Tarifkonflikt bei der Post endet mit krachender Niederlage von ver.di
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Tarifkonflikt bei der Post endet mit krachender Niederlage von ver.di Nach 29 Tagen Streik bei der Deutschen Post AG, dem läng- Seiten umfasst, füllen allein die Regelungen zum Entgelt- sten Arbeitskampf, den es je bei der Post gegeben hat, er- und Manteltarifvertrag bei der Post eine Broschüre mit über zielte die Verhandlungskommission des Fachbereichs 10 100 Seiten. von ver.di mit dem Unternehmen einen Abschluss. Seitdem fragen sich die 32.000 an dem Ausstand beteiligten Kolle- Ver.di wird vorgeführt gInnen, wofür sie denn die Arbeit niedergelegt haben. Denn das Ergebnis der Tarifverhandlungen hat mit den ursprüng- Die Entscheidung des Unternehmens zur Gründung neuer lichen Forderungen nur wenig zu tun. Paketzustellfirmen war eine wohl kalkulierte Provokation der Gewerkschaft. Denn mit dieser Entscheidung brach das Vorgeschichte Unternehmen den zuletzt 2013 mit ver.di geschlossenen Vertrag zur Beschränkung der Fremdvergabe von Zustell- Bei der Post waren in diesem Jahr zwei Tarifrunden zu ab- leistungen. Danach durfte die Post maximal 990 Paketzu- solvieren1. Der Entgelttarifvertrag, der zum 31. Mai gekün- stellbezirke an Fremdfirmen3 ausgliedern. digt werden konnte, musste verhandelt werden. Und Ende Dieser Vertrag, der auch den Verzicht auf Fremdverga- des Jahres stand die Fortschreibung des sog. »Beschäfti- be im Zustellbereich Brief enthält, ist jedoch kein Tarif- gungspaktes«, der aus diversen Abmachungen und Tarif- vertrag, sondern ein schuldrechtlicher. Er enthält keine verträgen besteht, auf der Tagesordnung. Regelungen, wie im Fall eines Vertragsbruches zu verfah- Ist es für eine Gewerkschaft schon schwierig, in einem ren ist. Ähnliche Verträge zwischen Post und ver.di gibt es Jahr zwei Tarifauseinandersetzungen zu führen, so ver- zur Fremdvergabe im Fahrdienst und zum Verzicht auf be- komplizierte sich die Lage noch, als Anfang des Jahres die triebsbedingte Kündigungen. Post bekannt gab, sie werde in allen 49 Niederlassungen Um die Post zu solchen Zusagen zu bewegen, hatte ver. Delivery-Gesellschaften gründen. In diese wolle sie alle di bestimmte Regelungen des 2003 abgeschlossenen Entgelt- bisher befristet bei der Post beschäftigten Paketzusteller wie des Manteltarifvertrages befristet außer Kraft gesetzt. unbefristet übernehmen. So sind z. B. zwei Arbeitszeitverkürzungstage weggefallen, Damit machte das Unternehmen unmissverständlich die bezahlten Pausen verringert und die Überstundenzu- klar, dass zukünftig das Paketgeschäft in der sog Mutter- schläge bei den Zustellern ausgesetzt worden. Ferner wur- gesellschaft ein Auslaufmodell sein würde und der Haus- de 2011 eine Dienstzeitstufe 0 eingeführt, die eine Absen- tarifvertrag für neu eingestellte Paketzusteller nicht mehr kung der Einstiegsgehälter um 4% vorsieht. Der Preis, den gelten werde. ver.di für die schuldrechtlichen Verträge zahlen musste, Die KollegInnen in den Delivery-Gesellschaften wür- wurde von Tarifrunde zu Tarifrunde höher. den nach den jeweils regional gültigen Speditions- und Die Zugeständnisse von ver.di waren in separaten Ver- Logistiktarifverträgen bezahlt werden. Diese Tarifverträge trägen niedergelegt. Sie hatten den Charakter von Tarifver- enthalten nicht die in den Entgelttabellen des Haustarif- trägen. Sie waren bis zum Ende der vereinbarten Laufzeit vertrages Post vorhandenen Dienstzeitstufen, die sechs- bis nicht kündbar. Immerhin bestand bis Ende 2015 zwischen siebenmal im Berufsleben im Abstand von zwei Jahren eine den schuldrechtlichen Verträgen und den Vereinbarungen tabellenwirksame Erhöhung des Lohnes vorsehen. Wäh- über Einschnitte bei Entgelt- und Manteltarifvertrag die rend etwa der SpedLog Tarifvertrag von Berlin2 nur zwei gleiche Laufzeit. 1 Vgl. dazu auch ‚ver.di vor schwierigen Tarifrunden bei der Post‘, Arpo auch für Berlin Ost und für Brandenburg den etwas besseren Westta- 1-2‘ 2015 rif anwenden. Auch wenn die Tarife sich nicht gravierend voneinander 2 In Berlin-Brandenburg gibt es einen Tarifvertrag für Berlin West und unterscheiden, ist interessant, dass die Unternehmer wegen kleinerer einen für Berlin Ost sowie zusätzlich noch einen für Brandenburg. Für Vorteile die Verhältnisse von vor 1989 zäh auf dem Feld der Tarifpolitik alle drei ist der Bezirk Berlin-Brandenburg von ver.di auf der Gewerk- verteidigen. schaftsseite zuständig. Die Post hat gönnerhaft verkündet, sie wolle 3 Zu denen gehören auch Unternehmen des Konzerns A r b e i t e r p o l i t i k N r . 3 / 4 · AUGUST 2 015 21
