Tüllinger Blätter - Ein heraus-forderndes Jahr
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Fachdienst für Kind und Familie e.V. 79539 Lörrach Tüllinger Blätter Ausgabe 21 Dezember 2020 Ein heraus- forderndes Jahr
Die Tüllinger Höhe – Angebote und Standorte Luftbild der Tüllinger Höhe vor dem Abriss des Altbaus Heilpädagogische Wohngruppen Unsere Schule in Obertüllingen Heilpädagogische Tagesgruppen Schulkindergarten Tüllinger Höhe Jugendwohngemeinschaften Wohnortnahe inklusive Schulstandorte (z.B. Rheinfelden) Internat an der Gewerbeakademie Schopfheim Außenstelle Beuggen Außenstelle Haltingen (im Gebäude der Hans-Thoma-Schule) 2 | Tüllinger Blätter Ausgabe 21 | Dezember 2020
Editorial Ein herausforderndes Jahr Wenn uns das jemand vorher gesagt hätte … Als wir uns 2019 entschlossen hatten, während ein – inspiriert durch den Abriss des alten Heimge- der Bauphase für unser neues heilpädagogisches bäudes und der dadurch entstandenen Freifläche. Zentrum in Obertüllingen zusammen zu rücken und Inzwischen ist die Freifläche wieder ausgefüllt. Der auf Containerbauten zu verzichten, dachte noch Neubau nimmt Gestalt an und wir alle in Obertüllin- niemand an Abstandsregeln oder Aerosolprobleme. gen freuen uns auf den nächsten Sommer, der uns Händeschütteln galt als wichtiges Begrüßungsritual neben dem Einzug ins neue Haus hoffentlich auch und Stoffmasken kannte man höchstens aus Bank- das Ende des Abstandhaltens bringen wird. räuberfilmen. Doch dann kam Corona. Kaum hatten wir uns an die beengten Verhältnisse gewöhnt, da In diesem Sinne grüßen wir Sie, wünschen Ihnen wirbelte das Virus unsere Planungen und unseren beim Lesen viel Freude und trotz aller Umstände Alltag durcheinander. Dienstpläne, Reinigungspläne, eine schöne Adventszeit. Stundenpläne, Terminpläne, Ferienpläne, alles galt nicht mehr und musste teilweise tages- oder wo- Das Vorstandsteam der Tüllinger Höhe, chenweise neu zusammengestellt werden. Fachdienst für Kind und Familie e. V. Lörrach So ist es nicht verwunderlich, dass im diesjährigen Heft die Pandemie eine große Rolle spielt. Unsere Kinder und Mitarbeitenden sahen sich von einer Wo- che auf die andere vor Herausforderungen gestellt, die wir so nicht kannten. Wie Sie aber lesen werden, haben wir dabei nicht den Mut und schon gar nicht den Humor verloren und versucht, das Beste aus der Situation zu machen. Wir haben mit diesem Heft aber auch an diejenigen unserer Leser gedacht, die zur Entspannung lieber coronafreie Artikel lesen möchten. Dafür haben wir vollstes Verständnis und empfehlen Ihnen die ein- leitenden Worte von Pfarrerin Dr. Beate Schmidtgen Von links: Christof Schwald, Sonderschulrektor; Matthias Gärtner, zu unserer Mitgliederversammlung. Sie geht dabei Dipl. Ökonom (neu im Vorstand seit 2019); Lydia Müller Estefan, auf die Geschichte und den Auftrag unseres Vereins Dipl. Psychologin; Carsten Panse, Dipl. Sozialpädagoge (FH) Wenn Sie mehr über die Tüllinger Höhe, Fachdienst für Kind und Familie e. V., erfahren wollen, dann laden wir Sie zu einer kleinen Besichtigung ein: www.tuellingerhoehe.de Tüllinger Blätter Ausgabe 21 | Dezember 2020 | 3
Tüllinger Höhe, Fachdienst für Kind und Familie Ein neues Haus – damit die Arbeit gut gelingen kann Einleitende Worte zur Mitgliederversammlung 2019 von Dr. Beate Schmidtgen Von weitem ist sie zu sehen, die Tüllinger Kirche, wie das erste Mal wieder hier oben war und nur noch das sie da oben auf dem Berg liegt. Ich bin viel beruflich riesige Loch im Boden zu sehen war. Und ich kann unterwegs, und wenn ich dann mit dem ICE durch Hal- mir vorstellen, dass das auch ganz viel ausgelöst hat tingen und Weil fahre, dann suche ich sie immer mit bei Ihnen, die Sie darin gearbeitet und gelebt haben. den Augen. Ein Zeichen von Heimat. Fast zu Hause. Das war sicher nicht einfach, auch wenn der Umzug Und mir geht das Herz auf, wenn ich die vertrauten in die anderen Häuser gut geklappt hat. Silhouetten vom Tüllinger und vom Rührberg sehe. Jetzt wird ein neues Haus gebaut, an Stelle dieses ersten Gebäudes, der Keimzelle der Tüllinger Höhe. Herrmann Fingado kennt seinen Weg, er hat sein Ziel Ein Zeichen dafür, wie sich die Arbeit im Rettungs- vor Augen: Das neue Rettungshaus. Bei der Einwei- haus über die Jahrzehnte und bald Jahrhunderte ver- hung soll er sprechen, von seinen Erfahrungen als ändert hat, wie die Aufgaben gewachsen sind – und Hausvater in Dinglingen er- zählen und wie wichtig es ist, jungen Menschen eine Heimat zu geben. Wahrscheinlich ist er mit dem Zug gekommen, von Lahr, an der Station Leopoldshöhe, dem heutigen Bahnhof Weil, ausgestiegen. Und dann ist er gelaufen. Über die Gemarkung Weil Richtung Tüllingen. Wie das für ihn war, beschreibt er in seiner Ansprache so: „Als ich gestern von der Leopolds- höhe aus dem Berge der schönen Aussicht zuwanderte, erblickte ich zur Freude meines Herzens neben dem Kirchlein zu Obertüllingen das neue Ret- Jetzt ist da ein großes Loch, wo dieses erste Rettungshaus stand tungshaus, welches die Liebe derer ins Leben gerufen, denen der Jammer und das auch die Anzahl der Kinder und Jugendlichen, die in Verderben so vieler Kinder auch dieses Bezirks seit ganz unterschiedlicher Intensität hier oben betreut Jahren zu Herzen gegangen ist.“ werden. Ein Rettungsdorf ist es geworden, so viele Vor 160 Jahren wurde das neu gebaute Haus einge- Häuser sind gebaut worden. Die Gründungsväter weiht, die Keimzelle der heutigen Tüllinger Höhe. würden staunen, was aus ihrem Werk geworden ist Sechs evangelisch getaufte Waisenknaben fanden – und sie würden es voll Dankbarkeit als Zeichen von hier als erste Aufnahme. Gottes Segen verstehen. Jetzt ist da ein großes Loch, wo dieses erste Ret- „Des Menschen Sohn ist gekommen, zu suchen und tungshaus stand. Der Keller ist schon zu sehen, aber selig zu machen, was verloren ist.“ über diesen Vers ich habe ganz schön geschluckt, als ich im Sommer aus dem Evangelium des Lukas hat Pfarrer Odenwald 4 | Tüllinger Blätter Ausgabe 21 | Dezember 2020
