Tätigkeits-bericht - Bericht der Bundesanwaltschaft über ihre Tätigkeit im Jahr 2017 an die Aufsichtsbehörde

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Tätigkeits-bericht - Bericht der Bundesanwaltschaft über ihre Tätigkeit im Jahr 2017 an die Aufsichtsbehörde
2017
Tätigkeits-
bericht

        Bericht der Bundesanwaltschaft
        über ihre Tätigkeit im Jahr 2017 an
        die Aufsichtsbehörde
Tätigkeits-bericht - Bericht der Bundesanwaltschaft über ihre Tätigkeit im Jahr 2017 an die Aufsichtsbehörde
Vorwort

Ich freue mich, den Tätigkeitsbericht 2017 der Bundes-
anwaltschaft (BA) vorlegen zu können. Der Bericht um-
fasst insbesondere die jährliche Berichterstattung zuhan-
den der Aufsichtsbehörde über die Bundesanwaltschaft
(AB-BA), deren aufsichtsrechtlichen Weisungen er Rech-
nung trägt.
       Das operative Kerngeschäft der BA war im Be-
richtsjahr weiterhin geprägt von der Bearbeitung grosser
Verfahrenskomplexe, die nur durch den Einsatz von Ver-
fahrensteams bewältigt werden können. Über den Ein-
zelfall hinaus befasste sich die BA zusammen mit ihren
Partnerbehörden namentlich mit den Themen ‘Bekämp-
fung des Terrorismus’ und ‘Cyberkriminalität’. Auch im
Berichtsjahr konnten zahlreiche, mitunter ältere Verfah-
ren zu einem Abschluss gebracht werden.
       Organisatorisch war das Berichtsjahr geprägt von
der Umsetzung der Strategie der BA für die Amtsperiode
2016–2019. Die Einführung neuer Governancestruktu-
ren unterstreicht die Bedeutung klarer Verfahrensstra-
tegien und einer einheitlichen Verfahrensführung für die
Erfüllung des gesetzlichen Kernauftrags der BA.
       Im Zusammenhang mit der Umsetzung der OECD-
Antikorruptionskonvention wird die Schweiz 2017/2018
einer Länderprüfung unterzogen. Die BA unterstützt
die mit dieser Evaluation verbundenen, aufwendigen
Arbeiten. Auf internationaler Ebene ist sodann die zu-
nehmende Bedeutung von Eurojust, der Einheit für jus-
tizielle Zusammenarbeit der Europäischen Union, zu
vermerken. Die koordinierten Aktionen zugunsten der
kantonalen Staatsanwaltschaften und der BA haben
zugenommen, weshalb sich die BA in Absprache mit
dem Bundesamt für Justiz (BJ) bereit erklärt hat, für die
schweizerische Vertretung bei Eurojust eine zusätzliche
Stelle zu finanzieren.
       Die BA blickt auf ein intensives Jahr zurück. Der
vorliegende Bericht dokumentiert in Auszügen, wie viel-
fältig die von der BA wahrgenommenen gesetzlichen
Aufgaben sind.
       Abschliessend danke ich den zahlreichen Partner-
behörden der BA beim Bund und in den Kantonen für
die gute Zusammenarbeit sowie den Mitarbeitenden
der BA für ihren Einsatz.

Michael Lauber,
Bundesanwalt

Bern, im Januar 2018
Inhalt

Einleitung
1 Stellung und gesetzlicher Auftrag
  der Bundesanwaltschaft (BA)                     4
2 Internationale Zusammenarbeit                   4
3 Nationale Zusammenarbeit                        7
4 Allgemeine Hinweise an den Gesetzgeber
  und Rechtsfragen                                8

Interview
Interview mit dem Bundesanwalt                   12

Operative Tätigkeit
1 Strategie 2016 – 2019                          16
2 Die Zentrale Eingangsbearbeitung
  der BA (ZEB)                                   16
3 Entwicklung einer Struktur innerhalb der
  BA zur Bekämpfung der Cyberkriminalität        17
4 Fälle im Interesse der Öffentlichkeit          18
5 Ermächtigungsdelikte                           22
6 Urteilsvollzug                                 23

Administrative Tätigkeit
1   Rechtliche Grundlagen für die Organisation   26
2   Generalsekretariat                           26
3   Einsatz von Finanz- und Sachmitteln          27
4   Allgemeine Weisungen                         28
5   Code of Conduct                              28
6   Personalwesen                                29
7   Organigramm                                  30
8   Belastung der einzelnen Abteilungen          31

Reporting
Zahlen und Statistiken                           34
(Reporting per 31. Dezember 2017)
1 Stellung und gesetzlicher       2 Internationale Zusammenarbeit
  Auftrag der Bundesanwalt­schaft
  (BA)

1.1   Stellung der BA (organisatorisch)                       2.1   GAFI 1
Die BA ist gemäss Art. 7 des Strafbehördenorganisati-         Die BA ist als Expertin in die schweizerische Arbeits-
onsgesetzes (StBOG, SR 173.71) die Staatsanwaltschaft         gruppe eingebunden, die unter der Leitung des Staats-
des Bundes. Sie steht unter der Gesamtverantwortung           sekretariats für internationale Finanzfragen (SIF) an den
des Bundesanwalts, der von der Bundesversammlung              Arbeiten der GAFI teilnimmt. In diesem Zusammenhang
gewählt wird und über umfassende Organisations- und           analysiert die BA die zahlreichen Dokumente, die von
Führungskompetenzen verfügt. Der Bundesanwalt hat             den Arbeitsgruppen der GAFI erstellt werden; sie ver-
zwei Stellvertreter, welche ebenfalls von der Bundesver-      fasst Stellungnahmen und formuliert Vorschläge ge-
sammlung gewählt werden und im Vertretungsfall alle           stützt auf ihre Erfahrungen in ihrem Kompetenzbereich,
Befugnisse des Bundesanwalts haben. Die Wahl der              der Strafverfolgung der Geldwäscherei und der Terro-
übrigen Staatsanwälte und die Anstellung der weiteren         rismusfinanzierung.
Mitarbeitenden obliegen dem Bundesanwalt. Er ist ei-                 Das Jahr 2017 war geprägt von der Umsetzung der
genständiger Arbeitgeber nach Bundespersonalrecht.            Empfehlungen der GAFI zu den Schwachstellen, die im
     Die BA unterliegt der ungeteilten Aufsicht einer         Rahmen der 2016 abgeschlossenen Länderprüfung der
ebenfalls von der Bundesversammlung gewählten Auf-            vierten Evaluationsrunde identifiziert worden waren. Die
sichtsbehörde (AB-BA; Art. 23 ff. StBOG).                     Schweiz befindet sich deshalb gegenwärtig in einem
                                                              Follow-up-Prozess und arbeitet an der Vorbereitung
1.2   Gesetzlicher Auftrag (operativ)                         ihres ersten Folgeberichts, welcher der GAFI im Februar
Als Staatsanwaltschaft des Bundes ist die BA zuständig        2018 vorzulegen ist.
für die Ermittlung und Anklage von Straftaten im Be-                 Im Rahmen dieser Arbeiten nahm die BA als Ver-
reich der Bundesgerichtsbarkeit, wie sie in Art. 23 und       treterin der schweizerischen Strafverfolgungsbehörden
24 der Strafprozessordnung (StPO, SR 312.0) sowie in          Einsitz in der Ad-hoc-Gruppe, welche das Follow-up des
besonderen Bundesgesetzen aufgeführt werden.                  Evaluationsberichts vorbereitet. Sie beteiligte sich wei-
      Einerseits handelt es sich dabei um klassische          ter an der Überprüfung und Optimierung der Statistiken,
Staatsschutzdelikte, also Straftaten, die sich vornehm-       die für die Evaluation auf Ebene der BA und der kanto-
lich gegen den Bund richten oder dessen Interessen            nalen Staatsanwaltschaften erforderlich sind, und an der
stark berühren. Andererseits handelt es sich um die           Koordination und Sensibilisierung der Kantone für die
Strafverfolgung komplexer interkantonaler bzw. interna-       Empfehlungen der GAFI.
tionaler Fälle von organisierter Kriminalität (einschliess-          Die BA nahm darüber hinaus an der «interdepar-
lich Terrorismus und dessen Finanzierung), Geldwä-            tementalen Koordinationsgruppe zur Bekämpfung der
scherei und Korruption. Im Rahmen einer fakultativen          Geldwäscherei und der Terrorismusfinanzierung» (KGGT)
Bundeskompetenz befasst sich die BA mit Fällen von            teil, die im Auftrag des Bundesrats und unter der Lei-
Wirtschaftskriminalität gesamtschweizerischer oder in-        tung des SIF die Identifikation und Beurteilung der Geld-
ternationaler Ausprägung. Schliesslich gehört auch der        wäscherei- und Terrorismusfinanzierungsrisiken in der
Vollzug von Rechtshilfegesuchen ausländischer Straf-          Schweiz sicherstellt und mit welcher der Bundesrat die
verfolgungsbehörden zu den Aufgaben der BA.                   entsprechende GAFI-Empfehlung zur nationalen Risiko-
                                                              beurteilung umsetzt. In diesem Kontext beteiligte sich
                                                              die BA insbesondere an der Ausarbeitung eines im Juni
                                                              2017 veröffentlichten Berichts über die Risiken im Be-
                                                              reich der Geldwäscherei und Terrorismusfinanzierung
                                                              bei Non-Profit-Organisationen.2

                                                              2.2 GRECO 3
                                                              Die GRECO führte 2016 die vierte Evaluation der
                                                              Schweiz durch, in deren Rahmen die Wirksamkeit der
                                                              Präventionsmechanismen zur Verhütung von Korruption

                                                                1   Groupe d’Action financière (Arbeitskreis Massnahmen zur Geld-
                                                                    wäschebekämpfung).
                                                                2   Verfügbar unter https://www.newsd.admin.ch/newsd/message/
                                                                    attachments/48921.pdf.
                                                                3   Groupe d’Etats contre la corruption (Staatengruppe gegen Kor-
                                                                    ruption).