Die Post hatte bereits in den letzten Jahren den Vertrag kürzung und den Delivery-Gesellschaften gab. Nur wenn zur Fremdvergabe strapaziert. So hielt sie sich zwar an die diese aufgelöst und alle bisher dort Beschäftigten in den Vorgabe, nur 990 Zustellbezirke fremd zu vergeben, verän- Haustarifvertrag zurückgeführt würden, werde die For- derte bei diesen aber die Bemessung für die Zustellleistung. derung nach Arbeitszeitverkürzung fallen gelassen. Als Es wurden so schätzungsweise 20-25% mehr Zustellbezirke Ausgleich dafür bot sie der Post an, für 2015 auf eine Loh- fremdvergeben als vertraglich zulässig war. Nach Bekannt- nerhöhung zu verzichten und zukünftig alle bei der Post werden des Vertragsbruches beließ es ver.di bei verbalen neueingestellten Beschäftigten, also auch die im Briefsek- Protesten. tor arbeitenden, nach einem verändertem Entgeltsystem zu Ebenso zurückhaltend reagierte ver.di, als die Post im bezahlen. Danach sollten die bisher auf zwei Jahre ausge- Jahre 2014 begann, bei Neueinstellungen und Vertragsver- legten Dienstzeitstufen innerhalb einer Lohngruppe auf längerungen in den Betriebsbereichen nur noch befristete drei Jahre gestreckt werden und zudem in den unteren Arbeitsverträge anzubieten. Den Höhepunkt erreichten die Lohngruppen die jeweils höchste Dienstzeitstufe wegfallen. Befristungen zum Jahresende 2014 als 14.000 KollegInnen Die Eingangsstufe 0 sollte nicht, wie derzeit, nur befristet davon betroffen waren. Die meisten arbeiteten im Paketbe- gelten, sondern unbefristet in die Lohntabellen übernom- reich, weil der durch das schnell wachsende Geschäft be- men werden. sonders viele Neueinstellungen benötigte. Auch hier gab es Die Post ließ das auf drei Tage befristete Ultimatum für außer Resolutionen und Presseerklärungen keine nach in- die Annahme des Angebots kommentarlos verstreichen, so nen oder außen gerichteten gewerkschaftlichen Aktionen. dass wenige Tage später die Konzerntarifkommission den Der Angriff, den die Post mit der Gründung der Delive- unbefristeten Streik für Montag den 08.06.2015 ab 16.00 ry-Gesellschaften auf den Haustarif startete, war allerdings ausrief. Die beiden zentralen Forderungen lauteten: »Ver- nicht der erste. Mindestens zweimal hatte ver.di schon kürzung der Wochenarbeitszeit auf 36 Stunden bei vollem separaten Tarifverträgen für Unternehmensbereiche zug- Lohnausgleich« und »lineare Erhöhung der Entgelttabellen stimmt, die eigentlich in den Haustarifvertrag gehört hät- um 5,5% bei einer Laufzeit von zwölf Monaten«. Die Re- ten. Einmal betraf es den DHL HUB Leipzig4, zum anderen gelungen zum »Beschäftigungspakt« waren nicht Teil des die DHL Home Delivery5. Nun waren bei beiden die Aus- Forderungskatalogs. Sie konnten erst zum Jahresende neu gangsbedingungen schwierig. Immerhin konnte ver.di hier verhandelt werden und schon allein deshalb keine streik- noch Haustarifverträge abschließen. Sie hat sich allerdings fähigen Ziele. Da eine Urabstimmung den Streikbeginn in den letzten Jahren nicht bemüht, beide Bereiche in die um etwa zwei Wochen verzögert hätte und ver.di dann vor DHL zurückzuführen. Beginn der Urlaubssaison den Streik kaum hätte zuspitzen können, verzichte der Fachbereich auf sie. Ver.di reagiert endlich Streik ohne Konzept Als die Post im Januar in ihren 49 Niederlassungen Delive- ry-Gesellschaften gründete, schrillten bei ver.di die Alarm- Schon die bisherigen sechs Gesprächsrunden zwischen ver. glocken. di und der Post waren von Streiks begleitet. Der Schwer- Sie kündigte Mitte März den Vertrag über die Wochen- punkt lag im Zustellsektor. In einigen Regionen wie in Ber- arbeitszeit. Bei diesem gab es nur eine einmonatige Kündi- lin und Kiel gab es bis zu viertägige Ausstände. Bei diesen gungsfrist. Von der Arbeitszeitfrage waren alle Tarifkräfte war schon erkennbar, dass die Bereitschaft der KollegInnen betroffen, so dass sich hierüber eine breite Mobilisierung zur Unterstützung der Forderungen von ver.di recht hoch erreichen ließ. Der Vertragsbruch sollte mit einer zweiein- war. Die mehrtägigen Arbeitsniederlegungen beeinträchtig- halbstündigen Arbeitszeitverkürzung ausgeglichen werden. ten den Betriebsablauf der Post erheblich. Die Aufarbeitung Erstaunlicherweise reagierte die Post sofort und bot ver. der Streikfolgen dauerte mehrere Tage. di Gesprächsrunden über die Forderung an. Sie machte Doch wer geglaubt hatte, mit der Erklärung zum un- einige Vorschläge zur Arbeitszeitverkürzung, behielt sich befristeten Streik werde ver.di jetzt durchstarten und den aber vor, diese erst zu präzisieren, wenn die Lohnforderung Konflikt in wenigen Tagen eskalieren, sah mit Verwunde- der Gewerkschaft bekannt sei. rung, dass sich die zentrale Arbeitskampfleitung (ZAKL) Die Konzerntarifkommission beschloss dann im Mai, dafür Zeit nahm. Erst nach über drei Wochen erreichte der eine Erhöhung der Entgelte um 5,5% zu fordern. Doch auch Streik seinen Höhepunkt. Der Post blieb so viel Zeit, sich jetzt konkretisierte die Post ihr Angebot nicht. Die Tarifge- auf die nächsten Schritte von ver.di vorzubereiten, Erfah- spräche plätscherten vor sich hin, ohne dass Fortschritte rungen zu sammeln und die Streikfolgen zu minimieren. erzielt wurden. Offensichtlich wollte die Post die Verhand- Weshalb ver.di den Streik im Schneckentempo hochfah- lungen hinauszögern und erst im Sommer zur Ferienzeit ren ließ, obwohl der Vorstand ja selbst an einer Entschei- den Konflikt eskalieren lassen. dung noch im Juni interessiert war, ist schwer nachvoll- Da die Monate Juli und August für einen Streik bei der ziehbar. Ein Grund dürfte sicher gewesen sein, dass die Post die denkbar schlechtesten sind, musste ver.di reagie- Tarifabteilung, die eher aufs Tempo drückte und die ZAKL, ren. Unmittelbar nach Ende der Friedenspflicht für den die den Streik organisierte, personell getrennt waren. Bei Entgelttarifvertrag ging sie in die Offensive. Sie