Steinkohle 2018 Gesamtverband Steinkohle e. V - Gesamtverband Steinkohle e. V.

 
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Steinkohle 2018
                                                   Gesamtverband Steinkohle e. V.

                                 Steinkohle 2018

Gesamtverband Steinkohle e. V.
Steinkohle 2018 Gesamtverband Steinkohle e. V - Gesamtverband Steinkohle e. V.
Titelbild: Förderturm Fürst Leopold, 2009, Regina Schumachers

Kurzvita der Künstlerin Regina Schumachers

Sie wuchs im Aachener Revier mit dem Bergbau auf. Der Vater war als Diplom-Geologe auf der Grube Anna
in Alsdorf beschäftigt. Ihr Ehemann studierte Bergbau in Aachen und promovierte in Clausthal-Zellerfeld.

Studium der Malerei und Zeichnung bei Prof. Markus Lüpertz
Ernennung zur Meisterschülerin
Gründungsmitglied der internationalen Künstlergruppe Breitengrad e.V.

Motive aus dem Bergbau spielen eine zentrale Rolle in ihrem Werk. Derzeit beschäftigt sie sich als
Künstlerin mit der Frage: Was kommt nach der Kohle?

Ausstellungen (Auswahl):
Madrid, Davos, Kattowitz, Salzburg, München, Villach,
RUHR.2010 Kulturhauptstadt Europas, Museum Energeticon Alsdorf
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Gesamtverband Steinkohle e.V.

Jahresbericht 2018
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Ein Wort zuvor

„Der erste Jahresbericht des Gesamtverbandes des
deutschen Steinkohlenbergbaus, der das Jahr 1969
sowie die weiteren Entwicklungen bis Ende Septem-
ber 1970 behandelt, umfaßt einen Zeitraum großer
Veränderungen für den Bergbau.“

So lautete der erste Satz des Vorwortes aus dem Jahres-      deutschen Steinkohlenbergbau bis zum Ende des Jahres
­bericht „Steinkohle 1969/70“ des im Jahr 1968 gegrün-       2018 notwendig sind.
 deten Gesamtverbandes (GVSt). Wortgleich oder ähnlich
 hätten nahezu alle Berichte seitdem eingeleitet werden      Nun rücken, an der Schwelle zur endgültigen Nachberg-
 können, denn die fünf Jahrzehnte seit Gründung des Ver­-    bauzeit für die Steinkohle, die Themen zur Begleitung
 bandes und der Ruhrkohle AG waren von stetigen Verände-     der künftig anstehenden Aufgaben noch weiter in den
 rungen und Anpassungen geprägt. Am Ende dieses Jahres       Vordergrund. Der verantwortliche Umgang mit den Berg-
 wird nun die Steinkohlenförderung in Deutschland endgül-    baufolgen, die Entwicklung der bisher für die Förderung
 tig beendet. Dies ist auch für den Gesamtverband, dessen    genutzten Flächen und die Bewältigung der sogenannten
 Geschichte eng mit der heutigen RAG Aktiengesellschaft      Ewigkeitsaufgaben werden den Verband ebenso beschäfti-
 verwoben ist, eine bedeutende Wegmarke.                     gen wie die RAG Aktiengesellschaft und die RAG Montan
                                                             Immobilien GmbH.
Ausgehend von einer im Jahr 1858 mit dem Verein für die
bergbaulichen Interessen (VbI) begonnenen Geschichte         Der vorliegende Jahresbericht in diesem für uns besonde-
der Verbände im und für den Steinkohlenbergbau wurde         ren Jahr 2018 wirft einen Blick zurück in die Verbandshis-
der GVSt als Verbändeverband für die regionalen Unter-       torie seit 1968 und unternimmt den Versuch, die aktuellen
nehmensverbände gegründet. Im Zuge der dauerhaften           Entwicklungen und die Perspektiven in diese lange Linie
Rückführung des Steinkohlenbergbaus wurde auch das           einzuordnen. Dies umfasst neben der kohle- und wirt-
Verbandswesen gestrafft, so dass nun alle Verbandsauf­       schaftspolitischen Dimension auch Fragen des Umwelt-
gaben beim Gesamtverband konzentriert sind.                  schutzes und der sozialen Sicherung.

Diese Aufgaben waren seit 1968 einem steten Wandel un-       Essen, im November 2018
terworfen, der Auftrag und die Zielrichtung der Verbands-
aktivitäten orientierten sich an den jeweiligen Rahmenbe-
dingungen für die Steinkohle. Zuletzt, spätestens seit der
kohlepolitischen Verständigung im Jahr 2007, galt es im
Schwerpunkt, den Auslauf der Förderung, beispielsweise
durch Abschluss der notwendigen Tarifverträge, mitzu­ge­     Dr. Jürgen-Johann Rupp
stalten. Gleichzeitig waren die verbandlichen Tätigkeiten    Vorsitzender des Vorstandes
sicherzustellen, die zu einer verlässlichen Förderung im     Gesamtverband Steinkohle e.V.

                                                                                                                          5
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Inhaltsverzeichnis
    Ein Wort zuvor                                                                                5
    Inhaltsverzeichnis                                                                            6
    Gastbeitrag: 2018 – Das Ende einer Ära                                                        8

    Kapitel 1
    Kohle- und Energiepolitik, Strukturwandel im Steinkohlenbergbau                              10
    Die erste Kohlekrise als Gründungsimpuls für die Ruhrkohle AG und den GVSt                   12
    Energiesicherungspolitik durch deutsche Kraftwerkskohle und Jahrhundertvertrag               14
    Versorgungsbeitrag mit Anpassungsdruck                                                       15
    Wenden der Energiepolitik sowie Kurswechsel der Steinkohlepolitik in Richtung Auslauf        17
    Regionale Entwicklung, Klimaschutzplan, Europa-Angelegenheiten                               20
    Historische Würdigung des deutschen Steinkohlenbergbaus                                      25

    Kapitel 2
    Nationaler und internationaler Steinkohle- und Energiemarkt                                  26
    Energiewirtschaftliche Einordnung der Steinkohle gestern und heute                           28
    Energiewirtschaftliches Umfeld und fundamentale Entwicklungen auf dem Steinkohlenweltmarkt   31
    Deutsche Steinkohlenimporte                                                                  36

    Kapitel 3
    Steinkohle und Umwelt                                                                        38
    Die Entwicklung des Umweltschutzes                                                           40
    Umweltschutz – Neue unternehmerische Aufgabe und Verantwortung                               41
    Wirkungsforschung im Steinkohlenbergbau                                                      42
    Bundesbodenschutzgesetz                                                                      43
    Nachhaltigkeit                                                                               43
    Vereinbarung zur Klimavorsorge                                                               43
    Grubengas                                                                                    44
    Brandschutzmaßnahmen – PCB und Reststoffe unter Tage                                         46

    Kapitel 4
    Tarifpolitik im deutschen Steinkohlenbergbau                                                 48
    Rückblick auf die Tarifverhandlungen der vergangenen 50 Jahre                                50

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Kapitel 5
Recht und soziale Sicherung                                       58
Soziale Sicherung im Bergbau                                      60
Sozialwahlen                                                      60
Deutsche Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See                  61
Gesetzliche Rentenversicherung                                    65
Anpassungsgeld                                                    68
Rehabilitation                                                    68
Berufsgenossenschaft Rohstoffe und chemische Industrie            68
Ausblick                                                          71
Alterssicherung und betriebliche Altersversorgung                 71
Zukunftsaufgaben                                                  75

Kapitel 6
GVSt – Rückblick und Ausblick                                     76
Neuordnung im Steinkohlenbergbau – Kohlegesetz vom 15. Mai 1968   78
Gründung des GVSt am 11. Dezember 1968                            79
Verbandshistorie des GVSt                                         80
Ausblick auf die Zukunftsaufgaben                                 85

Anhang
Kennzahlen des deutschen Steinkohlenbergbaus 1968 bis 2017        90
Organisation                                                      92
Impressum                                                         93
Verzeichnis der Grafiken und Tabellen                             94

                                                                       7
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2018 – Das Ende einer Ära

    Das Jahr 2018 steht für eine historische Zäsur, denn mit den Bergwerken Ibbenbüren und Prosper-Haniel
    in Bottrop schließen die letzten beiden Zechen in Deutschland. Nach rund zwei Jahrhunderten wird der
    Stein­kohlenbergbau nur noch Geschichte sein.

