Woher kommt bloß der Hass auf uns? 04/20 - Gewerkschaft der Polizei
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04/20 Das Magazin der Gewerkschaft der Polizei Woher kommt bloß der Hass auf uns? Zwei Generationen im Gespräch.
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DP 04 DEUTSCHE POLIZEI 04/2020 Inhalt IN EIGENER SACHE Titel Im Gespräch Nur wenige Tage nach Redaktionsschluss 2 „Vergiss nie, hier arbeitet ein 22 „Man braucht einen langen Atem“ der DP-März-Ausgabe erhielten wir die Mensch!“ traurige Nachricht vom plötzlichen Tod un- seres Sachsen-Anhalter Kollegen Ingo Neu- 4 „Wehrt Euch! Meldet Euch! Steht auf!“ Vor Ort bert. Ingo ist 51 Jahre alt geworden. Seinen Kollegen zufolge war er mit Leib und Seele 7 Da geht dir richtig die Pumpe 14 Für die Demokratie auf die Straße Schutzpolizist. Im November 2011 wurde er in den Geschäftsführenden Landesvorstand 10 Gemeinsam gegen Extremismus 20 Führungspositionen müssen der GdP Sachsen-Anhalt gewählt und setzte weiblicher werden sich seit 2015 auch im Polizeihauptpersonal- rat für die Interessen der Kolleginnen und Hilfreich Kollegen ein. Soziale Medien Auch die Redaktion hatte mit Ingo wäh- 12 Wenn der Boden dünner wird rend des Redaktionsschlusses noch telefo- 37 Was das Netz bewegt ... nischen Kontakt. Schließlich ging es um 36 Werbungskosten senken die die Personalratswahlen, bei denen er für Steuerlast die GdP als Spitzenkandidat antreten wollte. Buchtipp Unsere aufrichtige Anteilnahme entbieten Innenleben 32 Mobbing! Ursachen, Schutz wir den Angehörigen unseres so jung ver- und Abhilfe storbenen Kollegen. 15 Tauglichkeit im Blick 40 Was machen wir bei der Polizei? Nun hat der Landesvorstand Rolf Gumpert 16 70 Jahre GdP bestimmt. Der 52-Jährige Familienvater von zwei Kindern wirkt seit 2015 in Vorständen 18 Geschichtsausflug Termine von Personalräten auf den Ebenen des ört- lichen und des Stufenpersonalrats in Hal- 40 VelsPol lädt zum Bundesseminar le. Seit 2018 ist er im Vorstand des Polizei- Hingeschaut hauptpersonalrats im Ministerium für Inne- res und Sport Sachsen-Anhalt tätig. 25 Das Diktat der Schuldenbremse Forum Lieber Rolf, wir wünschen Dir viel Glück und Erfolg. 26 Wie war es eigentlich 1989? 38 Lesermeinung 33 Drei Ziele im Visier 40 Impressum Kommentiert 35 (K)ein großer Wurf? Foto: CandyPottPictures IN DIESER AUSGABE KURZ VOR REDAKTIONSSCHLUSS Der Coronavirus ist mittlerweile Teil unseres Alltags. Kurz vor Redaktions- schluss dieser Ausgabe mahnte die Gewerkschaft der Polizei (GdP) zur Besonnenheit. Ein „gesellschaftliches Reizklima“ sei zu spüren, Worte seien Wir haben GdP-Kolleginnen und -Kollegen gefragt, was bedachtsam zu wählen und auf ihre Folgen zu prüfen, betonte GdP-Bundes- Respekt für sie bedeutet. Lange überlegen mussten sie vize Jörg Radek. Das gelte sowohl für den Bereich der Verwaltungen, die nicht. Christian, 45 Jahre alt, sagte zum Beispiel: „Respekt wirtschaftliche Situation, die Versorgungslage als auch für Freizeitaktivi- ist für mich, auch bei völlig unterschiedlichen Positionen täten wie den Besuch von Großveranstaltungen. „Einsatzanlässe für die im Miteinander sachlich zu bleiben und eine Streitkultur zu Polizei müssen minimiert werden“, forderte Radek. pflegen, die die Argumente des anderen zulässt.“ Liebe Leserschaft, bleibt gesund!
2 DEUTSCHE POLIZEI 04/2020 DP Titel ERTUĞRUL, 31 JAHRE ist für mich, dass man jedem auf Augenhöhe begegnet, unabhängig davon, welche Funktion oder welches Amt diese Person ausübt. W as wurde beschlossen? Der Wort- laut: „Die in den letzten beiden Jahren vom DGB durchgeführten Veranstaltungen zum Thema ‚Gewalt gegen Beschäftigte des öffentlichen Dienstes‘ ha- ben unmissverständlich klar gemacht, dass physische und psychische Gewalt gegen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des öf- fentlichen Dienstes ein erhebliches berufs- gruppenübergreifendes Problem darstellen. Der DGB-Bundesvorstand wird deshalb beauftragt, zu prüfen, wie eine Kampagne entwickelt werden kann, die zum Ziel hat, den Respekt für die Beschäftigten, die für Sicherheit, Ordnung und öffentliche Dienst- leistungen sorgen, nachhaltig zu stärken.“ Vielfältige Gewalterfahrungen Zum Auftakt der jetzigen Initiative trafen sich im Februar rund 150 Gewerkschafterin- nen und Gewerkschafter, darunter etwa 40 GdP-Kolleginnen und -Kollegen, auf Einla- dung des DGB in den Räumlichkeiten der Foto: Häber Berliner Heinrich-Böll-Stiftung. Beschäftig- Schnappschuss aus der S-Bahn: Das Polizei-Megalight-Motiv am Berliner Hauptbahnhof. te berichteten dort über eigene Erfahrun- gen von erlittener körperlicher wie seeli- scher Gewalt. In zwei Workshops erörterten RESPEKT-INITIATIVE DES DEUTSCHEN GEWERKSCHAFTSBUNDES die Teilnehmerinnen und Teilnehmer Ursa- chen und Anlässe für Ausbrüche ihres Ge- „Vergiss nie, hier genübers. Die Gelsenkirchener Polizeiprä- sidentin Britta Zur stellte fest, dass Gewalt gegen Beschäftigte, die im Dienst der Ge- arbeitet ein Mensch!“ sellschaft stünden, mittlerweile ein „Volks- sport“ sei. (Einen Beitrag von Britta Zur fin- den Interessierte auf der Seite 4.) Auch was die Öffentlichkeitsarbeit an- geht, wurde nicht gekleckert. 60.000 Plaka- Mai 2018: Die Delegierten des 21. Parlaments der Arbeit te in zwei Formaten, 5.000 Faktenbücher, 7.500 Flyer und Postkarten sowie 10.000 trafen sich in Berlin zum Bundeskongress des Deutschen Buttons und 5.000 Stressbälle fanden Ab- Gewerkschaftsbundes (DGB). Der Antrag „A013: Gewalt nehmer und Betrachter. Dazu kamen noch 39 Großbanner für Gewerkschaftshäuser. gegen Beschäftigte öD“ des Antragstellers Gewerkschaft 307 sogenannte Megalights, also Werbeme- der Polizei (GdP) wird aufgerufen, beraten und in marginal dien mit langer Betrachtungsdauer, hingen in 22 Städten. Darunter auch das Polizeimo- geänderter Fassung angenommen. Noch nicht einmal zwei tiv, dem die 24-jährige Bundespolizistin So- Jahre später startet die bundesweite DGB-Initiative phie ihr Gesicht verlieh. Die Kampagne soll bis Ende 2021 andauern. „Vergiss nie, hier arbeitet ein Mensch!“ Die stellvertretende DGB-Vorsitzende und Gastgeberin Elke Hannack nannte die Michael Zielasko Ergebnisse einer im Vorfeld durchgeführten Befragung zur „Gewalt gegen Beschäftigte des öffentlichen und privatisierten Sektors“
