Sozial und digital Innovationen für das Landleben - Leibniz-Institut für Raumbezogene ...

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Sozial und digital Innovationen für das Landleben - Leibniz-Institut für Raumbezogene ...
No 96 | Juli 2021

I RS AKTUELL
Magazin für Raumbezogene Sozialforschung

Sozial und digital
Innovationen für das Landleben

_Praxisnah forschen für Innovationen auf dem Land
_Digitalisierung des ländlichen Ehrenamts
_Position: Ländliche Räume richtig fördern
_Kollaborative Arbeitsorte auf dem Land
Sozial und digital Innovationen für das Landleben - Leibniz-Institut für Raumbezogene ...
In dieser Ausgabe
                                                                   Nachrichten aus dem Institut
                                                                   21 IRS verabschiedet neues Leitbild
                                                                   22 Neue Satzung für das IRS
                                                                   23 IRS Spring Academy „Spaces of Crisis”
                                                                   24 Regionalgespräch nimmt Tesla
                                                                        in den Blick
                                                                   25 18. IRS International Lecture zu

4                              8
    Ländliche Innovationen:        Neues Forschungsprojekt             marktgetriebener Stadtentwicklung
    Forschen mit der Praxis        von IRS und neuland21:          26 Raumwissenschaftliches Kolloquium
                                   Wie digital ist das ländliche        zieht Bilanz zu Raumentwicklung und
                                   Ehrenamt?                           COVID-19
                                                                   27 IRS-Energiewendeforschung
                                                                       auf der internationalen Konferenz
                                                                     „Energy Futures“
                                                                   28 Interview mit IRS-Alumna Verena
                                                                        Brinks
                                                                   30 Forschungsprojekt StadtSicherheit-3D
                                                                        abgeschlossen
                                                                   31 IRS-Forschende begleiten Schüler*in­
                                                                       nen des Rostocker Kollwitz-Gymnasi­

12                             16
        Politik für                                                    ums beim Schulwettbewerb YES!
                                        Interview mit Suntje
        ländliche Räume:                Schmidt zu kollabora­      32 Ausstellung Ernst-Thälmann-Park in
        Initiativen ernst               tiven Arbeitsorten auf         Berlin Prenzlauer Berg
        nehmen, Innovationen            dem Land: „Auf dem         32 Neue Nachlässe für die
        unterstützen!                   Land ist die soziale           Wissenschaftlichen Sammlungen
                                        Komponente wichtiger“      33 Das Erbe nationalsozialistischer
                                                                       Kartographie für die Planung sozialis­
                                                                       tischer Städte
                                                                   33 Forschungsverbund
                                                                     „Wert der Vergangenheit“ beiwilligt
                                                                   34 IRS und Brandenburger Landes­politik
                                                                        im Dialog zu strategischen Themen
                                                                   34 Stadtsoziologie und Stadtentwicklung
                                                                        Handbuch für Wissenschaft und Praxis
                                                                   35 Policy Paper zu Investitionen von
                                                                       Hochschulen in Offshore-Campusse
                                                                   36 Grenzregionale Kooperation und
                                                                        Zivilgesellschaft – Dissertationsschrift
                                                                       von Peter Ulrich
                                                                   37 Fürsorge und Macht – Dissertations­
                                                                       schrift von Daniel Hadwiger
                                                                   38 Personalien
                                                                   39 Oliver Ibert – Sprecher des
                                                                       Leibniz-Forschungsnetzwerks R
                                                                   39 Neubesetzungen im
                                                                       Wissenschaftlichen Beirat
                                                                   40 Fundstück : Die Selbstinszenierung
                                                                        der DDR in Frankreich

2                                                                              IRS AKTUELL No 96 | Juli 2021
Sozial und digital Innovationen für das Landleben - Leibniz-Institut für Raumbezogene ...
Liebe Leserinnen und Leser von IRS aktuell,

                                während der COVID-19-Pandemie begann, so scheint es, die große Flucht aufs Land.
                                Die Medien sind voll von Geschichten über ehemalige Stadtmenschen, die für sich
                                das Landleben entdecken, die engen Wohnverhältnissen und überfüllten U-Bahnen
                                entkommen, um in dörflicher Autarkie, eigenem Garten und gefühlter Infektions­
                                sicherheit ihr Glück zu finden. Nie mussten wir mehr Presseanfragen zum Thema
                                Stadtflucht beantworten als in den letzten eineinhalb Jahren. Die plötzliche Aufmerk­
                                samkeit reflektiert einen echten Trend, der sich jedoch schon deutlich vor Corona
                                abzeichnete und der facettenreicher ist, als oftmals dargestellt.

                                Ja, die Zeit, in der ländliche Räume pauschal abgeschrieben wurden, ist vorbei. Dieser
                                Imagewandel ist jedoch schon länger zu beobachten. Ländliche Kleinstädte erfreuen
                                sich wachsender Attraktivität. Zuziehende und Alteingesessene beleben Dörfer neu,
                                teils auch in zentrenfernen, strukturschwachen Regionen. Hinzu kommt als Mega­
                                trend die Digitalisierung. Online-Shopping und mobiles Arbeiten – nunmehr befeuert
                                durch die Pandemie – bedrohen schon seit Längerem das „Geschäftsmodell“ teurer
                                Stadtzentren. Zugleich unterstützt Digitalisierung, dort wo die Konnektivität ausreicht,
                                neue Arbeitsarrangements in ländlichen Räumen und neue Formen sozialer Orga­
                                nisation in Dörfern. Bereits in der vorletzten Ausgabe von IRS aktuell (Nr. 94, „Digi­
                                tale Tools und visuelle Medien“) haben wir über die „Smart Villagers“ berichtet – die
                                vernetzten und engagierten Dorfbewohner*innen, die mit digitalen Mitteln sozial-
                                innovative Lösungen für die Probleme ländlicher Räume finden, vom Dorf-Auto zum
                                digital buchbaren Gemeinschaftshaus. Diese Ausgabe widmet sich nun der Frage, wie
                                innovative, digital unterstützte Lösungen für ländliche Räume gefördert und umge­
                                setzt werden können.

                                Noch eine Nachricht in eigener Sache: Erstmals hat das IRS sich ein Leitbild gegeben,
                                das unsere Mission, unsere Vision für die Zukunft und zentrale Leitlinien für unser
                                praktisches Handeln zusammenführt. Seine Essenz: Wir interessieren uns für die
                                Menschen, die gesellschaftlichen und räumlichen Wandel gemeinsam organisieren,
                                und dafür, wie sie das praktisch tun. Wir loten die Chancen und Möglichkeiten aus, die
                                in den Krisen und Umbrüchen unserer Zeit liegen. Und wir bekennen uns zu einem
                                engagierten Wissenstransfer – für zukunftsfähige Dörfer, Städte und Regionen und
                                für den Abbau sozialräumlicher Ungleichheiten (siehe S. 21). Gemeinsam mit einer
                                Novellierung unserer Satzung, einer Internationalisierung unseres Wissenschaftli­
                                chen Beirats und einem noch anhaltenden Entwicklungsprozess unserer Organisa­
                                tionsstruktur steht das neue Leitbild für eine strategische Neupositionierung des IRS,
                                die mit unserem kommenden Forschungsprogramm ab 2022 komplettiert werden
                                wird. Stay tuned!

                                Nun wünsche ich Ihnen eine anregende Lektüre.

                                Ihr Oliver Ibert
                                Direktor des IRS

IRS AKTUELL No 96 | Juli 2021                                                                                              3
Sozial und digital Innovationen für das Landleben - Leibniz-Institut für Raumbezogene ...
Ländliche Innovationen:
                    Forschen mit der Praxis
Forschung führt zu Erkenntnissen, die durch Politik- und Gesellschaftsberatung an Praxisakteure ver-
mittelt werden. Oft findet Forschung aber auch direkt mit der Praxis statt, gemeinsam mit Initiativen
oder lokalen Organisationen und an konkreten Problemen. Wissenstransfer findet dabei in beide Rich-
tungen statt: Aus der Praxis in die Forschung und umgekehrt. Das IRS forscht in mehreren Projekten
praxisnah zu sozial-innovativen Problemlösungen in ländlichen Räumen und praktiziert dabei einen
dialogischen Wissenstransfer. Ein Einblick.