    Wir alle wissen, dass dieses Ende politisch gewollt war        Die Kohle kommt also vielfach aus Regionen, deren Arbeits-
    und ist. Die wesentliche Begründung wurde nicht, wie man       und Sicherheitsbedingungen mit den deutschen nicht ansatz-
    heute vielleicht meinen könnte, auf umwelt- oder klimapo-      weise mithalten können.
    litische Argumente gestützt. Vielmehr waren es fiskalische
    Gründe. Die Politik hat entschieden, dass wir einen einst      Das Ende eines im internationalen Vergleich modernen und
    wesentlichen heimischen Energieträger nicht mehr mit Milli-    sicheren Bergbaus in Deutschland aus finanziellen Gründen
    arden subventionieren wollen. Wegen der großen Teufe, aus      wirkt fragwürdig, wenn wir die deutschen Kohlesubventio-
    der wir in Deutschland Steinkohle fördern, und auch wegen      nen aus heutiger Perspektive in Relation zu aktuellen Kosten
    des hohen Aufwandes, der für möglichst gute und gesunde        für die Stromerzeugung setzen. Im Vergleich zu dem, was
    Arbeit im Steinkohlenbergbau betrieben wird, haben wir als     wir Stromkunden inzwischen als EEG-Umlage bezahlen, trug
    Gesellschaft den Unterschied der heimischen Förderkosten       der Kohlepfennig seinen Namen völlig zu Recht.
    zu den viel günstigeren Weltmarktpreisen durch Beihilfen
    ausgeglichen. Hierbei stand nicht allein die Versorgungs-      Seit dem Beginn der staatlichen Förderung 1960 sind im
    sicherheit im Mittelpunkt, auch die seit den 1960er Jahren     Schnitt etwas mehr als 2 Mrd. € pro Jahr in die deutsche
    umgesetzte Sozialverträglichkeit der Personalanpassungen       Steinkohle geflossen. Dies entspricht in etwa dem, was die
    wurde so sichergestellt.                                       Stromkunden im Januar 2018, also in nur einem Monat, an
                                                                   EEG-Umlage gezahlt haben. Im gesamten Jahr 2018 beträgt
    Seit Jahrzehnten und besonders seit 2007 sind wir also         die Relation zwischen den verbleibenden Steinkohlenbei-
    damit beschäftigt, die Folgen des Auslaufs für die Bergleute   hilfen und dem Subventionsäquivalent im EEG ungefähr
    und die Reviere so gering wie möglich zu halten. Und spüren    1: 25. Die ökonomische Vernunft, mit der die Politik einst
    doch gerade im Jahr des endgültigen Abschieds von der          den Ausstieg aus der Steinkohle begründete, scheint bei der
    Steinkohlenförderung, wie diskutabel dieser Weg ist. Wir       Energiewende keine Rolle zu spielen.
    werden die Kohleverstromung noch lange brauchen, weil
    ein Kernkraftwerk nach dem anderen vom Netz geht und die       Dennoch gilt es nun, Bilanz zu ziehen. Ich tue dies aus Sicht
    erneuerbaren Energien noch immer keinen grundlastfähigen       der Menschen in den Revieren und der Bergleute, die ihrer
    Strom liefern.                                                 IG BCE bis heute die Treue halten.

    Der Unterschied besteht darin, dass wir die Steinkohle         Das Ausmaß des Strukturwandels wird deutlich, wenn wir
    künftig nicht mehr aus dem Ruhrgebiet oder dem Saarland        in die Hochzeit des Bergbaus zurückgehen. 1957 hatten wir
    beziehen, sondern aus Russland, Kolumbien und den USA.         in Deutschland noch mehr als 600 000 Beschäftigte in 173

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Steinkohle 2018 Gesamtverband Steinkohle e. V - Gesamtverband Steinkohle e. V.
Gastbeitrag

Bergwerken – der weit überwiegende Teil davon im Ruhr­          wandel hat. Mit der Finanzierung der Ewigkeitslasten sowie
gebiet. Selbst für eine Region mit mehr als 5 Mio. Einwoh-      der Förderung von Wissenschaft, Kunst und Kultur, mit der
nern ist so etwas nicht leicht zu verkraften. Die historische   Evonik als einem zukunftsträchtigen Unternehmen, einem
Leistung ist zweifelsohne, diesen gewaltigen Personalabbau      Global Player mit Sitz im Ruhrgebiet und guten Industriear-
sozialverträglich gestaltet zu haben. Die IG BCE und ihre       beitsplätzen, mit den Anteilen an Vivawest als einem der
Vorgängergewerkschaften haben daran einen großen Anteil.        führenden Wohnungsanbieter in NRW. Insgesamt mit guten
Niemand fällt ins Bergfreie – diese Losung ist für uns bis      Tarifverträgen und Mitgestaltung durch Betriebsräte wie im
heute Auftrag und Motivation, übrigens weit über den Berg­-     Aufsichtsrat. Das ist das deutsche Modell von Hochleistung
bau hinaus. Sie zu erfüllen, bedurfte vor allem in den ver-     und sozialer Balance.
gangenen 25 Jahren einer großen personal- und tarifpoliti-
schen Kreativität. Ein sinkendes Arbeitsvolumen auf mehr        In diesem Jahr wird es darum gehen, die Errungenschaf-
Schultern zu verteilen, Zechenschließung um Zechenschlie-       ten und Leistungen des deutschen Steinkohlenbergbaus
ßung personell abzufedern, war eine gewaltige Herausfor-        zu würdigen und gleichzeitig Perspektiven für die Zukunft
derung. Vor allem für die Bergleute: Freischichten, Gehalts-    aufzuzeigen. Das tun wir als IG BCE gemeinsam mit RAG-
einbußen, Umzüge – aber auch innovative Tarifverträge zu        Stiftung, RAG Aktiengesellschaft und Evonik Industries AG
Teilzeitarbeit oder die frühe Einführung von Langzeitkonten     in der Initiative „Glückauf Zukunft!“, die eine große Zahl an
kennzeichneten den Anpassungsprozess.                           Veranstaltungen und Projekten unterstützt.

Viele haben längst andere Jobs in der Industrie: in der Che­    Es gibt bereits jetzt viele vorzeigbare Erfolgsgeschichten
mie, in der Braunkohle, in der Kohleverstromung, andere in      in den Revieren, aber es gilt weiter das Ziel, neue Indust-
der Dienstleistung – vom Handwerk über die Bahn bis hin         rien und Unternehmen mit hoher Wertschöpfung und guter
zu pflegenden Berufen. Klar ist aber auch: Ohne staatliches     Arbeit zu entwickeln, die in der Lage sind, die nächste große
Anpassungsgeld und Vorruhestand wäre der sozialverträgli-       Ära hier zu prägen.
che Personalabbau nicht möglich gewesen. Die IG BCE hat
den Anspruch, dass auch mit dem Ende des Steinkohlen-
bergbaus am 21. Dezember 2018 für jeden Betroffenen eine
Lösung gefunden wird.
                                                                Michael Vassiliadis
Ich möchte an dieser Stelle auch daran erinnern, welche Be-     Vorsitzender der Industriegewerkschaft
deutung die RAG-Stiftung für einen verkraftbaren Struktur-      Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE), Hannover

                                                                                                                                9
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Kapitel 1
     Kohle- und Energiepolitik,
     Strukturwandel im
     Steinkohlenbergbau

     Glückauf, der Steiger geht
     2009

10
Die erste Kohlekrise als Gründungsimpuls für die Ruhrkohle AG und den GVSt
     Die Gründung des Gesamtverbandes des deutschen Steinkohlenbergbaus, heute Gesamtverband
     Steinkohle e.V. (GVSt), folgte unmittelbar auf die Gründung der Ruhrkohle AG im Jahr 1968. Die
     Verbands­arbeit des GVSt verläuft seither sachlich und zeitlich parallel zu den kohle- und energiepo-
     litischen Weichenstellungen sowie dem Strukturwandel im deutschen Steinkohlenbergbau, dem die
     Ruhrkohle AG und, aus ihr später hervorgehend, die RAG Aktiengesellschaft (RAG) ausgesetzt waren
     oder den sie selbst aktiv vollzogen haben. Zwar waren die direkten Mitglieder des GVSt am Anfang
     noch die Unternehmensverbände aller westdeutschen Steinkohlenreviere (Ruhr, Saar, Aachen und Nie-
     dersachsen) – und 1968 sogar Bayern – und, durch diese repräsentiert, damals noch eine ganze Reihe
     anderer Unternehmen, Bergwerke und Institutionen außerhalb der Ruhrkohle AG und der Ruhrregion.
     Und im Vorwort des ersten Jahresberichts des GVSt von 1970 hieß es im Plural: „Die Unternehmen und
     Gemeinschaftsorganisationen (des deutschen Steinkohlenbergbaus) haben sich neu formiert.“ Gleich-
     wohl setzten von Anfang an die Ruhrkohle AG bzw. später der RAG-Konzern, in dem schließlich alle
     Unternehmen des deutschen Steinkohlenbergbaus aufgingen, die Akzente der Verbandsarbeit.

