Tätigkeits-bericht - Bericht der Bundesanwaltschaft über ihre Tätigkeit im Jahr 2019 an die Aufsichtsbehörde
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
2019 Tätigkeits- bericht Bericht der Bundesanwaltschaft über ihre Tätigkeit im Jahr 2019 an die Aufsichtsbehörde
Vorwort Ich freue mich, den Tätigkeitsbericht 2019 der Bundes- Abschliessend danke ich den zahlreichen Partnerbehör- anwaltschaft (BA) vorlegen zu können. Der Bericht um- den der BA beim Bund und in den Kantonen für die gute fasst insbesondere die jährliche Berichterstattung zuhan- Zusammenarbeit sowie den Mitarbeitenden der BA für den der Aufsichtsbehörde über die Bundesanwaltschaft ihren Einsatz. (AB-BA), deren aufsichtsrechtlichen Weisungen er Rech- nung trägt. Michael Lauber Im Kerngeschäft der BA konnten im Berichtsjahr Bundesanwalt verschiedene wichtige Verfahren zu einem Abschluss gebracht werden. Erste Anklageerhebungen erfolgten in Bern, im Januar 2020 den grossen, von Task Forces geführten Verfahrens- komplexen Petrobras-Odebrecht und Weltfussball sowie in den Bereichen Völkerstrafrecht und Cyberkriminalität. Wichtige Anklagen wurden auch im Terrorismusbereich eingereicht. Getreu dem Grundsatz, dass sich strafba- res Verhalten nicht lohnen soll, hat die BA im Berichts- jahr die Einziehung namhafter Deliktsbeträge erwirkt, insbesondere zur Restitution an geschädigte Personen oder Staaten. Organisatorisch bildete der erfolgreiche Umzug ins neue Verwaltungszentrum G1 einen Schwerpunkt. Die moderne Infrastruktur am neuen Standort ist ein Gewinn für die Mitarbeitenden. Die Unterbringung im selben Ge- bäude mit fedpol stärkt die Zusammenarbeit mit einem Hauptpartner der BA. Ein weiterer Fokus lag auf der stra- tegischen Weiterentwicklung der BA, mit welcher die Er- füllung ihres Gesetzesauftrags fortlaufend optimiert wird. Das Berichtsjahr war geprägt durch das medial kontrovers diskutierte Thema meiner Wiederwahl für die neue Amtszeit. Über die Wiederwahl und das vom Par- lament in mich gesetzte Vertrauen habe ich mich ebenso gefreut wie über die Wiederwahl meiner beiden Stell- vertreter. Mit dieser Wahl der Kontinuität können die seit meinem Amtsantritt 2012 eingeleiteten und umgesetz- ten Entwicklungen fortgeführt und die BA als unabhän- gige Institution gestärkt werden. Fortgeführt werden soll damit ebenfalls die gute Zusammenarbeit der BA mit ihren zahlreichen Partner- behörden und -organisationen auf nationaler und inter- nationaler Ebene. Eine starke Vernetzung ist unabdingbar für eine wirksame Bekämpfung moderner Kriminalitäts- formen. Intensiv gestaltete sich im Berichtsjahr auch die Zusammenarbeit mit der parlamentarischen Oberauf- sicht. Diese wird im Jahr 2020 fortgeführt, zumal die Geschäftsprüfungskommissionen beschlossen haben, zur Klärung des zwischen der AB-BA und der BA di- vergierenden Aufsichtsverständnisses eine Inspektion durchzuführen. Die BA blickt auf ein anspruchsvolles Jahr zurück. Der vorliegende Bericht dokumentiert in Auszügen, wie vielfältig die von der BA wahrgenommenen gesetzlichen Aufgaben sind.
Inhalt Einleitung 1 Stellung und gesetzlicher Auftrag der Bundesanwaltschaft (BA) 4 2 Internationale Zusammenarbeit 4 3 Nationale Zusammenarbeit 6 4 Rechtsfragen und allgemeine Hinweise an den Gesetzgeber 8 Interview Interview mit dem Bundesanwalt 12 Operative Tätigkeiten 1 Strategie 2016 – 2019 16 2 Zentrale Eingangsbearbeitung der BA (ZEB) 16 3 Fälle im Interesse der Öffentlichkeit 17 4 Ermächtigungsdelikte 21 5 Urteilsvollzug 22 Administrative Tätigkeiten 1 Rechtliche Grundlagen für die Organisation 24 2 Generalsekretariat 24 3 Einsatz von Finanz- und Sachmitteln: Rechnung 2019 26 4 Allgemeine Weisungen 26 5 Code of Conduct 27 6 Personalwesen 27 7 Organigramm 28 8 Belastung der einzelnen Abteilungen 29 Reporting Zahlen und Statistiken 32 (Reporting per 31. Dezember 2019)
1 Stellung und gesetzlicher 2 Internationale Zusammenarbeit Auftrag der Bundesanwaltschaft (BA) 1.1 Stellung der BA (organisatorisch) 2.1 GAFI 1 Die BA ist gemäss Art. 7 des Strafbehördenorganisati- Die BA ist als Expertin in die schweizerische Arbeits- onsgesetzes (StBOG, SR 173.71) die Staatsanwaltschaft gruppe eingebunden, die unter der Leitung des Staats- des Bundes. Sie steht unter der Gesamtverantwortung sekretariats für internationale Finanzfragen (SIF) an den des Bundesanwalts, der von der Bundesversammlung Arbeiten der GAFI teilnimmt. In diesem Zusammenhang gewählt wird und über umfassende Organisations- und analysiert die BA die zahlreichen Dokumente, die von Führungskompetenzen verfügt. Der Bundesanwalt hat den Arbeitsgruppen der GAFI erstellt werden; sie ver- zwei Stellvertreter, welche ebenfalls von der Bundesver- fasst Stellungnahmen und formuliert Vorschläge ge- sammlung gewählt werden und im Vertretungsfall alle stützt auf ihre Erfahrungen in ihrem Kompetenzbereich, Befugnisse des Bundesanwalts haben. Die Wahl der der Strafverfolgung der Geldwäscherei und der Terro- übrigen Staatsanwälte und die Anstellung aller weiteren rismusfinanzierung. Mitarbeitenden obliegen dem Bundesanwalt. Er ist ei- 2019 führte die Schweiz die Umsetzung der Emp- genständiger Arbeitgeber nach Bundespersonalrecht. fehlungen der GAFI zu den Schwachstellen fort, die im Die BA unterliegt der ungeteilten Aufsicht einer Rahmen der 2016 abgeschlossenen Länderprüfung der ebenfalls von der Bundesversammlung gewählten Auf- vierten Evaluationsrunde identifiziert worden waren. Die sichtsbehörde (AB-BA; Art. 23 ff. StBOG). BA setzte insbesondere die Überprüfung und Optimie- rung der Statistiken fort, die für die Evaluation auf Ebene 1.2 Gesetzlicher Auftrag (operativ) der BA und der kantonalen Staatsanwaltschaften zu Als Staatsanwaltschaft des Bundes ist die BA zuständig führen sind, sowie die Koordination und Sensibilisierung für die Ermittlung und Anklage von Straftaten im Be- der Kantone für die Empfehlungen der GAFI. reich der Bundesgerichtsbarkeit, wie sie in Art. 23 und Die BA nahm darüber hinaus an den Arbeiten der 24 der Strafprozessordnung (StPO, SR 312.0) sowie in «Interdepartementalen Koordinationsgruppe zur Be- besonderen Bundesgesetzen aufgeführt werden. kämpfung der Geldwäscherei und der Terrorismusfinan- Einerseits handelt es sich dabei um klassische zierung» (KGGT) und deren Arbeitsgruppen teil, die im Staatsschutzdelikte, also Straftaten, die sich vornehm- Auftrag des Bundesrats und unter der Leitung des SIF lich gegen den Bund richten oder dessen Interessen die Geldwäscherei- und Terrorismusfinanzierungsrisi- stark berühren. Andererseits handelt es sich um die ken in der Schweiz identifizieren und beurteilen und mit Strafverfolgung komplexer interkantonaler bzw. interna- welchen der Bundesrat die entsprechende GAFI-Emp- tionaler Fälle von organisierter Kriminalität (einschliess- fehlung zur nationalen Risikobeurteilung umsetzt. lich Terrorismus und dessen Finanzierung), Geldwä- In diesem Kontext beteiligte sich die BA insbeson- scherei und Korruption. Im Rahmen einer fakultativen dere an der Ausarbeitung einer im Juli 2019 publizierten Bundeskompetenz befasst sich die BA mit Fällen von Studie zur Korruption als Vortat der Geldwäscherei.2 Wirtschaftskriminalität gesamtschweizerischer oder in- ternationaler Ausprägung. Schliesslich gehört auch der 2.2 GRECO 3 Vollzug von Rechtshilfegesuchen ausländischer Straf- Am 22. März 2019 verabschiedete die GRECO den Be- verfolgungsbehörden zu den Aufgaben der BA. richt über die Konformität der Schweiz mit den Emp- fehlungen aus der vierten Evaluationsrunde betreffend die Korruptionsprävention von Parlamentariern, Rich- tern und Staatsanwälten. Von den zwölf Empfehlungen, die im Evaluationsbericht vom Frühling 2017 publiziert worden waren, betrafen zwei Empfehlungen die Tätig- keit der BA: Einerseits waren die Arbeiten zur Festle- gung eines Verhaltenskodex für die Staatsanwälte ab- zuschliessen und andererseits waren Massnahmen zu 1 Groupe d’Action financière (Arbeitskreis Massnahmen zur Geldwäschebekämpfung). 2 www.sif.admin.ch/dam/sif/de/dokumente/Integrit%C3%A4t%20 des%20Finanzplatzes/nra_bericht_korruption.pdf.download. pdf/20190710_ber-korruption-geldwaescherei-d-final.pdf 3 Groupe d’Etats contre la corruption (Staatengruppe gegen Korruption). 4 Einleitung