 Innovative Training Network                                                         munale, die regionale und subnatio­
„RurAction“                                                                          nale (Länder), die nationale und die
                                                                                     transnationale (EU) Ebene abgeleitet.
In dem vor Kurzem abgeschlossen                                                      Die wichtigste Erkenntnis, die unter
Innovative Training Network „RurAc­                                                  anderem im RurAction Policy Paper
tion“ gingen Forschende aus sieben                                                  „Wie man soziale Innovationen in struk­
europäischen Ländern der Frage                                                       turschwachen ländlichen Räumen
nach, unter welchen Bedingungen                                                      befördern kann“ (IRS Dialog 5/2020)
Sozialunternehmen zu der Entfaltung                                                  festgehalten wurde, lautet, dass soziale
sozialer Innovationen und damit zur                                                  Innovationen in ländlichen Räumen in
Entwicklung ländlicher Regionen bei­                                                 typischen Phasen ablaufen. In diesen
tragen können. Die zehn Early Stage                                                  Phasen sind sie mit spezifischen Her­
Researchers (ESR) des Netzwerks arbei­                                               ausforderungen konfrontiert und kön­
teten dabei in klassisch wissenschaft­                                               nen entsprechend phasensensibel von
licher Weise an ihren Promotionspro­                                                 der Politik unterstützt werden (siehe
                                             Prof. Dr. Gabriela Christmann
jekten. Darüber hinaus verbrachten sie             Tel. 03362 793 270                S. 6 und S. 15).
jeweils Zeit in Sozialunternehmen im       gabriela.christmann@leibniz-irs.de
ländlichen Europa: beispielsweise in                                                Während das erwähnte Policy Paper
einer lokalen Entwicklungsagentur           Gabriela Christmann ist außerplan­      sich an politische Entscheidungsver­
in Portugal oder einer Kooperative       mäßige Professorin für Raum-, Wissens-     antwortliche richtet, zielt das „Hand­
für Steviaanbau und -vermarktung           und Kommunikationssoziologie an der      buch für Praktiker“ (IRS Dialog 6/2020)
                                          TU Berlin und leitet die Forschungsab-
in Griechenland. So lernten sie die                                                 auf Sozialunternehmen, denen es hel­
                                         teilung „Kommunikations- und Wissens-
Herausforderungen vor Ort kennen           dynamiken im Raum“ des IRS. In ihrer     fen soll, ihre Rolle und Strategien in
und ergänzten ihre Forschungsarbeit      aktuellen Forschung beschäftigt sie sich   ländlichen Regionen zu reflektie­
mit einer praxisnahen Qualifizierung.     mit digital unterstützen sozialen Inno-   ren. Darüber hinaus verfolgen ein
Umgekehrt nahmen die Unternehmen          vationen im ländlichen Raum sowie der     von Łukasz Rogowski und Michał Sita
unmittelbar am Entstehen neuer wis­       Mediati­sierung von Planungsprozessen.    produzierter 30-minütiger Dokumen­
senschaftlicher Erkenntnisse teil. Am                                               tarfilm sowie eine digitale Ausstellung
IRS waren Jamie Baxter und Sune                                                     das Ziel, die Potenziale von Sozial­
Stoustrup als ESR angesiedelt.                                                      unternehmen in ländlichen Räumen
                                                                                    noch stärker sichtbar zu machen. Im
Auf der Basis empirischer Analysen                                                  Rahmen von fünf regionalen Policy
konnte RurAction so eine Forschungs­                                                Roundtables und einem Policy Round­
lücke an der Schnittstelle zwischen                                                 table auf der Ebene der EU gab es ferner
sozialer Innovationsforschung, Sozial­                                              intensive Diskussionen über mögliche
unternehmertum und ländlicher Ent­                                                  Förderstrategien – auch mit Repräsen­
wicklung schließen. Gleichzeitig wur­                                               tant*innen der Generaldirektion Land­
den auf der Grundlage der Ergebnisse                                                wirtschaft und ländliche Entwicklung
Handlungsempfehlungen für die kom­                                                  (GD AGRI) sowie der Generaldirektion

4                                                                                                  IRS AKTUELL No 96 | Juli 2021
Sozial und digital Innovationen für das Landleben - Leibniz-Institut für Raumbezogene ...
IRS AKTUELL No 96 | Juli 2021   5
Sozial und digital Innovationen für das Landleben - Leibniz-Institut für Raumbezogene ...
Regionalpolitik und Stadtentwicklung                                                                                                                        besserung der Situation von Sozial­
(GD REGIO) der Europäischen Kom­                                                                                                                            unternehmen in Brandenburg, unter
mission, die die Projektergebnisse mit                                                                                                                      Berücksichtigung der in der Studie
sehr großem Interesse aufnahmen.                                                                                                                            gemachten Handlungsempfehlun­
                                                                                                                                                            gen, vorliegen.
RurAction (2016-2021) wurde als Marie
Skłodowska-Curie Action aus dem EU-                                                                                                                          Innovationsbündnis
Forschungsprogramm Horizon 2020                                                                                                                             „region 4.0“
finanziert und von Gabriela Christ­
mann koordiniert. Es umfasste neun                                                                                                                           Weitere Projekte fokussieren sich
Forschungseinrichtungen und sechs                                                                                                                            darauf, das Organisieren von Inno­
Sozialunternehmen.                                                                                                                                           vationen zu unterstützen und diese
                                                                                                                                                             zugleich wissenschaftlich zu fundie­
Studie und Dialogprozess zu                L ink zum Policy Paper                                                                                           ren und einzuordnen, so dass Erfah­
Sozialunternehmen                                                                                                                                            rungen aus Einzelprojekten strategisch
                                                                                                                                                             weitergedacht und übertragen wer­
In einem sehr viel kleineren Vorhaben                                                                                                                        den können. Diese Rolle übernimmt
gab der Beratungsbedarf der Landes­                       IRS DIALOG
                                                                                                                                                             das IRS etwa im Innovationsbündnis
politik den Anstoß zur Forschung und                                                                                                                        „region 4.0“. Das Bündnis unterstützt
zu einem nun fortlaufenden Dialog­                                                      6 2020                                                               problemzentrierte Innovationen im
prozess. Im Auftrag des Ministeriums             Research Report                                                                                             Barnim und der Uckermark im nord­
für Wirtschaft, Arbeit und Energie               The RurAction Network

                                                 Social Enterprises in Structurally
                                                                                                                                                             östlichen Brandenburg sowie im Alt­
(MWAE) des Landes Brandenburg                    Weak Rural Regions:                                                                                         kreis Uecker-Randow in Mecklen­
                                                 Innovative Troubleshooters
erarbeitete das IRS im Jahr 2020 eine            in Action                                                                                                   burg-Vorpommern. Es adressiert die
                                                 Handbook for Practitioners

Übersicht – einschließlich einer Kar­                                                                                                                        Handlungsfelder Landwirtschaft und
tierung – über den Stand, die Entwick­                                                                                                                       Ernährung, Daseinsvorsorge und Inf­
lungsperspektiven und die Förderbe­                                                                                                                          rastrukturen sowie naturnaher Touris­
                                                       I RS   Leibniz Institute for

darfe von Sozialunternehmen im Land.                                                                                                                         mus. Im Innovationsbündnis spielen
                                                              Research on Society and Space
                                                                                              Social Entrepreneurship in Structurally Weak Rural Regions:
                                                                                              Analysing Innovative Troubleshooters in Action