Tüllinger Höhe, Fachdienst für Kind und Familie aus Blansingen die „Festre- de“ gehalten, die Hauptan- sprache unter den vielen Ansprachen. Vieles von dem, was er sagt, ist heute immer noch gültig. Bei manchem muss man sagen – leider. Seine Klage über den Stand des Glaubens kann man heute genauso hören. Und die Notwendigkeit, Kindern Unterstützung und Heimat in einer Einrichtung, in einem Rettungshaus zu geben, besteht immer noch – trotz allem materiellen Reichtum in unserem Land. „Des Menschen Sohn ist ge- Das alte Heimgebäude in den 1950er-Jahren kommen, zu suchen und se- lig zu machen, was verloren ist.“ So übersetzt Luther. keiten zu entdecken und zu entwickeln, zur Ruhe zu Ich bin Exegetin. Deshalb habe ich nachgeschaut, kommen, manche auch Heilung zu finden. Und ihnen was da auf Griechisch steht. Und da heißt es: „Des damit die Chance zu geben, einen Platz in der Gesell- Menschen Sohn ist gekommen, zu suchen und zu schaft zu finden, für sich selbst sorgen zu können. retten, was verloren ist.“ Wie schwer das mitunter sein kann, davon erzählen Mit diesem Vers wird die Geschichte von Zachäus alle Ansprachen bei der Einweihung des Rettungs- abgeschlossen. Und diese Geschichte macht deut- hauses. Von Frust, auch wenn das damals nicht so lich, was Lukas unter Rettung versteht. Die Rettung benannt wird, von dem Gefühl, sich vergeblich zu bezieht sich vor allem auf das Leben hier und jetzt: mühen, aber auch von der Freude, wenn eine Ent- Zachäus wird gesehen, wie er da auf seinem Baum wicklung positiv verläuft, ein Kind seinen Weg findet. hockt und vergeblich versucht hat, in die Nähe von Jesus zu kommen. Er wird gesehen, in seiner Not Den Gründungsvätern war es in erster Linie wichtig, und als Mensch – und er findet dadurch zurück in für das Seelenheil zu sorgen. Dazu war die Sorge für die Gemeinschaft, die er verloren hat. Das ist Ret- das leibliche Wohl eine Voraussetzung, aber sie woll- tung. Eine Rettung, die sich auf unser Leben hier ten vor allem dafür sorgen, dass die Kinder das, was bezieht, im Hier und Jetzt, nicht auf ein Leben nach sie in der Taufe geschenkt bekommen haben, nicht dem Tod. verlieren: Die Gnade Gottes, das ewige Leben. So haben sie das „selig machen“ verstanden. Denn wie „Zu suchen und zu retten, was verloren ist“ – das sollen die Kinder davon erfahren, wenn niemand da beschreibt immer noch zutreffend die Aufgabe der ist, der es ihnen erzählt? Deshalb war Bildung wich- Tüllinger Höhe: Jungen Menschen eine Heimat auf tig, musste überhaupt erst einmal Wissen über den Zeit zu geben, in der sie den Raum haben, ihre Fähig- Glauben vermittelt werden. Tüllinger Blätter Ausgabe 21 | Dezember 2020 | 5
Tüllinger Höhe, Fachdienst für Kind und Familie Das Rettungshaus sollte deshalb nicht nur für eine gute Erziehung sorgen, sondern auch für einen tragfähigen Glauben. Mit der Konfirmation endete der Aufenthalt und die Jugendlichen kamen in Stellung oder in Ausbildung bei Bauern und Handwerkern. Und bis dahin musste auch die Grundlage für ein christliches Leben gelegt sein. Heute ist nur noch ein Bruchteil der Kinder hier getauft, nur weni- ge nehmen an der Konfirmation teil. Der Religionsunterricht ist, wie damals, religiöse Grundbildung. Bei der Vorbereitung der Gottesdienste zum Sommerfest haben wir immer wieder gemerkt, dass solche grund- Oktober 2020: Das neue Gebäude fügt sich in seine Umgebung ein legenden Dinge wie das Vaterunser unbekannt sind, aber die Kinder auf der anderen unseres Könnens und unserer Kräfte zu kommen, die Seite mit Begeisterung und großem Engagement Verheißung Gottes gilt, wie sie Johannes in Worte die Gottesdienste mitgestaltet haben. Erfahrungen, gefasst hat – und damit schlage ich die Brücke zum die hoffentlich irgendwann Früchte tragen. Denn wir vergangenen Sonntag, dem Ewigkeitssonntag: können nur Wissen vermitteln. Dass daraus Glaube wächst, das ist ein Geschenk, eine Gabe. Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, Jetzt wird ein neues Haus gebaut – damit die Arbeit noch Leid noch Geschrei noch Schmerz gut weitergehen kann. Manche Hoffnungen verbin- wird mehr sein; den sich damit, weniger Reibungsverluste im Alltag, denn das Erste ist vergangen. weniger Unterhaltskosten, das freut den Wirt- Und der auf dem Thron saß, sprach: Siehe, schaftsprüfer, weniger Energieverbrauch, das ist gut ich mache alles neu! für die Umwelt, mehr Raum für Beratung und Be- gleitung. Alles wichtige Bedingungen, die wir in der Bauen wir das neue Haus im Vertrauen auf Gott. Hand haben. Die wir gestalten können und sollen, damit möglichst viele Kinder und Jugendliche eine Amen Chance bekommen auf ein besseres Leben. Aber ob es gelingt, das haben wir nur zum Teil in der Hand – und da kommt unser eigener Glaube ins Spiel: Das Dr. Beate Schmidtgen Vertrauen darauf, dass Gott vollendet, was begon- Pfarrerin nen ist, dass Gott heilt, was wir nicht heilen können, Leiterin der Ev. Erwachsenenbildung dass Gott neues Leben schenkt. Und dass auch Hochrhein-Markgräflerland dann, wenn wir das Gefühl haben, an die Grenzen Lörrach 6 | Tüllinger Blätter Ausgabe 21 | Dezember 2020
Heilpädagogische Wohngruppen Sommer, Sonne, Gruppenferien Wir lassen uns den Sommer nicht vermiesen! Gruppenferien 2020 gen? Was sind möglicherweise Alternativen? Was Die Ferienfreizeiten sind ein fester Bestandteil im machen wir, wenn in den Sommerferien niemand Jahreszyklus der Wohngruppen und besonders die fahren darf? großen Freizeitmaßnahmen in den Sommerferien sind immer ein Highlight und ein schöner Ausklang Die geplanten Freizeitmaßnahmen in den Pfingstferien des Schuljahres. wurden allesamt abgesagt und teilweise interessante Alternativen (zum Beispiel Zelten im Garten vor dem Einerseits bieten die Gruppenferien die Möglichkeit, Gruppenhaus) gefunden. Im Zuge der Lockerungen dass sich die Kinder und Jugendlichen mit den päda- konnten die Gruppenferien in den Sommerferien glück- gogischen Fachkräften in einem anderen Rahmen licherweise stattfinden. Jeweils zwei Wohngruppen als im pädagogischen Wohngruppenalltag erleben sind – in enger vorheriger Absprache mit den Eltern der und anderseits stehen die Gruppenferien auch Kinder und Jugendlichen, sowie der Pädagogischen immer für kulturelle Erfahrungen, für gemeinsame Leitung – nach Italien gefahren, eine Wohngruppe war Erlebnisse und auch für eine wohlverdiente Auszeit am Bodensee und von den anderen Gruppen wurde der vom zum Teil doch recht anstrengenden zurücklie- nahe Schwarzwald, der Westerwald und das Emsland genden Schuljahr. in Niedersachsen angesteuert. Es sind alle - mit einer Ausnahme (siehe unten) – gesund wiedergekommen. Die Mitarbeitenden der Wohngruppen beginnen in der Regel schon Monate im Voraus mit der Planung. Die Ferienfreizeiten in den Sommerferien sind Jahr für Die Ferienhäuser müssen oft schon im Herbst des Jahr ein Erlebnis. Ich bin sehr froh, dass die Kinder, die Vorjahres für den Sommer gebucht werden. Jugendlichen und die Mitarbeitenden auch in diesen Auch in den ersten Monaten des Jahres 2020 lief herausfordernden Zeiten diese Erfahrung machen die Planung der Gruppenferien auf vollen Touren. konnten! Häuser wurden gebucht, Ausflugsziele recherchiert, Fahrzeuge reserviert, die Personalplanung war im Im Folgenden lesen Sie Berichte aus den Gruppenferien Gange... und dann war aufgrund der Pandemie mit (von