Umwelt - Leben mit dem Klimawandel 4/2014 - Bundesamt für Umwelt

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Umwelt - Leben mit dem Klimawandel 4/2014 - Bundesamt für Umwelt
Dossier Klima < umwelt 4/2014
4/2014

umwelt
Natürliche Ressourcen in der Schweiz

Leben mit dem Klimawandel
Dossier: 		 Klimaforschung spricht Klartext > Das neue CO2-Gesetz > Klimaschonend wohnen
		 > Wiesenmilch schützt das Klima > Klimatipps für den Alltag

Weitere		 Der Fischotter taucht wieder auf > Wintertour über die Alpen > Ozon zerstört proble-
Themen: 		 matische Spurenstoffe > Renaissance für den Werkstoff Holz > Ein GA für Biogemüse
Umwelt - Leben mit dem Klimawandel 4/2014 - Bundesamt für Umwelt
umwelt 4/2014 > Editorial

          Klimaschutz und Wohlstand
          lassen sich verbinden
                                Die Fakten vor der Weltklimakonferenz in Peru sind bekannt: Die
                                Zunahme der Treibhausgase in der Atmosphäre verändert das Klima
                                mit heute schon gravierenden Folgen, die noch dramatischer wer­
                                den, wenn wir nicht entschieden handeln. Das Zeitfenster, um weit­
                            Vanina Moreillon

                                reichende Schäden für Menschen und Ökosysteme zu verhindern,
                                steht nur noch kurze Zeit offen. Alle wissen das. Dennoch endeten
                                die vergangenen Konferenzen ohne greifbares Resultat.
                  Auch die Lösung des Klimaproblems liegt auf dem Tisch: Wirkungsvoller Kli­
                maschutz bedingt, dass die Welt ihre Treibhausgasemissionen deutlich reduziert.
                Daher brauchen wir ein globales Klimaabkommen, das sämtliche Länder dazu ver­
                pflichtet, ihren Beitrag zu leisten. Weil einzelne Länder wirtschaftliche Nachteile
                befürchten und andere der Meinung sind, die Industriestaaten sollten weiterhin
                die alleinige Verantwortung tragen, ist es nicht einfach, tragfähige L­ ösungen zu
                finden. Ambitionierte Klimamassnahmen gegen Wirtschaftsinteressen auszu­
                spielen, ist indes kurzsichtig. Gefragt sind vielmehr kreative Lösungen, geteilte
                Verantwortung und Pragmatismus bei der Umsetzung.
                  In den Entwicklungsländern haben die Menschen den berechtigten Wunsch,
                einen höheren Lebensstandard zu erlangen, während in den Industrieländern die
                Bevölkerung den erreichten Wohlstand erhalten möchte. Doch wie kann dies ge­
                lingen, ohne die Atmosphäre noch mehr zu belasten? Wohlstand und Klimaschutz
                brauchen keine Gegensätze zu sein. In erneuerbare Energien zu investieren sowie
                die Mobilität und den Wärmebedarf ökologischer zu bewäl­tigen, ist volkswirt­
                schaftlich sinnvoll und klimapolitisch zwingend. Eine CO2-arme Gesellschaft lässt
                sich nicht über Nacht herbeiführen, sondern erfordert einen kontinuierlichen Um­
                bau der Wirtschaft – eine Jahrhundertaufgabe. Doch es führt nichts an diesem
                Weg vorbei, denn eines wissen wir schon heute: Den Ausstoss an Treibhausgasen
                zu reduzieren, kommt uns wesentlich billiger zu stehen, als die Kosten des Klima­
                wandels zu tragen, von dem auch die Schweiz betroffen ist.
                  Deshalb werden wir uns auf dem internationalen Parkett für ein griffiges und
                weltweit geltendes Klimaschutzabkommen einsetzen. Wir müssen den Durch­
                bruch schaffen – wenn nicht jetzt an der Weltklimakonferenz in Lima, dann
                zwingend 2015 in Paris. Wir haben die Pflicht, kommenden Generationen eine
                Erde zu hinterlassen, in der das Klima nicht vollends ausser Rand und Band gerät.

                                                                                              Doris Leuthard
                                               Bundesrätin und Vorsteherin des Eidgenössischen Departements
                                                    für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK)

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Klima
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       Kampf ums Gletschereis
       km. Seit 1870 schlagen die Betreiber der Eisgrotte beim   scherschmelze etwas verlangsamt, doch der Gletscher
       Hotel Belvédère am Furkapass (VS) einen Tunnel in         zieht sich immer mehr zurück und wird dünner und
       die Zunge des Rhonegletschers. Jeden Sommer von           dünner. Messungen zeigen, dass er jährlich zwischen
       Neuem. Die Grotte mit ihren blau schimmernden             sechs und acht Metern an Mächtigkeit verliert. «In
       Eiswänden hat bisher Hunderttausende von Besu­            fünf bis sechs Jahren», sagt David Volken, «wird das
       cherinnen und Besuchern ­begeistert. David Volken,        Eis an der Gletscherzunge nicht mehr stark genug
       Gletscher- und Hochwasserexperte im BAFU sowie            sein, um eine Grotte zu schlagen.»
       passionierter Hobby­fotograf (im Bild rechts aussen),
       dokumen­tiert in seinen Bildern den schier aussichts­
       losen Kampf um das künftige Weiterbestehen der            Weiterführende Links zum Artikel:
       Touristenattrak­tion. Zwar schützen die Grottenbauer      www.bafu.admin.ch/magazin2014-4-01
       das Eis mit einer reflektierenden Folie, was die Glet­    Kontakt: David Volken, BAFU, 058 464 79 27, david.volken@bafu.admin.ch

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Dossier Klima < umwelt 4/2014

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umwelt 4/2014 > Dossier Klima

Leitartikel

Den Klimaschutz
müssen alle mittragen
Kontinuität und ein breit gefächertes Instrumentarium, das die CO2-Emissionen bei Gebäuden, Industrie
und Verkehr verringert, gehören zum Erfolgsrezept der Schweizer Klimapolitik. Der Weg zu einer klima­
verträglichen Lebensweise ist allerdings kein Spaziergang, sondern ein Dauerlauf über mehrere Genera­
tionen. Eine institutionelle Verankerung auf allen Ebenen beflügelt die kollektiven Anstrengungen.
Text: Bruno Oberle, Direktor BAFU

           Die Schweiz hat sich zusammen mit der internationalen        Jahr sinken. Auf dem Weg dorthin kann die Schweiz
           Staatengemeinschaft verpflichtet, den globalen Tempera­      erste Erfolge ausweisen: Während im Jahr 1990 durch­
           turanstieg unter der kritischen Schwelle von zwei Grad       schnittlich 7,8 Tonnen pro Kopf emittiert wurden, w
                                                                                                                          ­ aren
           zu halten. Angesichts ihres geringen Beitrags zu den         es 2012 noch 6,4 Tonnen. Dieser Rückgang gelang,
           weltweiten für die Klimaerwärmung verantwortlichen           obwohl im gleichen Zeitraum die Wohnfläche und
           Treibhausgasemissionen ist klar, dass die Schweiz dieses     die Fahrzeugflotte um mehr als ein Drittel zugenom­
           Ziel nur als Teil der Staatengemeinschaft erreichen kann.    men haben. Eine Entkoppelung von Wachstum und
           Internationale Kooperation in der Klimapolitik ist folg­     Treibhausgasemissionen hat auch in der Wirtschaft
           lich noch wichtiger als bei anderen Umweltproblemen.         stattgefunden. Die industrielle Produktion ist seit 1990
                                                                        um über 50 Prozent gestiegen, der CO2-Ausstoss pro
           Glaubwürdige Mittlerin dank eigener Anstrengungen            erwirtschafteten Franken (BIP) hingegen ist um knapp
           Ende 2015 sollen alle Länder in ein globales Abkommen        30 Prozent gesunken.
           eingebunden sein und zur Reduktion der klimawirksa­            Zu dieser Entwicklung beigetragen hat eine breite
           men Gase verpflichtet werden. In diesen Verhandlungen        Palette von Instrumenten, welche die Schweiz in den
           engagiert sich die Schweiz auf allen Ebenen. Dank des        letzten Jahren nach und nach eingeführt hat. Dazu
           guten Rufes, den unser Land auf dem internationalen          gehört unter anderem die CO2-Abgabe auf Brennstoffe,
           Parkett geniesst, können wir die Entscheide zugunsten       die Einsparungen attraktiver macht. Die Einnahmen
           einer griffigen Politik beeinflussen und zwischen den       fliessen grösstenteils zurück an Wirtschaft und Bevölke­
           unterschiedlichen Interessen vermitteln.                    rung. Ein Drittel davon geht an das Gebäudeprogramm,
             Als glaubwürdige Partnerin gilt die Schweiz auch          das Wärmedämmung und CO2-neutrale Heizungen
           deshalb, weil sie mit gutem Beispiel vorangeht und ihre     ­finanziell unterstützt. Über tausend Unternehmen sind
           Verantwortung wahrnimmt. Als kleine und aufgrund             von der CO2-Abgabe befreit, weil sie im eigenen Betrieb
           ihrer Innovationskraft erfolgreiche Industrienation ist      in CO2-effizientere Anlagen investieren. Im Verkehr
           unser Land geradezu prädestiniert zu zeigen, dass sich       greifen CO2-Vorschriften für neue Personenwagen so­
           Wohlstand und Klimaschutz vereinbaren lassen. Wir            wie Auflagen, welche die Treibstoffimporteure dazu
           können unter Beweis stellen, dass ein klimaverträg­licher    verpflichten, bis 2020 10 Prozent der von Fahrzeugen
           Weg gangbar ist. Dies im Wissen darum, dass uns eine         verursachten CO2-Emissionen zu kompensieren.
           Mehrgenerationen­aufgabe bevorsteht. Wichtig ist dabei,        Keine Frage: Die Umstellung auf eine CO2-arme
           dass wir sowohl die Ursachen des Klimawandels bekämp­        Volkswirtschaft verursacht Kosten. Doch schadet diese
           fen, wie mit seinen Folgen leben lernen – Anpassung          Mehrbelastung der Schweiz gesamthaft? Nein, denn
           und Klimaschutz müssen Hand in Hand gehen.                   der sanfte Druck, den die Klimapolitik auf die Wirt­
                                                                        schaft ausübt, bietet auch Chancen. Viele Firmen sind
           Wachstum und Treibhausgasemissionen entkoppeln               heute für den Klimaschutz sensibilisiert und kennen
           Bis Mitte dieses Jahrhunderts muss der weltweite Aus­        CO2-wirksame Massnahmen, die ihre Betriebskosten
           stoss von Treibhausgasen auf 1 Tonne CO2 pro Kopf und        senken und damit ihre Wettbewerbsposition stärken.