Im Fokus der Studie „Marktorientierte                                                                                                                        zivilgesellschaftliche Partizipations­
                                           L ink zum Policy Paper
Sozialunternehmen in Brandenburg“                                                                                                                            formate in der Region eine wichtige
standen Unternehmen, die durch die                                                                                                                           Rolle: Auf einem „Machbarschafts­
Positionierung neuartiger Produkte,                                                                                                                          tag“ ging es um die Etablierung von
Dienstleistungen und Geschäftsmo­                                                                                                                            Coworking im ländlichen Raum. Ein
delle Einnahmen generieren und                                                                                                                              „Zukunftstag“ mit Jugendlichen the­
damit eine soziale oder ökologische                                                                                                                          matisierte Möglichkeiten der Fach­
Agenda verfolgen. Ein Ergebnis der                                                                                                                           kräftesicherung. Und ein deutsch-
Studie war, dass die Wahrnehmung                                                                                                                             polnischer „RegioHack“ suchte nach
von Sozialunternehmen als wichtige                                                                                                                           Lösungen für verschiedene Herausfor­
Gestaltungsakteure im ländlichen                                                                                                                             derungen in der deutsch-polnischen
Raum noch verbesserbar ist. Die Auto­                                                                                                                        Grenzregion zwischen Eberswalde und
rinnen und Autoren empfahlen des­                                                                                                                            Szczecin (Stettin) – etwa in den Berei­
halb unter anderem einen Dialogpro­                                                                                                                          chen Wohnen, Arbeiten und Unter­
                                            Podcast Episode 7:
zess zwischen Akteuren der Politik und    Sozialunternehmen – was sie                                                                                        nehmertum. Diese Formate wurden
Verwaltung sowie Sozialunterneh­          können, was sie brauchen                                                                                           aus der Region problemzentriert ent­
men. Dieser Empfehlung kommt das                                                                                                                             wickelt und durch Einbezug von Wis­
MWAE nun nach, indem es gemeinsam                                                                                                                            sen von außen, etwa von Hochschu­
mit Social Impact gGmbH, die eben­                                                                                                                           len, umgesetzt. Im Anschluss an den
falls an der Erarbeitung der Studie                                                                                                                          Machbarschaftstag wurde tatsäch­
beteiligt war, ab Mai 2021 drei Vertie­                                                                                                                      lich ein Coworking Space in Pasewalk
fungsgespräche mit Sozialunterneh­                                                                                                                           gegründet.
men und Vertreter*innen des Landes
Brandenburg ausrichtet. Ralph Rich­                                                                                                                         Andere Ergebnisse wurden in Ideen­
ter und Ariane Sept nehmen als Sach­                                                                                                                        werkstätten weiterentwickelt. Lokale
                                            Working with Communities.
verständige an diesen Gesprächen teil.    Social Enterprises in Rural                                                                                       Verantwortliche (z.B. Bürgermeis­
Am Ende des Dialogprozesses soll eine     Regions of Europe                                                                                                 ter*innen) brachten ihre Erfahrun­
Roadmap mit Maßnahmen zur Ver­            Youtube-Video                                                                                                     gen auf einer virtuellen Fokusgruppen­

6                                                                                                                                                                          IRS AKTUELL No 96 | Juli 2021
Sozial und digital Innovationen für das Landleben - Leibniz-Institut für Raumbezogene ...
diskussion zu Chancen, Erfahrungen                                                  gen Form zweistufig: In einem ersten
und Barrieren von regionalen Innova­                                                Salon definieren und konkretisieren
tions- und Entwicklungsprozessen in                                                 die Teilnehmenden gemeinschaft­
die Analyse des Innovationsumfelds                                                  lich die jeweilige Herausforderung
ein. So wurden erste Lösungsansätze                                                 oder Problemlage. In einem folgen­
entwickelt und auf Anschlussmög­                                                    den Salon im überwiegend gleichen
lichkeiten der Ergebnisse hingewie­                                                 Teilnehmer*innenkreis wird dann
sen. Durch das virtuelle Format der                                                 externe Sach- und Prozess-Expertise
Fokusgruppe wurden Partizipations­                                                  ergänzend einbezogen, um wiederum
barrieren abgebaut und die Teilhabe                                                 gemeinschaftlich modellhafte Lösun­
erleichtert. Im IRS wird region 4.0 von                                             gen zu erarbeiten. So werden nicht nur
Peter Ulrich bearbeitet.                                                            innovative Lösungsansätze unterstützt,
                                                                                    sondern gleichzeitig auch der Wissens­
Das Projekt wird aus dem WIR!-Pro­                                                  transfer zwischen regionalen Akteuren
gramm (Wandel durch Innovation in                      Dr. Peter Ulrich             und den Mitarbeiter*innen von Hoch­
der Region) des BMBF finanziert und                 Tel. 03362 793 200              schulen ausgebaut.
von der Hochschule für Nachhaltige               peter.ulrich@leibniz-irs.de
Entwicklung in Eberswalde koordiniert.                                              Das erste Salon-Tandem fand in der
                                                Peter Ulrich ist Politikwissen­
                                           schaftler und wissenschaftlicher Mit-    ersten Jahreshälfte 2021 statt. Er adres­
Projekt „Open Region“                        arbeiter in der Forschungsabteilung    sierte Lösungen für die medizinische
                                             „Institutionenwandel und regionale     Versorgung ländlicher Räume am Bei­
                                             Gemeinschaftsgüter“. Er forscht im     spiel des kommunalen Gesundheits­
                                            Rahmen anwendungsnaher Projekte         hauses der Kleinstadt Baruth/Mark.
                                           zu Innovationsstrategien für ländliche
                                                                                    Daneben waren vergleichbare Ini­
                                          Räume. Sein zweiter Arbeitsschwerpunkt
Das Projekt „Open Region: Regionale        ist die Forschung zur Entwicklung von    tiativen und Einrichtungen sowie
Problemlagen als Ausgangspunkte von                      Grenzräumen.               Forschende und Transfermitarbei­
Innovationen“ untersucht und entwi­                                                 ter*innen regionaler Hochschulen
ckelt neue Formate des Wissenstrans­                                                vertreten. Sie erstellten während des
fers von Hochschulen und unterstützt                                                ersten Salontermins eine Herausfor­
in diesem Zusammenhang problem­                                                     derungsanalyse und identifizierten
zentrierte Innovationen in Südbran­                                                 Potenziale zu ihrer Bewältigung. Im
denburg. Es hilft dabei, in der Region                                              zweiten Salontermin bearbeiteten
Gelegenheiten für innovative Lösun­                                                 sie drei ausgewählte Potenziale ver­
gen zu erkennen und dabei deren Nut­                                                tieft und entwickelten auf ihrer Basis
zer*innen in den Mittelpunkt stellen.                                               Projektskizzen: zur Ergänzung des
Damit folgt es der im IRS entwickelten                                              Gesundheitshauses um Mobilitäts­
strategischen Konzeption der „Offenen                                               konzepte; zur Einbindung digitaler
Region“, die in diesem Projekt erstmals                                             Lösungen in das Gesundheitshauskon­
systematisch in die Praxis umgesetzt                                                zept; und zur Verortung des Gesund­
wird. Um bislang ignorierte Innova­                                                 heitshauses in neuen Förderkontexten
tionsgelegenheiten zu erkennen, wird                                                über den Gesundheitsbereich hinaus,
die Expertise von Bürgerinnen und                                                   beispielsweise Nachhaltigkeit. Darü­
Bürgern zusammengebracht mit wis­                                                   ber hinaus entstanden neue Netz­
senschaftlicher Expertise. „Innovation                                              werke zwischen den beteiligten Ein­
Salons“ sind ein Veranstaltungsformat,               Julia Stadermann               richtungen. Zwei weitere Innovation
                                                    Tel. 03362 793 227
mit dem das Projektteam, bestehend                                                  Salon-Tandems sind in Planung.
                                             julia.stadermann@leibniz-irs.de
aus Suntje Schmidt und Julia Stader­
mann, dieses Ziel verfolgt. Innovation       Julia Stadermann ist Wirtschafts­      Das Projekt ist Teil des „Innohub13“-
Salons generieren keine abschließen­         psychologin und wissenschaftliche      Verbunds der Technischen Hochschule
den Lösungen. Stattdessen eröffnen         Mitarbeiterin der Forschungsabteilung    Wildau und der Brandenburgischen
sie neue Perspektiven auf Problem­         „Dynamiken von Wirtschaftsräumen“.       Technischen Universität Cottbus-Senf­
lagen und bringen Menschen zusam­         Im Rahmend es Projekts „Open Region:      tenberg. Es wird gefördert aus dem
                                          Regionale Problemlagen als Ausgangs-
men, denen nicht bewusst war, dass                                                  BMBF-Programm „Innovative Hoch­
                                          punkte von Innovationen“ forscht sie zu
sie eine gemeinsame Problemwahr­           problemgetriebenen Innovationen und      schule“.
nehmung und Lösungskompetenz                neuen Formaten eines dialogischen
teilen. Das Format ist in seiner jetzi­               Wissenstransfers.

IRS AKTUELL No 96 | Juli 2021                                                                                              7
Sozial und digital Innovationen für das Landleben - Leibniz-Institut für Raumbezogene ...
Neues Forschungsprojekt von IRS und neuland21

                 Wie digital ist das ländliche
                         Ehrenamt?
Nicht erst seit der COVID-19-Pandemie, aber durch sie noch einmal verstärkt, gilt Digitalisierung als
zentraler Entwicklungsfaktor für ländliche Räume. Die ländliche Zivilgesellschaft und ihr ehrenamtliches
Engagement rücken dabei zunehmend in den Fokus: Sie sind auf digitales Handwerkszeug angewiesen.
Doch es gibt kaum Daten darüber, wie stark ehrenamtliches Engagement auf dem Land bereits digita-
lisiert ist. In diese Lücke stößt ein neues Projekt des IRS in Kooperation mit neuland21 vor.