DP DEUTSCHE POLIZEI 04/2020 3 Der DGB startete am 19. Februar eine wirkungsstarke Initiative mit einer bundesweiten Plakatierung und Infoveranstaltungen. Die Motive sind einprägsam. Ein Busfahrer, eine Polizistin, ein Feuerwehrmann, eine Krankenschwester und weitere Be- schäftigte sprechen Respektlosigkeit sowie Gewalt in ihrer Arbeitswelt an und erinnern die Betrachterinnen und Betrachter: „Vergiss nie, hier arbeitet ein Mensch!“. besorgniserregend. 67 Prozent der Befrag- ten gaben an, sie seien in den vergangenen beiden Jahren Opfer von Respektlosigkeit und Gewalt geworden. 57 Prozent berich- teten, dass die Gewalt zugenommen habe. Die Übergriffe reichten von Beleidigungen bis zur Bedrohung mit Waffen. „Das sind erschütternde Zahlen. Sie zei- gen den dringenden Handlungsbedarf. Wir werden auf die Innenminister zugehen, um hier eine Verbesserung zu erreichen und die Beschäftigten besser zu schützen“, kündigte Hannack an. Die Übergriffe müss- ten endlich insgesamt erfasst werden – so- wohl für den öffentlichen als auch den pri- vatisierten Sektor. Nur auf Grundlage einer soliden Datenbasis ließen sich Prävention und Nachsorge effektiv stärken, betonte sie. Auch sollten alle Vorgesetzten aufmerksa- mer sein und betroffene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ernst nehmen. „Zu oft wird das Thema ignoriert, das zeigen unsere Um- frageergebnisse“, betonte die Gewerkschaf- terin. Demnach wird mehr als jeder dritte Foto: Bensmail Vorfall den Vorgesetzten gar nicht gemel- det, weil die Betroffenen sich davon nichts versprechen. Kampagnen-Gesicht Sophie im Gespräch mit GdP-Vize Jörg Radek. Deutliches Signal gegen zunehmende Respektlosigkeit Klare Kante zeigte auch der stellvertreten- de GdP-Bundesvorsitzende Jörg Radek. Er nannte die in den vergangenen Jahren zu- nehmende Gewalt gegenüber Beschäftig- ten nicht länger hinnehmbar. Angriffe auf Polizistinnen und Polizisten, Übergriffe auf Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Bahn oder auf Feuerwehrleute und Rettungssani- täter seien ein alarmierendes Signal an die Politik, deutlich mehr für deren Sicherheit zu unternehmen. Radek sagte: „Tatenlosig- keit und leere Versprechungen der Regieren- den sind fehl am Platze, wenn sich immer mehr Beschäftigte, die wichtige Dienstleis- tungen erbringen, sich im Berufsalltag nicht mehr sicher fühlen.“ Vor dem Hintergrund der zunehmenden Aggressivität brauche es gesellschaftliche Solidarität gegen Hass und Gewalt und mit denen, die Ordnung und Si- cherheit gewährleisteten. I Foto: Bensmail Die GdP-Delegation auf den Stufen der Berliner Heinrich-Böll-Stiftung.
4 DEUTSCHE POLIZEI 04/2020 DP Titel WULF, 54 JAHRE ist für mich die Grundlage des sozialen Miteinanders. GEWALT GEGEN EINSATZKRÄFTE ständigkeit hatten oder aber der Täter aller „Wehrt Euch! Voraussicht nach schuldunfähig war. An- sonsten klagten wir tatsächlich alles an, was irgendwie ging. Wir vertraten den Stand- punkt, dass es Sinn und Zweck einer solchen Meldet Euch! Sonderabteilung sein muss, hart durchzu- greifen. Ziel war es, die Verfahren, in denen öffentlich Bedienstete Opfer wurden, gebün- Steht auf!“ delt, nachhaltig und intensiv, vor allem aber schnell zu erfassen und anzuklagen. Zu Beginn hatten meine Kollegen und ich noch keine Vorstellung davon, wie viele Ver- fahren uns tatsächlich erwarten würden, da es dazu zuvor keine belastbaren Statistiken gab. Nachdem ich zunächst alleine versucht hatte, der Menge an Verfahren Herr zu wer- Britta Zur ist erst seit Ende Dezember Polizeipräsidentin den, jedoch schnell merkte, dass das nicht von Gelsenkirchen – mit 39 Jahren die jüngste in möglich war, haben wir zuletzt zu fünft – das heißt mit drei Staatsanwälten und zwei Nordrhein-Westfalen (NRW) und auch in Deutschland. Amtsanwälten – in dieser Sonderabteilung Schon zuvor hat sie als Staatsanwältin entschlossen für die gearbeitet. Pro Jahr konnten wir so circa 1.600 Verfahren bearbeiten, eine sehr hohe Rechte aller gekämpft, die sich für das Gemeinwohl Zahl und: alleine im Amtsbezirk Düsseldorf. einsetzen und dabei häufig Anfeindungen, Beleidigungen und tätlichen Übergriffen ausgesetzt sind. Keine „typischen Täter“ Wie macht sie das? Ich konnte eindeutig feststellen, dass Über- griffe gegen öffentlich Bedienstete ein sehr häufiges Phänomen sind und, dass es keinen „typischen“ Täter gibt. Natürlich gibt es im Britta Zur Bereich der Düsseldorfer Altstadt den jungen, männlichen Erwachsenen, der am Wochen- ende feiern geht, zu viel Alkohol trinkt und sich daneben benimmt. Aber wir hatten auch Anwälte und Ärzte, denen es in der Schlange B evor ich Polizeipräsidentin wurde, am Flughafen nicht schnell genug ging und habe ich zwölf Jahre bei der Staatsan- Anklagequote von die dann ausfallend wurden, oder Hausfrau- waltschaft Düsseldorf gearbeitet, die rund 70 Prozent en, die im Rahmen einer Verkehrskontrolle letzten anderthalb Jahre auch als Pressespre- Polizeibeamte grundlos beschimpften. cherin. Im September 2018 gründete ich mit Im Durchschnitt werden in NRW bezogen Das ist also tatsächlich ein Deliktsbe- einigen Kolleginnen und Kollegen eine Ab- auf alle Deliktsbereiche etwa 20 Prozent an- reich, den wir an allen Ecken und Enden teilung, die sich ausschließlich mit der Gewalt geklagt. Das heißt, dass etwa jedes fünfte der Gesellschaft beobachten können. Es ist gegen Einsatzkräfte beschäftigte. Den Begriff Verfahren am Ende vor Gericht landet. Mit leider „Volkssport“ geworden, öffentlich Be- Einsatzkräfte haben wir direkt sehr weit ge- unserer Sonderabteilung hatten wir zuletzt dienstete herabzuwürdigen, zu beleidigen fasst, da wir alle Menschen schützen wollten, eine Anklagequote von rund 70 Prozent. Re- oder gar anzugreifen. die Aufgaben der öffentlichen Hand wahr- lativ gesehen haben bei uns also wesentlich Die Einrichtung dieser Sonderabteilung nehmen und in irgendeiner Form von An- mehr Anzeigen auch zu einem Verfahren vor in Düsseldorf hatte Vorbildcharakter und griffen – welcher Art auch immer – betroffen Gericht geführt. Selbstverständlich haben war eine der ersten im Land. Aus heutiger sein könnten. Das sind neben Polizeibeamten wir dabei immer verhältnismäßig agiert und Sicht kann ich sagen, dass dieses Modell beispielsweise Lehrer, Gerichtsvollzieher, nur Anklage erhoben, wenn auch begründet überaus erfolgreich ist und sich alle Mühen, Bademeister, Schaffner oder Feuerwehrleute. von einer erfolgreichen Verurteilung auszu- diese aufzubauen, gelohnt haben. Die Ge- Wir hatten es uns damals zum Ziel gemacht, gehen war. richte waren am Anfang natürlich erstaunt, wirklich eine „Null-Toleranz-Linie“ zu fahren, Beispielsweise wurden Taten nicht ange- dass plötzlich so viele Anklagen bei ihnen sei es bei Angriffen verbaler oder auch körper- klagt, bei denen der Aufenthaltsort der Tä- auf dem Tisch lagen. Immer wieder kam von licher Natur. ter unbekannt war, wir keine örtliche Zu- dort auch die Frage, ob die Anklagen tat-