4     Einleitung
bei Parlamentariern, Richtern und Staatsanwälten ge-                   2.3 OECD 5
messen wurde. Hinsichtlich der Staatsanwälte richtete                  In Bezug auf die Implementierung und Umsetzung der
die GRECO ihr Augenmerk auf die BA und erliess zwei                    OECD-Antikorruptionskonvention wird die Schweiz
Empfehlungen, welche unmittelbar die BA betrafen:                      2017/2018 einer Phase-4-Länderprüfung unterzogen.
   • (i) die Arbeiten zur Festlegung von Standesregeln                 Für die Überprüfung sind Experten zweier Vertrags-
     für die Mitglieder der Bundesanwaltschaft zu Ende                 staaten – vorliegend Belgien und Österreich – zuständig.
     zu führen und diese Regeln durch erläuternde                      In Beantwortung eines umfangreichen Fragekatalogs
     Kommentare und/oder konkrete Beispiele zu er-                     der OECD reichte die Schweiz im Juni 2017 eine um-
     gänzen und der Öffentlichkeit zur Kenntnis zu                     fassende Stellungnahme ein. Im September 2017 fand
     bringen; sowie (ii) zusätzliche Umsetzungsmass-                   ein einwöchiger Besuch der Experten und des OECD-
     nahmen zu treffen, wie namentlich eine vertrauli-                 Sekretariats vor Ort in Bern statt. Täglich wurden meh-
     che Beratung und eine praktische Ausbildung für                   rere Panels mit unterschiedlichen Experten von Bund,
     die Staatsanwälte des Bundes anzubieten (Para-                    Kantonen, Gerichten, Universitäten, Konzernen und
     graf 244);                                                        KMUs aus verschiedenen Wirtschaftsbereichen durch-
   • Massnahmen zu treffen, damit verlässliche und                     geführt. Die BA war aufgrund ihrer Strafverfolgungszu-
     hinreichend detaillierte Informationen und Daten                  ständigkeit im Bereich der internationalen Korruption
     über Disziplinarverfahren gegen Staatsanwälte                     sowohl an zahlreichen Panels als auch an der Erarbei-
     aufbewahrt werden, was auch die Veröffentlichung                  tung der Stellungnahme der Schweiz mit mehreren
     dieser Rechtsprechung unter Wahrung der Ano-                      Personen unter Führung eines Stellvertretenden Bun-
     nymität der Betroffenen mit einschliessen kann                    desanwalts beteiligt.
     (Paragraf 281).4                                                        Ein Entwurf des OECD-Prüfberichts wurde der
                                                                       Schweiz Ende 2017 zur Vernehmlassung zugestellt. Im
Am 1. Juli 2017 erliess der Bundesanwalt eine Weisung                  März 2018 wird die Working Group of Bribery der OECD
mit dem Titel «Code of Conduct der Bundesanwalt-                       den Bericht in einer Plenarsitzung verabschieden. Im
schaft», die sich an alle Mitarbeitenden der BA richtet.               Rahmen der vorgängigen Vernehmlassung wird die
Letztere wurden über die Neuerungen, die sich aus die-                 Schweiz – unter Beteiligung der BA – zum Prüfbericht
ser Weisung ergeben, informiert. Zu nennen ist dabei                   und dessen Empfehlungen Stellung nehmen und Vor-
vor allem eine verglichen mit Art. 91 ff. der Bundesper-               schläge zuhanden des Plenums einreichen können.
sonalverordnung (BPV; SR 172.220.111.3) strengere
oder präzisere Regelung der Nebenbeschäftigungen, 2.4 Genocide Network 6
Eigengeschäfte und Information der Vorgesetzten. Aus- Die BA nahm in ihrer Eigenschaft als Beobachterin im
serdem wurde eine beratende Kommission geschaffen, Berichtsjahr am 22. und 23. Treffen des europäischen
die insbesondere die Aufgabe hat, Fragen der Mitarbei- Genocide Networks in Den Haag teil. Dieses Netzwerk,
tenden zu beantworten und eine Kasuistik zu entwi- welches sich aus Praktikern von Staatsanwaltschaften,
ckeln. Der Code of Conduct wurde im Herbst 2017 auf Justiz- und Polizeibehörden auf dem Gebiet des Völ-
der Internetseite der BA veröffentlicht (vgl. S. 28, Ziff. 4 kerstrafrechts zusammensetzt, bietet den Mitgliedern
und 5).                                                      aus EU-Ländern sowie den Beobachtern aus Kanada,
      Auch die zweite Empfehlung der GRECO wurde den USA, Norwegen und der Schweiz die Gelegenheit,
berücksichtigt, indem die BA beschlossen hat, allfälli- Erfahrungen und Informationen auszutauschen und
gen Disziplinaruntersuchungen, die im Berichtsjahr ge- sich fachspezifisch weiterzubilden. Die Themen der
gen Staatsanwälte eröffnet oder geführt wurden, eine Treffen im Berichtsjahr waren insbesondere der ‘interna-
eigene Rubrik in ihrem Tätigkeitsbericht zu widmen. tionale, unparteiische und unabhängige Mechanismus
Dies ist eine Neuheit (vgl. S. 29, Ziff. 6.3).               zur Unterstützung der Ermittlungen gegen die Verant-
                                                             wortlichen für die seit März 2011 in der Arabischen
                                                             Republik Syrien begangenen schwersten völkerrechtli-
                                                             chen Verbrechen’, ‘Frontex und Analyse der Migrati-
                                                             onsströme’, ‘Europol und ihre neuen Zuständigkeiten

                                                                         5   Organisation for Economic Co-operation and Development (Or-
  4   Der Bericht der GRECO mit den Empfehlungen ist verfügbar unter         ganisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung).
      https://www.bj.admin.ch/dam/data/bj/sicherheit/kriminalitaet/      6   European Network of contact points in respect of persons res-
      korruption/grecoberichte/ber-iv-2016-5-d.pdf.                          ponsible for genocide, crimes against humanity and war crimes.

                                                                                                                         Einleitung       5
auf dem Gebiet des Völkerstrafrechts’, ‘Möglichkeiten         Schwierigkeiten der Strafverfolgung in Grossstädten –
und Grenzen der Zusammenarbeit der Strafverfolgungs-          gaben den Teilnehmern die Gelegenheit, sich über ihre
behörden mit Nichtregierungsorganisationen (NGOs)’            eigenen Erfahrungen auszutauschen. Im Rahmen der
sowie die ‘Initiative für ein neues internationales Rechts-   Konferenz wurden auch spezifische Fragen zu den The-
hilfeinstrument für Völkerstrafrechtsverbrechen’.             men digitale Beweismittel, Radikalisierung sowie Sub-
      Des Weiteren konnten sich die Vertreter der Straf-      kulturen behandelt. Die mehr als 450 Teilnehmer aus
verfolgungsbehörden zwecks Sicherstellung einer ver-          97 Staaten hatten die Gelegenheit, sich fachlich und
netzten und koordinierten Verfolgung von Völkerstraf-         persönlich auszutauschen und dadurch die eigenen
rechtsverbrechen im Rahmen von ausschliesslich ihnen          Kontakte zu erweitern. Im Vorfeld der Konferenz nahm
vorbehaltenen Sitzungen austauschen.                          die BA überdies an Treffen der «Association internatio-
                                                              nale des procureurs et poursuivants francophones»
2.5 Arbeitskreis Völkerstrafrecht                             (AIPPF) und deren Generalversammlung teil.
Vertreter der BA nehmen regelmässig an den jährlichen
Sitzungen des Arbeitskreises Völkerstrafrecht teil. Die-
ser Arbeitskreis wurde im Jahre 2005 mit dem Ziel ge-
gründet, den Austausch zwischen deutschsprachigen
Völkerstrafrechtlerinnen und Völkerstrafrechtlern aus
Praxis und Wissenschaft zu fördern.
      Die 13. jährliche Sitzung des Arbeitskreises fand
am 12. und 13. Mai 2017 in Den Haag am «Institute for
Global Justice» statt.
      In grundlegender Hinsicht wurden im Rahmen des
Arbeitskreises Fragen der Normgenese und Rechtsfin-
dung im Völkerstrafrecht, die neuere Judikatur des In-
ternationalen Strafgerichtshofes sowie die jüngsten Ent-
wicklungen zum Völkermordtatbestand im deutschen
Recht erörtert. In praktischer Hinsicht wurden den Teil-
nehmenden Einblicke gewährt in die Tätigkeit der neu
geschaffenen «Kosovo Specialist Chambers and Spe-
cialist Prosecutor’s Office» sowie in die Praxis des für
die Verfolgung von Straftaten nach dem deutschen
Völkerstrafgesetzbuch (VStGB) zuständigen General-
bundesanwalts beim Bundesgerichtshof. Zudem be-
fasste sich der Arbeitskreis mit der Tätigkeit des Ende
2017 schliessenden Internationalen Straftribunals für
Ex-Jugoslawien.

