Tätigkeits-bericht - Bericht der Bundesanwaltschaft über ihre Tätigkeit im Jahr 2017 an die Aufsichtsbehörde
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2017 Tätigkeits- bericht Bericht der Bundesanwaltschaft über ihre Tätigkeit im Jahr 2017 an die Aufsichtsbehörde
Vorwort Ich freue mich, den Tätigkeitsbericht 2017 der Bundes- anwaltschaft (BA) vorlegen zu können. Der Bericht um- fasst insbesondere die jährliche Berichterstattung zuhan- den der Aufsichtsbehörde über die Bundesanwaltschaft (AB-BA), deren aufsichtsrechtlichen Weisungen er Rech- nung trägt. Das operative Kerngeschäft der BA war im Be- richtsjahr weiterhin geprägt von der Bearbeitung grosser Verfahrenskomplexe, die nur durch den Einsatz von Ver- fahrensteams bewältigt werden können. Über den Ein- zelfall hinaus befasste sich die BA zusammen mit ihren Partnerbehörden namentlich mit den Themen ‘Bekämp- fung des Terrorismus’ und ‘Cyberkriminalität’. Auch im Berichtsjahr konnten zahlreiche, mitunter ältere Verfah- ren zu einem Abschluss gebracht werden. Organisatorisch war das Berichtsjahr geprägt von der Umsetzung der Strategie der BA für die Amtsperiode 2016–2019. Die Einführung neuer Governancestruktu- ren unterstreicht die Bedeutung klarer Verfahrensstra- tegien und einer einheitlichen Verfahrensführung für die Erfüllung des gesetzlichen Kernauftrags der BA. Im Zusammenhang mit der Umsetzung der OECD- Antikorruptionskonvention wird die Schweiz 2017/2018 einer Länderprüfung unterzogen. Die BA unterstützt die mit dieser Evaluation verbundenen, aufwendigen Arbeiten. Auf internationaler Ebene ist sodann die zu- nehmende Bedeutung von Eurojust, der Einheit für jus- tizielle Zusammenarbeit der Europäischen Union, zu vermerken. Die koordinierten Aktionen zugunsten der kantonalen Staatsanwaltschaften und der BA haben zugenommen, weshalb sich die BA in Absprache mit dem Bundesamt für Justiz (BJ) bereit erklärt hat, für die schweizerische Vertretung bei Eurojust eine zusätzliche Stelle zu finanzieren. Die BA blickt auf ein intensives Jahr zurück. Der vorliegende Bericht dokumentiert in Auszügen, wie viel- fältig die von der BA wahrgenommenen gesetzlichen Aufgaben sind. Abschliessend danke ich den zahlreichen Partner- behörden der BA beim Bund und in den Kantonen für die gute Zusammenarbeit sowie den Mitarbeitenden der BA für ihren Einsatz. Michael Lauber, Bundesanwalt Bern, im Januar 2018
Inhalt Einleitung 1 Stellung und gesetzlicher Auftrag der Bundesanwaltschaft (BA) 4 2 Internationale Zusammenarbeit 4 3 Nationale Zusammenarbeit 7 4 Allgemeine Hinweise an den Gesetzgeber und Rechtsfragen 8 Interview Interview mit dem Bundesanwalt 12 Operative Tätigkeit 1 Strategie 2016 – 2019 16 2 Die Zentrale Eingangsbearbeitung der BA (ZEB) 16 3 Entwicklung einer Struktur innerhalb der BA zur Bekämpfung der Cyberkriminalität 17 4 Fälle im Interesse der Öffentlichkeit 18 5 Ermächtigungsdelikte 22 6 Urteilsvollzug 23 Administrative Tätigkeit 1 Rechtliche Grundlagen für die Organisation 26 2 Generalsekretariat 26 3 Einsatz von Finanz- und Sachmitteln 27 4 Allgemeine Weisungen 28 5 Code of Conduct 28 6 Personalwesen 29 7 Organigramm 30 8 Belastung der einzelnen Abteilungen 31 Reporting Zahlen und Statistiken 34 (Reporting per 31. Dezember 2017)
1 Stellung und gesetzlicher 2 Internationale Zusammenarbeit Auftrag der Bundesanwaltschaft (BA) 1.1 Stellung der BA (organisatorisch) 2.1 GAFI 1 Die BA ist gemäss Art. 7 des Strafbehördenorganisati- Die BA ist als Expertin in die schweizerische Arbeits- onsgesetzes (StBOG, SR 173.71) die Staatsanwaltschaft gruppe eingebunden, die unter der Leitung des Staats- des Bundes. Sie steht unter der Gesamtverantwortung sekretariats für internationale Finanzfragen (SIF) an den des Bundesanwalts, der von der Bundesversammlung Arbeiten der GAFI teilnimmt. In diesem Zusammenhang gewählt wird und über umfassende Organisations- und analysiert die BA die zahlreichen Dokumente, die von Führungskompetenzen verfügt. Der Bundesanwalt hat den Arbeitsgruppen der GAFI erstellt werden; sie ver- zwei Stellvertreter, welche ebenfalls von der Bundesver- fasst Stellungnahmen und formuliert Vorschläge ge- sammlung gewählt werden und im Vertretungsfall alle stützt auf ihre Erfahrungen in ihrem Kompetenzbereich, Befugnisse des Bundesanwalts haben. Die Wahl der der Strafverfolgung der Geldwäscherei und der Terro- übrigen Staatsanwälte und die Anstellung der weiteren rismusfinanzierung. Mitarbeitenden obliegen dem Bundesanwalt. Er ist ei- Das Jahr 2017 war geprägt von der Umsetzung der genständiger Arbeitgeber nach Bundespersonalrecht. Empfehlungen der GAFI zu den Schwachstellen, die im Die BA unterliegt der ungeteilten Aufsicht einer Rahmen der 2016 abgeschlossenen Länderprüfung der ebenfalls von der Bundesversammlung gewählten Auf- vierten Evaluationsrunde identifiziert worden waren. Die sichtsbehörde (AB-BA; Art. 23 ff. StBOG). Schweiz befindet sich deshalb gegenwärtig in einem Follow-up-Prozess und arbeitet an der Vorbereitung 1.2 Gesetzlicher Auftrag (operativ) ihres ersten Folgeberichts, welcher der GAFI im Februar Als Staatsanwaltschaft des Bundes ist die BA zuständig 2018 vorzulegen ist. für die Ermittlung und Anklage von Straftaten im Be- Im Rahmen dieser Arbeiten nahm die BA als Ver- reich der Bundesgerichtsbarkeit, wie sie in Art. 23 und treterin der schweizerischen Strafverfolgungsbehörden 24 der Strafprozessordnung (StPO, SR 312.0) sowie in Einsitz in der Ad-hoc-Gruppe, welche das Follow-up des besonderen Bundesgesetzen aufgeführt werden. Evaluationsberichts vorbereitet. Sie beteiligte sich wei- Einerseits handelt es sich dabei um klassische ter an der Überprüfung und Optimierung der Statistiken, Staatsschutzdelikte, also Straftaten, die sich vornehm- die für die Evaluation auf Ebene der BA und der kanto- lich gegen den Bund richten oder dessen Interessen nalen Staatsanwaltschaften erforderlich sind, und an der stark berühren. Andererseits handelt es sich um die Koordination und Sensibilisierung der Kantone für die Strafverfolgung komplexer interkantonaler bzw. interna- Empfehlungen der GAFI. tionaler Fälle von organisierter Kriminalität (einschliess- Die BA nahm darüber hinaus an der «interdepar- lich Terrorismus und dessen Finanzierung), Geldwä- tementalen Koordinationsgruppe zur Bekämpfung der scherei und Korruption. Im Rahmen einer fakultativen Geldwäscherei und der Terrorismusfinanzierung» (KGGT) Bundeskompetenz befasst sich die BA mit Fällen von teil, die im Auftrag des Bundesrats und unter der Lei- Wirtschaftskriminalität gesamtschweizerischer oder in- tung des SIF die Identifikation und Beurteilung der Geld- ternationaler Ausprägung. Schliesslich gehört auch der wäscherei- und Terrorismusfinanzierungsrisiken in der Vollzug von Rechtshilfegesuchen ausländischer Straf- Schweiz sicherstellt und mit welcher der Bundesrat die verfolgungsbehörden zu den Aufgaben der BA. entsprechende GAFI-Empfehlung zur nationalen Risiko- beurteilung umsetzt. In diesem Kontext beteiligte sich die BA insbesondere an der Ausarbeitung eines im Juni 2017 veröffentlichten Berichts über die Risiken im Be- reich der Geldwäscherei und Terrorismusfinanzierung bei Non-Profit-Organisationen.2 2.2 GRECO 3 Die GRECO führte 2016 die vierte Evaluation der Schweiz durch, in deren Rahmen die Wirksamkeit der Präventionsmechanismen zur Verhütung von Korruption 1 Groupe d’Action financière (Arbeitskreis Massnahmen zur Geld- wäschebekämpfung). 2 Verfügbar unter https://www.newsd.admin.ch/newsd/message/ attachments/48921.pdf. 3 Groupe d’Etats contre la corruption (Staatengruppe gegen Kor- ruption). 4 Einleitung