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Kommt dazu, dass Unternehmen, die sich aktiv um eine      Vorschriften abgelöst werden. Und die Klimapolitik,
CO2-Reduktion bemühen, für Investoren attraktiv sind.     die bislang vor allem Sache des Bundes war, soll auch
Denn die Kapitalmärkte bewerten umgekehrt die hohe        auf Kantone, Städte und Gemeinden übergreifen. Diese
CO2-Intensität von F
                   ­ irmen zunehmend als Risikofaktor.    sollen Klimaaspekte vermehrt in ihre eigenen Politiken
Zur Bewäl­tigung des Klimawandels gilt es, die Anstren­   integrieren und damit die entsprechenden Instrumente
gungen in den nächsten Jahrzehnten kontinuierlich zu      des Bundes ergänzen.
verstärken – mit entsprechenden Kosten für Unterneh­
men, die grosse Mengen an Treibhausgasen emittieren.

Bewusstsein für Klimaschutz im Alltag schärfen
Doch wir dürfen uns nichts vormachen: Der Weg zu
einer klimaverträglichen Gesellschaft ist mühevoll und
fordert ein kontinuierliches Engagement aller Akteure
über einen langen Zeitraum. Die Autos sind zwar heute
sauberer und die Häuser besser isoliert als noch vor
20 Jahren. Doch sind wir noch weit vom Idealzustand
entfernt. Wenn wir die Klimaziele erreichen wollen,
müssen Verkehr und Gebäudepark langfristig völlig
CO2-frei werden, und die Wirtschaft muss noch CO2-
ärmer produzieren. Ohne technischen Fortschritt
gelingt dies nicht. Daher unterstützt der Bund mit
einem neu geschaffenen Technologiefonds innovative
Unternehmen. Sie erhalten Bürgschaften und so einen
einfacheren Zugang zu Fremdkapital.                                                                      Bild: Christine Bärlocher/Ex-Press/BAFU
  Kluge Köpfe braucht es aber nicht nur in der Wirt­
schaft, damit Produkte und Dienstleistungen klima­          «Die Schweiz ist prädestiniert zu zeigen, dass
verträglicher werden, sondern auch aufseiten der
Nachfrager. Wir alle haben es in der Hand, bei unseren      sich Wohlstand und Klimaschutz vereinbaren
Konsumentscheidungen auf die Klima­wirkung zu ach­          lassen.»                    Bruno Oberle, Direktor BAFU
ten und damit die Produzenten zu mehr Klimaschutz
zu bewegen. Dass Konsumen­tinnen und Konsumenten
beim Einkaufen dem Klima noch zu wenig Bedeutung          Lokale Aktionen machen Klimaschutz erfahrbar,
beimessen, liegt oft nicht am mangelnden Willen,          schärfen das Problembewusstsein und zeigen konkrete
sondern am fehlenden Wissen. Bessere Information,         Handlungsmöglichkeiten auf. Individuelle Anpassun­
Aus- und Weiterbildung sowie Beratung kann hier Ab­       gen, zum Beispiel der Essgewohnheiten oder des Mobi­
hilfe schaffen. Zu diesem Zweck baut das BAFU zurzeit     litätsverhaltens, können bei einer breiten Beteiligung
ein umfassendes Klimaprogramm auf.                        der Bevölkerung viel bewirken. Klimaschutz muss in
                                                          Zukunft konkreter sein und näher an die Menschen
Klimaschutz erfahrbar machen                              ­herangeführt werden. Der gesellschaftliche Umbau
Wie im Sport gilt auch beim Klimaschutz: Nach dem          kann nur gelingen, wenn er auf allen Ebenen mitge­
Spiel ist vor dem Spiel. Anfang 2013 trat die neue         tragen wird und zugleich institutionell verankert ist.
­CO2-Gesetzgebung in Kraft, welche bis 2020 eine
 Reduktion der schweizerischen Treibhausgasemis­
 sionen um 20 Prozent verlangt. Und bereits heisst es,    Weiterführende Links zum Artikel:
 die Klimapolitik für die Zeit nach 2020 vorzubereiten    www.bafu.admin.ch/magazin2014-4-02
 und weitergehende Reduktionsziele festzulegen. So
 verlangt es das CO2-Gesetz, und der Bundesrat will
 schon Mitte 2016 eine Vorlage in die Vernehmlassung
 geben. Der nächste Meilenstein soll für das Jahr 2030                                    KONTAKT
 gesetzt werden. Dabei wird der bewährte Instrumen­                                       Karine Siegwart
                                                                                          Vizedirektorin
 tenmix grundsätzlich fortgeführt, aber teilweise etwas
                                                                                          BAFU
 umgebaut. Fördermassnahmen wie das Gebäudepro­                                           058 462 99 73
 gramm dürften allmählich auslaufen und durch CO2-                                        karine.siegwart@bafu.admin.ch

                                                                                                                                              7
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Klimaforschung

Treibhausgasbudget zu
zwei Dritteln aufgebraucht
Die Fakten zum Klimawandel sind klar: Die Erde erwärmt sich global und langfristig. Das Treibhausgas
Kohlen­dioxid (CO2) spielt dabei die Hauptrolle, und es ist äusserst wahrscheinlich, dass der Mensch die
Hauptverantwortung für diese Entwicklung trägt. Text: Kaspar Meuli

             Wie lässt sich in wenigen Sätzen das Wichtigste aus                  Arbeitsgruppe I des Weltklimarats, die sich mit den wis­
             einem 2000-seitigen Bericht zusammenfassen? Ein                      senschaftlichen Grundlagen des Klimawandels befasst
             ­Dokument, an dem 600 Autorinnen und Autoren                         hat. «Alle Kernsätze wurden von den Regierungen der
              auf der ganzen Welt mitgearbeitet haben und in dem                  190 Mitgliedsstaaten der UNO-Klimakonvention abge­
              Wissen aus mehr als 9000 wissenschaftlichen Studien                 segnet», betont Thomas Stocker. «Das verleiht ihnen
              steckt?                                                             grosses Gewicht.»
                Genau dieser Herausforderung hat sich der Klima­                    Hier ein paar Beispiele dieser Kernsätze aus dem
              forscher Thomas Stocker gestellt, als er sich im Sommer             letzten IPCC-Bericht
              2013 daranmachte, zusammen mit zwei Kollegen die                    • Die Erwärmung des Klimasystems ist eindeutig, und
              Hauptaussagen des fünften sogenannten Sachstands­                      viele dieser seit den 1950er-Jahren beobachteten Ver­
              berichts des Weltklimarats (IPCC) herauszuschälen.                     änderungen sind seit Jahrzehnten bis Jahrtausenden
              Nach zwei Wochen Knochenarbeit hatten die Wissen­                      nie aufgetreten.
              schaftler sich auf 19 Kernsätze geeinigt. «Das Ziel war,            • Jedes der letzten drei Jahrzehnte war an der Erdober­
              neue Wege zu finden, um unsere Resultate zu kommu­                     fläche sukzessive wärmer als alle vorangehenden
              nizieren», erklärt Thomas Stocker. «Sie sind sehr kurz,                Jahrzehnte seit 1850.
              ohne Fachbegriffe und in allgemein verständlicher                   • Von 1901 bis 2010 ist der mittlere Meeresspiegel um
              Sprache geschrieben.» Der Professor für Umwelt- und                    19 Zentimeter gestiegen.
              Klimaphysik an der Universität Bern ist Ko-Leiter der               • Während der letzten beiden Jahrzehnte haben die

                         Hitzetage Anfang 21. Jahrhundert                                      Hitzetage Ende 21. Jahrhundert

                                                                                                                              Quelle: Meteoschweiz

             Heute gibt es im Schweizer Mittelland jährlich rund 5 bis 15 Tage,   die Treibhausgasemissionen bis 2100 stetig an, sind Ende dieses
             an denen es 30 Grad oder wärmer wird (Karte links). Im Som-          Jahrhunderts für jedes Jahr ähnlich viele Hitzetage zu erwarten
             mer 2003 waren es zwischen 30 und 50 dieser Hitze­tage. Steigen      wie im Hitzesommer 2003 (Karte rechts).

