr. Lisanne Teuchert, 1984, hat in Erlangen, Bochum und Heidelberg Evangelische Theologie wandte Wissenschaften (ZHAW) im Jahr 2020 Straf- und Massnahmenvollzug «Prison-Info» und Soziologie studiert. Ihre Promotion zur eschatologischen Perspektivierung des Handelns verfasst. des Bundesamtes für Justiz im Januar 2019 Gottes in der Welt schloss sie 2016 in Augsburg/München ab. Nach dem Vikariat in Augsburg nahezu eine ganze Ausgabe. Anlass dazu war und der Ordination zur Pfarrerin arbeitet sie zurzeit am Lehrstuhl für Systematische Theologie: Nach einem einleitenden Teil werden im zwei- die neue Empfehlung des Europarates, der die Ökumene und Dogmatik an der Ruhr-Universität Bochum. Ihr Habilitationsprojekt beschäftigt ten Kapitel dieses Artikels zentrale Begrifflich- Mitgliedstaaten dazu ermutigte, restaurative sich mit der «Wiederkehr der Rache» in Bezug auf Emotionen, Überzeugungen und Praktiken keiten geklärt. Anschliessend folgt ein Blick Verfahren in einer breiten und innovativen und unternimmt eine theologische Reaktion auf diese Entwicklungen. auf die Entwicklung restaurativer Verfahren Form zu fördern.1 Der Ansatz sei vielverspre- innerhalb der Schweiz. Das vierte Kapitel be- chend und trage gemäss verschiedener wis- Kontakt: Lisanne.Teuchert@rub.de leuchtet das Forschungsdesign der Master- senschaftlicher Studien zu einer seelischen
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