bei Parlamentariern, Richtern und Staatsanwälten ge- 2.3 OECD 5 messen wurde. Hinsichtlich der Staatsanwälte richtete In Bezug auf die Implementierung und Umsetzung der die GRECO ihr Augenmerk auf die BA und erliess zwei OECD-Antikorruptionskonvention wird die Schweiz Empfehlungen, welche unmittelbar die BA betrafen: 2017/2018 einer Phase-4-Länderprüfung unterzogen. • (i) die Arbeiten zur Festlegung von Standesregeln Für die Überprüfung sind Experten zweier Vertrags- für die Mitglieder der Bundesanwaltschaft zu Ende staaten – vorliegend Belgien und Österreich – zuständig. zu führen und diese Regeln durch erläuternde In Beantwortung eines umfangreichen Fragekatalogs Kommentare und/oder konkrete Beispiele zu er- der OECD reichte die Schweiz im Juni 2017 eine um- gänzen und der Öffentlichkeit zur Kenntnis zu fassende Stellungnahme ein. Im September 2017 fand bringen; sowie (ii) zusätzliche Umsetzungsmass- ein einwöchiger Besuch der Experten und des OECD- nahmen zu treffen, wie namentlich eine vertrauli- Sekretariats vor Ort in Bern statt. Täglich wurden meh- che Beratung und eine praktische Ausbildung für rere Panels mit unterschiedlichen Experten von Bund, die Staatsanwälte des Bundes anzubieten (Para- Kantonen, Gerichten, Universitäten, Konzernen und graf 244); KMUs aus verschiedenen Wirtschaftsbereichen durch- • Massnahmen zu treffen, damit verlässliche und geführt. Die BA war aufgrund ihrer Strafverfolgungszu- hinreichend detaillierte Informationen und Daten ständigkeit im Bereich der internationalen Korruption über Disziplinarverfahren gegen Staatsanwälte sowohl an zahlreichen Panels als auch an der Erarbei- aufbewahrt werden, was auch die Veröffentlichung tung der Stellungnahme der Schweiz mit mehreren dieser Rechtsprechung unter Wahrung der Ano- Personen unter Führung eines Stellvertretenden Bun- nymität der Betroffenen mit einschliessen kann desanwalts beteiligt. (Paragraf 281).4 Ein Entwurf des OECD-Prüfberichts wurde der Schweiz Ende 2017 zur Vernehmlassung zugestellt. Im Am 1. Juli 2017 erliess der Bundesanwalt eine Weisung März 2018 wird die Working Group of Bribery der OECD mit dem Titel «Code of Conduct der Bundesanwalt- den Bericht in einer Plenarsitzung verabschieden. Im schaft», die sich an alle Mitarbeitenden der BA richtet. Rahmen der vorgängigen Vernehmlassung wird die Letztere wurden über die Neuerungen, die sich aus die- Schweiz – unter Beteiligung der BA – zum Prüfbericht ser Weisung ergeben, informiert. Zu nennen ist dabei und dessen Empfehlungen Stellung nehmen und Vor- vor allem eine verglichen mit Art. 91 ff. der Bundesper- schläge zuhanden des Plenums einreichen können. sonalverordnung (BPV; SR 172.220.111.3) strengere oder präzisere Regelung der Nebenbeschäftigungen, 2.4 Genocide Network 6 Eigengeschäfte und Information der Vorgesetzten. Aus- Die BA nahm in ihrer Eigenschaft als Beobachterin im serdem wurde eine beratende Kommission geschaffen, Berichtsjahr am 22. und 23. Treffen des europäischen die insbesondere die Aufgabe hat, Fragen der Mitarbei- Genocide Networks in Den Haag teil. Dieses Netzwerk, tenden zu beantworten und eine Kasuistik zu entwi- welches sich aus Praktikern von Staatsanwaltschaften, ckeln. Der Code of Conduct wurde im Herbst 2017 auf Justiz- und Polizeibehörden auf dem Gebiet des Völ- der Internetseite der BA veröffentlicht (vgl. S. 28, Ziff. 4 kerstrafrechts zusammensetzt, bietet den Mitgliedern und 5). aus EU-Ländern sowie den Beobachtern aus Kanada, Auch die zweite Empfehlung der GRECO wurde den USA, Norwegen und der Schweiz die Gelegenheit, berücksichtigt, indem die BA beschlossen hat, allfälli- Erfahrungen und Informationen auszutauschen und gen Disziplinaruntersuchungen, die im Berichtsjahr ge- sich fachspezifisch weiterzubilden. Die Themen der gen Staatsanwälte eröffnet oder geführt wurden, eine Treffen im Berichtsjahr waren insbesondere der ‘interna- eigene Rubrik in ihrem Tätigkeitsbericht zu widmen. tionale, unparteiische und unabhängige Mechanismus Dies ist eine Neuheit (vgl. S. 29, Ziff. 6.3). zur Unterstützung der Ermittlungen gegen die Verant- wortlichen für die seit März 2011 in der Arabischen Republik Syrien begangenen schwersten völkerrechtli- chen Verbrechen’, ‘Frontex und Analyse der Migrati- onsströme’, ‘Europol und ihre neuen Zuständigkeiten 5 Organisation for Economic Co-operation and Development (Or- 4 Der Bericht der GRECO mit den Empfehlungen ist verfügbar unter ganisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung). https://www.bj.admin.ch/dam/data/bj/sicherheit/kriminalitaet/ 6 European Network of contact points in respect of persons res- korruption/grecoberichte/ber-iv-2016-5-d.pdf. ponsible for genocide, crimes against humanity and war crimes. Einleitung 5
auf dem Gebiet des Völkerstrafrechts’, ‘Möglichkeiten Schwierigkeiten der Strafverfolgung in Grossstädten – und Grenzen der Zusammenarbeit der Strafverfolgungs- gaben den Teilnehmern die Gelegenheit, sich über ihre behörden mit Nichtregierungsorganisationen (NGOs)’ eigenen Erfahrungen auszutauschen. Im Rahmen der sowie die ‘Initiative für ein neues internationales Rechts- Konferenz wurden auch spezifische Fragen zu den The- hilfeinstrument für Völkerstrafrechtsverbrechen’. men digitale Beweismittel, Radikalisierung sowie Sub- Des Weiteren konnten sich die Vertreter der Straf- kulturen behandelt. Die mehr als 450 Teilnehmer aus verfolgungsbehörden zwecks Sicherstellung einer ver- 97 Staaten hatten die Gelegenheit, sich fachlich und netzten und koordinierten Verfolgung von Völkerstraf- persönlich auszutauschen und dadurch die eigenen rechtsverbrechen im Rahmen von ausschliesslich ihnen Kontakte zu erweitern. Im Vorfeld der Konferenz nahm vorbehaltenen Sitzungen austauschen. die BA überdies an Treffen der «Association internatio- nale des procureurs et poursuivants francophones» 2.5 Arbeitskreis Völkerstrafrecht (AIPPF) und deren Generalversammlung teil. Vertreter der BA nehmen regelmässig an den jährlichen Sitzungen des Arbeitskreises Völkerstrafrecht teil. Die- ser Arbeitskreis wurde im Jahre 2005 mit dem Ziel ge- gründet, den Austausch zwischen deutschsprachigen Völkerstrafrechtlerinnen und Völkerstrafrechtlern aus Praxis und Wissenschaft zu fördern. Die 13. jährliche Sitzung des Arbeitskreises fand am 12. und 13. Mai 2017 in Den Haag am «Institute for Global Justice» statt. In grundlegender Hinsicht wurden im Rahmen des Arbeitskreises Fragen der Normgenese und Rechtsfin- dung im Völkerstrafrecht, die neuere Judikatur des In- ternationalen Strafgerichtshofes sowie die jüngsten Ent- wicklungen zum Völkermordtatbestand im deutschen Recht erörtert. In praktischer Hinsicht wurden den Teil- nehmenden Einblicke gewährt in die Tätigkeit der neu geschaffenen «Kosovo Specialist Chambers and Spe- cialist Prosecutor’s Office» sowie in die Praxis des für die Verfolgung von Straftaten nach dem deutschen Völkerstrafgesetzbuch (VStGB) zuständigen General- bundesanwalts beim Bundesgerichtshof. Zudem be- fasste sich der Arbeitskreis mit der Tätigkeit des Ende 2017 schliessenden Internationalen Straftribunals für Ex-Jugoslawien. 