Seit 2015 erforscht die Abteilung „Kom­                                               auch in der Wissenschaft fehlt bislang
munikations- und Wissensdynamiken                                                     eine differenzierte und evidenzbasierte
im Raum“, wie soziale Innovationen in                                                 Betrachtung ländlicher Räume beim
ländlichen Räumen vorangetrieben                                                      Thema Digitalisierung des Ehrenamts.
werden, welche Probleme sie lösen                                                     Die Forschung hierzu steckt noch in
und wie sie politisch unterstützt wer­                                                den Kinderschuhen.
den können. Das Leitprojekt „Smart
Villagers“ nimmt konkret in den                                                       Die Forschungsabteilung begann des­
Blick, wie Digitalisierungsschritte                                                   halb im Mai 2021 unter Leitung von
und soziale Innovationen zusammen­                                                    Ariane Sept und gemeinsam mit dem
spielen (siehe auch IRS aktuell 94,                                                   Think and Do Tank neuland21 mit der
S. 15: „Digitale Lösungen für periphere                                               Arbeit am neuen Forschungsprojekt
Dörfer“, Download im Kasten „Zum                                                      „Zwischen Appstore und Vereinsregis­
Weiterlesen“). Über alle betrachteten                                                 ter – Ländliches Ehrenamt auf dem Weg
Fälle hinweg zeigt sich, dass soziale                  Dr. Ariane Sept                ins digitale Zeitalter“, kurz „AppVeL“.
Innovationen und Digitalisierungs­                   Tel. 03362 793 146               Das Projekt soll ein aktuelles Bild des
projekte in ländlichen Regionen oft              ariane.sept@leibniz-irs.de           Einsatzes von und Umgangs mit digi­
bottom-up im Bereich des Ehrenam­                                                     talen Technologien im Ehrenamt in
                                                 Ariane Sept ist Soziologin und
tes passieren oder ehrenamtlich vor­                                                  Deutschland mit Fokus auf die länd­
                                          stellvertretende Leiterin der Forschungs-
angetrieben werden. Häufig sind diese          abteilung „Kommunikations- und         lichen Räume schaffen – differenziert
digital unterstützten sozial-innovati­        Wissensdynamiken im Raum“. Ihre         nach Raumtypen, Organisationsprofi­
ven Initiativen politisch gewollt und        Forschungsschwerpunkte sind aktu-        len und Altersstruktur der Engagier­
durch öffentliche Gelder gefördert.        elle Entwicklungen ländlicher und städ-    ten. Darauf aufbauend soll das Projekt­
                                             tischer Räume, soziale Innovationen,     team eine fundierte Einschätzung zu
                                          gesellschaftlich-räumliche Be- und Ent­
In den letzten Jahren mehren sich                                                     den Chancen und Risiken des Techno­
                                           schleunigung sowie europäische Stadt-
Kampagnen, mit denen eine Digita­                    und Regionalpolitiken.           logieeinsatzes im ländlichen Ehrenamt
lisierung des Ehrenamts gezielt unter­                                                treffen. Denn die Vorteile der Digita­
stützt werden soll. Im Zuge der COVID-                                                lisierung für das Ehrenamt insbeson­
19-Pandemie wurde der Bedarf an                                                       dere im ländlichen Raum in Politik und
digitalen Tools und damit einherge­                                                   Zivilgesellschaft werden – nicht zuletzt
hendem Wissen besonders deutlich.                                                     vor dem Hintergrund verstärkter
Gleichzeitig scheint aber die Kampa­                                                  Digitalisierungsdebatten im Zuge der
gnen- und Förderpraxis zur Digitali­                                                  COVID-19-Pandemie –zwar immer wie­
sierung des Engagements in ländlichen                                                 der hervorgehoben, jedoch gibt es bis­
Räumen einer Bestandsaufnahme                                                         lang kaum systematisches Wissen über
derselben vorauszueilen: systemati­                                                   die tatsächliche Verbreitung digitaler
sche Erkenntnisse zur Nutzung digi­                                                   Technologien im ländlichen Ehrenamt.
taler Werkzeuge und Praktiken im                                                      Dazu gehören etwa digitale Kommu­
Ehrenamt in Deutschland liegen bis­                                                   nikationsmittel und Projektmanage­
lang kaum vor. Sowohl in der Praxis als                                               ment-Tools, soziale Medien oder Apps.

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Sozial und digital Innovationen für das Landleben - Leibniz-Institut für Raumbezogene ...
IRS AKTUELL No 96 | Juli 2021   9
Sozial und digital Innovationen für das Landleben - Leibniz-Institut für Raumbezogene ...
Das Projekt untersucht mit Hilfe einer                                             tive Erfahrungen mit digitalen Treffen
Online-Befragung ehrenamtlicher Or­-                                               gemacht, die Ausstattung mit techni­
ga­
  nisationen sowie Experten- und                                                   schen Endgeräten für alle Beteiligten
Vertiefungsinterviews                                                              erfolgt dabei aber oft über persönliche
                                                                                   Netzwerke oder informelle Leihstruk­
ƒ in welchem Umfang und in welcher                                                 turen. Außerdem zeigte sich beispiels­
  Art und Weise die Digitalisierung in                                             weise, dass der oft vorhandene Bedarf
  die ehrenamtliche Arbeit Einzug ge­              Zum Weiterlesen                 an Unterstützung und Schulung den
  halten hat,                                                                      persönlichen Kontakt braucht.
ƒ ob und inwiefern sich raumbezogene,      BMFSFJ. (2020). Dritter
  organisationsbezogene oder andere        Engagementbericht. Zukunft Zivil­       In der Praxis des ehrenamtlichen
                                           gesellschaft: Junges Engagement
  Unterschiede in der Verbreitung und                                              Engagements gewann das Thema
                                           im digitalen Zeitalter.
  Nutzung digitaler Technologien fest­       bmfsfj.de/bmfsfj/service/           Digitalisierung auch schon vor der
  stellen lassen,                            publikationen/dritter-engagement-     COVID-19-Pandemie an Bedeutung.
ƒ welche Chancen und Risiken digita­         bericht-156434                        Im Fokus des Dritten Engagement­
  le Technologien für die weitere Ent­                                             berichts des Bundesministeriums
  wicklung des ländlichen Ehrenamts        DSEE. (2021). Wir - Deutsche Stiftung   für Familie, Senioren, Frauen und
  bieten,                                  für Engagement und Ehrenamt.            Jugend (BMFSFJ), welcher 2018 beauf­
ƒ welche Unterstützungsbedarfe im            deutsche-stiftung-engagement-        tragt und 2020 vorgelegt wurde, stand
  Kontext der Digitalisierung des             und- ehrenamt.de/wir                 von Beginn an „Junges Engagement im
  Ehrenamts bestehen sowie                                                         digitalen Zeitalter“. In dem Bericht
ƒ welche Rolle das zivilgesellschaftlich    IRS aktuell 94:                       auf S. 24 heißt es, es ließen sich allge­
  getragene Engagement für die Digita­       Digitale Tools und Visuelle Medien    mein „zwei unterschiedliche Heran­
  lisierung im ländlichen Raum spielt.                                             gehens- und Umgangsweisen mit der
                                                                                   Digitalisierung im Engagementsek­
Vor dem Hintergrund der Befunde,                                                   tor erkennen: Ein Teil der Organisa­
dass ländliche Entwicklung beson­                                                  tionen nimmt die Digitalisierung als
ders häufig ehrenamtlich vorange­                                                  eine schwer greifbare Herausforde­
trieben wird, ist die Beantwortung                                                 rung wahr, ein anderer Teil setzt die
dieser Fragen auch für eine inno­                                                  Potenziale einer gemeinwohlorientier­
vative und gemeinwohlorientierte                                                   ten Digitalisierung bereits aktiv um“.
ländliche Entwicklung mit Blick auf
die Stärkung gleichwertiger Lebens­                                                Der Bericht beschreibt mit Blick auf
verhältnisse von Bedeutung.                                                        Digitalisierung fünf Typen von Enga­
                                                                                   gement-Organisationen: die aktiv Vor­-
Erste Untersuchungen lassen den                                                    denkenden, die tatkräftig Vermitteln­
Digitalisierungsgrad und auch die                                                  den, die ressourcenstark Gestaltenden,
Erfahrungen im Umgang mit digita­                                                  die pragmatisch Nutzenden und die
len Anwendungen je nach Raumtyp,                                                   zurückhaltend Skeptischen. Dabei
Organisationsprofil und Altersstruktur                                             seien die zurückhaltend Skeptischen
als höchst unterschiedlich erscheinen.                                             vor allem Vereine, welche „in der Regel
Auch von Hürden in der Nutzung digi­                                               auf regionaler Ebene arbeiten“ (S. 23).
taler Technologien aufgrund unzurei­                                               Man kann davon ausgehen, dass es sich
chender technischer Kenntnisse wird                                                hierbei in nicht unerheblichen Teilen
nach wie vor berichtet. Die aktuellen                                              um Vereine in ländlichen Räumen
Einschränkungen von persönlichen                                                   handelt.
Treffen und Versammlungen haben
der gesamten Thematik zuletzt eine                                                 Aktuelle Initiativen zivilgesellschaft­
neue Dynamik verliehen und sowohl                                                  licher Akteure setzen sich ebenfalls
Vor- als auch Nachteile zahlreicher                                                verstärkt mit den Potenzialen der
digitaler Anwendungen, die in der                                                  Digitalisierung für ehrenamtliches
Krise verstärkte Nutzung erfahren                                                  Engagement auseinander. Genannt
haben, deutlich werden lassen. Dorf­                                               seien beispielsweise das vom Bundes­
vereine oder Gemeindevertretungen                                                  netzwerk Bürgerschaftliches Engage­
haben zwar inzwischen häufig posi­                                                 ment im November 2019 begonnene