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Dossier Klima < umwelt 4/2014

  Eisschilder in Grönland und in der Antarktis an Masse     aufzuzeigen, arbeiten die Forscher mit Szenarien. Diese
  verloren und die Gletscher sind fast überall in der       gehen unter anderem von einem variierenden Wirt­
  Welt weiter abgeschmolzen.                                schaftswachstum aus und berücksichtigen unterschied­
• Es ist äusserst wahrscheinlich, dass der menschliche      lich einschneidende klimapolitische Massnahmen.
  Einfluss die Hauptursache der beobachteten Erwär­            Mit solchen Szenarien haben nicht nur die Autorin­
  mung seit Mitte des 20. Jahrhunderts war.                 nen und Autoren des IPCC-Berichts gearbeitet, sondern
                                                            auch die Studie zur Klimaänderung in der Schweiz
Immer verlässlichere Aussagen zum künftigen Klima           «CH2011». Einige ihrer zentralen Aussagen lauten:
Wirkliche Überraschungen gab es nicht im neuen              • Verglichen mit heute wird die durchschnittliche
­Bericht des Weltklimarats, dem fünften seit 1990. Doch        Temperatur gegen Ende des 21. Jahrhunderts je nach
 die Aussagen haben weiter an Zuverlässigkeit gewon­           Szenario zwischen 1,5 und 4 Grad zunehmen.
 nen. Gründe für diesen Vertrauensgewinn sind: längere      • Die erwartete Erwärmung wird im Sommer am
 Messreihen von Daten, methodische Fortschritte und            stärksten ausfallen. Steigt die Temperatur um
 bessere Klimamodelle. All dies hilft der Forschung            4 Grad, dürfte sich die Zahl der über 25 Grad warmen
 nicht nur, die Ursachen des Klimawandels besser zu            Sommertage auf bis zu 100 verdreifachen.
 verstehen, sondern es macht auch ihre Aussagen zum         • Über das ganze Jahr betrachtet, zeigt sich für die
 Klima der Zukunft immer verlässlicher.                        Niederschläge in keiner Region des Landes eine klare
    Und was ist der allerwichtigste Befund des im Sep­         Tendenz zur Zu- oder Abnahme.
 tember 2013 veröffentlichten Berichts zum Zustand          • Saisonal hingegen ist in der zweiten Hälfte des­
 des Weltklimas? «Nur wenige Medien haben den ent­             21. Jahrhunderts mit mehr Niederschlag im Winter
 scheidenden Punkt prominent aufgegriffen», sagt Reto­­        zu rechnen. Im Sommer dürften die Regenmengen
 Knutti, Professor für Klimaphysik an der Eidgenös­            überall in der Schweiz abnehmen, und das Risiko
 sischen technischen Hochschule ETH Zürich und einer           von Trockenphasen und Dürren steigt.
 der Hauptautoren des Berichts. «Wenn wir die weltweite     • Gegen Ende des Jahrhunderts dürfte es zu häufigeren
 Erwärmung mit genügend grosser Wahrscheinlichkeit             und intensiveren Starkniederschlägen kommen.
 auf 2 Grad beschränken wollen, müssen wir uns an
 ein fixiertes CO2-Budget halten. Die Menschheit dürfte     Regionale Auswirkungen des Klimawandels
 maximal 800 Milliarden Tonnen Kohlenstoff ausstos­         Mit den regionalen Auswirkungen des Klimawandels
 sen; seit Beginn der Industrialisierung haben wir schon    hat sich kürzlich eine Sammlung von wissenschaft­
 zwei Drittel davon freigesetzt.» Das heisst: Wenn der      lichen Studien unter dem Titel «CH2014-Impacts» be­
 CO2-Ausstoss im gegenwärtigen Umfang weitergeht, ist       fasst. Der Bericht kommt unter anderem zum Schluss,
 das Emissionsbudget in 30 Jahren restlos erschöpft. Und    dass die Eismasse der Gletscher bis zum Ende dieses
 dieses Budget wird zum grössten Teil durch bestehende,     Jahrhunderts ohne einschneidende klimapolitische
 auf fossile Energieträger ausgerichtete Infrastruktur      Massnahmen nahezu vollständig verloren geht. Auch
 wie Kraftwerke, Gebäude und Fahrzeuge bereits ausge­       wird im Mittelland eine Schneedecke über mehrere
 schöpft. Der Spielraum für neue Anlagen und Bauten         Tage selten. Weiter wird die Grundwassertemperatur
 ist sehr klein. Die Umstellung auf nicht fossile Energie   steigen, was zu einer Verschlechterung der Grundwas­
 ist dringend und muss innerhalb kurzer Zeit erfolgen.      serqualität führen könnte. Und die zu erwartenden
                                                            Entwicklungen, so der Bericht, haben zur Folge, dass
Temperatur steigt in der Schweiz überdurchschnittlich       in Zukunft viele in der Schweiz verbreitete Baumarten
In manchen Bereichen macht sich der Klimawandel in          unter Trockenstress leiden werden. Bei ungebremstem
der Schweiz deutlicher bemerkbar als anderswo. Die          Klimawandel könnte das Mittelland als Lebensraum
Temperatur etwa ist in der Vergangenheit rund 1,6-mal       für die heute weitverbreiteten Fichten und Buchen
so stark angestiegen wie im Mittel der Nordhemisphäre.      ungeeignet werden.
Seit Messbeginn im Jahr 1864 beträgt die Temperatur­
zunahme hierzulande rund 1,8 Grad – gegen 90 Pro­
                                                            Weiterführende Links zum Artikel:
zent davon entfallen auf die Zeit nach 1960.
                                                            www.bafu.admin.ch/magazin2014-4-03
  Auch das künftige Klima wird sich in der Schweiz
wohl nicht parallel zu den globalen Veränderungen                       Kontakt
entwickeln. Fest steht jedoch, dass längerfristig die                   Regine Röthlisberger
                                                                        Stv. Sektionschefin Klimaberichterstattung
entscheidende Rolle dabei der weltweite Ausstoss an
                                                                        und -anpassung, BAFU
Treibhausgasen spielt – und der lässt sich beeinflus­                   058 462 92 59
sen. Um eine Bandbreite der möglichen Entwicklung                       regine.roethlisberger@bafu.admin.ch

                                                                                                                                       9
Umwelt - Leben mit dem Klimawandel 4/2014 - Bundesamt für Umwelt
umwelt 4/2014 > Dossier Klima

Klimapolitik

Durchdachter
Massnahmenmix
Das seit 2013 geltende CO2-Gesetz ist das Herzstück der Schweizer Klimapolitik. Ziel ist es, bis 2020 die Treib­
hausgasemissionen um mindestens 20 Prozent gegenüber dem Jahr 1990 zu senken. Das neue Gesetz baut auf
einen Mix von Marktkräften, Förderungsmassnahmen und Vorschriften. Text: Lucienne Rey und Kaspar Meuli

