Umwelt - Leben mit dem Klimawandel 4/2014 - Bundesamt für Umwelt
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Dossier Klima < umwelt 4/2014 4/2014 umwelt Natürliche Ressourcen in der Schweiz Leben mit dem Klimawandel Dossier: Klimaforschung spricht Klartext > Das neue CO2-Gesetz > Klimaschonend wohnen > Wiesenmilch schützt das Klima > Klimatipps für den Alltag Weitere Der Fischotter taucht wieder auf > Wintertour über die Alpen > Ozon zerstört proble- Themen: matische Spurenstoffe > Renaissance für den Werkstoff Holz > Ein GA für Biogemüse
umwelt 4/2014 > Editorial Klimaschutz und Wohlstand lassen sich verbinden Die Fakten vor der Weltklimakonferenz in Peru sind bekannt: Die Zunahme der Treibhausgase in der Atmosphäre verändert das Klima mit heute schon gravierenden Folgen, die noch dramatischer wer den, wenn wir nicht entschieden handeln. Das Zeitfenster, um weit Vanina Moreillon reichende Schäden für Menschen und Ökosysteme zu verhindern, steht nur noch kurze Zeit offen. Alle wissen das. Dennoch endeten die vergangenen Konferenzen ohne greifbares Resultat. Auch die Lösung des Klimaproblems liegt auf dem Tisch: Wirkungsvoller Kli maschutz bedingt, dass die Welt ihre Treibhausgasemissionen deutlich reduziert. Daher brauchen wir ein globales Klimaabkommen, das sämtliche Länder dazu ver pflichtet, ihren Beitrag zu leisten. Weil einzelne Länder wirtschaftliche Nachteile befürchten und andere der Meinung sind, die Industriestaaten sollten weiterhin die alleinige Verantwortung tragen, ist es nicht einfach, tragfähige L ösungen zu finden. Ambitionierte Klimamassnahmen gegen Wirtschaftsinteressen auszu spielen, ist indes kurzsichtig. Gefragt sind vielmehr kreative Lösungen, geteilte Verantwortung und Pragmatismus bei der Umsetzung. In den Entwicklungsländern haben die Menschen den berechtigten Wunsch, einen höheren Lebensstandard zu erlangen, während in den Industrieländern die Bevölkerung den erreichten Wohlstand erhalten möchte. Doch wie kann dies ge lingen, ohne die Atmosphäre noch mehr zu belasten? Wohlstand und Klimaschutz brauchen keine Gegensätze zu sein. In erneuerbare Energien zu investieren sowie die Mobilität und den Wärmebedarf ökologischer zu bewältigen, ist volkswirt schaftlich sinnvoll und klimapolitisch zwingend. Eine CO2-arme Gesellschaft lässt sich nicht über Nacht herbeiführen, sondern erfordert einen kontinuierlichen Um bau der Wirtschaft – eine Jahrhundertaufgabe. Doch es führt nichts an diesem Weg vorbei, denn eines wissen wir schon heute: Den Ausstoss an Treibhausgasen zu reduzieren, kommt uns wesentlich billiger zu stehen, als die Kosten des Klima wandels zu tragen, von dem auch die Schweiz betroffen ist. Deshalb werden wir uns auf dem internationalen Parkett für ein griffiges und weltweit geltendes Klimaschutzabkommen einsetzen. Wir müssen den Durch bruch schaffen – wenn nicht jetzt an der Weltklimakonferenz in Lima, dann zwingend 2015 in Paris. Wir haben die Pflicht, kommenden Generationen eine Erde zu hinterlassen, in der das Klima nicht vollends ausser Rand und Band gerät. Doris Leuthard Bundesrätin und Vorsteherin des Eidgenössischen Departements für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK) 2
