Steinkohle 2018 Gesamtverband Steinkohle e. V - Gesamtverband Steinkohle e. V.
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Titelbild: Förderturm Fürst Leopold, 2009, Regina Schumachers Kurzvita der Künstlerin Regina Schumachers Sie wuchs im Aachener Revier mit dem Bergbau auf. Der Vater war als Diplom-Geologe auf der Grube Anna in Alsdorf beschäftigt. Ihr Ehemann studierte Bergbau in Aachen und promovierte in Clausthal-Zellerfeld. Studium der Malerei und Zeichnung bei Prof. Markus Lüpertz Ernennung zur Meisterschülerin Gründungsmitglied der internationalen Künstlergruppe Breitengrad e.V. Motive aus dem Bergbau spielen eine zentrale Rolle in ihrem Werk. Derzeit beschäftigt sie sich als Künstlerin mit der Frage: Was kommt nach der Kohle? Ausstellungen (Auswahl): Madrid, Davos, Kattowitz, Salzburg, München, Villach, RUHR.2010 Kulturhauptstadt Europas, Museum Energeticon Alsdorf
Ein Wort zuvor „Der erste Jahresbericht des Gesamtverbandes des deutschen Steinkohlenbergbaus, der das Jahr 1969 sowie die weiteren Entwicklungen bis Ende Septem- ber 1970 behandelt, umfaßt einen Zeitraum großer Veränderungen für den Bergbau.“ So lautete der erste Satz des Vorwortes aus dem Jahres- deutschen Steinkohlenbergbau bis zum Ende des Jahres bericht „Steinkohle 1969/70“ des im Jahr 1968 gegrün- 2018 notwendig sind. deten Gesamtverbandes (GVSt). Wortgleich oder ähnlich hätten nahezu alle Berichte seitdem eingeleitet werden Nun rücken, an der Schwelle zur endgültigen Nachberg- können, denn die fünf Jahrzehnte seit Gründung des Ver- bauzeit für die Steinkohle, die Themen zur Begleitung bandes und der Ruhrkohle AG waren von stetigen Verände- der künftig anstehenden Aufgaben noch weiter in den rungen und Anpassungen geprägt. Am Ende dieses Jahres Vordergrund. Der verantwortliche Umgang mit den Berg- wird nun die Steinkohlenförderung in Deutschland endgül- baufolgen, die Entwicklung der bisher für die Förderung tig beendet. Dies ist auch für den Gesamtverband, dessen genutzten Flächen und die Bewältigung der sogenannten Geschichte eng mit der heutigen RAG Aktiengesellschaft Ewigkeitsaufgaben werden den Verband ebenso beschäfti- verwoben ist, eine bedeutende Wegmarke. gen wie die RAG Aktiengesellschaft und die RAG Montan Immobilien GmbH. Ausgehend von einer im Jahr 1858 mit dem Verein für die bergbaulichen Interessen (VbI) begonnenen Geschichte Der vorliegende Jahresbericht in diesem für uns besonde- der Verbände im und für den Steinkohlenbergbau wurde ren Jahr 2018 wirft einen Blick zurück in die Verbandshis- der GVSt als Verbändeverband für die regionalen Unter- torie seit 1968 und unternimmt den Versuch, die aktuellen nehmensverbände gegründet. Im Zuge der dauerhaften Entwicklungen und die Perspektiven in diese lange Linie Rückführung des Steinkohlenbergbaus wurde auch das einzuordnen. Dies umfasst neben der kohle- und wirt- Verbandswesen gestrafft, so dass nun alle Verbandsauf schaftspolitischen Dimension auch Fragen des Umwelt- gaben beim Gesamtverband konzentriert sind. schutzes und der sozialen Sicherung. Diese Aufgaben waren seit 1968 einem steten Wandel un- Essen, im November 2018 terworfen, der Auftrag und die Zielrichtung der Verbands- aktivitäten orientierten sich an den jeweiligen Rahmenbe- dingungen für die Steinkohle. Zuletzt, spätestens seit der kohlepolitischen Verständigung im Jahr 2007, galt es im Schwerpunkt, den Auslauf der Förderung, beispielsweise durch Abschluss der notwendigen Tarifverträge, mitzuge Dr. Jürgen-Johann Rupp stalten. Gleichzeitig waren die verbandlichen Tätigkeiten Vorsitzender des Vorstandes sicherzustellen, die zu einer verlässlichen Förderung im Gesamtverband Steinkohle e.V. 5
Inhaltsverzeichnis Ein Wort zuvor 5 Inhaltsverzeichnis 6 Gastbeitrag: 2018 – Das Ende einer Ära 8 Kapitel 1 Kohle- und Energiepolitik, Strukturwandel im Steinkohlenbergbau 10 Die erste Kohlekrise als Gründungsimpuls für die Ruhrkohle AG und den GVSt 12 Energiesicherungspolitik durch deutsche Kraftwerkskohle und Jahrhundertvertrag 14 Versorgungsbeitrag mit Anpassungsdruck 15 Wenden der Energiepolitik sowie Kurswechsel der Steinkohlepolitik in Richtung Auslauf 17 Regionale Entwicklung, Klimaschutzplan, Europa-Angelegenheiten 20 Historische Würdigung des deutschen Steinkohlenbergbaus 25 Kapitel 2 Nationaler und internationaler Steinkohle- und Energiemarkt 26 Energiewirtschaftliche Einordnung der Steinkohle gestern und heute 28 Energiewirtschaftliches Umfeld und fundamentale Entwicklungen auf dem Steinkohlenweltmarkt 31 Deutsche Steinkohlenimporte 36 Kapitel 3 Steinkohle und Umwelt 38 Die Entwicklung des Umweltschutzes 40 Umweltschutz – Neue unternehmerische Aufgabe und Verantwortung 41 Wirkungsforschung im Steinkohlenbergbau 42 Bundesbodenschutzgesetz 43 Nachhaltigkeit 43 Vereinbarung zur Klimavorsorge 43 Grubengas 44 Brandschutzmaßnahmen – PCB und Reststoffe unter Tage 46 Kapitel 4 Tarifpolitik im deutschen Steinkohlenbergbau 48 Rückblick auf die Tarifverhandlungen der vergangenen 50 Jahre 50 6
Kapitel 5 Recht und soziale Sicherung 58 Soziale Sicherung im Bergbau 60 Sozialwahlen 60 Deutsche Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See 61 Gesetzliche Rentenversicherung 65 Anpassungsgeld 68 Rehabilitation 68 Berufsgenossenschaft Rohstoffe und chemische Industrie 68 Ausblick 71 Alterssicherung und betriebliche Altersversorgung 71 Zukunftsaufgaben 75 Kapitel 6 GVSt – Rückblick und Ausblick 76 Neuordnung im Steinkohlenbergbau – Kohlegesetz vom 15. Mai 1968 78 Gründung des GVSt am 11. Dezember 1968 79 Verbandshistorie des GVSt 80 Ausblick auf die Zukunftsaufgaben 85 Anhang Kennzahlen des deutschen Steinkohlenbergbaus 1968 bis 2017 90 Organisation 92 Impressum 93 Verzeichnis der Grafiken und Tabellen 94 7