     Der Gründung von Ruhrkohle AG und GVSt waren gut zehn          herbeizuführen“. Dieses letzte Ziel, so lässt sich heute
     Jahre Kohlekrise und Zechensterben, eine Vielzahl von          konstatieren, konnte trotz großer Anstrengungen nicht
     kohlepolitischen Bemühungen um deren Bewältigung und           erreicht werden. Das gewählte Instrumentarium hat
     zuletzt ein zentrales nationales Kohlegesetz, das „Gesetz      sich jedoch über fünf Jahrzehnte bewährt, um zumin­-
     zur Anpassung und Gesundung des deutschen Steinkohlen-         dest einen sozialverträglichen Anpassungs- und am
     bergbaus und der deutschen Steinkohlenbergbaugebiete“          Ende dann Auslaufprozess zu bewirken.
     vom 15. Mai 1968, vorausgegangen. Mit diesem Gesetz
     sollte nach den Worten des damaligen Bundeswirtschafts-        Diese Kontinuität zeigt sich auch darin, dass bestimm-
     ministers Schiller die „Kohlepolitik in Deutschland auf        te kohlepolitische Themen der Verbandsarbeit und in
     eine völlig neue Grundlage“ gestellt werden. Erklärter         den Jahresberichten über diese fünf Jahrzehnte aktuell
     Zweck waren ein verschärfter Rationalisierungsprozess          geblieben sind. Hierzu zählen die Anpassung – bzw.
     durch Unternehmenskonzentration sowie eine stärkere            zeitweise auch Stabilisierung – der inländischen Stein­
     Anpassung der bergbaulichen Produktion an die Absatz-          kohlenförderung (1970 betrug sie noch 111 Mio. t),
     möglichkeiten und eine am Markt orientierte, wenngleich        die wirtschaftliche Konsolidierung des schrumpfenden
     staatlich unterstützte Verkaufspolitik, um dadurch letztlich   Steinkohlenbergbaus, die Minimierung der Kosten, die
     eine „dauerhafte Gesundung des Steinkohlenbergbaus             Regelung der Altlasten, Kohlenreserven, die Aufwen-

12
Kapitel 1 Kohle- und Energiepolitik, Strukturwandel im Steinkohlenbergbau

  Kohlepolitische Beschlüsse im Kontext der energiepolitischen Programmatik
  Steinkohlenförderung
  Mio. t v. F.
            1968 Kohlegesetz
            Gründung RAG
                                                                                                                 Eckpunkte einer
    120       1969 Hüttenvertrag                                                                                 kohlepolitischen
                                                                                                                 Verständigung
                          1973 Energieprogramm der Bundesregierung
                                                                                                                 2007
                             1974 3. Verstromungsgesetz                                                          Rahmenvereinbarung
    100                           1. Fortschreibung des Energieprogramms                                         zur sozialverträglichen
                                                                                                                 Beendigung der Stein­
                                                                     1989                                        kohlenförderung
                                                                     Kanzlervereinbarung                         Steinkohlefinanzierungs-
                                                                           1991                                  gesetz
     80                                                                    Kohlerunde mit Kohlekonzept 2005
                              1977                                         Energiepolitisches Gesamtkonzept
            10-Jahres-Vereinbarung                                         der Bundesregierung
                   GVSt/VDEW/VIK                                                                                         2010
                                                                                     1995
              2. Fortschreibung des                                                                                      EU-Ratsbeschluss
                                                                                     Gesetz zur Umstellung
     60          Energieprogramms                               1990
                                                                                     der Steinkohleverstromung           zu staatlichen Beihilfen
                                       1980                 Deutsche
                          Jahrhundertvertrag                  Einheit
              Novelle 3. Verstromungsgesetz
             Novelle Importkontingentgesetz                                                                                 2011
                                                                            1994                                            Streichung
     40                                                             Artikelgesetz
                                                                                                                            Revisionsklausel
                                                          Kohlepfennig-Urteil des
                                                       Bundesverfassungsgerichts
                                                                                     1997
                                                             Kohlepolitische Vereinbarung
     20                                                           Gesetz zur Neuordnung
                                                                   der Kohlesubventionen               2003
                                                                                            Kohlepolitische
                                                                                              Vereinbarung
                                                                                                  bis 2012
      0
             1970                        1980                      1990                         2000                 2010                   2018

dungen der öffentlichen Hand sowie von Anfang an auch                           Heizölsteuer, die ursprünglich als Schutzmaßnahme für
Europa-Themen und die Einflüsse der internationalen                             die heimische Steinkohle im Wärmemarkt eingeführt und
Energiemärkte.                                                                  später – für ganz andere energiepolitische Zwecke und aus
                                                                                fiskalischen Gründen – weiter aufrechterhalten wurde. Die
Neben diversen Maßnahmen zur Unterstützung der betrieb­                         damalige Neuausrichtung der Kohlepolitik stand auch dafür,
lichen Rationalisierungsanstrengungen und Kapazitätsan-                         den Grundgedanken der Versorgungspflicht des Steinkohlen-
passungen bis hin zu Stilllegungsprämien sowie Forschungs-                      bergbaus, der aus der Nachkriegszeit und dem EGKS-Vertrag
fördermaßnahmen und Investitionshilfen spielten in der                          stammte, besser mit dem Strukturwandel im Energiemarkt
Kohlepolitik seither direkte Maßnahmen zur Stabilisierung                       – der erste Jahresbericht des GVSt sprach diesbezüglich von
des Steinkohlenabsatzes eine immer größere Rolle. Zuvor                         einem „Klimawechsel“ – und einer mehr marktwirtschaft-
hatte es bereits indirekte Maßnahmen zur Absatzstabili­                         lichen Betrachtungsweise in Einklang zu bringen. In dieser
sierung gegeben wie die Kontingentierung der Steinkohlen-                       Zeit begann zugleich die Überlagerung der Kohlepolitik
importe aus Drittländern (das heißt außerhalb von EGKS                          durch eine nach und nach immer breiter gefächerte natio-
und EG) sowie die Selbstbeschränkungsvereinbarung                               nale Energiepolitik. Auch die Energiepolitik der Europäischen
beim Heizölabsatz, die ab 1968 zunehmend aufgeweicht                            Gemeinschaften spielte eine immer größere Rolle. Kohle­
wurde und später entfallen ist. Hierzu gehörte auch die                         politik war danach von Energiepolitik kaum noch zu trennen.