„„ „„ DP DEUTSCHE POLIZEI 04/2020 5 Die Gerichte waren am Es ist leider ,Volkssport‘ Anfang natürlich erstaunt, dass geworden, öffentlich Bedienstete plötzlich so viele Anklagen bei herabzuwürdigen, zu beleidigen ihnen auf dem Tisch lagen. oder gar anzugreifen. sächlich auch zur Entscheidung gebracht terschreibe und dass ich in meiner Funkti- DP-Autorin Britta Zur ist seit dem 23. Dezember 2019 werden sollen oder man die Verfahren nicht on als Polizeipräsidentin alles dafür tue, da- Polizeipräsidentin von Gelsenkirchen. Die gebürtige anders erledigen könne. Uns war aber klar, mit sie sich sicherer fühlen. Sie sollen und Kölnerin arbeitete von 2008 bis 2019 als Staatsanwältin dass wir grundsätzlich keine Einstellung von müssen wissen, dass sie mit ihrem Erlebnis mit den Delikt-Schwerpunkten Mord und Totschlag in Verfahren wollten. Wir wollten Urteile! nicht alleine gelassen werden. Ihnen wird Düsseldorf. Zudem beschäftigte sie sich in einem Son- geholfen! derdezernat mit der Verfolgung von Gewaltdelikten Wir sind an einem Punkt angelangt, an gegen Vollzugsbeamte. Zur sieht ihre wichtigste Aufga- Viel positives Feedback dem wir es als Gesellschaft nicht länger hin- be darin, auch künftig mit engagierten Mitarbeiterinnen nehmen und tolerieren dürfen, dass genau und Mitarbeitern alles dafür zu tun, die Sicherheit der Die besondere Bedeutung in dieser Abtei- die Menschen, die für uns jeden Tag arbei- Menschen in Gelsenkirchen zu gewährleisten. Dabei will lung lag für mich insbesondere in der Re- ten und im Dienst der Allgemeinheit tätig sie die bewährte Arbeit mit den zahlreichen Ordnungs- sonanz, auf die wir gestoßen sind. Ich habe sind, angegangen, beleidigt, bespuckt oder partnern in der Stadt fortsetzen. viel positives Feedback in Form von E-Mails, sonst wie angegriffen werden. Egal, ob sie Telefonanrufen und Briefen aus den Reihen in Krankenhäusern, Schulen oder Behör- von Betroffenen aus dem ganzen Bundesge- den arbeiten. biet erhalten. Natürlich war es hilfreich, die- se Arbeit, die wir da gemacht haben, auch medial zu begleiten. Als Pressesprecherin Konsequentes Einschreiten war ich viel im Radio und Fernsehen, habe Podiumsdiskussionen und Talkshows be- Der Weg ist beschritten, und es gibt Entwick- sucht. Da dieses Thema nicht an Aktualität lungen, die Hoffnung machen. Ein Beispiel verliert, greifen es die Medien immer wie- sind die sogenannten Bodycams, mit de- der gerne auf und rücken es in den Fokus. nen die NRW-Polizistinnen und -Polizisten, In meiner neuen Funktion als Polizei- ähnlich wie in anderen Bundesländern, bis präsidentin kann ich dieses Rad nun wei- Ende des Jahres flächendeckend ausgestattet terdrehen und meinen Mitarbeiterinnen werden. Studien belegen, dass diese Kame- und Mitarbeitern, so wie allen Betroffe- ras deeskalierend wirken. Sie werden sicher nen nur raten: Wehrt Euch! Meldet Euch! dazu beitragen, gewalttätige Angriffe auf Po- Steht auf! Auch die Müdigkeit nach langen lizeibeamtinnen und -beamte zu verhindern. Nachtdiensten darf kein Argument sein, auf Ein weiteres Beispiel ist die Einführung eine Anzeige zu verzichten, wenn man be- des Paragrafen 114 Strafgesetzbuch (StGB), schimpft, beleidigt oder sogar körperlich der den tätlichen Angriff auf Vollstreckungs- angegangen worden ist. Schreiben Sie die- beamte sanktioniert und im Fall einer Ver- se Anzeige und denken Sie nicht, dass es die urteilung einen Mindeststrafrahmen von Mühe nicht wert ist! Denn – und auch das drei Monaten Freiheitsstrafe vorsieht. ist mir wichtig – es muss in Zukunft verhin- So wie ich als Staatsanwältin konsequent dert werden, dass die Justiz in solchen Fäl- dafür eingetreten bin, denjenigen zu ihrem len nicht oder nur zögerlich tätig wird. Recht zu verhelfen, die im Rahmen ihrer Ar- beit für die Allgemeinheit Opfer von verbaler oder körperlicher Gewalt geworden sind, Umdenken in den Köpfen trete ich auch als Polizeipräsidentin ve- hement dafür ein, dass Betroffenen Ich will, dass es zu einem Umdenken in den bewusst wird, dass sie diese Angrif- Köpfen aller Beteiligten kommt, vom klei- fe nicht hinnehmen müssen. Ich nen Bezirksbeamten bis hin zu Richterin- appelliere an alle Leidtragen- nen und Richtern. Das gelingt meiner Mei- den, sich zu wehren und plä- nung nach auch dadurch, dass wir dieses diere dafür, die vorhanden Thema immer wieder öffentlich machen Mittel und Gesetze konse- und in den Köpfen der Menschen präsent quent auszuschöpfen. halten. Das führt automatisch zu einer Sen- Niemand hat es nö- sibilisierung aller Beteiligten. Ich gehe na- tig, zum „Fußab- türlich voran und sage meinen Mitarbeite- treter“ der Nation rinnen und Mitarbeitern bei jeder Gelegen- zu werden! I Foto: Thomas Nowaczyk heit, dass ich hinter ihnen stehe. Meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sollen wissen, dass ich jeden Strafantrag un-
DP DEUTSCHE POLIZEI 04/2020 7 Titel JANNIK, 26 JAHRE ist für mich das Anerkennen des Menschen hinter der Uniform. AUF EIN WORT MIT DER POLIZEI Da geht dir richtig die Pumpe Wie fühlt es sich an, als Polizistin „Hurensohn“ genannt zu werden? Wie wichtig ist Hilfe nach einschneidenden Erlebnissen? DP sprach mit einer jungen Bundespolizistin und einem erfahrenen Schutzmann. Beide verbindet der G20-Einsatz in Hamburg: Ein Kiezspaziergang. Danica Bensmail und Michael Zielasko H amburg empfängt uns mit Klischee- nehmen. Aus ihrer hanseatischen Ruhe kön- wetter. Kalter, scharfer Wind, Wolken nen die Nachtschwärmer sie nicht mehr brin- und dunkle Wolken wechseln sich gen. Es geht alles seinen gewohnten Gang. Foto: Bensmail ab – immerhin ist es trocken. Wir finden Man kennt sich auf dem Kiez. Und man weiß ein Plätzchen ein paar Meter außerhalb des dort, wer nicht dazu gehört. Bahnhofstrubels, fangen einen der wert- Gegen Abend wird die Dunkelheit die vollen Sonnenstrahlen ein und warten auf Schäbigkeit des Kiezes mit einem gnädigen Sophie. Sie ist das GdP-Gesicht der Respekt- Schleier bedecken. Womöglich trübt auch kampagne des Deutschen Gewerkschafts- dichter Alkoholdunst den Traum von der bundes. Die 24-jährige Bundespolizistin reist Großen Freiheit, der nicht selten am Spiel- aus dem benachbarten Schleswig-Holstein budenplatz 31 endet. Dort, an der Ecke zur an. Wir telefonieren uns zusammen. Noch Davidstraße, steht seit 1914 die Wache des mit dem Smartphone am Ohr bemerkt sie kleinsten Polizeireviers Europas: auf knapp unser Winken. Ein kurzes Hallo. Schließlich einem Quadratkilometer leben etwa 14.000 haben wir uns ja erst vor knapp einer Woche Menschen. Dass man hier im Polizeikom- in Berlin kennengelernt. missariat 15 mit allerlei Trabbel beschäftigt Wir machen uns auf den Weg zu Deutsch- ist, hat nicht nur Geschichte. Es ist Tagesge- lands sündigster Meile und der hierzulande schäft. Und das wird auch noch morgen so wohl bekanntesten Polizeidienststelle, der sein. Auch wenn die Zeiten sich immer ge- Davidwache. Der Nahverkehr entlässt uns an ändert haben. der Reeperbahn. Am Vormittag ist dort wenig Wir sind verabredet. Ein uniformierter vom turbulenten Nachtleben zu spüren. Die Beamter kommt auf uns zu. „Moin“, sagt er, Kneipen, Bars, Clubs und Etablissements be- „Hallo auf St. Pauli.“ Andreas, Polizeihaupt- reiten sich mit routinierter Geschäftigkeit auf kommissar und stellvertretender Landesvor- das Wochenende vor. Die Kiezbewohner auf sitzender der Hamburger Gewerkschaft der St. Pauli werden wie schon seit Jahrzehnten Polizei (GdP) lächelt, aber spornt uns gleich die Flut Vergnügungswilliger zur Kenntnis an. Er habe sich für uns 90 Minuten Zeit ge-