treffen zur Aufbewahrung von Daten über allfällige, ge- Strafverfolgung von «foreign fighters» wegen Völkerstraf- gen Staatsanwälte eröffnete Disziplinarverfahren. rechtsverbrechen und Terrorismusdelikten, die Möglich- Die BA hat diese Empfehlungen umgesetzt, indem keiten der Zusammenarbeit mit der UN-Ermittlungs- sie am 1. Juli 2017 ihren Code of Conduct in Kraft ge- gruppe UNITAD7, die erhebliche Zunahme von Völker- setzt hat (seit Herbst 2017 online einsehbar 4) und indem strafrechtsverfahren, die Opferrechte sowie die Zugangs- sie in ihren Tätigkeitsbericht ein Unterkapitel aufnahm, möglichkeiten zu Informationen aus dem Schlachtfeld. das allfälligen Disziplinarverfahren gegen Staatsanwälte Thematisiert wurden des Weiteren die Initiative für ein gewidmet ist. Die GRECO hob diese Anpassungen in neues internationales Rechtshilfeinstrument für Völker- ihrem Konformitätsbericht vom 22. März 2019 hervor strafrechtsverbrechen und das Analyseprojekt AP CIC und würdigte die von der BA umgesetzten Massnahmen. von Europol, welches Mitgliedstaaten, Drittstaaten und Die Schweiz entspricht somit diesen Empfehlungen der Organisationen insbesondere bei der Verfolgung von GRECO. Völkerstrafrechtsverbrechen unterstützen soll. Überdies konnten sich die Vertreter der Strafverfol- 2.3 OECD 5 gungsbehörden im Rahmen von ausschliesslich ihnen Im März 2018 verabschiedete die OECD ihren Bericht vorbehaltenen Sitzungen zwecks Sicherstellung einer über die Phase-4-Länderprüfung der Schweiz durch die vernetzten und koordinierten Verfolgung von Völkerstraf- Arbeitsgruppe der OECD zur Korruptionsbekämpfung. rechtsverbrechen austauschen. Dieser Bericht befasst sich mit der Evaluation der Schweiz betreffend die Umsetzung des Übereinkom- 2.5 Teilnahme an der 24. Jahreskonferenz der IAP 8 mens der OECD über die Bekämpfung der Bestechung Die Jahreskonferenz der IAP, welche vom 15. bis 19. ausländischer Amtsträger im internationalen Geschäfts- September 2019 in Buenos Aires stattfand, wurde von verkehr sowie betreffend die Empfehlung von 2009 zur der Generalstaatsanwaltschaft der Autonomen Stadt weiteren Bekämpfung der Bestechung ausländischer Buenos Aires organisiert. Amtsträger im internationalen Geschäftsverkehr. Zudem Hauptthema der diesjährigen Konferenz war «Die enthält der Bericht mehrere an die Schweiz gerichtete internationale Zusammenarbeit in verschiedenen Rechts- Empfehlungen in diesem Bereich, von denen einige die systemen». Behandelt wurden verschiedene damit zu- Tätigkeit der BA betreffen. sammenhängende Aspekte wie die unterschiedlichen Die BA hat die erforderlichen Arbeiten eingeleitet, Rechtssysteme und teilweise gleichen Herausforderun- um anfangs 2020 die Daten bereitstellen zu können, die gen, die Rolle und Zuständigkeiten der Staatsanwälte zur Erstellung eines schriftlichen Berichts über die Um- und Verbindungsstaatsanwälte, die Beziehungen zwi- setzung der Empfehlungen zuhanden der Arbeitsgruppe schen Richtern, Staatsanwälten und der Polizei bei kom- erforderlich sind. plexen grenzüberschreitenden Ermittlungen, die gesetz- Ab Januar 2020 ist die BA durch die seit dem lichen Grundlagen für die Erhebung und den Austausch 1. November 2019 für den Bereich der internationalen von Beweismitteln sowie informelle und alternative Mög- Korruption verantwortliche Staatsanwältin in der OECD lichkeiten zur rechtshilfeweisen Erhebung von Beweis- vertreten. mitteln. Im Rahmen von Workshops und Sitzungen von Interessengruppen wurden u.a. Themen wie der Unter- 2.4 Genocide Network 6 schied zwischen Erkenntnissen und Beweisen, elektro- Die BA nahm im Berichtsjahr am 26. und 27. Treffen des nische Beweise, «Mega-Prozesse», Umweltverbrechen, Europäischen Genocide Networks in Den Haag teil. Die- Menschenhandel sowie die Sicherheit und Unabhängig- ses Netzwerk bietet den Teilnehmern die Gelegenheit, keit von Staatsanwälten vertieft. Darüber hinaus hatten sich fachspezifisch weiterzubilden sowie Erfahrungen die mehr als 400 Teilnehmer aus 86 Staaten die Gele- auszutauschen. Themen der Treffen im Berichtsjahr wa- genheit, sich fachlich und persönlich auszutauschen und ren namentlich die Herausforderungen und Vorteile der dadurch das eigene Kontaktnetz zu erweitern. Im Vorfeld zur Konferenz der IAP nahm die BA überdies am thematischen Treffen und an der General- 4 www.bundesanwaltschaft.ch/mpc/de/home/die- versammlung der «Association internationale des procu- bundesanwaltschaft/code-of-conduct.html 5 Organisation for Economic Co-operation and Development reurs et poursuivants francophones» (AIPPF) teil. (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung). 6 European Network of contact points in respect of persons responsible for genocide, crimes against humanity and war crimes. 7 UN Investigative Team to Promote Accountability for Crimes 7 UN Investigative Team to Promote Accountability for Crimes Committed by Da’esh / Islamic State in Iraq and the Levant. Committed by Da’esh / Islamic State in Iraq and the Levant. 8 International Association of Prosecutors. Einleitung 5
3 Nationale Zusammenarbeit 3.1 Bundesamt für Polizei (fedpol) hergestellt und eventuelle Divergenzen können im Allge- Die Basis der guten Zusammenarbeit zwischen BA und meinen pragmatisch gelöst werden. Dies hindert das BJ fedpol bildet nicht nur ein übereinstimmendes Grundver- indessen nicht daran, seinen Aufgaben als Aufsichtsbe- ständnis der gemeinsamen Ziele und Strategien, son- hörde nachzukommen und gegen Entscheide der BA, dern auch ein klares Bewusstsein für die gegenseitigen die es als unbegründet erachtet, gegebenenfalls Be- Funktionen und Aufgaben. Diese Basis wurde mit der schwerde zu erheben.9 Realisierung und dem Bezug des gemeinsamen Gebäu- Ausserdem sind die beiden Verbindungsstaatsan- des am Guisanplatz in Bern weiter gestärkt. Die gute wältinnen der Schweiz bei EUROJUST auch dem BJ Zusammenarbeit betrifft nebst der Führung von fedpol unterstellt. EUROJUST hat sich vor allem zur Koordina- auch dessen einzelne Einheiten, namentlich die Bundes- tion der internationalen Anstrengungen zur Kriminalitäts- kriminalpolizei (BKP), den Bundessicherheitsdienst (BSD) bekämpfung als ein zentraler Partner der BA