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U-Musik Informationen für die Mitglieder des Kulturvereins PRO ORP und für die Freunde des Orchesters Reto Parolari Winterthur 19 5 2 -2 01 9 November 2020
Impressum Inhalt Editorial ........................................3 Herausgeber: Begegnungen mit Reto Parolari: Kulturverein PRO ORP Laudatio (U. Schnell) .................4 Die kleine Stadt (B. Gerig) .........8 Redaktion: Früh übt sich (N. Schmid) ........10 Annemarie Reimann Klavier (R. Lerf) .......................10 Layout: Abschied (Thierry Comes) .......11 Annemarie Reimann Erinnerungen (R. Gut) ..............11 Komet (R. Mäder) ....................12 Mitarbeit in dieser Nummer: Rotarier (H. Winzeler) ..............13 Katharina Wildermuth, Ueli An- Besondere Stunden (U. Sick)....15 deres Ernst, hast du - ? (E. Heiniger) .16 Titelblatt: Lieber Reto (M. Heim) .............17 Brissago (F.+L. Oldani) ............18 Nachlass Reto Parolari Wien (E. Labhart) ......................18 Fotos: Schatten (U. Anderes) ...............21 Archiv ORP, B. Gerig, F. Oldani, Mitgliederversammlung ..............26 H. Winzeler, U. Sick, E. Labhart, Quo Vadis Notenarchiv ...............27 S. Roth Portrait Stefan Roth .....................30 Geschichte des ORP ....................31 Produktion: Mitwirkende ORP ........................32 Sekretariat ORP ORP-Anekdoten: Rychenbergstrasse 298 Ruedi Keller..............................34 8404 Winterthur Reto Parolari .............................34 Tel. 052 386 24 40 Schräge Raritäten ........................35 annemarie.reimann@bluewin.ch Druck: Feldenkrais © Rohner Spiller AG Annemarie Reimann Winterthur Gruppenkurse Ausgabe November 2020 Gratis Schnupperstunde Einzelstunden Auflage 500 Ganzheitlich Musizieren Finale Ausgabe Studio Harlekin Rychenbergstrasse 95 8400 Winterthur Ein herzliches Dankeschön info@reimann.biz an alle Inserenten, die uns über die Jahre die Treue www.reimann.biz gehalten haben! 079 779 36 75 -2-
und Retos Freundeskreis erhalten Editorial habe. Den Beginn macht die Laudatio, die sein Freund Urs Schnell anlässlich Geschätzte Leserinnen der Verleihung des Kulturpreises und Leser, der Stadt Winterthur 2019 – was Reto Parolari glücklicherweise Traurig, aber wahr: Reto Parolari noch erleben durfte – gehalten hat ist nicht mehr. Sein unerwarteter (wir berichteten darüber im U- Tod bedeutet nicht nur einen Musik November 2019). Im Nach- grossen menschlichen Verlust, hinein erhält sie einen bitteren sondern auch das Ende einer Epo- Nachgeschmack … che. Mit ihm verliert die Musik- Es gibt aber auch positive Nach- welt einen der grössten und letz- richten: mit einem grossen Gedenk- ten Verfechter der sinfonischen konzert möchten wir Reto Parolari Unterhaltungsmusik. Mit ihm den "Abgang" posthum so gestal- wird auch sein Orchester Reto ten, wie er ihn selber musikalisch Parolari, das einzige grosse pri- für sein Orchester im Hinblick auf vate Unterhaltungsorchester Euro- das 50jährige Jubiläum 2023 ge- pas, verschwinden und damit plant und skizziert hat. ebenfalls unser Unterstützungs- Und auch das Notenarchiv ist be- verein PRO ORP. reits in gute und fähige Hände über- Deshalb halten Sie hier auch die gegangen, so dass wenigstens das letzte Ausgabe der Zeitschrift U- musikalische Erbe von Reto Parolari Musik in den Händen. Sie ist ganz weiterleben wird. dem Andenken an Reto Parolari Ihnen allen im Voraus herzlichen gewidmet. Ich bin überwältigt von Dank, dass Sie uns bis zum "bitteren der grossen Anteilnahme und den Ende" am 5. September 2021 treu vielen Zuschriften, die ich aus bleiben! den Reihen unseres Kulturvereins Annemarie Reimann Adieu, Reto! DANKE FÜR ALLES Dein Orchester Reto Parolari und der Kulturverein PRO ORP -3-
Begegnungen mit Reto Parolari Ein bunter Strauss von Andenken aus dem Freundeskreis von Reto und von Mitgliedern des Kulturvereins PRO ORP Laudatio von Urs Schnell Sehr geehrter Herr Stadtpräsident, werte Freundinnen und Freunde Gehobener Unterhaltungs- und an- derer Musik, geschätzte Damen und Herren, lieber Reto, Wie wir eben erfahren durften, ha- ben der Winterthurer Stadtpräsident und ich offenbar die gleiche Erfah- rung machen können, nämlich die, uns von Reto Parolari dirigieren zu lassen... Blumen von Stadtpräsident Mike Künzle In der Tat schliesst sich für mich heute Abend ein Kreis: auf der Büh- damaligen Chorleiter und Konsidi- ne dieses Hauses hatte ich meine rektor, dem von mir hoch geschätz- erste Begegnung mit Dir, Reto – wir ten Fritz Näff, stellte sich eine echte schreiben ungefähr das Jahr 1990. Herausforderung.. Als Lehrdiplom-Student an der da- Aber: je näher das Konzert kam, maligen Musikhochschule hier in umso deutlicher wurde: Unterhal- Winterthur musste ich beim jährli- tungsmusik ist nicht per se "leichte" chen Konsi-Chorkonzert mitsingen. Musik, die auf die "leichte" Schul- Angesagt war ein gemeinsames ter genommen werden kann. Da Konzert mit Deinem Orchester. – fordern einen härteste musikalische Auf dem Programm: "Gehobene Knacknüsse. Unterhaltungsmusik". Schlussendlich zum Fliegen ge- Diese Ausgangslage war, Sie kön- bracht hast es dann Du, Reto: Dank nen sich das vielleicht vorstellen, Deiner Begeisterung, Deinem Elan, geschätzte Damen und Herren – Deinem Humor, - und ja, einer na- nun: nicht ganz einfach: Für die auf türlichen Autorität, wie sie nur die hehre Klassik konditionierten Könnern eigen ist, die über der Ma- Musik-Studentinnen und Studenten terie stehen, ging ein Ruck durch war es zunächst völlig abwegig, die versammelte Studentenschaft. sich mit solchem Repertoire über- Widerstände schmolzen, es wurde haupt auseinandersetzen zu müssen. gemeinsam musiziert. Skepsis schlug dem Vorhaben ent- Was ich an jenem Abend von Dir gegen. "Unterhaltungsmusik"... wo- als Lebensweisheit mitnehmen möglich sogar noch ternär- durfte: Um als Musiker sein Publi- swingend… Auszüge aus "My Fair kum wirklich abzuholen braucht es Lady" und ähnliches… nun, dem den Respekt gegenüber seinen Mit- -4-