2018 – Das Ende einer Ära Das Jahr 2018 steht für eine historische Zäsur, denn mit den Bergwerken Ibbenbüren und Prosper-Haniel in Bottrop schließen die letzten beiden Zechen in Deutschland. Nach rund zwei Jahrhunderten wird der Steinkohlenbergbau nur noch Geschichte sein. Wir alle wissen, dass dieses Ende politisch gewollt war Die Kohle kommt also vielfach aus Regionen, deren Arbeits- und ist. Die wesentliche Begründung wurde nicht, wie man und Sicherheitsbedingungen mit den deutschen nicht ansatz- heute vielleicht meinen könnte, auf umwelt- oder klimapo- weise mithalten können. litische Argumente gestützt. Vielmehr waren es fiskalische Gründe. Die Politik hat entschieden, dass wir einen einst Das Ende eines im internationalen Vergleich modernen und wesentlichen heimischen Energieträger nicht mehr mit Milli- sicheren Bergbaus in Deutschland aus finanziellen Gründen arden subventionieren wollen. Wegen der großen Teufe, aus wirkt fragwürdig, wenn wir die deutschen Kohlesubventio- der wir in Deutschland Steinkohle fördern, und auch wegen nen aus heutiger Perspektive in Relation zu aktuellen Kosten des hohen Aufwandes, der für möglichst gute und gesunde für die Stromerzeugung setzen. Im Vergleich zu dem, was Arbeit im Steinkohlenbergbau betrieben wird, haben wir als wir Stromkunden inzwischen als EEG-Umlage bezahlen, trug Gesellschaft den Unterschied der heimischen Förderkosten der Kohlepfennig seinen Namen völlig zu Recht. zu den viel günstigeren Weltmarktpreisen durch Beihilfen ausgeglichen. Hierbei stand nicht allein die Versorgungs- Seit dem Beginn der staatlichen Förderung 1960 sind im sicherheit im Mittelpunkt, auch die seit den 1960er Jahren Schnitt etwas mehr als 2 Mrd. € pro Jahr in die deutsche umgesetzte Sozialverträglichkeit der Personalanpassungen Steinkohle geflossen. Dies entspricht in etwa dem, was die wurde so sichergestellt. Stromkunden im Januar 2018, also in nur einem Monat, an EEG-Umlage gezahlt haben. Im gesamten Jahr 2018 beträgt Seit Jahrzehnten und besonders seit 2007 sind wir also die Relation zwischen den verbleibenden Steinkohlenbei- damit beschäftigt, die Folgen des Auslaufs für die Bergleute hilfen und dem Subventionsäquivalent im EEG ungefähr und die Reviere so gering wie möglich zu halten. Und spüren 1: 25. Die ökonomische Vernunft, mit der die Politik einst doch gerade im Jahr des endgültigen Abschieds von der den Ausstieg aus der Steinkohle begründete, scheint bei der Steinkohlenförderung, wie diskutabel dieser Weg ist. Wir Energiewende keine Rolle zu spielen. werden die Kohleverstromung noch lange brauchen, weil ein Kernkraftwerk nach dem anderen vom Netz geht und die Dennoch gilt es nun, Bilanz zu ziehen. Ich tue dies aus Sicht erneuerbaren Energien noch immer keinen grundlastfähigen der Menschen in den Revieren und der Bergleute, die ihrer Strom liefern. IG BCE bis heute die Treue halten. Der Unterschied besteht darin, dass wir die Steinkohle Das Ausmaß des Strukturwandels wird deutlich, wenn wir künftig nicht mehr aus dem Ruhrgebiet oder dem Saarland in die Hochzeit des Bergbaus zurückgehen. 1957 hatten wir beziehen, sondern aus Russland, Kolumbien und den USA. in Deutschland noch mehr als 600 000 Beschäftigte in 173 8
Gastbeitrag Bergwerken – der weit überwiegende Teil davon im Ruhr wandel hat. Mit der Finanzierung der Ewigkeitslasten sowie gebiet. Selbst für eine Region mit mehr als 5 Mio. Einwoh- der Förderung von Wissenschaft, Kunst und Kultur, mit der nern ist so etwas nicht leicht zu verkraften. Die historische Evonik als einem zukunftsträchtigen Unternehmen, einem Leistung ist zweifelsohne, diesen gewaltigen Personalabbau Global Player mit Sitz im Ruhrgebiet und guten Industriear- sozialverträglich gestaltet zu haben. Die IG BCE und ihre beitsplätzen, mit den Anteilen an Vivawest als einem der Vorgängergewerkschaften haben daran einen großen Anteil. führenden Wohnungsanbieter in NRW. Insgesamt mit guten Niemand fällt ins Bergfreie – diese Losung ist für uns bis Tarifverträgen und Mitgestaltung durch Betriebsräte wie im heute Auftrag und Motivation, übrigens weit über den Berg- Aufsichtsrat. Das ist das deutsche Modell von Hochleistung bau hinaus. Sie zu erfüllen, bedurfte vor allem in den ver- und sozialer Balance. gangenen 25 Jahren einer großen personal- und tarifpoliti- schen Kreativität. Ein sinkendes Arbeitsvolumen auf mehr In diesem Jahr wird es darum gehen, die Errungenschaf- Schultern zu verteilen, Zechenschließung um Zechenschlie- ten und Leistungen des deutschen Steinkohlenbergbaus ßung personell abzufedern, war eine gewaltige Herausfor- zu würdigen und gleichzeitig Perspektiven für die Zukunft derung. Vor allem für die Bergleute: Freischichten, Gehalts- aufzuzeigen. Das tun wir als IG BCE gemeinsam mit RAG- einbußen, Umzüge – aber auch innovative Tarifverträge zu Stiftung, RAG Aktiengesellschaft und Evonik Industries AG Teilzeitarbeit oder die frühe Einführung von Langzeitkonten in der Initiative „Glückauf Zukunft!“, die eine große Zahl an kennzeichneten den Anpassungsprozess. Veranstaltungen und Projekten unterstützt. Viele haben längst andere Jobs in der Industrie: in der Che Es gibt bereits jetzt viele vorzeigbare Erfolgsgeschichten mie, in der Braunkohle, in der Kohleverstromung, andere in in den Revieren, aber es gilt weiter das Ziel, neue Indust- der Dienstleistung – vom Handwerk über die Bahn bis hin rien und Unternehmen mit hoher Wertschöpfung und guter zu pflegenden Berufen. Klar ist aber auch: Ohne staatliches Arbeit zu entwickeln, die in der Lage sind, die nächste große Anpassungsgeld und Vorruhestand wäre der sozialverträgli- Ära hier zu prägen. che Personalabbau nicht möglich gewesen. Die IG BCE hat den Anspruch, dass auch mit dem Ende des Steinkohlen- bergbaus am 21. Dezember 2018 für jeden Betroffenen eine Lösung gefunden wird. Michael Vassiliadis Ich möchte an dieser Stelle auch daran erinnern, welche Be- Vorsitzender der Industriegewerkschaft deutung die RAG-Stiftung für einen verkraftbaren Struktur- Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE), Hannover 9
Kapitel 1 Kohle- und Energiepolitik, Strukturwandel im Steinkohlenbergbau Glückauf, der Steiger geht 2009 10
Die erste Kohlekrise als Gründungsimpuls für die Ruhrkohle AG und den GVSt Die Gründung des Gesamtverbandes des deutschen Steinkohlenbergbaus, heute Gesamtverband Steinkohle e.V. (GVSt), folgte unmittelbar auf die Gründung der Ruhrkohle AG im Jahr 1968. Die Verbandsarbeit des GVSt verläuft seither sachlich und zeitlich parallel zu den kohle- und energiepo- litischen Weichenstellungen sowie dem Strukturwandel im deutschen Steinkohlenbergbau, dem die Ruhrkohle AG und, aus ihr später hervorgehend, die RAG Aktiengesellschaft (RAG) ausgesetzt waren oder den sie selbst aktiv vollzogen haben. Zwar waren die direkten Mitglieder des GVSt am Anfang noch die Unternehmensverbände aller westdeutschen Steinkohlenreviere (Ruhr, Saar, Aachen und Nie- dersachsen) – und 1968 sogar Bayern – und, durch diese repräsentiert, damals noch eine ganze Reihe anderer Unternehmen, Bergwerke und Institutionen außerhalb der Ruhrkohle AG und der Ruhrregion. Und im Vorwort des ersten Jahresberichts des GVSt von 1970 hieß es im Plural: „Die Unternehmen und Gemeinschaftsorganisationen (des deutschen Steinkohlenbergbaus) haben sich neu formiert.