2.6 Teilnahme an der 22. Jahreskonferenz der IAP 7 Die Jahreskonferenz der IAP, welche vom General- staatsanwalt der Obersten Volksstaatsanwaltschaft der Volksrepublik China organisiert wurde, fand vom 11. bis 14. September 2017 in Peking statt. Das Hauptthema der Konferenz ‘Die Strafverfol- gung im öffentlichen Interesse – Herausforderungen und Chancen in Gesellschaften im Wandel’ sowie die verschiedenen mit der Thematik zusammenhängenden Aspekte – wie die Verfolgung im öffentlichen Interesse, die Herausforderungen der Strafverfolgung und der jus- tiziellen Zusammenarbeit im digitalen Zeitalter und die 7 International Association of Prosecutors. 6 Einleitung
3 Nationale Zusammenarbeit 3.1 Zusammenarbeit mit der Bundeskriminal- 3.5 Zusammenarbeit mit der Schweizerischen polizei (BKP) Staatsanwälte-Konferenz (SSK) Die BA führt ihre Strafuntersuchungen in enger Zusam- Der Bundesanwalt ist seit dem Berichtsjahr Vizepräsi- menarbeit mit der BKP als Gerichtspolizei des Bundes. dent der SSK. Die aktive Mitarbeit in der SSK ist der BA Die Zusammenarbeit mit der BKP verlief auch im Be- wichtig. Denn die SSK fördert die Zusammenarbeit der richtsjahr reibungslos und darf mit Recht als gut be- Strafverfolgungsbehörden der Kantone und des Bundes. zeichnet werden. Sie bezweckt insbesondere den Meinungsaustausch zwischen den Strafverfolgungsbehörden der Kantone 3.2 Zusammenarbeit mit dem Nachrichtendienst untereinander und mit denjenigen des Bundes sowie die des Bundes (NDB) Koordination und Durchsetzung gemeinsamer Interes- Die Zusammenarbeit zwischen BA und NDB war im Be- sen. Die SSK fördert eine einheitliche Praxis im Bereich richtsjahr sowohl generell als auch in konkreten Einzel- des Straf- und Strafprozessrechts. Sie nimmt nament- fällen gut. lich Stellung zu Gesetzgebungsvorhaben des Bundes, Die in der Terrorismusbekämpfung engagierten erlässt Empfehlungen und nimmt Einfluss auf die Mei- schweizerischen Behörden koordinieren und optimieren nungsbildung in Fragen des Straf- und Strafprozess- ihre Arbeit mithilfe der operativen Koordination TETRA rechts sowie verwandter Gebiete. (TErrorist TRAcking). Im Terrorismusbereich beruht die Zu den Schwerpunkten der Zusammenarbeit ge- Koordinationsarbeit zwischen BA und NDB heute auf hörten konsolidierte Stellungnahmen der SSK zu ver- dem Instrument TETRA-Case. An diesen wöchentlichen schiedenen Gesetzes- oder Verordnungsvorlagen, die Sitzungen werden alle bekannten Fälle durchgegangen. für die kantonalen Staatsanwaltschaften wie auch für die BA bedeutsam sind. So äusserte sich die SSK im 3.3 Zusammenarbeit mit der Eidgenössischen Rahmen der entsprechenden Vernehmlassung kritisch Finanzmarktaufsicht (FINMA) zu den Ausführungsverordnungen zum totalrevidierten Die BA begrüsst die gute Zusammenarbeit mit der Bundesgesetz betreffend die Überwachung des Post- FINMA, die hauptsächlich Fälle von Börsendelikten und und Fernmeldeverkehrs (BÜPF). Sie nahm auch einläss- Geldwäschereistraftaten betraf. So konnte die BA ge- lich Stellung zum umfassenden Gesetzgebungsprojekt stützt auf Anzeigen oder Verfügungen der FINMA meh- betreffend die Änderungen des Strafgesetzbuches zur rere Strafverfahren führen. Umgekehrt ermöglichten Genehmigung und Umsetzung des Übereinkommens Erkenntnisse aus von der BA angeordneten Zwangs- des Europarates zur Verhütung des Terrorismus und die massnahmen der FINMA, die Untersuchung in eigenen Verstärkung des strafrechtlichen Instrumentariums ge- Verfahren voranzubringen. Dank dieser Synergien wurde gen Terrorismus und organisierte Kriminalität. die Wirksamkeit des staatlichen Handelns in mehreren Der Bundesanwalt leitet zudem die Arbeitsgruppe Verfahren verstärkt. Wirtschaftskriminalität der SSK. Diese befasste sich im Berichtsjahr insbesondere mit der elektronischen Bank- 3.4 Verstärkte Zusammenarbeit mit datenedition, den Ergebnissen und Empfehlungen des den Steuerbehörden GAFI-Evaluationsberichts (vierte Evaluationsrunde), den Die Eidgenössische Steuerverwaltung (ESTV) und die für die GAFI zu erstellenden Kriminalstatistiken über die BA beabsichtigen eine Verstärkung ihrer Zusammenar- Wirksamkeit der Verfolgung der Geldwäscherei und der beit, um Synergien zu nutzen, die ihre jeweiligen Tätig- Terrorismusfinanzierung sowie mit dem Thema Cyber- keitsbereiche bieten. Die Strafuntersuchungen der BA kriminalität. ermöglichen mitunter die Identifizierung steuerlicher Unregelmässigkeiten, die zu Anzeigen gemäss Steuer- strafrecht führen können. Umgekehrt können laufende Steuerverfahren Verhaltensweisen ans Licht bringen, die Gegenstand einer Strafuntersuchung der BA sein können. Um die Zusammenarbeit in dieser Hinsicht zu op- timieren und gegenseitige Rechtshilfeersuchen zu er- leichtern, haben die BA und die Abteilung Strafsachen und Untersuchungen der ESTV einen Single Point of Contact eingerichtet, der als Bindeglied zwischen den beiden Behörden fungiert. Einleitung 7
4 Allgemeine Hinweise an den Gesetzgeber und Rechtsfragen 4.1 Zuständigkeitsänderung für «Vignettenfälle» dieses Vorgehen daher als rechtswidrig und überliess Die Autobahnvignette ist ein amtliches Wertzeichen, das die Rechtsetzung in diesem Bereich dem Parlament. weder gefälscht noch verändert werden darf. Wer eine Dieses Urteil veranschaulicht das Missverhältnis solche Vignette manipuliert oder mehrmals verwendet, zwischen dem aktuellen Rechtshilfesystem und der kann gemäss Art. 245 des Strafgesetzbuches (StGB, grenzüberschreitenden Kriminalität. Die Vorlage für SR 311.0) mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren bestraft eine entsprechende Teilrevision des Bundesgesetzes werden. Nach bisherigem Recht war die BA für die über internationale Rechtshilfe in Strafsachen ist jedoch Strafverfolgung zuständig (Art. 23 Abs. 1 Bst. e StPO). in Erarbeitung. Um die BA von der Verfolgung solcher Bagatellkri- minalität zu entlasten, hat der Gesetzgeber die Vorlage 4.3 Weiterentwicklung der Praxis zu Art. 53 StGB zur Totalrevision des Ordnungsbussengesetzes (OBG) Bewertung, Behandlung und Abschluss einer konkreten u.a. auch dazu genutzt, den Auftrag der Motion Favre Fallkonstellation im Bereich des Unternehmensstraf- [Ribaux] 13.3063 («Die Bundesanwaltschaft soll sich auf rechts zeigten – stellvertretend – die neue Praxis der BA ihre wesentlichen Aufgaben konzentrieren») umzuset- auf, den Strafbefreiungsgrund der Wiedergutmachung zen, und beschlossen, dass die Fälschung von Auto- nach Art. 53 StGB bei transnational tätigen