2.6 Teilnahme an der 22. Jahreskonferenz der IAP 7
Die Jahreskonferenz der IAP, welche vom General-
staatsanwalt der Obersten Volksstaatsanwaltschaft der
Volksrepublik China organisiert wurde, fand vom 11. bis
14. September 2017 in Peking statt.
       Das Hauptthema der Konferenz ‘Die Strafverfol-
gung im öffentlichen Interesse – Herausforderungen
und Chancen in Gesellschaften im Wandel’ sowie die
verschiedenen mit der Thematik zusammenhängenden
Aspekte – wie die Verfolgung im öffentlichen Interesse,
die Herausforderungen der Strafverfolgung und der jus-
tiziellen Zusammenarbeit im digitalen Zeitalter und die

    7   International Association of Prosecutors.

6       Einleitung
3 Nationale Zusammenarbeit

3.1   Zusammenarbeit mit der Bundeskriminal­-              3.5 Zusammenarbeit mit der Schweizerischen
      polizei (BKP)                                            Staatsanwälte-Konferenz (SSK)
Die BA führt ihre Strafuntersuchungen in enger Zusam-      Der Bundesanwalt ist seit dem Berichtsjahr Vizepräsi-
menarbeit mit der BKP als Gerichtspolizei des Bundes.      dent der SSK. Die aktive Mitarbeit in der SSK ist der BA
Die Zusammenarbeit mit der BKP verlief auch im Be-         wichtig. Denn die SSK fördert die Zusammenarbeit der
richtsjahr reibungslos und darf mit Recht als gut be-      Strafverfolgungsbehörden der Kantone und des Bundes.
zeichnet werden.                                           Sie bezweckt insbesondere den Meinungsaustausch
                                                           zwischen den Strafverfolgungsbehörden der Kantone
3.2 Zusammenarbeit mit dem Nachrichtendienst               untereinander und mit denjenigen des Bundes sowie die
    des Bundes (NDB)                                       Koordination und Durchsetzung gemeinsamer Interes-
Die Zusammenarbeit zwischen BA und NDB war im Be-          sen. Die SSK fördert eine einheitliche Praxis im Bereich
richtsjahr sowohl generell als auch in konkreten Einzel-   des Straf- und Strafprozessrechts. Sie nimmt nament-
fällen gut.                                                lich Stellung zu Gesetzgebungsvorhaben des Bundes,
      Die in der Terrorismusbekämpfung engagierten         erlässt Empfehlungen und nimmt Einfluss auf die Mei-
schweizerischen Behörden koordinieren und optimieren       nungsbildung in Fragen des Straf- und Strafprozess-
ihre Arbeit mithilfe der operativen Koordination TETRA     rechts sowie verwandter Gebiete.
(TErrorist TRAcking). Im Terrorismusbereich beruht die           Zu den Schwerpunkten der Zusammenarbeit ge-
Koordinationsarbeit zwischen BA und NDB heute auf          hörten konsolidierte Stellungnahmen der SSK zu ver-
dem Instrument TETRA-Case. An diesen wöchentlichen         schiedenen Gesetzes- oder Verordnungsvorlagen, die
Sitzungen werden alle bekannten Fälle durchgegangen.       für die kantonalen Staatsanwaltschaften wie auch für
                                                           die BA bedeutsam sind. So äusserte sich die SSK im
3.3 Zusammenarbeit mit der Eidgenössischen                 Rahmen der entsprechenden Vernehmlassung kritisch
    Finanzmarktaufsicht (FINMA)                            zu den Ausführungsverordnungen zum totalrevidierten
Die BA begrüsst die gute Zusammenarbeit mit der            Bundesgesetz betreffend die Überwachung des Post-
FINMA, die hauptsächlich Fälle von Börsendelikten und      und Fernmeldeverkehrs (BÜPF). Sie nahm auch einläss-
Geldwäschereistraftaten betraf. So konnte die BA ge-       lich Stellung zum umfassenden Gesetzgebungsprojekt
stützt auf Anzeigen oder Verfügungen der FINMA meh-        betreffend die Änderungen des Strafgesetzbuches zur
rere Strafverfahren führen. Umgekehrt ermöglichten         Genehmigung und Umsetzung des Übereinkommens
Erkenntnisse aus von der BA angeordneten Zwangs-           des Europarates zur Verhütung des Terrorismus und die
massnahmen der FINMA, die Untersuchung in eigenen          Verstärkung des strafrechtlichen Instrumentariums ge-
Verfahren voranzubringen. Dank dieser Synergien wurde      gen Terrorismus und organisierte Kriminalität.
die Wirksamkeit des staatlichen Handelns in mehreren             Der Bundesanwalt leitet zudem die Arbeitsgruppe
Verfahren verstärkt.                                       Wirtschaftskriminalität der SSK. Diese befasste sich im
                                                           Berichtsjahr insbesondere mit der elektronischen Bank-
3.4 Verstärkte Zusammenarbeit mit                          datenedition, den Ergebnissen und Empfehlungen des
    den Steuerbehörden                                     GAFI-Evaluationsberichts (vierte Evaluationsrunde), den
Die Eidgenössische Steuerverwaltung (ESTV) und die         für die GAFI zu erstellenden Kriminalstatistiken über die
BA beabsichtigen eine Verstärkung ihrer Zusammenar-        Wirksamkeit der Verfolgung der Geldwäscherei und der
beit, um Synergien zu nutzen, die ihre jeweiligen Tätig-   Terrorismusfinanzierung sowie mit dem Thema Cyber-
keitsbereiche bieten. Die Strafuntersuchungen der BA       kriminalität.
ermöglichen mitunter die Identifizierung steuerlicher
Unregelmässigkeiten, die zu Anzeigen gemäss Steuer-
strafrecht führen können. Umgekehrt können laufende
Steuerverfahren Verhaltensweisen ans Licht bringen,
die Gegenstand einer Strafuntersuchung der BA sein
können.
      Um die Zusammenarbeit in dieser Hinsicht zu op-
timieren und gegenseitige Rechtshilfeersuchen zu er-
leichtern, haben die BA und die Abteilung Strafsachen
und Untersuchungen der ESTV einen Single Point of
Contact eingerichtet, der als Bindeglied zwischen den
beiden Behörden fungiert.