umwelt 4/2014 > Dossier Klima Alle Bilder: David Volken, BAFU Kampf ums Gletschereis km. Seit 1870 schlagen die Betreiber der Eisgrotte beim scherschmelze etwas verlangsamt, doch der Gletscher Hotel Belvédère am Furkapass (VS) einen Tunnel in zieht sich immer mehr zurück und wird dünner und die Zunge des Rhonegletschers. Jeden Sommer von dünner. Messungen zeigen, dass er jährlich zwischen Neuem. Die Grotte mit ihren blau schimmernden sechs und acht Metern an Mächtigkeit verliert. «In Eiswänden hat bisher Hunderttausende von Besu fünf bis sechs Jahren», sagt David Volken, «wird das cherinnen und Besuchern begeistert. David Volken, Eis an der Gletscherzunge nicht mehr stark genug Gletscher- und Hochwasserexperte im BAFU sowie sein, um eine Grotte zu schlagen.» passionierter Hobbyfotograf (im Bild rechts aussen), dokumentiert in seinen Bildern den schier aussichts losen Kampf um das künftige Weiterbestehen der Weiterführende Links zum Artikel: Touristenattraktion. Zwar schützen die Grottenbauer www.bafu.admin.ch/magazin2014-4-01 das Eis mit einer reflektierenden Folie, was die Glet Kontakt: David Volken, BAFU, 058 464 79 27, david.volken@bafu.admin.ch 4
umwelt 4/2014 > Dossier Klima Leitartikel Den Klimaschutz müssen alle mittragen Kontinuität und ein breit gefächertes Instrumentarium, das die CO2-Emissionen bei Gebäuden, Industrie und Verkehr verringert, gehören zum Erfolgsrezept der Schweizer Klimapolitik. Der Weg zu einer klima verträglichen Lebensweise ist allerdings kein Spaziergang, sondern ein Dauerlauf über mehrere Genera tionen. Eine institutionelle Verankerung auf allen Ebenen beflügelt die kollektiven Anstrengungen. Text: Bruno Oberle, Direktor BAFU Die Schweiz hat sich zusammen mit der internationalen Jahr sinken. Auf dem Weg dorthin kann die Schweiz Staatengemeinschaft verpflichtet, den globalen Tempera erste Erfolge ausweisen: Während im Jahr 1990 durch turanstieg unter der kritischen Schwelle von zwei Grad schnittlich 7,8 Tonnen pro Kopf emittiert wurden, w aren zu halten. Angesichts ihres geringen Beitrags zu den es 2012 noch 6,4 Tonnen. Dieser Rückgang gelang, weltweiten für die Klimaerwärmung verantwortlichen obwohl im gleichen Zeitraum die Wohnfläche und Treibhausgasemissionen ist klar, dass die Schweiz dieses die Fahrzeugflotte um mehr als ein Drittel zugenom Ziel nur als Teil der Staatengemeinschaft erreichen kann. men haben. Eine Entkoppelung von Wachstum und Internationale Kooperation in der Klimapolitik ist folg Treibhausgasemissionen hat auch in der Wirtschaft lich noch wichtiger als bei anderen Umweltproblemen. stattgefunden. Die industrielle Produktion ist seit 1990 um über 50 Prozent gestiegen, der CO2-Ausstoss pro Glaubwürdige Mittlerin dank eigener Anstrengungen erwirtschafteten Franken (BIP) hingegen ist um knapp Ende 2015 sollen alle Länder in ein globales Abkommen 30 Prozent gesunken. eingebunden sein und zur Reduktion der klimawirksa Zu dieser Entwicklung beigetragen hat eine breite men Gase verpflichtet werden. In diesen Verhandlungen Palette von Instrumenten, welche die Schweiz in den engagiert sich die Schweiz auf allen Ebenen. Dank des letzten Jahren nach und nach eingeführt hat. Dazu guten Rufes, den unser Land auf dem internationalen gehört unter anderem die CO2-Abgabe auf Brennstoffe, Parkett geniesst, können wir die Entscheide zugunsten die Einsparungen attraktiver macht. Die Einnahmen einer griffigen Politik beeinflussen und zwischen den fliessen grösstenteils zurück an Wirtschaft und Bevölke unterschiedlichen Interessen vermitteln. rung. Ein Drittel davon geht an das Gebäudeprogramm, