TrenntMagazin - Bei Zero Waste muss man manchmal zurückspulen, um nach vorne zu blicken
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#021/21 TrenntMagazin Die besten Seiten des Mülls Bei Zero Waste muss man manchmal zurückspulen, um nach vorne zu blicken
Mehrweg-Glasflaschen können 30 bis 50 Mal
wiederbefüllt werden. Danach können sie Liebe Leserinnen und Leser,
FOTO links Stephan Pramme | FOTOS rechts Vadim Kibardin (Paper Chair Black Star), Ana Cayuela Munoz
FOTO links Stephan Pramme | FOTOS rechts Vadim Kibardin (Paper Chair Black Star), Ana Cayuela Munoz
beliebig oft eingeschmolzen und zu neuen
Glasflaschen recycelt werden. Damit liegt die
Recyclingquote bei nahezu 100 Prozent.
als unsere Redakteurin Clara Bergmann zuletzt eine Bratwurst
Einwegglas schneidet in der Klimabilanz im Brötchen in der Hand hielt, wurde ihr etwas klar: Zero Waste
nicht ganz so gut ab – es wird nach nur kurzer ist überhaupt nicht originell. Es ist ein uraltes Prinzip. Seit Jahr-
Nutzungsdauer wieder recycelt.
hunderten verpacken Menschen überall auf der Welt ihre
Lebensmittel ohne Plastik, reparieren kaputte Gegenstände oder
denken sich kreative Upcyclingmöglichkeiten aus. Daraus sind oft
wunderschöne kulturelle Traditionen erwachsen wie beispielsweise
die Patchwork-Nähkunst „Quilting“. In unserer Titelgeschichte
stellen wir Berliner:innen vor, die Zero-Waste-Techniken aus an-
deren Ländern und Zeiten hierhergebracht haben, zeigen abfall-
freie Hygieneprodukte und Snackverpackungen aus aller Welt
und plädieren für einen diverseren Diskurs in der Kreislaufszene.
INHALT
Es wird also endlich bunt in diesem Winter.
4 TRENNTPROJEKTE Die schönsten Seiten der Wiederverwertung
Was ein Saftladen aus seinen Resten presst
Ihr Trenntstadt-Team
9 ÄUSSERE WERTE Welle-come back, Pappe
Was eine Halskrause mit einem Karton gemeinsam hat
10 TITEL Über den Tellerrand
Zero-Waste-Traditionen gibt es auf der ganzen Welt
23 INTERVIEW Zero Waste ist ein Sinnangebot
Abonnier mich – behauptet die Soziologin Raphaela Casata
h!
oder ich fress dic 25 CREATOR Hirschhausens geheime Waffen!
in.de
www.trenntmagaz Der Herr Doktor verschreibt Engagement
26 FOTOGRAFIE Aufbruch in die Katastrophe
Eine Reise zu den Schauplätzen der Klimakrise
32 KOSMOS Wachs ist los
Richtig guter Stoff, aber: Ist das auch vegan?
34 FUNDSTÜCKE Was uns glücklich macht …
Männer mit dekorativem Biomüll auf dem Kopf
36 RUNDGANG Bleibt alles anders
Im Haus der Materialisierung geht es ökologisch rund
38 SPEZIAL Haufenweise Fragen
Darf der Sichtfensterbriefumschlag zum Papiermüll?
40 RATGEBER Wohin mit dem ollen Schrank?
Recyclinghof, NochMall, Schenkmarkt – Hauptsache, BSR
42 REZEPT Lauch im Bauch
Gruß aus der Küche vom Zero-Waste-Restaurant FREA
TrenntMagazin 3
3
DIY
FRAGEN AN
TRENNT
projekte
Philip Koloczek
GARTENSCHÜRZE
Mit seinem Berliner Unternehmen
AUS EINER
„Rettergut“ verwandelt er
überschüssige Lebensmittel in
Getränke, Suppen und Aufstriche.
ALTEN JEANS
Wie man aus einer abgelegten Jeans in
wenigen Schritten eine Schürze näht, weiß
Carolin Engwert. Sie führt den Blog Haupt-
stadtgarten, ist Autorin des Buchs „Mein
Gartenjournal“ und nutzt die Jeans-Schürze
Muss man eine gute Spürnase haben, um herauszufinden, vor allem im Garten. Aber in Balkonien, Küche,
wo Lebensmittel verschwendet werden? Garage oder Hobbykeller passt der robuste
Absolut. Bei standardisierten Prozessen ist es noch recht einfach, weil viele Denim-Latz genauso gut.
Produkte nach Form, Farbe und Größe durch das Raster fallen und sich als
Rettergut anbieten. Oft ist die Verschwendung weniger offensichtlich, oder
wir finden eine gewisse Betriebsblindheit vor, bei der eine vermeidbare
Verschwendung gar nicht als solche wahrgenommen wird. Wir müssen sehr
behutsam und beharrlich vorgehen, denn das Wegschmeißen von Lebens-
1. Bund abtrennen sowie alle Innennähte
und Schnittnähte auftrennen – die
Seitennähte unberührt lassen.
mitteln ist ein sensibles Thema und niemand möchte zugeben, dass er gute
SCHNITT
Nahrungsmittel entsorgt. Wir versuchen im Gespräch mit den Produzent:innen
Überzeugungsarbeit zu leisten und erklären, dass wir niemanden verurtei-
EINANDER len oder bloßstellen wollen, sondern gemeinsam ein Problem lösen wollen.
Hast du ein Beispiel, das eure Arbeit gut erklärt?
In der konventionellen Modeproduktion entstehen Ich bin ein Fan unserer Mixschokolade, denn mit ihr konnten wir die Ver-
20 Prozent Textilabfälle. Die Designerin Natascha schwendung von tadellosem Kakao stoppen. Der wird nämlich, nachdem er
von Hirschhausen hingegen kommt mit ihren mit riesigem Ressourcenaufwand angebaut und tausende Kilometer nach Die beiden Hosenteile rechts auf rechts
Entwürfen gerade mal auf 1 Prozent. Dabei geht sie
so akribisch und geduldig vor, als würde sie ein
Deutschland transportiert wurde, während der Produktion gleich wieder
aussortiert. Nicht etwa, weil mit ihm etwas nicht stimmt, sondern nur, weil
2. aufeinanderlegen. Vom unteren Bein eine
gerade Linie nach oben ziehen und die
Teile an dieser gerade zusammennähen.
1.000-Teile-Puzzle lösen: Statt die einzelnen die daraus produzierte Schokolade am Anfang oder Ende einer Produktion
Schnitt-Elemente beliebig auf dem Stoff zu verteilen, steht. Beim Sortenwechsel wird in der Maschine die vorherige Sorte einfach
setzt sie die Schnitte gezielt so, dass kaum Reste mit der neuen Sorte „ausgespült“ und die entstandene Masse wurde bis-
entstehen. Mit dieser Methode entwirft sie Kleider, lang entsorgt. Das konnten wir stoppen und verarbeiten sie jetzt zu leckerer
Röcke und Pullover aus Biobaumwolle, Wolle und Retterschokolade!
Kaschmir. Letzterer wird in Italien aus Wollresten
recycelt. Statt schneller Trends interessieren von Wertschätzung beginnt im eigenen Kühlschrank. Welche Tipps
Hirschhausen Lieblingsstücke. Ihre Mode, mit der sie habt ihr, damit keine verwertbaren Lebensmittel im Müll landen?