Sein Name ist Perlentop satin. Doch wer    sinken. Sie ist ein wichtiges Instrument,     entsteht. Je nach Blickwinkel sieht der
dabei an das Abendkleid einer Filmdiva     mit dem die Schweiz ihren Beitrag zur         imposante Bau wie ein Krokodil mit
denkt, liegt falsch. Vielmehr geht es um   Begrenzung des globalen Temperatur­           kurzer Schnauze aus oder wie ein auf
ein Premiumprodukt der Papierfabrik        anstiegs auf weniger als 2 Grad gegen­        der Wiese gestrandetes Dampfschiff.
Perlen im gleichnamigen Luzerner In­       über der vorindustriellen Zeit leisten
dustriedorf. Perlentop satin steht für     will.                                         Kürzere Anfahrtswege sind gut fürs Klima
ein beidseitig gestrichenes, halbmattes      «Die Schweizer Klimapolitik strebt          Der Standort der neuen KVA, an der acht
Offset-Papier.                             eine Dekarbonisierung der Gesellschaft        Abfallverbände aus allen Zentralschwei­
   Die Herstellung von Papier benötigt     an. Das heisst, wir wollen künftig            zer Kantonen beteiligt sind, ist mit
viel Energie. Für 1 Kilogramm sind es      möglichst keine fossilen Brenn- und           Bedacht gewählt. Die Renergia ersetzt
rund 2,5 Kilowattstunden – so viel         Treibstoffe mehr einsetzen», sagt Andrea      die viel weniger zentral gelegene, über
Strom, wie ein leistungsstarker PC         Burkhardt, Leiterin der Abteilung Klima       40-jährige Anlage in Ibach am Stadtrand
während eines ganzen Arbeitstages ver­     im BAFU. Doch das sei ein Mehrgenera­         von Luzern. Die meisten Gemeinden
braucht oder eine 100-Watt-Glühbirne       tionenprojekt, betont sie. «Die Abkehr        werden der Renergia ihren Müll über
während 24 Stunden. Besonders viel         von der fossilen Energie wird erst Ende       deutlich kürzere Distanzen anliefern und
Wärme benötigt die Papierindustrie, um     des Jahrhunderts abgeschlossen sein und       so den CO2-Ausstoss reduzieren können.
feuchtes Faservlies zu trocknen. Im Jahr   verlangt ein kontinuierliches Engage­           Für den Klimaschutz besonders ins
2013 konsumierte die Perlen Papier AG      ment der ganzen Gesellschaft und aller        Gewicht fällt die Nähe zur Perlen Pa­
gut 1000 Gigawattstunden Energie und       Sektoren der Wirtschaft.» Das CO2-Gesetz      pier, die ebenfalls zu den Aktionären der
stiess gegen 94 000 Tonnen Kohlen­dioxid   diene als Antrieb, der diesen Prozess in      Renergia gehört. Die Papierfabrik – eine
(CO2) aus. Das geht ins Geld, denn das     Gang halte.                                   der grössten der Schweiz – wird künftig
2011 vom Parlament revidierte CO2-           Die Folgen des CO2-Gesetzes für die         von der KVA Wärme beziehen, die bei
Gesetz sieht für Brennstoffe eine Abgabe   Wirtschaft lassen sich am Beispiel der        der Verbrennung der Abfälle entsteht.
pro Tonne freigesetztes Kohlendioxid       auf halber Strecke zwischen Luzern            Ab Januar 2015 werden damit die Papier­
vor. Der Abgabesatz liegt derzeit bei      und Zug an der Reuss gelegenen Perlen         bahnen getrocknet. Ein wegweisendes
60 Franken pro Tonne, nachdem ihn          Papier AG aufzeigen. Hier greifen gleich      Beispiel also für die im CO2-Gesetz vor­
der Bundesrat 2014 um 24 Franken an­       mehrere der gesetzlich vorgesehenen           gesehenen Kooperationsmassnahmen.
gehoben hat, weil das Zwischenziel für     Massnahmen. So treibt die Papierfabrik          Als weiteres Instrument des CO2-
das Jahr 2012 verfehlt wurde.              den Klima­schutz auf Betriebsebene vor­       Gesetzes nutzt die Perlen Papier den
                                           an, indem sie eine enge Kooperation mit       Emissionshandel (siehe Seite 12 «Der
Klimapolitik braucht einen langen Atem     einer starken Partnerin eingegangen ist,      Markt bestimmt den CO2-Preis»). Weil
Die CO2-Abgabe soll bewirken, dass der     der Kehrichtverbrennungsanlage (KVA)          das Unternehmen bei diesem System
Verbrauch fossiler Brennstoffe zurück­     Re­­­­ner­gia Zentralschweiz AG, die gegen­   mitmacht, ist es von der Brennstoff­
geht und damit die CO2-Emissionen          wärtig in unmittelbarer Nachbarschaft         abgabe entbunden. Das Gesetz sieht eine

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Dossier Klima < umwelt 4/2014

Befreiung von CO2-intensiven Branchen               Auch die Kompensationspflicht der                    Einfluss nehmen, denn wir haben
vor, um sie in ihrer Wettbewerbsfähig­              Treibstoffimporteure kehrt diese Ent­                einen Entsorgungsauftrag», erklärt
keit nicht zu behindern.                            wicklung nicht um. Bis 2020 müssen                   Adrian Schuler, Projektingenieur und
                                                    sie zwar 10 Prozent der CO2-Emissionen               Kommunikationsverantwortlicher bei
Trendwende auch beim Verkehr                        aus dem Verkehr mit geeigneten Kli­                  der Renergia. «Aber wir können die
Zu den grossen Verursachern des Treib­              maschutzprojekten neutralisieren. Die                Verbrennungswärme optimal nutzen.»
hausgases CO2 gehört neben der Indus­               Emissionsverminderungen finden aber
trie der Verkehr. Das CO2-Gesetz will               grösstenteils in anderen Sektoren statt.             Strom und Heizwärme aus Abfall
mit neuen Vorschriften erreichen, dass                Vom CO2-Gesetz betroffen sind Unter­               Dem ist tatsächlich so: Dank der von der
die Schweizer Fahrzeugflotte als Ganzes             nehmen nicht nur, wenn sie als Energie­              Renergia bezogenen Wärme kann die
klima­freundlicher fährt. Mittelfristig             verbraucher einen hohen Ausstoss an                  Papierfabrik Perlen schätzungsweise
­sollen auf den Strassen nur noch ­Autos            Treibhausgasen verursachen, sondern                  40 Millionen Liter Heizöl einsparen und
 mit ­tiefem CO2-Ausstoss unterwegs sein            auch, falls sie grosse Materialmengen                dadurch ihren CO2-Ausstoss jährlich um­
 (siehe Seite 13 «Die Autoflotte muss
 ­                                                  verbrennen. Denn wann immer etwas                    90 000 Tonnen vermindern. Kommt
 effi­­­­zienter werden»). «Die eingeleiteten       in Flammen aufgeht, das Kohlenstoff                  dazu, dass die Hälfte des Verbrennungs­
 Massnahmen zeigen Wirkung», bilanziert             enthält, bildet sich CO2. Mit der Verbren­           gutes der Renergia aus nachwachsen­
 Klimaspezialistin Andrea Burkhardt,                nung von Abfällen wie Plastik stossen                den Rohstoffen wie Holz besteht und
 «die Emissionen gehen in allen Sektoren            KVAs daher zwangsläufig viel dieses                  deshalb bei deren Verbrennung Ener­
 zurück – auch beim Verkehr ist der                 Treibhausgases aus. «Auf die Menge des               gie CO2-neutral erzeugt wird. Dieser
 Gesamtausstoss leicht gesunken.» Die               Verbrennungsgutes können wir wenig                   Umstand wirkt sich auch günstig auf
 Trendwende erfolge allerdings verspätet,
 da griffige Massnahmen erst per 2012
 ­eingeführt worden seien. «Sie zielen
  auf die Verbesserung der CO2-Effizienz                Dank der von der Renergia bezogenen Wärme kann
von neuen Fahrzeugen ab, die Verkehrs­                  die Papierfabrik Perlen ihren CO2-Ausstoss jährlich um
leistung hingegen nimmt nach wie vor
zu.»                                                    schätzungsweise 9­ 0 000 Tonnen vermindern.
                                                                                                         die Klimabilanz der Papierfabrik aus.
                                                                                                         Die Energie aus dem Verbrennungs­
                                                                                                         prozess gewinnt die Renergia über
                                                                                                         Röhren, die die Wände des Feue­rungs-
                                                                                                         kessels auskleiden: Das im Rohrsystem
                                                                                                         zirkulierende Wasser erhitzt sich und
                                                                                                         liefert Dampf. Daraus wird sowohl ­Strom
                                                                                                         als auch Wärme gewonnen. 450 Giga­
                                                                                                         wattstunden wird die Renergia künftig
                                                                                                         jährlich der Perlen Papier AG liefern.
                                                                                                         Die verbleibenden 155 Gigawattstunden
                                                                                                         werden als Strom ins öffentliche Netz
                                                                                                         eingespeist, was dem jährlichen Energie­
                                                                                                         bedarf von rund 38 000 Haushaltungen
                                                                                                         entspricht.
                                                                                                            Um möglichst wenig von der kost­
                                                                                                         baren Wärme zu verlieren, sind die
                                                                                                         Leitungen der Renergia dick in Dämm­-
                                                                                                         stoffe eingepackt. Gute Isola­tionen an
                                                                                                         Bauwerken, insbesondere an Wohn- und
                                                                                                         Dienstleistungsgebäuden, sind denn
                                                                                                         auch ein weiteres Ziel des CO2-Gesetzes.
An der neuen Kehrichtverbrennungsanlage (KVA) Renergia Zentralschweiz AG in Perlen/Root (LU)             Es weist die Kantone an, da­für zu sor­
ist neben acht Zentralschweizer Abfall­verbänden auch die Papierfabrik Perlen beteiligt. Sie wird        gen, dass der Treibhausgasausstoss von
von der Renergia künftig Wärme beziehen, die bei der Verbrennung der Abfälle entsteht.                  Gebäuden vermindert wird. Um die
                                                                                   Bild: Lucienne Rey

                                                                                                                                                11
umwelt 4/2014 > Dossier Klima

Wärmedämmung bei bestehenden Ge­
bäuden zu verbessern und den Einsatz         Wo das CO2-Gesetz ansetzt
CO2-freier Brenn­stoffe aus erneuerbaren
Quellen zu fördern, erhalten sie vom
Bund Finanzhilfen.