                                                                                                                                                    13
Die Energiepolitik erlangte infolgedessen eine zentrale Rolle    und erst 2015 schließlich von den Erneuerbaren. Dadurch
     auch für die Verbandsarbeit der folgenden Jahrzehnte.            wurde für den GVSt die Absatzstabilisierung in der Stein­
                                                                      kohlenverstromung zum wichtigsten Ansatzpunkt der Stein-
     Eine kohlepolitisch maßgebliche Regelung der Absatzstabili-      kohlepolitik. Zunächst geschah dies durch die er­sten Verstro-
     sierung war schon von 1968 an die sogenannte Kokskohlen-         mungsgesetze als Grundlage für Verstromungszuschüsse
     beihilfe, die zunächst den mit der Ruhrkohle-Gründung ver-       zum Ausgleich der „Wärmepreisdifferenz“ gegenüber dem
     bundenen Hüttenvertrag flankierte. Mit dem Hüttenvertrag         Einsatz von billigem Mineralöl. Mit den Welt­ölpreiskrisen
     wurde ab 1968 zunächst für 20 Jahre – Mitte der 1980er           1973/74 und 1979/80 änderten sich jedoch – temporär –
     Jahre dann mit Modifikationen verlängert bis zum Jahr 2000       die Preisrelationen und die Steinkohlenverstromung wurde
     – kollektiv vereinbart, dass die deutsche Stahlindustrie ihren   mittels der ersten Energieprogramme zu einem Instrument
     Kokskohlebedarf ausschließlich aus inländischer Produktion       aktiver Energieversorgungspolitik zur Begrenzung der Ölab-
     deckte. Nach 2000 wurde der Hüttenvertrag nicht mehr             hängigkeiten. Der GVSt begrüßte dies damals ausdrücklich,
     verlängert und durch Einzelverträge abgelöst. Als Ausgleich      hatte er doch zuvor wiederholt vor „energiepolitischem
     gegenüber der internationalen Konkurrenz, die preisgüns-         Attentismus“ gewarnt. Nach der Bewältigung der Kohlekrise
     tigere Kokskohle vom Weltmarkt beziehen konnte, wurde            wurde Energiekrisenvorsorge für lange Zeit zum Leitmotiv
     dem Steinkohlenbergbau staatlicherseits die Kokskohlen-          der deutschen Kohlepolitik, eingebettet in andere politische
     beihilfe gewährt, die im Volumen zunächst überschaubar           Maßnahmen der Energiesicherung wie den Ausbau der
     blieb und zeitweise sogar ausgesetzt werden konnte. Erst ab      Kernenergie und anderes mehr.
     Ende der 1970er Jahre erreichte sie in Verbindung mit den
     europäischen Strukturkrisen im Stahlsektor beträchtliche         Vor diesem Hintergrund kam es wenige Jahre später zu
     Größenordnungen und spielte als Finanzierungshilfe für den       einem Höhepunkt der kohlepolitischen Verbandsarbeit, dem
     Absatz heimischer Kokskohle an die deutsche Stahlindustrie       Abschluss des sogenannten Jahrhundertvertrages zwischen
     bis zur Beendigung des subventionierten Steinkohlenberg-         Steinkohlenbergbau und Elektrizitätswirtschaft, der als eine
     baus eine Rolle. Zu den Aufgaben des GVSt gehörte es in          Verbändevereinbarung zwischen dem GVSt einerseits (als
     diesem Zusammenhang, die Entwicklungen des Kokskohle-            Vertragspartner für den gesamten deutschen Steinkohlen-
     und Koksbedarfs der Stahlindustrie zu verfolgen. Daneben         bergbau) und den Verbänden der öffentlichen Elektrizitäts-
     wurden bestimmte, mit der Kokskohlenbeihilfe verbundene          wirtschaft (damals VDEW) und der industriellen Energie-
     Dienstleistungen erbracht – dies geschah insbesondere            und Kraftwirtschaft (VIK) andererseits am 23. April 1980
     durch die zur Dokumentation der jeweiligen Liefermengen          geschlossen wurde. Flankiert durch die mit den mehrfach
     beim Verband eingerichtete damalige Abrechnungsstelle            erneuerten Verstromungsgesetzen vorgesehenen Verstro-
     des Steinkohlenbergbaus GmbH.                                    mungszuschüsse für den Einsatz deutscher Steinkohle war
                                                                      schon 1977 eine längerfristige Liefervereinbarung getroffen
     Energiesicherungspolitik durch deutsche                          worden. Diese wurde mit den 1980 vor dem Hintergrund der
     Kraftwerkskohle und Jahrhundertvertrag                           zweiten Weltölpreiskrise vertraglich festgelegten Ergän-
     Nachdem die deutsche Steinkohle in den 1950er und 1960er         zungsvereinbarungen – die in den Medien als „Jahrhundert-
     Jahren massive Einbrüche in ihrem früheren Hauptabsatzbe-        vertrag“ tituliert wurden – dann bis 1995 verlängert. Dieser
     reich, dem Wärmemarkt, erlitten hatte und Ende der 1960er        15-Jahres-Zeitraum wurde in drei Jahrfünfte mit festen, im
     Jahre auch der Bedarf des bis dahin zweitgrößten Abnahme-        Zeitablauf überdies steigenden Liefer- und Abnahmever-
     bereichs, der Stahlindustrie, stark gesunken war (und auch       pflichtungen unterteilt. (1989 erfolgte eine nachverhandelte
     danach weiter zurückging), wurde der Verkauf von Kraft-          mengenmäßige Anpassung. Durch die nach langer Prüfung
     werkskohle seither der wichtigste Absatzbereich des deut-        erst 1992 erteilte wettbewerbsrechtliche EU-Genehmigung
     schen Steinkohlenbergbaus und die Steinkohle für längere         mussten zuletzt noch weitere, allerdings nicht substanzielle
     Zeit die Haupteinsatzenergie der deutschen Stromerzeu-           Modifikationen vorgenommen werden.) Für den Ausgleich
     gung. Das änderte sich erst in den 1980er Jahren durch den       der Mehrkosten des Einsatzes heimischer Steinkohle in
     Ausbau der Kernenergie, ab 1990 wurde dann Steinkohlen-          der Stromerzeugung wurden nach einem ausdifferenzier-
     strom – später zunehmend auch aus Importsteinkohle bereit-       ten System weiterhin staatliche Zuschüsse gewährt. Die
     gestellt – anteilsmäßig vom Braunkohlenstrom übertrumpft         Finanzierung dieser Zuschüsse erfolgte bis Ende 1995 durch

14
Kapitel 1 Kohle- und Energiepolitik, Strukturwandel im Steinkohlenbergbau

Unterzeichnung des „Jahrhundertvertrages“, 23. April 1980 (v. l. : Günther Niehage und Hartmut Boeck für die Vereinigung Deutscher Elektri­
zitätswerke, Karlheinz Bund und Heinz Reintges für den Gesamtverband des deutschen Steinkohlenbergbaus) – Quelle: Reintges, 1989

ein unselbstständiges Sondervermögen des Bundes, den                    sammenbruch des Ostblocks und der deutschen Einheit eine
„Ausgleichsfonds zur Sicherung des Steinkohleneinsatzes“.               Zeitenwende auch für die deutsche Energiepolitik gegeben,
Dessen Mittel wurden durch eine Sonderabgabe auf den                    nachdem bereits seit Mitte der 1980er Jahre die internatio-
Stromverbrauch, den sogenannten Kohlepfennig, aufge-                    nalen Öl- und andere Energiepreise deutlich gefallen waren.
bracht. Im Zeitablauf wuchs jedoch der Mittelbedarf des                 Krisenvorsorge schien sehr viel weniger nötig, und Deutsch-
Ausgleichsfonds, in der Spitze im Jahr 1994 auf umgerech-               land hatte mit der ostdeutschen Braunkohle auf einmal er-
net rund 3,2 Mrd. €, was zu verstärkter Kritik speziell am              heblich größere heimische Energieressourcen. Die Bedeu-
Kohlepfennig führte. Durch das Kohlepfennig-Urteil des                  tung der Energiesicherungspolitik und die Akzeptanz ihrer
Bundesverfassungsgerichts von 1994 wurde zwar nicht                     öffentlichen Kosten nahmen ab, zugleich nahm der Subven-
dessen Finanzierungszweck in Frage gestellt, aber das dafür             tionsbedarf der deutschen Steinkohle durch die Verbilligung
gewählte Instrument der Sonderabgabe für nicht mehr (nach               der Konkurrenzenergien zu. Bereits 1990 legte eine von der
1995) verfassungsgemäß erklärt. – Wenige Jahre später ist               damaligen Bundesregierung beauftragte Kohle-Kommission
jedoch mit dem EEG zur Einspeisung regenerativen Stroms                 unter Leitung des nordrhein-westfälischen CDU-Politikers
und der auf den Stromverbrauch erhobenen EEG-Umlage ein                 Prof. Paul Mikat einen Bericht mit Grundsatz­empfehlungen
ganz ähnliches System entstanden, das trotz im Zeitablauf               zur Neujustierung der deutschen Steinkohle­politik vor. An der
weitaus stärker gestiegener Subventionsvolumina politisch               Arbeit dieser Kommission konnte auch der GVSt mitwirken
und auch verfassungsrechtlich bislang erheblich mehr Rück-              und stellte auch ein Mitglied der Kommission. Verband und
halt bekommen hat. Zumindest konzeptionell hat hierfür das              Unternehmen hatten im Vorfeld bereits intensiv Möglichkei-
Kohlepfennig-System Pate gestanden.                                     ten der Kostenbegrenzung im Steinkohlenbergbau geprüft.
                                                                        Daraufhin wurde vom damaligen Bundeswirtschaftsminister
Versorgungsbeitrag mit Anpassungsdruck                                  Jürgen Möllemann (FDP) eine neue Kohlerunde einberufen,
Mit Blick auf das Ende der Laufzeit des Jahrhundertvertrages            in der ein „Kohlekonzept 2005“ aufgestellt wurde, das in
bestand eine zentrale Aufgabe der Verbandsarbeit des GVSt               Verbindung mit einer Reihe anderer kohlepolitischer Maß­
darin, rechtzeitig für gesetzliche Anschlussregelungen bei              nahmen die Rückführung der Steinkohlenförderung von
der Verstromung heimischer Steinkohle einzutreten, was                  knapp 70 Mio. t (1990) auf 50 Mio. t (2005) vorsah – was
auch gelang. Indessen hatte es im Jahr 1990 mit dem Zu-                 schon von den bloßen Zahlen her zeigt, welch beträchtlicher