Überstehende Teile
FOTO Kerstin Jacobsen
FOTO Kerstin Jacobsen
2017 den Ecodesign-Preis gewonnen hat, soll nicht Am wichtigsten ist: Das Mindesthaltbarkeitsdatum ist kein Wegwerfdatum!
abschneiden – Reiß-
einengen, sondern befreien. Die Zahl ihrer Kundinnen, Deswegen steht daneben auf unseren Verpackungen der Hinweis: „Oft län- verschluss /Knöpfe und
die sich ihre Mode auf Bestellung fertigen lassen, ger gut – sehen, riechen, schmecken“. Wenn mehr Menschen sich wieder die Ausbuchtung für
wächst. Ihr liebstes Kompliment: „Deine Mode heißt auf die eigenen Sinne verlassen, ist schon viel geholfen. Denn die größte den Schritt fallen weg.
meinen Körper einfach willkommen.“ Verschwendung findet immer noch bei jedem von uns im Kühlschrank statt.
www.nataschavonhirschhausen.com www.rettergut.de Bitte umblättern für Fortsetzung →
4 TrenntMagazin TrenntMagazin 5
3. RUF
RUF
AUS
AUS
TSCHECHIEN
TSCHECHIEN ABFALLPRODUKT AUSGEZEICHNETE IDEE
Was kostet die Welt?
Die Antwort steht meistens auf dem
Einkaufsbon. Was da nicht steht:
Schneide vom unteren Rand (Hosensaum) wie viel es eigentlich braucht, um
gemessen einen Streifen von ca. 30 cm gerade einen Kaufbeleg zu produzieren.
ab – daraus wird später der Latz der Schürze.
Trenne von dem Streifen nun die äußeren Das Berliner Start-up Leaf hat jetzt
beiden Teile ab. Schneide vom verbliebenen
„Rock der Schürze“ einen schmalen Streifen
… ein alter Pappkarton im Atelier des tschechischen Künstlers einen digitalen Kassenbon entwickelt,
und Designers Vadim Kibardin. Eine Weile lag ich mit anderen den Kund:innen durch das einfache
von ca. 6 cm für die Bindebänder ab. Die
offenen Kanten an den Seiten und am unteren ollen Kisten auf einem Stapel und konnte ihm bei der Arbeit bis zum Letzten Scannen eines QR-Codes erhalten. Die
Idee, die dieses Jahr mit dem Green
Saum der Schürze versäubern, umklappen und zusehen. Ständig kam er mit braunen Kartons wie mir und Papier
festnähen. Den oberen Teil nur versäubern. Buddy Award in der Kategorie Abfall-
um die Ecke. Er sortierte und stapelte uns fein säuberlich und Für die drei Freunde Annemarie Heyl, Konstantin Timm und David Vinnitski vermeidung ausgezeichnet wurde, spart
zeichnete unentwegt Dinge auf Papier. Das waren wohl Baupläne, kommt das Beste zum Schluss: und zwar der Produktionskette. Weil sie es allein seit dem letzten Jahr
4. denn als Nächstes bestrich er uns Pappen mit Klebstoff, verleimte
uns, bis wir so kräftig und stabil wurden, als wären wir aus festem
leid waren, die Pressreste der Saftproduktion ihres Unternehmens Kale & Me
einfach zu entsorgen und so zu verschwenden, trocknen sie nun den so 1.250 Kilo CO2, über
Holz. Immer wieder schaute er auf seine Pläne, schnitt, feilte, und genannten Trester bei 50 °C, zerkleinern die festen Pflanzenbestandteile 70.000 Liter Wasser,
ehe ich mich versah, hatte ich mich in den „Paper Chair Black und stellen daraus zwei Sorten Müsli und zwei Sorten Brühe her.
Star“ verwandelt. knapp 300 Kilo Abfall
„Taste before waste“ nennen sie ihre Produktlinie, die auch ganz ohne und rettet rund 9 Bäumen das
Vadim Kibardin sagte, dass meine Form Zugabe von Zusatzstoffen schmeckt. An der perfekten Verpackung feilen Leben. Und sie kommt zur rechten
von organischen Strukturen der Natur sie allerdings noch: Während die Saftflaschen samt Strohisolierung und Zeit, denn regelkonforme Kassenzettel
Den 30-cm-Streifen als Latz an das inspiriert sei. In meiner neuen Kühlakku kostenlos und klimaneutral retourniert und wiederverwendet werden wegen der neuen TSE-Verordnung
Schürzen-Unterteil nähen, sodass der Gestalt durfte ich in Kunst- beziehungsweise recycelt werden können, dürfen die Papiertüten des Zero- (ein Sicherheitsmodul für Kassen-
Hosensaum oben den Abschluss des galerien und auf Möbelmessen Waste-Produkts aus hygienischen Gründen nicht wiederverwendet werden. systeme) um 12 Zentimeter länger.
Latzes bildet. Die verbliebenen Kanten Solche Papierschlangen braucht wirklich
an den Seiten umklappen und feststeppen. stehen. Das war schön, aber
kein Mensch!
als ich hörte, dass ich als www.kaleandme.de/taste-before-waste
Möbelstück 17 Bäume davor
5. rettete, gefällt zu werden, war
ich wirklich stolz. So können TRENNTFÖRDERUNG
TRENNTFÖRDERUNG
www.leaflabs.eu
diese Bäume weiterhin
jedes Jahr über 110 Kilo CO2
binden. Hätte man mich und
Schere, Stein, Am 19. November feiert Berlin
meine Pappkameraden ver-
brannt, wären wir stattdessen Mehrwegbecher seine Zukunft mit weniger Müll.
Die Naht des zu Beginn abge- als 680 Kilogramm Kohlen- Bei der Wahl des richtigen Mehrwegbechers kommt
trennten Hosenbundes wieder
dioxid in die Luft geblasen worden. man sich manchmal vor wie bei Schnick, Schnack, Zum #abfallfreitag kommen in diesem Jahr die
verschließen und dann in zwei
Teile schneiden. Das Knopfteil an Mittlerweile habe ich vielgestaltige Schnuck: Welches Material schlägt eigentlich was in spannendsten Vordenker eines abfallfreien
die eine Seite des Latzes nähen, Sitzgeschwister. Manche hat Vadim Sachen Ressourcen und Klimabilanz? Schlägt Metall Lebens zusammen und stellen ihre Ideen
das Lochteil an die andere Seite. Kibardin so konstruiert, dass jede:r ihr/sein Glas? Und Glas Kunststoff? Und Kunststoff
vor, wie ein Leben mit weniger Müll ganz
ILLUSTRATION Stephanie Kaiser/DUH
ILLUSTRATION Stephanie Kaiser/DUH
Darauf achten, dass die Schürze
eigenes Pappmöbel nachbauen kann. Er stellt seine Baupläne allen zur organische Materialmixe?
bequem um den Hals passt.
Verfügung, sodass man nur noch genug alte Kartons sammeln muss,
konkret funktioniert.
um selbst zum Möbeldesigner zu werden. Bei den Unmengen an Papier Die Regeln erklärt der „Einkaufsführer Takeaway“
und Karton, die im Jahr weggeworfen werden, dauert das ja bestimmt von der Deutschen Umwelthilfe. Spoiler-Alarm: Seien Sie live dabei und kochen, lernen,
6. Den 6 cm langen Streifen
einmal quer teilen, falten,
bügeln, zusammennähen
gar nicht lange. Die Becher und Teller aus recyceltem Kaffeesatz
müssen am Ende ihres Lebens verbrannt werden.
diskutieren Sie mit uns – im Online-
Stream und vor Ort in der NochMall,
www.kibardinart.com Besser zum Bechern: Behälter aus Metall. Die
und als Bindebänder an dem Gebrauchtwarenkaufhaus der BSR.
den Seiten der Schürze halten lange, sind geschmacksneutral und lassen
befestigen. sich gut recyceln. Programm und Anmeldung unter:
www.bsr.de/abfallfreitag
www.hauptstadtgarten.de www.duh.de/becherheld/to-go-einkaufsfuehrer
6 TrenntMagazin TrenntMagazin 7
ÄUSSERE WERTE
PROTOKOLL
DIE REIFENPRÜFUNG
DAUER-
WELLE
WELLE-COME
BACK, PAPPE
Wer seine abgefahrenen Sommer- oder Winterreifen ersetzen
will, muss diese nicht zwangsläufig wegwerfen. Stattdessen Für die namensgebende Welle in der
lassen sich die alten Schlappen „runderneuern“, das bedeutet, Wellpappe läuft eine warme, feuchte
der größte Teil des Reifens bleibt bestehen und nur die Lauffläche Papierbahn durch heiße Riffelwalzen.
wird neu aufgetragen. Dadurch werden wertvolle Rohmaterialien Sie prägen das Papier in seine sinus-
wie Gummi oder Stahl gespart sowie 80 Prozent weniger Wasser, wellenartige Form. Weltmarktführer für
WAS IST EIGENTLICH EIN: 70 Prozent weniger Rohöl und insgesamt 50 Prozent weniger Wellpappenanlagen ist eine 300 Jahre
alte Firma in der Oberpfalz.
