U-Musik Informationen für die Mitglieder des Kulturvereins PRO ORP und für die Freunde des Orchesters Reto Parolari Winterthur ...

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U-Musik
 Informationen für die Mitglieder des Kulturvereins PRO ORP
und für die Freunde des Orchesters Reto Parolari Winterthur

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                    November 2020
Impressum                                        Inhalt

                                      Editorial ........................................3
Herausgeber:                          Begegnungen mit Reto Parolari:
Kulturverein PRO ORP                   Laudatio (U. Schnell) .................4
                                       Die kleine Stadt (B. Gerig) .........8
Redaktion:                             Früh übt sich (N. Schmid) ........10
Annemarie Reimann                      Klavier (R. Lerf) .......................10
Layout:                                Abschied (Thierry Comes) .......11
Annemarie Reimann                      Erinnerungen (R. Gut) ..............11
                                       Komet (R. Mäder) ....................12
Mitarbeit in dieser Nummer:            Rotarier (H. Winzeler) ..............13
Katharina Wildermuth, Ueli An-         Besondere Stunden (U. Sick)....15
deres                                  Ernst, hast du - ? (E. Heiniger) .16
Titelblatt:                            Lieber Reto (M. Heim) .............17
                                       Brissago (F.+L. Oldani) ............18
Nachlass Reto Parolari                 Wien (E. Labhart) ......................18
Fotos:                                 Schatten (U. Anderes) ...............21
Archiv ORP, B. Gerig, F. Oldani,      Mitgliederversammlung ..............26
H. Winzeler, U. Sick, E. Labhart,     Quo Vadis Notenarchiv ...............27
S. Roth                               Portrait Stefan Roth .....................30
                                      Geschichte des ORP ....................31
Produktion:                           Mitwirkende ORP ........................32
Sekretariat ORP                       ORP-Anekdoten:
Rychenbergstrasse 298                  Ruedi Keller..............................34
8404 Winterthur                        Reto Parolari .............................34
Tel. 052 386 24 40                    Schräge Raritäten ........................35
annemarie.reimann@bluewin.ch
Druck:                                          Feldenkrais ©
Rohner Spiller AG                             Annemarie Reimann
Winterthur                                Gruppenkurse
Ausgabe November 2020                     Gratis Schnupperstunde
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                                          Rychenbergstrasse 95
                                          8400 Winterthur
  Ein herzliches Dankeschön               info@reimann.biz
  an alle Inserenten, die uns
   über die Jahre die Treue               www.reimann.biz
       gehalten haben!                    079 779 36 75

                                    -2-
und Retos Freundeskreis erhalten
          Editorial                 habe.
                                    Den Beginn macht die Laudatio, die
                                    sein Freund Urs Schnell anlässlich
   Geschätzte Leserinnen            der Verleihung des Kulturpreises
        und Leser,                  der Stadt Winterthur 2019 – was
                                    Reto Parolari glücklicherweise
Traurig, aber wahr: Reto Parolari   noch erleben durfte – gehalten hat
ist nicht mehr. Sein unerwarteter   (wir berichteten darüber im U-
Tod bedeutet nicht nur einen        Musik November 2019). Im Nach-
grossen menschlichen Verlust,       hinein erhält sie einen bitteren
sondern auch das Ende einer Epo-    Nachgeschmack …
che. Mit ihm verliert die Musik-    Es gibt aber auch positive Nach-
welt einen der grössten und letz-   richten: mit einem grossen Gedenk-
ten Verfechter der sinfonischen     konzert möchten wir Reto Parolari
Unterhaltungsmusik. Mit ihm         den "Abgang" posthum so gestal-
wird auch sein Orchester Reto       ten, wie er ihn selber musikalisch
Parolari, das einzige grosse pri-   für sein Orchester im Hinblick auf
vate Unterhaltungsorchester Euro-   das 50jährige Jubiläum 2023 ge-
pas, verschwinden und damit         plant und skizziert hat.
ebenfalls unser Unterstützungs-     Und auch das Notenarchiv ist be-
verein PRO ORP.                     reits in gute und fähige Hände über-
Deshalb halten Sie hier auch die    gegangen, so dass wenigstens das
letzte Ausgabe der Zeitschrift U-   musikalische Erbe von Reto Parolari
Musik in den Händen. Sie ist ganz   weiterleben wird.
dem Andenken an Reto Parolari       Ihnen allen im Voraus herzlichen
gewidmet. Ich bin überwältigt von   Dank, dass Sie uns bis zum "bitteren
der grossen Anteilnahme und den     Ende" am 5. September 2021 treu
vielen Zuschriften, die ich aus     bleiben!
den Reihen unseres Kulturvereins                     Annemarie Reimann

              Adieu, Reto!

              DANKE FÜR ALLES

              Dein Orchester Reto Parolari
              und der Kulturverein PRO ORP

                                -3-
Begegnungen mit Reto Parolari

    Ein bunter Strauss von Andenken aus dem Freundeskreis von Reto
            und von Mitgliedern des Kulturvereins PRO ORP

            Laudatio
          von Urs Schnell
Sehr geehrter Herr Stadtpräsident,
werte Freundinnen und Freunde
Gehobener Unterhaltungs- und an-
derer Musik, geschätzte Damen und
Herren, lieber Reto,
Wie wir eben erfahren durften, ha-
ben der Winterthurer Stadtpräsident
und ich offenbar die gleiche Erfah-
rung machen können, nämlich die,
uns von Reto Parolari dirigieren zu
lassen...                                Blumen von Stadtpräsident Mike Künzle
In der Tat schliesst sich für mich
heute Abend ein Kreis: auf der Büh-    damaligen Chorleiter und Konsidi-
ne dieses Hauses hatte ich meine       rektor, dem von mir hoch geschätz-
erste Begegnung mit Dir, Reto – wir    ten Fritz Näff, stellte sich eine echte
schreiben ungefähr das Jahr 1990.      Herausforderung..
Als Lehrdiplom-Student an der da-      Aber: je näher das Konzert kam,
maligen Musikhochschule hier in        umso deutlicher wurde: Unterhal-
Winterthur musste ich beim jährli-     tungsmusik ist nicht per se "leichte"
chen Konsi-Chorkonzert mitsingen.      Musik, die auf die "leichte" Schul-
Angesagt war ein gemeinsames           ter genommen werden kann. Da
Konzert mit Deinem Orchester. –        fordern einen härteste musikalische
Auf dem Programm: "Gehobene            Knacknüsse.
Unterhaltungsmusik".                   Schlussendlich zum Fliegen ge-
Diese Ausgangslage war, Sie kön-       bracht hast es dann Du, Reto: Dank
nen sich das vielleicht vorstellen,    Deiner Begeisterung, Deinem Elan,
geschätzte Damen und Herren –          Deinem Humor, - und ja, einer na-
nun: nicht ganz einfach: Für die auf   türlichen Autorität, wie sie nur
die hehre Klassik konditionierten      Könnern eigen ist, die über der Ma-
Musik-Studentinnen und Studenten       terie stehen, ging ein Ruck durch
war es zunächst völlig abwegig,        die versammelte Studentenschaft.
sich mit solchem Repertoire über-      Widerstände schmolzen, es wurde
haupt auseinandersetzen zu müssen.     gemeinsam musiziert.
Skepsis schlug dem Vorhaben ent-       Was ich an jenem Abend von Dir
gegen. "Unterhaltungsmusik"... wo-     als Lebensweisheit mitnehmen
möglich     sogar    noch    ternär-   durfte: Um als Musiker sein Publi-
swingend… Auszüge aus "My Fair         kum wirklich abzuholen braucht es
Lady" und ähnliches… nun, dem          den Respekt gegenüber seinen Mit-