Unterneh- bahnvignetten neu durch die Kantone zu verfolgen und men grundsätzlich nicht mehr anzuwenden. Dabei ge- zu beurteilen ist. wichtete die BA das Interesse der Öffentlichkeit an der Das totalrevidierte OBG wurde vom Parlament am Strafverfolgung, den strafprozessualen Untersuchungs- 18. März 2016 verabschiedet. Dessen vollständige In- grundsatz und die Vermeidung des Anscheins eines kraftsetzung durch den Bundesrat setzt indes eine Än- gewissen «Ablasshandels» in solchen Konstellationen derung der Ordnungsbussenverordnung (OBV) voraus. höher als den Umstand, dass ein betroffenes Unterneh- Aufgrund der Ergebnisse aus der Vernehmlassung zur men Selbstanzeige erstattet hatte (vgl. S. 21, Ziff. 4.10). OBV werden die Änderungen des OBG und der OBV Das Element der Selbstanzeige sowie die von An- sowie die neue Bussenliste nicht vor 2019 in Kraft treten fang an aktiv gelebte Kooperation, die umfassende Un- können.8 Daher hat der Bundesrat am 22. November terstützung bei der Aufarbeitung, Umsetzung von kon- 2017 beschlossen, die vom Gesetzgeber verabschie- kreten Massnahmen zur Behebung von erkannten dete Zuständigkeitsänderung für «Vignettenfälle» resp. Organisationsdefiziten und nicht zuletzt die wirtschaft- die hierfür geänderten Art. 23 Abs. 1 Bst. e StPO und liche Leistungsfähigkeit des Unternehmens wurden Art. 15 Abs. 1 des Nationalstrassenabgabegesetzes hingegen im Rahmen der massgeblichen Strafzumes- (NSAG, SR 741.71) auf den 1. Januar 2018 in Kraft zu sungskriterien besonders gewichtet. setzen (AS 2017 6559, S. 6565). In Anlehnung an ausländische, insbesondere an- glosächsische Instrumente und Erledigungsformen so- 4.2 «Dynamische Rechtshilfe»: wie international feststellbare Tendenzen nutzte die BA vorzeitige Übermittlung von Überwachungs zudem den ihr zustehenden Redaktionsspielraum zur protokollen gestoppt angemessenen Berücksichtigung von wirtschaftlichen Die BA vollzog ein französisches Rechtshilfeersuchen, und finanziellen Nebenfolgen für das betroffene Unter- mit dem die Telefonüberwachung von in der Schweiz nehmen im In- und Ausland. So weitete sie beispiels- wohnhaften Beschuldigten erbeten wurde. Die franzö- weise – innerhalb der gesetzlichen Rahmenbedingun- sischen Behörden ersuchten um Übermittlung des Er- gen – den Inhalt eines erlassenen Strafbefehls bezüglich gebnisses der Überwachung, bevor die Beschuldigten Vorbemerkungen, Prozessgeschichte und Würdigungen über diese informiert wurden. Dadurch sollte verhindert aus und zeigte sich offen für zusätzliche, rechtlich ein- werden, dass die Verdächtigen in Frankreich befindliche ordnende Erklärungen. Beweise vor deren Sicherstellung vernichten konnten. Die BA gab diesem Ersuchen statt. Zu Unrecht, befand das Bundesgericht (BGE 143 IV 186): Für eine vorzeitige Übermittlung bestand keine gesetzliche Grundlage, ob- wohl die Erfordernisse der Strafverfolgung eine solche gerechtfertigt hätten. Das Bundesgericht bezeichnete 8 Medienmitteilung des Bundesrats vom 22. November 2017, ab- rufbar unter https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/ medienmitteilungen.msg-id-68901.html. 8 Einleitung
Interview
Interview mit dem Bundesanwalt mehr und ich will mittels der eingeforderten Verfahrens- strategien erreichen, dass selbst in riesigen internatio- nalen Verfahren dem prozessual geforderten Beschleu- nigungsgebot Nachachtung verschafft werden kann. Und wie setzten die Mitarbeitenden die Strategie um? ML: Die Verfahrensportfolios zeigen den Mitarbeitenden die prioritären Fälle auf. Die periodischen Ressourcen- sitzungen der Geschäftsleitung erfordern eine stetige Beurteilung der Ressourcenfragen in den Abteilungen. Die regelmässige Begleitung durch das Controlling ver- langt von den Verfahrensleitungen, sich nicht nur mit dem Verfahren selber, sondern auch mit dessen Umfeld «Die Bundesanwaltschaft muss fit bleiben» auseinanderzusetzen. Ich stelle intern eine zunehmende Sensibilisierung fest, was Fragen zum Gesamtzusam- Die Bundesanwaltschaft (BA) hat ihre Strategie und menhang unseres Auftrags anbelangt. Organisation konsequent darauf ausgerichtet, Krimina- lität im nationalen und internationalen Umfeld effizient Der Globalisierung folgend werden die Fälle grösser und zu bekämpfen. Dass sich die Mitarbeitenden diesem komplexer. Hat die BA über genügend Ressourcen, um Wandel stellen, freut Bundesanwalt Michael Lauber be- die Fälle effizient und effektiv bearbeiten zu können? sonders. ML: Es stimmt, die Fälle sind in ihrer grossen Mehrheit komplex und international. Das ist gesetzlich so gewollt. Herr Bundesanwalt, vor zwei Jahren haben Sie die Ebenso gesetzlich gewollt ist, dass wir zwar unabhän- Strategie 2016–2019 in Kraft gesetzt und parallel dazu gig agieren, als Institution jedoch eingebunden sind in die Organisation der Behörde dieser Strategie ange- wesentliche Abläufe des Parlaments. So entscheidet passt. Wo steht die BA heute? das Parlament letztlich aus übergeordneter Sicht über Michael Lauber (ML): Die aktuellen Fälle zeigen, dass die zur Verfügung stehenden Ressourcen. Ich habe die die Reorganisation und die Einführung einer neuen Erfahrung gemacht, dass das Parlament bereit ist, der Governance notwendig waren, kurz, dass die BA ohne BA bei fundierter Begründung zusätzliche Ressourcen Strategie nicht im Stande wäre, ihre Kernaufgaben als zu sprechen. Die BA wird deshalb 2018 die Anzahl selbstverwaltete Behörde wahrzunehmen. Nur in Team- Assistenz-Staatsanwälte für den Bereich WiKri erhöhen arbeit sind grosse Verfahrenskomplexe zu bewältigen. können. Nur mit klaren Verfahrensstrategien lässt sich das Be- schleunigungsgebot in internationalen Fällen durchset- Wird dies helfen, die seit Jahren hohe Belastung der zen. Nur eine Unité de Doctrine in wesentlichen pro- Mitarbeitenden einzudämmen? zessrechtlichen und materiellen Fragen lässt es zu, dass ML: Grundsätzlich: die Fälle kommen, wie sie kommen. die BA schlagkräftig agieren kann und respektiert wird. Organisatorisch können wir mit sinnvollen Abläufen, Bisweilen mutige Entscheide geben in der Öffentlichkeit harter Triage und strenger Priorisierung beitragen, dass zu reden. Diese können aber durchaus auch, das Inte- die Arbeitslast in gewissen Grenzen bleibt. Institutionell resse von motivierten und bestausgebildeten potenti- können wir mit der Sensibilisierung von Parlament und ellen Mitarbeitenden wecken. Also: die BA steht heute Öffentlichkeit versuchen, die Erwartungen an die Straf- gut da und hat die Reorganisation verkraftet. verfolgung realistisch zu halten. Individuell können wir alle mit einer ausgewogenen Work-Life-Balance – also Das heisst, die Auswirkungen schlagen sich bereits mit gesundem Engagement und gesunder Abgrenzung auf die Verfahren nieder? von der Arbeit – dazu beitragen, dass die Belastung ML: Bei der Terrorismusbekämpfung ist für alle erkenn- vertretbar bleibt. Als Arbeitgeber bin ich offen für flexible bar, wie wirksam eine Unité de Doctrine und klare Ver- Modelle wie Teilzeitanstellung oder Job-Sharing, muss fahrensstrategien sind. Weniger unmittelbar fassbar für aber auch die betrieblichen Abläufe im Auge behalten. die Öffentlichkeit sind die positiven Auswirkungen in In ihrer Gesamtheit können die Mitarbeitenden der BA den Komplexen der Geldwäscherei und der internatio- einander unterstützen bei der Bewältigung der täglichen nalen Korruption. In diesen Bereichen ist ein wirkungs- Herausforderungen, zum Beispiel mit bereichsübergrei- volles Controlling zentral: ich will keine neuen alten Fälle fender Zusammenarbeit. 12 Interview