                                                                                                    Einleitung    7
4 Allgemeine Hinweise an den
  Gesetzgeber und Rechtsfragen

4.1     Zuständigkeitsänderung für «Vignettenfälle»                     dieses Vorgehen daher als rechtswidrig und überliess
Die Autobahnvignette ist ein amtliches Wertzeichen, das                 die Rechtsetzung in diesem Bereich dem Parlament.
weder gefälscht noch verändert werden darf. Wer eine                          Dieses Urteil veranschaulicht das Missverhältnis
solche Vignette manipuliert oder mehrmals verwendet,                    zwischen dem aktuellen Rechtshilfesystem und der
kann gemäss Art. 245 des Strafgesetzbuches (StGB,                       grenzüberschreitenden Kriminalität. Die Vorlage für
SR 311.0) mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren bestraft               eine entsprechende Teilrevision des Bundesgesetzes
werden. Nach bisherigem Recht war die BA für die                        über internationale Rechtshilfe in Strafsachen ist jedoch
Strafverfolgung zuständig (Art. 23 Abs. 1 Bst. e StPO).                 in Erarbeitung.
      Um die BA von der Verfolgung solcher Bagatellkri-
minalität zu entlasten, hat der Gesetzgeber die Vorlage                 4.3 Weiterentwicklung der Praxis zu Art. 53 StGB
zur Totalrevision des Ordnungsbussengesetzes (OBG)                      Bewertung, Behandlung und Abschluss einer konkreten
u.a. auch dazu genutzt, den Auftrag der Motion Favre                    Fallkonstellation im Bereich des Unternehmensstraf-
[Ribaux] 13.3063 («Die Bundesanwaltschaft soll sich auf                 rechts zeigten – stellvertretend – die neue Praxis der BA
ihre wesentlichen Aufgaben konzentrieren») umzuset-                     auf, den Strafbefreiungsgrund der Wiedergutmachung
zen, und beschlossen, dass die Fälschung von Auto-                      nach Art. 53 StGB bei transnational tätigen Unterneh-
bahnvignetten neu durch die Kantone zu verfolgen und                    men grundsätzlich nicht mehr anzuwenden. Dabei ge-
zu beurteilen ist.                                                      wichtete die BA das Interesse der Öffentlichkeit an der
      Das totalrevidierte OBG wurde vom Parlament am                    Strafverfolgung, den strafprozessualen Untersuchungs-
18. März 2016 verabschiedet. Dessen vollständige In-                    grundsatz und die Vermeidung des Anscheins eines
kraftsetzung durch den Bundesrat setzt indes eine Än-                   gewissen «Ablasshandels» in solchen Konstellationen
derung der Ordnungsbussenverordnung (OBV) voraus.                       höher als den Umstand, dass ein betroffenes Unterneh-
Aufgrund der Ergebnisse aus der Vernehmlassung zur                      men Selbstanzeige erstattet hatte (vgl. S. 21, Ziff. 4.10).
OBV werden die Änderungen des OBG und der OBV                                 Das Element der Selbstanzeige sowie die von An-
sowie die neue Bussenliste nicht vor 2019 in Kraft treten               fang an aktiv gelebte Kooperation, die umfassende Un-
können.8 Daher hat der Bundesrat am 22. November                        terstützung bei der Aufarbeitung, Umsetzung von kon-
2017 beschlossen, die vom Gesetzgeber verabschie-                       kreten Massnahmen zur Behebung von erkannten
dete Zuständigkeitsänderung für «Vignettenfälle» resp.                  Organisationsdefiziten und nicht zuletzt die wirtschaft-
die hierfür geänderten Art. 23 Abs. 1 Bst. e StPO und                   liche Leistungsfähigkeit des Unternehmens wurden
Art. 15 Abs. 1 des Nationalstrassenabgabegesetzes                       hingegen im Rahmen der massgeblichen Strafzumes-
(NSAG, SR 741.71) auf den 1. Januar 2018 in Kraft zu                    sungskriterien besonders gewichtet.
setzen (AS 2017 6559, S. 6565).                                               In Anlehnung an ausländische, insbesondere an-
                                                                        glosächsische Instrumente und Erledigungsformen so-
4.2 «Dynamische Rechtshilfe»:                                           wie international feststellbare Tendenzen nutzte die BA
    vorzeitige Übermittlung von Überwachungs­                           zudem den ihr zustehenden Redaktionsspielraum zur
    protokollen gestoppt                                                angemessenen Berücksichtigung von wirtschaftlichen
Die BA vollzog ein französisches Rechtshilfeersuchen,                   und finanziellen Nebenfolgen für das betroffene Unter-
mit dem die Telefonüberwachung von in der Schweiz                       nehmen im In- und Ausland. So weitete sie beispiels-
wohnhaften Beschuldigten erbeten wurde. Die franzö-                     weise – innerhalb der gesetzlichen Rahmenbedingun-
sischen Behörden ersuchten um Übermittlung des Er-                      gen – den Inhalt eines erlassenen Strafbefehls bezüglich
gebnisses der Überwachung, bevor die Beschuldigten                      Vorbemerkungen, Prozessgeschichte und Würdigungen
über diese informiert wurden. Dadurch sollte verhindert                 aus und zeigte sich offen für zusätzliche, rechtlich ein-
werden, dass die Verdächtigen in Frankreich befindliche                 ordnende Erklärungen.
Beweise vor deren Sicherstellung vernichten konnten.
Die BA gab diesem Ersuchen statt. Zu Unrecht, befand
das Bundesgericht (BGE 143 IV 186): Für eine vorzeitige
Übermittlung bestand keine gesetzliche Grundlage, ob-
wohl die Erfordernisse der Strafverfolgung eine solche
gerechtfertigt hätten. Das Bundesgericht bezeichnete

    8   Medienmitteilung des Bundesrats vom 22. November 2017, ab-
        rufbar unter https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/
        medienmitteilungen.msg-id-68901.html.

8       Einleitung
Interview
Interview
mit dem Bundesanwalt

                                                               mehr und ich will mittels der eingeforderten Verfahrens-
                                                               strategien erreichen, dass selbst in riesigen internatio-
                                                               nalen Verfahren dem prozessual geforderten Beschleu-
                                                               nigungsgebot Nachachtung verschafft werden kann.

                                                               Und wie setzten die Mitarbeitenden die Strategie um?
                                                               ML: Die Verfahrensportfolios zeigen den Mitarbeitenden
                                                               die prioritären Fälle auf. Die periodischen Ressourcen-
                                                               sitzungen der Geschäftsleitung erfordern eine stetige
                                                               Beurteilung der Ressourcenfragen in den Abteilungen.
                                                               Die regelmässige Begleitung durch das Controlling ver-
                                                               langt von den Verfahrensleitungen, sich nicht nur mit
                                                               dem Verfahren selber, sondern auch mit dessen Umfeld
«Die Bundesanwaltschaft muss fit bleiben»                      auseinanderzusetzen. Ich stelle intern eine zunehmende
                                                               Sensibilisierung fest, was Fragen zum Gesamtzusam-
Die Bundesanwaltschaft (BA) hat ihre Strategie und             menhang unseres Auftrags anbelangt.
Organisation konsequent darauf ausgerichtet, Krimina-
lität im nationalen und internationalen Umfeld effizient       Der Globalisierung folgend werden die Fälle grösser und
zu bekämpfen. Dass sich die Mitarbeitenden diesem              komplexer. Hat die BA über genügend Ressourcen, um
Wandel stellen, freut Bundesanwalt Michael Lauber be-          die Fälle effizient und effektiv bearbeiten zu können?
sonders.                                                       ML: Es stimmt, die Fälle sind in ihrer grossen Mehrheit
                                                               komplex und international. Das ist gesetzlich so gewollt.
Herr Bundesanwalt, vor zwei Jahren haben Sie die               Ebenso gesetzlich gewollt ist, dass wir zwar unabhän-
Strategie 2016–2019 in Kraft gesetzt und parallel dazu         gig agieren, als Institution jedoch eingebunden sind in
die Organisation der Behörde dieser Strategie ange-            wesentliche Abläufe des Parlaments. So entscheidet
passt. Wo steht die BA heute?                                  das Parlament letztlich aus übergeordneter Sicht über
Michael Lauber (ML): Die aktuellen Fälle zeigen, dass          die zur Verfügung stehenden Ressourcen. Ich habe die
die Reorganisation und die Einführung einer neuen              Erfahrung gemacht, dass das Parlament bereit ist, der
Governance notwendig waren, kurz, dass die BA ohne             BA bei fundierter Begründung zusätzliche Ressourcen
Strategie nicht im Stande wäre, ihre Kernaufgaben als          zu sprechen. Die BA wird deshalb 2018 die Anzahl
selbstverwaltete Behörde wahrzunehmen. Nur in Team-            Assistenz-Staatsanwälte für den Bereich WiKri erhöhen
arbeit sind grosse Verfahrenskomplexe zu bewältigen.           können.
Nur mit klaren Verfahrensstrategien lässt sich das Be-
schleunigungsgebot in internationalen Fällen durchset-         Wird dies helfen, die seit Jahren hohe Belastung der
zen. Nur eine Unité de Doctrine in wesentlichen pro-           Mitarbeitenden einzudämmen?
zessrechtlichen und materiellen Fragen lässt es zu, dass       ML: Grundsätzlich: die Fälle kommen, wie sie kommen.
die BA schlagkräftig agieren kann und respektiert wird.        Organisatorisch können wir mit sinnvollen Abläufen,
Bisweilen mutige Entscheide geben in der Öffentlichkeit        harter Triage und strenger Priorisierung beitragen, dass
zu reden. Diese können aber durchaus auch, das Inte-           die Arbeitslast in gewissen Grenzen bleibt. Institutionell
resse von motivierten und bestausgebildeten potenti-           können wir mit der Sensibilisierung von Parlament und
ellen Mitarbeitenden wecken. Also: die BA steht heute          Öffentlichkeit versuchen, die Erwartungen an die Straf-
gut da und hat die Reorganisation verkraftet.                  verfolgung realistisch zu halten. Individuell können wir
                                                               alle mit einer ausgewogenen Work-Life-Balance – also
Das heisst, die Auswirkungen schlagen sich bereits             mit gesundem Engagement und gesunder Abgrenzung
auf die Verfahren nieder?                                      von der Arbeit – dazu beitragen, dass die Belastung
ML: Bei der Terrorismusbekämpfung ist für alle erkenn-         vertretbar bleibt. Als Arbeitgeber bin ich offen für flexible
bar, wie wirksam eine Unité de Doctrine und klare Ver-         Modelle wie Teilzeitanstellung oder Job-Sharing, muss
fahrensstrategien sind. Weniger unmittelbar fassbar für        aber auch die betrieblichen Abläufe im Auge behalten.
die Öffentlichkeit sind die positiven Auswirkungen in          In ihrer Gesamtheit können die Mitarbeitenden der BA
den Komplexen der Geldwäscherei und der internatio-            einander unterstützen bei der Bewältigung der täglichen
nalen Korruption. In diesen Bereichen ist ein wirkungs-        Herausforderungen, zum Beispiel mit bereichsübergrei-
volles Controlling zentral: ich will keine neuen alten Fälle   fender Zusammenarbeit.