MusikerInnen, die profunde Kennt- zendem. Aber, und das zur Erleich- nis dessen was man tut, eine tiefe terung des doch nicht ganz so ar- Ehrfurcht vor der Musik, vor allem men Laudatoren: zusammengehalten aber die eigene Begeisterung, das vom unbedingten Feuer für die Mu- lodernde Feuer, – das Feu sacrée. sik, dem Feu sacrée – und genau Geschätzte Damen und Herren, wegen der Ecken und Kanten ist es Mit dieser kleinen Reminiszenz an ein in sich logisches Curriculum. die Vergangenheit darf auch ich Sie Du bist Künstler – aber auch ge- herzlich zu dieser Kulturpreisüber- wiefter Unternehmer. Du bist Kom- gabe an Reto Parolari begrüssen. ponist und Arrangeur, Du bist Au- Es ist mir eine grosse Ehre und tor und Herausgeber von Fachlitera- Freude, hier zu Ihnen sprechen zu tur, Dirigent und Instrumentalist. dürfen. Und ich danke Dir, Reto, dass Multi-Instrumentalist: auf Marimba, Du mich dafür angefragt hast… der Continental-Schreibmaschine, Ihr Parolaris seid ja seit heute dem Schlagzeug, Klavier, virtuos Abend die Winterthurer Familie mit sogar auf Autohupen. Dein der wohl umfangreichsten Kultur- Hauptinstrument aber, das bist – Du preissammlung, schon Dein Vater, selber. Deine Echtheit, Dein Glaube der Oboist Egon Parolari, hat den an Deine Mission, Deine Herzlich- Preis vor genau 30 Jahren zugespro- keit und Humor, Deine Sturheit und chen erhalten – was auch für die Unbedingtheit, eben Dein Feu Kontinuität der Winterthurer Kul- sacrée… turpolitik spricht. Es ist unmöglich über Dich zu spre- Seit Kindsbeinen hast Du in Win- chen, ohne gleichzeitig die terthur gewirkt. Einmal hast Du "Gehobene Unterhaltungsmusik" gesagt: "Ich selber bin eigentlich mitzumeinen. Doch, Moment… was auf dem Bühnenboden des Stadt- ist das?? Was unterscheidet den hauses aufgewachsen. Mein Vater Parolari von anderen MusikerInnen, hat mich so oft an Proben und was ist, im Marketing-Sprech: Dein Konzerte mitgenommen." Alleinstellungsmerkmal? Mit 24 Jahren hast Du an der hie- Ich darf Cédric Dumont, den Grün- sigen Musikhochschule Dein Stu- der des Unterhaltungsorchesters dium als eidgenössisch diplomier- von Radio Beromünster und Leiter ter Musiker im Hauptfach Schlag- des Radiostudio Zürichs zitieren: zeug abgeschlossen, weitere Stu- "Der Sündenfall der Musik ge- dien folgten in Hannover, Stutt- schah, als man zwischen E und U, gart und Wien. zwischen Ernst und Unterhaltung Voilà – Und ab jetzt, geschätzte zu unterscheiden begann... Aber Damen und Herren, wird es schwie- auch für U braucht es Durchhal- rig, denn die grösste Herausforde- tewillen, handwerkliches Können rung, wenn man sich dem Werken und Begeisterungsfähigkeit". Voilà, und Wirken von Reto nähern will, das Feu sacrée. ist schlicht die unglaubliche Vielfalt Du brennst für ein Musikgenre, das seines Schaffens. es wahrlich "nicht leicht" hat. Ein Kein einfaches Unterfangen für den Genre, das, wenn überhaupt wahr- armen Laudatoren, Dein Curricu- genommen, oftmals mit süffisantem lum, Reto: es ist geprägt von Lächeln bedacht wird… Gleichzeitigem und Gegensätzli- Doch woher kommt das eingangs chem, Parallelem und sich Ergän- geschilderte Nasenrümpfen seitens -5-
der VertreterInnen des sogenannten musikalisches Storytelling at its best. "Ernsten" Fachs? Mit den massiven Verwerfungen in Die Anforderungen sind hoch, hö- der Medienlandschaft anfangs der her wohl als an manch andere, ver- Siebzigerjahre war auch die Hoch- meintlich ernste Musikgenres: Um zeit der Radioorchester vorbei: Ein die volle Wirkung der Unterhal- Klangkörper nach dem anderen tungs-Musik zu erzielen, ist die Par- wurde aufgelöst. Das Repertoire titur genauestens umzusetzen, die wurde nicht mehr nachgefragt, Musik MUSS ernst genommen – höchstqualifizierte Musikerinnen aber – Achtung: Widerspruch – im- und Musiker wurden entlassen, den mer mit einem Augenzwinkern ge- Notenarchiven drohte die Altpa- spielt werden. piersammlung… Doch: im Umkehrschluss: Darf ich Da war Reto zur richtigen Zeit am mich nicht von einer Beethoven- richtigen Ort: Du hast die Notenbe- Sinfonie, einem Bach-Konzert stände des Radiostudio Basels, die "unterhalten" fühlen? Und falls ich des Bayrischen Rundfunks und mich doch "unterhalten" fühlen soll- später jene des Radio-Orchesters te: hat da jemand etwas falsch ge- Beromünster buchstäblich vor dem macht?? Shredder bewahrt. Ich lass das mal so stehen… Und so gedeiht Deine materiell Deine Kunst ist eng verknüpft mit wohl grösste Leistung nun eher im der Geschichte des Schweizer Ra- Verborgenen, hier fast unter unse- dios. Bis in die siebziger Jahre hatte ren Füssen... jede Radiostation ihre eigenen Or- In einem grossen Luftschutzraum chester unter Vertrag, die mit spezi- mitten in der Stadt Winterthur bist ell komponiertem Repertoire die Du zum Hüter einer riesigen No- gesprochenen Sendungen live be- tensammlung von über 110'000 gleiteten. Um die gewünschten Titeln geworden. Stimmungs-Effekte beim Zuhörer Dieses grösste Musikarchiv Euro- zu erzielen, musste die Musik viel- pas ist aber nicht einfach ein Mau- fältig, farbig und bildhaft kompo- soleum kreativer Momente, nein, niert und handwerklich perfekt um- Du vermittelst den Zugang für zahl- gesetzt sein. Was mich zur These reiche internationale Orchester, veranlasst: die gehobene Unterhal- welche die Noten rege nutzen. tungs-Musik ist eine Filmmusik, – Dein Verdienst für den sowohl eine Filmmusik, die sich ihre Bilder klingenden als auch archivari- selber schaffen muss – und das ist schen Fortbestand dieses musik- -6-
historisch einmaligen Erbes, die mit Deinem Internationalen Festival Lebendigerhaltung von Kulturgut, der gehobenen Unterhaltungsmusik kann nicht hoch genug gewürdigt hast Du zwar ein einzigartiges Mu- werden. Ich danke an dieser Stelle sikereignis von internationaler Aus- der Stadt Winterthur, dass sie mit strahlung geschaffen – welche aber ihrem Preis dieses einmalige En- von der heimatlichen Öffentlichkeit gagement anerkennt und damit eher weniger beachtet wurde.. auch dieser Musik die verdiente Ich müsste jetzt noch auf Deine Ar- Referenz erweist. beit als Komponist und Arrangeur Und natürlich kann man nicht über von über 800 Werken eingehen, Dich sprechen, ohne Deine eigenen auch der Autor von Fachartikeln Orchester zu erwähnen. und mehreren Fachbüchern verdien- Das erste hast Du bereits während te gebührend gewürdigt zu werden des Studiums an der hiesigen Mu- – indes, die Zeit rinnt... sik-Hochschule gegründet. Etwas ist mir aber noch wichtig: Du Es entstand das ORP in sinfonischer bist nicht nur in eigener Sache un- Besetzung, welches seit 1990 aus- terwegs, Reto: als Vorstandmitglied schliesslich mit rund 40 Berufsmu- der Urheberrechtsgenossenschaft sikerInnen besetzt ist. Ein solches SUISA oder als aktives Mitglied Orchester – das sei am Rande ver- des hiesigen Rotary Clubs Win- merkt – ist eigentlich ein unternehme- terthur-Mörsburg bist Du auch un- rischer Blödsinn. Es kann nie rentie- eigennützig dem Dienst an Deiner ren – und trotzdem: Du musstest es Mitwelt verpflichtet. nie beim Konkursamt melden. Wie eingangs erwähnt: ein Curricu- Über 40 Orchester aus der ganzen lum mit Ecken und Kanten – denn all Welt hast Du dirigiert, darunter Exo- diese Facetten Deines Tuns: sei es als ten wie das Orchester Hermitage, Musiker, Dirigent, Orchesterleiter, St.Petersburg (Russland), das Orches- Unternehmer, Veranstalter, Verleger, ter Flughafen Zürich (Schweiz), oder Archivar, Komponist – sie ergänzen, das Philharmonische Orchester bedingen und brauchen sich gegen- Pyöngyang (Nord-Korea). seitig und ergeben das Gesamtbild Um all diese Engagements hast Du eines Kulturschaffenden, eines Kul- Dich nie beworben – Du wurdest turschaffers – eben ein logisches stets angefragt... Curriculum. So auch für die Zirkuswelt: mit zar- Erst vor Kurzem durfte ich noch ten 28 Jahren hat man Dir die Diri- einmal unter Deinem Dirigat wir- gentenstelle beim Zirkus Nock an- ken: zwar nur in einem Stück, dies- geboten, kurz darauf jene beim Zir- mal aber als ausgebildeter Flötist. kus Knie. Für Dein Wirken am The- Und innert Sekunden war es wieder ater Carré in Amsterdam hat Dir die da: dieses Gefühl, das Du einem so niederländischen Königin gar den gekonnt vermittelst: dieses respekt- Titel "Königlicher Kapellmeister" volle "Das kommt gut, vertrau mir". verliehen. Und auch als musikali- Locker im Auftritt, ernsthaft in der scher Oberleiter des internationalen Sache. Und tatsächlich: Du hast Circusfestivals in Monaco findest eingezählt, die BigBand swingt los, Du Dich ja auf Tuchfühlung mit mein Einsatz… Dein Feu sacrée Adligen und gekrönten Häuptern…. loderte und alles war superbe – und Nur in der Heimat schlug Dir der ja, es kam gut! Glamour etwas weniger entgegen: Merci, Reto, für das alles!! -7-