etabliert. und die Meldestelle für Geldwäscherei (MROS). Im November 2019 ist die erste Verbindungsstaatsan- Die Zusammenarbeit mit fedpol beschränkt sich wältin, die 2015 für die Schweiz zu EUROJUST entsandt nicht auf die operative Ebene. Das künftige, zielgerich- wurde, zur BA zurückgekehrt. tete Zusammenwirken und die unaufhaltsame digitale Transformation bilden Herausforderungen, denen sich 3.4 Eidgenössische Finanzmarktaufsicht (FINMA) BA und fedpol gemeinsam im Rahmen des Programms Die BA setzt ihre Zusammenarbeit mit der FINMA sowohl «Joining Forces» stellen. Dieses bezweckt die strategische im Rahmen von laufenden Verfahren als auch generell Weiterentwicklung der Zusammenarbeitsstrukturen und zur Erfüllung ihrer Aufgaben fort. Die Zusammenarbeit die Entwicklung der notwendigen Arbeitsinstrumente. betraf im Wesentlichen Fälle von Börsendelikten, Geld- wäscherei und internationaler Korruption im Zusammen- 3.2 Nachrichtendienst des Bundes (NDB) hang mit Finanzintermediären. Laut dem Urteil des Bun- Eine prioritäre Aufgabe im Rahmen der guten Zusam- desgerichts 1B_547/2018 vom 15. Januar 2019 sind menarbeit mit dem NDB war im Berichtsjahr die zeitnahe Ersuchen der BA auf Übermittlung von Entscheiden der Koordination im Terrorismusbereich (operative Koordina- FINMA gestützt auf Art. 194 StPO Massnahmen der tionsplattform TETRA, «TErrorist TRAcking»). An Aktua- Rechtshilfe zwischen Behörden im Sinne von Art. 44 lität weiter gewonnen hat in diesem Zusammenhang die StPO und somit keine Zwangsmassnahmen. Das Bun- Frage der «Rückkehrer» aus Krisengebieten. Im Spiona- desstrafgericht erwog gestützt auf dieses Urteil, dass der gebereich (verbotener Nachrichtendienst nach Art. 272 ff. Beschwerdeführer kein Recht hatte, die Siegelung der des Strafgesetzbuches, StGB, SR 311.0) konnten dank ihn betreffenden Entscheide der FINMA zu beantragen, der engen und effizienten Zusammenarbeit mit dem NDB die auf dem Weg der Rechtshilfe zwischen Behörden in Bezug auf Cyber- und andere Spionageangriffe insbe- eingeholt worden waren (BB.2018.192 vom 3. Juli 2019). sondere auf die Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) di- verse Personen und ausländische Dienste als mutmass- 3.5 Eidgenössische Steuerverwaltung (ESTV) liche Angreifer identifiziert werden. Auch im Berichtsjahr konnten die ESTV und die BA eng Die Empfehlungen der Geschäftsprüfungsdelega- zusammenarbeiten, um jene Synergien zu nutzen, die tion gemäss deren Bericht «Inspektion als Folge der ihre jeweiligen Tätigkeitsbereiche bieten. So konnte die Verhaftung einer ehemaligen Quelle des NDB in Deutsch- BA im Rahmen ihrer Ermittlungen mutmassliche, steu- land» vom 13. März 2018 (BBl 2018 5045) wurden um- errechtliche Unregelmässigkeiten feststellen (z.B. Iden- gesetzt. tifizierung unversteuerter Vermögenswerte oder von Gesellschaften, die in der Schweiz steuerpflichtig wä- 3.3 Bundesamt für Justiz (BJ) ren). Solche Fälle zeigt die BA bei den zuständigen Als Zentral- und Aufsichtsbehörde im Bereich der inter- Steuerbehörden an. Umgekehrt bringen laufende Steu- nationalen Rechtshilfe gewährleistet das BJ die Beglei- erverfahren bisweilen Verhaltensweisen ans Licht, die tung der Verfahren der passiven Rechtshilfe und berät zum Gegenstand eines Strafverfahrens der BA werden die BA in den Verfahren der aktiven Rechtshilfe. Zudem können. Um die Identifizierung relevanter Sachverhalte kümmert es sich um die von der BA beantragten Auslie- und die Zusammenarbeit zu optimieren, sind Single ferungen, um Fragen rund um die Delegation der Straf- Points of Contact als Bindeglieder zwischen den bei- verfolgung und um die internationale Aufteilung einge- den Behörden im Einsatz. zogener Vermögenswerte. Die BA arbeitet täglich mit dem BJ zusammen, und die Zusammenarbeit ist ausge- zeichnet: Die Kontakte werden auf der adäquaten Ebene 9 Vgl. z.B. Urteil RR.2018.287 vom 29. April 2019. 6 Einleitung
3.6 Schweizerische Staatsanwälte-Konferenz (SSK) (2) Terror Single Point of Contact Der Bundesanwalt ist Vizepräsident der SSK. Die ak- Die Staatsanwaltschaften sämtlicher Kantone haben tive Mitarbeit in der SSK ist der BA wichtig. Denn die gegenüber der BA einen Single Point of Contact im SSK fördert die Zusammenarbeit der Strafverfolgungs- Bereich Terrorismusbekämpfung (BA SPOC T) be- behörden der Kantone und des Bundes. Sie bezweckt zeichnet. Dieser dient der BA als erster Ansprechpart- insbesondere den Meinungsaustausch zwischen den ner im Kanton bei Fällen mit Verdacht auf terroristische Strafverfolgungsbehörden der Kantone untereinander Umtriebe und bei allgemeinen Fragen zum Thema. Als und mit denjenigen des Bundes sowie die Koordination Bindeglied zur BA verfügt er über den direkten Kontakt und Durchsetzung gemeinsamer Interessen. Die SSK zur Leitung des Deliktsfelds Terrorismus. Als entspre- fördert eine einheitliche Praxis und damit Rechtssicher- chender Ansprechpartner dient der BA SPOC T auch heit im Bereich des Straf- und Strafprozessrechts. Sie seinen Kollegen im Kanton. Die BA versorgt die BA nimmt namentlich Stellung zu Gesetzgebungsvorhaben SPOC T regelmässig mit Informationen, die diese den des Bundes, erlässt Empfehlungen und nimmt Einfluss Kollegen in den Kantonen zur Sensibilisierung für die auf die Meinungsbildung in Fragen des Straf- und Straf- Thematik weitergeben. prozessrechts sowie verwandter Gebiete. Ein zentrales Thema im Berichtsjahr war die zu- (3) Cyberboard kunftsgerichtete Weiterentwicklung der SSK und die Die Gefährdung durch die Cyberkriminalität nimmt welt- Professionalisierung ihrer Strukturen, welche auch die weit zu. Ziel der Strafverfolgung ist es, die Schweiz im BA aktiv unterstützt hat. Mit der Revision der Statuten Verbund mit nationalen und internationalen Partnern für der SSK wurden insbesondere die Grundlagen für ein Cyberattacken unattraktiv zu machen. Das Cyberboard Generalsekretariat geschaffen, welches vom Vorstand stellt die etablierte Plattform für die Strafverfolgung dar, der SSK eingesetzt und betrieben wird. Das Personal um Cyberkriminalität gemeinsam zu bekämpfen. Für eine des Generalsekretariats wird örtlich und administrativ wirksame Gestaltung der Verbundaufgabe fördert das bei der BA an deren Hauptsitz in Bern angesiedelt; in Cyberboard insbesondere die Vernetzung, die Koordi- fachlicher Hinsicht ist es dem Vorstand der SSK unter- nation und den Wissenstransfer. stellt. Der neue Generalsekretär der SSK tritt seine Funk- Die Vernetzung der Strafverfolgung mit der Cyber- tion auf den 1. Januar 2020 an. sicherheit und -abwehr zugunsten eines gesamtschwei- zerischen Dispositivs ist zentral. So vereint das Cyber- 3.7 Verbundaufgaben in der Strafverfolgung board im strategischen Gremium Cyber-STRAT die (1) Sicherheitsverbundsübung 2019 (SVU 19) wichtigsten Akteure des Bundes und der Kantone.10 Die Im November 2019 wurden die Sicherheitsstrukturen aktuellen Themen umfassen u.a. die Verbesserung der und -prozesse der Schweiz während einer 52-stündigen internationalen Zusammenarbeit, die Prävention und Übung getestet. Die BA war mit rund 70 anderen Orga- Public-Private-Partnership. Zudem diskutiert das Gre- nisationen (Stäbe, Bundesstellen, Kantone, Städte und mium auch nationale