“ Gleich- wohl setzten von Anfang an die Ruhrkohle AG bzw. später der RAG-Konzern, in dem schließlich alle Unternehmen des deutschen Steinkohlenbergbaus aufgingen, die Akzente der Verbandsarbeit. Der Gründung von Ruhrkohle AG und GVSt waren gut zehn herbeizuführen“. Dieses letzte Ziel, so lässt sich heute Jahre Kohlekrise und Zechensterben, eine Vielzahl von konstatieren, konnte trotz großer Anstrengungen nicht kohlepolitischen Bemühungen um deren Bewältigung und erreicht werden. Das gewählte Instrumentarium hat zuletzt ein zentrales nationales Kohlegesetz, das „Gesetz sich jedoch über fünf Jahrzehnte bewährt, um zumin- zur Anpassung und Gesundung des deutschen Steinkohlen- dest einen sozialverträglichen Anpassungs- und am bergbaus und der deutschen Steinkohlenbergbaugebiete“ Ende dann Auslaufprozess zu bewirken. vom 15. Mai 1968, vorausgegangen. Mit diesem Gesetz sollte nach den Worten des damaligen Bundeswirtschafts- Diese Kontinuität zeigt sich auch darin, dass bestimm- ministers Schiller die „Kohlepolitik in Deutschland auf te kohlepolitische Themen der Verbandsarbeit und in eine völlig neue Grundlage“ gestellt werden. Erklärter den Jahresberichten über diese fünf Jahrzehnte aktuell Zweck waren ein verschärfter Rationalisierungsprozess geblieben sind. Hierzu zählen die Anpassung – bzw. durch Unternehmenskonzentration sowie eine stärkere zeitweise auch Stabilisierung – der inländischen Stein Anpassung der bergbaulichen Produktion an die Absatz- kohlenförderung (1970 betrug sie noch 111 Mio. t), möglichkeiten und eine am Markt orientierte, wenngleich die wirtschaftliche Konsolidierung des schrumpfenden staatlich unterstützte Verkaufspolitik, um dadurch letztlich Steinkohlenbergbaus, die Minimierung der Kosten, die eine „dauerhafte Gesundung des Steinkohlenbergbaus Regelung der Altlasten, Kohlenreserven, die Aufwen- 12
Kapitel 1 Kohle- und Energiepolitik, Strukturwandel im Steinkohlenbergbau Kohlepolitische Beschlüsse im Kontext der energiepolitischen Programmatik Steinkohlenförderung Mio. t v. F. 1968 Kohlegesetz Gründung RAG Eckpunkte einer 120 1969 Hüttenvertrag kohlepolitischen Verständigung 1973 Energieprogramm der Bundesregierung 2007 1974 3. Verstromungsgesetz Rahmenvereinbarung 100 1. Fortschreibung des Energieprogramms zur sozialverträglichen Beendigung der Stein 1989 kohlenförderung Kanzlervereinbarung Steinkohlefinanzierungs- 1991 gesetz 80 Kohlerunde mit Kohlekonzept 2005 1977 Energiepolitisches Gesamtkonzept 10-Jahres-Vereinbarung der Bundesregierung GVSt/VDEW/VIK 2010 1995 2. Fortschreibung des EU-Ratsbeschluss Gesetz zur Umstellung 60 Energieprogramms 1990 der Steinkohleverstromung zu staatlichen Beihilfen 1980 Deutsche Jahrhundertvertrag Einheit Novelle 3. Verstromungsgesetz Novelle Importkontingentgesetz 2011 1994 Streichung 40 Artikelgesetz Revisionsklausel Kohlepfennig-Urteil des Bundesverfassungsgerichts 1997 Kohlepolitische Vereinbarung 20 Gesetz zur Neuordnung der Kohlesubventionen 2003 Kohlepolitische Vereinbarung bis 2012 0 1970 1980 1990 2000 2010 2018 dungen der öffentlichen Hand sowie von Anfang an auch Heizölsteuer, die ursprünglich als Schutzmaßnahme für Europa-Themen und die Einflüsse der internationalen die heimische Steinkohle im Wärmemarkt eingeführt und Energiemärkte. später – für ganz andere energiepolitische Zwecke und aus fiskalischen Gründen – weiter aufrechterhalten wurde. Die Neben diversen Maßnahmen zur Unterstützung der betrieb damalige Neuausrichtung der Kohlepolitik stand auch dafür, lichen Rationalisierungsanstrengungen und Kapazitätsan- den Grundgedanken der Versorgungspflicht des Steinkohlen- passungen bis hin zu Stilllegungsprämien sowie Forschungs- bergbaus, der aus der Nachkriegszeit und dem EGKS-Vertrag fördermaßnahmen und Investitionshilfen spielten in der stammte, besser mit dem Strukturwandel im Energiemarkt Kohlepolitik seither direkte Maßnahmen zur Stabilisierung – der erste Jahresbericht des GVSt sprach diesbezüglich von des Steinkohlenabsatzes eine immer größere Rolle. Zuvor einem „Klimawechsel“ – und einer mehr marktwirtschaft- hatte es bereits indirekte Maßnahmen zur Absatzstabili lichen Betrachtungsweise in Einklang zu bringen. In dieser sierung gegeben wie die Kontingentierung der Steinkohlen- Zeit begann zugleich die Überlagerung der Kohlepolitik importe aus Drittländern (das heißt außerhalb von EGKS durch eine nach und nach immer breiter gefächerte natio- und EG) sowie die Selbstbeschränkungsvereinbarung nale Energiepolitik. Auch die Energiepolitik der Europäischen beim Heizölabsatz, die ab 1968 zunehmend aufgeweicht Gemeinschaften spielte eine immer größere Rolle. Kohle wurde und später entfallen ist. Hierzu gehörte auch die politik war danach von Energiepolitik kaum noch zu trennen. 13
Die Energiepolitik erlangte infolgedessen eine zentrale Rolle und erst 2015 schließlich von den Erneuerbaren. Dadurch auch für die Verbandsarbeit der folgenden Jahrzehnte. wurde für den GVSt die Absatzstabilisierung in der Stein kohlenverstromung zum wichtigsten Ansatzpunkt der Stein- Eine kohlepolitisch maßgebliche Regelung der Absatzstabili- kohlepolitik. Zunächst geschah dies durch die ersten Verstro- sierung war schon von 1968 an die sogenannte Kokskohlen- mungsgesetze als Grundlage für Verstromungszuschüsse beihilfe, die zunächst den mit der Ruhrkohle-Gründung ver- zum Ausgleich der „Wärmepreisdifferenz“ gegenüber dem bundenen Hüttenvertrag flankierte. Mit dem Hüttenvertrag Einsatz von billigem Mineralöl. Mit den Weltölpreiskrisen wurde ab 1968 zunächst für 20 Jahre – Mitte der 1980er 1973/74 und 1979/80 änderten sich jedoch – temporär – Jahre dann mit Modifikationen verlängert bis zum Jahr 2000 die Preisrelationen und die Steinkohlenverstromung wurde – kollektiv vereinbart, dass die deutsche Stahlindustrie ihren mittels der ersten Energieprogramme zu einem Instrument Kokskohlebedarf ausschließlich aus inländischer Produktion aktiver Energieversorgungspolitik zur Begrenzung der Ölab- deckte. Nach 2000 wurde der Hüttenvertrag nicht mehr hängigkeiten. Der GVSt begrüßte dies damals ausdrücklich, verlängert und durch Einzelverträge abgelöst. Als Ausgleich hatte er doch zuvor wiederholt vor „energiepolitischem gegenüber der internationalen Konkurrenz, die preisgüns- Attentismus“ gewarnt. Nach der Bewältigung der Kohlekrise tigere Kokskohle vom Weltmarkt beziehen konnte, wurde wurde Energiekrisenvorsorge für lange Zeit zum Leitmotiv dem Steinkohlenbergbau staatlicherseits die Kokskohlen- der deutschen Kohlepolitik, eingebettet in andere politische beihilfe gewährt, die im Volumen zunächst überschaubar Maßnahmen der Energiesicherung wie den Ausbau der blieb und zeitweise sogar ausgesetzt werden konnte. Erst ab Kernenergie und anderes mehr. Ende der 1970er Jahre erreichte sie in Verbindung mit den europäischen Strukturkrisen im Stahlsektor beträchtliche Vor diesem Hintergrund kam es wenige Jahre später zu Größenordnungen und