schlug der letzterer schien die schlichte Auffassung vorzuherrschen, Post einen komplexen Abschluss für alle im Jahre 2015 dass allein eine Arbeitsniederlegung schon den Arbeitgeber auslaufende Verträge vor, also auch für die Regelungen des beeindrucken könne. Auch hatte die ZAKL wohl keine Vor- »Beschäftigungspaktes«. stellung davon, wie die Post wirtschaftlich getroffen wer- Erstmalig ließ sie öffentlich erkennen, dass es einen un- den kann. So ist bekannt, das Amazon, der größte Paket- mittelbaren Zusammenhang zwischen der Arbeitszeitver- kunde der Post, dem Unternehmen schon seit Jahren droht, eigene Zustelldienste aufzubauen, falls die Leistung zu 4 Vgl. Kurzer Prozess, Arpo 1-2 ‘2015 wünschen übrig lasse. Die Post hat sich deshalb gegenüber 5 Die DHL Home Delivery ist aus dem Zusammenbruch des Quelle-Kon- Amazon verpflichtet, über 99% der Paketsendungen ‚Ama- zerns hervorgegangen. Sie ist vor allem im Bereich des Teleshoppings und Online-Handels tätig. Sie liefert u. a. konfektionierte Waren aus. zon Prio‘ bereits am Folgetag der Auflieferung zuzustellen. Das Unternehmen bietet schon seit längerem Dienstleistungen im Be- Ähnlich privilegierte Beziehungen mit vergleichbaren Ver- reich der Paketzustellung an. trägen gibt es auch mit anderen Unternehmen. 22 A r b e i t e r p o l i t i k N r . 3 / 4 · AUGUST 2 015
Antworten von KollegInnen auf die Propaganda der Post Auch bleibt im Dunkeln, warum die ZAKL mit den Die Post wählte nicht die direkte Konfrontation mit ver. Briefzentren begann und nicht mit den Paketzentren. In di, indem sie etwa den Haustarifvertrag frontal angriff. Sie den Briefzentren hat derzeit ein Streik die geringste Wir- setzte stattdessen auf eine bewährte Strategie. Bei allen kung. Die meisten Tätigkeiten sind schnell ersetzbar, durch strukturellen Verschlechterungen der letzten Jahre wur- Vorgesetzte, Abrufkräfte oder befristete KollegInnen. Der den die Beschäftigten, die bereits unter den Haustarif fie- Fahrdienst ist weitgehend privatisiert, so dass von dieser len, von den Veränderungen kaum berührt. So wurde be- Seite wenig Druck auf die Post ausgeübt werden kann. reits die drastische Lohnabsenkung bei den Tarifverträgen Die Paketzentren wurden erst nach zweieinhalb Wo- von 2003 nur für Neueinstellungen wirksam. Ähnlich ver- chen in den Streik einbezogen. Während bei Rückständen fuhr die Post beim Abbau der Fahrdienstleistungen. Hier im Briefsektor die Lagerung von nicht zugestellten Sen- wurden alle schon beim Unternehmen beschäftigten Fahrer dungen noch einigermaßen einfach zu lösen ist, ist dies im ohne Einbußen im Entgelt weiter beschäftigt, frei werdende Paketsektor schon deutlich schwieriger umzusetzen. Die Arbeitsplätze dagegen outgesourct. Auch die komplette Paketzentren sind auf Durchlauf konzipiert. Selbst eine hal- Aufgabe der Filialen regelte die Post ohne Kündigung und be Stunde Unterbrechung in der Paketbearbeitung führt in Gehaltseinbußen für die Beschäftigten. Lediglich Verset- den Kernbearbeitungszeiten schon zu schwer lösbaren Pro- zungen in andere Bereiche mussten sie wie ein Teil der Fah- blemen. Lagerflächen vor Ort gibt es praktisch nicht. Und rer hinnehmen. Auffällig ist, dass die Post die einzelnen stockt die Bearbeitung über längere Zeit, müssen rückstän- Vorhaben nicht gleichzeitig umsetzte, sondern hintereinan- dige Sendungen in Containern, Zelten oder angemieteten der abwickelte. Sie vermied so einen Großkonflikt. Lagerflächen untergebracht werden. Dies ist teuer und führt Für ver.di entstanden so mehrere Probleme. Die nun- zu einem erheblichen zusätzlichen logistischen Aufwand. mehr fremdvergebenen Dienstleistungen werden von Be- Schon nach wenigen Tagen gerät die Post an den Rand des schäftigten erbracht, die auch zum Organisationsbereich Kollapses. Doch gerade in dem Bereich, in dem ein Streik des Fachbereichs gehören, aber in der Regel nicht organi- am effektivsten hätte geführt werden können, begannen die siert sind und kaum tarifvertragliche Leistungen bekom- Streikaktivitäten sehr spät. men. Ver.di erkaufte sich die »Stärke« im Bereich der Post Die Möglichkeiten von ver.di zur Steigerung des Streiks durch Schwächung auf anderen Organisationsfeldern. Be- waren nach etwa drei Wochen erschöpft. Mit 32.000 Kolle- sonders haben darunter die jüngeren KollegInnen zu leiden, ginnen hatte sie nur etwa 25% der Tarifbeschäftigten in die die immer schlechter abgesicherte Beschäftigungsverhält- Auseinandersetzung einbeziehen können. Bei einem Orga- nisse akzeptieren müssen. nisationsgrad von 60% bei ca. 170.00 Beschäftigten dürfte Im Unternehmen schaffte ver.di mit den Entgelttarifver- dies, rechnet man die Beamten heraus, nur etwas mehr als trägen 2003 zwei Lohnebenen, was ihre Glaubwürdigkeit ein Drittel der Gewerkschaftsmitglieder gewesen sein. bei den Mitgliedern nicht gerade förderte. Mit der Etablie- rung von zwei Lohnebenen in einem Tarifvertrag wurde für Klare Ziele der Post alle Postbeschäftigten sinnfällig, dass ver.di nicht einmal dort, wo sie nach eigener Einschätzung stark aufgestellt ist, Im Gegensatz zur Gewerkschaft war die Post gut auf die den früher ehernen Grundsatz der Gewerkschaften »glei- Auseinandersetzung vorbereitet. Teile der Unternehmens- cher Lohn für gleiche