Klimaschutz im Einklang mit der Wirtschaft
Besonders energieintensive Betriebe
werden durch das Gesetz verpflichtet,                                                                     CO2
sich dem Emissionshandelssystem (EHS)
anzuschliessen. Zu diesen Firmen gehört
auch die Papierfabrik Perlen, und im
Prinzip müsste sich auch ihre Partnerin                                                        Der Markt bestimmt
Renergia an diesem System beteiligen.
Doch dank einer sogenannten Branchen­
                                                                                                 den CO2-Preis
vereinbarung zwischen den Kehrichtver­                                                     Der Emissionshandel zielt darauf ab,
brennern und dem Bund sind die KVAs                                                        CO2-Einsparungen in ein Gut zu verwan-
von der Teilnahme am Emissionshandel                                                       deln, dem ein entsprechender Geldwert
befreit. Im Gegenzug verpflichten sie                                                      zukommt. Wer Treibhausgasemissionen
sich zu einer substanziellen Reduktion                                                     verursacht, muss durch entsprechende
der Treibhausgasemissionen. Freiwilli­                                                     Emis­sionsrechte dazu ermächtigt sein. Der
ge Vereinbarungen existieren auch in                                     CHF
                                                                         CHF               Staat definiert dabei die CO2-Obergrenze,
anderen Branchen. Über 3000 Firmen                                                         die pro Jahr emittiert werden darf – den
engagieren sich unter dem Dach der                                                         sogenannten Cap. Für das Jahr 2013 wurde
Energie-Agenur der Wirtschaft EnAW                                                         dieser vom Bund auf total 5,6 Millionen
und der Cleantech-Agentur act. Unter­                                                      Tonnen festgelegt; in den kommenden Jah-
nehmen aus CO2-intensiven Branchen,                                                        ren wird er – gleich wie in der EU – jeweils
die sich zu verbindlichen Emissionsver­                                                    um 1,74 Prozent reduziert. Das BAFU teilt
minderungen verpflichten, können sich
von der CO2-Abgabe dispensieren lassen.      Sparsamkeit wird belohnt                      den am Emissionshandelssystem (EHS) teil-
                                                                                           nehmenden Firmen so viele Emissionsrechte
   Das Zusammenspiel von Perlen Pa­
                                             Die CO2-Abgabe auf Brennstoffe wird seit      kostenlos zu, wie sie benötigen, wenn sie
pier AG und Renergia ist nicht nur ein
                                             dem Jahr 2008 in Form einer Lenkungs-         CO2-effizient wirtschaften.
Vorzeigebeispiel in Sachen saubere
                                             abgabe erhoben. Sie ist also nicht primär         Massgeblich für die Höhe der zugeteilten
Technologien. Es illustriert auch, wie
                                             darauf ausgerichtet, dem Staat Einnah-        Rechte sind unter anderem branchenweite
sich der Klimaschutz im Einklang mit
                                             men zu verschaffen, sondern soll zu einem     Vergleichswerte, sogenannte Benchmarks.
den Bedürfnissen der Wirtschaft vor­
                                             erwünschten Verhalten animieren: der          Berücksichtigt werden zudem die Produk­
antreiben lässt. Das Fazit von Andrea
                                             sparsamen Verwendung fossiler Brenn­          tionsdaten der Firmen aus den vergangenen
­Burkhardt, der Klimachefin des BAFU:
                                             stoffe. Mit dem Abgabesatz von 60 Fran-       Jahren. Dabei sind auch branchenspezi­      -
 «Die Instrumente des CO2-Gesetzes tra­
 gen der Wettbewerbsfähigkeit der Betrie­    ken je Tonne CO2 nimmt der Bund jährlich      fi­sche Anpassungen vorgesehen: Droht etwa
 be Rechnung und fördern Innovationen.       800 Millionen Franken ein. Davon sind ein     die Gefahr, dass wegen der CO2-Kosten die
 Akzeptanz findet das Gesetz aber auch,      Drittel, maximal 300 Millionen Franken,       Produktion ins ­Ausland verlegt wird, be-
 weil es den Unternehmen Flexibilität bei    für das Gebäudeprogramm vorgesehen,           kommt das Unternehmen die Emissionsrechte
 der Umsetzung einräumt.»                    weitere 25 Millionen für den Technologie-     bis zum Benchmark kostenlos. Unternehmen,
                                             fonds. Der Rest f liesst an Bevölkerung und   die weniger CO2 ausstossen, als die Bench-
                                             Wirtschaft zurück. Den Einwohnerinnen         mark vorsieht, profitieren, denn sie können
Weiterführende Links zum Artikel:            und Einwohnern der Schweiz wird der           mit den ungenutzten Emis­sionsrechten Han-
www.bafu.admin.ch/magazin2014-4-04           Ertrag aus der CO2-Abgabe über die Kran-      del treiben. Ist eine Firma weniger effizient
            KONTAKT                          kenkassen rückverteilt; 2015 sind dies        als verlangt, wird sie zur Kasse gebeten. Sie
            Andrea Burkhardt                 rund 45 Franken pro Person. Die Höhe der      muss zusätzliche Emissionsrechte ersteigern
            Abteilungschefin Klima
                                             den Unternehmen ausbezahlten Beträge          oder Gutschriften auf dem Markt kaufen.
            BAFU
            058 462 64 94                    ist proportional zur abgerechneten AHV-       Rechte, die nach der kostenlosen Verteilung
            andrea.burkhardt@bafu.admin.ch   Lohnsumme ihrer Angestellten.                 noch übrig sind, werden versteigert.

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Dossier Klima < umwelt 4/2014

     Die Autoflotte muss
     effizienter werden                                                                       Gemeinsam Klimaziele
                                                                                                   erreichen
Versuche, den Treibstoffverbrauch in der
Schweiz über hohe Benzinpreise zu dros-                                                     Mit Branchen- und Zielvereinbarungen
seln, haben politisch einen schweren Stand.                                                 verpf lichten sich bestimmte Wirtschafts-
Das CO2-Gesetz richtet sich daher auf die                                                   zweige und Firmen gegenüber dem Bund,
gesamte Fahrzeugf lotte: Es bestimmt,                                                       freiwillig Massnahmen umzusetzen, um
dass die 2015 neu zugelassenen Autos im                                                     definierte Umweltziele zu erreichen. Bran-
Mittel nicht mehr als 130 Gramm CO2 pro                                                     chenvereinbarungen binden alle Betriebe
Kilometer ausstossen dürfen. Dieser Durch-                                                  eines Wirtschaftszweiges ein; neu wurde
schnittswert nimmt die Importeure in                                                        mit den KVAs eine solche Übereinkunft
die Pf licht: Der Bund macht ihnen indivi-                                                  getroffen. Zielvereinbarungen werden
duelle Zielvorgaben, um die CO2-Emissio­-                                                   individuell mit einzelnen Firmen abge-
nen der gesamten Schweizer Fahrzeug-                                                        schlossen. Sobald diese die Befreiung von
f lotte zu reduzieren. Fahrzeuge, die grosse    Innovationen im Dienste                     der CO2-Abgabe anstreben, müssen sie eine
Mengen an Treibhausgasen ausstossen,               des Klimas fördern                       verbindliche Verminderungsverpf lichtung
können durch wenig emittierende Autos                                                       eingehen. Verfehlen sie die gesetzten Ziele,
kompensiert werden.                            Der Bund will technische Innovationen        werden Sanktionen fällig. Eine Firma kann
   Treibstoffimporteure müssen bis 2020        fördern, die zum Klimaschutz beitragen.      aber auch eine Zielvereinbarung eingehen,­
10 Prozent der vom Verkehr verursachten        Sie sollen den Ausstoss von Treibhausgasen   ohne auf eine Befreiung von der CO2-Ab­
CO2-Emissionen ausgleichen – dies durch        senken, den Ressourceneinsatz reduzieren     gabe hinzusteuern. Werden in diesem Fall
die Reduktion von Treibhausgasen mit           oder die Verwendung erneuerbarer Ener-       die angepeilten Werte verfehlt, ist keine
Klimaschutzprojekten im Inland. Modell         gien begünstigen.                            Strafe zu befürchten.
bei dieser Regelung stand der Klimarap­-          Zu diesem Zweck hat der Bund einen          Wichtige Akteure bei den Zielverein­
pen, mit dem die Erdölwirtschaft von 2005      Technologiefonds geäufnet, der mit maxi-     barungen sind die bereits seit einem ­run­-
bis 2012 Massnahmen im In- und Ausland         mal 25 Millionen Franken pro Jahr aus den    den Jahrzehnt tätige Energie-Agentur der
finanzierte. Für das Nachfolgeprogramm         Erträgen der CO2-Abgabe gespeist wird.       Wirtschaft EnAW und die neu gegründete
wurde die Stiftung Klimaschutz und             Der Fonds ermöglicht es dem Bund, Dar­-      Cleantech Agentur Schweiz – act; beide sind
CO 2-Kom­p en­s ation (KliK) gegründet.        lehen an Firmen zu verbürgen, die kli-       vom Bund mit der Umsetzung von Voll-
Die Stiftung will in den ­nächsten Jahren      mafreundliche Anlagen oder Verfahren         zugsaufgaben beauftragt. Diese Agenturen
über 1 Milliarde Franken investieren und       entwickeln. Aufgrund dieser Sicherheiten     unterstützen die Firmen bei der Ausar-
da­ mit mindestens 6,5 Mil­  lionen Tonnen     erhalten die Unternehmen von Banken          beitung von Massnahmenplänen zu CO2-
CO2 kompensieren. KliK kann entweder           leichter Darlehen.                           Einsparungen, indem sie zum Beispiel die
eigene Projekte durchführen oder Dritten          Über das Gebäudeprogramm fördern          Produktionsprozesse systematisch analysie-
die CO2-Reduktionsleistung in Form von         Bund und Kantone eine bessere Wärme-         ren und Reduktionspotenziale identifizieren.
Bescheinigungen abkaufen. Das BAFU             dämmung und erneuerbare Energien, aber       Berechnungen zufolge haben Unternehmen,
stellt solche Bescheinigungen für Emissions­   auch die Optimierung der Gebäudetechnik      die ihre Prozesse entsprechend optimiert hat-
reduktionen aus, die über das übliche Mass     oder Massnahmen, welche die Nutzung der      ten, 2012 rund ein Viertel weniger Treibh-
hinausgehen.                                   Abwärme ermöglichen.                         ausgase ausgestossen als noch im Jahr 1990.

                                                                                                                                      13
umwelt 4/2014 > Dossier Klima

Klimaanpassung

Chancen nutzen
und Risiken klein halten
Der Klimawandel ist ein schleichender Prozess. Wir gewöhnen uns an wärmere Winter, trockenere
Sommer, häufigere Starkregen. Die Schweiz muss sich auf diese Veränderungen einstellen – je früher,
desto besser. Mit einem Aktionsplan des Bundes werden die Weichen für die nötigen Anpassungen
gestellt. Text: Stefan Hartmann

                         Bleierne Sommerhitze hängt über Sitten. Seit        die entsprechenden Ziele, Herausforderungen
                         Wochen kein Tropfen Regen. Und regnet es doch       und Handlungsfelder formuliert. Der zweite, im
                         einmal, dann umso heftiger. In Zukunft wird         Frühling 2014 erschienene Teil ist der Aktions­
                         sich diese Situation als Folge des Klimawandels     plan 2014–2019. Er zeigt auf, wie der Bund die
                         häufiger einstellen. Der Walliser Kantonshaupt­     formulierten Ziele erreichen und künftige Her­
                         ort weist den stärksten Temperaturanstieg der       ausforderungen bewältigen will. Der Plan sieht
                         Schweiz in den vergangenen 30 Jahren auf,           63 Massnahmen in unterschiedlichen Sektoren
                         nämlich 0,5 Grad pro Jahrzehnt. Die Hitze be­       vor – eine davon ist das Pilotprogramm mit 31
                         kommt vielen Menschen schlecht. Jetzt will          Projekten.
                         sich Sitten besser für den Klimawandel wapp­
                         nen: Es soll grüner werden. Denn es fehlt der       Folgen für Natur, Wirtschaft und Gesellschaft
                         31 000 Einwohner zählenden Stadt an grünen          «Mit den Pilotprojekten sollen die Kantone, Re­
                         ­Nischen mit Wiesen, Sträuchern und Bäumen,­        gionen und Gemeinden für die Anpassung an den
                          die Feuchtigkeit aufnehmen und abgeben kön­        Klimawandel sensibilisiert und die Zusammen­
                          nen, was kühlend auf das lokale Klima wirkt.       arbeit zwischen den Akteuren gefördert werden»,
                          Im Juni 2014 lancierte die Stadt deshalb eine      sagt Thomas Probst, der das Pilotprogramm im
                          Kampagne mit dem Ziel, Eigentümer privater         BAFU koordiniert. Es soll verdeutlichen, wie
                          Liegenschaften zu ermutigen, ihre Hinterhöfe,      wichtig eine frühzeitige Vorbereitung auf die
                          Dächer und Mauern zu begrünen oder Beton­          Auswirkungen des Klimawandels ist. Als das
                          beläge durch Kiesflächen zu ersetzen.              BAFU im Frühjahr 2013 öffentlich zur Eingabe
                            Die Sittener Kampagne ist Teil eines Pilotpro­   von Projektanträgen einlud, übertraf die grosse
                          gramms, mit dem verschiedene Bundesämter die       Zahl der Gesuche alle Erwartungen. Statt der
                          Umsetzung der Strategie des Bundesrates zur        erhofften zwei bis drei Dutzend Anträge gingen
                          Anpassung der Schweiz an den Klimawandel           über 100 ein. Dies zeuge von grossem Interesse
                                                                             am Thema, freut sich Thomas Probst.
                                                                               «Kantone und Regionen erkennen immer mehr,
     Der Aktionsplan «Klimaanpassung» soll Verände-                          dass der Klimawandel Tatsache ist und welche
     rungen besser und früher sichtbar machen und                            Konsequenzen der Anstieg der Temperaturen
                                                                             und die Veränderung der Niederschläge für die
     helfen, den Risiken des Klimawandels durch geeig-                       Natur, das Wirtschaftsleben und die Gesellschaft
     nete Massnahmen zu begegnen.                                            haben», ergänzt Roland Hohmann. Er ist im
                                                                             BAFU für die Anpassungsstrategie zuständig.
                                                                             Das genaue Ausmass des Klimawandels in der
                         ­ orantreiben wollen. Die Anpassungsstrategie
                         v                                                   Schweiz hänge allerdings von der Entwicklung
                         soll aufzeigen, wie sich die Chancen des Klima­     der globalen Treibhausgasemissionen ab.
                         wandels nutzen und seine Risiken minimieren           Doch so viel kann die Wissenschaft bereits heu­
                         lassen. In einem ersten Teil wurden im Jahr 2012    te sagen: Die regionalen Klimamodelle zeigen für

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Dossier Klima < umwelt 4/2014

                                                      Nirgendwo in der Schweiz sind die Temperaturen derart gestiegen wie in Sitten (VS).
die Schweiz, je nach Szenario, eine Temperatur­       Jetzt will sich die Stadt besser für den Klimawandel wappnen: Sie soll grüner
zunahme von 1,5 bis 4 Grad bis gegen Ende dieses      werden, was sich kühlend auf das lokale Klima auswirkt.       Bild: Keystone/Laurent Gilliéron

Jahrhunderts und eine deutliche Abnahme der
Niederschläge im Sommer um bis zu 20 Prozent.         Landwirte im Seeland künftig besser gewappnet
Für Roland Hohmann steht deswegen fest: «Die          sein. Darum sammelt gegenwärtig ein Team von
Gesellschaft muss sich in den kommenden Jahr­         Fachleuten Daten für eine Internetplattform, die ein
zehnten dringend mit den Auswirkungen des Kli­        Bewässerungsmanagement ermöglichen soll. Die
mawandels befassen.» Mit Trockenheit und lokalen      Plattform erlaubt, Wasserstände, Bodenfeuchte oder
Wasserengpässen zum Beispiel – einem Thema,           Wetterentwicklung in Echtzeit abzurufen. Das hilft
dem sich ein weiteres Pilotprojekt zur Anpassung      den Behörden und den Betroffenen, schneller zu
im Seeland (FR, BE, VD) widmet.                       handeln und Massnahmen zu ergreifen: Haushälte­
                                                      risch mit der kostbaren Ressource Wasser umgehen,
Umgang mit knappem Wasser lernen                      lautet das Gebot der Stunde.
An die grosse Trockenheit der Sommer 2003 und            «Wir müssen die Risiken, die ein wärmeres Kli­
2009 erinnern sich die Seeländer Gemüsebauern         ma mit sich bringt, minimieren lernen und die
zwischen dem Fluss Broye und dem Hagneckkanal         Anpassungsfähigkeit von Wirtschaft, Gesellschaft
noch heute mit Unbehagen. Schmerzhaft mussten         und Umwelt steigern», fordert Pamela Köllner von
sie lernen, dass das scheinbar reichlich vorhandene   der BAFU-Abteilung Klima. Dazu gelte es, Heraus­
Nass in ihrer Region nach nur wenigen Wochen          forderungen in drei Bereichen zu meistern. Das
versiegen kann. Die Folge waren grosse Ernte­         sind die Überwachung und Früherkennung von
ausfälle. Für solche Dürreereignisse wollen die       Veränderungen in der Umwelt, die Verringerung be­