spielte als Finanzierungshilfe für den einem Höhepunkt der kohlepolitischen Verbandsarbeit, dem Absatz heimischer Kokskohle an die deutsche Stahlindustrie Abschluss des sogenannten Jahrhundertvertrages zwischen bis zur Beendigung des subventionierten Steinkohlenberg- Steinkohlenbergbau und Elektrizitätswirtschaft, der als eine baus eine Rolle. Zu den Aufgaben des GVSt gehörte es in Verbändevereinbarung zwischen dem GVSt einerseits (als diesem Zusammenhang, die Entwicklungen des Kokskohle- Vertragspartner für den gesamten deutschen Steinkohlen- und Koksbedarfs der Stahlindustrie zu verfolgen. Daneben bergbau) und den Verbänden der öffentlichen Elektrizitäts- wurden bestimmte, mit der Kokskohlenbeihilfe verbundene wirtschaft (damals VDEW) und der industriellen Energie- Dienstleistungen erbracht – dies geschah insbesondere und Kraftwirtschaft (VIK) andererseits am 23. April 1980 durch die zur Dokumentation der jeweiligen Liefermengen geschlossen wurde. Flankiert durch die mit den mehrfach beim Verband eingerichtete damalige Abrechnungsstelle erneuerten Verstromungsgesetzen vorgesehenen Verstro- des Steinkohlenbergbaus GmbH. mungszuschüsse für den Einsatz deutscher Steinkohle war schon 1977 eine längerfristige Liefervereinbarung getroffen Energiesicherungspolitik durch deutsche worden. Diese wurde mit den 1980 vor dem Hintergrund der Kraftwerkskohle und Jahrhundertvertrag zweiten Weltölpreiskrise vertraglich festgelegten Ergän- Nachdem die deutsche Steinkohle in den 1950er und 1960er zungsvereinbarungen – die in den Medien als „Jahrhundert- Jahren massive Einbrüche in ihrem früheren Hauptabsatzbe- vertrag“ tituliert wurden – dann bis 1995 verlängert. Dieser reich, dem Wärmemarkt, erlitten hatte und Ende der 1960er 15-Jahres-Zeitraum wurde in drei Jahrfünfte mit festen, im Jahre auch der Bedarf des bis dahin zweitgrößten Abnahme- Zeitablauf überdies steigenden Liefer- und Abnahmever- bereichs, der Stahlindustrie, stark gesunken war (und auch pflichtungen unterteilt. (1989 erfolgte eine nachverhandelte danach weiter zurückging), wurde der Verkauf von Kraft- mengenmäßige Anpassung. Durch die nach langer Prüfung werkskohle seither der wichtigste Absatzbereich des deut- erst 1992 erteilte wettbewerbsrechtliche EU-Genehmigung schen Steinkohlenbergbaus und die Steinkohle für längere mussten zuletzt noch weitere, allerdings nicht substanzielle Zeit die Haupteinsatzenergie der deutschen Stromerzeu- Modifikationen vorgenommen werden.) Für den Ausgleich gung. Das änderte sich erst in den 1980er Jahren durch den der Mehrkosten des Einsatzes heimischer Steinkohle in Ausbau der Kernenergie, ab 1990 wurde dann Steinkohlen- der Stromerzeugung wurden nach einem ausdifferenzier- strom – später zunehmend auch aus Importsteinkohle bereit- ten System weiterhin staatliche Zuschüsse gewährt. Die gestellt – anteilsmäßig vom Braunkohlenstrom übertrumpft Finanzierung dieser Zuschüsse erfolgte bis Ende 1995 durch 14
Kapitel 1 Kohle- und Energiepolitik, Strukturwandel im Steinkohlenbergbau Unterzeichnung des „Jahrhundertvertrages“, 23. April 1980 (v. l. : Günther Niehage und Hartmut Boeck für die Vereinigung Deutscher Elektri zitätswerke, Karlheinz Bund und Heinz Reintges für den Gesamtverband des deutschen Steinkohlenbergbaus) – Quelle: Reintges, 1989 ein unselbstständiges Sondervermögen des Bundes, den sammenbruch des Ostblocks und der deutschen Einheit eine „Ausgleichsfonds zur Sicherung des Steinkohleneinsatzes“. Zeitenwende auch für die deutsche Energiepolitik gegeben, Dessen Mittel wurden durch eine Sonderabgabe auf den nachdem bereits seit Mitte der 1980er Jahre die internatio- Stromverbrauch, den sogenannten Kohlepfennig, aufge- nalen Öl- und andere Energiepreise deutlich gefallen waren. bracht. Im Zeitablauf wuchs jedoch der Mittelbedarf des Krisenvorsorge schien sehr viel weniger nötig, und Deutsch- Ausgleichsfonds, in der Spitze im Jahr 1994 auf umgerech- land hatte mit der ostdeutschen Braunkohle auf einmal er- net rund 3,2 Mrd. €, was zu verstärkter Kritik speziell am heblich größere heimische Energieressourcen. Die Bedeu- Kohlepfennig führte. Durch das Kohlepfennig-Urteil des tung der Energiesicherungspolitik und die Akzeptanz ihrer Bundesverfassungsgerichts von 1994 wurde zwar nicht öffentlichen Kosten nahmen ab, zugleich nahm der Subven- dessen Finanzierungszweck in Frage gestellt, aber das dafür tionsbedarf der deutschen Steinkohle durch die Verbilligung gewählte Instrument der Sonderabgabe für nicht mehr (nach der Konkurrenzenergien zu. Bereits 1990 legte eine von der 1995) verfassungsgemäß erklärt. – Wenige Jahre später ist damaligen Bundesregierung beauftragte Kohle-Kommission jedoch mit dem EEG zur Einspeisung regenerativen Stroms unter Leitung des nordrhein-westfälischen CDU-Politikers und der auf den Stromverbrauch erhobenen EEG-Umlage ein Prof. Paul Mikat einen Bericht mit Grundsatzempfehlungen ganz ähnliches System entstanden, das trotz im Zeitablauf zur Neujustierung der deutschen Steinkohlepolitik vor. An der weitaus stärker gestiegener Subventionsvolumina politisch Arbeit dieser Kommission konnte auch der GVSt mitwirken und auch verfassungsrechtlich bislang erheblich mehr Rück- und stellte auch ein Mitglied der Kommission. Verband und halt bekommen hat. Zumindest konzeptionell hat hierfür das Unternehmen hatten im Vorfeld bereits intensiv Möglichkei- Kohlepfennig-System Pate gestanden. ten der Kostenbegrenzung im Steinkohlenbergbau geprüft. Daraufhin wurde vom damaligen Bundeswirtschaftsminister Versorgungsbeitrag mit Anpassungsdruck Jürgen Möllemann (FDP) eine neue Kohlerunde einberufen, Mit Blick auf das Ende der Laufzeit des Jahrhundertvertrages in der ein „Kohlekonzept 2005“ aufgestellt wurde, das in bestand eine zentrale Aufgabe der Verbandsarbeit des GVSt Verbindung mit einer Reihe anderer kohlepolitischer Maß darin, rechtzeitig für gesetzliche Anschlussregelungen bei nahmen die Rückführung der Steinkohlenförderung von der Verstromung heimischer Steinkohle einzutreten, was knapp 70 Mio. t (1990) auf 50 Mio. t (2005) vorsah – was auch gelang. Indessen hatte es im Jahr 1990 mit dem Zu- schon von den bloßen Zahlen her zeigt, welch beträchtlicher 15