                                                                                                                                              15
Prognos-Studie 2007 „Regionalökonomische Auswirkungen des Steinkohlenbergbaus in NRW“ –
       Systematik der ökonomischen Wirkungen

                         Direkte Effekte                                                                       Berechnung über
                                                                                                            Input-Output-Rechnung
                         Anstoß der ökonomischen Wirkungseffekte durch:
                         > Wertschöpfung und Arbeitsplätze bei den Unternehmen
                         > Laufende Personal- und Sachausgaben
                         > Investitionen

                                                                             Indirekte Effekte
                    Berechnung über
            regionalspezifische Einkommens-                                  Produktion, Wertschöpfung und Beschäftigung
             multiplikatoren auf Kreisebene                                  resultierend aus Auftragsvergabe an Lieferanten
                                                                             für Produkte und Dienstleistungen

                                    Konsuminduzierte Effekte
                                    Produktion, Beschäftigung und Einkommen
                                    resultierend aus den Verdienstausgaben der Beschäftigten, d. h.
                                    > Konsumausgaben der Beschäftigten der Primärindustrie
                                    > Konsumausgaben der Beschäftigten in vorleistenden Wertschöpfungsstufen

                                                                    Gesamteffekt

       Quelle: Prognos AG, 2007

     Anpassungsprozess trotz der Stabilisierungsbemühungen               nen Haushaltsmitteln, der allerdings keine längerfristige
     seit 1970 erfolgt war und wie dieser nun politisch noch be-         Planungssicherheit bot und zu öffentlichen Debatten über
     schleunigt werden sollte. Und die Steinkohlepolitik war nach        eine rasche Beendigung der Steinkohlesubventionierung
     wie vor integraler Teil der nationalen Energiepolitik, wie          führte. Dies löste große Unruhe bei den Bergleuten und
     die Einbettung des Kohlekonzepts 2005 in das 1991 von der           in den Steinkohlenrevieren aus, die schließlich in einer
     damaligen Bundesregierung vorgelegte „energiepolitische             Protestwelle gipfelte. Die Bergbaugewerkschaft (damals
     Gesamtkonzept für das vereinte Deutschland“ bewies. Nach            IGBE) organisierte, auch von RAG und GVSt unterstützt, am
     wie vor wurde der heimischen Steinkohle von der deutschen           14. Februar 1997 eine mehr als 100 km lange Menschenkette
     Energiepolitik ein wichtiger Versorgungsbeitrag attestiert          der Solidarität im Ruhrgebiet. Anfang März 1997 folgten
     und damit ein Versorgungsauftrag erteilt.                           dann ein Generalstreik und massive Demonstrationen der
                                                                         Bergarbeiter vor Ort in der damaligen Bundeshauptstadt
     Mitte der 1990er Jahre galten die kohlepolitischen Bemü­            Bonn. Vor dieser Kulisse kam es zum „Kohle-Kompromiss“
     hungen der Verbandsarbeit vor allem einer Anschlussregelung         von 1997, auf dessen Grundlage das „Gesetz zur Neuord-
     für die Verstromungshilfen nach dem Ende des Jahrhundert-           nung der Steinkohlesubventionen“ erlassen wurde. Dieses
     vertrages und des Kohlepfennig-Systems. Eine solche ergab           fasste alle Steinkohlenbeihilfen für Absatzzwecke und die
     sich zunächst nur kurzfristig mit der Einführung eines neuen        Deckung von Stilllegungsaufwendungen in einem Gesamt-
     Steinkohle-Verstromungsplafonds, gespeist aus allgemei-             plafond zusammen, der zwar degressiv gestaltet wurde, aber

16
Kapitel 1 Kohle- und Energiepolitik, Strukturwandel im Steinkohlenbergbau

den ­Unternehmen Flexibilität in der Absatzgestaltung und       chen Befunde knapp zehn Jahre später auch unter anderen
einen belastbaren Finanzierungsrahmen bis zum Jahr 2005         kohlepolitischen Ausgangsbedingungen noch einmal im
versprach. Zugleich machte er weiter eine tief greifende        Grundsatz bestätigt.
Umstrukturierung des deutschen Steinkohlenbergbaus
notwendig.                                                      Der unter Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) im Jahr 1997
                                                                vereinbarte „Kohle-Kompromiss“ bis 2005 wurde auch von
Die Ruhrkohle AG, inzwischen umfirmiert in RAG Aktienge-        der ab 1998 regierenden rot-grünen Regierung Schröder
sellschaft, übernahm die Saarbergwerke AG – aus diesem          ein­gehalten und zudem auf europäischer Ebene beihilfe­
Zusammenschluss entstand die RAG Deutsche Steinkohle            rechtlich durchgesetzt. Die Regierung Schröder stellte
AG (DSK). Danach folgte die Übernahme der Preussag              2003 überdies eine ab 2006 zunächst bis 2012 vorgesehene
Anthrazit GmbH (Bergwerk Ibbenbüren) und später ebenso          Anschluss­regelung der bisherigen Finanzierungshilfen in
der letzten eigenständigen Kleinzechenbetreiber Dr. Arnold      Aussicht und erteilte dafür in Abstimmung mit dem daran
Schäfer Bergbau GmbH und Bergwerksgesellschaft Merch-           wie zuvor schon finanziell beteiligten Land Nordrhein-West-
weiler mbH im Saarland. Dadurch wurde der gesamte               falen einen ersten Zuwendungsbescheid für die Jahre 2006
deutsche Steinkohlenbergbau im RAG-Konzern konzentriert         bis 2008. Damit sollte für die heimische Steinkohle zwar der
und eine „Anpassung aus einer Hand“ möglich. Diese An-          sozialverträgliche Anpassungsprozess fortgeführt, aber eine
passung war jedoch gewaltig: Die Fördermenge sollte nun         langfristig angelegte Lebensperspektive aufrechterhalten
bis 2005 von 48 auf 30 Mio. t heruntergefahren werden.          werden – diskutiert wurde insbesondere ein langfristiger
In der Folge musste die Anzahl der noch fördernden Stein-       Sockel aus drei bis vier Bergwerken mit bis zu 10 Mio. t Jah-
kohlenbergwerke von mittlerweile noch 18 auf 9 verrin-          resförderung. Zumindest für einige Jahre war die deutsche
gert und die Zahl der Beschäftigten im Bergbau von fast         Steinkohlepolitik dadurch in ein etwas ruhigeres Fahrwasser
90 000 auf unter 40 000 reduziert werden. Dies alles sollte     gekommen.
sozialverträglich, also ohne betriebsbedingte Kündigungen
im Steinkohlenbergbau, geschehen. Tatsächlich gelang            Das galt jedoch nicht für die deutsche Energiepolitik ins­
die Anpassung durch eine außerordentliche Kraftanstren-         gesamt, denn die rot-grüne Bundesregierung leitete mit
gung der Branche mittels Mobilisierung aller denkbaren          der Einführung einer Ökosteuer, den im Jahr 2000 erfolgten
personal- und sozialpolitischen Anpassungsinstrumente,          ersten Vereinbarungen zum Atomausstieg und der Verab-
insbesondere durch die Fortführung des Anpassungsgeldes         schiedung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) wie
im Vorruhestand, sowie enger Kooperation von Arbeitgeber-       auch eines KWK-Gesetzes zusammen mit verschärften Ak-
und Arbeitnehmerseite.                                          zenten beim Klimaschutz die nationale Energiewende ein.
                                                                Diese wurde ein paar Jahre später, das heißt 2010, unter
Der Arbeitsplatzabbau betraf indessen nicht den Steinkoh-       einer schwarz-gelben Bundesregierung mit ihrem neuen,
lenbergbau allein. Die Zukunftsaktion Kohlegebiete e.V.         von klimapolitischen Zielen dominierten Energiekonzept
(ZAK) beauftragte bereits 1997 mit fachlicher Unterstützung     noch mehr forciert, seither fortgesetzt und weiter ausge-
des GVSt eine Prognos-Studie über die ­Interdependenzen         baut und stellt bis heute die energiepolitischen Weichen.
von „Steinkohlenbergbau und Wirtschaftsstruktur im Ruhr­-       Diese Umgewichtung im energiepolitischen Zieldreieck hin
revier“, die aufzeigte, dass von jedem Arbeitsplatz im Stein-   zu einer Dominanz von Umwelt- und Klimaschutzzielen zu
kohlenbergbau im Schnitt weitere 1,3 Arbeitsplätze im           Lasten der Ziele Sicherheit und Wirtschaftlichkeit der Ener-
wirtschaftlichen Umfeld abhängen und den eingesparten           gieversorgung, die schon 2001 in einem Energiebericht des
Subventionen zunächst viele Jahre beträchtliche fiskalische     Bundeswirtschaftsministeriums thematisiert und in ihren
Folgekosten durch Einnahmenverluste bei Steuern und Sozial­     Folgen erörtert wurde, hat seitdem auch die energiepoliti-
beiträgen sowie Mehrausgaben für die regional erhöhte           sche Verbandsarbeit entsprechend geprägt.
Arbeitslosigkeit gegenüberstehen. Eine im Jahr 2006 vom
GVSt unter dem Titel „Regionalökonomische Auswirkungen          Wenden der Energiepolitik sowie Kurswechsel der
des Steinkohlenbergbaus in Nordrhein-Westfalen“ beauf-          Steinkohlepolitik in Richtung Auslauf
tragte, 2007 erschienene Aktualisierung dieser Prognos-         Noch vor der forcierten Energiewende erfolgte jedoch eine
Studie hat die genannten regional- und volkswirtschaftli-       fundamentale Wende der deutschen Steinkohlepolitik,