Arbeit« durchsetzen konnte. spitze unter Führung des Vorstandsmitgliedes für Brief Diese Schwachstellen von ver.di, den Verzicht auf eine und Paket, Gerdes, hatten nach dem letzten Tarifabschluss auf den gesamten Fachbereich bezogene einheitliche Tarif- von 2013 die Marschrichtung vorgegeben. Es müsse der politik und die Absage an eine kohärente an gewerkschaft- Haustarif geknackt und darüber die Löhne auf lange Sicht lichen Grundsätzen ausgerichtete Politik im eigenen Unter- mindestens im Paketsektor abgesenkt werden. nehmen, nutzte die Post auch in diesem Konflikt aus. Sie Mit der Ausgliederung eines Teils der Paketzustellung rechnete damit, dass ver.di auf seine weitreichenden Ziele sollten auch die als hinderlich empfundenen Regelungen verzichten und die eigenen Forderungen über Bord werfen zur Arbeitszeit flexibilisiert werden. Und schließlich hatte würde, wenn an den bestehenden Arbeitsverhältnissen und sich der Vorstand vorgenommen, den Einfluss der Gewerk- der Entlohnung nicht kräftig gerüttelt werde. schaft in der Mitbestimmung wie auch bei den Tarifverträ- Auch in juristischer Hinsicht zeigte sich die Post gut gen einzuschränken. vorbereitet. Ihre Unternehmensgründungen ließen sich A r b e i t e r p o l i t i k N r . 3 / 4 · AUGUST 2 015 23
mit rechtlichen Mitteln nicht angreifen. Der Vertragsbruch Als diese Zusammenhänge sich nach vielleicht einer wurde zeitlich so vollzogen, dass eine erfolgreiche Klage Woche in den Köpfen festgesetzt hatten, stand die Streik- erst zu einem Zeitpunkt hätte rechtskräftig werden können, front unerschütterlich: Die KollegInnen waren bereit, Opfer zu dem der Vertrag, dessen Bruch ver.di beklagte, keinen zu bringen, damit der Arbeitgeber in die Schranken gewie- Bestand mehr hatte. Bei diesen Konstellationen sind selbst sen werde. von der Klageberechtigung der Gewerkschaft überzeugte Die Lohnfrage spielte in den Diskussionen vor den Richter nur selten bereit, ein Urteil zu fällen, weil eben kein Toren der Zustellbasen, der Brief- und Paketzentren nahezu öffentliches Interesse an einer Entscheidung mehr besteht keine Rolle. Fast alle hätten eine Verschiebung der Lohn-er- und ein Ausgleich für den Schaden kaum mehr durchsetz- höhung oder eine geringe Lohnsteigerung akzeptiert, wenn bar ist. der Konflikt mit der Post zu einem vertretbaren Ergebnis Die Post gewann im Zuge der Auseinandersetzung fast geführt hätte. Zwar waren auch die Regelungen zum »Be- alle Klagen der Gewerkschaft, sowohl bei den Fragen zum schäftigungspakt« für die KollegInnen wichtig. Doch erst Beamteneinsatz wie auch bei der Frage der Arbeitsver- einmal galt es, die Auseinandersetzung um die Hauptfor- pflichtung von Beschäftigten aus dem Streik heraus. Der ge- derungen zu gewinnen. Und wenn man hier erfolgreich setzwidrige Einsatz von Streikbrechern an Sonntagen blieb sein würde, so werde sich eine Lösung der anderen Fragen nahezu ohne Folgen. schon ergeben. Das Unternehmen schöpfte die nach 2002 neu geschaf- Die Teilnahme am Streik war recht unterschiedlich. fenen Regelungen zum Einsatz befristeter Kräfte zu seinen Während die Bereitschaft, den Aufruf von ver.di zu unter- Gunsten voll aus. In kritischen betrieblichen Situationen stützen in den Zustellbasen Paket und den Mech ZB recht setzte sie sogar Leiharbeitnehmer aus osteuropäischen Län- groß war, war sie im Zustellbereich Brief schon etwas gerin- dern ein. Gewerkschaft und Betriebsräte standen diesem ger. Hier spielte eine Rolle, dass im Bundesgebiet noch sehr Vorgehen hilflos gegenüber. Sie hatten mit solch rücksichts- viele Beamte in diesem Bereich arbeiten. Auch ist die Ar- losen Machenschaften nicht gerechnet. beitshaltung aus der Zeit der Bundespost, „seinen“ Bezirk Schließlich organisierte das Unternehmen intern wie rückstandsfrei zu halten und so das Verhältnis zu »seinen« extern eine breit angelegte Kampagne zur Unterstützung Kunden nicht zu strapazieren, noch verbreitet. So wissen ihrer Ziele. Sie bombardierte die Beschäftigten mit Flyern wir von Streikbrechern, die ihren Vorgesetzten drohten, und großformatigen Plakaten. Ein unternehmensinterner falls sie Sendungen für einen anderen Kollegen mitnehmen Fernsehkanal (PeP-TV) wurde gegründet und mit ihm die müssten oder gar einen anderen Bezirk komplett überneh- Sicht des Unternehmens während der Arbeitszeit vermit- men sollten, würden auch sie in den Streik treten. So kam telt. Anzeigen in Tageszeitungen wurden mit dem Ziel die manchmal für Außenstehende merkwürdige Situation geschaltet, den Streik als unverhältnismäßig darzustellen zustande, dass einzelne Haushalte täglich Post bekamen, Eine Vielzahl von persönlichen Ansprachen von Vorgesetz- andere aber über mehrere Wochen nahezu keine Sendung. ten kam hinzu, die manchmal an die Vernunft und Einsicht In den Briefzentren hatten die Streiks unterschiedliche appellierten, z. T. aber auch mit Drohungen und Einschüch- Auswirkungen. Während in kleineren BZ wie Cottbus, Suhl terungen arbeiteten. Der Propagandaschlacht des Unterneh- oder Siegen kaum Streikfolgen spürbar waren, gab es ande- mens hatte die Gewerkschaft wenig entgegenzusetzen. Sie re, bei denen die Rückstände hoch waren. Große Wirkungen konnte allein auf die Fähigkeit der KollegInnen vertrauen, gab es z. B im