12   Interview
Die BA hat sich letztes Jahr einen «Code of Conduct»         Bedeutet die stärkere Gewichtung der Verfolgung
gegeben. Warum jetzt und was ist das Besondere daran?        von Cyberkriminalität, dass Sie eine neue Priorisierung
ML: Die BA beschäftigte sich seit längerem eingehend         der Deliktsfelder vornehmen werden?
mit der Berufsethik. Im Rahmen der Umsetzung der             ML: Aufgrund von Gerichtsentscheiden seit dem Jahre
Strategie und der Reorganisation wurden diese Ideen          2011 ist die BA neben der operativen Tätigkeit daran,
konkretisiert und als Code of Conduct auf den 1. Juli        sich auch Klarheit darüber zu verschaffen, wie strukturell
2017 umgesetzt. Ich sehe den «Code» auch als eine            mit dem Phänomen Cybercrime umzugehen ist. Wir alle
sinnvolle Plattform, um darauf die BA-Kultur zu bauen.       leben heute im und mit dem Cyberraum. Darin sind alle
Ich möchte, dass dieser mit konkreten praktischen Bei-       Kriminalitätsformen denkbar. Die BA ist aber nicht für
spielen ausgefüllt wird und nicht lebens- und praxis-        alles zuständig. Cyber ist als Thema strategisch und war
fremdes Papier bleibt. Deshalb haben wir eine bera-          dies schon immer. Cyber muss vor allem auch als Hal-
tende Kommission eingesetzt. Sie ist denn auch das           tung Eingang finden in die Strafverfolgung. Das Denken
Spezielle an unserem Verhaltenskodex; darauf bin ich         und danach das Handeln müssen sich an die Möglich-
ein bisschen stolz.                                          keiten von Cyber anpassen, um nicht ungewollt rechts-
                                                             freie Räume entstehen zu lassen. Mit unseren Cyber-
Ein anderes Thema: Die BA ist praktisch täglich medial       Staatsanwälten haben wir einen Anfang gemacht.
präsent. Ist dies auf die grossen, internationalen Verfah-
ren zurückzuführen oder wie erklären Sie sich dies?          Nun bricht die zweite Halbzeit Ihrer aktuellen Amtszeit
ML: Eine öffentliche Auseinandersetzung mit den Ver-         an. Was war für Sie der Höhepunkt in der ersten Hälfte?
fahren der BA und den sich damit häufig stellenden,          ML: Für mich war es erfreulich zu sehen, wie schnell
grundsätzlichen Fragen zum Strafrecht und seiner             sich die Mitarbeitenden an die neuen Abläufe und Struk-
Funktion in der Gesellschaft begrüsse ich. In unserer        turen angepasst haben. Dieses Anpassen geschah ja
Wahrnehmung werden diese Diskussionen in der Regel           nicht im luftleeren Raum; es galt, liebgewonnene Ge-
an internationalen Verfahren, die beispielsweise grosse      wohnheiten zu vergessen, die seit 2015 vermehrt anfal-
Geldwerte involvieren und/oder bekannte Persönlich-          lenden Grossverfahren effizient zu bearbeiten und viele
keiten tangieren, medienwirksam geführt. Für die ein-        neue Mitarbeitende zu integrieren. In einem Satz: die
zelnen Bürger sind diese Verfahren aber oft abstrakter       Anpassungsfähigkeit und die Integrationskraft der BA
und entfernter als Straftaten, wie Einbruchdiebstähle        freuen mich am meisten.
oder Strassenverkehrsdelikte. Ebenso stelle ich fest,
dass die Gesellschaft häufig eigentlich politische Auf-      Lassen Sie uns noch in die Zukunft blicken: Welche
gaben an das Strafrecht delegieren will. Das Strafrecht      Prioritäten setzen Sie für die nächsten zwei Jahre?
ist aber kein Allheilmittel und kann einer solchen Erwar-    ML: Die BA muss fit bleiben für die aktuellen Heraus-
tungshaltung nicht gerecht werden.                           forderungen im Strafprozess und den Verfahren. Dies
                                                             bedeutet: Konsolidierung von Abläufen und Strukturen
Kürzlich haben Sie in den Medien gesagt, dass Sie            und stetige Priorisierung bei den Verfahren. Dafür müs-
ein Kompetenzzentrum gegen Cyberkriminalität                 sen wir eine Haltung zur Veränderung entwickeln, die
aufbauen wollen. Wie soll dieses ausgestaltet sein,          geprägt ist von Beharrlichkeit auf der einen Seite und
respektive wozu dient ein solches Zentrum?                   Flexibilität auf der anderen Seite. Dies ist notwendig,
Die Bekämpfung von Cyberkriminalität ist eine faktische      damit wir in der BA unsere Aufgaben meistern können.
Verbundaufgabe für die Strafverfolgung von Bund und
Kantonen. Der Bund muss dabei genauso wie die Kan-           Und was sind kurz zusammengefasst Ihre Erwartungen?
tone seine Verantwortung übernehmen und insbeson-            ML: Ich erwarte die professionelle Führung von kom-
dere Klarheit schaffen betreffend Zuständigkeitsfragen,      plexen Strafverfahren im nationalen und internationalen
Koordinationsdienstleistungen zugunsten der Kantone          Umfeld, das Hochhalten der schweizerischen Straf-
und dem Bearbeiten von akuten Fällen, in denen die           rechtshoheit und eine weitere Professionalisierung der
Zuständigkeiten noch nicht geregelt sind. Ein ange-          Selbstverwaltung. Zudem gehe ich davon aus, dass die
dachtes Kompetenzzentrum des Bundes sollte auf den           BA als unabhängige Behörde im In- und Ausland als
bestehenden Strukturen aufbauen und eine enge Zu-            zuverlässige Partnerin angesehen wird, attraktiv ist als
sammenarbeit der verschiedenen Akteure zulassen.             Arbeitgeberin für gut motivierte und ausgebildete Per-
Gemeinsam mit fedpol sind wir daran, diese Ideen zu          sonen und Sorge trägt zur grossen Erfahrung von lang-
konkretisieren und 2018 mit ersten pragmatischen             jährigen Mitarbeitenden.
Schritten umzusetzen.

                                                                                                       Interview   13
Operative Tätigkeit
1 Strategie 2016 – 2019                                         2 Die Zentrale Eingangsbearbei-
                                                                  tung der BA (ZEB)