Die kleine Stadt der späteren WGs. Unterschiedli- von Brigitta Gerig -Wildermuth cher hätten unsere Eltern nicht sein können, aber das war vielleicht ge- "Wir sind gerade in der Kleinen rade das Geheimnis für diese funk- Stadt. Herzlich Oter". Versehen mit tionierende Freundschaft. Wir Kin- dieser handschriftlichen Anmer- der waren, was das Umsetzen unse- kung erreichte mich im letzten De- rer Fantasien betraf, ein eingespiel- zember Retos mit frohen Fotos be- tes Team, Helden in unserem Kin- bilderte Festtagsgrusskarte zum deralltag. Wir kreierten unsere eige- Jahreswechsel. Nun gilt es zu wis- ne Sprache, die nur Insider verstan- sen, dass die Kleine Stadt weder den. So stellten wir unsere Vorna- Rapperswil noch Olten, auch nicht men auf den Kopf und buchstabier- Brissago oder Frauenfeld beinhaltet, ten sie von hinten nach vorn, zum nein, die Kleine Stadt ist eine Win- Beispiel Oter für Reto. Auch andere terthurer Subkultur aus längst ver- Ausdrücke haben wir so umge- gangenen Zeiten. Reto wählte gerne schrieben. Unser Lieblingsgetränk diesen historisch gewachsenen Ge- war Enitlamovo und Retos Nachna- heimcode und Schlüssel zu unseren me Iralorap. gemeinsamen Kindheitstagen. Ich bin mit Reto aufgewachsen. Er wohnte mit seiner jüngeren Schwes- ter, der "kleinen Käthi" und seinen Eltern im ersten Stock; ich mit mei- ner älteren Schwester, der "grossen Käthi" und meinen Eltern im Erdge- schoss. Aus heutiger Sicht würde man sagen, so quasi ein Vorläufer Einblick in die Kleine Stadt oder Hommage an das Spiegelei Eine Tages habe ich die Idee, in meinem Kinderzimmer eine Stadt zu errichten. Kartons, Schere, Leim, Farben – das Projekt kann begin- nen. Apotheke, Restaurant, Tierarzt, Lebensmittelgeschäft, eine Schule, alles wird aufgebaut. Auch ein Handarbeitsgeschäft – "Tigirb Wolllädelchen" – öffnet seine Tü- ren und zieht vor allem weibliche Kundschaft an. Teddybären, Pup- pen und weitere Knuscheltiere sind Statisten, die je nach Bedarf zum Leben erweckt werden. Am Ein- gang zum Kinderzimmer prangt in grossen Lettern das Ortsschild: "Kleine Stadt". Von der ersten Stunde an zieht Reto das Restaurant vor. Er wird Stamm- -8-
den Kinderabenteuern an der St. Georgen- strasse 68. Kostbarkeiten der Erinnerung, die sich immer wieder in neuen Wahrheiten finden Diese meine Erinnerun- gen schlummerten jah- relang, vom Vergessen verschüttet. Reto liess sie wieder aufleben. Er konnte sich an unglaub- lich viele Details erin- nern, von denen ich keine Ahnung mehr gast und kommt mehrmals täglich hatte. Selbstverständlich unter- vorbei. Sein bevorzugtes Menü ist schrieb er zeitlebens alle an mich Spiegelei. Er setzt sich ans kleine gerichtete Korrespondenz mit Oter. Tischchen und ordert. Dann wartet Wir waren schliesslich Bürger der er mehr oder weniger geduldig, bis Kleinen Stadt. ich auf dem kleinen Puppenkoch- herd das Spiegelei zubereitet habe und es ihm servieren kann. Es ist eine enorm arbeitsintensive Zeit, denn gleichzeitig muss ich die Kundschaft im Wolllädelchen be- dienen, als Lehrerin die Schüler betreuen und in der Tierarztpraxis einen ernsthaft erkrankten Teddybä- ren kurieren. Reto, das Spiegelei erwartend, steht mir mit Rat und Tat zur Seite. Es fällt vermutlich in diese Zeit, dass Reto, gestärkt von den vielen Spiegeleiern, den Zirkus Prismalo (für Eingeweihte Olamsirp) grün- det. In der Kleinen Stadt wird um- gehend Werbung für die Zirkusvor- stellungen gemacht. Plakate werden entworfen und aufgehängt. Der Zir- kus findet draussen im grossen Gar- ten statt. Oter ist der Zirkusdirektor, Ihtäk – die "kleine" Käthi – das Nummerngirl, ich bin an der Zir- kuskasse… Doch das ist eine ande- re der unzähligen Geschichten zu -9-
Früh übt sich... Klavier von Nelly Schmid-Eberhart von Rosmarie Lerf Schon als junges Mädchen war ich Reto kenne ich seit 1971 als er bei mir mit Familie Parolari befreundet! So am Konservatorium Winterthur das auch als Babysitterin für Reto und Nebenfach Klavier besuchte. 1976 Käthi. bestand er mit Bravour die Reifeprü- Wieder einmal wurde ich gefragt, fung für Schlagzeug. Auf seinen Reto und Käthi zu hüten. Egon hatte Wunsch durfte ich ihn am Klavier in als Oboist ein Konzert mit dem Mu- einigen Stücken begleiten. sikkollegium. Auch Trudi, seine Noch während des Studiums stellte er Frau, wollte ans Konzert. mit seinen Mitstudenten/Innen ein Zuerst spielten wir noch im Wohn- zimmer, dann wollte ich aber abwa- schen und die Küche aufräumen. Es war so still im Wohnzimmer – was macht wohl Reto? Leise schaue ich nach: da steht der kleine Reto auf dem Schemel und dirigiert die Mu- sik im Radio!! Wer hätte damals gedacht, dass wir Jahre später diesen begnadeten jun- gen Mann als Dirigenten bewundern können und er uns so viel Freude bereitet! Reto – wir vermissen dich und danken Dir für all die schönen Orchester zusammen und erarbeitete Erlebnisse! mit ihnen Werke der U-Musik. Das Konzert fand im Konservatorium statt und er bat mich wieder, zu mei- ner grossen Überraschung, den Kla- vierpart zu übernehmen. Ich erlebte zum ersten Mal, wie anspruchsvoll und schwierig die gehobene U-Musik ist. Reto erhielt als Dirigent von ei- nem begeisterten Publikum grossen Applaus. Er sorgte immer wieder für grosse Events. Dazu ein Beispiel: einige Jahre später organisierte er ein Konzert mit seinem Orchester im Vortragssaal des Winterthurer Stadthauses. Er dirigierte und plötz- lich trat er ans Klavier und spielte ein anspruchvolles Solostück, na- türlich eines der Unterhaltungsmu- sik. Mir blieb fast der Atem weg, weil ich nichts davon gewusst habe. Der Applaus war riesig und dann - 10 -