Norden der Republik, in Hamburg, Bremen sich diesen Zugriffen durch Diskussion und Aufklärung und vor allem in Kiel. Aber auch in Hannover, Düsseldorf untereinander zu entziehen. Breite Basisaktivitäten Die Kollegin Patti Schmitz, die als Zustellerin arbeitet, schildert aus ihrer persönlichen Sicht, wie sich das Bewusstsein Als sich der Großkonflikt mit der Post anbahnte und ver.di der KollegInnen, im Verlauf des Konfliktes entwickelt hat: mit der Kündigung der Tarifverträge zur Wochenarbeitszeit signalisierte, dass sie die Auseinandersetzung aufnehmen »Vor allem aber war ich skeptisch, ob die KollegInnen zu einem werde, bestand unter den Vertrauensleuten und den ak- reinen Solidaritätsstreik bereit wären, für die Rückkehr der tiven Mitgliedern Skepsis gegenüber dem Vorgehen der Ge- Ausgelagerten ins ›Mutterschiff‹. Da habe ich meine Kolle- werkschaft. Die anfängliche Zurückhaltung bezog sich vor gInnen gründlich unterschätzt. Bei den Gesprächen während allem auf die Forderung nach einer Arbeitszeitverkürzung. des Streiks betonen Streikende immer wieder, dass sie stolz Sie passte nicht so recht in das gesellschaftliche Umfeld. sind, bei diesem wichtigen Kampf dabei zu sein. Gegen einen Ihre Durchsetzung schien mehr als schwierig zu sein. Viele solchen Angriff ist Solidarität wichtig, und wenn wir heute nicht fragten, was denn die Arbeitszeitverkürzung mit der Grün- betroffen sind, können wir doch morgen die nächsten sein. dung der Delivery-Gesellschaften zu tun habe. Wir müssen es schaffen, die Delivery wegzustreiken. Damit Es bedurfte einer längeren Überzeugungsarbeit durch würden wir ein Zeichen gegen einen allgegenwärtigen Trend die engagierten Vertrauensleute, um den Zusammenhang setzen. Wir würden Geschichte schreiben … diejenigen, die in zwischen dem Vertragsbruch der Post und der Aufstellung den Streik gegangen sind, wurden im Laufe der Zeit entschlos- der Forderung nach Arbeitszeitverkürzung deutlich zu ma- sener. Dazu trug auch die harte Haltung der Post bei, die kein chen. Mittel des Streikbruchs scheute: Einschüchterung und Drohung, Erst in diesen Diskussionen wurde vielen Beschäftigten Leiharbeit, Werkverträge, WanderarbeiterInnen aus Osteuropa, klar, dass sich auch ihre Situation wenigstens perspekti- illegale Sonntagsarbeit, die mit 100 Euro zusätzlich cash auf visch dramatisch verschlechtern könnte, falls sich der Ar- die Hand belohnt wurde, und so weiter. Es wurde immer klarer, beitgeber durchsetzen werde. Der Haustarifvertrag hätte dass es bei diesem Konflikt um Grundsätzliches ging: Wenn dann nur noch für einen deutlich kleineren Teil der Postler Delivery durchgeht, dann werden sie immer mehr von uns in Gültigkeit. Und schließlich sahen alle, dass der Vertrags- Billigfirmen abschieben, dann ist das für ›die Post‹ das Ende.« bruch auch eine Kampfansage an die Gewerkschaft war. Bei aller Kritik, die sie sonst immer bereit waren an der Politik Ausschnitt aus einem im Labournet erschienenen Vorabdruck der Gewerkschaft zu äußern, wollten sie nicht, dass ver.di der zeitung ak - analyse & kritik - 607 im Verhältnis zur Post geschwächt werde. 24 A r b e i t e r p o l i t i k N r . 3 / 4 · AUGUST 2 015
KollegInnen der Post und der Charité bilden am 02.07.2015 im Regierungsviertel Band der Solidarität und Nürnberg stauten sich große Mengen unbearbeiteter So entstand ein Vakuum, das mit Fortgang des Streiks Briefe in den Hallen. zunehmend von aktiven KollegInnen gefüllt wurde. Sie Die Gewerkschaft hatte auf allen Ebenen, also zentral, organisierten selbst, z.T. über WhatsApp-Gruppen, Aktivi- regional wie auf der Ebene der Niederlassungen Arbeits- täten. Wenn es etwa einen problematischen ZSP gab, verab- kampfleitungen gebildet. Die ZAKL, die nur aus wenigen redeten sie sich über dieses Medium und fanden sich am KollegInnen bestand, war darauf angewiesen, dass die regi- nächsten Tag vor den Toren ein. Statt der bisher üblichen onalen und betrieblichen Funktionäre ihr Kampf- und Ein- zwei oder drei KollegInnen standen mit einem Mal fünf- satzbereitschaft signalisierten. Sie besaß keine Autorität, zehn vor dem Eingang eines Zustellstützpunktes. Sie er- einzelne Betriebsbereiche von sich aus zum Arbeitskampf reichten, dass eine ganze Reihe von KollegInnen, die auf- aufzufordern. grund der bisher schwachen Präsenz an den Eingängen der Die regionalen Leitungen koordinierten die bezirk- Betriebsstätten sonst arbeiten gegangen wären, am Streik lichen Aktivitäten. Hier kam es in vielen Orten wöchent- teilnahm. Ideen für Transparente wurden auch über die lich zu gemeinsamen Aktionen, Demonstrationen oder neuen Medien verbreitet, Fotos von betrieblichen Situa- Kundgebungen. In Berlin etwa zogen die Postler mit über tionen weiter gereicht, kleine Videos von Aktionen pro- 3.000 KollegInnen zum Bundesfinanzministerium, um duziert. Einige Kolleginnen schnitten am häuslichen PC Druck auf dem Bund auszuüben. Der besitzt noch etwa recht ambitionierte kleine Filme mit musikalischer Unter- 20% der Aktien über die KfW und ist so im Aufsichtsrat malung, zumeist im Stil der früheren Agitprop-Kultur. So mit zwei Vertreten präsent. In der folgenden Woche wurde konnte mit bescheidenen Mitteln über den Stand der Aus- vor der Bundesverwaltung von ver.di eine