8 DEUTSCHE POLIZEI 04/2020 DP KARIN, 50 JAHRE ist für mich Wertschätzung in der Bevölkerung und in der Politik. „„ nommen, müsse aber sofort zurück, wenn sagt er. Wie gehen die beiden mit offenen er gerufen würde. Anfeindungen um? Der 50-Jährige Schutzmann spricht mit „Beleidigungen sind Standard“, sagt So- Sophie: uns heute ausschließlich in seiner Funk- phie und zuckt mit den Schultern. „Ich war tion als Gewerkschafter. Das zu betonen, schon so ziemlich alles: das Bullenschwein, Ich war schon so ist ihm wichtig und er erklärt uns auch die Dämliche da, die Fotze.“ Sie versucht ziemlich alles: gleich, warum. 2003 war ein Kollege mit ei- sich erfolglos ein Lächeln zu verkneifen: nem Messer angegriffen worden. Ein Han- „Ein Fußball-Fan hat mich Hurensohn ge- das Bullenschwein, dy in der Brusttasche hatte den Beamten nannt.“ Auch wir müssen schmunzeln und die Dämliche da, vor einer wahrscheinlich tödlichen Stich- wunde bewahrt. Ein Dienstunfall, nein, Sophie und Andreas sind sich einig: „Solche Aussagen kannst du nicht ernst nehmen“, die Fotze. nie gemeldet. Er sei ja nicht „verletzt“ wor- sagt Andreas und Sophie nickt. Sie habe sich den. Zumindest nicht körperlich. Über die in den vergangenen vier Jahren ein dickes Zeit habe der Kolle- Fell zugelegt. ge schwere Depres- An den Stufen auf Straßenniveau kommt sionen entwickelt. Bewegung auf. Andreas kann das nicht se- Nun stehe er ohne hen. Wir stehen oben, er schaut uns an, Ansprüche da. Der spricht mit uns. „Da unten sind unsere Dro- Dienstherr wolle genfachverkäufer“, sagt er mit einem Grin- ihn jetzt wegen feh- sen. „Die Herrschaften kriegen gleich das lender Dienstfähig- Laufen, wenn ich komme.“ Tatsache, drei Per- keit loswerden. Die sonen mit Tragetaschen machen sich plötz- GdP stehe ihm aber lich auf. Sie schauen zu uns hoch. Dann fol- zur Seite. gen vier weitere Personen mit ähnlichem Out- Er führt uns am fit und offenbar gleichem Ziel, schnell weg. Tresen vorbei in die Räuber und Gendarm, Katz und Maus. So Diensträume der entspannt wie unsere kurze Episode mit den Davidwache. Eini- „Straßenapothekern“ läuft es selten. Für An- ge Kollegen grü- dreas und Sophie gehören Blut, blaue Fle- ßen ihn, kennen cken oder gebrochene Knochen zum Berufs- ihn aus seiner Zeit risiko. G20 hat gezeigt, wie gefährlich feh- dort. Einer sagt, es lender Respekt gegenüber der Polizei sein wären so viele neue kann. Fliegende Steine, Gehwegplatten, Ge- Polizeimeister da, walt – unverhohlen und offen. Unsere Ge- selbst bekannte Ge- sprächspartner haben es erlebt. „Das war sichter blieben heute oft unbeachtet. heftig. Da geht dir richtig die Pumpe – auch In einem Besprechungsraum klären wir in der KSA“, sagt Sophie und meint damit mit Sophie und Andreas noch einige tech- ihre Körperschutzausstattung. nische Details, dann geht es auf die Stra- Offen über ihre Erlebnisse mit uns zu ße. Angesichts der knappen Zeit stürmen sprechen, fällt beiden nicht leicht. Sophie wir davon, doch Andreas bremst uns ein: erklärt: „Nach außen gibt man sich natür- „Nicht so schnell, wir pflegen hier unse- lich gefasst. Das muss so sein. Aber innen ren BFS-Gang, um jederzeit ansprechbar zu drin sieht das oft anders aus.“ sein.“ Das Tempo des Besonderen Fußstrei- Dennoch: Wegducken ist keine Option – fendienstes ist deutlich gemächlicher. Wir im Gegenteil. „Sich Respekt verschaffen“, passen uns an und schlendern los – die Ree- sagt Andreas und hält kurz inne. „Das be- perbahn hinunter. deutet zu zeigen: Ich bin auch da. Ich bin An einer steilen Treppe macht Andreas präsent.“ Sophie stimmt zu: „Der Respekt, Halt. Hinter seinem Rücken geht es bergab, der einem entgegen gebracht wird, hat zu 90 da hinten fließt Wasser, Hafengebiet. Links Prozent mit deinem Auftreten zu tun.“ neben ihm prangen die mit bunten Plaka- Klar ist: mangelnder Respekt ist verlet- ten beklebten und eindeutigen Sprüchen zend. Nicht nur für den Körper, auch für die besprühten Türen des versperrten „Onkel Seele. Wie verarbeiten die beiden das Erlebte? Otto“. Die Szenekneipe des linksautonomen Bei der Frage schweift Andreas Blick nach- Fotos (2): Bensmail Milieus wäre häufiger Ausgangsort von al- denklich in die Ferne. Sophie antwortet: „Ich lerlei Anfeindungen gegenüber der Polizei, habe großes Glück“, sagt sie mit leiser Stim-
DP DEUTSCHE POLIZEI 04/2020 9 HORST, 55 JAHRE LYDIA, 30 JAHRE bekommt, wer ist für mich ein selber andere wertschätzender respektiert. Umgang miteinander. me. „Meine Familie und Freunde sind in sol- und setzt die Mütze auf. Der Schutzmann ist chen Situationen für mich da. Reden hilft.“ wieder im Einsatz. Einen Moment lang ist es still. Bei all dem Jetzt mal Butter bei die Fische. Klar, als Negativen müsse man sich einer Sache im- Polizist ist man permanent konfrontiert mit mer bewusst sein, sagt Andreas schließ- den Schattenseiten des menschlichen Da- lich. Er zeigt auf seine Uniform. „Die has- seins. Druck, Negativität, sogar Hass. Für sen nicht Sophie oder Andreas. Die hassen die meisten Menschen wäre das auf Dau- dieses Stück Stoff.“ Sophie pflichtet ihm bei: er zu viel. Aber Polizist sein, hat doch auch „Genau. Ich sage mir immer, wir sind für schöne Seiten. Oder nicht? Als hätte sie da- die Menschen da, um ihnen zu helfen. Und rauf gewartet, schiebt sich die Sonne müh- das zu wissen, macht mich stark.“ Andreas sam durch die Wolken. „Na klar“, sagt So- Fotos (2): Bensmail nickt. Er hatte nach einem für ihn einschnei- phie. Also ist für die beiden ihr Beruf als denden Erlebnis bewusst den psychologi- Polizist Berufung? Die Bundespolizistin schen Dienst aufgesucht. Es wurden meh- antwortet, noch ehe rere Jahre. Ein Gewalttäter hatte ihn brutal wir die Frage fertig auf das Pflaster gestoßen. Dabei kugelte ihm gestellt haben: „Auf die Schulter aus. „Ich lag auf der Straße wie jeden Fall. Ich will eine auf den Panzer gekippte Schildkröte. Menschen helfen“, Ich fühlte mich völlig hilflos.“ Und das habe platzt es aus ihr he- ihn noch länger verfolgt. Aber, in der Zeit sei raus. Andreas steht sowieso einiges auf ihn eingeprasselt. Nun daneben und nickt. verfüge er über Werkzeuge, mit belastenden Es ist das Interes- Situationen und Zeiten umzugehen. se an Menschen, Zum Beispiel mit den Angriffen auf die Da- das beide antreibt. vidwache vor ein paar Jahren. „Da hatte ein „Klar, dass da nicht Kollege einen Stein aus unmittelbarer Nähe immer alles rosig ins Gesicht bekommen“, erinnert Andreas mit ist“, sagt Andreas. einem die Weite messenden Blick. Eine mut- Wie auf ein maßlich aus der linksautonomen Szene stam- Stichwort dröhnen mende Gruppe hatte Wache und Beamte bru- von der anderen tal attackiert. Andreas war in unmittelbarer Straßenseite aufge- Nähe und der verantwortliche Einsatzführer. brachte Stimmen zu Ein paar Tage zuvor war die Wache nach uns herüber. Ist es „„ einem Fußballspiel des FC St. Pauli bereits ein Streit? Laut ist angegriffen worden. Auf der Strecke geblie- es jedenfalls. Wir ben waren dabei zum Glück „nur“ die demo- erkennen ein paar Jugendliche, die aus ei- lierten Streifenwagen. nem Parkhaus kommen. Plötzlich zerdep- Andreas: Am Wasser frischt der Wind noch einmal pern ein paar Flaschen, das Klirren des Gla- auf. Hamburg will uns wohl klar machen, ses bemerken auch Passanten. Sie schauen Die hassen nicht dass der Norden nichts für Weicheier ist. Wir dem vermeintlich