                                   -4-
MusikerInnen, die profunde Kennt-        zendem. Aber, und das zur Erleich-
nis dessen was man tut, eine tiefe       terung des doch nicht ganz so ar-
Ehrfurcht vor der Musik, vor allem       men Laudatoren: zusammengehalten
aber die eigene Begeisterung, das        vom unbedingten Feuer für die Mu-
lodernde Feuer, – das Feu sacrée.        sik, dem Feu sacrée – und genau
Geschätzte Damen und Herren,             wegen der Ecken und Kanten ist es
Mit dieser kleinen Reminiszenz an        ein in sich logisches Curriculum.
die Vergangenheit darf auch ich Sie      Du bist Künstler – aber auch ge-
herzlich zu dieser Kulturpreisüber-      wiefter Unternehmer. Du bist Kom-
gabe an Reto Parolari begrüssen.         ponist und Arrangeur, Du bist Au-
Es ist mir eine grosse Ehre und          tor und Herausgeber von Fachlitera-
Freude, hier zu Ihnen sprechen zu        tur, Dirigent und Instrumentalist.
dürfen. Und ich danke Dir, Reto, dass    Multi-Instrumentalist: auf Marimba,
Du mich dafür angefragt hast…            der Continental-Schreibmaschine,
Ihr Parolaris seid ja seit heute         dem Schlagzeug, Klavier, virtuos
Abend die Winterthurer Familie mit       sogar auf Autohupen. Dein
der wohl umfangreichsten Kultur-         Hauptinstrument aber, das bist – Du
preissammlung, schon Dein Vater,         selber. Deine Echtheit, Dein Glaube
der Oboist Egon Parolari, hat den        an Deine Mission, Deine Herzlich-
Preis vor genau 30 Jahren zugespro-      keit und Humor, Deine Sturheit und
chen erhalten – was auch für die         Unbedingtheit, eben Dein Feu
Kontinuität der Winterthurer Kul-        sacrée…
turpolitik spricht.                      Es ist unmöglich über Dich zu spre-
Seit Kindsbeinen hast Du in Win-         chen, ohne gleichzeitig die
terthur gewirkt. Einmal hast Du          "Gehobene        Unterhaltungsmusik"
gesagt: "Ich selber bin eigentlich       mitzumeinen. Doch, Moment… was
auf dem Bühnenboden des Stadt-           ist das?? Was unterscheidet den
hauses aufgewachsen. Mein Vater          Parolari von anderen MusikerInnen,
hat mich so oft an Proben und            was ist, im Marketing-Sprech: Dein
Konzerte mitgenommen."                   Alleinstellungsmerkmal?
Mit 24 Jahren hast Du an der hie-        Ich darf Cédric Dumont, den Grün-
sigen Musikhochschule Dein Stu-          der des Unterhaltungsorchesters
dium als eidgenössisch diplomier-        von Radio Beromünster und Leiter
ter Musiker im Hauptfach Schlag-         des Radiostudio Zürichs zitieren:
zeug abgeschlossen, weitere Stu-         "Der Sündenfall der Musik ge-
dien folgten in Hannover, Stutt-         schah, als man zwischen E und U,
gart und Wien.                           zwischen Ernst und Unterhaltung
Voilà – Und ab jetzt, geschätzte         zu unterscheiden begann... Aber
Damen und Herren, wird es schwie-        auch für U braucht es Durchhal-
rig, denn die grösste Herausforde-       tewillen, handwerkliches Können
rung, wenn man sich dem Werken           und Begeisterungsfähigkeit". Voilà,
und Wirken von Reto nähern will,         das Feu sacrée.
ist schlicht die unglaubliche Vielfalt   Du brennst für ein Musikgenre, das
seines Schaffens.                        es wahrlich "nicht leicht" hat. Ein
Kein einfaches Unterfangen für den       Genre, das, wenn überhaupt wahr-
armen Laudatoren, Dein Curricu-          genommen, oftmals mit süffisantem
lum, Reto: es ist geprägt von            Lächeln bedacht wird…
Gleichzeitigem und Gegensätzli-          Doch woher kommt das eingangs
chem, Parallelem und sich Ergän-         geschilderte Nasenrümpfen seitens

                                     -5-
der VertreterInnen des sogenannten       musikalisches Storytelling at its best.
"Ernsten" Fachs?                         Mit den massiven Verwerfungen in
Die Anforderungen sind hoch, hö-         der Medienlandschaft anfangs der
her wohl als an manch andere, ver-       Siebzigerjahre war auch die Hoch-
meintlich ernste Musikgenres: Um         zeit der Radioorchester vorbei: Ein
die volle Wirkung der Unterhal-          Klangkörper nach dem anderen
tungs-Musik zu erzielen, ist die Par-    wurde aufgelöst. Das Repertoire
titur genauestens umzusetzen, die        wurde nicht mehr nachgefragt,
Musik MUSS ernst genommen –              höchstqualifizierte    Musikerinnen
aber – Achtung: Widerspruch – im-        und Musiker wurden entlassen, den
mer mit einem Augenzwinkern ge-          Notenarchiven drohte die Altpa-
spielt werden.                           piersammlung…
Doch: im Umkehrschluss: Darf ich         Da war Reto zur richtigen Zeit am
mich nicht von einer Beethoven-          richtigen Ort: Du hast die Notenbe-
Sinfonie, einem Bach-Konzert             stände des Radiostudio Basels, die
"unterhalten" fühlen? Und falls ich      des Bayrischen Rundfunks und
mich doch "unterhalten" fühlen soll-     später jene des Radio-Orchesters
te: hat da jemand etwas falsch ge-       Beromünster buchstäblich vor dem
macht??                                  Shredder bewahrt.
Ich lass das mal so stehen…              Und so gedeiht Deine materiell
Deine Kunst ist eng verknüpft mit        wohl grösste Leistung nun eher im
der Geschichte des Schweizer Ra-         Verborgenen, hier fast unter unse-
dios. Bis in die siebziger Jahre hatte   ren Füssen...
jede Radiostation ihre eigenen Or-       In einem grossen Luftschutzraum
chester unter Vertrag, die mit spezi-    mitten in der Stadt Winterthur bist
ell komponiertem Repertoire die          Du zum Hüter einer riesigen No-
gesprochenen Sendungen live be-          tensammlung von über 110'000
gleiteten. Um die gewünschten            Titeln geworden.
Stimmungs-Effekte beim Zuhörer           Dieses grösste Musikarchiv Euro-
zu erzielen, musste die Musik viel-      pas ist aber nicht einfach ein Mau-
fältig, farbig und bildhaft kompo-       soleum kreativer Momente, nein,
niert und handwerklich perfekt um-       Du vermittelst den Zugang für zahl-
gesetzt sein. Was mich zur These         reiche internationale Orchester,
veranlasst: die gehobene Unterhal-       welche die Noten rege nutzen.
tungs-Musik ist eine Filmmusik, –        Dein Verdienst für den sowohl
eine Filmmusik, die sich ihre Bilder     klingenden als auch archivari-
selber schaffen muss – und das ist       schen Fortbestand dieses musik-

                                     -6-
historisch einmaligen Erbes, die          mit Deinem Internationalen Festival
Lebendigerhaltung von Kulturgut,          der gehobenen Unterhaltungsmusik
kann nicht hoch genug gewürdigt           hast Du zwar ein einzigartiges Mu-
werden. Ich danke an dieser Stelle        sikereignis von internationaler Aus-
der Stadt Winterthur, dass sie mit        strahlung geschaffen – welche aber
ihrem Preis dieses einmalige En-          von der heimatlichen Öffentlichkeit
gagement anerkennt und damit              eher weniger beachtet wurde..
auch dieser Musik die verdiente           Ich müsste jetzt noch auf Deine Ar-
Referenz erweist.                         beit als Komponist und Arrangeur
Und natürlich kann man nicht über         von über 800 Werken eingehen,
Dich sprechen, ohne Deine eigenen         auch der Autor von Fachartikeln
Orchester zu erwähnen.                    und mehreren Fachbüchern verdien-
Das erste hast Du bereits während         te gebührend gewürdigt zu werden
des Studiums an der hiesigen Mu-          – indes, die Zeit rinnt...
sik-Hochschule gegründet.                 Etwas ist mir aber noch wichtig: Du
Es entstand das ORP in sinfonischer       bist nicht nur in eigener Sache un-
Besetzung, welches seit 1990 aus-         terwegs, Reto: als Vorstandmitglied
schliesslich mit rund 40 Berufsmu-        der     Urheberrechtsgenossenschaft
sikerInnen besetzt ist. Ein solches       SUISA oder als aktives Mitglied
Orchester – das sei am Rande ver-         des hiesigen Rotary Clubs Win-
merkt – ist eigentlich ein unternehme-    terthur-Mörsburg bist Du auch un-
rischer Blödsinn. Es kann nie rentie-     eigennützig dem Dienst an Deiner
ren – und trotzdem: Du musstest es        Mitwelt verpflichtet.
nie beim Konkursamt melden.               Wie eingangs erwähnt: ein Curricu-
Über 40 Orchester aus der ganzen          lum mit Ecken und Kanten – denn all
Welt hast Du dirigiert, darunter Exo-     diese Facetten Deines Tuns: sei es als
ten wie das Orchester Hermitage,          Musiker, Dirigent, Orchesterleiter,
St.Petersburg (Russland), das Orches-     Unternehmer, Veranstalter, Verleger,
ter Flughafen Zürich (Schweiz), oder      Archivar, Komponist – sie ergänzen,
das     Philharmonische       Orchester   bedingen und brauchen sich gegen-
Pyöngyang (Nord-Korea).                   seitig und ergeben das Gesamtbild
Um all diese Engagements hast Du          eines Kulturschaffenden, eines Kul-
Dich nie beworben – Du wurdest            turschaffers – eben ein logisches
stets angefragt...                        Curriculum.
So auch für die Zirkuswelt: mit zar-      Erst vor Kurzem durfte ich noch
ten 28 Jahren hat man Dir die Diri-       einmal unter Deinem Dirigat wir-
gentenstelle beim Zirkus Nock an-         ken: zwar nur in einem Stück, dies-
geboten, kurz darauf jene beim Zir-       mal aber als ausgebildeter Flötist.
kus Knie. Für Dein Wirken am The-         Und innert Sekunden war es wieder
ater Carré in Amsterdam hat Dir die       da: dieses Gefühl, das Du einem so
niederländischen Königin gar den          gekonnt vermittelst: dieses respekt-
Titel "Königlicher Kapellmeister"         volle "Das kommt gut, vertrau mir".
verliehen. Und auch als musikali-         Locker im Auftritt, ernsthaft in der
scher Oberleiter des internationalen      Sache. Und tatsächlich: Du hast
Circusfestivals in Monaco findest         eingezählt, die BigBand swingt los,
Du Dich ja auf Tuchfühlung mit            mein Einsatz… Dein Feu sacrée
Adligen und gekrönten Häuptern….          loderte und alles war superbe – und
Nur in der Heimat schlug Dir der          ja, es kam gut!
Glamour etwas weniger entgegen:           Merci, Reto, für das alles!!