PAPP-
BETTER STREAM?
Energie verbraucht als bei der Neureifenherstellung.
MEISTER
Obwohl sich die Runderneuerung für Nutzfahrzeuge, Land-
maschinen und Flugzeugreifen bewährt hat, werden viele Lkw KRAUSE
und Pkw oft immer noch mit Billigreifen aus China oder Taiwan
Durch plissierte Halskrausen kam der
bestückt. Der ADAC warnte in früheren Testberichten dann auch,
dass runderneuerte Reifen lauter und möglicherweise auch PAPPER- US-Amerikaner Albert Jones vor 150
Jahren auf die Idee, statt gestärkten
gefährlicher sind, da ein Satz Reifen nicht garantiert auf einem
identischen Unterbau aufgebaut ist und damit jedes Rad unter-
schiedliche Fahreigenschaften hat.
LAPAPP
LAPAP Stoffs eine Bahn Papier
durch eine Faltmaschine
Henning Krosigk und Donald Houwer, Gründer In Schillers Drama „Wallensteins Tod“
sagt Feldherr Wallenstein: „Daran zu schicken. Die Wellpap-
Das Netzwerk AZuR will die Aufbereitung von Altreifen voran-
erkenn ich meine Pappenheimer“ – pe war erfunden. Jones
Better Stream ist zunächst mal Plattform für Filme, treiben und hat dafür ein weit reichendes Netzwerk aus For-
und lobt dabei die Treue des Regiments nutzte sie, um Flaschen
Dokumentationen oder Podcasts – ähnlich wie Netflix schung, Wirtschaft und Politik zusammengestellt. Damit es im
von Graf zu Pappenheim. Mittlerweile und Glaslaternen darin
und Amazon Prime. Mit dem entscheidenden Unter- Bereich des Reifenrecyclings richtig rund läuft.
werden mit der Redewendung eher
schied, dass unsere Inhalte kostenlos und handverle- sicher einzupacken.
die weniger Folgsamen in der Kohorte
sen sind. Statt Berieselung wollen wir www.azur-netzwerk.de
bezeichnet.
inspirierende und informative Filme und Podcasts
zu den Themen Umweltschutz, gesellschaftlicher
Wandel und persönliche Entwicklung anbieten. Dafür
stellen wir aus den Angeboten der öffentlich-recht- DAS
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lichen Mediatheken und ausgesuchter Plattformen wie
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Watch Documentaries ein maßgeschneidertes
Angebot zusammen. Wir filtern also die Fülle der
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Inhalte, die im Netz zur Verfügung stehen.
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Uns ist es außerdem wichtig, ein Bewusstsein für e M aterialw
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die negativen Auswirkungen des Streamings zu
wecken, denn die Bereitstellung aller Inhalte ist
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energieaufwändig und produziert CO2.
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Statt „Binge-Watching“ möchten wir bewussten
Konsum fördern und ermöglichen unseren Nutzern
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Glattes Papier oben, glattes Papier
unten, dazwischen gewelltes Papier und
PORTAS
Mate c h a le n und K in w ir k u ng – Stärkeleim: Fertig ist die Wellpappe, Pappe lässt sich gut recyceln.
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FOTO iStock.com/Photographer
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durch freiwillige Spenden ihren CO2-Ausstoß zu Banane nter Hit erdings
kompensieren. Momentan verwenden wir dafür re n – P ressen u a s E rg ebnis all ib t
wie wir sie von Versandkartons kennen. Neue Wellpappe besteht deshalb zu
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10 Prozent unserer gesamten Einnahmen und geben r H o lz h h l b e is pielswe to n.
Mehr als zehn Millionen solcher Pakete 80 Prozent aus Altpapier. Das spart viel
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als Be werden hier zu Lande täglich zugestellt. Energie, Wasser und frischen Zellstoff.
FOTO Melanie Buß
FOTO Melanie Buß
sie an ein Projekt des Naturschutzbundes zur ic h s ta d h a lt b re n
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Aufforstung der Sahelzone weiter. te ri a l, das feste it te lr e s te beha Die stabile Wellenkonstruktion wirkt wie Allein in Berlin schont das Sammeln
ein Ma sm ar.
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ein Luftpolster auf den langen, ruckeli- von Altpapier pro Jahr so viel Holz,
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glichen anana-S gen Wegen. wie der Grunewald hergäbe.
www.betterstream.de ursprün m h a u s B
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8 TrenntMagazin TrenntMagazin 9
TITEL
TEXT Clara Bergmann
FOTOS Julia Karelicmerkel
ILLUSTRATION Juliane Filep
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In jeder Kultur gibt es traditionelle
Techniken, Ressourcen zu schonen und
auf Plastik zu verzichten. Aber sie tauchen
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nur selten im Diskurs um Zero Waste auf.
Erfinden wir gerade das Rad neu?
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In unserer Titelgeschichte haben wir
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Kulturtechniken der Müllvermeidung aus
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der ganzen Welt zusammengetragen,
dd die auf den ersten Blick gar nicht
danach aussehen.
TrenntMagazin 11
Ein Die Zero-Waste-Szene scheint vorallem voller weißer
weißer
junger Menschen, die glücklich ihre Körbchen,
Einweckgläser und Waschbürsten der Weltöffentlichkeit
präsentieren und sich dabei sehr als Avantgarde fühlen.
Fleck
Dabei ist das Prinzip überall auf der Welt bekannt.
Warum sehen wir das nicht?
Es ist Mittwoch Abend. Ich stehe in einem kleinen Projektladen 200.000 Follower:innen, wie ihr Zero-Waste-Abendessen aussieht „Extinction Rebellion“ wird vorgeworfen, ein homogener Haufen tolle Hinweise, was man aus Übriggebliebenem verwerten kann.