                                                                                                                                                 15
umwelt 4/2014 > Dossier Klima

                 stehender Unsicherheiten und Wissenslücken sowie          Gletschern weniger Wasser führen. Und die positive
                 die Sensibilisierung, Information und Koordination.       Meldung: Eine moderate Erwärmung kann den Bau­
                    Zur Vertiefung des Wissens über die Folgen des         ern höhere Erträge bescheren.
                 Klimawandels für die Schweiz sieht die bundesrät­           Die Klimaszenarien für den Kanton Uri zeigen auf,
                 liche Strategie eine Risikoanalyse mit sechs grossen      dass es auch in den Bergen deutlich wärmer wird.
                 Fallstudien vor. Sie betreffen die Grossräume Mit­        Wurden 1965 in Altdorf im Urner Talboden rund
                 telland, Alpen, Voralpen, Jura, Südschweiz sowie          25 Sommertage mit einer Höchsttemperatur von
                 die Agglomerationen. Dabei werden insbesondere            mindestens 25 Grad verzeichnet, waren es 2008 be­
                 die Risiken und Chancen des Klimawandels für den          reits deren 45. Je nachdem, wie sich die künftigen
                 Zeitraum um das Jahr 2060 abgeklärt.                      Emissionen entwickeln, wird es in Altdorf um 2060
                                                                           zwischen 60 und 82 Sommertage geben. Ein ähnli­
                 Risikoanalysen für Aargau und Uri                         ches Bild bietet Andermatt im Urserental. Im Mittel
                 Bereits liegen zwei dieser Studien vor: eine zum          zählt das Bergdorf heute 136 Frosttage im Jahr. Je
                 Kanton Aargau, die für den Grossraum Mittelland           nach Ausmass der künftigen Erwärmung werden
                 steht, und eine für den Kanton Uri, stellvertretend       die Tage mit Minustemperaturen bis 2060 um rund
                 für die Bergregionen. Von gesamtschweizerischem           20 bis 40 Prozent abnehmen.
                 Interesse sind diese Untersuchungen nicht zuletzt,
                 weil sie Risiken konkretisieren. «Wir wissen, dass        Es drohen häufigere Extremereignisse
                 es billiger und einfacher ist, bei Entscheiden bereits    Als inneralpine Region könnte der Kanton Uri in
                 heute den Klimawandel im Auge zu behalten, als            den kommenden Jahrzehnten vermehrt mit Ex­
                 erst später auf Veränderungen zu reagieren», betont       tremereignissen konfrontiert sein. Noch lässt sich
                 Pamela Köllner. Die Risikoanalyse Aargau rechnet          aber nicht genau sagen, wie sich die massgeblichen
                 in den kommenden Jahrzehnten mit häufigeren               Prozesse verändern werden. Es sind aber gerade Er­
                 und intensiveren Hitzewellen. Diese dürften in den        eignisse, auf welche die Gesellschaft bereits heute oft­
                 grösseren Siedlungsgebieten und Städten zu erhebli­       mals schlecht vorbereitet ist und die besonders hohe
                 chen gesundheitlichen Belastungen der Bevölkerung         Schäden anrichten. Dies haben Naturkatastrophen
                 führen. Zudem dürften neu auftretende Allergene zu        in den letzten Jahren regelmässig gezeigt. Die hohen
                 einer Verlängerung der Pollensaison führen, wovon         Schäden hängen aber auch damit zusammen, dass
                                                                           in den Bergen in den vergangenen Jahrzehnten zahl­
                                                                           reiche teure Infrastrukturbauten erstellt wurden –
     «Es ist billiger und einfacher, bei Entscheiden                       zum Teil an mit Naturrisiken behafteten Standorten.
     den Klima­wandel ­bereits heute im Auge zu                            Kurz: Die Gesellschaft ist viel verletzlicher geworden.
                                                                           Anpassungsstrategien werden deshalb nicht zuletzt
     behalten, als erst ­später auf Veränderungen zu                       dafür sorgen müssen, dass diese Verletzlichkeit nicht
     reagieren.»                         Pamela Köllner, BAFU             weiter zunimmt. Konkret könnte das heissen, dass
                                                                           mancherorts künftig nicht mehr gebaut werden darf.
                 allergische Personen betroffen wären. Positiv fällt ins     Aber auch im Urnerland hat der Klimawandel
                 Gewicht, dass im Aargau 2060 von milderen Win­            nicht nur negative Folgen. Die Vegetations­periode
                 tern und damit geringeren Heizkosten ausgegangen          beispielsweise wird sowohl in Andermatt wie in Alt­
                 werden kann; es sind beträchtliche Einsparungen zu        dorf um bis zu einem Viertel zunehmen, wodurch die
                 gewärtigen. Andererseits wird der Bedarf an Kühl­         Bauern mit mehr Erträgen rechnen können. Ebenfalls
                 energie zunehmen.                                         von den verlängerten Wärmeperioden profitieren
                   Für die Aargauer Bauern und Bäuerinnen liefert die      wird der Sommertourismus. Und nicht zu verges­
                 Risikoanalyse sowohl gute wie weniger e­ rfreuliche       sen: Wenn die Gletscher schmelzen, profitieren die
                 Nachrichten. Bedenklich stimmt: Beim Klimaszenario        Wasserkraftwerke von einem zusätzlichen Wasser­
                 «stark» (Erwärmung 3 Grad und mehr) wird sogar            angebot – jedoch nur vorübergehend. Letztlich führt
                 im «Wasserschloss der Schweiz» vermehrt mit Was­          eine Abnahme der Frosttage auch für die Urnerinnen
                 sermangel und Hitzestress zu rechnen sein. Dazu           und Urner zu tieferen Heizkosten.
                 Roland Hohmann: «Die Bewässerung von Wiesen und
                 Äckern wird in diesem Fall wohl immer wichtiger           Probleme mit Götterbäumen im Tessin
                 und zugleich schwieriger werden.» Die Flüsse könn­        Ziel des Aktionsplans «Klimaanpassung» ist, negative
                 ten ab 2060 wegen des fehlenden Schmelzwassers            Veränderungen des Klimawandels besser und früher
                 aus inzwischen stark oder ganz abgeschmolzenen            sichtbar zu machen und den Risiken durch geeignete

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Dossier Klima < umwelt 4/2014

                                                          Der Götterbaum, eine invasive gebietsfremde Art, ist wegen
Massnahmen zu begegnen. Dies veranschaulicht              des wärmeren Klimas in der Südschweiz auf dem Vor-
auch ein Pilotprojekt aus der Südschweiz. Dort ist        marsch. Der Exot wurde vor über 100 Jahren als Zierbaum
der Götterbaum, eine invasive gebietsfremde Art           eingeführt; heute gefährdet er Schutzwälder. 
(Neophyt), infolge des wärmeren Klimas auf dem                                           Bilder: Jan Wunder, Marco Conedera, WSL

Vormarsch. Der Exot wurde vor über 100 Jahren als
Zierbaum in Tessiner Gärten eingeführt und breitet
sich mittlerweile rasant aus.                             mit der Anpassungsstrategie hat der Bundesrat erste
   Fachleute der Eidgenössischen Forschungsanstalt        Weichen gestellt und aufgezeigt, dass der Klimawan­
für Wald, Schnee und Landschaft WSL befürchten,           del auch in der Schweiz Anpassungen unumgänglich
dass der Kampf gegen den Eindringling bald verloren       macht», erklärt BAFU-Anpassungsspezialist Roland
sein könnte. Im Maggiatal wollen sie deshalb mit          Hohmann. «Vor allem aber gilt es, die Ursachen des
einem Pilotprojekt das Wissen zum Götterbaum ver­         Klimawandels zu bekämpfen. Wir müssen unseren
tiefen. Grund: Die schnell wachsenden Bäume stellen       Verbrauch an fossilen Energien drastisch senken.»
eine Gefahr für Schutzwälder dar, sie sind oft von        Gelingt dies nicht rechtzeitig, könnten die Anpassun­
Kernfäule befallen und werden demzufolge rascher          gen an den Klimawandel auch in der Schweiz sehr
Opfer von Sturmwinden als angestammte Baumar­             aufwendig und teuer werden.
ten. Das im Tessin erarbeitete Anpassungswissen
dürfte übrigens bald auch nördlich der Alpen von
Nutzen sein. Forstfachleute gehen davon aus, dass         Weiterführende Links zum Artikel:
sich der Götterbaum in den kommenden Dekaden              www.bafu.admin.ch/magazin2014-4-05
auch da ausbreiten wird.                                                  Kontakt
   Noch steht nicht im Detail fest, wie die Schweiz mit                   Roland Hohmann
                                                                          Sektion Klimaberichterstattung und
den Folgen des Klimawandels umgehen wird. Von                             -anpassung, BAFU
Risikoanalysen, Strategien und Pilotprojekten führt                       058 465 58 83
ein langer Weg zu konkreten Massnahmen. «Doch                             roland.hohmann@bafu.admin.ch