ging Reto wieder ans Dirigenten- Musikalische Erinnerungen, pult, so als wäre alles ganz normal. die bleiben In dankbarer Erinnerung bleibt mir eine Einladung seiner Eltern in ihr von Rolf Gut Ferienhaus in Brissago. Reto war Nach dem Konzert fragte ich Re- ein begeisterter Ruderer und er bot to:"Wieviele der Komponisten, deren seiner Schwester und mir herrliche Werke du spielst, kennst du persön- Ausflüge auf dem Lago Maggiore. lich?" Seine Antwort: "Fast alle, die Was mich aber besonders beein- zu meiner Zeit noch gelebt haben." druckte war seine Vielseitigkeit, sein Von Robert Stolz bis zu Franz Grothe Fleiss, seine Ausdauer, aber auch das hatte er immer einen guten Kontakt. Verarbeiten von Schwierigkeiten, er Und somit entdeckte er Werke, die schaute immer positiv nach vorne. Er scheinbar aus der Zeit gefallen waren, blieb bescheiden und sich selber im- neu. Sein Talent, die Musik so au- mer treu. Er war zuverlässig, arbeite- thentisch wie möglich rüberzubrin- te hart und konnte seine Begeisterung gen, gelang ihm wie nur wenigen auf uns alle übertragen. Er nahm sich Dirigenten. Und er liebte Raritäten. aber auch viel Zeit für seine Familie Als ich ihn auf Igo Hofstetter, Kom- und pflegte einen engen Kontakt zu ponist von "Roulette der Herzen", seiner Tochter. aufmerksam machte, war er begeis- Nun ist er leider nicht mehr unter uns tert. Ein Jahr später sass der Kompo- und wir werden ihn alle sehr vermis- nist mit seiner Frau in der ersten Rei- sen. Uns bleiben aber viele schöne he im Theater Winterthur und hatte Erinnerungen, die unser Leben berei- Tränen in den Augen, als Reto und chert haben und dafür sind wir ihm sein Orchester seine Melodien spiel- sehr dankbar. Es ist auch tröstlich zu ten. Bei seinen legendären Konzerten wissen, dass er nicht an einer schwe- waren oftmals Komponisten oder ren Krankheit leiden musste. Und er deren Witwen dabei. Charles Kal- durfte den so sehr verdienten Kultur- man, der Sohn von Emmerich Kal- preis der Stadt Winterthur noch ent- man, Erwin Halletz, Vera Kalman, gegennehmen. Lili Klaus (die Witwe von Nico Dos- tal) ... Reto war der erste Mann, der Abschiedsgruss die in Vergessenheit geratene Operet- aus der Circus-Welt te und deren musikalisches Umfeld pflegte. Bis zur schönsten Perfektion. Wenn heute fast an jedem Theater wieder Operetten von Paul Abraham, Ralph Benatzky, Oscar Straus aufge- führt und bejubelt werden, ist das auch Reto Parolari zu verdanken, der dieses einzigartige Genre am Leben erhalten hat. Bei unserem letzten Treffen hat er noch gesagt: "Ich bring dich noch zum Zug – und freue mich auf ein Thierry Comes hat jahrelang mit sehr spezielles Konzert im Juli. Du Reto im Circus Knie gearbeitet. wirst überrascht sein." Die Überra- Das Foto entstand im Januar 2019 schung fiel leider anders aus, als in Monte Carlo. geplant. - 11 -
"Ich bin geboren in dem Jahr, verschiedener "Lärmmaschinen" als der Komet am Himmel war" traf man sich in einem nahe gelege- von Rudolf Mäder nen italienischen Restaurant, ass, trank, lachte und diskutierte. Von Die ersten Begegnungen mit Reto da an war ich ein Parolari-Fan Parolari machten auf mich einen reinsten Wassers... sehr negativen Eindruck. Ich scheu- Reto Parolari interessierte sich für te zurück vor so viel Persönlichkeit eine Mitgliedschaft bei der Deut- und Temperament. Ich traute mei- schen Johann Strauss Gesellschaft nen Augen und Ohren nicht so recht und ich wies ihm den Weg dazu. Er und dachte bei mir, das kann ja schrieb gerne, also veröffentlichte nicht wahr sein, das ist doch alles die Gesellschaft einen Text von nicht echt! Einige Zeit später mel- ihm. Von da an versuchte ich auch dete ich mich zu einem Besuch des alle seine Konzerte zu besuchen. Archivs von Reto Parolari an. Den Wir sassen im Winter gebannt im Archivar, Meister Anderes, hatte Konzertsaal oder im Sommer in ich schon vorher kennen gelernt einer Freiluftarena in Winterthur und einige Musikstücke in Kopien und lauschten begeistert seinen viel- von ihm erworben. – Es wurde ein seitigen Programmen (mit einer wahrhaft grosser Tag, da gibt's Erstaufführung von Franz Lehár!). nichts dran zu rütteln! Nach einer Er war ein Spezialist der gehobenen ausführlichen Einführung in die Unterhaltungsmusik und damit ka- Musikwelt des Archivs, einem Do- men Schätze zum Vorschein, die kumentarfilm und der Präsentation die Menschen Jahrzehnte nicht - 12 -
mehr gehört hatten. Komponisten, verwandelte sich blitzartig in einen die allen bekannt waren, zeigten Hexenkessel. Die Zugaben folgten plötzlich völlig neue Facetten ihres sich Schlag auf Schlag. – Wir gin- Schaffens. Und einmal sassen wir gen beschwingt ins Freie und sassen zwei Stühle entfernt von Charles noch beim Mittagessen im Restau- Kálmán (1929 – 2015), Komponist rant des Hotels "Wyndham Grand und Sohn des Operettenkomponis- Axelmannstein" und plauderten. ten Emmerich Kálmán, deren Wer- Niemand konnte wissen, dass es ein ke Reto Parolari sehr pflegte. Eine Abschied für immer war... schöne junge Frau sang ein anderes Kommen wir zum Titel zurück: Mal unter freiem Himmel eine Arie Auch Reto Parolari hätte im Jahre aus Georges Bizets Oper "Carmen", des Kometen geboren worden sein sie war aus Lateinamerika eingeflo- können wie die Figur aus Carl Zel- gen worden. Reto Parolari war im- lers Operette "Der Kellermeister" in mer für eine Überraschung gut... seinem Kometen-Walzer verkündet. Und dann kam der 15. September Er war selber ein Komet, ein Ko- 2019! Wir sassen um 11 Uhr mor- met, der lange am Nachthimmel gens in der ersten Reihe des König- sichtbar war, bis er plötzlich ver- lichen Kurhauses in Bad Reichen- glühte. Drei Dinge jedoch werden hall. Die Strauss-Tage 2019 hatten ganz sicher von ihm auf der Erde mit zwei Absagen begonnen (2 Ein- zurückbleiben: unsere Erinnerungen akter von Offenbach und ein Vor- an ihn, sein Musikarchiv und seine trag über Offenbach und Strauss im rund 40-CD-Aufnahmen. 3. Reich), hatten sich dann wieder Leb wohl, lieber Reto Parolari, und erholt mit einem Konzert zum The- danke für all die schönen Stunden, ma "Johann Strauss und England" die du uns bereitet hast! und sollten nun enden mit einer Ma- tinee "So klingt's im Circus", am Pult der Bad Reichenhaller Philhar- Freund und Rotarier moniker: Reto Parolari. Er wurde von Heinz Beat Winzeler bei seinem Erscheinen vom Publi- kum höflich beklatscht und warf Wer Reto Parolaris Vita lese, könne sich sofort in die Musik hinein. Ei- kaum glauben, dass sie von einem ne Stichflamme schoss in den Zu- einzelnen Menschen stammen wür- schauerraum und entzündete ein de, war in der Schweizer Familie zu grandioses Feuerwerk der Zirkus- lesen. Retos Engagement war aus- musik. Wir haben selten ein Or- serordentlich facettenreich. Neben chester gehört, dass so auf seinen verschiedenen Vereinsmitgliedschaf- Dirigenten einging wie dasjenige an ten engagierte er sich sehr aktiv im diesem Morgen! Reto Parolari, der Rotary Club Winterthur-Mörsburg. geborene Conférencier, erklärte mit Nebst Mitwirkung im Vorstand üb- Witz jedes einzelne Musikstück. te er verschiedene Ämter aus. Das Orchester wiederholte bereit- Von seinen vielfältigen spannen- willig eine Komposition in einem den Kontakten profitierte unser anderen Rhythmus, der Dirigent Club ganz besonderes, als Reto stellte sich an die Marimba – und ein überaus originelles Vortrags- ein weiteres Feuerwerk sprühte von programm gestaltete. Dabei lud er dort auf die Zuhörerschaft. Das an- die Gäste jeweils statt für einen fangs höfliche Konzertpublikum Vortrag zu einem Interview ein. - 13 -