Prognos-Studie 2007 „Regionalökonomische Auswirkungen des Steinkohlenbergbaus in NRW“ – Systematik der ökonomischen Wirkungen Direkte Effekte Berechnung über Input-Output-Rechnung Anstoß der ökonomischen Wirkungseffekte durch: > Wertschöpfung und Arbeitsplätze bei den Unternehmen > Laufende Personal- und Sachausgaben > Investitionen Indirekte Effekte Berechnung über regionalspezifische Einkommens- Produktion, Wertschöpfung und Beschäftigung multiplikatoren auf Kreisebene resultierend aus Auftragsvergabe an Lieferanten für Produkte und Dienstleistungen Konsuminduzierte Effekte Produktion, Beschäftigung und Einkommen resultierend aus den Verdienstausgaben der Beschäftigten, d. h. > Konsumausgaben der Beschäftigten der Primärindustrie > Konsumausgaben der Beschäftigten in vorleistenden Wertschöpfungsstufen Gesamteffekt Quelle: Prognos AG, 2007 Anpassungsprozess trotz der Stabilisierungsbemühungen nen Haushaltsmitteln, der allerdings keine längerfristige seit 1970 erfolgt war und wie dieser nun politisch noch be- Planungssicherheit bot und zu öffentlichen Debatten über schleunigt werden sollte. Und die Steinkohlepolitik war nach eine rasche Beendigung der Steinkohlesubventionierung wie vor integraler Teil der nationalen Energiepolitik, wie führte. Dies löste große Unruhe bei den Bergleuten und die Einbettung des Kohlekonzepts 2005 in das 1991 von der in den Steinkohlenrevieren aus, die schließlich in einer damaligen Bundesregierung vorgelegte „energiepolitische Protestwelle gipfelte. Die Bergbaugewerkschaft (damals Gesamtkonzept für das vereinte Deutschland“ bewies. Nach IGBE) organisierte, auch von RAG und GVSt unterstützt, am wie vor wurde der heimischen Steinkohle von der deutschen 14. Februar 1997 eine mehr als 100 km lange Menschenkette Energiepolitik ein wichtiger Versorgungsbeitrag attestiert der Solidarität im Ruhrgebiet. Anfang März 1997 folgten und damit ein Versorgungsauftrag erteilt. dann ein Generalstreik und massive Demonstrationen der Bergarbeiter vor Ort in der damaligen Bundeshauptstadt Mitte der 1990er Jahre galten die kohlepolitischen Bemü Bonn. Vor dieser Kulisse kam es zum „Kohle-Kompromiss“ hungen der Verbandsarbeit vor allem einer Anschlussregelung von 1997, auf dessen Grundlage das „Gesetz zur Neuord- für die Verstromungshilfen nach dem Ende des Jahrhundert- nung der Steinkohlesubventionen“ erlassen wurde. Dieses vertrages und des Kohlepfennig-Systems. Eine solche ergab fasste alle Steinkohlenbeihilfen für Absatzzwecke und die sich zunächst nur kurzfristig mit der Einführung eines neuen Deckung von Stilllegungsaufwendungen in einem Gesamt- Steinkohle-Verstromungsplafonds, gespeist aus allgemei- plafond zusammen, der zwar degressiv gestaltet wurde, aber 16
Kapitel 1 Kohle- und Energiepolitik, Strukturwandel im Steinkohlenbergbau den Unternehmen Flexibilität in der Absatzgestaltung und chen Befunde knapp zehn Jahre später auch unter anderen einen belastbaren Finanzierungsrahmen bis zum Jahr 2005 kohlepolitischen Ausgangsbedingungen noch einmal im versprach. Zugleich machte er weiter eine tief greifende Grundsatz bestätigt. Umstrukturierung des deutschen Steinkohlenbergbaus notwendig. Der unter Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) im Jahr 1997 vereinbarte „Kohle-Kompromiss“ bis 2005 wurde auch von Die Ruhrkohle AG, inzwischen umfirmiert in RAG Aktienge- der ab 1998 regierenden rot-grünen Regierung Schröder sellschaft, übernahm die Saarbergwerke AG – aus diesem eingehalten und zudem auf europäischer Ebene beihilfe Zusammenschluss entstand die RAG Deutsche Steinkohle rechtlich durchgesetzt. Die Regierung Schröder stellte AG (DSK). Danach folgte die Übernahme der Preussag 2003 überdies eine ab 2006 zunächst bis 2012 vorgesehene Anthrazit GmbH (Bergwerk Ibbenbüren) und später ebenso Anschlussregelung der bisherigen Finanzierungshilfen in der letzten eigenständigen Kleinzechenbetreiber Dr. Arnold Aussicht und erteilte dafür in Abstimmung mit dem daran Schäfer Bergbau GmbH und Bergwerksgesellschaft Merch- wie zuvor schon finanziell beteiligten Land Nordrhein-West- weiler mbH im Saarland. Dadurch wurde der gesamte falen einen ersten Zuwendungsbescheid für die Jahre 2006 deutsche Steinkohlenbergbau im RAG-Konzern konzentriert bis 2008. Damit sollte für die heimische Steinkohle zwar der und eine „Anpassung aus einer Hand“ möglich. Diese An- sozialverträgliche Anpassungsprozess fortgeführt, aber eine passung war jedoch gewaltig: Die Fördermenge sollte nun langfristig angelegte Lebensperspektive aufrechterhalten bis 2005 von 48 auf 30 Mio. t heruntergefahren werden. werden – diskutiert wurde insbesondere ein langfristiger In der Folge musste die Anzahl der noch fördernden Stein- Sockel aus drei bis vier Bergwerken mit bis zu 10 Mio. t Jah- kohlenbergwerke von mittlerweile noch 18 auf 9 verrin- resförderung. Zumindest für einige Jahre war die deutsche gert und die Zahl der Beschäftigten im Bergbau von fast Steinkohlepolitik dadurch in ein etwas ruhigeres Fahrwasser 90 000 auf unter 40 000 reduziert werden. Dies alles sollte gekommen. sozialverträglich, also ohne betriebsbedingte Kündigungen im Steinkohlenbergbau, geschehen. Tatsächlich gelang Das galt jedoch nicht für die deutsche Energiepolitik ins die Anpassung durch eine außerordentliche Kraftanstren- gesamt, denn die rot-grüne Bundesregierung leitete mit gung der Branche mittels Mobilisierung aller denkbaren der Einführung einer Ökosteuer, den im Jahr 2000 erfolgten personal- und sozialpolitischen Anpassungsinstrumente, ersten Vereinbarungen zum Atomausstieg und der Verab- insbesondere durch die Fortführung des Anpassungsgeldes schiedung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) wie im Vorruhestand, sowie enger Kooperation von Arbeitgeber- auch eines KWK-Gesetzes zusammen mit verschärften Ak- und Arbeitnehmerseite. zenten beim Klimaschutz die nationale Energiewende ein. Diese wurde ein paar Jahre später, das heißt 2010, unter Der Arbeitsplatzabbau betraf indessen nicht den Steinkoh- einer schwarz-gelben Bundesregierung mit ihrem neuen, lenbergbau allein. Die Zukunftsaktion Kohlegebiete e.V. von klimapolitischen Zielen dominierten Energiekonzept (ZAK) beauftragte bereits 1997 mit fachlicher Unterstützung noch mehr forciert, seither fortgesetzt und weiter ausge- des GVSt eine Prognos-Studie über die Interdependenzen baut und stellt bis heute die energiepolitischen Weichen. von „Steinkohlenbergbau und Wirtschaftsstruktur im Ruhr- Diese Umgewichtung im energiepolitischen Zieldreieck hin revier“, die aufzeigte, dass von jedem Arbeitsplatz im Stein- zu einer Dominanz von Umwelt- und Klimaschutzzielen zu kohlenbergbau im Schnitt weitere 1,3 Arbeitsplätze im Lasten der Ziele Sicherheit und Wirtschaftlichkeit der Ener- wirtschaftlichen Umfeld abhängen und den eingesparten gieversorgung, die schon 2001 in einem Energiebericht des Subventionen zunächst viele Jahre beträchtliche fiskalische Bundeswirtschaftsministeriums thematisiert und in ihren Folgekosten durch Einnahmenverluste bei Steuern und Sozial Folgen erörtert wurde, hat seitdem auch die energiepoliti- beiträgen sowie Mehrausgaben für die regional erhöhte sche Verbandsarbeit entsprechend geprägt. Arbeitslosigkeit gegenüberstehen. Eine im Jahr 2006 vom GVSt unter dem Titel „Regionalökonomische Auswirkungen Wenden der Energiepolitik sowie Kurswechsel der des Steinkohlenbergbaus in Nordrhein-Westfalen“ beauf- Steinkohlepolitik in Richtung Auslauf tragte, 2007 erschienene Aktualisierung dieser Prognos- Noch vor der forcierten Energiewende erfolgte jedoch eine Studie hat die genannten regional- und volkswirtschaftli- fundamentale Wende der deutschen Steinkohlepolitik, 17