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„Forum Digitalisierung und Engage­                                                    vor allem in die wissenschaftlich aka­
ment“, die Caritas-Kampagne 2019                                                      demische Gemeinschaft kommunizie­
„Sozial braucht digital“ oder die För­                                                ren, spricht neuland21 insbesondere
derkampagne „digital.engagiert“ des                                                   die Praxisgemeinschaft an und wird
Stifterverbandes.                                                                     aus dem Projekt heraus auch praxis­
                                                                                      nahe Bildungsmaterialien erstellen.
Erste Förderprogramme der im März
2020 gegründeten Deutschen Stiftung                                                   AppVel wird vom Bundesministerium
für Ehrenamt und Engagement las­                                                      für Ernährung und Landwirtschaft
sen ebenfalls erkennen, dass diese die                                                (BMEL) aus dem Bundesprogramm
Förderung von Online-Angeboten und                                                    Ländliche Entwicklung (BULE) geför­
digitalen Infrastrukturen als essenziell                                              dert. Es in eine Gemeinschaft von elf
für die Arbeit von ehrenamtlichen Ins­                                                BULE-geförderten Forschungsprojek­
titutionen im Allgemeinen und in länd­                  Berit Barutzki,               ten, die in ganz Deutschland zum The­
lichen Räumen im Besonderen ansieht                     Projektleiterin               menfeld „Ehrenamtliches Engagement
und sie entsprechend stärken will. Auch         Zivilgesellschaft & Ehrenamt          in ländlichen Räumen“ forschen.
plant die Stiftung Bildungsangebote                     bei neuland21,
                                                berit.barutzki@neuland21.de
für Engagierte zur Digitalisierung im
Ehrenamt zu entwickeln, wobei noch          Berit Barutzki unterstützt als Projekt-
unklar ist, welche konkreten Bedarfe        leiterin bei neuland21 den Programm­
hierbei bedient werden sollen.             bereich Zivilgesellschaft und Ehrenamt.
                                             Sie ist außerdem Doktorandin an der
Im Forschungsprojekt AppVeL koope­         Otto-von-Guericke-Universität Magde-
riert das IRS eng mit neuland21. Dabei     burg und forscht zu Diversität und digi-
                                            talen Transformationsprozessen in der
werden gezielt die unterschiedlichen        Zivilgesellschaft. Nach ihrem Master­
Kompetenzen und Netzwerke der bei­             abschluss an der Vrije Universität
den Partnerorganisationen gebündelt:       Amsterdam arbeitete sie als Teamleitung
Während die Projektbeteiligten am IRS              einer Ehrenamtsplattform.

IRS AKTUELL No 96 | Juli 2021                                                                                             11
Position

                            Politik für ländliche Räume
                 Initiativen ernst nehmen,
                Innovationen unterstützen!
Engagiert, kreativ, innovativ – Sozialunternehmen und Initiativen bringen ländliche Räume voran. Die
Forschung des IRS zeigt, dass auch Regionen, die als peripher und „abgehängt“ gelten, Potenziale für
neue Ideen und Lösungen haben und dieses nutzen. Doch um in der Fläche zu wirken, braucht das Enga-
gement bessere Rahmenbedingungen. Für Politik und Förderpraxis heißt das: Infrastrukturen bereit-
stellen, Anerkennung stiften und Innovationen zum Durchbruch verhelfen.

Die Probleme ländlicher Räume,                                                       Orientierungspunkt der Förderpolitik
gerade in strukturschwachen und zen­                                                 für ländliche Entwicklung sein.
trenfernen Regionen, sind bekannt:
Abwanderung und Leerstand, Verlust                                                   Digitalisierung priorisieren
von Kulturangeboten, Dienstleistun­
gen und Infrastrukturen, zu wenig                                                    Neue Ideen werden von Problemen und
Arbeits-, Bildungs- und Lebensper­                                                   Gelegenheiten getrieben. Die Grenze
spektiven. Nicht erst seit der Covid-                                                zwischen beiden ist nicht scharf und
19-Pandemie zeigt sich im ruralen                                                    oftmals eine Frage der Wahrnehmung:
„Hinterland“ großer Metropolen aber                                                  Ein leerstehender Gasthof ist aus Sicht
auch ein gegenteiliger Trend, näm­                                                   der Dorfgemeinschaft ein Problem, aus
lich wachsende Wanderung von der                                                     dem Blickwinkel einer zuziehenden
Stadt aufs Land, die neue Heraus­                                                    Architektin aber vielleicht ein Poten­
forderungen mit sich bringt: Gibt es                                                 zial. Fehlende Mobilfunk- und Breit­
genug Bandbreite, Schienenkilometer                                                  bandversorgung schafft den Impetus,
                                              Prof. Dr. Gabriela Christmann
und Kitaplätze für die Stadtflüchtigen?             Tel. 03362 793 270               den alten Dorfladen als Wireless-Hot­
Werden neue Pendelverkehre indu­            gabriela.christmann@leibniz-irs.de       spot neu zu beleben. Ausgedünnte
ziert? Funktioniert Home-Office auf                                                  medizinische Versorgung ist der Anlass
Dauer, oder müssen die Büroarbeits­          Gabriela Christmann ist außerplan­      für neue Telemedizinkonzepte, länd­
plätze nachziehen?                        mäßige Professorin für Raum-, Wissens-     liches Coworking ist (vielleicht, siehe
                                            und Kommunikationssoziologie an der      S. 16) die Antwort auf fehlende digi­
                                           TU Berlin und leitet die Forschungsab-
Wir haben in unserer Forschung                                                       tale Arbeitsorte, und das per Smart­
                                          teilung „Kommunikations- und Wissens-
danach gefragt, wie neue Lösungen für       dynamiken im Raum“ des IRS. In ihrer     phone buchbare Dorfauto reagiert auf
typische Probleme ländlicher Räume        aktuellen Forschung beschäftigt sie sich   Mobilitätsengpässe. Dies provoziert die
entstehen. Dabei konzentrierten wir        mit digital unterstützen sozialen Inno-   Frage, ob die Innovativität der länd­
uns auf zwei Phänomene: die Entste­        vationen im ländlichen Raum sowie der     lichen Gesellschaft womöglich Ver­
hungsprozesse sozialer Innovationen,       Mediati­sierung von Planungsprozessen.    sorgungsmängel selbst überwinden
die neuartige Lösungen für die ein­                                                  kann – und damit den Staat von sei­
gangs angesprochenen Probleme her­                                                   ner Verpflichtung befreit, gleichwer­
vorbringen, und Sozialunternehmen,                                                   tige Lebensverhältnisse herzustellen.
die eine soziale oder ökologische Mis­
sion mit einem privatwirtschaftlichen                                                Die Antwort lautet ganz klar „nein“.
Geschäftsmodell kombinieren. Beide                                                   Denn die besagten Innovationen ent­
sind für die Zukunftsfähigkeit ländli­                                               stehen bei Weitem nicht überall und
cher Räume von zentraler Bedeutung.                                                  nur unter seltenen Voraussetzungen –
Was wir über sie gelernt haben, sollte                                               dazu später mehr. Der Staat spielt dabei
nach unserer Auffassung ein wichtiger                                                eine widersprüchliche Rolle, mal als