Im Berichtsjahr hat die BA ihre neuen Strukturen gefes-         Die ZEB verfolgt das Ziel, jene Eingänge, welche von der
tigt. Auf dieser Grundlage arbeitet die BA konsequent           BA in einer Strafuntersuchung weiterverfolgt werden
auf ihre strategischen Ziele hin:                               müssen, frühzeitig zu identifizieren und die operativen
    • Alle Verfahren der BA sind thematisch gegliederten        Einheiten diesbezüglich zu entlasten. Zu diesem Zweck
        Delikts- bzw. Kompetenzfeldern zugeordnet. Dies         werden alle Eingänge, welche nicht direkt mit einer be-
        ermöglicht den Führungskräften das Erkennen ab-         reits eröffneten Strafuntersuchung in Zusammenhang
        teilungsübergreifender Zusammenhänge und das            stehen, zentral registriert, analysiert und triagiert. Dabei
        Setzen zielgerichteter Prioritäten in der Strafver-     handelt es sich namentlich um Strafanzeigen, Ersuchen
        folgung.                                                um Verfahrensübernahme aus den Kantonen und Mel-
    ·· Die Deliktsfelder sind auf die drei Abteilungen          dungen der Meldestelle für Geldwäscherei (MROS).
       ‘Staatsschutz, Terrorismus, kriminelle Organisati-              Stellt sich nach einer ersten Analyse durch das
        onen (STK)’, ‘Wirtschaftskriminalität (WiKri)’ sowie    ZEB-Team heraus, dass ein Eingang vertieft geprüft
       ‘Rechtshilfe, Völkerstrafrecht (RV)’ aufgeteilt. Jedes   werden muss, wird dieser einem Staatsanwalt oder ei-
        Verfahren wird im Controlling via etablierte Steue-     ner Staatsanwältin zugeteilt. Gestützt auf die Ergeb-
        rungsinstrumente begleitet, und die Schwerpunkte        nisse dieser Prüfung entscheidet der Operative Aus-
        werden quartalsweise abteilungsübergreifend be-         schuss des Bundesanwalts (OAB) über das weitere
        sprochen und festgelegt.                                Vorgehen. Wird entschieden, dass eine Strafuntersu-
    ·· Für jedes Deliktsfeld wird eine spezifische Strate-      chung eröffnet bzw. ein kantonales Ersuchen um Ver-
        gie erarbeitet, welche die jeweilige Ausgangslage       fahrensübernahme gutgeheissen wird, erfolgt die Über-
        aufnimmt und über die Erarbeitung eines Zielbilds       gabe des Dossiers an die zuständige Verfahrensleitung.
        die effiziente, verständliche und transparente          Mit diesem Vorgehen fördert die Geschäftsleitung ge-
        Steuerung der Verfahren im Deliktsfeld sowie die        zielt die unité de doctrine.
        konkrete Positionierung der BA unterstützt. Im                 Bei einem negativen Entscheid des OAB erfolgt
        Berichtsjahr lag nebst der Erarbeitung der Me-          die Abschlussbearbeitung durch die ZEB in Zusammen-
        thode der Fokus auf den Deliktsfeldern des Völ-         arbeit mit dem OAB. Die involvierten Personen und Be-
        kerstrafrechts sowie der allgemeinen Wirtschafts-       hörden werden entsprechend von der ZEB informiert.
        kriminalität.                                           Alle anderen Eingänge werden zur Entlastung der Ab-
    • Die Abteilung ‘Forensische Finanzanalyse (FFA)’           teilungen direkt durch die ZEB erledigt.
        wird ihre Leistungen 2018 dank einer softwareun-               Insgesamt wurden im Berichtsjahr 1161 Eingänge
        terstützten Verarbeitung von Bankeditionsdaten          bearbeitet. Darunter waren 171 Ersuchen um Verfah-
        noch fokussierter in die Ermittlungsarbeit einbrin-     rensübernahme, bei über 80 % von diesen hat der OAB
        gen können, was die Effizienz in der Verfahrensfüh-     die Bundeskompetenz anerkannt. Ferner wurden 367
        rung fördert. Die dazu notwendigen technologi-          MROS-Meldungen bearbeitet. Rund 150 weitere Ein-
        schen und organisatorischen Grundlagen wurden           gänge wurden in die Abteilungen zur weiteren Bearbei-
        im Berichtsjahr erarbeitet.                             tung weitergeleitet.
    • Die Leistungen des Generalsekretariats werden                    Die ZEB ist auch der Single Point of Contact für
        stetig auf die Bedürfnisse der verfahrensführenden      interne Anfragen und für Partnerbehörden. Im Berichts-
        Abteilungen ausgerichtet. Dies erfolgt teils durch      jahr hat die ZEB zudem die Aufgabe übernommen, das
        die Zentralisierung von Leistungen (ZEB, Aufberei-      neue Konzept «Cyber», das von der Abteilung WiKri
        tung von Editionsdaten), teils durch die Schaffung      entwickelt wurde, im administrativen Bereich zu unter-
        von Strukturen, die die kompetente Entwicklung          stützen (s. S. 17, Ziff. 3).
        von Lösungen bei neuen Bedürfnissen der Orga-
        nisation ermöglichen.
    • Eine weitere Grundlage zur Umsetzung der Strate-
        gie bildet das institutionalisierte Engagement der
        BA und des Bundesamts für Polizei (fedpol) in
        einem gemeinsamen Programm zur Festigung der
       Zusammenarbeit und gegenseitigen Abstimmung
        im Bereich der digitalen Transformation.

16   Operative Tätigkeit
3 Entwicklung einer Struktur
  innerhalb der BA zur Bekämp-
  fung der Cyberkriminalität

Mit dem Wechsel einer im Bereich Cyberkriminalität                  Forensik) zu analysieren, so dass Serienfälle rasch er-
spezialisierten Staatsanwältin vom Kompetenzzentrum                 kannt und die gebotenen Ermittlungen geführt werden
Cybercrime der Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich                können.
zur BA per 1. April 2017 konnte dieser relativ neue Zu-
ständigkeitsbereich der BA verstärkt werden. Am 1. Juni
2017 wurde das Team der Cyber-Staatsanwälte durch
die Anstellung eines Assistenz-Staatsanwalts am Stand-
ort Lausanne nochmals ergänzt. In Zusammenarbeit mit
der Abteilung Staatsschutz und dem ZEB-Team prüfen
die Staatsanwälte der Cyber-Einheit der Abteilung WiKri
kantonale Ersuchen um Verfahrensübernahme in Fällen
von Cyberkriminalität, für welche die BA zuständig sein
könnte.
      Gestützt auf eine eingehende Analyse der Recht-
sprechung des Bundesstrafgerichts wurde ein Konzept
mit einer Liste von präzisen Kriterien entwickelt, die
beim Entscheid über die Zuständigkeit der BA in diesem
Bereich herangezogen werden können und insbeson-
dere den internationalen Charakter des Falls, dessen
technische Schwierigkeiten und den Umfang des Sach-
verhalts in der Schweiz berücksichtigen. Die Erarbei-
tung dieses Konzepts zeigte ebenfalls auf, dass das
Thema Cyberkriminalität von der BA global anzugehen
ist und sich nicht auf die Zuständigkeitsfrage nach
Art. 23 und 24 StPO beschränken darf. Die Zusammen-
arbeit mit den weiteren nationalen, internationalen, pri-
vaten und staatlichen Akteuren im Kampf gegen Cyber-
kriminalität und die Frage der Ressourcen und der zu
erreichenden Ziele sind Themen, die im Hinblick auf ein
wirksames und konzertiertes Vorgehen behandelt wer-
den müssen. Die Cyber-Staatsanwälte stellen diesbe-
züglich mit mehreren Diensten der BA konkrete Über-
legungen an.
      Auf Ersuchen der Kantone wurden bereits mehrere
Verfahren übernommen, insbesondere im Bereich des
Phishings (Voice-Phishing und Phishing mit Trojanern
bzw. Pharming), welche gegenwärtig in enger Zusam-
menarbeit mit den Ermittlern von BKP und MELANI 9 an
den Standorten Lausanne und Zürich bearbeitet wer-
den. Zwei kleinere Verfahren wurden bereits abge-
schlossen. Ferner konnte zu Beginn des Jahres mit
vereinten Kräften der Teams der beiden Standorte ein
mehr als 450 Phishing/Pharming-Fälle umfassendes
Cyber-Verfahren abgeschlossen werden.
      Es wurde auch ein Konzept entwickelt, um neu
eingehende Fälle von Phishing/Pharming in aktiver Zu-
sammenarbeit mit dem ZEB-Team fortlaufend zu bear-
beiten und durch die BKP (KOBIK 10 – Abteilung IT und

  9 Melde- und Analysestelle Informationssicherung.
  10 Koordinationsstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität.