Entwicklungen wie die Umset-zung kritische Infrastrukturen) in diese Stabsrahmenübung der Strategie zum Schutz der Schweiz vor Cyber-Risiken eingebunden. Ziel der Übung war es zu überprüfen, wie für die Jahre 2018–2022 (NCS II) sowie Themen aus dem die involvierten Sicherheitsorganisationen einen Krisen- operativen Gremium Cyber-CASE. fall bewältigen können und wie sie in einer angespann- Mit dem Gremium Cyber-CASE gewährleistet das ten Bedrohungslage zusammenarbeiten. Das Szenario Cyberboard die operative Vernetzung. Die nationalen bildeten im Rahmen einer lang anhaltenden Terrorbedro- und kantonalen Cyberkriminalitäts-Ansprechpersonen hung Angriffe gegen kritische Infrastrukturen, erpresse- sind definiert.11 Diese behandeln in gemeinsamen Sit- rische Forderungen und drohende Anschläge. zungen aktuelle Phänomene und Problemstellungen der Seitens der BA waren operative Teams, ein Kom- munikationsteam sowie ein Krisenstab an der Übung beteiligt. Im Rahmen der Vorbereitungsarbeiten mit den 10 Nebst BA und fedpol den NDB, das Eidgenössische Finanzde- kantonalen Staatsanwaltschaften und Polizeien konnten partement (EFD), die Konferenz der Kantonalen Justiz- und wesentliche Grundlagen erarbeitet werden. Der gemein- Polizeidirektorinnen und -direktoren (KKJPD), die Konferenz der kantonalen Polizeikommandanten (KKPKS), die Schweizerische same Standort (BA/fedpol) am Guisanplatz in Bern er- Kriminalprävention (SKP), die Schweizerische Staatsanwälte- leichterte die Zusammenarbeit des Krisenstabs, der ope- Konferenz (SSK) und den Sicherheitsverbund Schweiz (SVS). rativen Teams und der Kommunikation. Die BA beurteilt 11 Analytiker der Melde- und Analysestelle Informationssicherung (MELANI), spezialisierte Polizisten des Netzwerks für die Er- die Übung als gelungen. mittlungsunterstützung in der digitalen Kriminalität (NEDIK) sowie Cyber-Single Points of Contact der Staatsanwaltschaften. Einleitung 7
4 Rechtsfragen und allgemeine Hinweise an den Gesetzgeber Cyberkriminalität. Themenspezifisch nehmen wichtige 4.1 Audiovisuelle Durchführung von Einvernahmen Partnerbehörden an den Cyber-CASE-Sitzungen teil.12 Gerade im Bereich der Wirtschaftskriminalität ergibt Die Erfahrungen im Cyberboard sind positiv. Die sich regelmässig die Notwendigkeit, besonders anforde- BA als Organisatorin des Cyberboards dankt allen rungsreiche Einvernahmen durchzuführen. Namentlich Partnerbehörden für das konstruktive Engagement. wenn Parteien oder Verfahrensbeteiligte zu komplexen Themen befragt werden, wenn mehrere Einvernahmen parallel stattfinden müssen, wenn ein Zeuge aus dem Ausland nur für kurze Zeit zur Verfügung steht oder wenn der Beizug eines Dolmetschers erforderlich ist, erweist sich die Befragung mit laufender Protokollierung als zeit- aufwendig und kräftezehrend für alle Beteiligten. Zudem leiden die Authentizität und der Gehalt der gemachten Aussagen. Aus diesen Gründen ist die BA dazu überge- gangen, in solchen Konstellationen Einvernahmen au- diovisuell aufzuzeichnen, ohne laufende Protokollierung. Dabei werden die Rahmenbedingungen und Formalien der Befragung, die Rechtsbelehrung, Beginn und Ende der audiovisuellen Aufzeichnung, die vorgehaltenen Be- weismittel (Beilagen) und besondere Vorkommnisse während der Befragung in einem Rahmenprotokoll fest- gehalten, welches am Ende der Befragung von allen Teilnehmenden unterzeichnet wird. Ein schriftliches Transkript der Aussagen wird erst im Nachgang der Ein- vernahme erstellt. Die Aufnahme selbst wird zusammen mit dem Rahmenprotokoll, den Beilagen und dem Tran- skript als Beweismittel zu den Akten genommen. Die Strafprozessordnung sieht dieses Vorgehen an sich nur für das Hauptverfahren vor (Art. 78 Abs. 5 bis StPO). Die Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts hiess die Praxis der BA mit Beschluss vom 27. Juni 2019 (BB.2019.19) indes gut. Zur Rechtmässigkeit der Auf- zeichnung und nachträglichen Protokollierung der Ein- vernahmen im Vorverfahren folgte die Beschwerdekam- mer der Meinung des Bundesgerichts in BGE 143 IV 408 E. 8.3. Darüber hinaus erachtete es das Bundesstraf- gericht als zulässig, wenn die BA die Aufnahmen durch private Dienstleister transkribieren lässt. Dank dieser Rechtsprechung wird es der BA auch künftig ermöglicht, anspruchsvolle Einvernahmen rasch, effizient und unter Wahrung der Rechte der Parteien durchzuführen. 4.2 «Ne bis in idem» Im Fall «MUS» verurteilte das Bundesstrafgericht einen der Beschuldigten im Oktober 2013 zu einer 52-mona- tigen Freiheitsstrafe, die das Bundesgericht am 22. De- zember 2017 bestätigte. Die Behörden des Kantons St. Gallen, die mit dem Strafvollzug beauftragt waren, verweigerten die Aussetzung des Strafantritts bis zum Ausgang jenes Verfahrens, das in der Tschechischen Republik im gleichen Zusammenhang geführt wurde. 12 Z.B. Eurojust, Europol, das BJ und der Dienst Überwachung Der Verurteilte machte geltend, die tschechischen Be- Post- und Fernmeldeverkehr (BÜPF). hörden seien zur Beurteilung des Sachverhalts besser 8 Einleitung
in der Lage als die schweizerischen, und ein Freispruch ist und diese Rechtsprechung vor allem Rückweisungen im tschechischen Verfahren würde ihm ermöglichen, zur Vornahme von Untersuchungshandlungen oder zur das schweizerische Urteil in Revision zu ziehen. Sollte er Berücksichtigung von Verfahrenshindernissen betrifft, aber seine Strafe in der Schweiz antreten müssen, wären was vorliegend nicht der Fall war. Zudem könne die Be- die tschechischen Behörden gemäss dem Grundsatz schwerdekammer in der vorliegenden Konfiguration, in «ne bis in idem» verpflichtet, das dortige Verfahren einzu- der es zwischen der BA und der Strafkammer Divergen- stellen, wodurch er um die Möglichkeit eines Freispruchs zen bezüglich der tatsächlichen und rechtlichen Darle- gebracht würde. gungen gab, ihre eigene Auffassung nicht durchsetzen, Mit Urteil 6B 1019/2019 vom 3. Oktober 2019 be- weil die tatsächliche und rechtliche Würdigung dem stätigte das Bundesgericht die Weigerung der St. Galler Sachrichter zukomme. Darüber hinaus könnten solche Behörden, den Strafvollzug auszusetzen. Laut Bundes- Differenzen auf dem Weg der Berufung gelöst werden, gericht bezweckt der Grundsatz «ne bis in idem», wie die per 1. Januar 2019 auf Bundesebene eingeführt er in Art. 46 des Schengener Durchführungsüberein- wurde und bei der die zuständige Behörde in tatsächli- kommens (SDÜ) verankert ist, zu verhindern, dass eine cher und rechtlicher Hinsicht über eine volle Kognition Person wegen derselben Tat in zwei Staaten bestraft verfügt. wird. Die Bestimmung gewährt aber keinen Anspruch darauf, wegen derselben Tat zweimal beurteilt zu wer- 4.4 Anpassung der Zuständigkeitsregelung im den; in der Hoffnung, in einer Gerichtsbarkeit eine mil- Luftfahrtgesetz (LFG) dere Strafe zu erhalten als in der anderen. Das schwei- Wie die BA bereits in ihrem Tätigkeitsbericht 2018 (S. zerische Urteil muss daher vollstreckt werden. Dieses 9) erklärte, begrüsst sie die Motion Candinas 18.3700, Urteil zeigt die Wichtigkeit einer guten Koordination der welche darauf abzielt, die strafrechtliche Zuständigkeit Verfahren, wenn mehrere Staaten konkurrierend für bei Flugunfällen und schweren Vorfällen einheitlich