                                                                                                                                17
nachdem es im Jahr 2005 zu Regierungswechseln sowohl in           gung solide Planungen aufgestellt werden mussten. Letzt-
     Nordrhein-Westfalen (damals von einer ebenfalls rot-grünen        lich kam die Klausel nicht zum Tragen, da sie im Zuge der
     Landesregierung hin zur schwarz-gelben Koalition unter dem        notwendigen europäischen Genehmigung der Beihilfen 2011
     CDU-Ministerpräsidenten Rüttgers) und auf Bundesebene             durch den Bundestag aus dem Steinkohlefinanzierungsge-
     zur Ablösung von Kanzler Schröder (SPD) durch Kanzlerin           setz gestrichen wurde. Die Genehmigung weiterer Beihilfen
     Merkel (CDU), zunächst (und später wieder) in einer Großen        über das Jahr 2010 hinaus wurde seitens der EU nur unter
     Koalition, gekommen war. Dadurch verschoben sich die              der Bedingung akzeptiert, dass eine endgültige Beendigung
     politischen Stimmungen und Kräfteverhältnisse dergestalt,         umgesetzt wird.
     dass schon bald ein kohlepolitischer Kurs in Richtung Aus­-
     laufbergbau eingeleitet wurde. Exemplarisch dafür war             Den Verständigungen von 2007 waren Modellrechnungen
     unter anderem eine vom Rheinisch-Westfälischen ­Institut          vorangegangen, bis wann der RAG ein Auslauf sozialver-
     für Wirtschaftsforschung (RWI), Essen, im Jahr 2006 vor-          träglich, das heißt ohne betriebsbedingte Kündigungen
     gelegte „Streitschrift gegen die Argumentationslinien des         möglich wäre. Diese durch ein unabhängiges Gutachten
     Gesamtverbandes des deutschen Steinkohlenbergbaus“,               (KPMG) gestützten Modellrechnungen führten zu dem
     die inhaltlich ganz und gar auf der Linie der damaligen CDU-      dann auch politisch verabredeten und von allen Beteiligten
     Wirtschaftsministerin von Nordrhein-Westfalen und deren           planmäßig umgesetzten Ergebnis, den Auslauf schrittweise
     Koalitionspartner von der FDP lag. Ein in dieser Form bislang     bis zum Ende des Jahres 2018 durchzuführen und den
     einmaliger Vorgang des wirtschaftspolitischen Diskurses,          deutschen Steinkohlenbergbau somit komplett stillzulegen.
     bei der ein Wirtschaftsforschungsinstitut eine „Streitschrift“    An dieser danach im Prinzip unveränderten kohlepolitischen
     erstellt, um die Argumentationslinien eines Verbandes zu          Beschlusslage und ihren Konsequenzen hatte und hat sich
     hinterfragen und ihre politische Zugkraft – besonders betraf      seither die gesamte Bergbauplanung auszurichten und der
     dies das Argument des Beitrags heimischer Steinkohle zu           Steinkohlenbergbau hat dies vereinbarungsgetreu getan.
     einem ausgewogenen Energiemix und zur Versorgungssicher-          Dies schloss auch eine einschneidende interne Anpassung
     heit – zu erschüttern. Der GVSt erstellte dazu intern eine        der Bergbauplanung nach den Erschütterungen im Saarland
     ausführliche Stellungnahme, die in komprimierter Form dann        im Jahr 2008 und die daraufhin sofort veranlasste Teilstill-
     unter der Überschrift „Politik statt Wissenschaft“ in der sei-    legung und dann 2012 vorzeitig vorgenommene komplette
     nerzeitigen Publikationsserie des Verbandes „Die deutsche         Stilllegung des Saarbergbaus mit ein. In der Folge mussten
     Steinkohle: Fakten – Analysen – Argumente“ veröffentlicht         hunderte von Saarbergleuten bis zum Ende ihres Berufs-
     wurde und den ideologischen Gehalt dieser Streitschrift dar-      lebens auf „revierfremde“ Arbeitsplätze und damit auch
     legte. Auf politischer Ebene setzte sich aber zu dieser Zeit      Wohnorte wechseln, zu einem beträchtlichen Teil sogar bis
     der wirtschaftsliberale Ansatz durch, und es wurde 2007           nach Ibbenbüren. Auch der GVSt musste daraufhin nicht nur
     dann die sozialverträgliche Beendigung des subventionierten       sein Personal in ähnlichem Tempo wie das Unternehmen
     Steinkohlenbergbaus in Deutschland in einer Rahmenver-            abbauen, sondern auch seinen Standort allein seit 2007
     einbarung von Bund, den Ländern Nordrhein-Westfalen               viermal verlegen, bis er seit 2017 wie die RAG im Welterbe
     und Saarland, der RAG und der IG BCE beschlossen – und            Zollverein und damit nun wieder in Essen logiert, wo einst
     nachfolgend planmäßig umgesetzt. Ein Bestandteil der Ver-         im Glückaufhaus alles begann. Kohlepolitisches Ziel der
     einbarung war auch eine sogenannte Revisionsklausel, nach         Verbandsarbeit ist seither nicht mehr der Erhalt zumindest
     der die Politik, konkret der deutsche Bundestag, im Jahr          eines Sockelbergbaus, sondern die Wahrung des sozialver-
     2012 prüfen sollte, ob der deutsche Steinkohlenbergbau            träglichen Auslaufs bis 2018.
     tatsächlich endgültig beendet werden soll oder ob dauerhaft
     ein Sockelbergbau erhalten bleiben sollte, um das bergmän-        Betrachtet man den Anpassungsprozess von Produktion,
     nische Know-how zu erhalten und einen kleinen Beitrag zur         Kapazitäten und Beschäftigtenzahl des Steinkohlenberg-
     Versorgungssicherheit zu leisten. Diese Revisionsklausel          baus im langfristigen Gesamtbild nach der Gründung von
     bedeutete für die RAG und ihre Beschäftigten die Option           Ruhrkohle AG bzw. RAG und GVSt bis hin zur endgültigen
     für einen längerfristigen Betrieb. Gleichzeitig stellte sie das   Stilllegung der Förderung, zeigt sich, dass hier ein Struktur-
     Unternehmen planerisch vor große Herausforderungen, da            wandel stattgefunden hat, der innerhalb der westdeutschen
     gleichzeitig für einen Sockelbergbau und für eine Beendi-         Industrie nahezu ohnegleichen ist. Am 21. Dezember 2018

18
Kapitel 1 Kohle- und Energiepolitik, Strukturwandel im Steinkohlenbergbau

  Umstrukturierung des deutschen Steinkohlenbergbaus seit dem Spitzenjahr 1957 und seit 1970
     Anzahl Bergwerke                            Steinkohlenförderung                     Belegschaftszahl in 1 000
                                                 in Mio. t v. F.
       173                                                                                   607

                                                   149

                                                              111

                  69                                                                                   253

                              2*                                        3**                                        4**

       1957      1970       2018                   1957      1970     2018                  1957       1970      2018
                                                                                        * Jahresdurchschnitt
  Quelle/Grafik: RAG                                                                    ** Planzahl Jahresende

wird im Rahmen der zentralen Abschiedsveranstaltung                 des Ruhrbergbaus gegründet und über lange Zeit ein Toch­
für den deutschen Steinkohlenbergbau auf dem Bergwerk               terunternehmen der RAG – und immer noch der größte
Prosper-Haniel im Beisein des Bundespräsidenten der letzte          Stein­kohlenstromerzeuger in Deutschland und auch Mitglied
Förderkorb heimischer Steinkohle gehoben und das Kapitel            des GVSt –, ist nach einem Intermezzo unter dem Dach der
der Steinkohlenförderung in Deutschland geschlossen                 Evonik inzwischen Eigentum eines Stadtwerke-Konsortiums
werden, ein auch emotional ganz besonderer Akt der deut-            in der Rhein-Ruhr-Region und als selbstständiger Energie­
schen Wirtschaftsgeschichte.                                        konzern im Geschäft.