Kundgebung mit einandersetzungen berichtet und das breite Spektrum von der Bundesministerin Schwesig (SPD) organisiert und eine Aktivitäten kommuniziert werden. Dies stärkte die Moral Woche danach gab es eine gemeinsame Aktion der Beschäf- und erwies sich als gutes Mittel gegen die Propaganda der tigten von Post und Charité. Vom Hauptbahnhof zog sich Post, sie habe alles im Griff. ein geschlossenes Band von Gewerkschaftern zum Haus Die breiten Aktivitäten haben sicher den Durchhaltewil- der Bundespressekonferenz. Sicher die eindrucksvollste len an der Basis gestärkt und die Grundlage für den Streik Veranstaltung. verbreitert. Auf die Entscheidungen der höheren Instanzen Die betrieblichen Arbeitskampfleitungen (BAKL) waren hatten sie aber keinen Einfluss. häufig den Aufgaben, die auf sie zukamen, nicht gewach- sen. Sie setzen sich aus Mitgliedern der Betriebsräte und Verhandlungen und Streikende der Vorstände der gewerkschaftlichen Betriebsgruppen, die in der Regel personenidentisch sind, wie aktiven Ver- Als nach dreieinhalb Wochen keine Anzeichen zu erken- trauensleuten zusammen. Da es in der Regel keine Vorbe- nen waren, dass die Post in irgendeiner Weise den Forde- reitung auf die Auseinandersetzung gab, die Mitglieder der rungen der Gewerkschaft entgegen kommen würde, wurde BAKL streikunerfahren waren und bei ihnen die in der Ge- der Vorstand des Fachbereiches nervös und machte der Post werkschaft vorherrschende Einstellung bestand, dass alle das Angebot, am folgenden Wochenende Verhandlungen wichtigen Entscheidungen sowie auf den obersten Stufen über einen Tarifabschluss aufzunehmen. der Gewerkschaft gefällt werden, gingen von ihnen nur sel- Da die Gewerkschaft den Streik nicht aussetzte, gingen ten Initiativen zur Streikmobilisierung aus. Freigestellte die meisten KollegInnen davon aus, dass an dem Wochen- Betriebsräte wurde in die BAKL gewählt, obwohl sie nicht ende keine Einigung erfolgen werde. Entweder würden sich einen Tag streikten, sondern Büroarbeit leisteten6. Häufig die Verhandlungen noch um einige Tage hinziehen oder vertraten sie auch die zu Hunderten streikenden Kolle- zu einem späteren Zeitpunkt fortgesetzt. Möglich schien gInnen ihrer Niederlassung in der Landesarbeitskampflei- auch angesichts der Unüberwindbarkeit der Standpunkte tung (LAKL)7. die Vereinbarung zu einer Schlichtung, ähnlich wie bei der Bahn. Doch es kam anders. Ver.di warf in den Verhand- 6 Ihnen wurde deshalb auch nichts vom Lohn abgezogen. lungen die beiden zentralen Forderungen ihres Streikauf- 7 Es wäre einmal interessant zu untersuchen, wie groß der Anteil der rufs über Bord und einigte sich bereits nach zweieinhalb nicht streikenden KollegInnen in den LAKL war. Wenn dabei heraus- Tagen mit der Post. käme, dass in vielen Arbeitskampfleitungen KollegInnen, die nicht am Arbeitskampf, sprich Streik teilgenommen haben, die Mehrheit gebildet Von der Forderung nach Verkürzung der Wochenarbeits- haben und formal für die Streikführung verantwortlich gewesen sind, zeit blieb im Ergebnis nichts übrig. Der Vertragsbruch des würde uns dies nicht wundern. Arbeitsgebers wurde nicht bestraft, die Gründung der De- A r b e i t e r p o l i t i k N r . 3 / 4 · AUGUST 2 015 25
livery-Gesellschaften nicht zurückgenommen. Verdi sagte Der „Beschäftigungspakt“ enthält deshalb auch die sogar zu, die beim Arbeitsgericht in Bonn anhängige Klage Regelung, dass die Zustellbereiche Brief und Verbund bis zu diesem Punkt zurückzuziehen. Und die Gewerkschaft 31.12.2018 nicht fremdvergeben werden dürfen. Ebenso sind ließ sich noch das Instrument, mit dem sie in den letzten die Regelungen zum Fahrdienst, die die wenigen noch in Jahren schon mehrfach die schnelle Mobilisierung der Be- diesem Bereich arbeitenden KollegInnen vor Fremdvergabe schäftigten bei zentralen Konflikten mit der Post erreicht schützen, bis Ende 2018 verlängert worden. Der Tarifver- hatte, die kurzfristige Kündigung der Arbeitszeitrege- trag Rationalisierungsschutz und der Vertrag zum Schutz lungen, aus der Hand schlagen. Die Arbeitszeitregelungen vor betriebsbedingten Kündigungen und Änderungskündi- sind erst wieder zum 31.12.2019 kündbar. Bis dahin kann gungen haben dagegen eine Laufzeit bis zum 31.12.2019. der Fachbereich selbst bei einem erneuten Vertragsbruch Als Preis für diese Zusagen setzte ver.di die diversen nicht mehr mit tariflichen Mitteln reagieren, sondern nur bereits in früheren Jahren befristetet ausgesetzten Bestand- noch mit einer Klage vor den Gerichten. teile des Tarifvertrages weiter bis Ende 2019 aus: Zwei Tage Verdi hatte eine Lohnerhöhung um 5,5% ab 01.06.2015 Arbeitsbefreiung entfallen bis dahin jährlich, die bezahl- auf zwölf Monate gefordert. Im Jahr 2015 wird es keine ten Pausen bleiben um eine Minute pro Stunde gekürzt, tabellenwirksame Erhöhung geben, sondern nur eine Ein- die Überstundenzuschläge im Zustellbereich können nicht malzahlung in Höhe von 400 Euro. Die kommt nicht, wie eingefordert werden und die Stücklohnvergütung für abzu- gefordert im Juni, sondern erst im Oktober 2015. Wenn ver. holende Pakete existiert fort. Auch bleibt die Dienstzeit- di trotz guter gesamtwirtschaftlicher Rahmenbedingungen, stufe Null, also die Absenkung der Einstiegslöhne für neu exzellenter