den Kindern und Jugendlichen geschrieben). Es den bekannten Auswirkungen und Einschränkun- ist interessant und irgendwie auch schön, dass recht gen alles mit einem riesengroßen Fragezeichen selten Begriffe rund um die Pandemie auftauchen. versehen. Dürfen wir denn überhaupt noch wegfah- ren? Können wir ggf. das Haus stornieren? Müssen Carsten Panse wir die Gruppenferien in den Pfingstferien absa- Bereichsleitung Heilpädagogische Wohngruppen Wohngruppe Haus 106 erste Nacht haben wir alle überlebt, allerdings war Da wir wegen Corona nicht in unser tolles Haus fah- der Morgen nicht angenehm, da die Sonne dezent ren konnten, haben wir in den Pfingstferien beschlos- heiß auf unsere Zelte gestrahlt hatte. Manch einer sen, dass wir, also die Kinder von beiden Häusern, die der Gruppenmitglieder hat das Prinzip des Flüsterns nicht heimfahren konnten, draußen im Garten zelten. nicht verstanden. Nach einem ausgiebigen Frühstück Dafür haben wir 5 Zelte in mühsamer Handarbeit auf- begannen wir selbstgemachte Pasta zu machen, was gebaut und eingerichtet. Unsere erste Aktion war ein sich als sehr arbeitsintensiv herausstellte. Als wir die Ausflug zum Tierpark Mundenhof. Am Abend muss- Pasta zum Trocknen ausgelegt hatten, starteten wir ten wir alle duschen, weil wir nach Ziege gerochen Richtung Todtmoos. Dort begannen wir unsere Fluss- haben. Anschließend wurde ausgiebig gegrillt. Die wanderung in der Wehra. Diese ähnelte eher einer Tüllinger Blätter Ausgabe 21 | Dezember 2020 | 7
Heilpädagogische Wohngruppen Rutschpartie auf dem Eis. Der Sinn und Zweck des re Zelte abbauen. Alles in allem waren es schöne aber Ganzen, eine Abkühlung zu bekommen, wurde erfüllt zu kurze Gruppenferien. und die Landschaft war wirklich schön. Als wir zu- rückkehrten gab es eine riesige Pastaparty. An diesen Wohngruppe Haus 115 Abend erwartete uns noch eine Nachtwanderung mit In den Sommerferien waren wir zwei Wochen in Italien. Fackeln und einem gemütlichen Lagerfeuer an der Wir hatten ein Ferienhaus in dem Ort Triora, der zu der Daurhütte. Am Feuer genossen wir ein Sandwich be- Provinz Imperia in Ligurien gehört. Unser Haus sah stehend aus Butterkeksen, Marshmallows und einem nicht sehr groß aus, aber war so verwinkelt, dass es Kinderriegel. Anschließend gab es noch eine Mutpro- genügend Platz für uns alle geboten hat. Es gab zwar be durch den finsteren Wald. Die übliche Morgenrou- drei Duschen aber kein warmes Wasser. Das bedeutete tine alle zu wecken übernahmen unsere Flüsterspezia- jeden Abend kalt duschen. Das Haus hatte einen kleinen listen. Das Highlight begann in Weitenau. Wir durften Garten, der für gesellige Spieleabende aber vollkom- eine Wanderung mit Lamas und Schafen antreten. men ausreichte. Die Küche hatte einen Herd der für zwei Stromausfälle gesorgt hat. Jedes Mal, wenn mehr als drei Herdplatten genutzt wurden, hat es die Sicherung rausgehauen. Wir hatten keinen Pool aber dafür einen Fluss in der Nähe, der Taggia heißt und oft von uns ge- nutzt wurde. Dadurch, dass kein direkter Weg zum Fluss führte, mussten wir manchmal ein kleines Stück über Stock und Stein zu Fuß gehen. Für den Fluss hatten wir auch Luftmatratzen, die aber nicht lange gehalten haben. An einem Tag machten wir eine Wanderung zu einem Stausee, in dem wir eigentlich baden wollten, doch das war nicht erlaubt und dadurch sind wir noch auf den Gipfel gelaufen. Wir waren auch dreimal am Meer und haben direkt auf dem Rückweg noch einge- kauft, weil unser Haus eine Dreiviertelstunde von Arma di Taggia, der nächst größeren Stadt entfernt war und damit auch von sämtlichen Einkaufsläden. Wir haben einen Tagesausflug nach Monaco, einer sehr luxuriösen Auf Wandertour in bester Begleitung Stadt, die zwischen Frankreich und Italien liegt, ge- macht. Bekannt ist Monaco für die vielen teuren Autos Jedes Lama hatte zwei Jugendliche als Begleitung der reichen Leute. Von Porsche bis Bentley konnten wir dabei. Die Schafe sind wild um uns herumgerannt und alles bestaunen. Auf der Rückfahrt nach Deutschland ist mussten ab und zu zurück zur Herde gebracht werden. noch einer von uns aus dem stehenden Auto gefallen Zu Hause angekommen haben wir unfassbar viele Ble- und hatte sich am Kopf verletzt. Somit haben wir die che Flammkuchen selber gemacht und verzehrt. Der Ferien mit einem Krankenhausbesuch beendet. Schön Abend wurde mit einem Freiluftkino, in dem Forrest war’s trotzdem. Gump lief, mit Chips und anderen Leckereien abge- rundet. Am letzten Morgen wurde uns ein türkisches Wohngruppe Südhaus Frühstück der Extraklasse serviert. Nachdem unsere Wir, die Gruppe Südhaus, waren in den Gruppenferien Bäuche vollgeschlagen waren, mussten wir noch unse- in einem kleinen Ort namens Niederirsen im Wester- 8 | Tüllinger Blätter Ausgabe 21 | Dezember 2020
Heilpädagogische Wohngruppen Wasser zu dürfen ein Armband tragen, da die Anzahl der Personen im Wasser dadurch geregelt wurde. Die Armbänder wurden am Beckenrand ausgegeben und wer kein Band hatte durfte nicht ins Wasser und musste warten, bis wieder ein Armband „frei“ war. Im Affen- und Vogelpark, einem Tier und Freizeitpark, wo wir ebenfalls waren, musste man die Maske (wie bei vielen anderen Ausflügen) nur im Eingangsbereich und in den Innenräumen tragen, im Freigelände nicht. Wir hatten daher kaum Einschränkungen. Die Affen im Park durften nicht wie sonst direkt gefüttert werden, das Futter konnte man nur durch Rohre ins Gehege rutschen lassen. Zu den Ziegen durfte man in das Gehege und sie füttern. Die Ziegen haben die Abstand- regelung definitiv nicht eingehalten und uns das Futter Campingurlaub zuhause, mit schönem Blick in die Schweiz samt Tüte aus den Händen gerissen. Natürlich muss- wald. Wir hatten ein Haus direkt am Wald- um uns ten wir beim Einkaufen Maske tragen, aber das waren herum nichts außer Bäume. Das Haus lag so abge- wir ja schon gewohnt. Wir hatten viel Spaß und trotz schieden, dass es nicht einmal Handyempfang gab. Corona schöne Ferien. Auf dem Grundstück hat im Nebenhaus der Vermie- ter mit seiner Familie gelebt. Alle waren sehr nett. Außerdem haben Hund, Hasen, Ziegen und Hühner dort gelebt und wir durften mit den Tieren spielen, sie streicheln und haben sogar ab und zu frische Eier geschenkt bekommen. In und um das Haus herum hatten wir keinerlei Einschränkungen durch Corona. Bei den vielen Ausflügen, die wir gemacht haben, sah das etwas anders aus. Aber wir waren trotzdem sehr froh, dass wir mal wieder Ausflüge machen konn- ten. Wir waren wandern (unsere Erzieher nannten es spazieren gehen), wir waren im Schwimmbad, im Bau´ an Deiner Zukunft! Bergwerk und im Tier- und Freizeitpark usw.. Je nach Bundesfreiwilligendienst, Ausflug hatten wir durch Corona verschiedene Aufla- Freiwilliges Soziales Jahr gen. Beim Wandern im Wald hatten wir natürlich keine im Schulkindergarten, in einer Wohngruppe oder Einschränkungen. Im Schwimmbad war das anders. in einer Tagesgruppe. Von Bad zu Bad gab es Unterschiede. Angefangen bei Für das Schuljahr 2021/2022 sind noch Plätze frei. der Art der Buchung bis hin zum Tragen der Maske. Weitere Informationen erhalten Sie über unsere Manchmal konnte man nur Online vorab buchen und Website: www.tuellingerhoehe.de bezahlen, bei manchen Schwimmbädern direkt bar Wir freuen uns auf Ihre Bewerbung an: bezahlen. Bei einem Schwimmbad musste man die mail@tuellingerhoehe.de Maske im Eingangsbereich und auf der Toilette tragen, Tüllinger Höhe Fachdienst für Kind und Familie e.V., Obertüllingen 112, 79539 Lörrach in einem anderen Schwimmbad musste man um ins Tüllinger Blätter Ausgabe 21 | Dezember 2020 | 9
Sonderpädagogisches Bildungs- und Beratungszentrum Unterricht in Corona-Zeiten Hauptsache an der frischen Luft – auch wenn’s stinkt „Außergewöhnliche Umstände erfordern außergewöhnliche Maßnahmen“ – das in letzter Zeit viel bemühte Sprichwort mag zur Platitude geworden sein. Standen doch wir alle – und alle heißt tatsäch- lich alle – vor der Herausforderung, ein grassierendes Virus an seiner weite- ren Verbreitung zu hindern oder doch zumindest darin zu verlangsamen. Das öffentliche Leben war und ist noch immer starken Einschränkungen unterworfen. So mussten auch die Bildungseinrich- tungen außergewöhnliche Maßnahmen ergreifen, um den außergewöhnlichen Umständen zu begegnen. An der Tüllin- ger Höhe standen wir vor der zusätzlichen Herausforderung, dass manche unserer Schutzbefohlenen in unseren Wohngrup- pen in Obertüllingen, andere wiederum Erstaunlich, was unsere zwei Ponys produziert haben bei ihren Eltern wohnen. Während der Großteil unserer „Auswärtigen“ zu- zu einer ungefähr 300 m entfernten Obstwiese. Dort hause bleiben musste und über E-Mail oder Telefon brachten wir sie als wertvollen Dünger aus. Bei unterrichtet wurde, hielten wir den Unterricht für keinem Wandertag war die Begeisterung über die unsere Wohngruppen-Schüler zum großen Teil mit zurückgelegte Wegstrecke so groß wie bei dieser Ak- Außenprojekten aufrecht. Wir stellen hier exempla- tion. Die Beteiligten versuchten sich gegenseitig mit risch einige unserer Aktivitäten vor, die wir ab Mitte der Anzahl der beförderten Fuhren zu übertreffen. Die März unternommen haben. einzelnen Schubkarren fassen 80 Liter. Das Gewicht des stark verdichteten Mists beträgt knapp 700 kg/m3. Mist als Dünger auf der Obstwiese Die rekordverdächtige Leistung einer Schülerin belief Auf dem Gelände der Tüllinger Höhe leben zwei sich auf 63 (!) Fuhren. Ohne von den betreuenden Pferde, die Isländer Baldur und Klerkur. In den ver- Lehrern dazu ermuntert worden zu sein, fingen die Ju- gangenen zwei Jahren hat sich aus ihrem Stall ein gendlichen zu rechnen an: Wegstrecken, Rauminhalte, ansehnlicher Haufen Mist von mehreren Kubikmetern Gewichte, Hochrechnungen über noch zu bewegende angesammelt, der hinter unserem Reitplatz aufge- Volumina und die dabei umgesetzten Kalorien. häuft worden war. Besucher, die sich vom Lindenplatz her der Tüllinger nähern, wurden beim Betreten des Bau eines Sandkastens für unseren Schulkindergarten Geländes gewissermaßen von den Hinterlassenschaf- Der Schulkindergarten der Tüllinger Höhe hatte ten Baldurs und Klerkurs begrüßt – für empfindliche einen kleinen Sandkasten, der nur für wenige Kin- Nasen kein allzu erfreulicher Eindruck. Wir, die Schü- der Platz bot. Daher sollte ein großer Sandkasten lerinnen und Schüler der Klasse 7 und das zugehörige geschaffen werden, in dem viele Kinder gleichzeitig Lehrerteam, beluden mit Schaufeln und Mistgabeln graben und bauen können. Der bereits bestehende Schubkarren und transportierten die duftende Fracht kleine Kasten am unteren Ende des Grundstücks 10 | Tüllinger Blätter Ausgabe 21 | Dezember 2020
Sonderpädagogisches Bildungs- und Beratungszentrum sollte zum Haus hin verlängert werden. Da das Schuljahr erntete die fleißige Truppe die sonnenrei- Gartengrundstück am Hang liegt, wurde der Sand- fen Früchte. 200 kg behielt die Tüllinger Küche für kasten in zwei weiteren Stufen angelegt. Gesägte die hausinterne Produktion von Apfelmus zurück. Eschenstämme gaben die Maße für die Außenbe- Den Großteil, ca. 400 kg, brachten wir an einem grenzung. Die bewährte Gruppe aus Lehrkräften Schulvormittag zum Mostmobil, für das wir an und Jugendlichen machte sich mit Spitzhacken, diesem Tag einen Termin in Steinen hatten. Das Spaten und Schaufeln an die Arbeit. Der über Mostmobil wird von einem in der Nähe von Bad Jahrzehnte festgetretene Boden war stark mit den Krozingen ansässigen Obstsafthersteller betrieben. Wurzeln des in der Nähe stehenden Kirschbaumes Auf der mobilen Saftpressanlage wird das angelie- durchzogen und konnte daher nur unter großer An- ferte Obst nicht nur sofort gepresst sondern auch strengung abgetragen werden. Die Tiefe der Grube gleich pasteurisiert und so der Saft vor Vergärung reicht von 20 cm am unteren Ende bis zu 40 cm am geschützt. Der fertige Saft wird an Ort und Stelle oberen. Die ausgehobene Grube wurde mit schwar- in 5-Literbeutel abgefüllt. Im Verlauf des Mostens zer Gartenfolie ausgelegt und anschließend mit hielt der Fahrer eines teuren SUVs bei uns an und 3 m³ feinem Sand gefüllt. Sowohl den Jugendlichen fragte, ob er eine große Kiste Äpfel von uns kaufen als auch den Lehrern machte die Arbeit am Sand- könne. Er sei bereit, 5,- € (!) zu bezahlen. Dieses kasten Spaß und es entwickelte sich ein beinahe Angebot mussten wir ausschlagen, da wir einen schon spielerisches Miteinander. möglichst hohen Ertrag an Saft erzielen wollten. Am Ende stellte sich heraus, dass wir 39 der Beutel Apfelernte und Mostpressen füllen konnten. Ein Ehepaar, das den Mosttermin Am Südhang des Tüllinger Berges stehen alte nach uns hatte, überließ uns dankenswerterweise Apfelbäume, die noch aus der Zeit stammen, in einen von ihren 5-Literbeuteln, so dass wir tatsäch- der unsere Einrichtung eine eigene Landwirtschaft lich mit 200 Litern Apfelsaft beladen nach Tüllingen betrieb. Während der ersten beiden Wochen im zurückkehren konnten. Diese und viele andere Erlebnisse machten und machen diese für Alle schwierige Zeit zu einer Phase nicht nur der Einschränkungen sondern auch der positiven Erfahrungen. Lehrende und Lernende sind sich auf weit über den schulischen Kontext hinausreichenden Betätigungsfeldern begegnet. Das hat aber das schulische Lernen nicht etwa behindert. Durch die erfolgreichen ge- meinsamen Aktionen konnte darüber hi- naus soziales Lernen stattfinden, wie es ohne die Corona bedingten Restriktionen wahrscheinlich nicht stattgefunden hätte. Klaus Streicher Vor dem Pressen werden die faulen Äpfel aussortiert Klassenlehrer Tüllinger Blätter Ausgabe 21 | Dezember 2020 | 11
Neubauvorhaben Haus 111 Reihe links: Der Baufortschritt von Westen her gesehen Reihe rechts: Der Baufortschritt von Osten her gesehen Planung und Bauleitung Böttcher & Riesterer Architekten Partnerschaft 79588 Efrin Partnerschaft 79588 Efringen-Kirchen Friedrich-Rottra-Straße 64 Tel. 07628-8055010 12 | Tüllinger Blätter Ausgabe 21 | Dezember 2020
Neubauvorhaben Haus 111 Unser neues Zentrum nimmt Form an Die Vorfreude auf den Einzug wächst täglich Neubau am 20.10.2020 Die Arbeiten auf unserer großen Baustelle mitten in Daten zum Neubauvorhaben Obertüllingen schritten aufgrund des milden Winters „Heilpädagogisches Zentrum“ und des trockenen Herbstes gut voran. Im Juli konn- Bauzeit: September 2019 – Juni 2021 ten wir in coronabedingt bescheidener Besetzung Nutzfläche: 1500 qm Richtfest feiern. Danach kamen die Fenster und aktu- Kosten: 4,69 Mio €, inkl. Abbruch ell erfolgt der Innenausbau. Über die Weihnachtszeit und Außenanlagen soll dann der frisch verlegte Estrich in Ruhe trocknen Architekten: Böttcher und Riesterer, können. Die Kinder und die Mitarbeitenden sind Efringen-Kirchen guten Mutes, dass wir im Juli in den großzügigen Neubau einziehen können. EG: Empfang, Elternsprechzimmer, Schülerfir- ma, Werkstatträume, Hauswirtschaft Neben einem großen Lob für die Bauhandwerker, 1. OG: 3 Tagesgruppen, Tagesgruppenleitung, Architekten und Ingenieure für ihre gut koordinierte Besprechungsräume Arbeit bedanken wir uns auch herzlich bei vielen Le- 2. OG: Psychologischer Fachdienst, Heilpäda- serinnen und Lesern, die unserem Spendenaufruf im gogische Einzelförderung, Mediathek, letzten Heft gefolgt sind. Sie helfen mit kleinen und 1 Tagesgruppe großen Beiträgen mit, dieses für unseren Verein sehr UG: Lagerräume herausfordernde Projekt zu realisieren. Außen- Bewegungs- und Spielfläche, Bühne, bereich: Gartenbeete, Jugendraum Wir bitten auch weiterhin um Unterstützung und suchen Sponsoren für Bäume, Außenbänke, Schaukeln, zwei Holzpodeste, Einrichtungsgegenstände und Werkzeuge für zwei Werkstätten. Ebenso freuen wir uns über jede Unterstützung zur Bewältigung der allgemeinen Baukosten. Tüllinger Blätter Ausgabe 21 | Dezember 2020 | 13
Heilpädagogische Tagesgruppen Ein außergewöhnliches Jahr Wenn uns das jemand vorher gesagt hätte ... In den Tagesgruppen war in diesem Jahr fast alles an- schäftigungsmaterial ausgestattet und dann ... ders und ungewöhnlich! In Vorfreude auf die Rückkehr – dann wurde es richtig außer- und ungewöhnlich. in den großzügigen und modernen Neubau verließen Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Tages- wir im Juli 2019 unsere Tagesgruppenwohnungen im gruppen unterstützten die Lehrer in der Schule (die alten Haus 111. Den Umzug in die Übergangsgruppen Wohngruppenkinder hatten Präsenzunterricht) und hatten wir bewältigt, wir hatten ausgemistet und was waren in der Notgruppe, die unmittelbar nach dem nicht unbedingt gebraucht wurde oder keinen Platz Lock-Down am 18. März startete, eingesetzt. in den Interimsräumlichkeiten gefunden hatte, wurde Den größten Teil der Arbeit nahm jedoch die Eltern- katalogisiert und sicher eingelagert. und Familienarbeit ein. Telefonisch, per E-Mail oder mit Videotelefonie wurden die Kontakte zu den Eltern Ein Hauch von Alltag hatte sich eingestellt. und den Kindern gehalten und intensiviert. Es gab Die Planungen für die täglichen Abläufe waren den Vorlesezeiten am Telefon, Bastelvorschläge, die über Gegebenheiten, die sich durch die räumliche Verände- Briefkästen zu den Kindern gelangten und Anregun- rung ergeben hatten, angepasst. Die sich allmählich gen für Sport und Spiel im häuslichen Umfeld. wieder einstellenden Routinen gaben den Kindern Koch- und Backrezepte für und mit Kindern machten und Jugendlichen und nicht zuletzt auch den Erwach- die Runde und die Eltern wurden angeregt, den Tag senen Sicherheit. Die Neuntklässler bereiteten sich zu strukturieren und Abläufe sowie Rituale einzufüh- auf ihre Abschlussprüfung vor, die Grundschüler lern- ren bzw. beizubehalten. ten fleißig lesen und schreiben und in den Gruppen Zwei- bis dreimal wöchentlich waren unsere Päda- wurde gespielt, gesungen, gewandert, Sport getrie- gogen mit den Eltern im Kontakt. Schwierige und ben, gelacht, gestritten, gebastelt und, und, und ... problematische Situationen in den Familien konnten Außergewöhnlich war einzig, dass Frau Isemann, so bearbeitet werden. In Krisensituationen haben wir unsere langjährige Schulleiterin, sich Ende Februar Kinder in unsere Notgruppen aufgenommen und es in den Klassen von den Kindern und Jugendlichen fanden regelmäßige Absprachen mit den Fachkräften verabschiedete. Einige Kinder haben automatisch des Jugendamtes statt. angenommen, dass ich als Tagesgruppenleitung nun ebenfalls in den Ruhestand gehen würde. Und dann Sehr außergewöhnlich: kam Corona. Jetzt war es vorbei mit der Routine! Die Osterferienfreizeit musste abgesagt werden und es wurde festgelegt, dass auch die Ferienfreizeiten im Die Tagesgruppen hat der Lock-Down einen Tag Sommer anders stattfinden müssen. Tägliche Ausflü- früher erreicht. ge, Fahrradtouren, Grillen an unterschiedlichen Orten Das Busunternehmen, das unsere Kinder am Morgen und Plätzen, Wanderungen rund um den Dinkelberg holt und am Nachmittag wieder nach Hause fährt, und Spiel und Spaß auf unserem Sportplatz wurden konnte aufgrund der Pandemie den Fahrdienst nicht von den Kindern und Jugendlichen gut angenommen mehr gewährleisten. Es kamen am 16. März also nur und haben allen Beteiligten viel Freude bereitet. die Kinder und Jugendlichen, die den Weg selbststän- dig bewältigen oder aber von ihren Eltern gebracht Außergewöhnlich überrascht waren wir auch, wie werden konnten. unkompliziert unsere Mädchen und Jungen mit der Maskenpflicht (zunächst in den Bussen unseres Jetzt wurde es außergewöhnlich: Fahrdienstes) umgegangen sind. Wir hatten Befürch- Alle Eltern wurden zur Situation und zum weiteren tungen, die von „vermummten Rollenspielen“ bis hin Vorgehen informiert, die Kinder mit Schul- und Be- zu Verweigerungen gingen. Die Frage, wie wir damit 14 | Tüllinger Blätter Ausgabe 21 | Dezember 2020