pubertären Treiben zu. Sophie oder Andreas. machen ein Foto unserer Gesprächspartner. Sophie, in diesem Moment ganz Polizistin, Im Hintergrund wächst die „Elphi“ aus dem und Andreas drehen sich abrupt um. Zügig Die hassen dieses Wasser. Im November 2016 ist das Konzert- haus fertig geworden. Kein Hansestadt-Foto steuern sie zur Fahrbahn und nehmen situ- ative Witterung auf. Die Jugendlichen sind Stück Stoff. ohne die Elbphilharmonie. Zwischen Sophie, schon weg, ein Mann begutachtet die Glas- Andreas und dem neuen Wahrzeichen der reste an der Treppenstiege und geht vor- Hafencity, dem Tor zur Welt, versucht eine sichtig um die Scherben herum. Was wäre Möwe auf einer runden, rutschigen Laterne das für ein Eindruck, wenn hier ein Polizist Fuß zu fassen. Das klappt nicht. Sie gibt auf. steht, ein Schwätzchen hält und sich um sol- Andreas nimmt seine Dienstmütze ab, che Dinge nicht kümmert, sagt Andreas. macht eine kleine Pause, steckt sich eine Zi- Unser Eindruck: Leicht lassen sie sich garette an. Während dieser Auszeit streift nicht aus der Ruhe bringen. Aber überra- der Gewerkschafter das Offizielle ein wenig schende Momente gibt es doch sicherlich im- ab. Andere würden die aufgerauchte Kippe mer noch, oder? Sophie nickt: „Das war hier vielleicht achtlos wegschnippen, er sucht ei- in Hamburg. Während des Dienstes waren nen angemessen Ort für Restasche und Filter wir immer in einem Restaurant auf Toilet-
10 DEUTSCHE POLIZEI 04/2020 DP MARTIN, 32 JAHRE Glückwünsche an den neuen DGB-Vorstand: Anja Piel und GdP-Vize Dietmar Schilff. ist für mich das Fundament einer funktionierenden Gesellschaft. Foto: Rohde te. Der Besitzer war total nett zu uns. Dann DGB-BUNDESAUSSCHUSS IN BERLIN meinte seine Kollegin: ,Jetzt biste hier nett zu den Polizisten, heute Abend ziehste dich wieder um und wirfst Steine.‘“ Kopfschüt- telnd schaut sie uns abwechselnd aus blau- Gemeinsam gegen en Augen an. „Das war heftig.“ Auch Andreas erinnert sich an eine Fest- nahme auf der Großen Freiheit. „Gefährliche Extremismus Körperverletzung. Der Kollege des Täters hat mir während der Festnahme und dem Bre- chen des Widerstandes mehrfach von hinten Rund 100 Delegierte der Einzelgewerkschaften, darunter die an die Schulter gefasst und an meiner Leder- jacke gezogen. Das geht gar nicht.“ Andre- Gewerkschaft der Polizei (GdP) mit fünf Vertretern trafen sich as streckte den Grabscher mit einem Kinn- Anfang März zur Tagung des DGB-Bundesausschusses haken nieder. Später auf der Wache: “Da hat sich der Mann entschuldigt, dass er mir da- (BA). Der BA ist das das höchste Gremium des Deutschen zwischengefunkt hat. Und der Schlag, frage Gewerkschaftsbundes (DGB) zwischen den ich.” Zurecht, sagt er, den habe er verdient. Auch so kann es gehen. Bundeskongressen. Der letzte fand 2018 statt. Die Zeit rennt uns davon. Andreas muss zurück. Na klar. Schnurstracks navigieren wir wieder Richtung Davidwache. Ein paar Dietmar Schilff Meter später stupst er einen Obdachlosen an. Zwei Schlafsäcke schützen ihn vor der Kälte. Er liegt im Eingangsbereich eines ge- N schlossenen Geschäfts. „Alles okay?“, fragt eben der Erörterung aktueller The- tischer Gewalt. Der GdP-Vize forderte die Andreas. Mit etwas Verzögerung reagiert der men wurde auch eine Personalie Politik auf, sich stärker im Bildungs- und Mann. Aber den Proviant von gestern soll er besiegelt. Die Aufgaben des lang- Sicherheitsbereich zu engagieren. Es müsse dann doch wegräumen, bitte. jährigen und demnächst in Ruhestand ge- massiv gegen rechtsradikale und -populis- Eindeutige Aufkleber und Graffitis säumen henden DGB-Vorstandsmitglieds Annelie tische Einflussnahme vorgegangen werden. unseren Rückweg. Ein optischer Spießruten- Buntenbach wird Anja Piel übernehmen. Er begrüßte ausdrücklich die bundes- lauf sei das nicht, erklären uns Sophie und Die Delegierten gaben der Niedersächsin weite DGB-Initiative gegen Gewalt gegen- Andreas. Manchmal pikst es ein bisschen, mit 98,8 Prozent einen überwältigenden über Beschäftigten des öffentlichen Diens- sagen sie. Und, ja, sie nehme das viel stärker Vertrauensvorschuss. Der stellvertretende tes. Er kritisierte Gruppierungen, die die Po- wahr, als früher, sagt Sophie. Seit sie Polizis- Bundesvorsitzende und GdP-Delegations- lizei als Feindbild sähen und Einsatzkräfte tin sei, bewege sie sich mit einer gewissen se- leiter Dietmar Schilff überbrachte Piel die verbal sowie tätlich angriffen. lektiven Wahrnehmung durch die Städte. Glückwünsche seiner Gewerkschaft. Kolle- Nachdrücklich appellierte Schilff, sich Kurz vor dem Ziel treffen wir noch zwei Kol- gin Buntenbach dankte er für die stets gute bei den kommenden Veranstaltungen zum legen der Fußstreife. Sie sind gerade im Ge- Zusammenarbeit. 1. Mai von radikalen Gruppen wie Teilen der spräch mit einem Ladenbetreiber. Alles läuft Antifa zu distanzieren. Diese wollten „un- ruhig und freundlich ab. Neue Gesichter fal- ser positives Gesellschaftsbild zerschlagen“ len sofort auf. Andreas hat kein neues. Die Kol- Schweigeminute für und beleidigten eingesetzte Polizeibeschäf- legen grüßen uns: „Darfst du dich hier über- Hanauer Opfer tigte als „Mörder und Faschisten“, beton- haupt noch sehen lassen“, lachen sie ihn an. te der Gewerkschafter. „Mit diesem Milieu Die Davidwache ist in Sichtweite. Andre- Mit einer Schweigeminute gedachten die kann und darf es keine Art der Zusammen- as ist auf dem Sprung. Noch ein letztes Foto, Teilnehmenden den Opfern des rassisti- arbeit geben“, sagte Schilff und erntete star- ein schneller Dank. „Wir sehen uns“, sagen schen, rechtsextremistischen Terroran- ken Beifall der Delegierten. wir und bekommen noch einen Geheimtipp schlags in Hanau. DGB-Bundesvorsitzender für einen leckeren Kuchen vor der Fahrt zu- Reiner Hoffmann machte angesichts der er- Weitere Themenschwerpunkte der BA-Bera- rück. Dann trennen sich auch Sophies und schütternden Taten deutlich, dass der DGB tungen: die Situation in Syrien, der Türkei unser Weg. einmütig den Feinden der Demokratie und sowie Griechenland und die dortige huma- Auch mehrere tausend Schritte über Ham- des gedeihlichen Zusammenlebens immer nitäre Lage, die Wahlen in Thüringen und burgs Straßen später sind wir gefühlt keinen und überall entgegentreten werde. Hamburg, die Entsolidarisierung in der Ge- Meter vorangekommen. Woher kommt bloß Schilff verdeutlichte die GdP-Position ei- sellschaft, Tarifbindung und Lohndumping, der Hass auf unsere Polizei? Eine Antwort ner notwendigen demokratischen Wider- der Internationale Frauentag, die Grundren- darauf bleiben wir schuldig… I standsfähigkeit gegen jede Form extremis- te und der Mindestlohn. I