Die BA hat sich letztes Jahr einen «Code of Conduct» Bedeutet die stärkere Gewichtung der Verfolgung gegeben. Warum jetzt und was ist das Besondere daran? von Cyberkriminalität, dass Sie eine neue Priorisierung ML: Die BA beschäftigte sich seit längerem eingehend der Deliktsfelder vornehmen werden? mit der Berufsethik. Im Rahmen der Umsetzung der ML: Aufgrund von Gerichtsentscheiden seit dem Jahre Strategie und der Reorganisation wurden diese Ideen 2011 ist die BA neben der operativen Tätigkeit daran, konkretisiert und als Code of Conduct auf den 1. Juli sich auch Klarheit darüber zu verschaffen, wie strukturell 2017 umgesetzt. Ich sehe den «Code» auch als eine mit dem Phänomen Cybercrime umzugehen ist. Wir alle sinnvolle Plattform, um darauf die BA-Kultur zu bauen. leben heute im und mit dem Cyberraum. Darin sind alle Ich möchte, dass dieser mit konkreten praktischen Bei- Kriminalitätsformen denkbar. Die BA ist aber nicht für spielen ausgefüllt wird und nicht lebens- und praxis- alles zuständig. Cyber ist als Thema strategisch und war fremdes Papier bleibt. Deshalb haben wir eine bera- dies schon immer. Cyber muss vor allem auch als Hal- tende Kommission eingesetzt. Sie ist denn auch das tung Eingang finden in die Strafverfolgung. Das Denken Spezielle an unserem Verhaltenskodex; darauf bin ich und danach das Handeln müssen sich an die Möglich- ein bisschen stolz. keiten von Cyber anpassen, um nicht ungewollt rechts- freie Räume entstehen zu lassen. Mit unseren Cyber- Ein anderes Thema: Die BA ist praktisch täglich medial Staatsanwälten haben wir einen Anfang gemacht. präsent. Ist dies auf die grossen, internationalen Verfah- ren zurückzuführen oder wie erklären Sie sich dies? Nun bricht die zweite Halbzeit Ihrer aktuellen Amtszeit ML: Eine öffentliche Auseinandersetzung mit den Ver- an. Was war für Sie der Höhepunkt in der ersten Hälfte? fahren der BA und den sich damit häufig stellenden, ML: Für mich war es erfreulich zu sehen, wie schnell grundsätzlichen Fragen zum Strafrecht und seiner sich die Mitarbeitenden an die neuen Abläufe und Struk- Funktion in der Gesellschaft begrüsse ich. In unserer turen angepasst haben. Dieses Anpassen geschah ja Wahrnehmung werden diese Diskussionen in der Regel nicht im luftleeren Raum; es galt, liebgewonnene Ge- an internationalen Verfahren, die beispielsweise grosse wohnheiten zu vergessen, die seit 2015 vermehrt anfal- Geldwerte involvieren und/oder bekannte Persönlich- lenden Grossverfahren effizient zu bearbeiten und viele keiten tangieren, medienwirksam geführt. Für die ein- neue Mitarbeitende zu integrieren. In einem Satz: die zelnen Bürger sind diese Verfahren aber oft abstrakter Anpassungsfähigkeit und die Integrationskraft der BA und entfernter als Straftaten, wie Einbruchdiebstähle freuen mich am meisten. oder Strassenverkehrsdelikte. Ebenso stelle ich fest, dass die Gesellschaft häufig eigentlich politische Auf- Lassen Sie uns noch in die Zukunft blicken: Welche gaben an das Strafrecht delegieren will. Das Strafrecht Prioritäten setzen Sie für die nächsten zwei Jahre? ist aber kein Allheilmittel und kann einer solchen Erwar- ML: Die BA muss fit bleiben für die aktuellen Heraus- tungshaltung nicht gerecht werden. forderungen im Strafprozess und den Verfahren. Dies bedeutet: Konsolidierung von Abläufen und Strukturen Kürzlich haben Sie in den Medien gesagt, dass Sie und stetige Priorisierung bei den Verfahren. Dafür müs- ein Kompetenzzentrum gegen Cyberkriminalität sen wir eine Haltung zur Veränderung entwickeln, die aufbauen wollen. Wie soll dieses ausgestaltet sein, geprägt ist von Beharrlichkeit auf der einen Seite und respektive wozu dient ein solches Zentrum? Flexibilität auf der anderen Seite. Dies ist notwendig, Die Bekämpfung von Cyberkriminalität ist eine faktische damit wir in der BA unsere Aufgaben meistern können. Verbundaufgabe für die Strafverfolgung von Bund und Kantonen. Der Bund muss dabei genauso wie die Kan- Und was sind kurz zusammengefasst Ihre Erwartungen? tone seine Verantwortung übernehmen und insbeson- ML: Ich erwarte die professionelle Führung von kom- dere Klarheit schaffen betreffend Zuständigkeitsfragen, plexen Strafverfahren im nationalen und internationalen Koordinationsdienstleistungen zugunsten der Kantone Umfeld, das Hochhalten der schweizerischen Straf- und dem Bearbeiten von akuten Fällen, in denen die rechtshoheit und eine weitere Professionalisierung der Zuständigkeiten noch nicht geregelt sind. Ein ange- Selbstverwaltung. Zudem gehe ich davon aus, dass die dachtes Kompetenzzentrum des Bundes sollte auf den BA als unabhängige Behörde im In- und Ausland als bestehenden Strukturen aufbauen und eine enge Zu- zuverlässige Partnerin angesehen wird, attraktiv ist als sammenarbeit der verschiedenen Akteure zulassen. Arbeitgeberin für gut motivierte und ausgebildete Per- Gemeinsam mit fedpol sind wir daran, diese Ideen zu sonen und Sorge trägt zur grossen Erfahrung von lang- konkretisieren und 2018 mit ersten pragmatischen jährigen Mitarbeitenden. Schritten umzusetzen. Interview 13
Operative Tätigkeit
1 Strategie 2016 – 2019 2 Die Zentrale Eingangsbearbei- tung der BA (ZEB) Im Berichtsjahr hat die BA ihre neuen Strukturen gefes- Die ZEB verfolgt das Ziel, jene Eingänge, welche von der tigt. Auf dieser Grundlage arbeitet die BA konsequent BA in einer Strafuntersuchung weiterverfolgt werden auf ihre strategischen Ziele hin: müssen, frühzeitig zu identifizieren und die operativen • Alle Verfahren der BA sind thematisch gegliederten Einheiten diesbezüglich zu entlasten. Zu diesem Zweck Delikts- bzw. Kompetenzfeldern zugeordnet. Dies werden alle Eingänge, welche nicht direkt mit einer be- ermöglicht den Führungskräften das Erkennen ab- reits eröffneten Strafuntersuchung in Zusammenhang teilungsübergreifender Zusammenhänge und das stehen, zentral registriert, analysiert und triagiert. Dabei Setzen zielgerichteter Prioritäten in der Strafver- handelt es sich namentlich um Strafanzeigen, Ersuchen folgung. um Verfahrensübernahme aus den Kantonen und Mel- ·· Die Deliktsfelder sind auf die drei Abteilungen dungen der Meldestelle für Geldwäscherei (MROS). ‘Staatsschutz, Terrorismus, kriminelle Organisati- Stellt sich nach einer ersten Analyse durch das onen (STK)’, ‘Wirtschaftskriminalität (WiKri)’ sowie ZEB-Team heraus, dass ein Eingang vertieft geprüft ‘Rechtshilfe, Völkerstrafrecht (RV)’ aufgeteilt. Jedes werden muss, wird dieser einem Staatsanwalt oder ei- Verfahren wird im Controlling via etablierte Steue- ner Staatsanwältin zugeteilt. Gestützt auf die Ergeb- rungsinstrumente