                                      -7-
Die kleine Stadt               der späteren WGs. Unterschiedli-
  von Brigitta Gerig -Wildermuth       cher hätten unsere Eltern nicht sein
                                       können, aber das war vielleicht ge-
  "Wir sind gerade in der Kleinen      rade das Geheimnis für diese funk-
Stadt. Herzlich Oter". Versehen mit    tionierende Freundschaft. Wir Kin-
dieser handschriftlichen Anmer-        der waren, was das Umsetzen unse-
kung erreichte mich im letzten De-     rer Fantasien betraf, ein eingespiel-
zember Retos mit frohen Fotos be-      tes Team, Helden in unserem Kin-
bilderte Festtagsgrusskarte zum        deralltag. Wir kreierten unsere eige-
Jahreswechsel. Nun gilt es zu wis-     ne Sprache, die nur Insider verstan-
sen, dass die Kleine Stadt weder       den. So stellten wir unsere Vorna-
Rapperswil noch Olten, auch nicht      men auf den Kopf und buchstabier-
Brissago oder Frauenfeld beinhaltet,   ten sie von hinten nach vorn, zum
nein, die Kleine Stadt ist eine Win-   Beispiel Oter für Reto. Auch andere
terthurer Subkultur aus längst ver-    Ausdrücke haben wir so umge-
gangenen Zeiten. Reto wählte gerne     schrieben. Unser Lieblingsgetränk
diesen historisch gewachsenen Ge-      war Enitlamovo und Retos Nachna-
heimcode und Schlüssel zu unseren      me Iralorap.
gemeinsamen Kindheitstagen.
Ich bin mit Reto aufgewachsen. Er
wohnte mit seiner jüngeren Schwes-
ter, der "kleinen Käthi" und seinen
Eltern im ersten Stock; ich mit mei-
ner älteren Schwester, der "grossen
Käthi" und meinen Eltern im Erdge-
schoss. Aus heutiger Sicht würde
man sagen, so quasi ein Vorläufer
                                         Einblick in die Kleine Stadt oder
                                            Hommage an das Spiegelei
                                       Eine Tages habe ich die Idee, in
                                       meinem Kinderzimmer eine Stadt
                                       zu errichten. Kartons, Schere, Leim,
                                       Farben – das Projekt kann begin-
                                       nen. Apotheke, Restaurant, Tierarzt,
                                       Lebensmittelgeschäft, eine Schule,
                                       alles wird aufgebaut. Auch ein
                                       Handarbeitsgeschäft      – "Tigirb
                                       Wolllädelchen" – öffnet seine Tü-
                                       ren und zieht vor allem weibliche
                                       Kundschaft an. Teddybären, Pup-
                                       pen und weitere Knuscheltiere sind
                                       Statisten, die je nach Bedarf zum
                                       Leben erweckt werden. Am Ein-
                                       gang zum Kinderzimmer prangt in
                                       grossen Lettern das Ortsschild:
                                       "Kleine Stadt".
                                       Von der ersten Stunde an zieht Reto
                                       das Restaurant vor. Er wird Stamm-
                                   -8-
den Kinderabenteuern
                                                      an der St. Georgen-
                                                      strasse 68.
                                                           Kostbarkeiten der
                                                             Erinnerung,
                                                        die sich immer wieder
                                                         in neuen Wahrheiten
                                                                finden
                                                      Diese meine Erinnerun-
                                                      gen schlummerten jah-
                                                      relang, vom Vergessen
                                                      verschüttet. Reto liess
                                                      sie wieder aufleben. Er
                                                      konnte sich an unglaub-
                                                      lich viele Details erin-
                                                      nern, von denen ich
                                                      keine Ahnung mehr
gast und kommt mehrmals täglich           hatte. Selbstverständlich unter-
vorbei. Sein bevorzugtes Menü ist         schrieb er zeitlebens alle an mich
Spiegelei. Er setzt sich ans kleine       gerichtete Korrespondenz mit Oter.
Tischchen und ordert. Dann wartet         Wir waren schliesslich Bürger der
er mehr oder weniger geduldig, bis        Kleinen Stadt.
ich auf dem kleinen Puppenkoch-
herd das Spiegelei zubereitet habe
und es ihm servieren kann. Es ist
eine enorm arbeitsintensive Zeit,
denn gleichzeitig muss ich die
Kundschaft im Wolllädelchen be-
dienen, als Lehrerin die Schüler
betreuen und in der Tierarztpraxis
einen ernsthaft erkrankten Teddybä-
ren kurieren. Reto, das Spiegelei
erwartend, steht mir mit Rat und
Tat zur Seite.
Es fällt vermutlich in diese Zeit,
dass Reto, gestärkt von den vielen
Spiegeleiern, den Zirkus Prismalo
(für Eingeweihte Olamsirp) grün-
det. In der Kleinen Stadt wird um-
gehend Werbung für die Zirkusvor-
stellungen gemacht. Plakate werden
entworfen und aufgehängt. Der Zir-
kus findet draussen im grossen Gar-
ten statt. Oter ist der Zirkusdirektor,
Ihtäk – die "kleine" Käthi – das
Nummerngirl, ich bin an der Zir-
kuskasse… Doch das ist eine ande-
re der unzähligen Geschichten zu

                                      -9-
Früh übt sich...                            Klavier
    von Nelly Schmid-Eberhart                  von Rosmarie Lerf
Schon als junges Mädchen war ich      Reto kenne ich seit 1971 als er bei mir
mit Familie Parolari befreundet! So   am Konservatorium Winterthur das
auch als Babysitterin für Reto und    Nebenfach Klavier besuchte. 1976
Käthi.                                bestand er mit Bravour die Reifeprü-
Wieder einmal wurde ich gefragt,      fung für Schlagzeug. Auf seinen
Reto und Käthi zu hüten. Egon hatte   Wunsch durfte ich ihn am Klavier in
als Oboist ein Konzert mit dem Mu-    einigen Stücken begleiten.
sikkollegium. Auch Trudi, seine       Noch während des Studiums stellte er
Frau, wollte ans Konzert.             mit seinen Mitstudenten/Innen ein
Zuerst spielten wir noch im Wohn-
zimmer, dann wollte ich aber abwa-
schen und die Küche aufräumen. Es
war so still im Wohnzimmer – was
macht wohl Reto? Leise schaue ich
nach: da steht der kleine Reto auf
dem Schemel und dirigiert die Mu-
sik im Radio!!
Wer hätte damals gedacht, dass wir
Jahre später diesen begnadeten jun-
gen Mann als Dirigenten bewundern
können und er uns so viel Freude
bereitet!
Reto – wir vermissen dich und
danken Dir für all die schönen        Orchester zusammen und erarbeitete
Erlebnisse!                           mit ihnen Werke der U-Musik. Das
                                      Konzert fand im Konservatorium
                                      statt und er bat mich wieder, zu mei-
                                      ner grossen Überraschung, den Kla-
                                      vierpart zu übernehmen. Ich erlebte
                                      zum ersten Mal, wie anspruchsvoll
                                      und schwierig die gehobene U-Musik
                                      ist. Reto erhielt als Dirigent von ei-
                                      nem begeisterten Publikum grossen
                                      Applaus.
                                      Er sorgte immer wieder für grosse
                                      Events. Dazu ein Beispiel: einige
                                      Jahre später organisierte er ein
                                      Konzert mit seinem Orchester im
                                      Vortragssaal des Winterthurer
                                      Stadthauses. Er dirigierte und plötz-
                                      lich trat er ans Klavier und spielte
                                      ein anspruchvolles Solostück, na-
                                      türlich eines der Unterhaltungsmu-
                                      sik. Mir blieb fast der Atem weg,
                                      weil ich nichts davon gewusst habe.
                                      Der Applaus war riesig und dann