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IRS AKTUELL No 96 | Juli 2021   13
Verhinderer, mal als Ermöglicher. In                                                  sich festmachen, wie essenziell es ist,
jedem Fall verantwortet die öffentli­                                                 die Verwaltung digital zu ertüchtigen.
che Hand wesentliche Rahmenbedin­                                                     Ministerien auf Landes- und Bundes­
gungen – Infrastrukturen, Regularien,                                                 ebene leisten wiederum wichtige Bei­
Verwaltungskapazitäten, Qualifizie­                                                   träge für überörtliche Vernetzung und
rungsangebote – für die Entstehung,                                                   die Verbreitung neuer Konzepte.
vor allem aber für die erfolgreiche Aus­
breitung von Innovationen. Wir spre­                                                  Ein Organisationstyp steht beson­
chen uns dafür aus, dass die In­­fra­-                                                ders für das Handeln an durchläs­
strukturpolitik für ländliche Räume                                                   sigen Systemgrenzen, nämlich das
sich den Gedanken der Innovation zu                                                   Sozialunternehmen. Ob in Pflege, Bil­
eigen macht und aktiv die kreativen                                                   dung, Inklusion, Tourismus, Landwirt­
Ideen aufgreift, die Landbewohnerin­                                                  schaft, Handel, Kultur oder regiona­
nen und -bewohner entwickeln.                                                         ler Entwicklung: Sozialunternehmen
                                                      Dr. Ralph Richter               erschließen auf kreative Weise neue
Die Digitalisierung muss dabei eine                  Tel. 03362 793 215               Geschäftsmodelle und verfolgen
zentrale Position einnehmen. Digitale            ralph.richter@leibniz-irs.de         damit eine soziale oder ökologische
Tools, digitale Konnektivität und digi­                                               Mission. Sie bringen so selbst soziale
                                              Ralph Richter ist wissenschaftlicher
tale Kompetenzen sind die entschei­           Mitarbeiter der Forschungsabteilung     Innovationen hervor oder beteiligen
dende Ressource für die Entwicklung         „Kommunikations- und Wissensdynami-       sich an ihrer Entstehung. Sozialunter­
und Umsetzung neuer Konzepte. Mag            ken im Raum“. Seine Forschungs- und      nehmen sind zu einem gewissen Maß
im Einzelfall die Selbsthilfe bei feh­      Interessensschwerpunkte liegen auf den    gewinnorientiert, führen ihre Profite
lender Breitbandversorgung ein Inno­         Themen ländliche Entwicklung, soziale    aber nicht an externe Investoren ab.
                                           Innovation, Sozialunternehmertum sowie
vationsimpuls sein, so überwiegt bei                                                  Regelmäßig subventionieren sie mit
                                             Dorf- und Stadtquartiersentwicklung.
weitem die Rolle der Digitalisierung als                                              einem Geschäftsbetrieb, etwa einem
Ermöglicher, für Medizin, gegenseitige                                                Einzelhandelsangebot, eine soziale
Hilfe, Nahversorgung, Mobilität, Bil­                                                 Agenda, etwa im Bildungsbereich. In
dung, Unternehmertum und Arbeit.                                                      einer Studie für das brandenburgische
                                               Download der Studie
Fast alle Dörfer haben zudem in jün­        „Marktorientierte Sozialunternehmen       Wirtschaftsministerium konnten wir
gerer Zeit einen Verlust an Kommu­           in Brandenburg“                          zeigen, dass Sozialunternehmen im
nikation im und über den Ort erlebt,                                                  ländlichen Raum überdurchschnitt­
einen Verlust also am wichtigsten                                                     lich präsent sind und in hohem Maß
„Klebstoff“ einer Gemeinschaft. Wir                                                   ländliche Problemstellungen adres­
haben beobachtet, dass digital vermit­                                                sieren, etwa in Landwirtschaft und
telte Kommunikation zu verbesserter                                                   Umweltschutz.
Face-to-face-Kommunikation führen
und somit Dörfer neu beleben kann,         tive Initiativen werden von einer gro­     Sozialunternehmen stoßen in Lücken
wodurch diese wiederum attraktiver         ßen Bandbreite engagierter Personen        vor, die der Staat gelassen hat, sie erset­
für Zuziehende werden. Jede Strate­        vorangetrieben: Zugezogene und Alt­        zen ihn jedoch nicht. Sie handeln
gie für ländliche Räume muss deshalb       eingesessene, Fachleute und Laien,         anders als öffentliche Einrichtungen.
auch die digitale Handlungsfähigkeit       Bürgermeister*innen und Gemein­            Ihre Vernetzung vor Ort, aber auch
aller Menschen in diesen Räumen in         devertreter*innen. Auffällig ist dabei,    über die Region hinaus, ermöglicht es
jedem Schritt mitdenken. Breitband an      dass nicht die Zivilgesellschaft allein    ihnen, lokale Gelegenheiten zu erken­
jeder Milchkanne? Ja, bitte.               Trägerin der Initiative ist, sondern       nen und sie mit „importierten“ Ideen
                                           staatliche Stellen auf unterschiedli­      zu innovativen Ansätzen zu rekombi­
Staat oder Gesellschaft?                   chen Ebenen mitwirken. Gerade die          nieren. Sozialunternehmen kooperie­
Staat und Gesellschaft!                    Verwaltung auf Kreis- und Gemein­          ren dabei mit der öffentlichen Hand
                                           deebene gibt dabei oft den Ausschlag.      und sind auch auf ihr Entgegenkom­
Eine Ebene tiefer, bei der Frage, wer      Ist sie fit und engagiert – was sie vie­   men angewiesen.
konkret neue Lösungen vorantreibt,         lerorts ist, wenn auch bei Weitem nicht
zeigt sich ein weiteres Mal, dass die      immer und überall – multipliziert sie      In diesem offenen Raum des Zusam­
Dichotomie „Staat versus Gesell­           die Wirkmacht der Bürgerinnen und          menwirkens sind Sichtbarkeit und
schaft“ nicht trägt. Sozial-innova­        Bürger. An dieser zentralen Rolle lässt    Anerkennung ein geteiltes Gut, das