betriebswirtschaftlicher Ergebnisse der Post, eigestellte KollegInnen um 4%, weiter bestehen, aber nur einer extremen Steigerung der Vorstandsgehälter und einer bis zum 31.12.2018. Dividendenerhöhung von 6% für die Aktionäre für das Jahr Die einzige positive Neuerung in dem Tarifwerk ist die 2015 nicht die Lohntabellen erhöhen kann, macht dies das Zusage, dass alle bis zum 01.07.2015 bereits seit mindestens Desaster der Tarifrunde auch in diesem Bereich deutlich. zwei Jahren ununterbrochen im Unternehmen beschäf- Die Post hat es nicht nur geschafft, ver.di in der Frage der tigten KollegInnen unbefristet übernommen werden. Al- Ausgründung des Paketgeschäftes vor die Wand fahren zu- lerdings hat sich die Post vorbehalten, nur den nach ihrer lassen, sie hat zusätzlich noch erreicht, dass die Beschäf- Meinung geeigneten Beschäftigten einen Vertrag anzubie- tigten praktisch allein die Streikkosten bezahlen müssen. ten und die Zusage auf den Stichtag 01.07.2015 bezogen. Sie Erst im Oktober 2016 gibt es wieder eine Erhöhung gilt nicht für die KollegInnen, die kurze Unterbrechungen um 2% der Entgelttabellen und dann erneut eine im Ok- in ihrem Beschäftigungsverhältnis haben. tober 2017 in Höhe von 1,7%. Die Regelungen zum Lohn Ver.di hat also für den gleichen Preis, den es bei den letz- wie auch die Vereinbarung zur Zahlung einer Postzulage ten Tarifverhandlungen 2013 beim Beschäftigungspakt für die Beamten sind aber bereits zum 31.01.2018 kündbar, gezahlt hat, 2015 deutlich weniger bekommen. Der Fach- eine auf den ersten Blick merkwürdige Regelung. Norma- bereich hat sich wieder auf das Vertragskonstrukt von 2013 lerweise haben Lohnerhöhungen eine Laufzeit von minde- eingelassen, also schuldrechtliche Zusagen des Unterneh- stens einem Jahr. Eine Kündigung im Oktober 2018 würde mens mit der befristeten Außerkraftsetzung einzelner tarif- die Lohnverhandlungen aber in die Nähe der bis Ende 2018 vertraglicher Regelungen bezahlt. Soweit wir bis jetzt wis- laufenden Verträge zur Fremdvergabe bringen und so eine sen, gibt es in den Abmachungen keine Absprache darüber, Bündelung beider Forderungen ermöglichen. Die Post hat wie ver.di im Fall eines erneuten Vertragsbruchs reagieren versucht, mit der frühen Möglichkeit der Kündigung bei- kann. Mit einer breiten Mobilisierung dagegen durch die de Tarifkomplexe zu entzerren. Wir werden mit Spannung Kündigung der Arbeitszeitregelungen kann sie, wie oben verfolgen wie sich ver.di Anfang 2018 verhält. schon erwähnt, nicht mehr gegensteuern. Auch bei dem sog »Beschäftigungspakt« musste die Ge- Und schließlich hat sie durch die jetzigen Abspra- werkschaft Federn lassen. Eine Beschränkung der Fremd- chen den Beschäftigungspakt aufgespalten in zwei Teile vergabe im Zustellbereich Paket enthält das Vertragswerk mit unterschiedlicher Laufzeiten. Während die Verträge nicht mehr. Stattdessen gibt es eine personalisierte Zusage zum Kündigungs- und Rationalisierungsschutz bis zum nach der alle Paketzusteller, die derzeit unter den Hausta- 31.12.2019 gelten, enden die Abmachungen zur Fremdver- rifvertrag fallen, bei der Post bleiben können. Die »indivi- gabe bereits am 31.12.2018. Ver.di muss zukünftig zweimal dualrechtliche« Zusage ist bisher in den uns vorliegenden hintereinander die von ihr so gelobten „Schutzregelungen“ Unterlagen noch nicht präzisiert, so dass wir noch nicht verhandeln. Gerade die Verträge zur Fremdvergabe treffen wissen, ob die Erwartungen vieler KollegInnen auch erfüllt nur einen Teil der KollegInnen. Ob für deren Fortschrei- werden. Und selbst, wenn sie so kommt, wie erhofft, ist bung die gesamte Belegschaft mobilisiert werden kann, nicht gesagt, dass die Zusteller ihren Bezirk behalten wer- muss abgewartet werden. Gerade hier wird die Post, so den oder an ihrem bisherigen Einsatzort bleiben können. sie denn zu einer Verlängerung dieser Verträge bereit sein Die KollegInnen werden sich auf ständig wechselnde Be- wird, den Preis deutlich nach oben schrauben. zirke und erhöhte Leistungsanforderungen einstellen müs- sen. Mit dem Wachsen der Delivery-Gesellschaften wird Bewertung des Tarifergebnisses deren Zustellleistung der Maßstab für die Arbeitsintensität der Kollegen von DHL sein. Die Post hat nahezu alle ihre Ziele erreicht. Sie hat die Das Zugeständnis der Post, den Paketbereich nicht kom- Delivery-Gesellschaften gegründet und kann so langfristig plett auszugliedern, hat sicher damit etwas zu tun, dass es die Kosten im Paketsektor senken. Sie hat sanktionsfrei vor allem in ländlichen Regionen die sog. Verbundzustel- Vertragsbruch begangen und die Gewerkschaft vorgeführt. lung gibt. Dort werden Pakete und Briefe von einem Zu- Sie hat den jedenfalls von Gerdes und seinem Vorstands- steller ausgetragen. Da aber der Briefsektor teilweise noch bereich als zu hoch angesehenen Tarifabschluss von 2013 der staatlichen Regulierung unterliegt, kann die Zustelllei- durch eine Nullrunde bei den tabellenwirksamen Löhnen stung Brief vom Unternehmen nicht ohne weiteres fremd korrigiert. Ihr ist es gelungen, keine Zusagen zur Fremd- vergeben werden. Der Staat und nicht die Post bestimmt vergabe im Paketsektor mehr zu machen und den verblie- in einem geordneten Verfahren, wer für einen definierten benden Teil des Beschäftigungspaktes aufzuspalten in Zeitraum Briefe bundesweit zustellen darf. zwei Teile. So hat sie auch in diesem Bereich zukünftig die 26 A r b e i t e r p o l i t i k N r . 3 / 4 · AUGUST 2 015