nachdem es im Jahr 2005 zu Regierungswechseln sowohl in gung solide Planungen aufgestellt werden mussten. Letzt- Nordrhein-Westfalen (damals von einer ebenfalls rot-grünen lich kam die Klausel nicht zum Tragen, da sie im Zuge der Landesregierung hin zur schwarz-gelben Koalition unter dem notwendigen europäischen Genehmigung der Beihilfen 2011 CDU-Ministerpräsidenten Rüttgers) und auf Bundesebene durch den Bundestag aus dem Steinkohlefinanzierungsge- zur Ablösung von Kanzler Schröder (SPD) durch Kanzlerin setz gestrichen wurde. Die Genehmigung weiterer Beihilfen Merkel (CDU), zunächst (und später wieder) in einer Großen über das Jahr 2010 hinaus wurde seitens der EU nur unter Koalition, gekommen war. Dadurch verschoben sich die der Bedingung akzeptiert, dass eine endgültige Beendigung politischen Stimmungen und Kräfteverhältnisse dergestalt, umgesetzt wird. dass schon bald ein kohlepolitischer Kurs in Richtung Aus- laufbergbau eingeleitet wurde. Exemplarisch dafür war Den Verständigungen von 2007 waren Modellrechnungen unter anderem eine vom Rheinisch-Westfälischen Institut vorangegangen, bis wann der RAG ein Auslauf sozialver- für Wirtschaftsforschung (RWI), Essen, im Jahr 2006 vor- träglich, das heißt ohne betriebsbedingte Kündigungen gelegte „Streitschrift gegen die Argumentationslinien des möglich wäre. Diese durch ein unabhängiges Gutachten Gesamtverbandes des deutschen Steinkohlenbergbaus“, (KPMG) gestützten Modellrechnungen führten zu dem die inhaltlich ganz und gar auf der Linie der damaligen CDU- dann auch politisch verabredeten und von allen Beteiligten Wirtschaftsministerin von Nordrhein-Westfalen und deren planmäßig umgesetzten Ergebnis, den Auslauf schrittweise Koalitionspartner von der FDP lag. Ein in dieser Form bislang bis zum Ende des Jahres 2018 durchzuführen und den einmaliger Vorgang des wirtschaftspolitischen Diskurses, deutschen Steinkohlenbergbau somit komplett stillzulegen. bei der ein Wirtschaftsforschungsinstitut eine „Streitschrift“ An dieser danach im Prinzip unveränderten kohlepolitischen erstellt, um die Argumentationslinien eines Verbandes zu Beschlusslage und ihren Konsequenzen hatte und hat sich hinterfragen und ihre politische Zugkraft – besonders betraf seither die gesamte Bergbauplanung auszurichten und der dies das Argument des Beitrags heimischer Steinkohle zu Steinkohlenbergbau hat dies vereinbarungsgetreu getan. einem ausgewogenen Energiemix und zur Versorgungssicher- Dies schloss auch eine einschneidende interne Anpassung heit – zu erschüttern. Der GVSt erstellte dazu intern eine der Bergbauplanung nach den Erschütterungen im Saarland ausführliche Stellungnahme, die in komprimierter Form dann im Jahr 2008 und die daraufhin sofort veranlasste Teilstill- unter der Überschrift „Politik statt Wissenschaft“ in der sei- legung und dann 2012 vorzeitig vorgenommene komplette nerzeitigen Publikationsserie des Verbandes „Die deutsche Stilllegung des Saarbergbaus mit ein. In der Folge mussten Steinkohle: Fakten – Analysen – Argumente“ veröffentlicht hunderte von Saarbergleuten bis zum Ende ihres Berufs- wurde und den ideologischen Gehalt dieser Streitschrift dar- lebens auf „revierfremde“ Arbeitsplätze und damit auch legte. Auf politischer Ebene setzte sich aber zu dieser Zeit Wohnorte wechseln, zu einem beträchtlichen Teil sogar bis der wirtschaftsliberale Ansatz durch, und es wurde 2007 nach Ibbenbüren. Auch der GVSt musste daraufhin nicht nur dann die sozialverträgliche Beendigung des subventionierten sein Personal in ähnlichem Tempo wie das Unternehmen Steinkohlenbergbaus in Deutschland in einer Rahmenver- abbauen, sondern auch seinen Standort allein seit 2007 einbarung von Bund, den Ländern Nordrhein-Westfalen viermal verlegen, bis er seit 2017 wie die RAG im Welterbe und Saarland, der RAG und der IG BCE beschlossen – und Zollverein und damit nun wieder in Essen logiert, wo einst nachfolgend planmäßig umgesetzt. Ein Bestandteil der Ver- im Glückaufhaus alles begann. Kohlepolitisches Ziel der einbarung war auch eine sogenannte Revisionsklausel, nach Verbandsarbeit ist seither nicht mehr der Erhalt zumindest der die Politik, konkret der deutsche Bundestag, im Jahr eines Sockelbergbaus, sondern die Wahrung des sozialver- 2012 prüfen sollte, ob der deutsche Steinkohlenbergbau träglichen Auslaufs bis 2018. tatsächlich endgültig beendet werden soll oder ob dauerhaft ein Sockelbergbau erhalten bleiben sollte, um das bergmän- Betrachtet man den Anpassungsprozess von Produktion, nische Know-how zu erhalten und einen kleinen Beitrag zur Kapazitäten und Beschäftigtenzahl des Steinkohlenberg- Versorgungssicherheit zu leisten. Diese Revisionsklausel baus im langfristigen Gesamtbild nach der Gründung von bedeutete für die RAG und ihre Beschäftigten die Option Ruhrkohle AG bzw. RAG und GVSt bis hin zur endgültigen für einen längerfristigen Betrieb. Gleichzeitig stellte sie das Stilllegung der Förderung, zeigt sich, dass hier ein Struktur- Unternehmen planerisch vor große Herausforderungen, da wandel stattgefunden hat, der innerhalb der westdeutschen gleichzeitig für einen Sockelbergbau und für eine Beendi- Industrie nahezu ohnegleichen ist. Am 21. Dezember 2018 18