So begegneten wir beispielsweise Blender und zeigte keine Starallü- Regi Sager sehr persönlich, wel- ren. che uns Mitgliedern des Kultur- Mit dem Kürzertreten fand er Zeit vereins sowohl als Moderatorin fürs Wandern in der Seniorengrup- für DRS als auch des Internatio- pe unseres Clubs. Dies und ver- nalen Festivals der Unterhaltungs- bindliche Freundschaften waren musik vertraut ist. Sie berichtete ihm sehr wichtig. aus ihrem Leben und ihren aktuel- Das Tessin wurde ihm zuneh- len Tätigkeiten. Eine geplante mend zur zweiten Heimat. In Themen-Stadtführung in Zürich Brissago lebte er im ehemaligen mit Regi Sager musste nun aber Haus seiner Grosseltern, wo er verschoben werden. u.a. eine schön bebilderte Bro- Jedermann hört oft die Stimme der schüre Sacro Monte di Brissago SBB, aber niemand – ausser eben gestaltete. Wir trafen ihn immer Reto – kennt sie persönlich. Das wieder im Locarnese, und als Interview mit der Schauspielerin Dauerabonnent fuhr er uns mit Isabelle Augustin verlief ebenfalls seinem Motorboot auf die Insel in der gewohnt witzigen Art von Brissago. Reto "Nächster Halt, Winterthur, Noch kurz vor seinem Tode lud er dieser Zug fährt weiter bis …" Für meine Frau und mich in Locarno zu uns Bahnfahrer hat diese klar und einer Pizza ein und berichtete be- deutlich artikulierte Stimme nun ein geistert von seinen nächsten Vorha- sympathisches Gesicht mit einer ben. Wir wussten um seine ge- interessanten Geschichte bekom- schwächte Gesundheit, dass er aber men. so überraschend verstorben ist, hat Ein abendlicher Partneranlass war uns zutiefst getroffen. Noch immer eine lehrreiche Exkursion zu Andre- können wir es nicht fassen, er bleibt as Äpplis Rhythmus-Schule. Es war so lebhaft präsent in unseren Erin- ein besonderes Erlebnis, diesen ein- nerungen. zigartigen Spezialisten in seinem Studio und im Zusammenspiel mit Reto kennen zu lernen. Am letzten traditionellen Frühlings- fest bei Anitas‘ Events vom 11. Mai erfreute uns Reto mit dem Typewri- ter von Leroy Anderson auf seiner speziell präparierten Oldtimer- Schreibmaschine. Zu diesem Instru- ment berichtet übrigens PBS, Public Broadcasting Service USA: In Win- terthur, Switzerland, conductor Re- to Parolari rigged his typewriter so that one person can play all the parts – keys, bell and carriage re- turn – and uses heavy card stock for his "letter". Trotz seinen grossen Erfolgen und The Typewriter von Leroy Anderson Ehrungen blieb Reto Parolari stets am Frühlingsfest vom 11.5.2019 bei bescheiden. Er war definitiv kein Anitas' Events - 14 -
Erinnerungen an Konzert unter dem Titel "Eine Reise besondere Stunden um die Welt" vor. Reto war begeistert und so bastelten von Uwe Sick wir in den folgenden Monaten am Wie jedes Jahr zu dieser Zeit hielt Programm, denn nicht für alle mei- ich mich bereits seit Wochen in El ne Hirngespinste war auch das No- Salvador / Zentralamerika auf, als tenmaterial für sein ORP Orchester mich die Nachricht vom plötzlichen vorhanden. Dort wo es nicht erhält- Ableben Retos erreichte. lich war, wurde es neu geschrieben. Es traf mich und alle, die bereits wei- Selbst Walt Disney in Los Angeles tere Veranstaltungspläne verfolgten half und so engagierte ich für dieses so unvorbereitet und machte uns Konzert auch eine Sopranistin, She- sprachlos. Es war schwer begreiflich, ryl Smith aus Kalifornien, die ein dass nun alles ein Ende hatte. paar Titel im Programm des Kon- Nicht so im Mittelpunkt stehend zertes singen sollte. und mehr inkognito traf ich Reto im Das Konzert nahte mit nur drei Pro- Frühjahr 2012 zum ersten Mal und ben inklusive Hauptprobe vor dem sprach mit ihm über die Möglich- Konzert. Erstaunlich, wie schnell keit eines Geburtstagskonzertes, zu Reto die ihm bis dahin unbekannte dem ich an meinem 70. Geburtstag Sängerin integrieren und sein Or- im Dezember gleichen Jahres einla- chester in der kurzen Zeit auf das den wollte. Es sollte ein Abschied Programm einstimmen konnte; eine von meinem beruflichen Lebens- wahre Meisterleistung. weg werden, der mich über nahezu So fand das Konzert am Abend des 40 Jahre um den Erdball geführt 9. Dezember 2012 vor ca. 200 gela- hatte. Demgemäss stellte ich mir ein denen Gästen aus aller Welt statt, - 15 -
die von der musikalischen Weltreise Ernst, hast du - ? sehr angetan waren. Ich hörte noch von Ernst Heiniger nach Jahren von dem einen oder an- und Susanne Siegmann deren, wie sehr es ihnen an diesem Abend gefallen hatte und wie gerne Mein Name ist Ernst Heiniger. Ich sie so etwas wieder erleben möchten. möchte auch mal schreiben, wie In der Folge trat ich dem ORP För- meine Bekanntschaft zu Reto Paro- derverein bei. Besuchte, wenn im- lari war. mer möglich die Veranstaltungen Kennen lernten wir uns am Ge- wie die Sommerkonzerte, das Festi- burtstag von Robert Lattmann, er val der Unterhaltungsmusik, ver- hatte ein Tonstudio in Lindau ZH. schiedene Auftritte des ORP Or- Ich habe eine Entsorgungs- und chesters wie die unvergessliche Ro- Transport-Firma (E. Heiniger AG bert Stolz Gala und vieles andere – Riet). Reto kam immer wieder zu nicht zu vergessen die jährlichen mir: Ernst – hast du einen Meter Ei- Hauptversammlungen des ORP senbahnschiene, die als Amboss Fördervereins. dient? Ernst – hast du einen alten Dazwischen traf ich Reto ver- Kochherd, aber wirklich alt? schiedentlich für ein paar unterhalt- Hatte ich das in einer Mulde, gab ich same Stunden, informierte und dis- ihn Reto. Ich sah den Kochherd wie- kutierte mit ihm Musikerlebnisse der auf der Bühne: Der Deckel klapp- und Geschichten am Rande von te zu, der Kochherd in Rauch gehüllt. entsprechenden Veranstaltungen. Zuletzt durften meine Partnerin Eines Tages erzählte ich ihm von Susanne Siegmann und ich an der einer jungen Sopranistin, die ich in Verleihung des Kulturpreises der El Salvador kennen lernen durfte. In Stadt Winterthur teilnehmen. Es einem Land, in dem Klassik oder war auch für uns eine grosse Ehre. auch klassische Unterhaltungsmusik Einige Tage später kam Reto zu mir nicht gerade sehr aktuell ist. ins Büro. Ernst – hast du eine Alarm- In der Folge begannen wir die Mög- glocke? Natürlich hatte ich das. lichkeiten, dieses Talent für Kon- Bald danach las ich leider vom To- zerte nach Europa zu holen, zu son- de Retos, was uns sehr traurig dieren – und schliesslich wurde sie stimmt. Lieber Reto, wir werden für das Sommerkonzert 2019 enga- dich und dein Engagement immer giert. in Ehren halten. Es war ihr erster Auftritt in Europa, den Reto ermöglichen wollte. Ich vertraute, nach den Erfahrungen mit dem bereits fast sieben Jahre zu- rückliegenden Geburtstagskonzert darauf, dass Reto auch diese Hürde nehmen und das lateinamerikani- sche Temperament entsprechend anleiten könne. Neben dem Open Air Sommerkon- zert mit dem ORP Orchester trat Gracia Gonzales in der Folge dann auch bei einem kleineren Privatkon- zert unter Anwesenheit von Reto auf. - 16 -