14                                                                                                   IRS AKTUELL No 96 | Juli 2021
es zu kultivieren gilt. Bürgerschaft                                                  sensensibel eingesetzt werden können,
und Lokalpolitik in Landgemeinden,                                                    um sozialen Innovationen in ländli­
aber auch lokale Verwaltungen müs­                                                    chen Räumen zum Durchbruch zu ver­
sen als Gestalter ländlicher Räume                                                    helfen. In der Latenz- und Problematisie-
ernst genommen werden und gerade                                                      rungsphase kommt es darauf an, dass
von höheren administrativen Ebenen                                                    Kommunikation überhaupt zustande
die entsprechenden Ressourcen und                                                     kommt. Dafür müssen Räume geschaf­
Spielräume bekommen. Sozialunter­                                                     fen werden, digital (z. B. Plattformen)
nehmen benötigen umgekehrt mehr                                                       und „analog“ (z. B. Begegnungsorte in
Anerkennung in Verwaltungen und                                                       Dörfern). In der Entstehungsphase geht es
Ministerien, wo immer noch der klas­                                                  darum, die richtigen Personen zu fin­
sische privatwirtschaftliche Investor                                                 den und anzusprechen, die ein Projekt
das Bild von Unternehmen prägt. Die                                                   vorantreiben können, und ihnen Res­
Szene der Sozialunternehmen selbst ist                                                sourcen an die Hand zu geben. Dazu
oft zu wenig vernetzt und sich ihrer                   Dr. Ariane Sept                braucht es Netzwerke und Hilfe bei der
Rolle nicht immer bewusst. Sie muss –                Tel. 03362 793 146               Fördermittelbeantragung. In der Justie-
nach innen und nach außen – sichtba­             ariane.sept@leibniz-irs.de           rungsphase werden Kinderkrankheiten
rer werden. Maßnahmen auf verschie­                                                   ausgemerzt und eine neue Lösung wird
                                                 Ariane Sept ist Soziologin und
denen Ebenen, von einem Preis für das     stellvertretende Leiterin der Forschungs-   in die Breite getragen. Dafür braucht es
Sozialunternehmen des Jahres bis zu            abteilung „Kommunikations- und         Zugang zu Expertise, regulatorisches
einer Reform des restriktiven Steuer­         Wissensdynamiken im Raum“. Ihre         Entgegenkommen – und finanzielle
rechts für gemeinnützige Organisatio­        Forschungsschwerpunkte sind aktu-        Förderung.
nen, würden helfen.                        elle Entwicklungen ländlicher und städ-
                                             tischer Räume, soziale Innovationen,
                                                                                      Apropos Geld. Eigentlich gibt es aus­
                                          gesellschaftlich-räumliche Be- und Ent­
Innovationsfreundliche                     schleunigung sowie europäische Stadt-      reichend Projektförderung für ländli­
Förderlandschaft                                     und Regionalpolitiken.           che Räume. Die Förderlandschaft setzt
                                                                                      aber überwiegend an Wirtschaftsbran­
Soziale Innovationen lassen sich nicht                                                chen an, etwa Tourismus oder Land­
erzwingen. Ihre Entstehung hängt                                                      wirtschaft. Damit liegt sie quer zur
davon ab, ob zahlreiche begünsti­                                                     Logik sozialer Innovationen, die sich
gende Faktoren zusammenkommen.                                                        über Sektoren hinweg ähneln und oft
Beispielsweise so: Im Gespräch vor Ort                                                mehrere Bereiche miteinander ver­
erkennen Menschen ein Problem als                                                     knüpfen, sich aber stark je nach Ent­
Gelegenheit. Ein Blick von außen kann                                                 wicklungsstand unterscheiden. Gerade
bei dieser Umdeutung helfen, oft sind                                                 in der Frühphase fehlt den Akteuren
deshalb Zugezogene oder Zurückkeh­                                                    zudem meist das Wissen über passende
rende die kreativen Impulsgeber. Aus      ein, professionalisieren das Projekt.       Förderprogramme. Statt weitere Mit­
eigenen Erfahrungen und erkannter         Menschen nutzen das neue Angebot,           tel für ländliche Innovationsförderung
Gelegenheit generieren sie eine Idee.     erst am Ort, dann darüber hinaus.           zu fordern, empfehlen wir deshalb,
Die Idee wird im kleinen Kreis geteilt,   Das Projekt kann ausgeweitet werden,        die bestehende Förderlandschaft viel
erfährt Unterstützung und wird von        gewinnt eine breite Nutzerbasis und         stärker sektorübergreifend zu gestal­
einem oder mehreren Schlüsselfigu­        wird irgendwann zum Referenzpro­            ten und materielle wie auch immate­
ren – ein Oberbegriff für besonders       jekt für andere Regionen.                   rielle Maßnahmen (Coaching, Bera­
engagierte, führungsstarke und ver­                                                   tung, Networking) auf die konkreten
netzte Personen – entschieden vor­        Wir haben diese – idealisierte – Abfolge    Bedarfe der Menschen auszurichten,
angetrieben. Dank guter Vernetzung        einer erfolgreichen Innovation in Pha­      die in ländlichen Räumen innovative
und Vorerfahrung können Förder­           sen systematisiert. Jede dieser Phasen      Ideen vorantreiben. Ideen lassen sich
mittel eingeworben, ein Pilotprojekt      bringt ihre eigenen Herausforderun­         weiterhin nicht erzwingen. Aber die
gestartet, vielleicht ein Sozialunter­    gen mit, und an jeder dieser Herausfor­     Chance, dass sie entstehen, lässt sich
nehmen gegründet werden. Externe          derungen kann eine Innovation schei­        steigern. Ihr Erfolg sollte künftig weni­
Expertise kommt dazu: Fachleute von       tern. Wir haben deshalb Maßnahmen           ger vom Zufall und mehr von ihrem
außen bringen technische, administ­       benannt, die auf unterschiedlichen          Potenzial abhängen.
rative und strategische Kompetenzen       politisch-administrativen Ebenen pha­

IRS AKTUELL No 96 | Juli 2021                                                                                               15
Interview mit Suntje Schmidt zu kollaborativen Arbeitsorten auf dem Land

               „Auf dem Land ist die soziale
                 Komponente wichtiger“
Coworking Spaces, FabLabs, Maker Spaces und Repair Cafés – sie alle stehen für neue Formen des
gemeinsamen Arbeitens, teils wirtschaftlich, teils ideell motiviert, und für eine neue Offenheit des
Zugangs zu Arbeitsmitteln, technischen wie organisatorischen. Lange galten sie als städtisches Phäno-
men, ihre Ausbreitung begann in den großen Metropolen. In jüngerer Zeit finden sie sich zunehmend
auch auf dem Land. Ein neues aus dem EU-Forschungsprogramm Horizon 2020 finanziertes Marie Sklo-
dowska-Curie Innovative Training Network (ITN) nimmt jetzt kollaborative Arbeitsorte – so lautet der
Überbegriff für die genannten Einrichtungen – in ländlichen und peripheren Regionen in den Blick: Was
unterscheidet sie von ihren urbanen Pendants? Wie können sie das Leben und Arbeiten auf dem Land
verbessern? Unter der Leitung der Wirtschaftsgeographin Suntje Schmidt beteiligt sich das IRS am ITN
CORAL, in welchem 15 Early Stage Researchers an ihren Promotionen arbeiten werden. Im Interview
erklärt Schmidt, was von dem Netzwerk zu erwarten ist.

Frau Schmidt, worum geht                                                             sche Dimension im Vordergrund. Aus
es in CORAL?                                                                         meiner Sicht können kollaborative
                                                                                     Arbeitsorte aber auch zum sozialen
Um zwei Dinge. Einmal geht es darum,                                                 Zusammenhalt auf dem Land beitra­
aus der Forschungsperspektive zu fra­                                                gen, etwa zwischen den Generationen
gen: Was sind und was charakterisiert                                                oder auch zwischen Neuankömmlin­
kollaborative Arbeitsorte in ländli­                                                 gen und Alteingesessenen. Mir fällt das
chen und peripheren Regionen? Wel­                                                   Beispiel Alte Schule Letschin ein – ein
che Rolle spielen sie für Erwerbsarbeit,                                             Ort im Oderbruch, kurz vor der polni­
welches Potenzial haben sie aber auch                                                schen Grenze. Dort wurde ein öffent­
in einem weiteren Sinn für die regio­                                                lich getragener Coworking Space in
nale Entwicklung? Zum anderen geht es                                                einem alten Schulgebäude eingerich­
in einem Marie Curie-Netzwerk immer                                                  tet. Der Manager hat alle Letschiner
um praxisnahe Ausbildung. In unserem                                                 eingeladen, alte Schulbilder mitzu­
                                                   Prof. Dr. Suntje Schmidt
Netzwerk sind kollaborative Arbeitsorte              Tel. 03362 793-172
                                                                                     bringen. Daraus wurde eine Ausstel­
vertreten, die den Blickwinkel des ope­         suntje.schmidt@leibniz-irs.de        lung gemacht. So ist nicht nur ein
rativen Managements einbringen. Alle                                                 Arbeitsort für Zugezogene oder Selb­
15 Early Stage Researchers (ESR) werden       Suntje Schmidt ist kommissarische      ständige aus der Region entstanden,
Praxisaufenthalte haben. Sie sollen hin­      Abteilungsleiterin der Forschungs­     sondern es wurden auch die Alteinge­
terher sowohl in der Forschung als auch    abteilung „Dynamiken von Wirtschafts-     sessenen hereingeholt und es entstand
                                           räumen“ und zugleich Juniorprofessorin
in der Praxis arbeiten können. Diese                                                 ein Begegnungsraum. Darin liegt ein
                                           für Angewandte Wirtschaftsgeographie
Praxisorientierung unterscheidet ein        an der Humboldt-Universität zu Berlin.   großes Potenzial.
ITN etwa von einer Graduiertenschule.         Ihre Forschungsschwerpunkte sind
                                            Geographien der Arbeit, insbesondere     Ist das der Ansatz bzw. der
Ländliches Coworking ist ja                 kreativer Arbeit und prekärer Arbeits-   Beitrag von CORAL, auch die
                                           märkte, problemgetriebene Innovationen
schon ein Thema in der öffent­                 und regionale Innovationspolitik.     soziale Dimension zu be­
lichen Debatte. Wie nehmen                                                           leuchten?
Sie diese Diskussion wahr?
                                                                                     Der Mehrwert von CORAL ist, dass
Es werden große Hoffnungen auf diese                                                 wir offen herangehen und schauen:
Orte gesetzt. Dabei steht die ökonomi­                                               Was passiert dort? Welche Dynami­

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CoWorkLand ist ein genossen­
                                schaft­liches Netzwerk von
                                Coworking Spaces auf dem Land.
                                Es unterstützt Gründung und
                                Betrieb von Coworking Spaces
                                in ländlichen Räumen.