Kapitel 1 Kohle- und Energiepolitik, Strukturwandel im Steinkohlenbergbau Umstrukturierung des deutschen Steinkohlenbergbaus seit dem Spitzenjahr 1957 und seit 1970 Anzahl Bergwerke Steinkohlenförderung Belegschaftszahl in 1 000 in Mio. t v. F. 173 607 149 111 69 253 2* 3** 4** 1957 1970 2018 1957 1970 2018 1957 1970 2018 * Jahresdurchschnitt Quelle/Grafik: RAG ** Planzahl Jahresende wird im Rahmen der zentralen Abschiedsveranstaltung des Ruhrbergbaus gegründet und über lange Zeit ein Toch für den deutschen Steinkohlenbergbau auf dem Bergwerk terunternehmen der RAG – und immer noch der größte Prosper-Haniel im Beisein des Bundespräsidenten der letzte Steinkohlenstromerzeuger in Deutschland und auch Mitglied Förderkorb heimischer Steinkohle gehoben und das Kapitel des GVSt –, ist nach einem Intermezzo unter dem Dach der der Steinkohlenförderung in Deutschland geschlossen Evonik inzwischen Eigentum eines Stadtwerke-Konsortiums werden, ein auch emotional ganz besonderer Akt der deut- in der Rhein-Ruhr-Region und als selbstständiger Energie schen Wirtschaftsgeschichte. konzern im Geschäft. Ebenfalls im Jahr 2007 beschlossen und dann umgesetzt Mit der „Schwarz-Weiß-Trennung“ ist zugleich eine bislang wurde die „Schwarz-Weiß-Trennung“ des damaligen RAG- weltweit einmalige institutionelle Regelung für die Bergbau- Konzerns. Hatte sich die RAG in den ersten 40 Jahren ihres folgelasten gefunden worden. Denn der „weiße Bereich“ Bestehens rund um den deutschen Steinkohlenbergbau zu ist als Grundstock für die ebenfalls 2007 erfolgte Gründung einem spartenmäßig diversifizierten und auch international der RAG-Stiftung eingesetzt worden. Die RAG-Stiftung ist aktiven Konzern entwickelt, so wurde nun beschlossen, dass die Eigentümerin der RAG und Mehrheitseignerin der Evonik sich die RAG wieder auf ihr Kerngeschäft, den inländischen Industries AG. Der Stiftungszweck des Vermögens der RAG- Steinkohlenbergbau („schwarzer Bereich“), konzentriert Stiftung ist die finanzielle Deckung der sogenannten Ewig- und die nicht bergbaulichen Aktivitäten und Beteiligungen keitslasten, die auf unbegrenzte Zeit nach der Beendigung („weißer Bereich“) davon abzuspalten und unternehmerisch des Steinkohlenbergbaus zu bewältigen sind: die Gruben zu verselbstständigen sind. Daraus ist die Evonik Industries AG wasserhaltung, die Poldermaßnahmen und die Grundwasser- hervorgegangen, heute ein Global Player der Spezialchemie. reinigung ehemaliger Kokereigelände. Diese umweltschüt- Aus dieser wiederum haben sich nachfolgend die früheren zenden Maßnahmen von öffentlichem Interesse werden als wohnungswirtschaftlichen Aktivitäten der RAG abgelöst Erblast der privatwirtschaftlichen Verantwortung zukünftig und sind in der Vivawest aufgegangen. Die STEAG GmbH, auf privatwirtschaftlicher Basis, das heißt ohne öffentliche einst als „Steinkohlenverstromungs-Aktiengesellschaft“ Hilfen, finanziert. Die operative Durchführung der Ewigkeits- 19
Historische Entwicklung der RAG und Zukunftsperspektive des Unternehmens im Nachbergbau 1968 1997 2007 2018 2019 Fortführung Umbau zum Beendigung der Konzentration der RAG Gründung als diversifizierten subventionierten auf den deutschen mit Bergbau Ruhrkohle AG Spartenkonzern Steinkohlen- Steinkohlenbergbau folgeaktivitäten: RAG AG förderung Nachbergbauära Grafik: RAG aufgaben obliegt der RAG, die dafür aus den Mitteln der würdigen Verabschiedung des deutschen Steinkohlenberg- RAG-Stiftung eine Art Dienstleistungskostenerstattung baus angeregt. Es wurden einige Projekte aufgesetzt, mit gewährt bekommt. Die zeitlich begrenzte, wenngleich noch denen Zukunftsimpulse für die Bergbauregionen gegeben längere Zeit ebenfalls erforderliche Sanierung der Altlasten werden sollen: „Glückauf Nachbarn – Modellquartier für einschließlich der Regulierung der Bergschäden des dann Integration“, „Glückauf Jugend – Kohle für coole Projekte“, stillgelegten Steinkohlenbergbaus finanziert die RAG nach Schülerwettbewerb „Förderturm der Ideen“, aber auch 2018 aus den Rückstellungen, die dafür in der Zeit der aktiven Beteiligung an der „Gründerallianz Ruhr“. Darüber hinaus Steinkohlenförderung gebildet wurden. Darüber hinaus wird wird die RAG-Stiftung ihrer Satzung entsprechend aus ihren sie weiterhin ihre Flächen und ihre bergbauliche Infrastruktur Vermögenserträgen auch künftig Bildung, Wissenschaft und für neue Nutzungen, von Wohn- und Gewerbeansiedlungen Kultur in den Bergbauregionen fördern. bis hin zu erneuerbaren Energien – geothermische Nutzung von Grubenwasser, Windkraft auf Halden, Solaranlagen auf Dass diese weiterhin gezielte Unterstützung brauchen, Freiflächen und Dächern, Biomasse auf Brachen etc. –, ent- wird besonders deutlich am Beispiel des Ruhrgebiets, das wickeln und vermarkten. Die Zeit branchenspezifischer Sub- trotz vielfältiger regionalpolitischer Bemühungen und eines ventionen ist damit für die RAG wie für den Verband vorüber. enormen Strukturwandels weg von der Montanindustrie und Vielmehr tritt sie nach dem endgültigen Abschluss der Phase hin zur modernen Dienstleistungs- und Wissensökonomie der aktiven Steinkohlenproduktion und einer Übergangsphase – heute wesentlich geprägt vom Gesundheitssektor, von der der Stillsetzung und des Rückbaus der letzten Schachtanlagen Logistik und der dichtesten Hochschullandschaft Deutsch- in eine auf unbegrenzte Dauer angelegte neue Phase des lands – seit langem unter einer weit überdurchschnittlichen Unternehmens ein, den „Nachbergbau“. Arbeitslosigkeit leidet, die auch noch im Jahr 2018 die Quote von 10 % kaum unterschreitet. Im Vergleich dazu: Im Regionale Entwicklung, Klimaschutzplan, Europa- Jahr 1969, als die Verbandsgeschichte des GVSt begann, Angelegenheiten herrschte auch im Ruhrgebiet noch Vollbeschäftigung mit Auf der letzten Strecke dahin haben RAG-Stiftung, RAG, einer Arbeitslosenquote von unter 1 %. Es ist darum sehr Evonik und die IG BCE gemeinsam unter dem Titel „Glück- zu begrüßen, dass die gegenwärtige Landesregierung auf Zukunft!“ eine ganze Reihe von Veranstaltungen zur von Nordrhein-Westfalen das Auslaufen des deutschen 20
Kapitel 1 Kohle- und Energiepolitik, Strukturwandel im Steinkohlenbergbau Steinkohlenbergbaus im Jahr 2018 zum Anlass nimmt, eine zusammen mit der Erarbeitung energiewirtschaftlicher Maß- neue Ruhrkonferenz zu starten, die nicht als Einmalveran- nahmen zur Erreichung der nationalen CO2-Ziele (Schließung staltung zur Bekanntgabe einiger „Leuchtturmprojekte“ der der erwarteten Lücke im Jahr 2020, zuverlässige Erfüllung Region oder eines kurzfristigen Aktionsprogramms gedacht des CO2-Reduktionsziels für 2030) einen „Plan zur schritt- ist, sondern einen breit angelegten, mehrstufigen, struktu- weisen Reduzierung und Beendigung der Kohleverstromung rierten und möglichst nachhaltigen Prozess zur Erneuerung einschließlich eines Abschlussdatums und der notwendigen der Region anregen soll. Der Verband befasst sich seit je rechtlichen, wirtschaftlichen, sozialen, renaturierungs- und auch mit strukturpolitischen Fragen, begleitete frühere strukturpolitischen Begleitmaßnahmen“ aufzustellen. In Ruhrgebietskonferenzen (1978 und 1988) und wird auch die Verbindung damit sollen zudem eine „konkrete Perspektive neue Ruhrkonferenz gern im Rahmen seiner Möglichkeiten für neue, zukunftssichere Arbeitsplätze in den betroffenen unterstützen. Regionen“ geschaffen werden und ein „Instrumentenmix, der wirtschaftliche Entwicklung, Strukturwandel, Sozial Die Bedeutung der Energiepolitik für die eigene Verbands- verträglichkeit, gesellschaftlichen Zusammenhalt und arbeit