Ebenfalls im Jahr 2007 beschlossen und dann umgesetzt               Mit der „Schwarz-Weiß-Trennung“ ist zugleich eine bislang
wurde die „Schwarz-Weiß-Trennung“ des damaligen RAG-                weltweit einmalige institutionelle Regelung für die Bergbau-
Konzerns. Hatte sich die RAG in den ersten 40 Jahren ihres          folgelasten gefunden worden. Denn der „weiße Bereich“
Bestehens rund um den deutschen Steinkohlenbergbau zu               ist als Grundstock für die ebenfalls 2007 erfolgte Gründung
einem spartenmäßig diversifizierten und auch international          der RAG-Stiftung eingesetzt worden. Die RAG-Stiftung ist
aktiven Konzern entwickelt, so wurde nun beschlossen, dass          die Eigentümerin der RAG und Mehrheitseignerin der Evonik
sich die RAG wieder auf ihr Kerngeschäft, den inländischen          Industries AG. Der Stiftungszweck des Vermögens der RAG-
Steinkohlenbergbau („schwarzer Bereich“), konzentriert              Stiftung ist die finanzielle Deckung der sogenannten Ewig-
und die nicht bergbaulichen Aktivitäten und Beteiligungen           keitslasten, die auf unbegrenzte Zeit nach der Beendigung
(„weißer Bereich“) davon abzuspalten und unternehmerisch            des Steinkohlenbergbaus zu bewältigen sind: die Gruben­
zu verselbstständigen sind. Daraus ist die Evonik Industries AG     wasserhaltung, die Poldermaßnahmen und die Grundwasser-
hervorgegangen, heute ein Global Player der Spezialchemie.          reinigung ehemaliger Kokereigelände. Diese umweltschüt-
Aus dieser wiederum haben sich nachfolgend die früheren             zenden Maßnahmen von öffentlichem Interesse werden als
wohnungswirtschaftlichen Aktivitäten der RAG abgelöst               Erblast der privatwirtschaftlichen Verantwortung zukünftig
und sind in der Vivawest aufgegangen. Die STEAG GmbH,               auf privatwirtschaftlicher Basis, das heißt ohne öffentliche
einst als „Steinkohlenverstromungs-Aktiengesellschaft“              Hilfen, finanziert. Die operative Durchführung der Ewigkeits-

                                                                                                                                    19
Historische Entwicklung der RAG und Zukunftsperspektive des Unternehmens im Nachbergbau

                1968                      1997                        2007                     2018                     2019

                                                                                                                     Fortführung
                                      Umbau zum                                            Beendigung der
                                                               Konzentration                                          der RAG
            Gründung als             diversifizierten                                     subventionierten
                                                             auf den deutschen                                      mit Bergbau­
            Ruhrkohle AG             Spartenkonzern                                         Steinkohlen-
                                                            Steinkohlen­bergbau                                   folgeaktivitäten:
                                        RAG AG                                               förderung
                                                                                                                  Nachbergbauära

       Grafik: RAG

     aufgaben obliegt der RAG, die dafür aus den Mitteln der                 würdigen Verabschiedung des deutschen Steinkohlenberg-
     RAG-Stiftung eine Art Dienstleistungskostenerstattung                   baus angeregt. Es wurden einige Projekte aufgesetzt, mit
     gewährt bekommt. Die zeitlich begrenzte, wenngleich noch                denen Zukunftsimpulse für die Bergbauregionen gegeben
     längere Zeit ebenfalls erforderliche Sanierung der Altlasten            werden sollen: „Glückauf Nachbarn – Modellquartier für
     einschließlich der Regulierung der Bergschäden des dann                 Integration“, „Glückauf Jugend – Kohle für coole Projekte“,
     stillgelegten Steinkohlenbergbaus finanziert die RAG nach               Schülerwettbewerb „Förderturm der Ideen“, aber auch
     2018 aus den Rückstellungen, die dafür in der Zeit der aktiven          Beteiligung an der „Gründerallianz Ruhr“. Darüber hinaus
     Steinkohlenförderung gebildet wurden. Darüber hinaus wird               wird die RAG-Stiftung ihrer Satzung entsprechend aus ihren
     sie weiterhin ihre Flächen und ihre bergbauliche Infrastruktur          Vermögenserträgen auch künftig Bildung, Wissenschaft und
     für neue Nutzungen, von Wohn- und Gewerbeansiedlungen                   Kultur in den Bergbauregionen fördern.
     bis hin zu erneuerbaren Energien – geothermische Nutzung
     von Grubenwasser, Windkraft auf Halden, Solaranlagen auf                Dass diese weiterhin gezielte Unterstützung brauchen,
     Freiflächen und Dächern, Biomasse auf Brachen etc. –, ent-              wird besonders deutlich am Beispiel des Ruhrgebiets, das
     wickeln und vermarkten. Die Zeit branchenspezifischer Sub-              trotz vielfältiger regionalpolitischer Bemühungen und eines
     ventionen ist damit für die RAG wie für den Verband vorüber.            enormen Strukturwandels weg von der Montanindustrie und
     Vielmehr tritt sie nach dem endgültigen Abschluss der Phase             hin zur modernen Dienstleistungs- und Wissensökonomie
     der aktiven Steinkohlenproduktion und einer Übergangsphase              – heute wesentlich geprägt vom Gesundheitssektor, von der
     der Stillsetzung und des Rückbaus der letzten Schachtanlagen            Logistik und der dichtesten Hochschullandschaft Deutsch-
     in eine auf unbegrenzte Dauer angelegte neue Phase des                  lands – seit langem unter einer weit überdurchschnittlichen
     Unternehmens ein, den „Nachbergbau“.                                    Arbeitslosigkeit leidet, die auch noch im Jahr 2018 die
                                                                             Quote von 10 % kaum unterschreitet. Im Vergleich dazu: Im
     Regionale Entwicklung, Klimaschutzplan, Europa-                         Jahr 1969, als die Verbandsgeschichte des GVSt begann,
     Angelegenheiten                                                         herrschte auch im Ruhrgebiet noch Vollbeschäftigung mit
     Auf der letzten Strecke dahin haben RAG-Stiftung, RAG,                  einer Arbeitslosenquote von unter 1 %. Es ist darum sehr
     Evonik und die IG BCE gemeinsam unter dem Titel „Glück-                 zu begrüßen, dass die gegenwärtige Landesregierung
     auf Zukunft!“ eine ganze Reihe von Veranstaltungen zur                  von Nordrhein-Westfalen das Auslaufen des deutschen