Heilpädagogische Tagesgruppen umgehen, hat sich erfreulicherweise nicht gestellt. Ja und außergewöhnlich war auch, dass ich mich Die Kinder sind, bis auf sehr wenige Ausnahmen, als Tagesgruppenleitung in meinem Büro unter dem außergewöhnlich entspannt mit den Vorgaben der Dach des Hauses 107 so weit weg vom Geschehen Maskenverordnung zurechtgekommen. der Tagesgruppen fühlte und deshalb noch einmal Ganz erstaunlich – und auch damit hatten wir nicht meine Siebensachen zusammengepackte und erneut unbedingt gerechnet – sind die Kinder und Jugend- umgezog. Meine Arbeit erledige ich nun wieder mit- lichen mit dem Wechsel in andere Gruppen (die ten in Obertüllingen – erfreulicherweise nicht mehr notwendig wurden, um eine Vermischung zwischen so weit entfernt von den Kindern, Jugendlichen und Klasse und Gruppe zu vermeiden) umgegangen. Au- Mitarbeitenden, sondern mitten im Geschehen. ßergewöhnlich unkompliziert. Der Außergewöhnlichkeiten nun genug – zu berichten Und außergewöhnlich ungewohnt waren die Auf- wäre noch von einem außergewöhnlichen Erntedank- enthalte im Freien. Jede Gruppe hatte vorgegebene fest, das als Gruppenaktivität in Form einer Herbst- Zeiten und Plätze zum Toben, Spielen und anderen wanderung durchgeführt wurde. Beschäftigungen im Freien. Erstaunlich wie gut diese Regelungen angenommen wurden. Und wie wird die Adventszeit ohne gemeinsames Singen, ohne gemeinsame Feiern und ohne Weih- Aber es gab auch Außergewöhnliches, das nicht mit nachtsmärkte? der Pandemie in Verbindung stand und steht. Unser neues Haus 111 wuchs und wächst und die Baustelle Ein außergewöhnliches Jahr liegt hinter uns und ein ist ständig in Betrieb. Unsere Kinder und Jugend- unbekanntes neues Jahr liegt vor uns. Letzteres ist lichen gehen mit den Einschränkungen durch die allerdings nun wirklich nichts Außergewöhnliches! Baustelle trotz allem gelassen um. Die Jüngeren ver- folgen teilweise fasziniert das rege Treiben des Krans, Bärbel Waldhausen der Bagger und der Lastwagen. Leitung Heilpädagogische Tagesgruppen Hornberger Druck GmbH Belchenstraße 8 D-79689 Maulburg Tel. +49 (0) 76 22 / 68 66-0 www.hornberger-druck.de Tüllinger Blätter Ausgabe 21 | Dezember 2020 | 15
Außenstelle Beuggen Wie aus der Not ein kleines Paradies entstand Die Neugestaltung des Beuggener Gartens Als ab Mitte März viele unserer Tages- gruppenkinder plötzlich nicht mehr zur Schule kommen durften, war die allge- meine Verunsicherung angesichts der epidemiologischen Lage ganz in unserem pädagogischen Alltag angekommen. Wie lang würde dieser Ausnahmezustand dauern? Was kommt da noch auf uns zu und was ist jetzt zu tun? Die Auseinan- dersetzung mit diesen Fragezeichen und Unsicherheiten öffnete uns den Blick für das, was in dieser Situation möglich war und sich anbot. Neben der Begleitung der Kinder und Eltern per Telefon und E-Mail widmeten wir uns nun Ideen und Projekten, die im Was man aus einer alten Hütte machen kann! dichten normalen Alltag nur zögerlich vorankommen konnten. So gingen wir daran, das Gar- Anstrich samt farblich abgesetzter Dachumrandung ten- und Spielgelände umzugestalten. Der Sandkasten und wurde schließlich ebenfalls mit einem Stauden- wurde neu angelegt, vergrößert und zum Teil mit einer beet umrahmt. Für die Einfassung der Staudenbeete Bruchsteinmauer eingefasst, neuer Lebensraum für verwendeten wir wieder die schönen hellen und Eidechsen geschaffen. Die zuvor bis zum Schulhaus eidechsenfreundlichen Dinkelberger Bruchsteine. reichende etwas eintönige Rasenfläche wurde durch ein neu angelegtes Staudenbeet belebt. Es war wun- Hinter der Gartenhütte hatten wir bereits einen Kom- derschön, wahrzunehmen, wie sich hier einige Wochen posthaufen angelegt, in dem in den vorhergehenden später bereits ein von Schmetterlingen, Bienen und Monaten eine Vielzahl von Regenwürmern und ande- verschiedensten anderen Insekten umflattertes buntes ren kleinen Helfern in bestens abgestimmter Team- Farbenspiel entfaltete. arbeit dafür gesorgt hatten, dass Laub, Rasen- und Grünschnitt sich zu duftender Erde für unsere Beete Als dann schon nach wenigen Tagen im Rahmen der verwandelten. Die Vogelnestschaukel, als sehr belieb- Notbetreuung und der alternierenden Beschulung wie- ter und wohltuender Anziehungspunkt für die Kinder, der zunehmend Kinder nach Beuggen zurückkamen, bekam ein neues Bett aus frischem Rindenmulch. war es naheliegend, sie in die Projekte einzubeziehen. Unser Werklehrer baute mit ihnen einen farbenfrohen Uns Kolleginnen und Kollegen hat es gut getan, ins Zaun zur Einfriedung des entstehenden kleinen Hütten- gemeinsame Tun und Gestalten zu kommen, gemein- dorfs, indem die Kinder die Möglichkeit bekamen, sich sam etwas Sichtbares und Schönes für die Kinder im Sägen, Hämmern und Bauen unter Aufsicht auszu- zu erschaffen und es zusammen mit ihnen dann zu probieren und sich als wirksam zu erleben. vollenden. Auch der verwitterten Gartenhütte wurde neues Leben Einer Ecke des Gartens mit verwilderten Beeten und eingehaucht. Sie bekam einen neuen himmelblauen einer Kräuterspirale hatten sich schon seit letztem 16 | Tüllinger Blätter Ausgabe 21 | Dezember 2020
Außenstelle Beuggen Herbst zwei Jungen der Torhausgruppe angenom- Viele unserer Kinder in Beugen haben bereits die men. Mit unglaublichem Eifer und Durchhaltevermö- Erfahrung gemacht, dass wir nicht in einer heilen gen schafften sie es, den ehemaligen Gemüsegarten Welt leben. Und mit dieser Erfahrung stehen sie ge- wieder zu kultivieren. Sie entfernten Brennnesseln wiss nicht allein. Vielleicht spiegelt der Lebensraum und andere Wildkräuter, schnitten Sträucher, gruben „Garten“ die Sehnsucht und den hoffnungsvollen den Boden um, verlegten Wegplatten und pflanzten menschlichen Versuch wider, ein Stück Welt zu hei- schließlich Setzlinge ein. Unser Grundstück glich len und selbst darin heil, das heißt ganz zu werden, an schönen Tagen einem mittelgroßen Garten- und Vertrauen ins Leben zu finden, sich mit der Erde Landschaftsbaubetrieb. Die Nachbarn waren von den und den Mitgeschöpfen zu verbinden, Boden unter emsig schaffenden Jungs so begeistert, dass sie sie die Füße zu bekommen und so auf seinen eigenen prompt mit einer Tafel Schokolade bedachten und Beinen stehen und gehen zu können. deren Einsatz so anerkannten. Die aktuellen Herausforderungen in Bezug auf den Neben den beschriebenen, stark eingreifenden und Umgang mit der Corona-Krise, dem Klimawandel gestaltenden Aktivitäten war es uns auch wichtig, im und allen anderen globalen Veränderungsprozessen behutsamen Beschneiden von Büschen und Sträu- machen es nochmal deutlicher, wie wichtig die Rück- chern verschiedenste „Räume“ zu schaffen, die die bindung an unsere natürlichen Lebensgrundlagen Kinder zum Versteckspielen einladen oder einfach nur und -quellen sind, um Lebensmut zu finden und zu dazu, sich mal vor dem Trubel in eine bergende Blätter- behalten. höhle zurückzuziehen oder aber nur den Blick dorthin schweifen zu lassen und