in einem Szeneviertel der Stadt Leipzig. Ein bisschen unordent- oder welche Wurmkisten sie auf ihren weltweiten Vortragsreisen weißer Bürgerkinder zu sein, die hauptsächlich für ihre eigene Entscheidender ist aber, dass ich mir währenddessen darüber
lich ist es hier drin – die Sofas sind durchgesessen und die rot gefunden hat. Ihrem Vorbild folgten unzählige weitere Aktivistin- Zukunft kämpfen. Der Protestruf „Wir sind hier, wir sind laut, weil bewusst werde, welche Traditionen, welches Wissen, welche
gestrichenen Wände abgestoßen. Auf den Tischen sind grüne nen hauptsächlich aus Europa und den USA, die ihre Erfahrungen ihr uns die Zukunft klaut“ klingt beispielsweise in den Ohren der Perspektiven anderer Kulturen ich bislang im Bereich der Kreis-
Gemüsekisten aufgebaut: Zucchini, Möhren, Pak Choi, Kräu- auf Instagram, Tiktok, Youtube oder in Blogs weitererzählen. Umweltwissenschaftlerin Imeh Ituen wie Hohn. Sie gehört zu laufwirtschaft nicht gesehen habe, die uns aber bei der Bewälti-
ter, Bohnen. Als Teil einer Gemüsekooperative hole ich mir jede „Black Earth“ – einem Klimagerechtigkeitskollektiv in Berlin –und gung der Klimakatastrophe helfen können. Es geht um eine Form
Woche meinen Anteil der Ernte ab. Ich schaue auf die Liste, wie Noch mit dem dekorativen Körbchen vor meinen Gemüsekisten fragt in öffentlichen Debatten häufig die FFF-Aktivist:innen: Von des Ermächtigens marginalisierter Gruppen, die auf der Suche
viel sich jede:r der Gruppe mitnehmen darf, wiege das Gemüse frage ich mich: Ist die Idee des Zero Waste tatsächlich so weiß wessen Zukunft sprecht ihr? Die Zukunft werde dem Globalen nach anderen Formen des Ressourcenumgangs auf Augenhöhe
ab und drapiere es in meinem Weidenkorb. Das sieht so schön und privilegiert, wie es mir die Bilder in Zeitschriften und im Netz Süden bereits seit Jahrzehnten geklaut. Die klima- einbezogen werden können. Denn Zero Waste
aus, dass ich mich jedes Mal freue – unverpackte Lebensmittel suggerieren? tischen und Ressourcen-Probleme, die der Hyper- Zero Waste ist eine Kulturtechnik, die überall auf der Welt zu
sparen nicht nur Plastikfolien, Papierschalen und andere wert- konsumismus bereits jetzt vor allem für Schwarze, finden ist. In dieser Ausgabe des TrenntMagazins
volle Wertstoffe, sondern sehen auch deutlich ästhetischer aus. „Der plastikfreie Supermarkt, der in den vergangenen Jahren als indigene Menschen und People of Colour (BIPoC) ist eine möchten wir deswegen unseren Blick bewusst
Die Einkäufe aus dem Supermarkt kitzeln dagegen weniger die
Sinne. „Wir haben jetzt auch einen Instagram-Kanal“, sagt eine
plastikfreie Innovation in den alternativen Stadtteilen von Berlin,
London oder San Francisco gefeiert wurde, ist eigentlich nur
Menschen verursacht, würden im hiesigen Klima-
diskurs viel zu wenig abgebildet. Stattdessen folg-
Kulturtechnik, über den Tellerrand heben und Menschen, Ob-
jekte und Ideen vorstellen, die bislang selten mit
meiner Mitgärtnerinnen. „Da würdest du mit deinem hübschen eine Kopie der alten Souks und Basare, in denen man zwischen ten die Argumente häufig dem Schema „kluger, die überall auf dem Etikett „Zero Waste“ versehen wurden.
Korb ja gut reinpassen.“ Ich nicke und lache verlegen, weil ich Casablanca und Kalkutta schon seit Jahrhunderten einkaufen helfender Norden versus dummen, gefährlichen
mich als Klischee eines Lifestyles ertappt fühle. geht.“ Das schreibt der Autor Mohamed Amjahid in seinem Buch Süden“. Diese eurozentristische Perspektive sei der Welt zu Gleichzeitig gehört zu einer globalen Perspektive
Unter dem Hashtag #zerowaste gibt es allein bei Instagram
„Der weiße Fleck. Eine Anleitung zu antirassistischem Denken“.
Darin zeigt das Kind marokkanischer Eltern, dass in vielen Dis-
gefährlich. „Wir müssen endlich anfangen, global
zu denken, und aufhören, Einzelne für ihr Zero-
finden ist. auf Kreislaufwirtschaft ein erweiterter Blick –
nämlich nicht nur auf den individuellen Konsum.
8,6 Millionen Beiträge. Sie erklären, wie es Menschen schaffen kursen die Erfahrungen von nicht-weißen Menschen schlichtweg Waste-Heldentum zu feiern“, meint auch die Journalistin Yasmine In einer Ausstellung hat das Museum der bildenden Künste in
können, ihren anfallenden Müll (Waste) möglichst auf null (Zero) überhört und übersehen werden. Ein Beispiel dafür sei auch die C. M’Barek in einem Aufsatz in der taz. Leipzig vor einem Jahr das Thema Zero Waste mit internatio-
zu reduzieren: Kosmetik selber machen, Lebensmittel durch Zero-Waste-Szene. „In Nordafrika, im Nahen Osten, Südasien, nalen Künstlern möglichst global und divers betrachtet. Dabei
Einwecken oder Trocknen oder Fermentieren haltbar machen, aber auch in Europa kannten die Menschen lange Zeit keine Aber wie genau kann das im Bereich der Kreislaufwirtschaft war auch eine Arbeit des Künstlers Raul Walch, der Videos von
jede Menge Naturbürsten und so weiter. Aus der Idee, dass je- Einwegtragetaschen, Flaschen oder Wegwerfartikel aus Plastik.“ aussehen? Das Problem der fehlenden Diversität ist dort bislang Plastikgewächshäusern in Südspanien zeigt, in denen die To-
des Produkt unserer Konsumgesellschaft am Ende wieder in Die Plastiktüte sei beispielsweise zuerst im Kaufhaus Horten im auffällig wenig diskutiert worden. Dabei ist das Prinzip, nichts maten für den europäischen Markt angebaut werden. In seinen
den Stoffkreislauf zurückgeführt wird, ist ein sehr ansehnlicher rheinischen Neuss 1961 herausgegeben worden. Von da aus zu verschwenden, ja geradezu eine Spezialität ärmerer Gesell- eindrücklichen Videos wird deutlich: Selbst wenn wir Tomaten
Lebensentwurf zum digitalen Teilen geworden. Was auffällt: Die verbreitete sie sich erst in den Globalen Süden. Heute wehen die schaften. „Bei meinen Großeltern auf dem Balkan könntest du also vom Wochenmarkt ohne Plastikbeutel in den Weidenkorb
Gesichter, die einem auf Instagram mit Mehrwegbechern oder Tüten in den Wüsten Ägyptens, verfangen sich an den Küstenli- lernen, was Zero Waste wirklich bedeutet“, sagte mir einer meiner legen, wird vermutlich irgendwo im Produktionsprozess Plastik
Schrubbern in der Hand anlächeln, sind auffällig oft junge, westli- nien des Indischen Ozeans. Dass seine Oma in Marokko auf dem Gärtnerkollegen aus der Kooperative, der serbische Wurzeln hat. eingesetzt. Zero Waste ist nicht durch die Konsumentscheidung
che, privilegierte Personen um die 30 Jahre (siehe Interview). Sie Markt von Meknès schon so weit gewesen sei wie jene westlichen „Der Opa schneidet sogar aus alten Kartoffelsäcken noch Topf- einzelner Menschen zu erreichen – weder von weißen noch von
inszenieren ihr ökologisches Bewusstsein nach dem Vorbild von Großstadt-Hipster mit ihren mitgebrachten Gläsern und Tüten im kratzer. Da wird nichts weggeworfen.“ Auch andere Freunde mit nicht-weißen. Es braucht eine gemeinsame Vision, einen gemein-
Bea Johnson. Die US-Amerikanerin lebt seit 2008 mit ihrer Familie Unverpackt-Laden, amüsiert Amjahid geradezu. Aber es ist ernst. Migrationshintergrund haben in Gesprächen sofort Rezepte der samen Willen, eine gemeinsame Perspektive.
ein müllfreies Leben und ist mit ihrem Einweckglas, in dem sie Resteverwertung parat: Aus alter Wurst kocht man in Osteuropa
den Restmüll eines ganzen Jahres zu Anschauungszwecken sam- Es gibt immer mehr Stimmen im Nachhaltigkeits-Diskurs, die eine würzige Soljanka, alten Käse schmilzt man in der Schweiz
melt, als „Mutter des Zero-Waste-Lifestyles“ (CNN) beschrieben wie Amjahid die blinde Selbstbezogenheit der Wohlhabenden im zu Fondue, übriges Gemüse wirft man in China in einen Hotpot.