dem denselben Sachverhalt zuständig sind, damit ein «forum Bund zu übertragen. Nachdem der Bundesrat die An- shopping» vermieden wird. nahme der Motion beantragt und der Nationalrat die Motion am 28. September 2018 angenommen hatte, 4.3 Rückweisung einer Anklageschrift wurde die Motion am 10. September 2019 auch durch Die Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts hob den Ständerat angenommen. mit Entscheid vom 17. Dezember 2019 (BB.2019.213 und Die Motion wird im Rahmen einer Änderung von Art. BB.2019.215) auf Beschwerde der BA den Entscheid 98 LFG (SR 748.0) umgesetzt. Dies mit der Konsequenz, der Strafkammer auf, die Anklage im Fall des Financiers dass nicht nur alle an Bord eines Flugzeuges begange- Florian Homm an die BA zurückzuweisen, da eine Rück- nen strafbaren Handlungen, sondern neu auch die bis- weisung zur Abänderung der Anklage die Dauer des her durch die kantonalen Staatsanwaltschaften verfolg- Verfahrens unnötig verlängert hätte und so sowohl dem ten, am Boden begangenen strafbaren Handlungen, die Beschleunigungsgebot als auch dem Prinzip der Verfah- zu einem Flugunfall oder einem schweren Vorfall geführt rensökonomie zuwidergelaufen wäre. haben, der Bundesgerichtsbarkeit unterstehen. Am 20. Februar 2019 erhob die BA in diesem Fall Durch diese Neuerung besteht einerseits im Falle Anklage gegen vier Beschuldigte wegen gewerbsmässi- eines Ereignisses von Anfang an Klarheit, dass die Zu- gen Betrugs, ungetreuer Geschäftsbesorgung mit Be- ständigkeit für die Strafverfolgung bei der BA liegt. Die reicherungsabsicht, Veruntreuung, schwerer Geldwä- BA schätzt dabei die gute Zusammenarbeit mit den sich scherei, Urkundenfälschung, betrügerischen Konkurses, im Ereignisfall sofort vor Ort befindenden kantonalen Erschleichung einer falschen Beurkundung und Verlet- Strafverfolgungsbehörden. Andererseits werden dadurch zung der Meldepflicht. Mit Entscheid vom 25. September eine einheitliche Rechtsprechung sowie der zentrale Auf- 2019 wies die Strafkammer die Sache in der Erwägung bau entsprechenden Fachwissens gewährleistet. an die BA zurück, die Anklageschrift entspreche in ei- nigen Punkten den Anforderungen des Anklagegrund- 4.5 Bekämpfung organisierter Kriminalität satzes nicht. Gegen diesen Entscheid erhoben einer der Die Bekämpfung von kriminellen Organisationen und Beschuldigten am 28. September 2019 und die BA am die wirksame Eindämmung ihrer Ausbreitung erfolgt 7. Oktober 2019 Beschwerde. auch durch legislative Massnahmen zur Stärkung der In ihrem gutheissenden Entscheid erinnert die Be- geltenden gesetzlichen Grundlage und zur Anpassung schwerdekammer vorab daran, dass die Rückweisung der Rechtsinstrumente, die einschneidende präventive der Anklage an die Staatsanwaltschaft nach bundesge- und repressive Aktionen ermöglichen. Das Parlament richtlicher Rechtsprechung nur ausnahmsweise zulässig eröffnete Anfang 2020 die Diskussion über den Entwurf Einleitung 9
eines Bundesbeschlusses vom 14. September 2018 über die Genehmigung und die Umsetzung des Über- einkommens des Europarats zur Verhütung des Terro- rismus mit dem dazugehörigen Zusatzprotokoll sowie über die Verstärkung des strafrechtlichen Instrumenta- riums gegen Terrorismus und organisierte Kriminalität. Nach Ansicht der BA gibt es entgegen dem, was die Vorlage vorsieht, zwei Schwerpunkte, die der Gesetzge- ber bei der Änderung der bestehenden Gesetzesbe- stimmung zu berücksichtigen haben wird, welche den Tatbestand der organisierten Kriminalität beschreibt und die Bestrafung des Täters festlegt. Der Grundsatz der Subsidiarität, der zum Tragen kommt, wenn durch eine oder mehrere rechtswidrige Verhaltensweisen verschiedene Strafbestimmungen ver- letzt werden, ist aufzuheben. Wer sich an einer kriminel- len Organisation beteiligt oder eine solche unterstützt, darf der spezifischen strafrechtlichen Verantwortlichkeit nicht entzogen werden. Begeht ein Mitglied oder Un- terstützer einer kriminellen Organisation im Rahmen des kriminellen Vorhabens, das in der kriminellen Abma- chung festgelegt wurde, ein Verbrechen oder ein Verge- hen, so ist die über den Täter zu verhängende Strafe gemäss den üblichen Vorschriften der Konkurrenz mit der Strafe zu kumulieren, die für die Straftat der krimi- nellen Organisation vorgesehen ist. Der andere Schwerpunkt, der bei der Änderung der bestehenden Gesetzesbestimmung zu berücksich- tigen sein wird, ist die Erhöhung der Höchststrafe für die Straftat der kriminellen Organisation (auch für nicht ter- roristische Organisationen) auf 10 Jahre – bzw. auf 20 Jahre für den erschwerenden Umstand der Ausübung eines bestimmenden Einflusses innerhalb der Organi- sation. Eine solche Erhöhung der Höchststrafe würde der besseren Einhaltung der Norm dienen und die ret- ributive, aber auch präventive und dissuasive Funktion der Strafsanktion berücksichtigen. Die Androhung einer Freiheitsstrafe von höchstens fünf Jahren, die im Straf- gesetzbuch vorgesehen ist und im Gesetzesentwurf vom 14. September 2018 für nicht terroristische krimi- nelle Organisationen beibehalten wird, ist nicht zielfüh- rend und angesichts der Schwere des Straftatbestands und der Sozialgefährlichkeit der begangenen Tathand- lung nicht angemessen. 10 Einleitung
Interview
Interview mit dem Bundesanwalt «Handlungsfähigkeit und Anpassungsfähigkeit sind entscheidend» 2019 war das letzte Jahr der zweiten Amtszeit von Bun- desanwalt Michael Lauber. Im Interview blickt der Bun- desanwalt zurück auf ein bewegtes Jahr, aber auch auf die Entwicklungen seit seinem Amtsantritt 2012. Zudem gibt er einen Ausblick auf die Amtszeit 2020 bis 2023. Herr Bundesanwalt, erstmals sitzen Sie zum Jahres- abschluss in den neuen Räumlichkeiten der BA am Berner Guisanplatz. Wie haben Sie sich eingelebt? Sehr gut – der Hauptsitz der BA ist seit Juni 2019 im Verwaltungszentrum «G1» untergebracht, gemeinsam mit anderen Bundesbehörden. Dank der sorgfältigen und umsichtigen Planung des Projektteams ist der Um- zug nach einer intensiven Planungs- und Vorbereitungs- phase quasi reibungslos verlaufen. Der Betrieb konnte ohne Übergangszeit aufgenommen und aufrechterhal- ten werden, die Abläufe am neuen Standort haben sich rasch eingespielt. Die moderne Infrastruktur ist ein Ge- winn und die Mitarbeitenden haben die neue Arbeitsum- gebung positiv aufgenommen. Der Umzug hat gerade die internen Dienste stark ausgelastet, aber dank gründ- licher Vorbereitung haben wir diese Umstellung sehr gut gemeistert. Das Jahr 2019 stand vor allem im Zeichen Ihrer Wiederwahl für die Amtsperiode 2020 bis 2023. Wie schauen Sie heute zurück auf die Wahl und die öffentliche Kontroverse im Vorfeld? Natürlich war das keine einfache Zeit. Weder für mich persönlich und mein privates Umfeld, noch für die BA und ihre Mitarbeitenden. Deshalb möchte ich mich auch an dieser Stelle noch einmal für die vielfältige Unterstüt- zung bedanken, die ich sowohl als Privatperson wie auch als Bundesanwalt im letzten Jahr erfahren durfte. Über die Wiederwahl und das vom Parlament in mich gesetzte Vertrauen habe ich mich gefreut. Die Wahl für eine dritte Amtsperiode zeigt, dass man die seit meinem Amtsantritt 2012 eingeleiteten und umge- setzten Entwicklungen weiterverfolgen will. Unabhängig von meiner Person finde ich es wichtig und richtig, dass man den eingeschlagenen Weg weitergeht. Ich habe stets betont, dass Stabilität und Kontinuität im Interesse der Institution BA liegen. 12 Interview