                                                                                                  Operative Tätigkeit   17
4 Fälle im Interesse der
  Öffentlichkeit

4.1   Pyrowerfer in einem Fussballstadion                 verletzt hätte. Nur dank glücklicher Umstände war beim
Anlässlich des Super League Spiels vom 21. Februar        Öffnen dieser Paketbombe niemand verletzt worden.
2016 zwischen dem FC Luzern und dem FC St. Gallen               Das Bundesstrafgericht verurteilte den Beschuldig-
wurden aus dem Gästesektor (St. Galler Fanblock) zwei     ten wegen mehrfachen versuchten Mordes und mehr-
Rauch- und zwei Feuerwerkskörper (Rauchtöpfe und          facher Widerhandlung gegen das Waffengesetz zu einer
Kreiselblitze) auf das Spielfeld geworfen. Dabei wurde    Freiheitsstrafe von 10 Jahren und – als Zusatzstrafe zu
ein Zuschauer an einem Ohr schwer verletzt. Aufgrund      einem Strafbefehl aus dem Jahre 2015 – zu einer Geld-
umfangreicher Beweissicherungsmassnahmen und              strafe von 40 Tagessätzen. Sodann hat der Beschul-
sorgfältiger Foto- und Videoauswertung konnte die ver-    digte drei Personen der Redaktion Bota Sot eine Ge-
mummt handelnde und zur Ultraszene gehörende Täter-       nugtuung von je zwischen CHF 2'500 und 10'000 zu
schaft ermittelt werden. Im Rahmen einer polizeilichen    bezahlen. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
Intervention konnten beim Täter zuhause ca. 100 kg
pyrotechnisches Material sichergestellt werden, dessen 4.3 Terrorismusbekämpfung
Verwendung in der Schweiz zum Teil verboten ist. Dar- Im Bereich der Terrorismusbekämpfung wurden 2017
unter fand sich auch Material, das mit dem an besag- 17 Verfahren eröffnet und 8 Rechtshilfeersuchen vollzo-
tem Fussballmatch verwendeten typengleich war.            gen. Dies zeigt, dass das Phänomen trotz militärischer
      Das Bundesstrafgericht verurteilte den Beschuldig- Niederlage des Islamischen Staats nicht an Bedeutung
ten wegen mehrfacher Gefährdung durch Sprengstoffe verliert.
und giftige Gase in verbrecherischer Absicht, schwerer          Die Terrorismusverfahren im Jahr 2017 zeichnen
Körperverletzung, mehrfacher Sachbeschädigung und sich aus durch ihren ausgeprägten transnationalen Cha-
mehrfacher Widerhandlung gegen das Sprengstoffge- rakter und durch die Involvierung zahlreicher Beschul-
setz zu einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren (davon 18 Mo- digter aus syrisch-irakischen dschihadistischen Grup-
nate bedingt) und einer bedingt vollziehbaren Geldstrafe pierungen. Zwei Beschuldigte gelten als Rückkehrer.
von 180 Tagessätzen sowie zu einer Busse von CHF 700.           Ein Verfahren wurde eröffnet gestützt auf Erkennt-
Der Täter wurde sodann verpflichtet, dem Opfer eine nisse aus einer Untersuchung gegen zwei Personen,
Genugtuung von CHF 12'000 zu bezahlen. Weiter muss die versucht hatten, die syrisch-irakische Zone zu errei-
er das Opfer mit CHF 13'000 und die Stadionbetreiberin chen, sowie gestützt auf ein Rechtshilfeersuchen der
für den Sachschaden entschädigen. Das Urteil des Bun- belgischen Behörden, das die Verbindung zwischen
desstrafgerichts wurde vom Beschuldigten und vom dem Beschuldigten und einer in Belgien wegen terro-
Opfer ans Bundesgericht weitergezogen. Der Entscheid ristischer Straftaten inhaftierten Person auswies. In die-
steht noch aus.                                           sem Fall wurde eine gemeinsame französisch-schwei-
                                                          zerische Ermittlungsgruppe eingerichtet.
4.2 Paketbombe an Zeitungsredaktion                             Eine weitere Vereinbarung zur Einrichtung einer
Im Zusammenhang mit einer im Jahre 2002 an eine Zei- gemeinsamen Ermittlungsgruppe mit Frankreich wurde
tungsredaktion geschickten, funktionstüchtigen Paket- 2017 in einem Verfahren abgeschlossen, das gegen ei-
bombe hatten die ersten Ermittlungen keine konkreten nen Schweizer geführt wird mit Verbindungen zu einer
Hinweise auf die Täterschaft erbracht, weshalb das Terrorzelle, in der sich französische Staatsangehörige
Verfahren gegen Unbekannt im Herbst 2003 sistiert wer- vereinigt hatten und einen Gewaltakt planten.
den musste. Aufgrund einer Übereinstimmung mit Ver-             Ausserdem erhob die BA gegen eine mutmassliche
gleichsspuren aus einem Raufhandel Ende 2016 wurde Dschihad-Reisende Anklage beim Bundesstrafgericht.
die Strafuntersuchung wieder an die Hand genommen Ihr wird vorgeworfen, gegen das Bundesgesetz über
und konnte ein mutmasslicher Täter ermittelt werden. das Verbot der Gruppierungen «Al-Qaïda» und «Islami-
Dieser bestätigte, der Konstrukteur besagter Paket- scher Staat» sowie verwandter Organisationen versto-
bombe zu sein, welche er im September 2002 an die ssen zu haben.
Redaktion der Zeitung Bota Sot in Zürich geschickt hatte.       Weiter erhob die BA gegen drei Vorstandsmitglie-
Der Beschuldigte bestritt in späteren Einvernahmen, der des Vereins Islamischer Zentralrat Schweiz (IZRS)
dass die Bombe beim Öffnen des Pakets hätte Schaden Anklage beim Bundesstrafgericht. Dem Verantwortlichen
anrichten können. Die sorgfältigen Abklärungen des für das «Departement für Kulturproduktion» des Vereins
Forensischen Instituts Zürich erbrachten jedoch die Be- IZRS wird konkret vorgeworfen, in Syrien Filmaufnah-
stätigung, dass beim konventionellen Öffnen des Pakets men mit einem führenden Vertreter der verbotenen ter-
die Bombe einwandfrei funktioniert und sich in der nä- roristischen Organisation Al-Qaïda hergestellt zu haben.
heren Umgebung aufhaltende Personen zum Teil tödlich Die Filmaufnahmen wurden in der Folge dazu verwendet,

18    Operative Tätigkeit
den Al-Qaïda-Vertreter propagandistisch darzustellen.         mafiöser Vereinigung ermittelt wird. Ende 2016 entschied
Die BA wirft den Beschuldigten vor, dem führenden             das Bundesamt für Justiz, 13 Personen auszuliefern, die
Al-Qaïda-Vertreter mit diesen Propaganda-Videos eine          Gegenstand von Auslieferungsersuchen bildeten. Sämt-
prominente, mehrsprachige und multimediale Plattform          liche Beschwerden gegen die Auslieferungsentscheide
geboten zu haben, um seine eigene Person und die              wurden vom Bundesstrafgericht und vom Bundesge-
Ideologie der terroristischen Organisation vorteilhaft dar-   richt abgewiesen, weshalb die Auslieferung im Novem-
zustellen und zu propagieren.                                 ber 2017 vollzogen wurde. Im konkreten Fall erfolgt die
     Die vorliegende Anklageerhebung dokumentiert             justizielle Verfolgung der Beschuldigten einheitlich dort,
die konsequente Strafverfolgung aller Personen in der         wo das kriminelle Phänomen entsteht und sich entwi-
Schweiz, die sich am dschihadistisch motivierten Terro-       ckelt. Dieses gerichtliche Ergebnis, das sich als oppor-
rismus zu beteiligen versuchen oder diesen mit Propa-         tun und nutzbringend herausgestellt hat, wurde von der
gandamitteln unterstützen.                                    BA gefördert und unterstützt. Die BA beabsichtigt folg-
                                                              lich, das schweizerische Verfahren zu sistieren, da der
4.4 Strafuntersuchung gegen eine kriminelle                   Ausgang des schweizerischen Strafverfahrens vom
    Organisation                                              Ausgang des italienischen abhängt.
 Die BA eröffnete im November 2009 eine Strafuntersu-
 chung gegen mehrere in der Nordostschweiz wohnhafte          4.5 Endphase im Verfahrenskomplex
 Personen wegen krimineller Organisation im Sinne von             «Arabischer Frühling»
Art. 260 ter StGB. Im Rahmen des Strafverfahrens wur-         Im Sommer 2017 stellte die BA die Rechtshilfeverfahren
 den zahlreiche Beweiserhebungen vorgenommen, um              betreffend jene Ersuchen ein, welche die Arabische Re-
 die Indizien zu untermauern, die aus dem deutschen           publik Ägypten 2011 und 2012 an die Schweiz gerichtet
 Verfahren «Santa» und aus der italienischen Untersu-         hatte und die zum Vollzug der BA überwiesen worden
 chung «Crimine» stammten. Diese hatten ergeben, dass         waren. Diese Entscheide erfolgten insbesondere auf-
 Personen mit Wohnsitz in der Schweiz als Mitglieder          grund der Feststellung, dass die Ersuchen angesichts
 einer Zelle der ’Ndrangheta agierten, die zur Zelle von      der Entwicklungen und Schlussfolgerungen in den ägyp-
 Fabrizia (VV) in Kalabrien gehörte. Angesichts der grenz-    tischen Verfahren, der in Ägypten ergangenen Gerichts-
 überschreitenden Natur der organisierten kriminellen         urteile und abgeschlossenen Versöhnungsabkommen
 Gruppierung und mit dem Ziel, die internationale Zu-         obsolet geworden waren.
 sammenarbeit in Strafsachen zu erleichtern, unterzeich-            Die Entscheide der BA beeinträchtigen weder die
 neten die BA und die zuständigen italienischen Justiz-       Rechtshilfebeziehungen mit der Arabischen Republik
 behörden eine Vereinbarung über eine gemeinsame              Ägypten noch die Rechte dieses Staates, der sich im
 Ermittlungsgruppe, die im Rahmen der in Italien und in       schweizerischen Strafverfahren als Privatkläger konsti-
 der Schweiz laufenden Strafverfahren ein koordiniertes       tuiert hat. Das konnexe schweizerische Strafverfahren,
 und konzertiertes Vorgehen gewährleistete. Die interna-      das 2011 wegen Geldwäscherei und krimineller Organi-
 tionalen Ermittlungen ermöglichten nicht nur, die Exis-      sation eröffnet worden war, ist noch hängig und wird
 tenz einer schweizerischen Zelle der mafiösen Vereini-       zurzeit gegen sechs Personen geführt. Insgesamt sind
 gung ’Ndrangheta – namentlich die Verbindung der             in diesem Kontext Gelder in der Höhe von rund CHF
’Ndrangheta-Zelle von Frauenfeld zur Zelle von Fabrizia       430 Mio. gesperrt.
– festzustellen, sondern auch die Herkunft und die Ab-              Im weiteren Kontext des Verfahrenskomplexes
 hängigkeit vom kalabrischen «Crimine» zu verifizieren        Arabischer Frühling restituierte die BA im Frühjahr 2017
 und dadurch den Export des ’Ndrangheta-Modells in            ca. CHF 3,8 Mio. an Tunesien, die sie zuvor im schwei-
 andere Länder zu bestätigen. Im Rahmen des italieni-         zerischen Strafverfahren beschlagnahmt hatte. Diese
 schen Strafverfahrens «Helvetia» erliess die Staatsan-       Restitution erfolgte im Rahmen eines Rechtshilfeersu-
 waltschaft von Reggio Calabria Ende 2014 einen Haft-         chens, das Tunesien im Sachverhaltskomplex des Ara-
 befehl gegen 18 in der Schweiz wohnhafte Mitglieder          bischen Frühlings an die Schweiz gerichtet hatte.
 der 'Ndrangheta. Zwei dieser Personen wurden in Ita-
 lien in erster und zweiter Instanz wegen mafiöser Verei-     4.6   Strafuntersuchung im Bereich des Völkerstrafrechts
 nigung im Sinne von Art. 416 bis des italienischen Straf-    Am 6. Februar 2017 übernahm die BA ein Strafverfah-
 gesetzbuches verurteilt.                                     ren der Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern,
        Die italienischen Behörden stellten der Schweiz       welches diese wegen Verdachts auf Verbrechen gegen
 anfangs 2015 ein Auslieferungsersuchen zwecks einheit-       die Menschlichkeit (Art. 264a StGB) gegen einen ehe-
 licher Strafverfolgung aller Personen, gegen die wegen       maligen gambischen Minister und Generalinspektor der