worden. Auf ihrem Instagram-Account zeigt Johnson ihren etwa Norden anprangern. Bewegungen wie „Fridays for Future“ oder Solche Gespräche sind wichtig. Natürlich sind das einerseits
12 TrenntMagazin
Verflickt
und
zugenäht „Selbst etwas
mit den Händen
erschaffen zu
Die israelische Künstlerin Alma Alloro hat mit der
uralten Kulturtechnik „Quilting“ eine Möglichkeit
können, ist ein
entdeckt, wie aus Flicken Kunst werden kann. unglaubliches
Gefühl der
„Selbst etwas mit den Händen erschaffen zu können, ist ein unglaub- identität. „Als sich die frühen amerikanischen Siedler im 17. und
liches Gefühl der Unabhängigkeit“, sagt Alma Alloro und holt eine 18. Jahrhundert aus winzigen Stoffresten ihre eigene Kleidung Unabhängigkeit.“
Kiste aus ihrem blauen Regal. Vorsichtig greift sie hinein und holt nähten, entwickelten sie eigene Muster und Techniken“, erzählt
eine Art Decke aus 36 blauen und hellgelben Flicken heraus. Es ist Alma Alloro. Bis heute haben beispielsweise unterschiedliche Alma Alloro
ein so genannter Quilt, eine kunstvoll genähte Steppdecke. Die erste, Gemeinschaften der Amish verschiedene Quilt-Muster, an denen
die sie je genäht hat – für die Künstlerin ein unschätzbarer Schatz. man sie erkennen kann. Und dass in Indien und Bangladesch
Jeder Flicken auf der Decke ist anders. Schaut man die Elemente Textilabfälle, Lumpen und abgelegte Kleidung zu kunstvollen Saris
Reihe für Reihe an, wirkt es wie ein Daumenkino, in dem sich dunkles vernäht werden, hat dort zu der besonderen Tradition der Nakshi-
Blau im hellen Gelb verschiebt. Mal ist das blaue Teil klein, mal groß, Kantha-Quilts geführt. „Etwas Neues aus Altem zu erschaffen,
mal ein Streifen, mal eine Fläche. Es erinnert an einen abstrakten ist ein natürliches Bedürfnis“, sagt Alma Alloro. „Es gehört zur
Film, der in einzelne Bilder zerlegt ist. „Ich wollte zeigen, dass auch Conditio humana.“
im Zeitalter digitaler Bilderwelten solche aufwändigen Handarbei-
ten noch relevant sind. Sie können uns zeigen, wie animierte Filme Aber egal wo auf der Welt: Es sind fast immer die Frauen, die
entstehen.“ Aus dieser ersten blau-gelben Decke ist ihre Arbeit „Big in aufwändiger Handarbeit aus Stofffetzen, alten Textilien und
Screen“ entstanden – eine Serie von großformatigen Quilts, die sie vor überschüssigen Materialien etwas neues Kreatives erschaffen.
fünf Jahren in New York ausgestellt hat. Seitdem fertigt die gebürtige „Welcome to my woman cave also known as the sewing room“
Israelin in ihrer Wahlheimat Berlin mit dieser Technik auch einzigartige steht auf dem Schild über Alloros Arbeitsplatte – willkommen in
Kissen aus den Stoffresten der Kunst und gibt Quilting-Workshops. meiner weiblichen Höhle, auch bekannt als Nähraum. Es steckt
Anders als in ihren aufwändigen Ausstellungsstücken kommen dort eine äußerst aufwändige, präzise und auch logische Arbeit in
hauptsächlich Schnittreste zum Einsatz, die die Teilnehmer:innen zu den Quilts. „Wenn Männer abstrakte Muster erschaffen, nennt
neuen Decken zusammensetzen. man es Kunst. Wenn Frauen abstrakte Muster auf Stoff bringen,
nennt man sie „dekorativ“ und „Quilts“, meint die Künstlerin Judy
Seit Jahrtausenden nutzen Näherinnen auf der ganzen Welt die Chicago. „Mit solchen Doppelstandards verhindert man, dass
Flickentechnik, um aus verschiedenen Stoffen ein zusammen- Frauen in der Mainstream-Kunst ankommen – selbst wenn sie
hängendes Stück zu machen. Das Wort „Quilt“ kommt eigentlich das thematisieren.“ Mit ihren zeitgeistigen Interpretationen von
vom lateinischen „culcita“ und bedeutet so viel wie „ausgestopfter Quilting wollte Alma Alloro auch diesen Aspekt der weiblichen
Sack, Kissen, Matratze“. Anfangs waren die vielen übereinander- Arbeit in Szene setzen. „Es ist eine sehr logische und analytische
gesteppten Stoffe schlichtweg wärmer – eine starke Kältewelle im Arbeit – eher verwandt mit dem Programmieren, das ja oft männ-
14. Jahrhundert führte zumindest zu einer weiten Verbreitung von lich konnotiert ist“, sagt sie. In Zukunft möchte sie sich denn auch
Quilt-Arbeiten bei Kleidung, Decken und Wandarbeiten. Aber die mehr damit beschäftigen. Zurück zum Digitalen? Nicht nur. Alloro
schier unendlichen Möglichkeiten, auf den Steppdecken eigene geht noch einmal zu ihrem blauen Schrank und holt behutsam
Formen und Muster zu erschaffen, machten aus den Textilien auch einen anderen Erstling aus einer Kiste: Es ist ein Stück eines
Folklore: In Nordeuropa, England, Indien, Pakistan, vor allem aber in blau-gelb karierten Quilts aus recycelten Ikea-Plastiktüten. Die
Nordamerika waren die Quilts auch Ausdruck der jeweiligen Gruppen- Geschichte des Flickenteppichs ist noch lange nicht zu Ende.
14 TrenntMagazin TrenntMagazin 15
Henkelmann
„Für die
Dabbawallas ist der
Der Unternehmer Mustafa Demirtas
hat in Indien gesehen, wie die so genannten
und Söhne
Dabbawallas Mittagessen in wiederverwendbaren
Essenstransport wie Blechbehältern ausliefern. Das inspirierte ihn,
ihm die verschiedenen Wallas auf. Manche hatten kleine Tee-
Tabletts voller Tässchen dabei – die Chai-Wallas. Manche trugen
die Lieferung von wie man auch in Berlin verpackungsfrei Essen Wasserkanister auf dem Kopf und einen Edelstahlbecher – die
ausliefern könnte. Pani-Wallas. Am interessantesten aber waren die Dabbawallas
Medizin – sie bringen mit ihren mehrstöckigen Metall-Lunchboxen, auf Englisch „tiffin“
Wenn in Mumbai die Mittagspause näher kommt, kommen auch genannt. Warum gab es solche Behälter nicht hier? Demirtas
nicht nur das Mittag, die Dabbawallas. Dabba heißt auf Hindi Behälter, und ein Walla wusste, dass auch in unserem Kulturraum in den fünfziger und
ist dessen Bote. In weißen Hemden und mit einer weißen Gandhi- sechziger Jahren die Grubenarbeiter ihr Mittag in so genann-
sondern sie retten Kappe auf dem Kopf transportieren die Männer mehrstöckige ten Henkelmännern von zuhause mitgenommen hatten. Darin
Leben.“ Metallbehälter über dutzende Kilometer. Das frisch gekochte
Essen haben sie vorher vom Zuhause des Bestellers oder aus der
konnten die Eintöpfe und Suppen einfach im Wasserbad er-
wärmt werden. Vielleicht könnte die Tradition reanimiert werden?
Mittagsküche seiner Wahl abgeholt, mit einem ausgeklügelten Demirtas startete verschiedene Projektphasen in Deutschland,
Mustafa Demirtas
Zeichensystem markiert und auf dem Kopf, am Lenker von Fahrrä- um herauszufinden, wie ein Tiffin-Pfandsystem am besten ge-
dern und Mopeds oder auf Paletten im Zug zu den Arbeitsstellen staltet sein muss, damit sowohl Restaurants als auch Kunden so
transportiert. Dass das ohne Internet, ohne Steuerungszentrale wenig Aufwand wie möglich haben. Convenient eben. Wem gehört
und ohne zusätzlichen Verpackungsmüll etwa 200.000 Mal am das Töpfchen? Wer zahlt dafür Pfand? Und womit? Wie hoch darf
Tag super pünktlich und zuverlässig funktioniert, scheint wie ein die Gebühr dafür sein? Wer reinigt es? Mit einer Förderung im
Wunder inmitten des chaotischen Treibens indischer Großstädte. Rahmen des Förderfonds Trenntstadt Berlin und den Gewinnen
Es sei der zuverlässigste und ökologischste Essenslieferant der von Eco Brotbox experimentierten er und seine Mitarbeitenden.