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12 DEUTSCHE POLIZEI 04/2020 DP Hilfreich E PSYCHISCHE BELASTUNGEN rschöpfung durch Sonderschichten Wenn der Boden und Überstunden, traumatische Erleb- nisse in Unfallsituationen, körperliche oder gar lebensbedrohliche Verletzungen in manchen Einsätzen, schleichender Autori- dünner wird tätsverlust bei Routinekontrollen, massive Anfeindungen in den digitalen Medien: Poli- zistinnen und Polizisten gehören zu einer Berufsgruppe, die besonders stark von psy- chischen Belastungen betroffen ist. So be- steht ständig die Sorge vor dem Burn-out, Burn-out, Depressionen & Co. sind längst zur wächst die Gefahr eines Zusammenbruchs. Mediziner und Krankenkassen warnten wichtigsten Berufskrankheit geworden. schon lange. Zwar sind die beruflichen Fehl- Die Gesundheitswissenschaft fordert zeiten in den letzten Jahrzehnten tendenziell rückläufig, parallel aber steigt die Zahl der mehr Prävention. Krankmeldungen aufgrund von Angstzu- ständen oder Stress. Zermürbt von den An- Thomas Gesterkamp forderungen am Arbeitsplatz wollen viele Be- schäftigte in der Freizeit vorrangig ihre Ruhe haben. Passiv sitzen sie vor Computer- oder Fernsehbildschirmen, werden früh müde, können aber auch nicht gut einschlafen. Foto: Artranq – stock.adobe.com
„„ DP DEUTSCHE POLIZEI 04/2020 13 Die Depression ist der Arbeitsunfall der Postmoderne. „„ Bereits seit 1996 sind psychische Störun- len sind mit Vorbehalt zu betrachten, weil gen als gesundheitsgefährdende Berufs- leichte und schwere Krankheitsverläufe oft krankheiten gesetzlich offiziell anerkannt. Die Konzepte der unter der gleichen plakativen Diagnose zu- „Die Depression ist der Arbeitsunfall der sammengefasst werden. Doch auch im in- Postmoderne”, sagt Hans-Peter Unger. Wäh- Arbeitssicherheit ternationalen Maßstab zählt die Weltge- rend die Zahl der handfesten körperlichen konzentrierten sich in der sundheitsorganisation WHO die Depres- Verletzungen sinkt, beobachtet der Chefarzt sion zu den am meisten unterschätzten am Asklepios-Klinikum in Hamburg-Harburg Vergangenheit auf die Erkrankungen. ein höheres Risiko, an einer psychischen Stö- rung zu erkranken – gerade in Dienstleis- Unfallverhütung in tungsberufen wie dem Polizeidienst. Industriebetrieben. Erhöhtes Die Konzepte der Arbeitssicherheit kon- Arbeitstempo zentrierten sich in der Vergangenheit auf die Seelische Probleme der Unfallverhütung in Industriebetrieben. See- Beschäftigten wurden eher Nach einer Untersuchung der Europäischen lische Probleme der Beschäftigten wurden Union fühlen sich zwei Drittel der Beschäftig- eher vernachlässigt. Technisch orientierte vernachlässigt. ten psychisch sehr belastet. Der Grund sind Arbeitsschützer und Arbeitsmediziner be- nicht nur die an vielen Arbeitsplätzen ganz obachteten körperlich sichtbare Symptome selbstverständlich erwarteten Überstunden, und stellten klar identifizierbare Diagno- sondern auch die Orientierung an Ergebnis- sen. Das versperrte manchmal das Erkennen Die Medizin fasst unter diesem etwas un- sen in möglichst kurzer Zeit. Fast die Hälfte anderer Krankheitsbilder wie Überlastung scharfen Begriff Krankheitsbilder zusam- der Befragten klagen über Termindruck und oder Erschöpfung, entsprechende Hilfsan- men, die sich in einer gedrückten Stimmung zu hohes Arbeitstempo. Dieser Stress macht gebote waren Mangelware. äußern. Sie führt diese auf einen Auslöser, nicht nur die Betroffenen krank, er hat auch auf kränkende und emotional belastende Er- betriebswirtschaftliche Folgen. Die Kosten eignisse zurück. Überforderung, fehlende von psychischen und psychosomatischen Er- Quote der Anerkennung, Druck von Vorgesetzten und krankungen summieren sich nach Angaben Frühverrentung gezieltes Mürbemachen durch Mobbing gel- der Krankenkassen bundesweit auf mehrere überdurchschnittlich ten im beruflichen Umfeld als mögliche Ur- Milliarden Euro pro Jahr. sachen. Kommen mehrere Faktoren zusam- Es mache daher keinen Sinn, wenn Perso- Psychische Überlastung ist inzwischen die men, kann ein nicht mehr lösbar erschei- nalverantwortliche die Arbeitsdichte unbe- am meisten angeführte Ursache für ein vor- nender psychischer Konflikt entstehen, die grenzt zu steigern suchen, betont Bernhard zeitiges Ausscheiden aus dem Beruf – und sogenannte klinische Depression. Badura. Der emeritierte Professor an der das, obwohl die Kriterien der medizini- Die als feindselig empfundene Stim- Fakultät für Gesundheitswissenschaft der schen Begutachtung in jüngerer Zeit ver- mung am Arbeitsplatz führt zum innerli- Universität Bielefeld rät zu einem am Prin- schärft wurden. Im Polizeidienst liegt die chen Rückzug. Die Betroffenen fühlen sich zip der Vorsorge orientierten Vorgehen. Vor- Quote der Frühverrentung durch Arbeits- mutlos, sind ohne Antrieb, verlieren das In- gesetzte und Dienstherren dürften ihre Be- unfähigkeit im Vergleich zu anderen Berufs- teresse an ihrer Umgebung. Die Leistungsfä- legschaften nicht ständig überfordern. Ba- gruppen über dem Durchschnitt. Quer durch higkeit sinkt, komplizierte Herausforderun- dura fordert die verbindliche Kooperation alle Branchen gehen 20 Prozent vorzeitig aus gen werden aufgeschoben und sind irgend- betrieblicher Akteure mit Krankenkassen gesundheitlichen Gründen. Mindestens ein wann nicht mehr zu bewältigen. und Gewerkschaften: Gemeinsam müssten Drittel dieser Fälle beruht auf psychischen Bis zu vier Millionen Deutsche, so wis- sich alle Beteiligten intensiv um ein präven- Störungen. Neben Suchtproblemen lautet senschaftliche Studien, gelten als depres- tiv ausgerichtetes Gesundheitsmanagement die Diagnose am häufigsten Depression. siv oder depressionsgefährdet. Die Zah- kümmern. I ANZEIGE Besuchen Sie uns auch unter www.tkbo.de ● Abzeichen / Anfertigungen ● HAIX® Schuhe ● Ausrüstungsgegenstände ● Kopfbedeckungen ● Dienstbekleidungen ● Textildruck/Textilveredlung ● Dienstgradabzeichen ● Vereinsbedarf u.v.m. ll TKBO GMBH ● Karl-Friedrich-Straße 24 ● 44795 Bochum ● Email: info@tkbo.de ● Tel.: 02324/9409680
14 DEUTSCHE POLIZEI 04/2020 DP Vor Ort Elke Gündner-Ede (l.) erfuhr Dankbarkeit für die Arbeit der Polizei. Fotos (2): Laura Ede Erfurt: Klare Signale gegen Demokratiefeinde. NACH THÜRINGER PARLAMENTSTRICKSEREIEN legen sind mit ihrem Bus vor Ort und ver- sorgen die Demonstranten mit kostenlosem Für die Demokratie heißem Tee. Und natürlich schützen unsere Kollegen und Kolleginnen den Demonstrati- onszug. Es bleibt an diesem Tag aber durch- auf die Straße gehend friedlich. Viele bedanken sich Die Sonne scheint über dem Domplatz in Erfurt. Die Stimmung ist großartig. Wildfremde Menschen kommen miteinander ins Ge- Dem Blau des Himmels strecken sich unzählige spräch. Es herrscht ein Gefühl der Zusam- bunte Plakate und Fahnen entgegen. „Alle zusammen mengehörigkeit, wie es nur selten so schnell entsteht. Immer wieder kommen Menschen gegen den Faschismus“, schallt es immer wieder aus auf mich zu und bedanken sich, dass die der Menschenmenge. GdP hier vor Ort ist und sich für die Demo- kratie einsetzt. Der Zug, an dessen Spitze ich mit den Vertretern der Bündnisse und des DGB lau- Elke Gündner-Ede fe, muss immer wieder anhalten. Auch nach fast der Hälfte der Strecke, sind noch immer nicht alle vom Domplatz aufgebrochen. Vor dem Haus der Sozialen Dienste ver- D er Deutsche Gewerkschaftsbund allen Ecken der Bundesrepublik angereist, sammelt sich eine bunte Menge zur Ab- (DGB) Hessen/Thüringen und das um gemeinsam mit den Erfurtern auf die schiedskundgebung und zeigt auch hier, Aktionsbündnis „Unteilbar“ hatten Straße zu gehen. dass sie bereit ist, für die Demokratie ein- Mitte Februar zur Demonstration gegen die Für die Gewerkschaft der Polizei (GdP) zutreten. Ein ermutigendes Zeichen, das skandalösen Vorgänge im thüringischen darf ich dabei sein und die Demo mit einer beweist, die bürgerliche Mehrheit lässt sich Landtag aufgerufen. Tausende Menschen Rede vom Lautsprecherwagen aus beglei- nicht durch Rechtspopulisten spalten – ge- sind dem Ruf gefolgt, von „Fridays for Futu- ten. Natürlich bin ich nicht allein. Die Thü- nauso wenig, wie sie sich von rechtem Terro- re“ bis zu „Omas gegen rechts“. Sie sind aus ringer Gewerkschaftskolleginnen und -kol- rismus in Geiselhaft nehmen lassen wird. I