Lieber Reto! von Michael Heim Ich kann es immer noch nicht ver- stehen, dass du nicht mehr antwor- test, wenn ich dich anrufe und wis- sen will, wie es dir geht, was du für neue Pläne hast, ich dir von neuen Ideen und Projekten erzählen will. Ein tiefer Schmerz begleitet immer noch jeden Gedanken an dich; ha- ben wir doch nur sorglose, musika- lisch und menschlich unvergesslich schöne und wertvolle Momente mit- einander erleben und teilen dürfen. "Danke der Nachfrage, bin topfit" ist die letzte Nachricht von dir auf meinem Handy, die du mir ein paar Tage vor deinem Tod geschickt hast. Keine Todesnachricht hat mich unerwarteter getroffen als dei- ne. Der Schmerz über deinen Ver- lust, die Wut und Verzweiflung, nichts daran ändern zu können, ist einer grossen Dankbarkeit gewi- chen, dich gekannt zu haben und mer bleiben wird: das Mysterium dein Freund gewesen zu sein. deiner grossen Seele. Sie wird mich Ich habe dich geliebt wie einen Bru- und alle, die dich kannten, immer der. Und das waren wir auch, musi- begleiten. Bis wir uns wiedersehen. kalische und menschliche Seelen- Ich muss es akzeptieren, dass du verwandte. Mit keinem andern war physisch weggegangen bist, dass es so leicht zu musizieren. Unser ich nie wieder Spässe mit dir ma- Puls schlug gleich, unsere Herzen chen kann, dass ich dir nie wieder spürten denselben Takt, wir spielten mit offenem Herzen zuhören kann, uns förmlich die Bälle zu, sind zu- wie du von deinem geliebten Vater, sammen abgehoben und geflogen. von deinem ganzen Stolz Seraina, Es war Magie! Keiner hat die leich- von deiner lieben Schwester Katha- te Muse so ernst genommen wie du. rina sprichst, von deinen Erlebnis- Und darin lag dein grosses Geheim- sen in Monaco und an so vielen an- nis, dein Charisma, deine ganz be- deren berühmten Plätzen dieser sondere Gabe, Menschen glücklich Welt. Und ich muss es akzeptieren, zu machen. Du hast uns Künstler dass wir keine gemeinsamen Pläne und dein Publikum verführt und mehr schmieden und Träume ver- verzaubert. wirklichen können. Deine Verdienste um die Musik als Lieber Reto, ich vermisse dich un- Dirigent, Komponist, Musiker, Ver- endlich. Danke für deine wertvolle leger, Produzent und nicht zuletzt Freundschaft. als grosser Lehrer kann man kaum Wir sehen uns wieder. in Worte fassen. Es ist das, was im- Dein Michael - 17 -
Ein Sommerabend in Brissago chen Stunden gingen viel zu schnell von Lotti und Felix Oldani vorbei. Die Erinnerung an diesen besonderen Abend bleibt lebendig. Letzten Sommer verbrachten wir eine Woche im Tessin. "Ja, chömed doch emal bi mir verbii", sagte Re- to, als wir ihm von unseren Plänen berichteten. Er lud uns ein, mit ihm einen Abend in seinem Haus in Brissago auf der Terrasse zu genies- sen. Das Menu war ihm auch so- gleich klar: Suppe und Wurstsalat würde er uns servieren. So war er eben, spontan, gastfreundlich und unkompliziert. Ein Termin war denn auch schnell gefunden. An diesem Tag führte uns unser Programm schon am Mittag in die Nähe von Brissago. Wir wollten diesen uns nicht bekannten Ort am Nachmittag auskundschaften, bevor wir dann am Abend bei Reto ein- treffen würden. Doch jetzt machte sich bei uns der Mittagshunger be- merkbar. Da es bis zum Wurstsalat Letzte Reise nach Wien am Abend doch noch etwas lange von Evy Labhart dauerte, beschlossen wir, noch eine Kleinigkeit zu essen, und fanden Ende November fragte mich Reto auch gleich eine gemütliche Pizze- Parolari an, ob ich ihn an sein Kon- ria. Draussen an der Sonne schien zert vom 18. November nach Wien, es uns zu heiss, weshalb es uns ins wo er sein Lehár-Orchester dirigie- kühle Innere zog. Hier war es ange- ren werde, begleiten würde. Mit nehm ruhig und wir suchten im dem Auto, also eine längere Reise! Halbdunkel einen Tisch. Wir sassen Auf meine Frage, weshalb er die noch nicht richtig, da ertönte aus doch beschwerliche Art der Reise der hintersten Ecke eine wohlbe- wählt, antwortete er in seiner char- kannte Stimme: "Ja lueg emal, manten Art, er möchte unserer ge- s'Oldanis!" Ohne es zu wissen, wa- meinsamen Freundin Christine, die ren wir in Retos Stammbeiz gelan- ihm seit Jahren in Wien ein Logis det, der wie wir auch, in diesem zur Verfügung stellt, einen Gefallen Lokal eine Pizza essen wollte. Reto tun. Da sie nicht mehr in der Lage ist konnte uns auch beraten, was wir mit ihrem Auto nach Wien zu fahren, am Nachmittag hier am besten un- wollte er für sie einige Gegenstände ternehmen könnten, und sein Tipp, aus der Wiener-Wohnung nach Hain- fast könnte man sagen, die Empfeh- burg zu transportieren. lung eines Einheimischen, bewährte Am Sonntag, 11. November war ich sich natürlich. pünktlich um 09.00 h in Winterthur, Den Abend auf Retos Terrasse ge- wo ich samt Gepäck von meinem nossen wir sehr, und die gemütli- Auto in seinen Wagen umstieg und - 18 -
dann ging es los. Bei starkem Nebel sassen. Reto betonte mehrere Male, fuhren wir auf der A1 Richtung dass dieser Berufskollege ihn an Österreich, und bereits kurz nach sich selber erinnere, als er im Alter St. Gallen hatten wir herrlichen von Herr Aichner war. Sonnenschein. Die Sonne begleitete Am Freitag verbrachten wir den uns bis Salzburg, und die lange Rei- Nachmittag im Prater und da spezi- se verlief völlig problemlos. Wir ell im Wachsfigurenkbinett der Ma- kamen nach einigen Unterbrechun- dame Tussauds. War das lustig! gen abends um 21.00h in Wien in Reto zusammen mit Kaiser Franz dichtem Nebel an. Reto in "seiner" Josef, Udo Jürgens und Sir Winston Wohnung an der Sieveringerstrasse, Churchill! ...und Peter Alexander, s. ich in einem Hotel an derselben Bild (Red.) Strasse. Am ersten, für mich Ferien-, für Re- to, Arbeitstag, machten wir uns auf den Weg in die Stadt, um Tickets für die Wiener-Verkehrsbetriebe zu kau- fen. Reto kannte sich in "seinem" Wien aus, sodass wir in kurzer Zeit alles erhalten haben, was wir wollten. So blieb uns Zeit für einen kurzen Wienbummel zu Fuss. Den Abend verbrachten wir in un- serem seit Jahren Lieblings- Heurigen-Lokal Haslinger an der Sieveringerstrasse. Die folgenden Tage verbrachte Re- to meistens mit den Vorbereitungen des Konzertes vom Sonntag 18. November im Konzert-Saal MuTH der Wiener-Sängerknaben. Am Mittwoch, dem einzigen Re- gentag in Wien, machten wir die Transportfahrt zu unserer Freundin Abends waren wir wieder in einem Christine nach Hainburg a/Donau. "Heurigen", dieses Mal in einem Wir benützen den Regentag zum anderen. Man konnte erkennen, dass Plaudern und für ein gutes Essen in Wien eine zweite Heimat von Reto einem Restaurant. war. Am Donnerstag waren Reto und ich Am Sonntag war dann das Konzert! Gäste des Dirigenten des Musicals Es war dem Komponisten Emmerich "Cabaret", das an diesem Abend die Kálmán und seinem Sohn, Charles, letzte Vorstellung in der Volksoper gewidmet. Der fast voll besetzte Saal Wien hatte. An der Kasse lagen für erfreute sich über die schöne Musik, uns zwei Tickets für wunderbare die bald erklang. Reto dirigierte in Logenplätze bereit. Reto und ich seiner schmissigen Art die herrliche freuten uns über die Aufführung Musik von Emmerich und Charles sehr und besonders, dass wir an- Kálmán. Miriam Portmann, lyrische schliessend mit dem Dirigenten, Sopranistin aus Wien und Bern, be- Lorenz C. Aichner noch zusammen reicherte das Programm mit ihrer - 19 -