Welt, behaupten Forscher. Der Wirtschaftsprofessor Stefan Thom- „Damals wurden wir von vielen Gastronom:innen nicht ernst
ke von der Universität Harvard glaubt, die Zuverlässigkeit liege genommen“, sagt Mustafa Demirtas. „Ich fühlte mich manchmal
am Selbstverständnis der Dabbawallas: „Für sie ist der Essens- wie Don Quichotte, der gegen Windmühlen kämpft.“ Das änderte
transport wie die Lieferung von Medizin – sie bringen also nicht sich, als das neue Verpackungsgesetz verabschiedet wurde. Das
nur das Mittag, sondern sie retten Leben.“ sieht vor, dass jedes Restaurant für seine Außer-Haus-Küche
Mehrweglösungen ab 2023 anbieten muss.
Der Berliner Mustafa Demirtas war gerade seit einigen Monaten
damit beschäftigt, Lösungen zu entwickeln, wie man am um- Im Mai letzten Jahres hatten sie schließlich die Lösung: „Tiffin
weltverträglichsten Essen und Trinken von zuhause mitnehmen Loop“ – eine App, mit der man das nächste teilnehmende Res-
kann, ohne zusätzliches Verpackungsmaterial zu verwenden. taurant in der Nähe finden kann. Dort bestellt man sein Essen,
Der Unternehmer hatte 2014 mit „Eco Brotbox“ verschiedene holt es in einer Tiffin-Box ab und zeigt einfach seinen persön-
plastikfreie Lebensmittelbehälter aus Edelstahl auf den Markt lichen QR-Code. Das System erkennt so automatisch, wo der
gebracht: Brotbüchsen, Frischhalteboxen, Trinkflaschen. Sie ste- Mehrwegbehälter abgeblieben ist. Innerhalb von zwei Wochen
hen heute in vielen Unverpackt-Läden, begleiten Schulkinder kann er bei jedem Partner-Restaurant abgegeben werden, das am
und Angestellte durch den Tag. Aber das reichte ihm noch nicht: Tiffin-Loop teilnimmt – wenn nicht, werden 20 Euro Gebühr fällig.
Gerade im Bereich des Take-away-Essens steigt die Menge an „Wir verzichten weiterhin konsequent auf Plastik“, sagt Demirtas.
Verpackungsmaterial seit Jahren. Pizzakartons, Assietten, Styro- Und die sehr langlebigen Metallgefäße könnten am Ende ihres
porbehälter. „Der Convenience-Faktor ist in diesem Bereich sehr Lebens vollständig recycelt werden. „Wir sind jetzt an einem Punkt
hoch“, sagt Demirtas. Das heißt: Die Menschen sind bequem. angekommen, wo sich jeder Einzelne fragen muss, was er oder
Nur die wenigsten hätten für eine warme Mahlzeit ein eigenes sie persönlich tut, um dem Klimawandel und den schrumpfenden
Mehrwegbehältnis dabei, um es im Restaurant befüllen zu lassen. Ressourcen entgegenzutreten. Wenn ich die Wahl habe, ob ich
Und wenn doch, würde das Töpfchen oft aus Hygienegründen einen Mehrwegbehälter oder Einmal-Verpackungen verwende,
dann doch nicht befüllt. dann ist das eine bewusste Entscheidung.“ Vielleicht ist Mustafa
Demirtas darin den Dabbawallas gar nicht so unähnlich: Er will
Als der Unternehmer Demirtas in Indien war, um die damaligen auch nicht nur das Mittag bringen, sondern auch ein bisschen
Produktionsstandorte der Ecobox-Behälter zu besuchen, fielen unser Leben retten.
16 TrenntMagazin TrenntMagazin 17
Der am Tisch, das habe Gaudí so oder ähnlich gesagt oder gemeint, „Restaurieren
goldene
in jedem Fall gemacht. „Der hatte im Leben ja nun wirklich einige
Scherben verpuzzelt!“ Sie legt vier Stückchen wie ein Mini-Mosaik bedeutet für mich,
zusammen, rührt vermummt in Plastikhandschuhe, langärmeligem
Hemd und Gesichtsmaske eine Kleberpampe aus dem extrem Teil von einem
allergieauslösenden Urushi-Harz, Fischleim und Klebreis an. Damit
uralten Objekt zu
Kitt
werden die Bruchkanten bestrichen und die Teile fixiert. Ziemli-
ches Gefriemel – oder eben Vertiefung. „Geduld ist das Wichtigste
beim Kintsugi“, weist Toyoda ihre Teilnehmerinnen an. Für ein
werden.“
Keramikobjekt, das sie in ihrer Werkstatt zuhause mit Kintsugi als Satoko Toyoda
Auftragsarbeit zusammensetzt, braucht sie manchmal mehrere
Die Künstlerin Satoko Toyoda repariert Monate und es kostet oft mehr als ein ganzes neues Service. Die
Tassen oder Teller sind oft auf eine besondere, sentimentale Weise
zerbrochenes Geschirr mit der japanischen
wertvoll. „Ich frage nicht nach der Bedeutung eines Objekts für
Kintsugi-Methode. Dabei werden Brüche nicht die Menschen“, sagt Toyoda. Aber in der Glasur die Verfärbung
kaschiert, sondern mit Gold veredelt. von Kaffee oder Tee zu erkennen, zeige ihr deutlich: Das sind die
Spuren von gelebtem Leben.
Satoko Toyoda steht vor den Scherben ihrer Existenz. Sie hat die
Bruchstücke sorgfältig in Pappkisten ausgebreitet, die auf den Über solche oder andere Linien fahren die Frauen im Workshop
Tischen im Berliner Konzept-Restaurant Thu My Marie stehen. mit zartem Pinsel und tragen Urushi und Kampferöl auf. Später
Ringsum löffeln Menschen Ramensuppen, frittierte Fleischklöp- werden diese Flächen mit Silberpulver – Gold war für diese Übung
se, Klebreis-Knödel. Es dampft Sencha-Tee aus Schalen. In einer zu wertvoll – abgepudert.
Ecke zeichnet eine junge Japanerin mit lila Haaren bunte Ukiyo-e-
Porträts, in der anderen werden Vintage-Kimonos zu Spottpreisen Menschen im Westen würden auf Kintsugi alles Mögliche proji-
verkauft. zieren: Lebensbrüche, Scheidungen, Karriereknicks. Im gerade
erschienenen Roman „Kintsugi“ schreibt die Autorin Miku Sophie
An den schweren Holztafeln sitzen bastelfreudige Frauen zwischen Kühmel zum Beispiel über eine unperfekte Liebesbeziehung und
25 und 65 und gucken zu Satoko Toyoda. Vor ihnen die Kiste mit erklärt auf dem Klappentext, dass man von Kintsugi lernen könne,
Inban-Porzellan. Das ist mit hübschen blauen Ornamenten verziert. dass Schönheit nicht in der Perfektion zu finden sei, „sondern im
„Berliner Blau“, sagt Toyoda – das Pigment sei im 18. Jahrhundert guten Umgang mit den Brüchen und Versehrtheiten“. „Wenn ich
durch Zufall von einem Preußen entdeckt und zum Standard des mit den Händen arbeite, habe ich keine Zeit, über die Philosophie
japanischen Inban-Geschirrs geworden. Nun ist es also wieder hier, nachzudenken“, sagt Toyoda. „Mit dem Objekt auf dem Tisch wird
in zerbrochenen Teilen, und soll mithilfe der Kintsugi-Reparatur- alles andere zur Nebensache.“
technik wieder zusammengesetzt werden. Das japanische „kin“
heißt Gold, „tsugi“ ist die Verbindung – und genau darum geht Für die in Kyoto, Stuttgart und Berlin ausgebildete Restauratorin
es bei der Tradition. Vor dem Hintergrund des sich verbreitenden ist es dagegen einfach eine Möglichkeit, Material zu erhalten.