20
Kapitel 1 Kohle- und Energiepolitik, Strukturwandel im Steinkohlenbergbau

Steinkohlenbergbaus im Jahr 2018 zum Anlass nimmt, eine       zusammen mit der Erarbeitung energiewirtschaftlicher Maß-
neue Ruhrkonferenz zu starten, die nicht als Einmalveran-     nahmen zur Erreichung der nationalen CO2-Ziele (Schließung
staltung zur Bekanntgabe einiger „Leuchtturmprojekte“ der     der erwarteten Lücke im Jahr 2020, zuverlässige Erfüllung
Region oder eines kurzfristigen Aktionsprogramms gedacht      des CO2-Reduktionsziels für 2030) einen „Plan zur schritt-
ist, sondern einen breit angelegten, mehrstufigen, struktu-   weisen Reduzierung und Beendigung der Kohleverstromung
rierten und möglichst nachhaltigen Prozess zur Erneuerung     einschließlich eines Abschlussdatums und der notwendigen
der Region anregen soll. Der Verband befasst sich seit je     rechtlichen, wirtschaftlichen, sozialen, renaturierungs- und
auch mit strukturpolitischen Fragen, begleitete frühere       strukturpolitischen Begleitmaßnahmen“ aufzustellen. In
Ruhrgebietskonferenzen (1978 und 1988) und wird auch die      Verbindung damit sollen zudem eine „konkrete Perspektive
neue Ruhrkonferenz gern im Rahmen seiner Möglichkeiten        für neue, zukunftssichere Arbeitsplätze in den betroffenen
unterstützen.                                                 Regionen“ geschaffen werden und ein „Instrumentenmix,
                                                              der wirtschaftliche Entwicklung, Strukturwandel, Sozial­
Die Bedeutung der Energiepolitik für die eigene Verbands-     verträglichkeit, gesellschaftlichen Zusammenhalt und
arbeit ist seit den Beschlüssen zum Auslauf des deutschen     Klimaschutz zusammenbringt“. Zugleich sollen „Perspek-
Steinkohlenbergbaus zwar zurückgegangen. Sie ist aber         tiven für zukunftsfähige Energieregionen im Rahmen der
weiterhin Bestandteil der Verbandstätigkeit, zumal auch       Energiewende“ entwickelt werden. Die einschlägigen
die STEAG zu seinen Mitgliedern zählt, die RAG ihre Stein-    Ergebnisse sollen noch vor dem Jahresende 2018 vorliegen
kohlenlieferverpflichtungen bis zum letzten Tag zuverlässig   und 2019 in die gesetzliche Umsetzung des Nationalen Kli-
erfüllen muss und auch im künftigen Nachbergbau, dann mit     maschutzplans 2050 einfließen. Damit steht die Kommission
stromintensiven Betrieben (Grubenwasserhaltung, Filterun-     vor einer Herkulesaufgabe. Vertreter der Unternehmen und
gen etc.), eine sichere und kostengünstige Energieversor-     Verbände der Kohleindustrie gibt es in dieser Kommission
gung von großer wirtschaftlicher Bedeutung sein wird. Der     nicht, sondern nur Vertreter der Politik, der Gewerkschaften,
GVSt hat daher auch in den letzten Jahren die vom Begriff     der Wissenschaft, von Umwelt- und Bürgerinitiativen sowie
der „Energiewende“ hin zu einer dekarbonisierten Energie-     von Nichtkohleunternehmen und Spitzenorganisationen der
wirtschaft geprägte deutsche und europäische Energie- und     Wirtschaft. Zudem wird die Arbeit der Kommission begleitet
Klimapolitik aufmerksam verfolgt. Und er hat, wann und wo     und sozusagen eingerahmt von Steuerungskreisen aus Ver-
es angebracht schien, seine Stimme dazu erhoben. So in        tretern der Bundesregierung und mehrerer Bundesländer.
zahlreichen Abschnitten seiner Jahresberichte seit 2010 und
zum Beispiel auch Anfang 2018 in der Broschüre des Forums     Der Auftrag der Kommission betrifft nicht nur die west-
für Zukunftsenergien e.V. „Erwartungen der Branchenver-       und ostdeutsche Braunkohlenindustrie, sondern auch die
bände an die Energie- und Klimapolitik der neuen Bundes-      Steinkohlenverstromung und damit die entsprechenden
regierung“. Darin plädiert der GVSt unter der programmati-    Kraftwerksstandorte in den klassischen Steinkohlenregionen.
schen Überschrift „Nachhaltige Energiekonzepte erfordern      Der GVSt teilt hierzu die Einschätzung, wie sie die IG BCE
Weitsicht und Balance“ dafür, auf dem weiteren Weg der        oder ganz ähnlich der BDI vertreten, dass es mit und in
Energiewende auch den Zielen Wettbewerbsfähigkeit und         dieser Kommission um die seriöse Erörterung offener Fragen
Versorgungssicherheit hinreichend Rechnung zu tragen,         der Energieerzeugung und der zukünftigen Energiepreise
bei der Umsetzung des sehr ambitionierten nationalen          in Deutschland sowie um belastbare Zukunftsperspektiven
Klimaschutzplans 2050 die Aspekte Markt, Europa und In-       für die Beschäftigten und die Regionen insbesondere durch
novationen angemessen zu berücksichtigen und speziell bei     innovative Technologien gehen muss. Im Vordergrund sollte
der Fortentwicklung des EEG die darin von Anfang an und       nicht ein beschleunigter Ausstieg aus der Kohleverstromung
sinnvollerweise einbezogene Grubengas-Förderung nicht zu      stehen, sondern vielmehr der Einstieg in einen umwelt-
vergessen.                                                    gerechten und wirtschaftlich tragfähigen Strukturwandel,
                                                              der neue, gute und produktive Industriearbeit mit hoher
Im Juni 2018 begann die Arbeit der von der Bundesregierung    Wertschöpfung schafft und eine weiterhin rund um die Uhr
eingesetzten Kommission „Wachstum, Strukturwandel und         sichere und bezahlbare Energieversorgung gewährleistet.
Beschäftigung“, die landläufig auch als Kohle- bzw. Kohle-    Fraglich ist überdies, wieso eine ambitionierte Klimapoli-
ausstiegskommission bezeichnet wird. Deren Auftrag ist es,    tik in Deutschland, dessen Anteil an den globalen CO2-

                                                                                                                              21
Entwicklung energiebedingter CO2-Emissionen in Deutschland nach Energieträgern 1990 bis 2017
                 Mio. t CO2                                                                      Anteile 2017
                 1200                                                                            Kohle (Braunkohle und Steinkohle): 39 %
                                                                                                 Kohlenwasserstoffe (Öl und Gas): 58 %
          12

                                  985
                                                                                                                             Veränderungsraten
                 1000              8
     10                                                  836                                                                     2017/1990
                                                                                782
                                                         12                                           748                         −24 %
                  800             339                                           21
          8                                                                                            23
                                                         170                                                       Sonstige      +188 %
                                                                                167
                                                                                                      166          Braunkohle     −51 %
                  600
          6

                                  202                    179
                                                                                159                   123          Steinkohle     −39 %
          4
                  400             117                    158
                                                                                176                   178          Erdgas         +52 %

                  200
                                  319                    317
          2

                                                                                259                   258          Mineralöl      −19 %

     0
                     0
                                 1990                   2000                   2010                   2017
                 Quellen: BMWi 2017 (bis 2010); für 2017 eigene Hochrechnung auf Basis AGEB und H.-J. Ziesing in et 6/2018

               Emissionen bei etwa 2 % liegt, im Hinblick auf die Nutzung             in Deutschland und anderen Mitgliedstaaten erforderlich,
               einzelner Energieträger die Priorität ausgerechnet auf den             die Beihilfen nur nach Maßgabe bestimmter gemeinsamer
               Ausstieg aus der Kohlenutzung setzt, denn die Anteile von              Ziele und Kriterien erlaubten. Die Festlegung jeweils neuer
               Öl und Gas am nationalen CO2-Ausstoß sind beträchtlich                 Beihilferegelungen war deswegen eine Frage von großer
               größer. Eine „integrierte Energiewende“, die alle Sektoren             kohlepolitischer Bedeutung und hatte einen entsprechend
               angemessen in die Dekarbonisierung einbezieht, auch den                hohen Stellenwert auch für die Verbandsarbeit des GVSt,
               Wärmemarkt und den Verkehr, wie das zum Beispiel die                   und zwar von Anfang an bis zuletzt.
               dena (Deutsche Energie-Agentur) gefordert und 2018 kon-
               zeptionell dargelegt hat, ergibt sich daraus noch nicht.               Exemplarisch hierfür steht das große und erfolgreiche
                                                                                      Engagement für eine neue EU-Regelung der Steinkohlen­
               Aus Sicht der deutschen Steinkohle muss die deutsche                   beihilfen im Rahmen des allgemeinen EU-Vertrages nach
               Energie- und Klimapolitik des Weiteren in den europäischen             dem (fristgerechten) Ende der Geltungsdauer des EGKS-
               Rahmen eingepasst bleiben, wie das für die Kohlepolitik                Vertrages 2002. Die dabei erreichte EU-Ratsverordnung
               stets gegolten hat. Denn durch die schon 1951/52 als erste             1407/2002 zielte laut ihrem Artikel 1 darauf ab, dass zuläs-
               der Europäischen Gemeinschaften gegründete Europäische                 sige Bei­hilfen nur solche sein können, die zur Umstrukturie-
               Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS), bekannt auch                  rung des Steinkohlenbergbaus beitragen. Rechnung tragen
               als Montanunion, gehörte der Steinkohlenbergbau zu den                 müssten diese außerdem „den mit der Umstrukturierung
               Grundsteinen der europäischen Integration und hat die                  des Steinkohlenbergbaus verbundenen sozialen und regio­
               Bedeutung Europas stets anerkannt und auch beachten                    nalen Aspekten und der – als Vorbeugungsmaßnahme –
               müssen. So machte das generelle Beihilfeverbot im EGKS-                notwendigen Beibehaltung eines Mindestumfangs an
               Vertrag seit den 1960er Jahren immer wieder spezifische                heimischer Steinkohlenproduktion, damit der Zugang zu
               befristete Ausnahmeregelungen für die Steinkohlenbeihilfen             den Vorkommen gewährleistet ist“. Genau in die Richtung

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