sich hineinzuträumen, je nach Jetzt aber schnell wieder zurück aus luftiger Gedan- Bedürfnis und Temperament. kenhöhe zum erdigen Beuggener Alltag! Neben dem Spielen und Werkeln im Garten gehen wir regelmä- Hier klingt schon an, wie stark das Draußen – in der ßig, jeden Montag, mit einer Gruppe in den Wald, Natur sein – auf Kinder (und nicht nur auf sie) wirken wo die Kinder Abhänge hoch und runter klettern, kann. Hütten bauen und sich einfach im Wald bewegen. Donnerstags bieten wir eine Natur-AG an, wo es Was bedeutet es auf einer tieferen Ebene für Kinder darum geht in verschiedenen natürlichen Lebens- draußen im Garten zu spielen und zu sein? Mein erster räumen mit allen Sinnen auf Entdeckungstour zu Gedanke dazu: „Das hängt ganz vom Garten ab. Es gehen. Wir merken deutlich, wie vielen unserer gibt solche und solche, pflegeleichte, gut zu kontrol- überwiegend bewegungsfreudigen Kinder diese lierende Schottergärten, sogenannte „Gärten des Angebote gut tun und ihnen helfen ihr seelisches Grauen“ (Ulf Soltau) oder aber möglichst naturnahe Gleichgewicht zu finden. Gärten, die einer vielfältigen Lebensgemeinschaft Entfaltungsraum bieten. Ein solcher Garten spricht alle Aus all den positiven Erfahrungen heraus sind wir wild Sinne an Riechen, Hören, Sehen, Tasten und Füh- entschlossen, mit den Kindern weiter am heilsamen len, bietet viele schöne Überraschungen und ist ein Puls des Lebens zu bleiben und die Verbindung mit lebendiger Ort. Es scheint mir für Kinder so elementar Garten und Natur zu pflegen. wichtig zu sein, sich in solchen Orten zu erleben und sich im Erleben mit dem Lebendigen zu verbinden. Es Christian Klaphake ist immer wieder zu beobachten, dass das Wesentliche Sozialpädagoge wie nebenbei und indirekt passiert. Leiter der Außenstelle Beuggen Tüllinger Blätter Ausgabe 21 | Dezember 2020 | 17
Eine Mitarbeiterin im Portrait Am meisten motivieren mich die Kinder selbst Persönliche Fragen – beantwortet von Eleonora Meister, M.Sc. Psychologin und Natur. Im Wald zu sein oder in den Bergen wandern zu gehen, die Ruhe, die ich in der Natur spüre, gibt mir viel. Dann gibt es noch Yoga, Musi- zieren (v.a. Klavierspielen) alleine und mit anderen, Tanzen, handwerkliche Tätigkeiten (v.a. Nähen oder Arbeiten mit Holz), Gärtnern, Kochen und Backen – das alles hilft mir, abzuschalten und aufzutanken. Und was natürlich nicht vergessen werden darf, ist die Zeit mit meinem Partner und meinen guten Freunden, mit denen ich Perspektiven wechseln, viel lachen und Freude haben kann, und dies bei ganz unterschiedlichen gemeinsamen Unterneh- mungen. Welcher Beruf (außer dem eigenen) wäre für Sie Was motivierte Sie, sich vor eineinhalb Jahren in noch interessant und warum? einer Jugendhilfeeinrichtung zu bewerben? Mein Kindheitstraum war es, in einer Schimpan- Ich habe bereits in meinem Studium mehrere Praktika sen-Aufzucht-Station zu arbeiten. Nach dem Abitur im Bereich der Arbeit mit Kindern mit Förderbedarf im sozial-emotionalen Bereich gemacht. Die Be- Eleonora Meister ist in der Nähe von Nürnberg auf- gegnungen mit den Kindern und Jugendlichen fand gewachsen. Nach einem Studium der Psychologie in ich stets spannend. Insbesondere die Möglichkeit, Bamberg, mit mehrmaligen längeren Unterbrechun- junge Menschen auf einem Stück ihres Lebenswegs gen aufgrund von Praktika, ging sie für ein halbes Jahr begleiten und fördern zu können, erschien mir schon nach Neuseeland, um auf ökologischen Bauernhöfen damals wertvoll. Darum freue ich mich, die Gelegen- mitzuhelfen und das andere Ende der Welt zu entde- heit dafür nun auf der Tüllinger Höhe zu haben. cken. Von dort aus bewarb sie sich für die ausgeschrie- bene Stelle in der Psychologisch-Therapeutischen-Ab- Was motiviert Sie im Ihren beruflichen Alltag? teilung der Tüllinger Höhe. Das Bewerbungsgespräch Am meisten motivieren mich die Kinder und Jugend- fand via Skype statt – eine Premiere für die Tüllinger lichen selbst. Es ist toll zu sehen, wenn es unsere Höhe und auch ein Wagnis, das aber gut gegangen ist. Kinder und Jugendlichen schaffen, trotz aller Hinder- Das Gespräch überzeugte die Leitung so sehr (obwohl nisse und Schicksalsschläge (und der Steine, die sie es in Neuseeland während des Gesprächs schon Mit- sich auch manchmal selbst in den Weg legen), einen ternacht war), dass Frau Meister eingestellt wurde. So guten Weg für sich zu finden. Kleine Erfolge in diese begann sie im Mai 2019 kurz nach ihrer Rückkehr aus Richtung geben mir Kraft und Motivation auch für die Neuseeland mit ihrer Arbeit bei uns. schwierigen Momente. Zu ihren wichtigsten Aufgaben gehören: Leistungs- Wie und wo tanken Sie auf, damit Sie auch nach diagnostik / Entwicklungsdiagnostik von Kindern anstrengenden Arbeitstagen Ihre positive Aus- und Jugendlichen, Beratung von Mitarbeitenden und strahlung bewahren können? Teams sowie von Eltern, Krisenintervention, Arbeit Ich habe verschiedene Wege, über die ich wieder mit Kleingruppen und Intervision und die psycholo- Kraft schöpfen kann. Da sind zum einen Bewegung gische Einzelarbeit mit Kindern. 18 | Tüllinger Blätter Ausgabe 21 | Dezember 2020
Eine Mitarbeiterin im Portrait wollte ich Sonderschullehrerin werden. Schließlich Über welche Figur der Weltgeschichte haben Sie bin ich dann bei Psychologie gelandet, da mich die bisher viel nachgedacht? Einzelarbeit mit Kindern und Jugendlichen ansprach. Da gibt es keine konkrete bzw. immer wieder andere. Diese Entscheidung bestätigte sich immer wieder in Mich berühren viele Geschichten von Menschen, verschiedenen Praktika. Auch habe ich immer mal die es im Laufe ihres Lebens geschafft haben, sich überlegt, wie ich das Kochen/Backen und Gärtnern selbst kennen- und lieben zu lernen. Aber auch Ge- beruflich hätte einbinden können. schichten darüber, wie Menschen es nicht schaffen, einen guten Weg in der Welt zu finden, sind immer Auf welche drei Dinge in Ihrem Leben möchten Sie wieder faszinierend. Zuletzt beschäftigte mich hier nicht verzichten? der kolumbianische Drogenbaron Pablo Escobar. Auf meinen Partner, auf meine Freunde und ausrei- chend Ausgleich zur Arbeit – und dafür braucht es Was würden Sie gern ändern in der Welt? dann auch noch die Natur (auch wenn das jetzt noch Einiges. Da sind vorrangig die Kriege, die enden eine vierte Sache ist ...). müssen, das Leid, die Ungerechtigkeiten in unserer Welt, die Machtsucht von einigen Menschen und die Haben Sie ein Steckenpferd? in so vielen Ländern existierende Korruption. Nicht Eigentlich all die Hobbies, die ich weiter oben be- zuletzt ist der Schutz der Natur und des Klimas eine schrieben habe. der wichtigsten Herausforderungen, die wir angehen müssen. Erträumen würde ich mir eine Welt, in der In welchen Situationen achten Sie nicht aufs Geld? es auch weiterhin viel intakte Natur gibt, jeder sein Wenn es um mir wichtige Menschen geht, ist Geld für darf, wie er oder sie ist, in der Macht und Geld keine mich weniger wichtig. Meinen Lieben eine Freude zu Rolle spielten und in der jeder die Grenzen seiner bereiten, macht auch mich selbst glücklich. Mitmenschen achtet. Tüllinger Blätter Ausgabe 21 | Dezember 2020 | 19