Zen-Buddhismus entwickelte sich im Japan des 16. Jahrhunderts Upcycling im traditionellsten Sinne, könnte man sagen. Die ver-
auf Betreiben einiger Teemeister ein neues ästhetisches Prinzip – wendeten Kleberbestandteile – Urushi-Harz, Fischleim, Klebreis,
Wabi-Sabi. Nach diesem Konzept ist nicht die perfekte Schönheit Steinpulver – sind außerdem alle biologisch abbaubar. Nur die
das Höchste, sondern die verhüllte; nicht das unbefleckte Neue, Einweghandschuhe stehen dem Zero Waste im Weg.
sondern die Patina der Reife. Dazu passt Kintsugi – die Goldver-
bindung, die den Makel hervorhebt und den Bruch veredelt. Toyoda An den Holztischen packen die Frauen ihre zerbrechlichen Mosaike
ist Restauratorin, die sich schon immer mehr für Dinge und Orte in mitgebrachte Dosen. Sie sehen stolz aus. Kintsugi zeigt, dass
interessiert hat, die bereits eine eigene Geschichte mitbringen. Reparatur eine Option ist. Dass wir nicht immer Neues brauchen
„Restaurieren bedeutet für mich, Teil von einem uralten Objekt oder produzieren. Einige fragen Toyoda danach, wann sie eine
zu werden“, sagt sie. „Mich fasziniert es, sich mit der Geschichte ganze Tasse mit Kintsugi kleben lernen können. Es ist schwierig,
direkt zu verbinden. Man kann an etwas Größerem teilhaben, als denn die Nachfrage nach der Goldklebetechnik nimmt ständig zu.
man jemals selbst erschaffen kann.“ Nicht nur, weil es sinnvoll ist, die Lebensdauer von Gegenständen zu
verlängern, sondern, weil es eine herausfordernde Beschäftigung
Die Teilnehmerinnen des Workshops sollen Porzellanteile heraussu- mit Materialität ist. „Wenn etwas Spaß macht, kann man Menschen
chen, um daraus eine Kette oder einen Räucherstäbchen-Halter zu zu einem Umdenken bewegen“, sagt Satoko Toyoda. „Am Ende
puzzeln. „Alles passt zusammen!“, proklamiert eine Bastelfreudige geht es dabei doch um Liebe.“
18 TrenntMagazin TrenntMagazin 19Aus einem Land
vor unserer Zeit Vergleichsweise
„Ich bin in den siebziger Jahren mit meinen Eltern in einer
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20 TrenntMagazin Nutzu tsorgung:
EnINTERVIEW
Coffin Bread
„Zero
„ZeroWaste
Waste INTERVIEW Clara Bergmann
Getränke in Fruchtkörpern
Bananenblätter
ILLUSTRATION Aline Zalko
Blätter zum Einwickeln
ist
istein
ein
Gehäuse zum Füllen
Waffeln als Behälter
Saté
Brot als Schüssel
nen auseinandergesetzt. Dieser sichtbare Teil der Zero-Waste-
Sinn
Sinnangebot“
angebot“
Kokosnuss
Teig als Hülle
Bewegung ist sehr weiblich geprägt und auch gut ausgebildet.
Was ich bei meinen Interviewpartnerinnen interessant fand,
Schaschlik
ist, dass Zero Waste nur ein Bestandteil ihres Weltinteresses
Spieße
ist. Sie interessieren sich für viele Facetten einer nachhaltigen
Entwicklung, zum Beispiel soziale Ungleichheit, Geschlechter-
DieDie
Soziologin
Soziologin
Raphaela
Raphaela Casata
Casatahathat gerechtigkeit, Rassismus. Das sind also Menschen, die sich reflek-
herausgefunden,
herausgefunden, dass
dassZero
ZeroWaste
Waste
mehr
mehr
istist tierend mit ihrer sozial-ökologischen Umwelt auseinandersetzen.
alsals
diedie
Entscheidung,
Entscheidung,abfallfrei
abfallfrei
zuzu
leben.
leben.
In der Einleitung Ihrer Masterarbeit schreiben Sie, dass der
EsEs
helfe
helfe
auch
auch
dabei,
dabei,
sich
sich
in in
derder
alsals
unsicher
unsicher Weltklimarat bekannt gegeben hat, dass die Menschheit
Nyama Choma
wahrgenommenen
wahrgenommenen WeltWelt
zurechtzufinden.
zurechtzufinden. es wohl nicht schaffen wird, das 1,5°-Ziel zu erreichen. Die
Midye Dolmasi
Kebda Eskandarani
Verzweiflung und Hilflosigkeit ist besonders unter jungen Men-
Weinblätter
schen groß. Ist Zero Waste eine Folge dieser Hilflosigkeit?
Nein, das glaube ich nicht. Viele der Zero-Waste-Anhän-
Bunny Chow
Kokosnuss
Mangoldblätter
Waffelbecher für Likör
Frau Casata, warum beschäftigt sich eine gerinnen, die sich zum Beispiel auch bei Instagram
Soziologin damit, dass manche Men- inszenieren, wissen ganz genau, dass durch
schen keinen Müll mehr hinterlassen individuelle Konsumentscheidungen allein der
Gurke
wollen? Klimawandel nicht aufzuhalten ist. Aber bei
Melone
Zero Waste ist für Soziologen auf Zero Waste geht es ja nicht nur darum,
sehr vielen Ebenen interessant. ökologisch nachhaltig zu leben. Es
Shawarma
Eiswaffeln
Bread Bowl
Es ist einerseits ein Lebensstil geht dabei auch um Identität.
Suya
Bratwurstbrötchen
ohne Plastik in natürlichen Verpackungen verkauft.
Leider sind diese originellen Hüllen und Werkzeuge
von Individuen, der bestimm-
Überall auf der Welt wurde Streetfood traditionell
ten Regeln folgt. Es ist aber Was bedeutet das?
Kastanienblätter
auch eine Gruppe, die über In unserer heutigen Gesellschaft
Waffelschale für Fish ’n’ Chips
diese Regeln eine richtige definieren wir über Konsum, wer
Von der Hand
Gemeinschaft bildet. Dort wir sind – das ist gar nicht wertend
in den Mund
wird sich gemeinsam Wissen gemeint. Vor einigen Jahrzehnten
immer mehr aus dem Blick geraten.
angeeignet, geteilt und auch waren die wichtigen Orien-
weiterverbreitet. Und für mich tierungsangebote noch Familie,
persönlich entstand daraus Religion oder Klasse. Aber diese
die Forschungsfrage, ob sind in den vergangenen Jahren
Kokosnuss
Zero Waste noch weiter immer brüchiger geworden. Die
reicht: ob es auch ein eige- Menschen müssen sich aus
Tamales
nes Sinnangebot ist. vielen Sinnangeboten ihre
eigene Identität sozusagen
Wie würden Sie die zusammenbasteln. Zero
Szene beschreiben? Waste ist da so ähnlich wie
In meiner Forschung habe eine Musikszene: Es hilft
ich mich mit Bloggerin- dabei, sich zu verorten.
Empanadas
22 TrenntMagazinTRENNTVORBILD
CREATOR
Sind diese selbst gewählten Konstrukte genauso tragfähig Wird die Welt begreifbarer, wenn ich tatsächlich nach den
wie Religion und Familie? Dingen greife?