                                                                                                                                            17
umwelt 4/2014 > Dossier Klima

Kältemittel

Die langwierige Suche nach
umweltverträglicher Kühlung
Auf Kühlung angewiesene Branchen wie der Lebensmittelhandel und die Automobilindustrie mussten lange
auf treibhausgashaltige Kältemittel zurückgreifen. Inzwischen kommen zunehmend Ersatzprodukte zur
An­wendung, doch auch diese haben ökologische oder sicherheitstechnische Handicaps. Die Suche nach
optimalen Kälte­mitteln muss deswegen nicht nur dem Schutz der Umwelt, sondern auch der Energieeffizienz
und der Sicherheit Rechnung tragen. Text: Pieter Poldervaart

        Während Jahrzehnten galten in                                                  Die Lebensmittelbranche, die
        der Kältetechnik Fluorchlorkoh­                                               auf Kühlung im grossen Stil an­-
        lenwasserstoffe als die perfekte                                           gewiesen ist, setzt deshalb zuneh­
        Chemikalie. Doch in den 1970er-                                         mend auf Kohlendioxid (CO2) als Kälte­
        Jahren wurde klar, welch gros­sen Scha­                              mittel. Sein Vorteil: Es ist 1430-mal weni­
        den die unter dem Kürzel FCKW bekannten                       ger klimawirksam als Tetrafluorethan. «Da­rüber
        Stoffe in der Ozonschicht anrichten. 1987 läutete      hinaus ist der Stromverbrauch bei CO2-Kühlungen
        deshalb das Montreal-Abkommen ihr weltweites           tiefer als bei anderen Kältemitteln», ­sagt Coop-
        Verbot ein. Seither ist die Kälteindustrie damit         Sprecher Urs Meier. Zudem könne die Ab­wärme
        beschäftigt, nach immer neuen Alternativen zu          effizienter genutzt werden. Deshalb installiert der
        suchen. Mit Tetrafluorethan (R134a) war schon bald     Grossverteiler seit 2010 nur noch CO2-Kühlanlagen.
        ein neues Kältemittel ohne schädigende Nebenwir­       Bereits sind 300 Supermärkte umgerüstet, was­
        kung für die Ozonschicht gefunden. Bloss, so zeigte    40 Prozent aller Standorte entspricht. Dieselbe
        sich, hat es andere negative Eigenschaften: In der     Politik verfolgt Coop auch im Ausland, erklärt
        Luft freigesetztes R134a ist stark klimaschädigend.    ­Urs Meier: «Anfang 2014 eröffneten wir eine neue
        Dieses Kältemittel zählt zu den synthetischen Treib­    ­Filiale unserer Abholgrossmarktkette Fegro/Selgros
        hausgasen, deren Bedeutung stark zugenommen              im russischen Wolgograd – und nahmen dort die
        hat. Machten die synthetischen Gase 1990 knapp           erste CO2-Kälteanlage Russlands in Betrieb.» Wei­
        0,5 Prozent der Schweizer Emissionen aus, waren          tere Verbesserungen strebt Coop durch optimierte
        es 2012 bereits 2,9 Prozent. Der weltweite Ausstoss      Prozesse und Kühlmöbel an. Auch Konkurrent Lidl
        könnte unter «Business as usual»-Bedingungen im          setzt nebst Ammoniak auf CO2 als Kältemittel. Für
        Jahr 2050 rund 10 bis 20 Prozent der gesamten            kleinere Kühleinheiten kommt auch Propan zum Ein­
        Treibhausgasemissionen erreichen.                        satz. Doch, so gibt Lidl-Sprecher Dominik Lehmann

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Dossier Klima < umwelt 4/2014

zu bedenken, sei dies technisch herausfordernd:        diese Technologie im Automobilbau komplett neu
«Anlagen mit CO2 arbeiten mit hohem Druck. Das         und bedingt eine innovative Konstruktionsweise
macht entsprechende Sicherheitsvorkehrungen            für Klimaanlagen. Kommt dazu, dass CO2 schon
nötig.»                                                bei tieferen Konzentrationen erstickend wirkt als
                                                       dies bei R134a der Fall ist. Die Automobilhersteller
Autobranche sucht nach Ausweg                          müssen daher sicherstellen, dass bei einem Leck im
Neben dem Detailhandel sind Kältemittel heute          Autoinnern keine gefährliche CO2-Konzentration
auch in der Autoindustrie unverzichtbar. Es ist        erreicht wird. Als positiver Nebeneffekt wird das
noch gar nicht lange her, da waren auf Schweizer       Nachfüllen mit umweltbelastenden Kältemitteln
Strassen kaum Autos mit Klimaanlage unter­             verunmöglicht.
wegs. Doch mittlerweile ist die angenehm kühle
Raumtemperatur auch im Auto der Normalfall.
In Deutschland sind praktisch alle neu immat­
                                                          «Eine Wunderlösung wird es in der
rikulierten Autos serienmässig mit Klimaanlage            Kältetechnik auch künftig nicht geben,
ausgerüstet – betrieben zum überwiegenden Teil
                                                          weder für Supermärkte noch für Auto­
mit R134a. In der EU ist das klimaschädigende Käl­
temittel ab 2017 in Neuwagen verboten. Mit der            hersteller.»
sogenannten europäischen Gesamtgenehmigung                                         Blaise Horisberger, BAFU
sind auch die hierzulande importierten Personen­
wagen davon betroffen. Thomas Rohrbach, Spre­          «Eine Wunderlösung», prognostiziert Blaise
cher des Bundesamtes für Verkehr (BAV), präzisiert,    ­Horisberger, zuständig unter anderem für Kälte­
die EU-Verordnung beziehe sich auf das maximale         mittel beim BAFU, «wird es in der Kältetechnik
Treibhauspotenzial neuer Kältemittel, nicht aber        deshalb auch künftig nicht geben, weder für Super­
auf die Stoffe selbst.                                  märkte noch für Autohersteller.» Diese Beurteilung
   Tatsächlich testet die Autoindustrie zurzeit         gelte nicht nur für die Kältemittel CO2, R1234yf
verschiedene Alternativen zum in Verruf gera­           und 134a, sondern auch für Ammoniak, das bei­
tenen R134a. Einige wenige Hersteller setzen            spielsweise bei grossen stationären Kühlhäusern
bereits heute Tetrafluorpropylen (R1234yf) ein.         oder Kunsteisbahnen Verwendung findet. Denn
Die wichtigsten Pluspunkte dieses Stoffes: Er           alle heute diskutierten Kältemittel würden neben
ist technisch einfach anzuwenden und verfügt            unbestrittenen Vorteilen auch Risiken aufweisen,
über ein sehr tiefes Treibhauspotenzial. Negativ        die sich allerdings durch geeignete Massnahmen
zu Buche schlägt, dass sich das Gas entzünden           entschärfen liessen. Für die Zukunft rechnet Blaise
kann, wenn es bei einem Unfall ausläuft. Dabei          Horisberger auch in unseren Breitengraden mit ei­
bildet sich toxischer Fluorwasserstoff. Auch wenn       nem wachsenden Bedürfnis nach Kühlung – und
es nicht zu einem Brand kommt, entwickelt das           daher mit einer anhaltenden Expansion der Kälte­
Kältemittel ein problematisches Abbauprodukt. Es        technik: «Insbesondere bei der Raum­klimatisierung
ist giftig für Pflanzen, extrem stabil und kann sich    werden die Ansprüche an gesteuerte Temperaturen
in Oberflächengewässern anreichern.                     weiter steigen.» Umso wich­tiger ist es für den
   Ausserdem öffnet das neue Produkt Umwelt­            BAFU-Fachmann deshalb, dass künstliche Kälte
betrügereien Tür und Tor. In mit R1234yf betrie­        möglichst umweltverträglich und energieeffizient
bene Klimaanlagen lässt sich nämlich verbote­           erzeugt wird, aber ohne nicht zu bewältigende
nerweise auch das viel stärker klimaschädigende         Risiken.
Kältemittel R134a nachfüllen. Die Befürchtung,
dass auf Kosten der Umwelt betrogen wird, ist
                                                       Weiterführende Links zum Artikel:
begründet. So wird in einigen Ländern immer
                                                       www.bafu.admin.ch/magazin2014-4-06
noch auch das ozonschichtschädigende und längst
verbotene FCKW in Autoklimaanlagen nachgefüllt.

Bedürfnis nach Kühlung wächst                                      Kontakt
Die Suche nach einem Kältemittel ganz ohne                         Blaise Horisberger
                                                                   Stv. Sektionschef Biozide und Pflanzenschutzmittel
jeden Pferdefuss ist also schwierig. Deshalb ruht
                                                                   BAFU
die Hoffnung der Autobranche genau wie in der                      058 462 90 24
Lebensmitteindustrie auf Kohlendioxid. Bloss ist                   blaise.horisberger@bafu.admin.ch

                                                                                                                          19
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