ist seit den Beschlüssen zum Auslauf des deutschen Klimaschutz zusammenbringt“. Zugleich sollen „Perspek- Steinkohlenbergbaus zwar zurückgegangen. Sie ist aber tiven für zukunftsfähige Energieregionen im Rahmen der weiterhin Bestandteil der Verbandstätigkeit, zumal auch Energiewende“ entwickelt werden. Die einschlägigen die STEAG zu seinen Mitgliedern zählt, die RAG ihre Stein- Ergebnisse sollen noch vor dem Jahresende 2018 vorliegen kohlenlieferverpflichtungen bis zum letzten Tag zuverlässig und 2019 in die gesetzliche Umsetzung des Nationalen Kli- erfüllen muss und auch im künftigen Nachbergbau, dann mit maschutzplans 2050 einfließen. Damit steht die Kommission stromintensiven Betrieben (Grubenwasserhaltung, Filterun- vor einer Herkulesaufgabe. Vertreter der Unternehmen und gen etc.), eine sichere und kostengünstige Energieversor- Verbände der Kohleindustrie gibt es in dieser Kommission gung von großer wirtschaftlicher Bedeutung sein wird. Der nicht, sondern nur Vertreter der Politik, der Gewerkschaften, GVSt hat daher auch in den letzten Jahren die vom Begriff der Wissenschaft, von Umwelt- und Bürgerinitiativen sowie der „Energiewende“ hin zu einer dekarbonisierten Energie- von Nichtkohleunternehmen und Spitzenorganisationen der wirtschaft geprägte deutsche und europäische Energie- und Wirtschaft. Zudem wird die Arbeit der Kommission begleitet Klimapolitik aufmerksam verfolgt. Und er hat, wann und wo und sozusagen eingerahmt von Steuerungskreisen aus Ver- es angebracht schien, seine Stimme dazu erhoben. So in tretern der Bundesregierung und mehrerer Bundesländer. zahlreichen Abschnitten seiner Jahresberichte seit 2010 und zum Beispiel auch Anfang 2018 in der Broschüre des Forums Der Auftrag der Kommission betrifft nicht nur die west- für Zukunftsenergien e.V. „Erwartungen der Branchenver- und ostdeutsche Braunkohlenindustrie, sondern auch die bände an die Energie- und Klimapolitik der neuen Bundes- Steinkohlenverstromung und damit die entsprechenden regierung“. Darin plädiert der GVSt unter der programmati- Kraftwerksstandorte in den klassischen Steinkohlenregionen. schen Überschrift „Nachhaltige Energiekonzepte erfordern Der GVSt teilt hierzu die Einschätzung, wie sie die IG BCE Weitsicht und Balance“ dafür, auf dem weiteren Weg der oder ganz ähnlich der BDI vertreten, dass es mit und in Energiewende auch den Zielen Wettbewerbsfähigkeit und dieser Kommission um die seriöse Erörterung offener Fragen Versorgungssicherheit hinreichend Rechnung zu tragen, der Energieerzeugung und der zukünftigen Energiepreise bei der Umsetzung des sehr ambitionierten nationalen in Deutschland sowie um belastbare Zukunftsperspektiven Klimaschutzplans 2050 die Aspekte Markt, Europa und In- für die Beschäftigten und die Regionen insbesondere durch novationen angemessen zu berücksichtigen und speziell bei innovative Technologien gehen muss. Im Vordergrund sollte der Fortentwicklung des EEG die darin von Anfang an und nicht ein beschleunigter Ausstieg aus der Kohleverstromung sinnvollerweise einbezogene Grubengas-Förderung nicht zu stehen, sondern vielmehr der Einstieg in einen umwelt- vergessen. gerechten und wirtschaftlich tragfähigen Strukturwandel, der neue, gute und produktive Industriearbeit mit hoher Im Juni 2018 begann die Arbeit der von der Bundesregierung Wertschöpfung schafft und eine weiterhin rund um die Uhr eingesetzten Kommission „Wachstum, Strukturwandel und sichere und bezahlbare Energieversorgung gewährleistet. Beschäftigung“, die landläufig auch als Kohle- bzw. Kohle- Fraglich ist überdies, wieso eine ambitionierte Klimapoli- ausstiegskommission bezeichnet wird. Deren Auftrag ist es, tik in Deutschland, dessen Anteil an den globalen CO2- 21
Entwicklung energiebedingter CO2-Emissionen in Deutschland nach Energieträgern 1990 bis 2017 Mio. t CO2 Anteile 2017 1200 Kohle (Braunkohle und Steinkohle): 39 % Kohlenwasserstoffe (Öl und Gas): 58 % 12 985 Veränderungsraten 1000 8 10 836 2017/1990 782 12 748 −24 % 800 339 21 8 23 170 Sonstige +188 % 167 166 Braunkohle −51 % 600 6 202 179 159 123 Steinkohle −39 % 4 400 117 158 176 178 Erdgas +52 % 200 319 317 2 259 258 Mineralöl −19 % 0 0 1990 2000 2010 2017 Quellen: BMWi 2017 (bis 2010); für 2017 eigene Hochrechnung auf Basis AGEB und H.-J. Ziesing in et 6/2018 Emissionen bei etwa 2 % liegt, im Hinblick auf die Nutzung in Deutschland und anderen Mitgliedstaaten erforderlich, einzelner Energieträger die Priorität ausgerechnet auf den die Beihilfen nur nach Maßgabe bestimmter gemeinsamer Ausstieg aus der Kohlenutzung setzt, denn die Anteile von Ziele und Kriterien erlaubten. Die Festlegung jeweils neuer Öl und Gas am nationalen CO2-Ausstoß sind beträchtlich Beihilferegelungen war deswegen eine Frage von großer größer. Eine „integrierte Energiewende“, die alle Sektoren kohlepolitischer Bedeutung und hatte einen entsprechend angemessen in die Dekarbonisierung einbezieht, auch den hohen Stellenwert auch für die Verbandsarbeit des GVSt, Wärmemarkt und den Verkehr, wie das zum Beispiel die und zwar von Anfang an bis zuletzt. dena (Deutsche Energie-Agentur) gefordert und 2018 kon- zeptionell dargelegt hat, ergibt sich daraus noch nicht. Exemplarisch hierfür steht das große und erfolgreiche Engagement für eine neue EU-Regelung der Steinkohlen Aus Sicht der deutschen Steinkohle muss die deutsche beihilfen im Rahmen des allgemeinen EU-Vertrages nach Energie- und Klimapolitik des Weiteren in den europäischen dem (fristgerechten) Ende der Geltungsdauer des EGKS- Rahmen eingepasst bleiben, wie das für die Kohlepolitik Vertrages 2002. Die dabei erreichte EU-Ratsverordnung stets gegolten hat. Denn durch die schon 1951/52 als erste 1407/2002 zielte laut ihrem Artikel 1 darauf ab, dass zuläs- der Europäischen Gemeinschaften gegründete Europäische sige Beihilfen nur solche sein können, die zur Umstrukturie- Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS), bekannt auch rung des Steinkohlenbergbaus beitragen. Rechnung tragen als Montanunion, gehörte der Steinkohlenbergbau zu den müssten diese außerdem „den mit der Umstrukturierung Grundsteinen der europäischen Integration und hat die des Steinkohlenbergbaus verbundenen sozialen und regio Bedeutung Europas stets anerkannt und auch beachten nalen Aspekten und der – als Vorbeugungsmaßnahme – müssen. So machte das generelle Beihilfeverbot im EGKS- notwendigen Beibehaltung eines Mindestumfangs an Vertrag seit den 1960er Jahren immer wieder spezifische heimischer Steinkohlenproduktion, damit der Zugang zu befristete Ausnahmeregelungen für die Steinkohlenbeihilfen den Vorkommen gewährleistet ist“. Genau in die Richtung 22
Sie können auch lesen