herrlichen Stimme. Der Tenor, Ale- Kurz vor 21.00 h kamen wir dann in xandru Badea aus Rumänien, jetzt in Winterthur an und wir beide erklär- Wien lebend, sang sehr hübsche Lie- ten, dass wir noch nie über so viele der, solo und im Duett mit Miriam Themen gesprochen und uns so gut Portmann. Durch das Programm kennen gelernt haben wie dieses führte Wolfgang Dosch, Professor an Mal. Ich wechselte noch das Auto der MUK (studierte Trompete, Ge- und fuhr dann nach Hause auf die sang, Schauspiel, Opernregie, Theater Forch, nicht wissend, dass es das - und Musikwissenschaft und kultu- letzte Mal war, dass ich Reto sah. relles Management) und sang den Gesprochen haben wir uns noch sehr berühmten Clown-Song aus dem dreimal, zweimal rief er mich an Film "Fabian". Als Ehrengast war aus Brissago. Wir vereinbarten ei- Robert Jarczyk-Kálmán, Enkel und nen Kurzaufenthalt in seinem Feri- Sohn von Emmerich und Charles enhaus im Frühjahr 2020! Kálmán aus München angereist und bereicherte das Programm durch Anekdoten über seine Vorfahren. Alles in Al- lem – das Konzert war ein grosser Erfolg (wie man sich gewohnt war von Reto) und die Stim- mung konnten wir beim anschliessenden Zusam- mensein mit den Solisten, dem Or- Wie habe ich Reto kennengelernt? chester sowie dem Sohn/Enkel Ich war Präsidentin und Leiterin der Musik- Kálmán nochmals aufleben lassen schule Maur während 15 Jahren. Im Jahre feierte die Schweiz "700 Jahre Eidgenos- Herr Kálmán aus München war senschaft" und der damalige Bundesrat Gastgeber der ganzen Runde. delegierte die Festivitäten an die Kantone Am Montagvormittag, nach dem und die wiederum an die Gemeinden. Mir Frühstück, machten sich Reto und schwebte schon lang der Gedanke im Kopf ich auf die Heimreise, die einmalig herum, mit den Musiklehrern und sehr gu- ten Schülern der Musikschule Maur, sowie war und sehr viele interessante Ge- den vielen Musikern, die in der Gemeinde spräche beinhaltete. Reto erzählte Maur leben, ein ad hoc Orchester im Loo- mir u.a. wie froh er war, dass die rensaal in Maur auf die Bühne zu bringen. bekannte Radiofrau, Regi Sager, Der Gemeinderat fand diese Idee sehr gut und bewilligte mir einen namhaften Kredit sehr kompetent und sympathisch für die Durchführung meiner Idee. Durch seine Winterthurer-Konzerte beglei- den von mir ausgewählten Dirigenten E. tet und sie lebhaft kommentiert. Er Fiebig lernte ich damals Reto Parolari ken- sei froh, dass er sie für diese Aufga- nen. Das "Orchester 700 Maur" wurde nach be gewinnen konnte. Das erzählte er einem Jahr eine feste Institution, nämlich das Orchester "Orchester Maur" und von da kurz vor Salzburg. Und von Salz- an waren wir sehr gute Kunden von Reto burg bis zum Arlbergtunnel sprach für das Notenmaterial. Der Sound des Or- er mir mit grosser Freude über seine chesters war sehr ähnlich wie derjenige vom Tochter Seraina. Wie grossartig sie ORP, nämlich gehobene Unterhaltungs- musik. sich macht in ihrer selbst gewählten Seit 1992 verband mich eine Freundschaft Ausbildung. Er erklärte, wie stolz er mit Reto und ich wurde Mitglied des PRO auf seine Tochter sei. ORP! - 20 -
Im Schatten des Maestros ein kräftiger Fusstritt gegen die von Ueli Anderes Scheiter denselben Effekt gebracht. Dieses Schauspiel hinterliess bei Er war mir dem Namen nach zwar mir den nachhaltigen Eindruck, dass bekannt, der Maestro, persönlich der Zivilschutz eine völlig unnütze kennen gelernt habe ich ihn aber und überflüssige Institution war. erst im Frühling 1992. Ich war da- Mit dieser Geschichte und dem Ar- mals neu ernannter Dienstchef In- gument, ich verstünde nur etwas formation bei der Winterthurer Zi- von Marketing, versuchte ich den vilschutzorganisation. damaligen Ortschef von meiner Zi- Eigentlich hatte ich mir vorgenom- vilschutz-Untauglichkeit zu über- men, mich um eine Einteilung bei zeugen. Vergeblich! Leider erreich- dieser Organisation zu drücken, te ich damit genau das Gegenteil. weil ein Jugenderlebnis bei mir ei- Zu meiner Überraschung bestätigte nen vernichtenden Eindruck hinter- mir der Ortschef das schlechte lassen hatte. Ältere Männer in blau- Image des Zivilschutzes und in die- en Überkleidern und mit gelben ser Situation brauche er eben einen Helmen beschützt bauten auf dem Marketingspezialisten. Teuchelweiherplatz nebeneinander Ich hatte damals die Freiheit, eine 12 kleine Pyramiden aus je drei Gruppe von Spezialisten um mich Holzscheiten auf und versuchten aufzubauen. Neben Journalisten, diese anzuzünden. Dann wurden in Fotografen, Grafikern und Layou- Zweiergruppen diese Grossfeuer tern war eben mit einem gewissen aus fünf Metern Entfernung be- Reto Parolari auch ein Musiker da- kämpft. Der Vordermann umklam- bei. Dieser sollte helfen, eine unse- merte liegend das Strahlrohr einer rer Ideen umzusetzen, nämlich ein sogenannten Eimerspritze, wäh- Orchester auf die Beine zu stellen. renddem der zweite Mann durch Schon bei einem ersten Gespräch Pumpen an derselben den notwendi- waren Reto und ich uns einig, es gen Druck aufbaute. Es war ein sollte eine Bigband sein. Bei einer Bild für Götter und ich hatte mich Bigband hielt sich einerseits der köstlich amüsiert. Immerhin hätte Aufwand in Grenzen und anderer- - 21 -