DP DEUTSCHE POLIZEI 04/2020 15 Innenleben 100 JAHRE Schwerbehindertenvertretung (SBV) 70 JAHRE Gewerkschaft der Polizei (GdP) 30 JAHRE Deutsche Einheit 5 JAHRE Kommission für die Belange von Menschen mit Behinderungen in der GdP N KOMMISSION FÜR DIE BELANGE VON MENSCHEN MIT BEHINDERUNGEN atürlich stand trotz feierlicher An- lässe die Arbeit im Vordergrund: Tauglichkeit das verbesserte Vernetzen, um die Barrierefreiheit in allen Bereichen des täg- lichen Lebens voranzubringen. Besonderes im Blick Augenmerk galt der Änderung der Polizei- dienstvorschrift (PDV) 300. Zu bemerken ist, dass hier eine Einzelfallprüfung nicht eindeutig vorgesehen ist. Ein Polizist im operativen Dienst ist entweder zu 100 Pro- Mitte Februar traf sich die Kommission für die zent dienstfähig oder polizeidienstunfähig. Ein Dazwischen gibt es nicht. Belange von Menschen mit Behinderungen in Berlin. Ziel soll jedoch sein, das erworbene Wis- 2020 ist für die Schwerbehindertenvertretung (SBV) sen und die Fähigkeiten der Kolleginnen und Kollegen weiter zu nutzen – nicht zu- ein besonderes Jahr: Sie feiert ihren fünften Geburtstag. letzt für die Polizei selbst. Das ist vor dem Hintergrund von Wertschätzung auch wich- Silke Schmidt und Steffen Kutschera tig für die Polizeibeamtinnen und -beamten selbst. Die PDV 300 bringt zwar einige Ver- besserungen an den Tag. Luft nach oben bleibt jedoch noch genug. GdP-Gewerkschaftssekretär Torsten Roh- de berichtete über die Arbeit der „Kommis- sion Informationstechnik“ und stellte die Prozesse im Rahmen Polizei 2020 dar. Kom- missionskollege Rainer Ritter erläuterte – bezogen auf die Barrierefreiheit – die Pro- bleme bei der Umstellung der Systeme auf das Betriebssystem Windows 10. Die Sitzung abgerundet haben der ak- tuelle gewerkschaftspolitische Bericht des zuständigen stellvertretenden GdP-Bun- desvorsitzenden Dietmar Schilff sowie die Fotos: Bensmail Schilderung der Lage der behindertenpoli- tischen Arbeit durch Kommissionssprecher #weilwirkoennen: Die Kommission für Belange von Menschen mit Behinderungen feiert ihren fünften Geburtstag. Uwe Kassler. I ANZEIGE Anpralldämpfer VECU-STOP® M Anpralldämpfer VECU-STOP® – VS vorübergehend installiert dauerhaft installiert SPS-Schutzplanken GmbH Tel. +49 (0) 6026-9 91 67 11 Hinterm Waldcasino 1 Fax +49 (0) 6026-9 91 67 12 D-63762 Großostheim/ info@sps-schutzplanken.de 0780 OT Ringheim www.sps-schutzplanken.de
16 DEUTSCHE POLIZEI 04/2020 DP Innenleben 70 Jahre GdP GdP für rungen für alle Beschäftigten in der Polizei eine tolle Ergänzung war. Außerdem konn- Mitglied sein, Menschen te ich durch sehr interessante Seminar- und Bildungsangebote, mein Wissen erweitern. völlig normal Zusätzlich baute ich mir ein Netzwerk auf, lernte neue Menschen kennen und habe jede Menge Freundschaften geschlossen.“ „Res- pekt“, findet Yannic und fragt: „Was haben wir morgen vor?“ „Wertschätzung, andere Arbeitszeitmodelle und mehr Personal, das sind zentrale Themen, die wir vorantreiben wollen.“ Foto: Rainer Cordes Kurzes Nachdenken bei Yannic, der Foto: privat dann ergänzt: „Dann lass uns gemeinsam nach vorne gehen. Ich sag‘ meinen Kollegen Hans-Jürgen Kirstein noch Bescheid. #läuftbeimir wird unser neu- Christian Schumacher GdP-Landesvorsitzender er Twitter-Account heißen.“ „Twitter?“ fragt GdP-Landesvorsitzender Baden-Württemberg Hans-Jürgen. Yannic lacht: „Macht nichts, Mecklenburg-Vorpommern Hans-Jürgen, bist ein guter Kerl. Lass uns das zusammen machen.“I „Was? 70 Jahre? So alt wie mein Opa, so Ich habe zwar mein gesamtes Berufsleben jung wie wir. Das habe ich nicht gedacht“, bei der Polizei – und damit in der GdP – sagt Yannic von der Jungen Gruppe. Nach- zugebracht, aber das waren bis jetzt doch denklich meint er: „Und wie schaffen wir es, „nur“ 25 Jahre. Und dann soll ich etwas zu dass die GdP nochmal 70 Jahre obendrauf sieben Jahrzehnten meiner Gewerkschaft packt?“ Hans-Jürgen ergänzt: „Bei meiner schreiben? Na gut: Einstellung in die Polizei hatte ich lediglich Für uns war es ganz normal, dass unse- eine Aussicht, mit viel Glück das Endamt A re Ausbilder und Vorgesetzten Mitglied der 9 mit Zulage zu erreichen. Diese Zulage hat- Gewerkschaft waren, und es auch offen zeig- te die GdP erstritten.“ ten. Dabei war es egal, ob man Behördenlei- „Holla, das wusste ich ja gar nicht. Was ter wie Knut Abramowski und Personalrä- habt ihr denn sonst so gemacht?“ Hans-Jür- ter wie Ede Pszczolka und Lutz Freitag vor gen bekommt glänzende Augen. „Qualifi- sich hatte. In fast jedem Dienstzimmer hing zierungsaufstiege. Dafür haben wir gesorgt, ein GdP-Kalender oder eine GdP-Wappenta- um Karriere im Beruf zu machen und mehr fel (manche auch schon aus der Vorwende- Möglichkeiten für die Familien zu erlangen. zeit). Zumindest jedoch lag dort ein GdP-Ku- Du kannst jetzt flexible Arbeitszeitmodelle gelschreiber. Und wenn hier alle GdP sind, nutzen und deinen Arbeitsplatz individuell so war es auch für uns normal, spätesten am gestalten.“ Yannic nickt anerkennend: „Das zweiten Tag Mitglied der GdP zu werden. finden meine Kollegen auch gut. Ich erzähl’ denen morgen, dass ihr das für uns gemacht habt. Sonst glauben die noch, dass fällt alles Alle einte die gewerkschaftliche vom Himmel oder der Innenminister hat’s Grundeinstellung verordnet.“ Dass es trotzdem zu manch lautstar- ker „Diskussion“ von Gewerkschaftern im Spannungsfeld Auszubildender, Vorgesetz- Ich baute mir ein Netzwerk auf ter und Personalrat kam, versteht sich von selbst. Dabei stellte aber niemand seine Ge- „Hast du auch Tipps für die Personalratsar- werkschaftszugehörigkeit in Frage. Denn beit?“, will Yannic wissen. „Ich habe mich auch wenn man – schon aufgrund seiner un- jetzt aufstellen lassen. Tatsächlich weiß ich terschiedlichen Position in der Dienststelle nicht so genau, was mich da erwartet.“ „Ich – unterschiedliche Meinungen haben muss- hatte durch die Gewerkschaft immer eine te, einte einen auf der anderen Seite immer starke Begleitung bei meiner Personalrats- der gewerkschaftliche Grundgedanke: Ge- tätigkeit. Das ist eine sehr nützliche Ver- meinsam dafür zu sorgen, dass es den Kol- bindung, die zum Erreichen von Verbesse- legen künftig besser geht!