Auch die Institution BA wurde kritisiert, ihre Arbeit Im Komplex Petrobras-Odebrecht wurden zudem bis teilweise grundsätzlich in Frage gestellt. Wie sind Sie Ende 2019 insgesamt mehr als 400 Mio. Franken an und Ihre Mitarbeitenden damit umgegangen? Brasilien zurückerstattet. Die BA leistet als Strafverfolgungsbehörde des Bundes einen Beitrag zur Sicherstellung der Strafverfolgung, der Welches waren die weiteren Meilensteine, die aus Ihrer Rechtsstaatlichkeit und der Sicherheit in der Schweiz. Sicht das Jahr 2019 geprägt haben? Es ist deshalb grundlegend, die Unabhängigkeit der Jus- Es gab Fälle mit ausgeprägt internationalem Bezug: 2019 tiz zu stärken, um sich Handlungsfähigkeit und Anpas- hat die BA wegen Verletzungen des Kriegsvölkerrechts sungsfähigkeit zu bewahren. Die BA hat eine systemisch in Liberia die erste Anklage in der Schweiz im Bereich starke Stellung und bearbeitet aufgrund ihrer Zuständig- Völkerstrafrecht eingereicht. Im Rahmen von Geldwä- keiten mitunter Fälle von grosser Komplexität, von poli- scherei-Ermittlungen im Zusammenhang mit Usbekistan tischer Tragweite, von internationaler Ausstrahlung und wurden 130 Mio. Franken zur Restitution eingezogen. von öffentlichem Interesse. Die Kritik, welche diese Ex- Und das Rohstoffunternehmen Gunvor wurde im Zusam- position mit sich bringt, muss eingeordnet werden kön- menhang mit Korruptionshandlungen in Afrika zur Zah- nen. Hier ist es meine vorrangige Aufgabe, die Mitarbei- lung von insgesamt 94 Mio. Franken verurteilt. Zu einer tenden und die Verfahren der BA zu schützen und damit nennenswerten Verurteilung wegen Geldwäscherei kam letztlich auch das System der Strafverfolgung. Deshalb es überdies im Umfeld eines ehemaligen griechischen wollen wir Verständnis schaffen für die vielschichtigen Verteidigungsministers. Bedeutend war auch die erst- Zusammenhänge und spezifischen Herausforderungen malige Anklage und Verurteilung wegen sogenanntem und damit letztlich auch Vertrauen gewinnen. «Voice Phishing» im Bereich Cyberkriminalität. Für uns ist es entscheidend, den gesetzlichen Auf- Gleichzeitig gab es auch Meilensteine mit eher na- trag zu erfüllen und im In- und Ausland ein verlässlicher tionalem Bezug: So etwa Anklagen und eine mit Partner- Partner zu sein. Dass uns dies gelingt, hat etwa die Stel- behörden koordinierte Operation im Bereich Terrorbe- lungnahme der Schweizerischen Staatsanwälte-Konfe- kämpfung. Weiter wurde eine Anklage wegen Bestechung renz (SSK) gezeigt, die sich für Kontinuität bei der BA im Beschaffungswesen beim SECO erhoben. Und im ausgesprochen hat. Zudem haben verschiedene inter- Strafverfahren im Zusammenhang mit den VW-Abgas- nationale Organisationen, darunter etwa die OECD, die manipulationen wurde aufgrund der Rekordmenge von Effizienz der Verfahrensführung, die Organisationsstruk- 175 000 Geschädigten erstmals ein Online-Fragebogen tur sowie die institutionelle Unabhängigkeit der BA ge- als Erfassungstool eingesetzt. prüft und ausdrücklich positiv bewertet. All das ist natürlich keine abschliessende Aufzäh- lung – doch man sieht bereits an diesen Beispielen die Das bringt uns zum Kerngeschäft der BA. Wo steht die breite thematische Fächerung der verschiedenen Ver- BA in den grossen Verfahrenskomplexen? fahren der BA. Was beim Blick auf sogenannte «Highlights» oft verges- sen geht: Die BA führt insgesamt rund 700 Straf- und Nun blicken Sie Ende 2019 nicht bloss auf ein abge- Rechtshilfeverfahren. Laufend kommen Verfahren hinzu schlossenes Kalenderjahr zurück, sondern auch oder werden Verfahren abgeschlossen. Zudem wird der auf eine weitere abgeschlossene Amtszeit. Was ziehen Verlauf von einzelnen Verfahren oder ganzen Verfahren- Sie für ein Zwischenfazit nach Ihrer zweiten Vierjah- skomplexen nicht alleine von der BA beeinflusst. Jede resperiode als Bundesanwalt? Entwicklung ist deshalb im jeweiligen Zusammenhang Neben den in den verschiedenen Tätigkeitsberichten zu sehen: Manchmal sind es gerade die nach aussen dargelegten Meilensteinen im operativen Kerngeschäft, hin unscheinbaren Schritte, die viel Vorarbeit erfordern sprich der Strafverfolgung und der Rechtshilfe, ist es für und ein Verfahren und dessen Ausgang entscheidend mich wichtig, auf die seit meinem Amtsantritt 2012 er- beeinflussen können. reichten strukturellen Entwicklungen in den Bereichen Die Verfahrenskomplexe rund um 1MDB, Petrob- Organisation und Vernetzung hinzuweisen. ras-Odebrecht und Weltfussball finden weltweite Beach- Im Bereich Organisation konnte der Aufbau einer tung. Aufgrund der grossen Exposition und des ausge- internen Verwaltungsstruktur vorangetrieben werden. prägten Auslandbezugs binden sie viele Ressourcen Dies war notwendig zur Umsetzung des Auftrags, den und werden von interdisziplinär zusammengestellten der Gesetzgeber unserer unabhängigen Strafverfol- Task Forces geführt. Im vergangenen Jahr kam es so- gungsbehörde vorgibt. Die modernen Kriminalitätsfor- wohl in den Komplexen Petrobras-Odebrecht wie auch men verlangen nach flexiblen Strukturen und Anpassun- Weltfussball jeweils zu einer ersten Anklageerhebung. gen an die sich verändernden Verhältnisse. Vor diesem Interview 13
Hintergrund haben wir eine Strategie erarbeitet und ein darauf aufbauendes Organisationsmodell umgesetzt, welches auf folgenden Pfeilern basiert: Einem operati- ven Controlling, einer zentralen Eingangsbearbeitung (ZEB), einer Gliederung des Kerngeschäfts in verschie- dene Deliktsfelder sowie einer Entwicklung von Arbeits- formen, die an das sich verändernde Kriminalitätslage- bild angepasst werden können – etwa die Task Forces. Neben einer zeitgemässen Organisation ist für die wirksame Strafverfolgung eine starke Vernetzung erfor- derlich. Die Einbindung des Bundesanwalts und weiterer Führungspersonen in verschiedene Netzwerke sowie eine aktive Teilnahme an Gremien und Arbeitsgruppen auf nationaler und internationaler Ebene sind zentral für die Bekämpfung moderner Kriminalitätsformen. Auf na- tionaler Ebene wurde die Zusammenarbeit mit den par- lamentarischen Kommissionen und den Partnerbehör- den verstärkt und ausgebaut. Aber natürlich auch mit den Kantonen, denn die Bekämpfung etwa des Terro- rismus und der Cyberkriminalität ist eine faktische Ver- bundaufgabe. Gleichzeitig gewannen auch die interna- tionale Kooperation und Koordination an Bedeutung, da im Zeitalter grenzüberschreitender Geschäftstätigkeiten und Geldflüsse praktisch alle Verfahren eine internatio- nale Dimension aufweisen – nicht nur die grossen Ver- fahrenskomplexe. Schauen wir zum Schluss in die andere Richtung. Was sind Ihre Ziele für die Amtsperiode 2020 bis 2023? Mit der Strategie für die nächsten vier Jahre wollen wir den eingeschlagenen Weg weitergehen und die seit 2012 erfolgten Entwicklungen, welche die Positionierung der BA gestärkt haben, konsequent weiterverfolgen. Die BA wird die Deliktsfelder strategisch analysieren, Prozesse optimieren und die Gesetzgebung initialisieren und be- gleiten, um sich die erforderliche Handlungsfreiheit und Anpassungsfähigkeit bewahren zu können. Zudem wol- len wir die Governance festigen, das Führungsverständ- nis schärfen und die strategische Personalplanung för- dern. Und schliesslich gilt es, den Mitarbeitenden auch künftig adäquate Instrumente und Technologien zur Ver- fügung zu stellen und mit Arbeitsmodellen wie Jobsha- ring oder Telearbeit ein attraktiver Arbeitgeber zu bleiben. Denn das Kriminalitätslagebild wird sich – insbesondere im digitalen Raum – stetig und rasch verändern. Mit die- ser strategischen Ausrichtung schaffen wir die Voraus- setzungen, um den gesetzlichen Auftrag auch weiterhin erfüllen zu können. 14 Interview