Außenstelle Beuggen 200 Jahre Jugendhilfe in Schloss Beuggen Vorbild für zahlreiche Neugründungen - auch für die Tüllinger Höhe Nach über 500-jähriger Geschichte als Stützpunkt des Mit dem Beuggener Schloss fand sich dann auch ein Deutschen Ritterordens gingen 1805 – nach umfang- Gebäude, das groß, geräumig und erschwinglich war. reichen territorialen Neuordnungen durch Napoleon – das Beuggener Schloss selbst sowie die dazuge- Mit tatkräftiger und finanzieller Unterstützung vieler hörigen Güter an das Großherzogtum Baden über. Bürger wurde das marode Gebäude wieder in Stand Es folgten 15 Jahre, in denen das Schloss teilweise gesetzt. Bereits im April 1820, als vieles noch improvi- als Lazarett für verwundete Soldaten genutzt wurde. siert und in Bau war, wurden die ersten Kinder aufge- Als in den dicht belegten Schlossräumen Typhus und nommen. Im Mai betrug die Zahl der Zöglinge bereits andere Seuchen ausbrachen, starben an die 3000 30, dazu zogen 10 Auszubildende, sogenannte Semi- der bedauernswerten Männer. Die hohe Zahl lässt naristen, ein. Die offizielle Einweihung erfolgte am 22. erahnen, wie es um die Pflege und Unterbringung im Juni 1820, dem Chronisten nach bei schönstem Wetter Schloss gestanden haben muss. Es ist nicht verwun- und mit mehreren hundert Gästen. derlich, dass das Schlossgebäude danach von der Bevölkerung gemieden wurde und sein Zustand sich Im Unterschied zu seinem Vorbild Pestalozzi vertrau- mit jedem Winter verschlechterte. te Zeller nicht alleine auf die im jungen Menschen schlummernden Gaben, die es zu wecken gelte. In seiner Eröffnungsrede soll er seine Freude darüber ausgesprochen haben, dass man wieder anfange einzusehen, dass durch Bildung und Aufklärung und verbesserte Unterrichtsmethoden die kranke Mensch- heit nicht könne geheilt werden, sondern allein durch den von Jesus Christus ausgehenden Heiligen Geist (aus Eugen Zeller 1920). Zusammen mit der ebenfalls 1820 gegründeten Pauli- nenpflege in Stuttgart wurde Beuggen zum Vorbild der sogenannten Rettungshausbewegung. In den Folgejah- ren erfolgten im südwestdeutschen Raum zahlreiche Neugründungen, ausgehend von in Beuggen ausgebil- Schlafsaal der Buben im ehemaligen Kinderheim Beuggen deten Armenschullehrern oder von der Basler Mission inspirierten Christen. Einer von ihnen war Ferdinand 1816 lernten sich der Pädagoge Christian Heinrich Fingado, der 1848 das Rettungshaus in Lahr-Dinglingen Zeller, ein Anhänger der Erziehungslehren von Jo- aufbaute und auf Seite 4 dieses Heftes erwähnt wird. hann Heinrich Pestalozzi und Friedrich Spittler, ein Er war 1860 als Festredner zur Gründungsfeier unseres prägender Kopf der Basler Mission, kennen. In den Hauses nach Obertüllingen eingeladen worden. Einer damaligen Notzeiten, ausgelöst durch Ernteausfälle seiner damaligen Mitarbeiter war Johannes Linder aus und die vorausgegangenen Kriegsjahre, entwickelten Tüllingen. Mit seinen unter Fingado erworbenen päd- Zeller und Spittler die Idee einer Ausbildungsstätte agogischen Erfahrungen wurde er der erste Hausvater für Armenschullehrer, die gleichzeitig Auffangstation unserer Einrichtung. Am Einweihungstag, dem 22. No- für verwaiste und vagabundierende Kinder sein soll- vember, heiratete er Elisabeth Rupp aus Tüllingen, die te. So verbanden sie Theorie und Praxis, wie es heute fortan als Hausmutter mit wenigen Hilfskräften die bald noch in vielen Berufen erfolgreich gehandhabt wird. auf 50 Kinder angewachsene Schar zu versorgen hatte. 20 | Tüllinger Blätter Ausgabe 21 | Dezember 2020
Außenstelle Beuggen satzungsgemäß an die Evangelische Landeskirche über. In Tüllingen hatte man bereits Ende der Sechzigerjahre damit begonnen, familienähnliche Wohngruppen in dafür geeigneten Reihenhäusern einzurichten. In den Siebzigerjahren hatte man erste Erfahrungen mit Kin- dern und Jugendlichen gesammelt, die unsere Schule besuchten, ganz- tägig betreut wurden und abends wieder nach Hause fuhren. Daraus entstand die erste Tagesgruppe. Mit Schließung des Beuggener Kinder- heims im Jahr 1980 stand nun das Schloss und Schulhaus heute ins Schlossgelände integrierte, 1978 Zurück nach Beuggen: 1980 wurde das dortige fertiggestellte Heimschulgebäude leer. Dieses über- Kinderheim nach 160-jähriger Geschichte aufgelöst. nahm die Tüllinger Höhe und richtete eine Außenstel- Die großen Schlafsäle in den Schlossräumen ent- le mit Schule und Tagesgruppen ein. Seither führt die sprachen nicht mehr den Vorstellungen einer zeitge- Tüllinger Höhe die Jugendhilfetradition der eigenen mäßen Heimerziehung. Die Mittel und die Gebäude „Großmutter“ in Beuggen erfolgreich weiter. des Evangelischen Kinderheims Beuggen gingen Christof Schwald SGI GmbH Alemannenstraße 24 DE-79689 Maulburg Tel. +49 76 22 - 684 69 - 0 info@sgi-gmbh.com www.sgi-gmbh.com Tüllinger Blätter Ausgabe 21 | Dezember 2020 | 21
Tüllinger Höhe, Fachdienst für Kind und Familie Herzlichen Dank ihr beiden– genießt die neue Freiheit! Abschied nach 45 und 35 Dienstjahren Kolleginnen und Kollegen ein paar Worte auf Distanz zu wechseln – mehr geht ja leider grad nicht. Ina Isemann, unsere lang- jährige Schulleiterin, wurde am 21. Februar gerade noch rechtzeitig, bevor der Lock- down das verunmöglicht hätte, mit vielen Gästen in einer fröhlichen Feier in den Ruhestand verabschiedet. Sie arbeitete 35 Jahre als Sonderschullehrerin, Leite- rin der Außenstelle Beuggen und schließlich als Schul- leiterin in Obertüllingen bei uns. Mit viel Sachverstand, Ina Isemann (links) und Erika Koch beim Spaziergang über den Tüllinger Berg. Nach 35 gemeinsa- großem Engagement und men Arbeitsjahren geht der Gesprächsstoff nicht so schnell aus! fürsorglicher Führung prägte sie die Entwicklung unserer Erika Koch und Ina Isemann treffen sich neuer- Schule in den letzten Jahrzehnten. Wenn sie auch dings zum Spazierengehen auf dem Tüllinger Berg die Übergabe sorgfältig vorbereitet und mit Nor- – natürlich nicht, ohne dabei mit den ehemaligen bert Reckel-Probst einen tüchtigen Nachfolger gut In den 1980er-Jahren: Erika Koch bei einem Mitarbeiterausflug und Ina Isemann bei einer Theateraufführung mit ihrer Klasse 22 | Tüllinger Blätter Ausgabe 21 | Dezember 2020
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