                                 - 10 -
ging Reto wieder ans Dirigenten-         Musikalische Erinnerungen,
pult, so als wäre alles ganz normal.             die bleiben
In dankbarer Erinnerung bleibt mir
eine Einladung seiner Eltern in ihr                   von Rolf Gut
Ferienhaus in Brissago. Reto war         Nach dem Konzert fragte ich Re-
ein begeisterter Ruderer und er bot      to:"Wieviele der Komponisten, deren
seiner Schwester und mir herrliche       Werke du spielst, kennst du persön-
Ausflüge auf dem Lago Maggiore.          lich?" Seine Antwort: "Fast alle, die
Was mich aber besonders beein-           zu meiner Zeit noch gelebt haben."
druckte war seine Vielseitigkeit, sein   Von Robert Stolz bis zu Franz Grothe
Fleiss, seine Ausdauer, aber auch das    hatte er immer einen guten Kontakt.
Verarbeiten von Schwierigkeiten, er      Und somit entdeckte er Werke, die
schaute immer positiv nach vorne. Er     scheinbar aus der Zeit gefallen waren,
blieb bescheiden und sich selber im-     neu. Sein Talent, die Musik so au-
mer treu. Er war zuverlässig, arbeite-   thentisch wie möglich rüberzubrin-
te hart und konnte seine Begeisterung    gen, gelang ihm wie nur wenigen
auf uns alle übertragen. Er nahm sich    Dirigenten. Und er liebte Raritäten.
aber auch viel Zeit für seine Familie    Als ich ihn auf Igo Hofstetter, Kom-
und pflegte einen engen Kontakt zu       ponist von "Roulette der Herzen",
seiner Tochter.                          aufmerksam machte, war er begeis-
Nun ist er leider nicht mehr unter uns   tert. Ein Jahr später sass der Kompo-
und wir werden ihn alle sehr vermis-     nist mit seiner Frau in der ersten Rei-
sen. Uns bleiben aber viele schöne       he im Theater Winterthur und hatte
Erinnerungen, die unser Leben berei-     Tränen in den Augen, als Reto und
chert haben und dafür sind wir ihm       sein Orchester seine Melodien spiel-
sehr dankbar. Es ist auch tröstlich zu   ten. Bei seinen legendären Konzerten
wissen, dass er nicht an einer schwe-    waren oftmals Komponisten oder
ren Krankheit leiden musste. Und er      deren Witwen dabei. Charles Kal-
durfte den so sehr verdienten Kultur-    man, der Sohn von Emmerich Kal-
preis der Stadt Winterthur noch ent-     man, Erwin Halletz, Vera Kalman,
gegennehmen.                             Lili Klaus (die Witwe von Nico Dos-
                                         tal) ... Reto war der erste Mann, der
       Abschiedsgruss                    die in Vergessenheit geratene Operet-
     aus der Circus-Welt                 te und deren musikalisches Umfeld
                                         pflegte. Bis zur schönsten Perfektion.
                                         Wenn heute fast an jedem Theater
                                         wieder Operetten von Paul Abraham,
                                         Ralph Benatzky, Oscar Straus aufge-
                                         führt und bejubelt werden, ist das
                                         auch Reto Parolari zu verdanken, der
                                         dieses einzigartige Genre am Leben
                                         erhalten hat.
                                         Bei unserem letzten Treffen hat er
                                         noch gesagt: "Ich bring dich noch
                                         zum Zug – und freue mich auf ein
Thierry Comes hat jahrelang mit          sehr spezielles Konzert im Juli. Du
Reto im Circus Knie gearbeitet.          wirst überrascht sein." Die Überra-
Das Foto entstand im Januar 2019         schung fiel leider anders aus, als
in Monte Carlo.                          geplant.

                                    - 11 -
"Ich bin geboren in dem Jahr,         verschiedener      "Lärmmaschinen"
als der Komet am Himmel war"           traf man sich in einem nahe gelege-
         von Rudolf Mäder              nen italienischen Restaurant, ass,
                                       trank, lachte und diskutierte. Von
Die ersten Begegnungen mit Reto        da an war ich ein Parolari-Fan
Parolari machten auf mich einen        reinsten Wassers...
sehr negativen Eindruck. Ich scheu-    Reto Parolari interessierte sich für
te zurück vor so viel Persönlichkeit   eine Mitgliedschaft bei der Deut-
und Temperament. Ich traute mei-       schen Johann Strauss Gesellschaft
nen Augen und Ohren nicht so recht     und ich wies ihm den Weg dazu. Er
und dachte bei mir, das kann ja        schrieb gerne, also veröffentlichte
nicht wahr sein, das ist doch alles    die Gesellschaft einen Text von
nicht echt! Einige Zeit später mel-    ihm. Von da an versuchte ich auch
dete ich mich zu einem Besuch des      alle seine Konzerte zu besuchen.
Archivs von Reto Parolari an. Den      Wir sassen im Winter gebannt im
Archivar, Meister Anderes, hatte       Konzertsaal oder im Sommer in
ich schon vorher kennen gelernt        einer Freiluftarena in Winterthur
und einige Musikstücke in Kopien       und lauschten begeistert seinen viel-
von ihm erworben. – Es wurde ein       seitigen Programmen (mit einer
wahrhaft grosser Tag, da gibt's        Erstaufführung von Franz Lehár!).
nichts dran zu rütteln! Nach einer     Er war ein Spezialist der gehobenen
ausführlichen Einführung in die        Unterhaltungsmusik und damit ka-
Musikwelt des Archivs, einem Do-       men Schätze zum Vorschein, die
kumentarfilm und der Präsentation      die Menschen Jahrzehnte nicht

                                  - 12 -
mehr gehört hatten. Komponisten,       verwandelte sich blitzartig in einen
die allen bekannt waren, zeigten       Hexenkessel. Die Zugaben folgten
plötzlich völlig neue Facetten ihres   sich Schlag auf Schlag. – Wir gin-
Schaffens. Und einmal sassen wir       gen beschwingt ins Freie und sassen
zwei Stühle entfernt von Charles       noch beim Mittagessen im Restau-
Kálmán (1929 – 2015), Komponist        rant des Hotels "Wyndham Grand
und Sohn des Operettenkomponis-        Axelmannstein" und plauderten.
ten Emmerich Kálmán, deren Wer-        Niemand konnte wissen, dass es ein
ke Reto Parolari sehr pflegte. Eine    Abschied für immer war...
schöne junge Frau sang ein anderes     Kommen wir zum Titel zurück:
Mal unter freiem Himmel eine Arie      Auch Reto Parolari hätte im Jahre
aus Georges Bizets Oper "Carmen",      des Kometen geboren worden sein
sie war aus Lateinamerika eingeflo-    können wie die Figur aus Carl Zel-
gen worden. Reto Parolari war im-      lers Operette "Der Kellermeister" in
mer für eine Überraschung gut...       seinem Kometen-Walzer verkündet.
Und dann kam der 15. September         Er war selber ein Komet, ein Ko-
2019! Wir sassen um 11 Uhr mor-        met, der lange am Nachthimmel
gens in der ersten Reihe des König-    sichtbar war, bis er plötzlich ver-
lichen Kurhauses in Bad Reichen-       glühte. Drei Dinge jedoch werden
hall. Die Strauss-Tage 2019 hatten     ganz sicher von ihm auf der Erde
mit zwei Absagen begonnen (2 Ein-      zurückbleiben: unsere Erinnerungen
akter von Offenbach und ein Vor-       an ihn, sein Musikarchiv und seine
trag über Offenbach und Strauss im     rund 40-CD-Aufnahmen.
3. Reich), hatten sich dann wieder     Leb wohl, lieber Reto Parolari, und
erholt mit einem Konzert zum The-      danke für all die schönen Stunden,
ma "Johann Strauss und England"        die du uns bereitet hast!
und sollten nun enden mit einer Ma-
tinee "So klingt's im Circus", am
Pult der Bad Reichenhaller Philhar-        Freund und Rotarier
moniker: Reto Parolari. Er wurde            von Heinz Beat Winzeler
bei seinem Erscheinen vom Publi-
kum höflich beklatscht und warf        Wer Reto Parolaris Vita lese, könne
sich sofort in die Musik hinein. Ei-   kaum glauben, dass sie von einem
ne Stichflamme schoss in den Zu-       einzelnen Menschen stammen wür-
schauerraum und entzündete ein         de, war in der Schweizer Familie zu
grandioses Feuerwerk der Zirkus-       lesen. Retos Engagement war aus-
musik. Wir haben selten ein Or-        serordentlich facettenreich. Neben
chester gehört, dass so auf seinen     verschiedenen Vereinsmitgliedschaf-
Dirigenten einging wie dasjenige an    ten engagierte er sich sehr aktiv im
diesem Morgen! Reto Parolari, der      Rotary Club Winterthur-Mörsburg.
geborene Conférencier, erklärte mit    Nebst Mitwirkung im Vorstand üb-
Witz jedes einzelne Musikstück.        te er verschiedene Ämter aus.
Das Orchester wiederholte bereit-      Von seinen vielfältigen spannen-
willig eine Komposition in einem       den Kontakten profitierte unser
anderen Rhythmus, der Dirigent         Club ganz besonderes, als Reto
stellte sich an die Marimba – und      ein überaus originelles Vortrags-
ein weiteres Feuerwerk sprühte von     programm gestaltete. Dabei lud er
dort auf die Zuhörerschaft. Das an-    die Gäste jeweils statt für einen
fangs höfliche Konzertpublikum         Vortrag zu einem Interview ein.