Eine der viele Regionaldemos von Postlern Verhandlungsposition von ver.di deutlich geschwächt. Die Auch im sonstigen Speditions- und Logistikbereich Mobilisierungsfähigkeit von ver.di hat die Post durch die sieht es nicht besser aus. Die regionalen Tarifverträge wer- Verschiebung der Kündigungsfrist für die Arbeitszeitfrage den nur selten in den Betrieben umgesetzt und bei den wirksam eingeschränkt. Darüber hinaus hat das Unterneh- jeweiligen Tarifverhandlungen ist ver.di kaum mobilisie- men gezeigt, dass sie zur Durchsetzung ihrer Positionen rungsfähig. Ein wenig besser sieht es lediglich bei einigen Gesetze straflos in Frage stellen oder gar brechen kann, Großspeditionen aus, bei denen ver.di Haustarife abschlie- ohne dass ver.di in der Lage ist, dies zu verhindern. ßen konnte. In dieser Zeitung ist in den letzten Jahren bereits in mehreren Analysen aufgezeigt worden, dass sich ver.di bei Perspektiven der Gewerkschaftsarbeit der Post auf einer absteigenden Linie befindet. Sie kann im- mer weniger die tariflichen Standards früherer Jahre halten. Während die überwiegende Mehrheit der bezahlten Funk- Dies liegt zum einen an der zentralistischen Struktur des tionäre, der freigestellten Betriebsräte und der Mitglieder Fachbereichs, der für eine Mitgliedermobilisierung zu den von Betriebsgruppenvorständen das Ergebnis als großen gewerkschaftlichen Alltagsfragen keinen Platz lässt. Zum Erfolg sehen, befinden sich viele Vertrauensleute und der anderen ist dies auch darin begründet, dass er sich fast größte Teil der am Streik beteiligten Mitglieder noch in vollständig zu einer Betriebsrätegewerkschaft entwickelt einer Art Schockstarre. Sie können bis heute nicht begrei- hat. Gewerkschaftliche Themen werden nicht mehr von fen, weshalb die Organisation ihre Bereitschaft, ver.di in der Organisation angeschnitten und durch Aktivitäten der einer grundsätzlichen Auseinandersetzung zu unterstüt- Mitglieder in der Öffentlichkeit getragen. Gewerkschaft- zen, nicht angenommen hat. Und sie sind verärgert darü- liche Arbeit findet fast ausschließlich in den Gremien der ber, dass der Streikabbruch ohne Rücksprache mit ihnen Organisation statt. Themenschwerpunkte sind dort Mit- zu einem Zeitpunkt erfolgte, zu dem die Streikfront noch gliederverwaltung und Besetzung von Funktionärsposten nicht bröckelte. im Fachbereich wie auch in den sonstigen ver.di-Gremien. Ver.di hat mit der kurzfristigen Entscheidung zum Der Fachbereich 10 hat nicht nur in den Tarifrunden Streikabbruch der innergewerkschaftlichen Demokratie erhebliche Probleme, Forderungen gegenüber dem Arbeit- einen Bärendienst erwiesen. Auf dem Höhepunkt einer geber durchzusetzen. Er bekommt auch die Arbeitszeitre- Streikwelle von 32.000 KollegInnen hat innerhalb weni- gelungen in der Zustellung nicht in den Griff. Dort werden ger Stunden eine kleine Gruppe von Funktionären, die mithilfe von Betriebsvereinbarungen die tarifvertraglichen Konzerntarifkommission, über Annahme oder Ablehnung Regelungen zur Arbeitszeit relativiert. Die Betriebsverein- eines komplexen Paketes von Verträgen entschieden, das barungen enthalten, von BZ zu BZ verschieden, Abma- für alle Mitglieder eine weitreichende Bedeutung hat. Und chungen zu mitbestimmungsfreien Überzeiten. In vielen die, die über vier Wochen bei Wind und Wetter den Streik dieser Vereinbarungen sind sogar noch die aus der Zeit getragen haben, wurden nicht einmal im Ansatz nach ihrer der Bundespost stammenden Rahmendienstpläne enthal- Meinung gefragt. ten, nach denen alle oder wenigstens ein Teil der Zusteller Die aktiven KollegInnen müssen derzeit darauf achten, sanktions- und entgeltfrei Mehrarbeit bis zur Höchstar- dass Wut und Enttäuschung über den Tarifabschluss nicht beitszeit des Arbeitszeitgesetzes von zehn Stunden leisten in Resignation, Passivität oder Gewerkschaftsaustritt um- muss, wenn die betriebliche Situation es erfordert. schlägt. Gerade die praktizierte Solidarität in den Streik- Nahezu ungeregelt sind die Arbeitsbeziehungen und die tagen und die vielfältigen Aktivitäten an der Basis bieten Entgeltregelungen bei den privaten Brief- und Paketunter- eine gute Grundlage, um eine kritische Diskussion über die nehmen. Den einzigen Erfolg, den der Fachbereich hier bis- zukünftige gewerkschaftliche Arbeit zu beginnen. Auch her erzielt hat, den bei der Berliner PIN AG, hat sie dem ver. wenn Ergebnisse einer solchen Debatte erst nach einiger di Landesverband Berlin-Brandenburg zu verdanken. Der Zeit vorliegen werden, gibt es keinen anderen Weg, als di- musste aushelfen, weil die regionalen Funktionäre den er- ese Auseinandersetzung in der Gewerkschaft zu führen, sten Versuch, einen Tarifvertrag bei der PIN AG abzuschlie- eine gemeinsame Plattform zu entwickeln und sie im Zu- ßen, kläglich in den Sand gesetzt hatten. Im Paketbereich sammenhang mit der Entwicklung einer politischen Alter- ist lediglich UPS tarifgebunden. native durchzusetzen. 10.08.2015 n A r b e i t e r p o l i t i k N r . 3 / 4 · AUGUST 2 015 27
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