begleitet, und die Schwerpunkte nisse dieser Prüfung entscheidet der Operative Aus- werden quartalsweise abteilungsübergreifend be- schuss des Bundesanwalts (OAB) über das weitere sprochen und festgelegt. Vorgehen. Wird entschieden, dass eine Strafuntersu- ·· Für jedes Deliktsfeld wird eine spezifische Strate- chung eröffnet bzw. ein kantonales Ersuchen um Ver- gie erarbeitet, welche die jeweilige Ausgangslage fahrensübernahme gutgeheissen wird, erfolgt die Über- aufnimmt und über die Erarbeitung eines Zielbilds gabe des Dossiers an die zuständige Verfahrensleitung. die effiziente, verständliche und transparente Mit diesem Vorgehen fördert die Geschäftsleitung ge- Steuerung der Verfahren im Deliktsfeld sowie die zielt die unité de doctrine. konkrete Positionierung der BA unterstützt. Im Bei einem negativen Entscheid des OAB erfolgt Berichtsjahr lag nebst der Erarbeitung der Me- die Abschlussbearbeitung durch die ZEB in Zusammen- thode der Fokus auf den Deliktsfeldern des Völ- arbeit mit dem OAB. Die involvierten Personen und Be- kerstrafrechts sowie der allgemeinen Wirtschafts- hörden werden entsprechend von der ZEB informiert. kriminalität. Alle anderen Eingänge werden zur Entlastung der Ab- • Die Abteilung ‘Forensische Finanzanalyse (FFA)’ teilungen direkt durch die ZEB erledigt. wird ihre Leistungen 2018 dank einer softwareun- Insgesamt wurden im Berichtsjahr 1161 Eingänge terstützten Verarbeitung von Bankeditionsdaten bearbeitet. Darunter waren 171 Ersuchen um Verfah- noch fokussierter in die Ermittlungsarbeit einbrin- rensübernahme, bei über 80 % von diesen hat der OAB gen können, was die Effizienz in der Verfahrensfüh- die Bundeskompetenz anerkannt. Ferner wurden 367 rung fördert. Die dazu notwendigen technologi- MROS-Meldungen bearbeitet. Rund 150 weitere Ein- schen und organisatorischen Grundlagen wurden gänge wurden in die Abteilungen zur weiteren Bearbei- im Berichtsjahr erarbeitet. tung weitergeleitet. • Die Leistungen des Generalsekretariats werden Die ZEB ist auch der Single Point of Contact für stetig auf die Bedürfnisse der verfahrensführenden interne Anfragen und für Partnerbehörden. Im Berichts- Abteilungen ausgerichtet. Dies erfolgt teils durch jahr hat die ZEB zudem die Aufgabe übernommen, das die Zentralisierung von Leistungen (ZEB, Aufberei- neue Konzept «Cyber», das von der Abteilung WiKri tung von Editionsdaten), teils durch die Schaffung entwickelt wurde, im administrativen Bereich zu unter- von Strukturen, die die kompetente Entwicklung stützen (s. S. 17, Ziff. 3). von Lösungen bei neuen Bedürfnissen der Orga- nisation ermöglichen. • Eine weitere Grundlage zur Umsetzung der Strate- gie bildet das institutionalisierte Engagement der BA und des Bundesamts für Polizei (fedpol) in einem gemeinsamen Programm zur Festigung der Zusammenarbeit und gegenseitigen Abstimmung im Bereich der digitalen Transformation. 16 Operative Tätigkeit
3 Entwicklung einer Struktur innerhalb der BA zur Bekämp- fung der Cyberkriminalität Mit dem Wechsel einer im Bereich Cyberkriminalität Forensik) zu analysieren, so dass Serienfälle rasch er- spezialisierten Staatsanwältin vom Kompetenzzentrum kannt und die gebotenen Ermittlungen geführt werden Cybercrime der Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich können. zur BA per 1. April 2017 konnte dieser relativ neue Zu- ständigkeitsbereich der BA verstärkt werden. Am 1. Juni 2017 wurde das Team der Cyber-Staatsanwälte durch die Anstellung eines Assistenz-Staatsanwalts am Stand- ort Lausanne nochmals ergänzt. In Zusammenarbeit mit der Abteilung Staatsschutz und dem ZEB-Team prüfen die Staatsanwälte der Cyber-Einheit der Abteilung WiKri kantonale Ersuchen um Verfahrensübernahme in Fällen von Cyberkriminalität, für welche die BA zuständig sein könnte. Gestützt auf eine eingehende Analyse der Recht- sprechung des Bundesstrafgerichts wurde ein Konzept mit einer Liste von präzisen Kriterien entwickelt, die beim Entscheid über die Zuständigkeit der BA in diesem Bereich herangezogen werden können und insbeson- dere den internationalen Charakter des Falls, dessen technische Schwierigkeiten und den Umfang des Sach- verhalts in der Schweiz berücksichtigen. Die Erarbei- tung dieses Konzepts zeigte ebenfalls auf, dass das Thema Cyberkriminalität von der BA global anzugehen ist und sich nicht auf die Zuständigkeitsfrage nach Art. 23 und 24 StPO beschränken darf. Die Zusammen- arbeit mit den weiteren nationalen, internationalen, pri- vaten und staatlichen Akteuren im Kampf gegen Cyber- kriminalität und die Frage der Ressourcen und der zu erreichenden Ziele sind Themen, die im Hinblick auf ein wirksames und konzertiertes Vorgehen behandelt wer- den müssen. Die Cyber-Staatsanwälte stellen diesbe- züglich mit mehreren Diensten der BA konkrete Über- legungen an. Auf Ersuchen der Kantone wurden bereits mehrere Verfahren übernommen, insbesondere im Bereich des Phishings (Voice-Phishing und Phishing mit Trojanern bzw. Pharming), welche gegenwärtig in enger Zusam- menarbeit mit den Ermittlern von BKP und MELANI 9 an den Standorten Lausanne und Zürich bearbeitet wer- den. Zwei kleinere Verfahren wurden bereits abge- schlossen. Ferner konnte zu Beginn des Jahres mit vereinten Kräften der Teams der beiden Standorte ein mehr als 450 Phishing/Pharming-Fälle umfassendes Cyber-Verfahren abgeschlossen werden. Es wurde auch ein Konzept entwickelt, um neu eingehende Fälle von Phishing/Pharming in aktiver Zu- sammenarbeit mit dem ZEB-Team fortlaufend zu bear- beiten und durch die BKP (KOBIK 10 – Abteilung IT und 9 Melde- und Analysestelle Informationssicherung. 10 Koordinationsstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität. Operative Tätigkeit 17
4 Fälle im Interesse der Öffentlichkeit 4.1 Pyrowerfer in einem Fussballstadion verletzt hätte. Nur dank glücklicher Umstände war beim Anlässlich des Super League Spiels vom 21. Februar Öffnen dieser Paketbombe niemand verletzt worden. 2016 zwischen dem FC Luzern und dem FC St. Gallen Das Bundesstrafgericht verurteilte den Beschuldig- wurden aus dem Gästesektor (St. Galler Fanblock) zwei ten wegen mehrfachen versuchten Mordes und mehr- Rauch- und zwei Feuerwerkskörper (Rauchtöpfe und facher Widerhandlung gegen das Waffengesetz zu einer Kreiselblitze) auf das Spielfeld geworfen. Dabei wurde Freiheitsstrafe von 10 Jahren und – als Zusatzstrafe zu ein Zuschauer an einem Ohr schwer verletzt. Aufgrund einem Strafbefehl aus dem Jahre 2015 – zu einer Geld- umfangreicher Beweissicherungsmassnahmen und strafe von 40 Tagessätzen. Sodann hat der Beschul- sorgfältiger Foto- und Videoauswertung konnte die ver- digte drei Personen der Redaktion Bota Sot eine Ge- mummt handelnde und zur Ultraszene gehörende Täter- nugtuung von je zwischen CHF 2'500 und 10'000 zu schaft ermittelt werden. Im Rahmen einer polizeilichen bezahlen. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Intervention konnten beim Täter zuhause ca. 100 kg pyrotechnisches Material sichergestellt werden, dessen 4.3 Terrorismusbekämpfung Verwendung in der Schweiz zum Teil verboten ist. Dar- Im Bereich der Terrorismusbekämpfung wurden 2017 unter fand sich auch Material, das mit dem an besag- 17 Verfahren eröffnet und 8 Rechtshilfeersuchen vollzo- tem Fussballmatch verwendeten typengleich war. gen. Dies zeigt, dass das Phänomen trotz militärischer Das Bundesstrafgericht verurteilte den Beschuldig- Niederlage des Islamischen Staats nicht an Bedeutung ten wegen mehrfacher Gefährdung durch Sprengstoffe verliert. und giftige Gase in verbrecherischer Absicht, schwerer Die Terrorismusverfahren im Jahr 2017 zeichnen Körperverletzung, mehrfacher Sachbeschädigung und sich aus durch ihren ausgeprägten transnationalen Cha- mehrfacher Widerhandlung gegen das Sprengstoffge- rakter und durch die Involvierung zahlreicher Beschul- setz zu einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren (davon 18 Mo- digter aus syrisch-irakischen dschihadistischen Grup- nate bedingt) und einer bedingt vollziehbaren Geldstrafe pierungen. Zwei Beschuldigte gelten als Rückkehrer. von 180 Tagessätzen sowie zu einer Busse von CHF 700. Ein Verfahren wurde eröffnet gestützt auf Erkennt- Der Täter wurde sodann verpflichtet, dem Opfer eine nisse aus einer Untersuchung gegen zwei Personen, Genugtuung von CHF 12'000 zu bezahlen. Weiter muss die versucht hatten, die syrisch-irakische Zone zu errei- er das Opfer mit CHF 13'000 und die Stadionbetreiberin chen, sowie gestützt auf ein Rechtshilfeersuchen der für den Sachschaden entschädigen. Das Urteil des Bun- belgischen Behörden, das die Verbindung zwischen desstrafgerichts wurde vom Beschuldigten und vom dem Beschuldigten und einer in Belgien wegen terro- Opfer ans Bundesgericht weitergezogen. Der Entscheid ristischer Straftaten inhaftierten Person auswies. In die- steht noch aus. sem Fall wurde eine gemeinsame französisch-schwei- zerische Ermittlungsgruppe eingerichtet. 4.2 Paketbombe an Zeitungsredaktion Eine weitere Vereinbarung zur Einrichtung einer Im Zusammenhang mit einer im Jahre 2002 an eine Zei- gemeinsamen Ermittlungsgruppe mit Frankreich wurde tungsredaktion geschickten, funktionstüchtigen Paket- 2017 in einem Verfahren abgeschlossen, das gegen ei- bombe hatten die ersten Ermittlungen keine konkreten nen Schweizer geführt wird mit Verbindungen zu einer Hinweise auf die Täterschaft erbracht, weshalb das Terrorzelle, in der sich französische Staatsangehörige Verfahren gegen Unbekannt im Herbst 2003 sistiert wer- vereinigt hatten und einen Gewaltakt planten. den musste. Aufgrund einer Übereinstimmung mit Ver- Ausserdem erhob die BA gegen eine mutmassliche gleichsspuren aus einem Raufhandel Ende 2016 wurde Dschihad-Reisende Anklage beim Bundesstrafgericht. die Strafuntersuchung wieder an die Hand genommen Ihr wird vorgeworfen, gegen das Bundesgesetz über und konnte ein mutmasslicher Täter ermittelt werden. das Verbot der Gruppierungen «Al-Qaïda» und «Islami- Dieser bestätigte, der Konstrukteur besagter Paket- scher Staat» sowie verwandter Organisationen versto- bombe zu sein, welche er im September 2002 an die ssen zu haben. Redaktion der Zeitung Bota Sot in Zürich geschickt hatte. Weiter erhob die BA gegen drei Vorstandsmitglie- Der Beschuldigte bestritt in späteren Einvernahmen, der des Vereins Islamischer Zentralrat Schweiz (IZRS) dass die Bombe beim Öffnen des Pakets hätte Schaden Anklage beim Bundesstrafgericht. Dem Verantwortlichen anrichten können. Die sorgfältigen Abklärungen des für das «Departement für Kulturproduktion» des Vereins Forensischen Instituts Zürich erbrachten jedoch die Be- IZRS wird konkret vorgeworfen, in Syrien Filmaufnah- stätigung, dass beim konventionellen Öffnen des Pakets men mit einem führenden Vertreter der verbotenen ter- die Bombe einwandfrei funktioniert und sich in der nä- roristischen Organisation Al-Qaïda hergestellt zu haben. heren Umgebung aufhaltende Personen zum Teil tödlich Die Filmaufnahmen wurden in der Folge dazu verwendet, 18 Operative Tätigkeit
den Al-Qaïda-Vertreter propagandistisch darzustellen. mafiöser Vereinigung ermittelt wird. Ende 2016 entschied Die BA wirft den Beschuldigten vor, dem führenden das Bundesamt für Justiz, 13 Personen auszuliefern, die Al-Qaïda-Vertreter mit diesen Propaganda-Videos eine Gegenstand von Auslieferungsersuchen bildeten. Sämt- prominente, mehrsprachige und multimediale Plattform liche Beschwerden gegen die Auslieferungsentscheide geboten zu haben, um seine eigene Person und die wurden vom Bundesstrafgericht und vom Bundesge- Ideologie der terroristischen Organisation vorteilhaft dar- richt abgewiesen, weshalb die Auslieferung im Novem- zustellen und zu propagieren. ber 2017 vollzogen wurde. Im konkreten Fall erfolgt die Die vorliegende Anklageerhebung dokumentiert justizielle Verfolgung der Beschuldigten einheitlich dort, die konsequente Strafverfolgung aller Personen in der wo das kriminelle Phänomen entsteht und sich entwi- Schweiz, die sich am dschihadistisch motivierten Terro- ckelt. Dieses gerichtliche Ergebnis, das sich als oppor- rismus zu beteiligen versuchen oder diesen mit Propa- tun und nutzbringend herausgestellt hat, wurde von der gandamitteln unterstützen. BA gefördert und unterstützt. Die BA beabsichtigt folg- lich, das schweizerische Verfahren zu sistieren, da der 4.4 Strafuntersuchung gegen eine kriminelle Ausgang des schweizerischen Strafverfahrens vom Organisation Ausgang des italienischen abhängt. Die BA eröffnete im November 2009 eine Strafuntersu- chung gegen mehrere in der Nordostschweiz wohnhafte 4.5 Endphase im Verfahrenskomplex Personen wegen krimineller Organisation im Sinne von «Arabischer Frühling» Art. 260 ter StGB. Im Rahmen des Strafverfahrens wur- Im Sommer 2017 stellte die BA die Rechtshilfeverfahren den zahlreiche Beweiserhebungen vorgenommen, um betreffend jene Ersuchen ein, welche die Arabische Re- die Indizien zu untermauern, die aus dem deutschen publik Ägypten 2011 und 2012 an die Schweiz gerichtet Verfahren «Santa» und aus der italienischen Untersu- hatte und die zum Vollzug der BA überwiesen worden chung «Crimine» stammten. Diese hatten ergeben, dass waren. Diese Entscheide erfolgten insbesondere auf- Personen mit Wohnsitz in der Schweiz als Mitglieder grund der Feststellung, dass die Ersuchen angesichts einer Zelle der ’Ndrangheta agierten, die zur Zelle von der Entwicklungen und Schlussfolgerungen in den ägyp- Fabrizia (VV) in Kalabrien gehörte. Angesichts der grenz- tischen Verfahren, der in Ägypten ergangenen Gerichts- überschreitenden Natur der organisierten kriminellen urteile und abgeschlossenen Versöhnungsabkommen Gruppierung und mit dem Ziel, die internationale Zu- obsolet geworden waren. sammenarbeit in Strafsachen zu erleichtern, unterzeich- Die Entscheide der BA beeinträchtigen weder die neten die BA und die zuständigen italienischen Justiz- Rechtshilfebeziehungen mit der Arabischen Republik behörden eine Vereinbarung über eine gemeinsame Ägypten noch die Rechte dieses Staates, der sich im Ermittlungsgruppe, die im Rahmen der in Italien und in schweizerischen Strafverfahren als Privatkläger konsti- der Schweiz laufenden Strafverfahren