                                  - 13 -
So begegneten wir beispielsweise       Blender und zeigte keine Starallü-
Regi Sager sehr persönlich, wel-       ren.
che uns Mitgliedern des Kultur-        Mit dem Kürzertreten fand er Zeit
vereins sowohl als Moderatorin         fürs Wandern in der Seniorengrup-
für DRS als auch des Internatio-       pe unseres Clubs. Dies und ver-
nalen Festivals der Unterhaltungs-     bindliche Freundschaften waren
musik vertraut ist. Sie berichtete     ihm sehr wichtig.
aus ihrem Leben und ihren aktuel-      Das Tessin wurde ihm zuneh-
len Tätigkeiten. Eine geplante         mend zur zweiten Heimat. In
Themen-Stadtführung in Zürich          Brissago lebte er im ehemaligen
mit Regi Sager musste nun aber         Haus seiner Grosseltern, wo er
verschoben werden.                     u.a. eine schön bebilderte Bro-
Jedermann hört oft die Stimme der      schüre Sacro Monte di Brissago
SBB, aber niemand – ausser eben        gestaltete. Wir trafen ihn immer
Reto – kennt sie persönlich. Das       wieder im Locarnese, und als
Interview mit der Schauspielerin       Dauerabonnent fuhr er uns mit
Isabelle Augustin verlief ebenfalls    seinem Motorboot auf die Insel
in der gewohnt witzigen Art von        Brissago.
Reto "Nächster Halt, Winterthur,       Noch kurz vor seinem Tode lud er
dieser Zug fährt weiter bis …" Für     meine Frau und mich in Locarno zu
uns Bahnfahrer hat diese klar und      einer Pizza ein und berichtete be-
deutlich artikulierte Stimme nun ein   geistert von seinen nächsten Vorha-
sympathisches Gesicht mit einer        ben. Wir wussten um seine ge-
interessanten Geschichte bekom-        schwächte Gesundheit, dass er aber
men.                                   so überraschend verstorben ist, hat
Ein abendlicher Partneranlass war      uns zutiefst getroffen. Noch immer
eine lehrreiche Exkursion zu Andre-    können wir es nicht fassen, er bleibt
as Äpplis Rhythmus-Schule. Es war      so lebhaft präsent in unseren Erin-
ein besonderes Erlebnis, diesen ein-   nerungen.
zigartigen Spezialisten in seinem
Studio und im Zusammenspiel mit
Reto kennen zu lernen.
Am letzten traditionellen Frühlings-
fest bei Anitas‘ Events vom 11. Mai
erfreute uns Reto mit dem Typewri-
ter von Leroy Anderson auf seiner
speziell präparierten Oldtimer-
Schreibmaschine. Zu diesem Instru-
ment berichtet übrigens PBS, Public
Broadcasting Service USA: In Win-
terthur, Switzerland, conductor Re-
to Parolari rigged his typewriter so
that one person can play all the
parts – keys, bell and carriage re-
turn – and uses heavy card stock for
his "letter".
Trotz seinen grossen Erfolgen und      The Typewriter von Leroy Anderson
Ehrungen blieb Reto Parolari stets     am Frühlingsfest vom 11.5.2019 bei
bescheiden. Er war definitiv kein      Anitas' Events

                                  - 14 -
Erinnerungen an                    Konzert unter dem Titel "Eine Reise
      besondere Stunden                   um die Welt" vor.
                                          Reto war begeistert und so bastelten
          von Uwe Sick                    wir in den folgenden Monaten am
Wie jedes Jahr zu dieser Zeit hielt       Programm, denn nicht für alle mei-
ich mich bereits seit Wochen in El        ne Hirngespinste war auch das No-
Salvador / Zentralamerika auf, als        tenmaterial für sein ORP Orchester
mich die Nachricht vom plötzlichen        vorhanden. Dort wo es nicht erhält-
Ableben Retos erreichte.                  lich war, wurde es neu geschrieben.

Es traf mich und alle, die bereits wei-   Selbst Walt Disney in Los Angeles
tere Veranstaltungspläne verfolgten       half und so engagierte ich für dieses
so unvorbereitet und machte uns           Konzert auch eine Sopranistin, She-
sprachlos. Es war schwer begreiflich,     ryl Smith aus Kalifornien, die ein
dass nun alles ein Ende hatte.            paar Titel im Programm des Kon-
Nicht so im Mittelpunkt stehend           zertes singen sollte.
und mehr inkognito traf ich Reto im       Das Konzert nahte mit nur drei Pro-
Frühjahr 2012 zum ersten Mal und          ben inklusive Hauptprobe vor dem
sprach mit ihm über die Möglich-          Konzert. Erstaunlich, wie schnell
keit eines Geburtstagskonzertes, zu       Reto die ihm bis dahin unbekannte
dem ich an meinem 70. Geburtstag          Sängerin integrieren und sein Or-
im Dezember gleichen Jahres einla-        chester in der kurzen Zeit auf das
den wollte. Es sollte ein Abschied        Programm einstimmen konnte; eine
von meinem beruflichen Lebens-            wahre Meisterleistung.
weg werden, der mich über nahezu          So fand das Konzert am Abend des
40 Jahre um den Erdball geführt           9. Dezember 2012 vor ca. 200 gela-
hatte. Demgemäss stellte ich mir ein      denen Gästen aus aller Welt statt,
                                     - 15 -
die von der musikalischen Weltreise            Ernst, hast du - ?
sehr angetan waren. Ich hörte noch              von Ernst Heiniger
nach Jahren von dem einen oder an-            und Susanne Siegmann
deren, wie sehr es ihnen an diesem
Abend gefallen hatte und wie gerne      Mein Name ist Ernst Heiniger. Ich
sie so etwas wieder erleben möchten.    möchte auch mal schreiben, wie
In der Folge trat ich dem ORP För-      meine Bekanntschaft zu Reto Paro-
derverein bei. Besuchte, wenn im-       lari war.
mer möglich die Veranstaltungen         Kennen lernten wir uns am Ge-
wie die Sommerkonzerte, das Festi-      burtstag von Robert Lattmann, er
val der Unterhaltungsmusik, ver-        hatte ein Tonstudio in Lindau ZH.
schiedene Auftritte des ORP Or-         Ich habe eine Entsorgungs- und
chesters wie die unvergessliche Ro-     Transport-Firma (E. Heiniger AG
bert Stolz Gala und vieles andere –     Riet). Reto kam immer wieder zu
nicht zu vergessen die jährlichen       mir: Ernst – hast du einen Meter Ei-
Hauptversammlungen des ORP              senbahnschiene, die als Amboss
Fördervereins.                          dient? Ernst – hast du einen alten
Dazwischen traf ich Reto ver-           Kochherd, aber wirklich alt?
schiedentlich für ein paar unterhalt-   Hatte ich das in einer Mulde, gab ich
same Stunden, informierte und dis-      ihn Reto. Ich sah den Kochherd wie-
kutierte mit ihm Musikerlebnisse        der auf der Bühne: Der Deckel klapp-
und Geschichten am Rande von            te zu, der Kochherd in Rauch gehüllt.
entsprechenden Veranstaltungen.         Zuletzt durften meine Partnerin
Eines Tages erzählte ich ihm von        Susanne Siegmann und ich an der
einer jungen Sopranistin, die ich in    Verleihung des Kulturpreises der
El Salvador kennen lernen durfte. In    Stadt Winterthur teilnehmen. Es
einem Land, in dem Klassik oder         war auch für uns eine grosse Ehre.
auch klassische Unterhaltungsmusik      Einige Tage später kam Reto zu mir
nicht gerade sehr aktuell ist.          ins Büro. Ernst – hast du eine Alarm-
In der Folge begannen wir die Mög-      glocke? Natürlich hatte ich das.
lichkeiten, dieses Talent für Kon-      Bald danach las ich leider vom To-
zerte nach Europa zu holen, zu son-     de Retos, was uns sehr traurig
dieren – und schliesslich wurde sie     stimmt. Lieber Reto, wir werden
für das Sommerkonzert 2019 enga-        dich und dein Engagement immer
giert.                                  in Ehren halten.
Es war ihr erster Auftritt in Europa,
den Reto ermöglichen wollte. Ich
vertraute, nach den Erfahrungen mit
dem bereits fast sieben Jahre zu-
rückliegenden Geburtstagskonzert
darauf, dass Reto auch diese Hürde
nehmen und das lateinamerikani-
sche Temperament entsprechend
anleiten könne.
Neben dem Open Air Sommerkon-
zert mit dem ORP Orchester trat
Gracia Gonzales in der Folge dann
auch bei einem kleineren Privatkon-
zert unter Anwesenheit von Reto auf.