Operative Tätigkeiten
1 Strategie 2016 – 2019 2 Zentrale Eingangsbearbeitung der BA (ZEB) Kern der Strategie 2016–2019 bildet die Wahrung der Die ZEB registriert, analysiert und triagiert zentral alle Handlungs- und Anpassungsfähigkeit der BA. Die Um- Eingänge, die nicht direkt mit einer bereits eröffneten setzung dieses Ziels manifestiert sich in verschiedenen Strafuntersuchung in Zusammenhang stehen oder von Massnahmen: dieser unabhängig bearbeitet werden sollen. Es handelt • Thematisch gegliederte Deliktsfelder werden de- sich dabei namentlich um Strafanzeigen, Ersuchen um finiert und systematisch weiterentwickelt. Jedes Verfahrensübernahme aus den Kantonen und Meldun- Deliktsfeld wird im Gesamtkontext der Strafverfol- gen der MROS. Wenn erforderlich wird ein Eingang ei- gung analysiert und daraus der spezifische Anpas- nem Staatsanwalt oder einem Assistenz-Staatsanwalt sungsbedarf abgeleitet. Dieser Prozess wird durch zur Prüfung übertragen, dessen Antrag für das weitere die periodische Erhebung von Steuerungsinforma- Vorgehen im operativen Ausschuss des Bundesanwalts tionen (z.B. der Analyse der Altersstruktur des je- (OAB) diskutiert wird. Klare Fälle werden direkt durch weiligen Deliktsfeld-Portfolios) unterstützt. die ZEB erledigt. Dies dient insbesondere der Entlas- • Die BA realisiert Standardisierungspotentiale oder tung der verfahrensführenden Einheiten und der Förde- Möglichkeiten für übergreifende Effizienz- und Ef- rung der unité de doctrine innerhalb der BA. fektivitätssteigerungen. Dies geschieht zumeist ge- Die MROS ist ein wichtiger Partner der BA bei der meinsam mit Partnerbehörden (z.B. fedpol), um Bekämpfung der Geldwäscherei. Das neue Datenverar- Synergien organisationsübergreifend zu nutzen. beitungssystem goAML, das die MROS per 1. Januar • Die für die BA als Expertenorganisation wichtigen 2020 eingeführt hat, bringt auch bei der BA Änderungen Schlüsselfunktionen werden mit den geeignetsten mit sich. Die dafür notwendigen Anpassungen wurden Mitarbeitenden besetzt und die Nachfolgeplanung von der ZEB eng begleitet und werden umgesetzt. Ein institutionalisiert. Ein zeitgemässes Arbeitsumfeld weiterer, wesentlicher Teil der Aufgaben der ZEB war und moderne Arbeitsbedingungen stärken die BA auch im Berichtsjahr die administrative Unterstützung als attraktive Arbeitgeberin. im Bereich Bekämpfung der Cyberkriminalität. Insgesamt wurden im Berichtsjahr 1956 Eingänge Während die Strategie 2016–2019 insbesondere die bearbeitet. Darunter waren 301 Ersuchen um Verfah- Stabilisierung der BA verfolgte, fokussiert die Strategie rensübernahme; bei 85 % von diesen anerkannte der 2020–2023 auf deren Weiterentwicklung. Die Strategie OAB die Bundeskompetenz. Ferner wurden 241 MROS- 2020–2023 basiert auf den bisherigen kriminalpoliti- Meldungen bearbeitet. Von den Eingängen wurden 1476 schen Schwerpunkten. Diese werden ergänzt um fol- in die Abteilungen zur weiteren Bearbeitung weiterge- gende, in den vergangenen Jahren festgestellte Entwick- leitet und 480 direkt von der ZEB bearbeitet und erledigt lungen: Die zunehmende internationale Vernetzung und (Ablehnung von Ersuchen um Verfahrensübernahme Globalisierung des Verbrechens sowie die Cyberkrimina- oder Nichtanhandnahme von Strafanzeigen). lität bzw. Digitalisierung der Kriminalität. Diese Entwick- lungen bedingen, dass die BA die Zusammenarbeit mit allen internationalen Partnern weiter intensiviert. 16 Operative Tätigkeiten
3 Fälle im Interesse der Öffentlichkeit Die Information über die Fälle im Interesse der Öffent- erlangt und rechtswidrig verwendet zu haben (Voice lichkeit erfolgt mit Stand per Ende 2019. Phishing). Betroffen waren auch Kunden von Finanzin- stituten in der Schweiz. Mittels rechtshilfeweiser Zu- 3.1 Strafuntersuchung im Bereich Beamtenkorruption sammenarbeit mit den Niederlanden konnten die mut- Während zehn Jahren vergab ein ehemaliger Ressortlei- masslichen Täter identifiziert und deren Operationsbasis ter des Staatssekretariats für Wirtschaft (SECO) mehrere im Grossraum Rotterdam lokalisiert werden. Daraufhin hundert Beschaffungsaufträge für Informatikanschaffun- wurde eine in den Niederlanden verhaftete Person, wel- gen freihändig an eine Mehrzahl von Firmen im Gesamt- che für die Phishing-Anrufe in die Schweiz verantwortlich umfang von rund CHF 99 Mio. Dafür erhielt er nicht ge- war, an die Schweiz ausgeliefert. Diese Person wurde bührende Vorteile im Gesamtwert von über CHF 1,7 Mio. durch das Bundesstrafgericht im März 2019 im abge- Die BA erliess im Frühling 2019 gegen drei Unternehmer kürzten Verfahren zu einer teilbedingten Freiheitsstrafe und einen Treuhänder Strafbefehle, die in Rechtskraft von 30 Monaten verurteilt. Es war die erste Verurteilung erwuchsen. Gegen den ehemaligen Ressortleiter und in einem Phishing-Verfahren der BA. drei weitere Unternehmer erhob die BA Ende September Internationale Cyberkriminalität als grenzüberschrei- 2019 beim Bundesstrafgericht Anklage wegen Beste- tendes Phänomen erfordert neue Ansätze bei der Straf- chung und weiterer Delikte. verfolgung. Die Herausforderung, eine professionell agie- rende Täterschaft mit Hilfe von im Ausland liegenden 3.2 Lobbyismus im Bundesparlament Spuren zu lokalisieren und zu identifizieren, kann nur in Im März 2018 ging bei der BA eine anonyme Anzeige enger Kooperation mit den ausländischen Partnerbe- ein, wonach ein als Lobbyist tätiger Geschäftsmann ei- hörden bewältigt werden. Weil die zu verfolgenden Spu- nem ehemaligen Nationalrat für die Zeit nach dem Aus- ren regelmässig nur in Form von volatilen Daten vorliegen, scheiden aus dem Bundesparlament ein Jahresabon- ist zeitnahes grenzüberschreitendes Handeln gefragt. nement der SBB im Betrag von CHF 4 635 finanziert Hier stösst die klassische Rechtshilfe an ihre Grenzen. haben soll. Dies für dessen Reiseaktivitäten als Sekretär Mit dem internationalen Übereinkommen über die Cyber- einer nicht vom Bund finanzierten und nicht als Organ kriminalität, das für die Schweiz am 1. Januar 2012 in der Bundesversammlung ausgestalteten Gruppe von Kraft getreten ist, wurden erste Instrumente zur Verein- Parlamentarierinnen und Parlamentariern. Nachdem das fachung der Rechtshilfe geschaffen. Parlament die Immunität des ehemaligen Nationalrats auf Ersuchen der BA aufgehoben hatte, führte diese ein 3.4 Strafuntersuchung im Bereich des Völker- Strafverfahren durch gegen den ehemaligen Nationalrat strafrechts wegen des Verdachts des Sich bestechen lassens und Im März 2019 überwies die BA nach einer 5-jährigen der