ein koordiniertes tuiert hat. Das konnexe schweizerische Strafverfahren, und konzertiertes Vorgehen gewährleistete. Die interna- das 2011 wegen Geldwäscherei und krimineller Organi- tionalen Ermittlungen ermöglichten nicht nur, die Exis- sation eröffnet worden war, ist noch hängig und wird tenz einer schweizerischen Zelle der mafiösen Vereini- zurzeit gegen sechs Personen geführt. Insgesamt sind gung ’Ndrangheta – namentlich die Verbindung der in diesem Kontext Gelder in der Höhe von rund CHF ’Ndrangheta-Zelle von Frauenfeld zur Zelle von Fabrizia 430 Mio. gesperrt. – festzustellen, sondern auch die Herkunft und die Ab- Im weiteren Kontext des Verfahrenskomplexes hängigkeit vom kalabrischen «Crimine» zu verifizieren Arabischer Frühling restituierte die BA im Frühjahr 2017 und dadurch den Export des ’Ndrangheta-Modells in ca. CHF 3,8 Mio. an Tunesien, die sie zuvor im schwei- andere Länder zu bestätigen. Im Rahmen des italieni- zerischen Strafverfahren beschlagnahmt hatte. Diese schen Strafverfahrens «Helvetia» erliess die Staatsan- Restitution erfolgte im Rahmen eines Rechtshilfeersu- waltschaft von Reggio Calabria Ende 2014 einen Haft- chens, das Tunesien im Sachverhaltskomplex des Ara- befehl gegen 18 in der Schweiz wohnhafte Mitglieder bischen Frühlings an die Schweiz gerichtet hatte. der 'Ndrangheta. Zwei dieser Personen wurden in Ita- lien in erster und zweiter Instanz wegen mafiöser Verei- 4.6 Strafuntersuchung im Bereich des Völkerstrafrechts nigung im Sinne von Art. 416 bis des italienischen Straf- Am 6. Februar 2017 übernahm die BA ein Strafverfah- gesetzbuches verurteilt. ren der Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern, Die italienischen Behörden stellten der Schweiz welches diese wegen Verdachts auf Verbrechen gegen anfangs 2015 ein Auslieferungsersuchen zwecks einheit- die Menschlichkeit (Art. 264a StGB) gegen einen ehe- licher Strafverfolgung aller Personen, gegen die wegen maligen gambischen Minister und Generalinspektor der Operative Tätigkeit 19
gambischen Polizei eröffnet hatte. Dieser hatte in der im Zusammenhang mit dem halbstaatlichen brasiliani- Schweiz ein Asylgesuch gestellt. Im Rahmen dieses schen Unternehmen Petrobras. Nach Abschluss des Verfahrens hat die BA sieben Strafanzeigen erhalten, Verfahrens gegen das Konglomerat Odebrecht Ende die sich auf Vorfälle in den Jahren 2006 – 2016 beziehen. 2016 wurde der Fokus auf den Abschluss jener Verfah- Im Vordergrund stehen neben Verbrechen gegen die ren gelegt, in die Personen involviert waren, bezüglich Menschlichkeit Straftatbestände wie schwere Körper- welcher in Brasilien bereits Verfahrensabschlüsse vorla- verletzung, Gefährdung des Lebens, Vergewaltigung gen. In Zusammenarbeit mit dem Bundesamt für Justiz sowie sexuelle Handlungen mit Anstaltspfleglingen, Ge- (BJ) und mit den brasilianischen Strafverfolgungsbehör- fangenen und Beschuldigten. den konnten auch Verfahren nach Brasilien übertragen Die von der BA periodisch beantragte Verlängerung werden. der Untersuchungshaft wurde vom Zwangsmassnah- Als Folge der Publizität der Verurteilung des Kon- mengericht jeweils bewilligt. Entsprechende Beschwer- glomerats Odebrecht in Zusammenarbeit mit Brasilien den des Beschuldigten wurden vom Bundesstrafgericht und den USA gingen eine grosse Zahl von Anfragen abgewiesen. Ferner wurden der Verdacht auf Verbre- sowie Rechtshilfeersuchen aus anderen betroffenen chen gegen die Menschlichkeit für die Vorgänge in Gam- Staaten beim BJ ein, welche an die BA delegiert wurden. bia und damit einhergehend die Zuständigkeit der Zurzeit werden innerhalb der Taskforce über 50 Rechts- Schweiz bzw. der BA vom Bundesgericht anerkannt (Ur- hilfeersuchen bearbeitet und vollzogen. Parallel dazu teile 1B_271/2017 vom 16. August 2017 und 1B_417/2017 konzentriert sich die Taskforce auf die involvierten Per- vom 7. Dezember 2017). Im Urteil vom 16. August 2017 sonen und Gesellschaften in der Schweiz. hatte das Bundesgericht erstmals die Gelegenheit, die In diesem Verfahrenskomplex wurden Vermö- Tatbestandselemente der in Art. 264a StGB normierten genswerte von über CHF 1 Mia. beschlagnahmt. Der Verbrechen zu präzisieren, welche erst seit dem 1. Ja- BA ist es ein besonderes Anliegen, dass die Schweiz nuar 2011 in Kraft sind. beschlagnahmte Vermögenswerte den rechtmässigen Im Zuge der Ermittlungen hat die BA nebst zahlrei- Eigentümern zurückerstattet. So wurden im Fallkomplex chen anderen Ermittlungshandlungen mehrere Perso- Petrobras / Odebrecht bislang bereits über CHF 200 nen einvernommen, darunter auch den Beschuldigten. Mio. an die brasilianischen Behörden zurückerstattet. Zudem wurden Rechtshilfeersuchen an verschiedene Länder übermittelt sowie Amtshilfeersuchen an Behör- 4.9 Strafuntersuchungen im Zusammenhang mit den in der Schweiz gestellt. dem Weltfussball Während des Berichtsjahres hat die BA in den rund 4.7 Geldwäschereiverfahren (Usbekistan) 25 Strafverfahren dieses Untersuchungskomplexes ver- Die BA führt seit Juli 2012 ein Strafverfahren gegen schiedene Zwangsmassnahmen zur Sicherung und Er- sechs Personen insbesondere wegen des Verdachts hebung von Beweisen durchgeführt. Zudem hat sich die auf Geldwäschereihandlungen im Zusammenhang mit BA eingehend mit der Analyse der rund 19 Terabyte an Korruptionsdelikten, die in Usbekistan im Telekommu- sichergestellten Unterlagen befasst. nikationssektor begangen wurden. Bis heute hat die BA Aufgrund von Erkenntnissen aus hängigen Ver Vermögenswerte in der Höhe von mehr als CHF 800 fahren hat die BA ein neues Verfahren gegen Jérôme Mio. beschlagnahmt. Seit Eröffnung des schweizeri- Valcke (ehemaliger FIFA-Generalsekretär), Nasser schen Strafverfahrens hat die BA Rechtshilfeverfahren Al-Khelaifi (Geschäftsführer der BEIN MEDIA GROUP mit insgesamt 19 Ländern geführt, insbesondere mit LLC) und einen Geschäftsmann im Bereich Sportrechte Schweden, den Niederlanden und den USA, die rechts- eröffnet. Dieses wird u.a. wegen des Verdachts der Pri- hilfeweise um die Sperrung von Geldern ersucht hatten. vatbestechung (Art. 4a Abs. 1 i.V.m. Art. 23 aUWG) Diese drei Staaten hatten im selben Kontext ebenfalls geführt. Verfahren eröffnet, die im Februar 2016 und September Im Rahmen dieses neuen Verfahrens konnten im 2017 zu Entscheiden gegen zwei Telekomgesellschaf- Oktober 2017 dank der guten Zusammenarbeit mit den ten führten; diese haben die Korruptionshandlungen zuständigen Behörden in Frankreich, Griechenland, Ita- eingestanden und wurden zur Zahlung von USD 835 lien und Spanien zeitgleich an verschiedenen Orten Mio. bzw. über USD 1 Mia. verurteilt. Hausdurchsuchungen durchgeführt werden. Diese fan- den rechtshilfeweise auf Ersuchen und in Anwesenheit 4.8 Verfahrenskomplex Petrobras der BA statt. Der koordinierte Vollzug der Operation in Einen Schwerpunkt der Abteilung Wirtschaftskriminali- den verschiedenen Ländern wurde über ein Coordina- tät bilden die von einer Taskforce bearbeiteten Verfahren tion Centre von Eurojust ermöglicht. 20 Operative Tätigkeit
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