                                   - 16 -
Lieber Reto!
         von Michael Heim
Ich kann es immer noch nicht ver-
stehen, dass du nicht mehr antwor-
test, wenn ich dich anrufe und wis-
sen will, wie es dir geht, was du für
neue Pläne hast, ich dir von neuen
Ideen und Projekten erzählen will.
Ein tiefer Schmerz begleitet immer
noch jeden Gedanken an dich; ha-
ben wir doch nur sorglose, musika-
lisch und menschlich unvergesslich
schöne und wertvolle Momente mit-
einander erleben und teilen dürfen.
"Danke der Nachfrage, bin topfit"
ist die letzte Nachricht von dir auf
meinem Handy, die du mir ein paar
Tage vor deinem Tod geschickt
hast. Keine Todesnachricht hat
mich unerwarteter getroffen als dei-
ne. Der Schmerz über deinen Ver-
lust, die Wut und Verzweiflung,
nichts daran ändern zu können, ist
einer grossen Dankbarkeit gewi-
chen, dich gekannt zu haben und         mer bleiben wird: das Mysterium
dein Freund gewesen zu sein.            deiner grossen Seele. Sie wird mich
Ich habe dich geliebt wie einen Bru-    und alle, die dich kannten, immer
der. Und das waren wir auch, musi-      begleiten. Bis wir uns wiedersehen.
kalische und menschliche Seelen-        Ich muss es akzeptieren, dass du
verwandte. Mit keinem andern war        physisch weggegangen bist, dass
es so leicht zu musizieren. Unser       ich nie wieder Spässe mit dir ma-
Puls schlug gleich, unsere Herzen       chen kann, dass ich dir nie wieder
spürten denselben Takt, wir spielten    mit offenem Herzen zuhören kann,
uns förmlich die Bälle zu, sind zu-     wie du von deinem geliebten Vater,
sammen abgehoben und geflogen.          von deinem ganzen Stolz Seraina,
Es war Magie! Keiner hat die leich-     von deiner lieben Schwester Katha-
te Muse so ernst genommen wie du.       rina sprichst, von deinen Erlebnis-
Und darin lag dein grosses Geheim-      sen in Monaco und an so vielen an-
nis, dein Charisma, deine ganz be-      deren berühmten Plätzen dieser
sondere Gabe, Menschen glücklich        Welt. Und ich muss es akzeptieren,
zu machen. Du hast uns Künstler         dass wir keine gemeinsamen Pläne
und dein Publikum verführt und          mehr schmieden und Träume ver-
verzaubert.                             wirklichen können.
Deine Verdienste um die Musik als       Lieber Reto, ich vermisse dich un-
Dirigent, Komponist, Musiker, Ver-      endlich. Danke für deine wertvolle
leger, Produzent und nicht zuletzt      Freundschaft.
als grosser Lehrer kann man kaum        Wir sehen uns wieder.
in Worte fassen. Es ist das, was im-    Dein Michael

                                   - 17 -
Ein Sommerabend in Brissago           chen Stunden gingen viel zu schnell
    von Lotti und Felix Oldani         vorbei. Die Erinnerung an diesen
                                       besonderen Abend bleibt lebendig.
Letzten Sommer verbrachten wir
eine Woche im Tessin. "Ja, chömed
doch emal bi mir verbii", sagte Re-
to, als wir ihm von unseren Plänen
berichteten. Er lud uns ein, mit ihm
einen Abend in seinem Haus in
Brissago auf der Terrasse zu genies-
sen. Das Menu war ihm auch so-
gleich klar: Suppe und Wurstsalat
würde er uns servieren. So war er
eben, spontan, gastfreundlich und
unkompliziert. Ein Termin war
denn auch schnell gefunden.
An diesem Tag führte uns unser
Programm schon am Mittag in die
Nähe von Brissago. Wir wollten
diesen uns nicht bekannten Ort am
Nachmittag auskundschaften, bevor
wir dann am Abend bei Reto ein-
treffen würden. Doch jetzt machte
sich bei uns der Mittagshunger be-
merkbar. Da es bis zum Wurstsalat          Letzte Reise nach Wien
am Abend doch noch etwas lange                   von Evy Labhart
dauerte, beschlossen wir, noch eine
Kleinigkeit zu essen, und fanden       Ende November fragte mich Reto
auch gleich eine gemütliche Pizze-     Parolari an, ob ich ihn an sein Kon-
ria. Draussen an der Sonne schien      zert vom 18. November nach Wien,
es uns zu heiss, weshalb es uns ins    wo er sein Lehár-Orchester dirigie-
kühle Innere zog. Hier war es ange-    ren werde, begleiten würde. Mit
nehm ruhig und wir suchten im          dem Auto, also eine längere Reise!
Halbdunkel einen Tisch. Wir sassen     Auf meine Frage, weshalb er die
noch nicht richtig, da ertönte aus     doch beschwerliche Art der Reise
der hintersten Ecke eine wohlbe-       wählt, antwortete er in seiner char-
kannte Stimme: "Ja lueg emal,          manten Art, er möchte unserer ge-
s'Oldanis!" Ohne es zu wissen, wa-     meinsamen Freundin Christine, die
ren wir in Retos Stammbeiz gelan-      ihm seit Jahren in Wien ein Logis
det, der wie wir auch, in diesem       zur Verfügung stellt, einen Gefallen
Lokal eine Pizza essen wollte. Reto    tun. Da sie nicht mehr in der Lage ist
konnte uns auch beraten, was wir       mit ihrem Auto nach Wien zu fahren,
am Nachmittag hier am besten un-       wollte er für sie einige Gegenstände
ternehmen könnten, und sein Tipp,      aus der Wiener-Wohnung nach Hain-
fast könnte man sagen, die Empfeh-     burg zu transportieren.
lung eines Einheimischen, bewährte     Am Sonntag, 11. November war ich
sich natürlich.                        pünktlich um 09.00 h in Winterthur,
Den Abend auf Retos Terrasse ge-       wo ich samt Gepäck von meinem
nossen wir sehr, und die gemütli-      Auto in seinen Wagen umstieg und

                                  - 18 -
dann ging es los. Bei starkem Nebel      sassen. Reto betonte mehrere Male,
fuhren wir auf der A1 Richtung           dass dieser Berufskollege ihn an
Österreich, und bereits kurz nach        sich selber erinnere, als er im Alter
St. Gallen hatten wir herrlichen         von Herr Aichner war.
Sonnenschein. Die Sonne begleitete       Am Freitag verbrachten wir den
uns bis Salzburg, und die lange Rei-     Nachmittag im Prater und da spezi-
se verlief völlig problemlos. Wir        ell im Wachsfigurenkbinett der Ma-
kamen nach einigen Unterbrechun-         dame Tussauds. War das lustig!
gen abends um 21.00h in Wien in          Reto zusammen mit Kaiser Franz
dichtem Nebel an. Reto in "seiner"       Josef, Udo Jürgens und Sir Winston
Wohnung an der Sieveringerstrasse,       Churchill! ...und Peter Alexander, s.
ich in einem Hotel an derselben          Bild (Red.)
Strasse.
Am ersten, für mich Ferien-, für Re-
to, Arbeitstag, machten wir uns auf
den Weg in die Stadt, um Tickets für
die Wiener-Verkehrsbetriebe zu kau-
fen. Reto kannte sich in "seinem"
Wien aus, sodass wir in kurzer Zeit
alles erhalten haben, was wir wollten.
So blieb uns Zeit für einen kurzen
Wienbummel zu Fuss.
Den Abend verbrachten wir in un-
serem seit Jahren Lieblings-
Heurigen-Lokal Haslinger an der
Sieveringerstrasse.
Die folgenden Tage verbrachte Re-
to meistens mit den Vorbereitungen
des Konzertes vom Sonntag 18.
November im Konzert-Saal MuTH
der Wiener-Sängerknaben.
Am Mittwoch, dem einzigen Re-
gentag in Wien, machten wir die
Transportfahrt zu unserer Freundin       Abends waren wir wieder in einem
Christine nach Hainburg a/Donau.         "Heurigen", dieses Mal in einem
Wir benützen den Regentag zum            anderen. Man konnte erkennen, dass
Plaudern und für ein gutes Essen in      Wien eine zweite Heimat von Reto
einem Restaurant.                        war.
Am Donnerstag waren Reto und ich         Am Sonntag war dann das Konzert!
Gäste des Dirigenten des Musicals        Es war dem Komponisten Emmerich
"Cabaret", das an diesem Abend die       Kálmán und seinem Sohn, Charles,
letzte Vorstellung in der Volksoper      gewidmet. Der fast voll besetzte Saal
Wien hatte. An der Kasse lagen für       erfreute sich über die schöne Musik,
uns zwei Tickets für wunderbare          die bald erklang. Reto dirigierte in
Logenplätze bereit. Reto und ich         seiner schmissigen Art die herrliche
freuten uns über die Aufführung          Musik von Emmerich und Charles
sehr und besonders, dass wir an-         Kálmán. Miriam Portmann, lyrische
schliessend mit dem Dirigenten,          Sopranistin aus Wien und Bern, be-
Lorenz C. Aichner noch zusammen          reicherte das Programm mit ihrer