Vorteilsannahme sowie gegen den Geschäftsmann Strafuntersuchung erstmals eine Anklage im Bereich wegen des Verdachts des Bestechens und der Vorteils- des Völkerstrafrechts an die Strafkammer des Bundes- gewährung. strafgerichts (Verfahren SK.2019.17). Dem Beschuldig- Nach eingehender Untersuchung wurde das Straf- ten wird vorgeworfen, während des von 1989 bis 1996 verfahren im Juli 2019 eingestellt. Das vom Gesetzgeber dauernden Bürgerkriegs in Liberia als Mitglied einer gewollte Milizsystem des Bundesparlaments lässt zu, Rebellenmiliz das Kriegsvölkerrecht verletzt zu haben. dass Parlamentarierinnen und Parlamentarier für ihre Die BA wirft ihm namentlich vor, zwischen März 1993 Zugehörigkeit und ihr Engagement in Gremien, deren und Ende 1995 Zivilisten oder Soldaten ausser Gefecht Interessen sie vertreten, finanziell entschädigt werden getötet bzw. sich daran beteiligt oder den Befehl dazu können. Daraus ist abzuleiten, dass ihnen eine solche gegeben zu haben, die Leiche eines Menschen ge- Entschädigung grundsätzlich angeboten bzw. von ihnen schändet, eine Zivilistin vergewaltigt, die grausame Be- angenommen werden darf und es sich nicht um «nicht handlung von Zivilisten angeordnet, einen Kindersolda- gebührende Vorteile» im Sinne der einschlägigen gesetz- ten rekrutiert und eingesetzt, mehrere Plünderungen lichen Bestimmungen handelt. angeordnet und Zwangstransporte von Waren und Mu- nition durch Zivilisten angeordnet und/oder an diesen 3.3 Strafuntersuchung im Bereich Cyberkriminalität teilgenommen zu haben. Die BA führte seit Mai 2017 ein Strafverfahren wegen Die Hauptverhandlung am Bundesstrafgericht des Verdachts des gewerbsmässigen betrügerischen wurde auf April 2020 angesetzt. Die Sicherheitshaft des Missbrauchs einer Datenverarbeitungsanlage. Eine in- Beschuldigten wurde verlängert. Neben dem Beschul- ternational aktive Gruppierung wurde verdächtigt, mit- digten sind sieben Privatkläger und ein Dutzend Zeugen tels Spam-E-Mails und Telefonanrufen E-Banking-Daten zur Hauptverhandlung vorgeladen. Operative Tätigkeiten 17
Die BA verfügte bezüglich eines Teils der dem Be- erliess die BA am 22. Mai 2018 einen Strafbefehl, mit schuldigten anfangs vorgeworfenen Taten die Verfah- dem einer der Beschuldigten, ein Nahestehender von renseinstellung, weil die Taten dem Beschuldigten Gulnara Karimova, verurteilt und über CHF 130 Millionen nicht unmittelbar zugerechnet und seine strafrechtli- eingezogen wurden. Der Verurteilte hatte zwischen 2004 che Verantwortlichkeit somit nicht begründet werden und 2013 in der Schweiz Firmenkonten eröffnet, mit konnte. Die Beschwerdekammer des Bundesstrafge- denen die Überweisungen fragmentiert wurden sowie richts hat die gegen diese Verfahrenseinstellung erho- die Ermittlung der Herkunft und der wirklichen Bestim- bene Beschwerde abgewiesen (Urteil BB.2019.106 mung der Gelder vereitelt wurde. Er unterzeichnete vom 7. November 2019). auch gefälschte Bankunterlagen, um Gulnara Karimova als eigentliche Eigentümerin der Gelder zu verheimli- 3.5 Strafuntersuchung im Bereich Terrorismus- chen. Nach zwei Urteilen der Beschwerdekammer des bekämpfung Bundesstrafgerichts vom 8. Mai 2019 (BB.2019.25/ Ende Oktober 2019 erhob die BA beim Bundesstrafge- BB.2019.27) ist dieser Strafbefehl in Kraft getreten. richt Anklage gegen einen schweizerisch-italienischen Die mit diesem Strafbefehl eingezogenen Gelder Doppelbürger (Hauptangeklagter) und einen schweize- werden der Republik Usbekistan zurückerstattet. Für die risch-mazedonischen Doppelbürger. Umsetzung der Rückerstattung sind das EJPD und das Der Hauptangeklagte wurde wegen Unterstützung EDA zuständig. und Beteiligung an der kriminellen Organisation «Isla- mischer Staat» (IS) sowie wegen Verstosses gegen das 3.7 Geldwäschereiverfahren (Griechenland) Verbot von Gewaltdarstellungen angeklagt. Ihm wird vor- Im August 2019 fand am Bundesstrafgericht die Haupt- geworfen, nach Syrien in das Herrschaftsgebiet des IS verhandlung gegen einen ehemaligen, hochrangigen gereist zu sein, wo er sich der zum IS zählenden Kampf- Mitarbeiter der Schweizer Tochter einer amerikanischen truppe Jaish Al Muhajirin-Wal-Ansar anschloss. Die BA Grossbank statt. Die BA beschuldigte den Banker na- sieht es als erwiesen an, dass der Angeklagte nach mentlich der vorsätzlichen, bandenmässigen Geldwä- seiner Rückkehr in die Schweiz mehrere Personen dazu scherei zu Gunsten eines vormaligen griechischen Ver- motiviert hat, sich dem IS anzuschliessen. Die BA wirft teidigungsministers im Umfang von über CHF 20 Mio. dem Angeklagten zudem vor, den IS sowie verwandte Letzterer hatte im Zusammenhang mit einem Rüstungs- Organisationen durch die Verbreitung von einschlägigem geschäft von einem russischen Verkäufer von bodenge- Propagandamaterial unterstützt zu haben und im Besitz stützten Flugzeugabwehrsystemen Bestechungszahlun- einschlägiger Gewaltdarstellungen gewesen zu sein. gen in zweistelliger Millionenhöhe erhalten. Der in der Dem zweiten Angeklagten werden ebenfalls Un- Schweiz wohnhafte Banker half dem Verteidigungsmi- terstützung bzw. Beteiligung an der kriminellen Organi- nister beim Waschen der Gelder, indem er im Jahr 1999 sation IS und mehrfache Verstösse gegen das Verbot eine Bankbeziehung eröffnete und dabei an Stelle des von Gewaltdarstellungen zur Last gelegt. Ihm wird die Verteidigungsministers einen Strohmann als wirtschaft- versuchte Ausreise nach Syrien über Mazedonien vor- lich Berechtigten einsetzte. Der vormalige Verteidigungs- geworfen, mit dem Ziel, sich in Syrien dem IS anzu- minister wurde in Griechenland in diesem Zusammen- schliessen. In Mazedonien wurde er von den lokalen hang zu einer langjährigen Freiheitsstrafe verurteilt. Polizeibehörden an der Weiterreise gehindert. Die BA Gestützt auf das griechische Urteil sah das Bun- sieht es als erwiesen an, dass auch er eine Person für desstrafgericht die Vortat der passiven Bestechung als den IS rekrutiert hat. Weiter wirft die BA dem Angeklag- zweifelsfrei erstellt an. Aufgrund der Fülle belastender ten vor, die kriminelle Organisation IS sowie verwandte Indizien bestanden nach Ansicht des Gerichts auch Organisationen durch mehrfache Verbreitung von ein- keine vernünftigen Zweifel darüber, dass der Banker mit schlägigem Propagandamaterial unterstützt zu haben Vorsatz handelte. Das Bundesstrafgericht verurteilte und im Besitze einschlägiger Gewaltdarstellungen ge- den ehemaligen Banker wegen bandenmässiger Geld- wesen zu sein. wäscherei zu einer Freiheitsstrafe von 30 Monaten, da- von 15 Monate unbedingt. Zudem sprach das Gericht 3.6 Geldwäschereiverfahren (Usbekistan) eine Geldstrafe von CHF 250 000 aus und ordnete die Die BA führt seit 2012 eine Strafuntersuchung gegen Einziehung von CHF 2,4 Mio. an. Das Urteil ist Ende usbekische Staatsangehörige, darunter auch gegen 2019 noch nicht in Rechtskraft erwachsen. Gulnara Karimova, die erstgeborene Tochter des verstor- Das im Jahr 2014 eröffnete Strafverfahren der BA benen ehemaligen Präsidenten der Republik Usbekistan, war geprägt von umfassenden Beweiserhebungen Islam Karimova. Im Rahmen dieser Strafuntersuchung namentlich in der Schweiz und in Griechenland. Die 18 Operative Tätigkeiten
Sie können auch lesen