DP DEUTSCHE POLIZEI 04/2020 17 Auf sieben Jahrzehnte blickt die 1950 in Hamburg gegründete Gewerkschaft der Polizei am 14. September zurück. Aus dem Zusammenschluss der Polizeibeamtenverbände der britischen Zone und West-Berlins ging die heute größte Berufsvertretung für Beschäftigte der Polizei in Deutschland hervor. Seit der März-DP erinnern sich GdP- Vorsitzende der Länder und Bezirke an Episoden des gewerkschaftlichen Lebens. Wenn der ehemalige Landesvorsitzen- de Michael Silkeit zu einer Demonstration G20 in und trainieren, wie man eine Einsatzbetreu- ung auf die Beine stellt. aufrief, dann kamen wir. So standen – bei knapp über 6.000 Polizeibeschäftigten im Hamburg – eine Land – so manches Mal beachtliche 3.000 Frauen und Männer bei Wind und Wetter vor Meisterleistung Gewerkschaftliche Arbeit im Ehrenamt dem Landtag in Schwerin. Auf den stunden- langen Fahrten dahin saßen dann die Reini- der Einsatz- Die Vorbereitungen zum G20-Gipfel übertra- gungskraft neben dem Vollzugsbeamten, der K-Mann neben der Seniorin und der Dienst- betreuung fen unsere kühnsten Erwartungen: Bereits weit vor dem Treffen nahmen wir die Vor- stellenleiter neben dem Auszubildenden. bereitungen auf. Aufrufe zur Unterstützung Und sie führten ganz selbstverständlich Ge- an alle GdP-Landesbezirke und -Bezirke, spräche über Gott und die Welt. Kontingente für Hotelzimmer blocken, Un- Ich erinnere mich gerne daran, wie so mengen von Betreuungsmaterial, Getränke, mancher Dienststellenleiter dazu auffor- Verpflegung und viele andere Dinge organi- derte, gefälligst mitzukommen und an der sieren, die auf den ersten Blick notwendig Demo teilzunehmen. Schließlich ging es erschienen. Aber es kamen noch unglaub- doch auch um seine Polizei und seine Ge- lich viele Anforderungen und Herausforde- werkschaft. Und so mancher Politiker klag- rungen hinzu. Foto: privat te noch Jahre später über eine Stigmatisie- Alles wurde in unserer Geschäftsstelle rung und das Gefühl eines Spießrutenlau- koordiniert – organisiert jedoch durch vie- fes durch die Polizeimassen. Horst Niens le freiwillige Helferinnen und Helfer. Denn GdP-Landesvorsitzender bei allem gewerkschaftlichen Engagement Hamburg ist es in Hamburg so, dass sämtliche ge- Mehr Vergnügen als harte werkschaftliche Arbeit der Vorstände und gewerkschaftliche Arbeit Vertrauensleute im Ehrenamt, also neben Bei 70 Jahren GdP denke ich natürlich an der dienstlichen Tätigkeit geleistet wurde – Waren es anfangs nackte Existenzfragen wie viele historische, aber auch erst kurz zu- und wird. die Übernahme ehemaliger Volkspolizisten rückliegende Ereignisse. Dinge, die mei- Genau darauf bin ich als Landesvorsit- in das bundesdeutsche Beamtenverhältnis, ne gewerkschaftliche Beziehung zu unse- zender stolz: Wir haben hier ein Team von die Frage, ob Führungskräfte eine Ostbio- rer GdP geprägt haben. Zwar habe ich eini- Freundinnen und Freunden, denen die ge- grafie haben dürfen und das automatische ges nicht selbst miterlebt, doch vor kurzem werkschaftliche Arbeit für unsere Kollegin- Übernehmen von Auszubildenden, erfuh- durfte ich unserem Mitglied Kurt Hopp zum nen und Kollegen so wichtig ist, dass sie in ren später Themen wie die 100 Prozent vom 100. Geburtstag gratulieren. Er war eines eben genau den Zeiten geleistet wird, die ei- Westgehalt, ausreichende Aufstiegsmög- der Gründungsmitglieder, die sich vor sie- gentlich Freizeit sein könnte. lichkeiten, ausreichend Personal und die ben Jahrzehnten trafen und den Boden be- Nochmal G20. Zehntausende Einsatz- Verfassungsmäßigkeit der Besoldung be- reiteten, um die größte Gewerkschaft für Po- kräfte in der Stadt. Dieses Ereignis stand im sondere Wichtigkeit. lizeibeschäftigte aufzubauen. weltweiten Fokus. Massivste Auseinander- Viele Themen von heute sind uns nicht Aber zurück zum Hier und (fast) Jetzt: setzungen mit teils international angereis- neu. Die Höhe des Einkommens, Beschäftig- Der G20-Gipfel in Hamburg. Für viele über- ten Chaoten. Dienstzeiten und -belastungen, te zwischen Arbeit und Familie, die Arbeits- raschend wurde die Hansestadt als Austra- die weit über das Maß hinausgingen. Eine zeit, das fehlende Personal und die Mängel- gungsort des weltweiten Treffens der zwan- logistische Meisterleistung in der Einsatzab- verwaltung – all das sind aktuelle Schwer- zig wichtigsten Industrie- und Schwellen- wicklung und der Versorgung der Kräfte aus punkte der gewerkschaftlichen Arbeit. Es länder festgelegt. Anfang Juli 2017 trafen ganz Europa. liegt an uns allen, welche Antworten wir sich die Staats- und Regierungschefs, Fi- Aber eben auch ein gewerkschaftliches darauf finden werden. Aber: Wenn wir uns nanzminister und Zentralbankchefs an der Betreuungskonzept, dass sich bewährt einbringen, engagieren, um die besten Ant- Elbe. Wir hatten einen ausdrücklichen Aus- hat: Unglaublich motiviert, bis an die Gren- worten streiten, dann schaffen wir es auch, nahmezustand in der Stadt. Bereits zuvor ze der persönlichen Leistungsfähigkeit ge- dass man in den nächsten 70 Jahren weiter- konnten wir als GdP Hamburg während der hend, mit einer unglaublichen Freude und hin sagt, es ist selbstverständlich, als Poli- OSZE-Tagung (Organisation für Sicherheit Bereitschaft zu unterstützen. Ich wiederho- zeibeschäftigter GdP-Mitglied zu sein. I und Zusammenarbeit in Europa) probieren le mich: Das macht wirklich stolz, das ist für mich GdP. Und das ist unsere GdP, die ihren 70. Geburtstag in meiner Stadt feiern wird. I
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