seits konnte eine Bigband ein brei- Ich versuchte also den Maestro von tes Repertoire abdecken. dieser Idee zu überzeugen. Nicht Reto war eigentlich ein begeisterter ganz einfach, aber es gelang. Und Zivilschützer. Als Mitglied im dass diese Aktion sich auszahlte, Fachgebiet Betreuung hatte er zeigte sich nicht zuletzt daran, dass schon verschiedentlich Dienste ge- viele dieser Musiker über Jahrzehn- leistet. Trotzdem zeigte er sich über te der Bigband die Treue hielten, die neue Aufgabe mit dem Orches- einer sogar bis zum heutigen Tag. ter nur wenig begeistert, weil er Bis zum ersten Auftritt der Bigband bereits im Jahr zuvor einen analo- blieb noch viel Kleinarbeit, wäh- gen Versuch unternommen hatte. rend der Reto und ich uns immer Eine Umfrage unter zivilschutz- näher kamen. Wir definierten ein pflichtigen Berufsmusikern ergab Standardrepertoire, ein Programm dannzumal allerdings ein ernüch- für die Premiere anlässlich eines terndes Ergebnis. Es meldeten sich Zivilschutz-Jahresendrapports und Gitarristen, Flötisten, Harfenisten eines für den Erstauftritt als zweites und einige Geiger. Damit hätten Festivalorchester im Stadttheater sich gleich mehrere Ensembles in Winterthur. Aber auch die Pultplat- der Besetzung von Los Paraguayos ten der legendären DRS-Bigband realisieren lassen. Für eine Bigband mussten neu gestaltet werden. Bei fehlten aber insbesondere Saxopho- diesen vielen Kontakten hatte ei- nisten und Blechbläser. Zu jener gentlich nur meine Sekretärin Prob- Zeit hatte ich schon fast 30 Jahre leme mit dem Maestro. Dabei war lang Blasorchester und Bigbands sie die beste Sekretärin der westli- geleitet und während dieser Zeit chen Hemisphäre. Es wollte ihr nur viele ausgezeichnete Musiker ken- lange Zeit nicht gelingen, den Na- nen gelernt, von denen sicher der men des Maestros richtig auszu- eine oder andere auch zivilschutz- sprechen. "Grüezi Herr Palo..la..li", pflichtig war. Vielleicht konnte die- stotterte sie mehrfach am Telefon. se Erfahrung unser Problem lösen. Meinen Rat, den Namen bei der - 22 -
Begrüssung wegzulassen, empfand Musik. Und für mich entwickelte es sie aber als zu unpersönlich. sich zu einem neuen Tätigkeitsge- In den folgenden 25 Jahren eilte die biet im Schatten des Maestros. An- Bigband von Erfolg zu Erfolg. An fänglich übertrug mir Reto die Ko- Dienstanlässen des Zivilschutzes, ordination mit den Veranstaltungs- der Schweizer Armee und sogar lokalen, dem Stadttheater oder dem anlässlich eines Nato-Kurses kam Kirchgemeindehaus an der Liebe- das Orchester zum Einsatz. Vier strasse und den Probelokalen. Später CDs wurden produziert und Einla- kam noch die sogenannte Orchester- dungen zu mehreren Radio- und disposition dazu, das heisst, Anfra- Fernsehproduktionen des Schweizer gen und Engagements der benötig- Fernsehens und des Südwestdeut- ten Musiker. Das Orchester Reto schen Fernsehens SWR wurden Parolari war ein sogenanntes Pro- angenommen. Darüber hinaus wur- jektorchester. Dieses rekrutierte sich de die ZS-Bigband für ver- für einen Auftritt aus einem beste- schiedenste Familienfeste und Fir- henden Stock an Musikern. Nur im menjubiläen engagiert. Bei vielen Fall von Krankheit, Unfall, Schwan- dieser Anlässe konnte ich Reto bei gerschaft oder anderen Unpässlich- der Planung, der Vorbereitung und keiten musste Ersatz beschafft wer- an den Anlässen selbst unterstützen. den. Zweimal kam mir die Ehre zu, Reto Reto war ausserordentlich beliebt als Dirigent zu vertreten. als Chef d'Orchestre. Die Musiker Eigentlich war das Zivilschutzor- freuten sich jedes Mal auf eine Zu- chester in Retos Tätigkeiten nur ein sammenarbeit mit ihm und dies, Nebenprodukt, wenn auch ein obschon die Gagen, die wir anbieten wichtiges. Sein Hauptanliegen galt konnten, weit unter dem Existenz- aber seinem eigenen Orchester, dem minimum lagen. Mit Reto waren Orchester Reto Parolari. Mit ihm schon die Proben und erst recht die konnte er seinen Lebenszweck, die Aufführungen ein Erlebnis. Ich Pflege und Förderung der sympho- kann diese Aussage durch ein Bei- nischen Unterhaltungsmusik so spiel belegen. Einmal suchte ich richtig ausleben. Leider fielen die verzweifelt einen dritten Schlagzeu- Einsätze als Operettenorchester am ger, zuerst in der Deutschschweiz, Stadttheater St. Gallen und beim dann in der ganzen Schweiz und Schweizer Fernsehen schon vor darnach in Vorarlberg und im Jahren dem sich verändernden Zeit- grenznahen Deutschland. Durch geist zum Opfer. Aber Reto wäre Terminüberschneidungen war nie- nicht Reto gewesen, hätte er nicht mand frei an den verlangten Daten. nach neuen Lösungen gesucht und Durch Weitervermittlung gelangte mit dem jährlich wiederkehrenden ich schlussendlich an einen Schlag- Festival der gehobenen Unterhal- zeuger in Stuttgart. Dieser wäre tungsmusik auch gefunden. zwar frei und auch interessiert ge- Ab 1991 trafen sich jeweils im Ok- wesen. Aber er verlangte den Deut- tober in Winterthur renommierte schen Orchestertarif und der lag um Orchester, Instrumental- und Vo- etwa das Dreifache über unserem kalsolisten aber auch Komponisten, Gagenangebot. Also: Rückfrage bei Arrangeure und Musikverleger aus Reto, und dieser entschied, dass wir ganz Europa. Das Festival entwi- diese Kröte schlucken müssten. Bei ckelte sich zur Börse für gute U- einem Anruf in Stuttgart erläuterte - 23 -
ich die etwas spezielle Situation rolaris besassen da "La Preora", ihr und bat der Gerechtigkeit wegen Ferienhaus. Knapp 100 Meter ent- um Diskretion, was die Gage anbe- fernt, direkt unterhalb von uns. Man langte. Nach der ersten Probe im kann also nicht sagen, der Schatten Kirchgemeindehaus Wülflingen des Maestros holte mich ein. Nein, dann die Überraschung: Besagter der Schatten des Maestros war Schlagzeuger kam zu mir, entschul- schon da, bevor wir kamen. Und so digte sich und schwärmte über- war es eigentlich naheliegend, dass schwänglich von der tollen Probe. ich weiterhin Festivals vorbereitete Unter diesen Umständen hätte er und Musiker disponierte. Home- ein schlechtes Gewissen, wenn er office gab es also damals schon, nur nicht zum selben Tarif wie alle an- nannte es keiner so. Kam dazu, dass deren spielen würde. Retos Arbeit die Besprechungen mit Reto im war eben immer überzeugend! Vor wahrsten Sinne des Wortes weniger und hinter den Kulissen. trocken abliefen, als früher in Win- Ende der 1990-er Jahre wollte ich terthur. Und sie dauerten meist bis mich aus dem Berufsleben zurück- tief in die Nacht. ziehen, nicht zuletzt um mehr Zeit Bei einer dieser Abendveranstaltun- im Schatten des Maestros zu ver- gen diesmal auf unserer Terrasse bringen. Ich übertrug die Führung brachte Reto drei Computer- meiner Software-Firma einem mei- Disketten mit. Es seien Listen drauf ner Mitarbeiter und informierte die von einem Teil seiner Notensamm- wichtigsten unserer Kunden über lung und ich soll doch bitte diese in den Wechsel. Nur ... schon nach eine einzige Liste zusammenführen. kurzer Zeit realisierte ich, dass Los- Diese eigentlich rein technische lassen nicht so einfach ist. Ich sass Arbeit, die nur darin bestand, die immer noch jeden Morgen um sie- drei Excel-Listen in eine einheitli- ben Uhr in meinem Büro. Da konn- che Form zu bringen und danach te nur ein Ortswechsel helfen. zusammen zu kopieren, liess mich Meine Frau und ich zogen deshalb erahnen, was für einen Schatz Reto in den Tessin, nach Brissago. Was da besass. In den 30 Jahren des Be- wir damals noch nicht wussten: Pa- stehens seines Orchesters war schon WIR SIND NEUTRAL KLIMA- NEUTRAL Rohner Spiller - die erste komplett klimaneutrale Digitaldruckerei in ROHNER SPILLER AG der Region Winterthur. TECHNIKUMSTRASSE 74 PERFORMANCE 8400 WINTERTHUR neut ral 01-13-313465 Dru ckerei myclimate.org - 24 -
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