IRS AKTUELL No 96 | Juli 2021                                    17
ken beobachten wir, was sind die Her­                           die Coworking Spaces errichten. Es
ausforderungen solcher Orte und wie         „Kollaborative      sieht momentan danach aus, dass auf
sehen sie sich selbst? Ein Teilprojekt                          dem Land ein größerer Teil der Orte
setzt sich auch mit der Genderperspek­    Arbeitsorte können    noch bottom-up organisiert wird, aus
tive auseinander, dieser Aspekt ist in                          den Bedarfen der Trägerorganisatio­
der Forschung bisher unterbeleuchtet.        zum sozialen       nen und der Betreibenden heraus.
Letztlich geht es dabei um die Frage                            Die soziale Komponente ist stärker,
von Offenheit und Schließung: Wer ist      Zusammenhalt auf     Sozialunternehmertum ist ein großes
hier beteiligt, wer ist eher außen vor?                         Thema. Wir erwarten auch hinsicht­
Da diese Orte im Diskurs überwiegend      dem Land beitragen,   lich der Arten der dort stattfindenden
positiv konnotiert sind, lohnt es sich                          Aktivitäten Unterschiede zu sehen.
auch, kritisch zu fragen, welchen Bei­     etwa zwischen den
trag sie wirklich leisten und wie der                           Gibt es in unterschiedlichen
aussieht. Aus politischer Sicht geht es    Generationen oder    europäischen Ländern unter­
um die Frage: Kann und soll man diese                           schiedliche Blickwinkel und
Orte fördern? Wenn ja, wie? Es gibt im       auch zwischen
                                                                Erwartungen an kollaborative
Netzwerk ein Work Package mit mehre­
ren Dissertationen, die sich mit Impact   Neuankömmlingen und   Arbeitsorte auf dem Land, etwa
beschäftigen; überwiegend qualitativ,                           als soziale Infrastrukturen?
dabei geht es um Wert und Bewertung       Alteingesessenen.“
aus Sicht der regionalen Akteure, zum                           Nach meiner persönlichen Beobach­
Teil aber auch quantitativ.                                     tung ist der Diskurs in Frankreich,
                                                                Italien und Griechenland schon etwas
Nun ist die Kategorie                                           länger ausgeprägt als bei uns. Auch die
„kollaborative Arbeitsorte“ sehr                                Frage der Förderung wird dort anders
breit. Darunter fallen sehr viele                               gestellt. Ich glaube, dass in Deutsch­
                                                                land und Österreich eher ein pragma­
unterschiedliche Einrichtungen
                                                                tischer Zugang herrscht: Jemand sieht
wie FabLabs, Maker Spaces,                                      eine Gelegenheit, kommt mit der Bür­
Coworking Spaces, Repair                                        germeisterin oder dem Clustermana­
Cafés. Kann man diese Vielfalt                                  ger ins Gespräch, und eine Lösung wird
überhaupt unter einem Begriff                                   gefunden. Es gibt aber – noch – keine
                                                                strukturierte Förderung. Es wird jedoch
zusammenfassen?
                                                                durchaus darüber nachgedacht, ob bei­
Es ist ein sehr diverses Feld, und die                          spielsweise größere Coworking Spaces
Frage der Definition ist nicht endgül­                          im ländlichen Brandenburg geeignet
tig geklärt. Ein Vorhaben in CORAL                              wären, Pendlerströme nach Berlin zu
ist es, eine Art Typisierung für kol­                           verringern. Es gibt auch die Diskussion,
laborative Arbeitsorte in ländlichen                            ob wir etwa Coworking Spaces an Bahn­
Regionen zu erstellen. Wir erwarten,                            höfen brauchen. Das wird verstärkt
darüber herrscht unter den Beteilig­                            durch die Erfahrungen, die wir in der
ten ein Konsens, dass kollaborative                             Pandemie gemacht haben.
Arbeitsorte auf dem Land zwar Ähn­
lichkeiten mit ihren städtischen Pen­                           Welche Auswirkungen hat
dants haben, dass sie sich aber auch                            denn die COVID-19-Pandemie
von ihnen unterscheiden.                                        auf die Diskussion um solche
                                                                Orte?
Was ist über diese
Gemeinsamkeiten und                                             Es geht hier ja um Orte, in denen
Unterschiede bekannt?                                           Begegnungen geschaffen werden
                                                                sollen, auch durch spezielle Formate
Wir wissen noch nicht so viel darüber.                          – also genau das, was gerade nicht
Ein bekannter Unterschied bezieht                               geht. Projektpartner*innen aus Ita­
sich auf die Art der Ökonomisierung.                            lien und Frankreich berichten, dass
In Städten findet man inzwischen oft                            eine ganze Reihe von Orten geschlos­
Ketten wie beispielsweise WeWork,                               sen wurde. Wir selbst mussten in der

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Phase der Vertragsunterzeichnung für     diese Idee von woanders                  gen auf periphere Räume. Daraus ist
CORAL eine neue Partnerorganisation      „herübergeschwappt“?                     CORAL entstanden. Der Vorteil der
aus der Praxis finden, weil ein Unter­                                            praxisnahen Ausbildung in CORAL ist,
nehmen im Konsortium die Pande­          Da gibt es unterschiedliche Erklä­       dass wir sehr breit und zugleich struk­
mie nicht überstanden hatte. Andere      rungsansätze. Manche sehen in den        turiert an eine offene Frage herange­
berichten aber, dass gerade in der       Hacker Spaces des Chaos Computer         hen können. Wir bringen die Leute, die
Pandemie Orte neu gegründet wur­         Clubs den Ursprung dieser Bewe­          schon sehr ausgewiesen sind, mit 15
den und besonders gut funktionie­        gung, manche sehen die Freien Werk­      Nachwuchsforscher*innen zusammen,
ren, möglicherweise weil sie genau       stätten der 1970er-Jahre als Ursprung,   die neu einsteigen und neue empiri­
auf die Bedarfe von ihren Nutzer*in­     und manche verweisen auf den ersten      sche Beiträge leisten. Das ist eine gute
nen in der Pandemie eingehen, die ja     Coworking Space in San Francisco. Ich    Art, ein Themenfeld zu erschließen,
trotz allem Umgebungen brauchen,         würde sagen, dass durch die Digitali­    über das noch wenig bekannt ist.
in denen sie weiterarbeiten können.      sierung und die Entwicklung zu einer
Durch die Pandemie ist noch deutli­      Wissensgesellschaft einfach ein Bedarf   Wie würden Sie das CORAL-
cher geworden, dass es neben einem       nach neuen Arbeitsorten entstanden       Konsortium beschreiben?
Büro am Firmensitz und dem priva­        ist, und deshalb sind gerade in gro­
ten Home-Office weitere Orte geben       ßen Städten fast überall auf der Welt    Das CORAL ITN wird von Vasilis
muss, an denen Arbeit sicher und fle­    entsprechende Angebote entstanden.       Avdikos von der Panteion University
xibel organisierbar ist. Nur Home-                                                in Athen koordiniert, einem Wissen­
Office geht auf Dauer nicht, wie viele   Kommen wir zurück zum                    schaftler, der seit vielen Jahren in
in der Pandemie schmerzlich erfahren     ITN CORAL: Warum wird das                diesem Forschungsfeld profiliert ist.
haben, aber das klassische Büro wird     Thema in der Form eines EU-              Darüber hinaus sind weitere interdis­
gerade, auch durch Corona, ebenfalls                                              ziplinäre wissenschaftliche Expert*in­
                                         finanzierten Ausbildungs­netz­
zunehmend hinterfragt.                                                            nen in das Konsortium eingebunden.
                                         werks behandelt und nicht in             Ich empfinde es als einen besonderen
Wo steht eigentlich Europa in            einer anderen Form?                      Mehrwert von CORAL, dass das Netz­
dieser Diskussion? Sind kolla­                                                    werk interdisziplinär ausgerichtet ist
borative Arbeitsorte in Europa           Es gibt ja ein anderes Format, ein       mit einer starken wirtschaftswissen­
                                         COST-Netzwerk* zur Geographie neuer      schaftlichen Komponente, auch mit
erfunden worden, oder ist
                                         Arbeitsorte und ihren Auswirkun­         quantitativer Forschung, und zugleich

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