                                    - 19 -
herrlichen Stimme. Der Tenor, Ale-       Kurz vor 21.00 h kamen wir dann in
xandru Badea aus Rumänien, jetzt in      Winterthur an und wir beide erklär-
Wien lebend, sang sehr hübsche Lie-      ten, dass wir noch nie über so viele
der, solo und im Duett mit Miriam        Themen gesprochen und uns so gut
Portmann. Durch das Programm             kennen gelernt haben wie dieses
führte Wolfgang Dosch, Professor an      Mal. Ich wechselte noch das Auto
der MUK (studierte Trompete, Ge-         und fuhr dann nach Hause auf die
sang, Schauspiel, Opernregie, Theater    Forch, nicht wissend, dass es das
- und Musikwissenschaft und kultu-       letzte Mal war, dass ich Reto sah.
relles Management) und sang den          Gesprochen haben wir uns noch
sehr berühmten Clown-Song aus dem        dreimal, zweimal rief er mich an
Film "Fabian". Als Ehrengast war         aus Brissago. Wir vereinbarten ei-
Robert Jarczyk-Kálmán, Enkel und         nen Kurzaufenthalt in seinem Feri-
Sohn von Emmerich und Charles            enhaus im Frühjahr 2020!
Kálmán aus München
angereist und bereicherte
das Programm durch
Anekdoten über seine
Vorfahren. Alles in Al-
lem – das Konzert war
ein grosser Erfolg (wie
man sich gewohnt war
von Reto) und die Stim-
mung konnten wir beim
anschliessenden Zusam-
mensein mit den Solisten, dem Or-        Wie habe ich Reto kennengelernt?
chester sowie dem Sohn/Enkel             Ich war Präsidentin und Leiterin der Musik-
Kálmán nochmals aufleben lassen          schule Maur während 15 Jahren. Im Jahre
                                         feierte die Schweiz "700 Jahre Eidgenos-
Herr Kálmán aus München war              senschaft" und der damalige Bundesrat
Gastgeber der ganzen Runde.              delegierte die Festivitäten an die Kantone
Am Montagvormittag, nach dem             und die wiederum an die Gemeinden. Mir
Frühstück, machten sich Reto und         schwebte schon lang der Gedanke im Kopf
ich auf die Heimreise, die einmalig      herum, mit den Musiklehrern und sehr gu-
                                         ten Schülern der Musikschule Maur, sowie
war und sehr viele interessante Ge-      den vielen Musikern, die in der Gemeinde
spräche beinhaltete. Reto erzählte       Maur leben, ein ad hoc Orchester im Loo-
mir u.a. wie froh er war, dass die       rensaal in Maur auf die Bühne zu bringen.
bekannte Radiofrau, Regi Sager,          Der Gemeinderat fand diese Idee sehr gut
                                         und bewilligte mir einen namhaften Kredit
sehr kompetent und sympathisch           für die Durchführung meiner Idee. Durch
seine Winterthurer-Konzerte beglei-      den von mir ausgewählten Dirigenten E.
tet und sie lebhaft kommentiert. Er      Fiebig lernte ich damals Reto Parolari ken-
sei froh, dass er sie für diese Aufga-   nen. Das "Orchester 700 Maur" wurde nach
be gewinnen konnte. Das erzählte er      einem Jahr eine feste Institution, nämlich
                                         das Orchester "Orchester Maur" und von da
kurz vor Salzburg. Und von Salz-         an waren wir sehr gute Kunden von Reto
burg bis zum Arlbergtunnel sprach        für das Notenmaterial. Der Sound des Or-
er mir mit grosser Freude über seine     chesters war sehr ähnlich wie derjenige vom
Tochter Seraina. Wie grossartig sie      ORP, nämlich gehobene Unterhaltungs-
                                         musik.
sich macht in ihrer selbst gewählten     Seit 1992 verband mich eine Freundschaft
Ausbildung. Er erklärte, wie stolz er    mit Reto und ich wurde Mitglied des PRO
auf seine Tochter sei.                   ORP!

                                    - 20 -
Im Schatten des Maestros              ein kräftiger Fusstritt gegen die
         von Ueli Anderes              Scheiter denselben Effekt gebracht.
                                       Dieses Schauspiel hinterliess bei
Er war mir dem Namen nach zwar         mir den nachhaltigen Eindruck, dass
bekannt, der Maestro, persönlich       der Zivilschutz eine völlig unnütze
kennen gelernt habe ich ihn aber       und überflüssige Institution war.
erst im Frühling 1992. Ich war da-     Mit dieser Geschichte und dem Ar-
mals neu ernannter Dienstchef In-      gument, ich verstünde nur etwas
formation bei der Winterthurer Zi-     von Marketing, versuchte ich den
vilschutzorganisation.                 damaligen Ortschef von meiner Zi-
Eigentlich hatte ich mir vorgenom-     vilschutz-Untauglichkeit zu über-
men, mich um eine Einteilung bei       zeugen. Vergeblich! Leider erreich-
dieser Organisation zu drücken,        te ich damit genau das Gegenteil.
weil ein Jugenderlebnis bei mir ei-    Zu meiner Überraschung bestätigte
nen vernichtenden Eindruck hinter-     mir der Ortschef das schlechte
lassen hatte. Ältere Männer in blau-   Image des Zivilschutzes und in die-
en Überkleidern und mit gelben         ser Situation brauche er eben einen
Helmen beschützt bauten auf dem        Marketingspezialisten.
Teuchelweiherplatz nebeneinander       Ich hatte damals die Freiheit, eine
12 kleine Pyramiden aus je drei        Gruppe von Spezialisten um mich
Holzscheiten auf und versuchten        aufzubauen. Neben Journalisten,
diese anzuzünden. Dann wurden in       Fotografen, Grafikern und Layou-
Zweiergruppen diese Grossfeuer         tern war eben mit einem gewissen
aus fünf Metern Entfernung be-         Reto Parolari auch ein Musiker da-
kämpft. Der Vordermann umklam-         bei. Dieser sollte helfen, eine unse-
merte liegend das Strahlrohr einer     rer Ideen umzusetzen, nämlich ein
sogenannten Eimerspritze, wäh-         Orchester auf die Beine zu stellen.
renddem der zweite Mann durch          Schon bei einem ersten Gespräch
Pumpen an derselben den notwendi-      waren Reto und ich uns einig, es
gen Druck aufbaute. Es war ein         sollte eine Bigband sein. Bei einer
Bild für Götter und ich hatte mich     Bigband hielt sich einerseits der
köstlich amüsiert. Immerhin hätte      Aufwand in Grenzen und anderer-