Können sie sein, ja. Genau wie alle anderen selbst gewählten Sinn- Ich glaube schon. Viele jüngere Menschen sehnen sich gerade
angebote. Man muss zunächst bestimmte Barrieren und Hürden danach, sich wieder stärker mit der Natur zu verbinden – oder
überwinden, bis man dazugehört. Man verzichtet auf Plastik und stellen das zumindest nach außen so dar. Das kann mit Corona
umgibt sich stattdessen mit anderen Dingen wie Mehrwegbechern. zusammenhängen, aber das In-der-Natur-Sein war schon vor der
Es gibt natürlich kein klares Regelwerk und auch keine direkten Pandemie sehr populär. Reisen ohne Massentourismus, Ausflüge
Sanktionen, wenn man doch mal Müll produziert. Eine Interview- in die Berge, Spaziergänge im Wald – Menschen wenden sich
partnerin hat mir mal gesagt, dass Zero Waste eigentlich der falsche vom scheinbar „Künstlichen“ ab und suchen nach einem eigenen
Ausdruck sei. Es müsste eigentlich ‚Less Waste‘ heißen, weil es
eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit ist, in dieser Gesellschaft
Bezug zur „natürlichen“ Welt. Der Klimawandel ist so bedrohlich,
dass er nicht nur das Überleben des Einzelnen betrifft, sondern der
Hirschhausens geheime Waffen
ohne Müll zu leben. ganzen Menschheit. Um trotzdem weiterhin freudvoll existieren zu Was ist Ihre Mission?
können, muss diese Unsicherheit handhabbar gemacht werden. Wie jeder Arzt: Menschen gesund halten! Und langfristig gibt es
Wenn Zero Waste eine Art Religionsersatz ist, gibt es darin Zero Waste ist eine Möglichkeit, Komplexität zu reduzieren und gesunde Menschen nur auf einer gesunden Erde. Deshalb widme ich
dann auch kultische Objekte? Kontrolle zurückzuerlangen. mich dem Zusammenhang von Klimawandel und Gesundheit.
Das Einweckglas ist schon fast paradigmatisch für die Bewegung.
Es zeigt sehr gut, worum es bei Zero Waste geht: Als Objekt selbst Klingt nach Biedermeier, oder? Auf welches Ding können Sie getrost im Alltag verzichten?
ist es interessant, weil es die umwelt- und gesundheitsschädlichen Ohne das zu bewerten, würde ich sagen, dass an dem Vergleich Auf Billigfleisch, Herzinfarkt und Schlaganfall. Denn eine pflanzen-
Plastikbehälter ersetzt. Es ist sehr oft wiederverwendbar und für etwas dran ist. Insgesamt ist die Bewegung ja ein bisschen basierte Ernährung ist kein Verzicht, sondern ein Gewinn an Gesundheit
eine Vielzahl von Sachen einsetzbar. Aber davon abgesehen wird retro. Viele der Zero-Waste-Strategien könnten von meiner Oma für den eigenen Körper, für die Tiere und für Mutter Erde. Win-Win-Win!
mit dem Material Glas auch sehr viel Positives assoziiert. Es fasst stammen. Auf den Blogs wird sich viel darüber ausgetauscht, wie
sich anders an. Seine Haptik suggeriert Stabilität und Sicherheit. Lebensmittel zubereitet oder verarbeitet oder Putzmittel selbst Wie versuchen Sie ganz konkret, weniger Müll zu hinterlassen?
Und dass es transparent ist, spielt sicher auch eine Rolle. hergestellt werden können. Das ist ein Rückgriff auf eine Zeit, wo Haben Sie einen Lifehack?
sich das Leben – insbesondere von Frauen – noch in sehr stark Weniger Dinge kaufen! Das nachhaltigste Produkt ist immer das, was man
Ist das durchsichtige Einweckglas der Gegenentwurf zu den vorgezeichneten Bahnen bewegte. schon hat und weiter nutzt. In meinem Buch ist eine meiner Lieblings-
undurchsichtigen Plastik-Mogelpackungen im Supermarkt? geschichten die über meinen Vater, der jahrzehntelang dasselbe Paar
Ich denke, dass es darum geht, sich wieder mehr mit den Dingen Und plötzlich fangen junge Frauen wieder an, vormoderne Turnschuhe nutzte. Er hat über sein ganzes Leben weniger Müll
und Materialien auseinanderzusetzen, die uns jeden Tag umgeben. Rollen einzunehmen und unglaublich viel Aufwand zu und Treibhausgase produziert als ich, dabei ist er über 30 Jahre älter!
Wir wissen heute, dass uns viele menschliche Erfindungen der betreiben, um alles selbst herzustellen, zu kochen,
Moderne nicht gutgetan haben. In der Soziologie nennen wir das zu konservieren und zu verarbeiten. Ist der Rückgriff in Bezug Was fällt Ihnen noch schwer – und möchten es in der Zukunft angehen?
Modernisierungsrisiken. Das sind Gefahren und Nebenwirkungen auf Techniken auch ein Rückschritt im Genderdiskurs? Hafermilch im Kaffee – dann trinke ich doch lieber einen doppelten
menschlicher Produkte und Produktionsformen, die erst im Laufe Ein spannender Gedanke. So habe ich das selbst noch nicht Espresso.
der Zeit erkennbar, spürbar und dann zum Teil unkontrollierbar gesehen. In gewisser Weise schon, weil es häufig immer noch
werden. Begonnen hat diese Diskussion um Modernisierungs- hauptsächlich Frauen sind, die diesen Diskurs bestimmen. Aber Was ist Ihre Geheimwaffe im Kampf für ein gutes Leben?
risiken vor allem mit dem Einsatz von Pestiziden in der Landwirt- anders als zu Großmutters Zeiten sind die Hintergründe der Zero- Sich engagieren, schlaumachen, verbünden und auf politische
schaft und mit der Atomenergie. Am Anfang war das Gift hilfreich, Waste-Praktiken meistens andere: Es geht nicht so sehr darum, Veränderungen drängen, das ist das Allerwichtigste. Jeder kennt
um höhere Erträge zu erzielen, und die Atomenergie sinnvoll, um eine „geschlechtsangemessene“, „typisch weibliche“ Rolle zu irgendwen, der etwas verändern kann, im Kleinen oder Großen.
den steigenden Energiebedarf zu decken, ohne noch mehr Öl übernehmen, sondern vor allem um das persönliche Adressieren Sagen Sie es weiter, diese Geheimwaffe darf nicht geheim bleiben!
und Kohle auszubeuten. Aber die Strahlen und das Gift haben von ökologischen Problemen. Außerdem engagieren diese Zero-
langfristige Nebenwirkungen für Menschen und für Tiere, die man Waste-Anhängerinnen sich ja auch noch in anderen Bereichen. Sie Wer oder was inspiriert Sie?
vorher nicht erkannt hat. Solche Risiken haben in den vergangenen ergreifen die Möglichkeit, in ihrem Beruf und ihrer Partnerschaft Jane Goodall. Sie stellte mir die Frage, die mein Leben veränderte: „Wie
Jahrzehnten stark zugenommen. Auch bei Plastik wissen wir nicht, Ungleichheiten zu thematisieren. Unser heutiger Lebensentwurf ist kann es sein, dass die schlaueste Kreatur, die jemals auf diesem
welche langfristigen Folgen das für uns und den Planeten haben nicht mehr so eindimensional, sondern besteht aus verschiedenen Planeten gewandelt ist, dabei ist, ihr eigenes Zuhause zu zerstören?“
wird. Mit Zero Waste schafft sich das Individuum eine Möglichkeit zeit-, orts- und kontextspezifischen Rollen und damit verbundenen
im Alltag, diese Risiken in gewisser Weise zu kontrollieren. Es geht Praktiken. Zero Waste ist für die meisten nur ein Teil des eigenen
dabei also nicht nur um den Abfall, sondern um Alternativen. Lebensentwurfs. Eckart von Hirschhausen, Mediziner, Komiker und Autor
von „Mensch, Erde! Wir könnten es so schön haben“, dtv, 2021
FOTO Dominik Butzmann
FOTO Dominik Butzmann
RAPHAELA CASATA studierte Soziologie an der Universität Wien.
In ihrer Masterarbeit „Die wirklich sicheren Dinge“ setzte sie sich
mit sozialwissenschaftlichen Perspektiven auf Nachhaltigkeit
und Materialität auseinander. Heute ist sie als wissenschaftliche
Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Soziologie mit Schwerpunkt Technik-
24 TrenntMagazin soziologie und nachhaltige Entwicklung der Uni Passau beschäftigt.Sie können auch lesen