                                                                                              Operative Tätigkeit   19
gambischen Polizei eröffnet hatte. Dieser hatte in der      im Zusammenhang mit dem halbstaatlichen brasiliani-
Schweiz ein Asylgesuch gestellt. Im Rahmen dieses           schen Unternehmen Petrobras. Nach Abschluss des
Verfahrens hat die BA sieben Strafanzeigen erhalten,        Verfahrens gegen das Konglomerat Odebrecht Ende
die sich auf Vorfälle in den Jahren 2006 – 2016 beziehen.   2016 wurde der Fokus auf den Abschluss jener Verfah-
Im Vordergrund stehen neben Verbrechen gegen die            ren gelegt, in die Personen involviert waren, bezüglich
Menschlichkeit Straftatbestände wie schwere Körper-         welcher in Brasilien bereits Verfahrensabschlüsse vorla-
verletzung, Gefährdung des Lebens, Vergewaltigung           gen. In Zusammenarbeit mit dem Bundesamt für Justiz
sowie sexuelle Handlungen mit Anstaltspfleglingen, Ge-      (BJ) und mit den brasilianischen Strafverfolgungsbehör-
fangenen und Beschuldigten.                                 den konnten auch Verfahren nach Brasilien übertragen
       Die von der BA periodisch beantragte Verlängerung    werden.
der Untersuchungshaft wurde vom Zwangsmassnah-                    Als Folge der Publizität der Verurteilung des Kon-
mengericht jeweils bewilligt. Entsprechende Beschwer-       glomerats Odebrecht in Zusammenarbeit mit Brasilien
den des Beschuldigten wurden vom Bundesstrafgericht         und den USA gingen eine grosse Zahl von Anfragen
abgewiesen. Ferner wurden der Verdacht auf Verbre-          sowie Rechtshilfeersuchen aus anderen betroffenen
chen gegen die Menschlichkeit für die Vorgänge in Gam-      Staaten beim BJ ein, welche an die BA delegiert wurden.
bia und damit einhergehend die Zuständigkeit der            Zurzeit werden innerhalb der Taskforce über 50 Rechts-
Schweiz bzw. der BA vom Bundesgericht anerkannt (Ur-        hilfeersuchen bearbeitet und vollzogen. Parallel dazu
teile 1B_271/2017 vom 16. August 2017 und 1B_417/2017       konzentriert sich die Taskforce auf die involvierten Per-
vom 7. Dezember 2017). Im Urteil vom 16. August 2017        sonen und Gesellschaften in der Schweiz.
hatte das Bundesgericht erstmals die Gelegenheit, die             In diesem Verfahrenskomplex wurden Vermö-
Tatbestandselemente der in Art. 264a StGB normierten        genswerte von über CHF 1 Mia. beschlagnahmt. Der
Verbrechen zu präzisieren, welche erst seit dem 1. Ja-      BA ist es ein besonderes Anliegen, dass die Schweiz
nuar 2011 in Kraft sind.                                    beschlagnahmte Vermögenswerte den rechtmässigen
       Im Zuge der Ermittlungen hat die BA nebst zahlrei-   Eigentümern zurückerstattet. So wurden im Fallkomplex
chen anderen Ermittlungshandlungen mehrere Perso-           Petrobras / Odebrecht bislang bereits über CHF 200
nen einvernommen, darunter auch den Beschuldigten.          Mio. an die brasilianischen Behörden zurückerstattet.
Zudem wurden Rechtshilfeersuchen an verschiedene
Länder übermittelt sowie Amtshilfeersuchen an Behör-        4.9 Strafuntersuchungen im Zusammenhang mit
den in der Schweiz gestellt.                                    dem Weltfussball
                                                            Während des Berichtsjahres hat die BA in den rund
4.7   Geldwäschereiverfahren (Usbekistan)                   25 Strafverfahren dieses Untersuchungskomplexes ver-
Die BA führt seit Juli 2012 ein Strafverfahren gegen        schiedene Zwangsmassnahmen zur Sicherung und Er-
sechs Personen insbesondere wegen des Verdachts             hebung von Beweisen durchgeführt. Zudem hat sich die
auf Geldwäschereihandlungen im Zusammenhang mit             BA eingehend mit der Analyse der rund 19 Terabyte an
Korruptionsdelikten, die in Usbekistan im Telekommu-        sichergestellten Unterlagen befasst.
nikationssektor begangen wurden. Bis heute hat die BA             Aufgrund von Erkenntnissen aus hängigen Ver­
Vermögenswerte in der Höhe von mehr als CHF 800             fahren hat die BA ein neues Verfahren gegen Jérôme
Mio. beschlagnahmt. Seit Eröffnung des schweizeri-          Valcke (ehemaliger FIFA-Generalsekretär), Nasser
schen Strafverfahrens hat die BA Rechtshilfeverfahren       Al-Khelaifi (Geschäftsführer der BEIN MEDIA GROUP
mit insgesamt 19 Ländern geführt, insbesondere mit          LLC) und einen Geschäftsmann im Bereich Sportrechte
Schweden, den Niederlanden und den USA, die rechts-         eröffnet. Dieses wird u.a. wegen des Verdachts der Pri-
hilfeweise um die Sperrung von Geldern ersucht hatten.      vatbestechung (Art. 4a Abs. 1 i.V.m. Art. 23 aUWG)
Diese drei Staaten hatten im selben Kontext ebenfalls       geführt.
Verfahren eröffnet, die im Februar 2016 und September             Im Rahmen dieses neuen Verfahrens konnten im
2017 zu Entscheiden gegen zwei Telekomgesellschaf-          Oktober 2017 dank der guten Zusammenarbeit mit den
ten führten; diese haben die Korruptionshandlungen          zuständigen Behörden in Frankreich, Griechenland, Ita-
eingestanden und wurden zur Zahlung von USD 835             lien und Spanien zeitgleich an verschiedenen Orten
Mio. bzw. über USD 1 Mia. verurteilt.                       Hausdurchsuchungen durchgeführt werden. Diese fan-
                                                            den rechtshilfeweise auf Ersuchen und in Anwesenheit
4.8 Verfahrenskomplex Petrobras                             der BA statt. Der koordinierte Vollzug der Operation in
Einen Schwerpunkt der Abteilung Wirtschaftskriminali-       den verschiedenen Ländern wurde über ein Coordina-
tät bilden die von einer Taskforce bearbeiteten Verfahren   tion Centre von Eurojust ermöglicht.

20    Operative Tätigkeit
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