                                  - 21 -
seits konnte eine Bigband ein brei-     Ich versuchte also den Maestro von
tes Repertoire abdecken.                dieser Idee zu überzeugen. Nicht
Reto war eigentlich ein begeisterter    ganz einfach, aber es gelang. Und
Zivilschützer. Als Mitglied im          dass diese Aktion sich auszahlte,
Fachgebiet Betreuung hatte er           zeigte sich nicht zuletzt daran, dass
schon verschiedentlich Dienste ge-      viele dieser Musiker über Jahrzehn-
leistet. Trotzdem zeigte er sich über   te der Bigband die Treue hielten,
die neue Aufgabe mit dem Orches-        einer sogar bis zum heutigen Tag.
ter nur wenig begeistert, weil er       Bis zum ersten Auftritt der Bigband
bereits im Jahr zuvor einen analo-      blieb noch viel Kleinarbeit, wäh-

gen Versuch unternommen hatte.          rend der Reto und ich uns immer
Eine Umfrage unter zivilschutz-         näher kamen. Wir definierten ein
pflichtigen Berufsmusikern ergab        Standardrepertoire, ein Programm
dannzumal allerdings ein ernüch-        für die Premiere anlässlich eines
terndes Ergebnis. Es meldeten sich      Zivilschutz-Jahresendrapports und
Gitarristen, Flötisten, Harfenisten     eines für den Erstauftritt als zweites
und einige Geiger. Damit hätten         Festivalorchester im Stadttheater
sich gleich mehrere Ensembles in        Winterthur. Aber auch die Pultplat-
der Besetzung von Los Paraguayos        ten der legendären DRS-Bigband
realisieren lassen. Für eine Bigband    mussten neu gestaltet werden. Bei
fehlten aber insbesondere Saxopho-      diesen vielen Kontakten hatte ei-
nisten und Blechbläser. Zu jener        gentlich nur meine Sekretärin Prob-
Zeit hatte ich schon fast 30 Jahre      leme mit dem Maestro. Dabei war
lang Blasorchester und Bigbands         sie die beste Sekretärin der westli-
geleitet und während dieser Zeit        chen Hemisphäre. Es wollte ihr nur
viele ausgezeichnete Musiker ken-       lange Zeit nicht gelingen, den Na-
nen gelernt, von denen sicher der       men des Maestros richtig auszu-
eine oder andere auch zivilschutz-      sprechen. "Grüezi Herr Palo..la..li",
pflichtig war. Vielleicht konnte die-   stotterte sie mehrfach am Telefon.
se Erfahrung unser Problem lösen.       Meinen Rat, den Namen bei der

                                   - 22 -
Begrüssung wegzulassen, empfand        Musik. Und für mich entwickelte es
sie aber als zu unpersönlich.          sich zu einem neuen Tätigkeitsge-
In den folgenden 25 Jahren eilte die   biet im Schatten des Maestros. An-
Bigband von Erfolg zu Erfolg. An       fänglich übertrug mir Reto die Ko-
Dienstanlässen des Zivilschutzes,      ordination mit den Veranstaltungs-
der Schweizer Armee und sogar          lokalen, dem Stadttheater oder dem
anlässlich eines Nato-Kurses kam       Kirchgemeindehaus an der Liebe-
das Orchester zum Einsatz. Vier        strasse und den Probelokalen. Später
CDs wurden produziert und Einla-       kam noch die sogenannte Orchester-
dungen zu mehreren Radio- und          disposition dazu, das heisst, Anfra-
Fernsehproduktionen des Schweizer      gen und Engagements der benötig-
Fernsehens und des Südwestdeut-        ten Musiker. Das Orchester Reto
schen Fernsehens SWR wurden            Parolari war ein sogenanntes Pro-
angenommen. Darüber hinaus wur-        jektorchester. Dieses rekrutierte sich
de die ZS-Bigband für ver-             für einen Auftritt aus einem beste-
schiedenste Familienfeste und Fir-     henden Stock an Musikern. Nur im
menjubiläen engagiert. Bei vielen      Fall von Krankheit, Unfall, Schwan-
dieser Anlässe konnte ich Reto bei     gerschaft oder anderen Unpässlich-
der Planung, der Vorbereitung und      keiten musste Ersatz beschafft wer-
an den Anlässen selbst unterstützen.   den.
Zweimal kam mir die Ehre zu, Reto      Reto war ausserordentlich beliebt
als Dirigent zu vertreten.             als Chef d'Orchestre. Die Musiker
Eigentlich war das Zivilschutzor-      freuten sich jedes Mal auf eine Zu-
chester in Retos Tätigkeiten nur ein   sammenarbeit mit ihm und dies,
Nebenprodukt, wenn         auch ein    obschon die Gagen, die wir anbieten
wichtiges. Sein Hauptanliegen galt     konnten, weit unter dem Existenz-
aber seinem eigenen Orchester, dem     minimum lagen. Mit Reto waren
Orchester Reto Parolari. Mit ihm       schon die Proben und erst recht die
konnte er seinen Lebenszweck, die      Aufführungen ein Erlebnis. Ich
Pflege und Förderung der sympho-       kann diese Aussage durch ein Bei-
nischen Unterhaltungsmusik so          spiel belegen. Einmal suchte ich
richtig ausleben. Leider fielen die    verzweifelt einen dritten Schlagzeu-
Einsätze als Operettenorchester am     ger, zuerst in der Deutschschweiz,
Stadttheater St. Gallen und beim       dann in der ganzen Schweiz und
Schweizer Fernsehen schon vor          darnach in Vorarlberg und im
Jahren dem sich verändernden Zeit-     grenznahen Deutschland. Durch
geist zum Opfer. Aber Reto wäre        Terminüberschneidungen war nie-
nicht Reto gewesen, hätte er nicht     mand frei an den verlangten Daten.
nach neuen Lösungen gesucht und        Durch Weitervermittlung gelangte
mit dem jährlich wiederkehrenden       ich schlussendlich an einen Schlag-
Festival der gehobenen Unterhal-       zeuger in Stuttgart. Dieser wäre
tungsmusik auch gefunden.              zwar frei und auch interessiert ge-
Ab 1991 trafen sich jeweils im Ok-     wesen. Aber er verlangte den Deut-
tober in Winterthur renommierte        schen Orchestertarif und der lag um
Orchester, Instrumental- und Vo-       etwa das Dreifache über unserem
kalsolisten aber auch Komponisten,     Gagenangebot. Also: Rückfrage bei
Arrangeure und Musikverleger aus       Reto, und dieser entschied, dass wir
ganz Europa. Das Festival entwi-       diese Kröte schlucken müssten. Bei
ckelte sich zur Börse für gute U-      einem Anruf in Stuttgart erläuterte

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ich die etwas spezielle Situation                              rolaris besassen da "La Preora", ihr
und bat der Gerechtigkeit wegen                                Ferienhaus. Knapp 100 Meter ent-
um Diskretion, was die Gage anbe-                              fernt, direkt unterhalb von uns. Man
langte. Nach der ersten Probe im                               kann also nicht sagen, der Schatten
Kirchgemeindehaus Wülflingen                                   des Maestros holte mich ein. Nein,
dann die Überraschung: Besagter                                der Schatten des Maestros war
Schlagzeuger kam zu mir, entschul-                             schon da, bevor wir kamen. Und so
digte sich und schwärmte über-                                 war es eigentlich naheliegend, dass
schwänglich von der tollen Probe.                              ich weiterhin Festivals vorbereitete
Unter diesen Umständen hätte er                                und Musiker disponierte. Home-
ein schlechtes Gewissen, wenn er                               office gab es also damals schon, nur
nicht zum selben Tarif wie alle an-                            nannte es keiner so. Kam dazu, dass
deren spielen würde. Retos Arbeit                              die Besprechungen mit Reto im
war eben immer überzeugend! Vor                                wahrsten Sinne des Wortes weniger
und hinter den Kulissen.                                       trocken abliefen, als früher in Win-
Ende der 1990-er Jahre wollte ich                              terthur. Und sie dauerten meist bis
mich aus dem Berufsleben zurück-                               tief in die Nacht.
ziehen, nicht zuletzt um mehr Zeit                             Bei einer dieser Abendveranstaltun-
im Schatten des Maestros zu ver-                               gen diesmal auf unserer Terrasse
bringen. Ich übertrug die Führung                              brachte Reto drei Computer-
meiner Software-Firma einem mei-                               Disketten mit. Es seien Listen drauf
ner Mitarbeiter und informierte die                            von einem Teil seiner Notensamm-
wichtigsten unserer Kunden über                                lung und ich soll doch bitte diese in
den Wechsel. Nur ... schon nach                                eine einzige Liste zusammenführen.
kurzer Zeit realisierte ich, dass Los-                         Diese eigentlich rein technische
lassen nicht so einfach ist. Ich sass                          Arbeit, die nur darin bestand, die
immer noch jeden Morgen um sie-                                drei Excel-Listen in eine einheitli-
ben Uhr in meinem Büro. Da konn-                               che Form zu bringen und danach
te nur ein Ortswechsel helfen.                                 zusammen zu kopieren, liess mich
Meine Frau und ich zogen deshalb                               erahnen, was für einen Schatz Reto
in den Tessin, nach Brissago. Was                              da besass. In den 30 Jahren des Be-
wir damals noch nicht wussten: Pa-                             stehens seines Orchesters war schon

   WIR SIND NEUTRAL
   KLIMA- NEUTRAL
                                                               Rohner Spiller - die erste komplett
                                                                klimaneutrale Digitaldruckerei in
   ROHNER SPILLER AG                                               der Region Winterthur.
   TECHNIKUMSTRASSE 74         PERFORMANCE

   8400 WINTERTHUR                  neut ral   01-13-313465
                                  Dru ckerei   myclimate.org

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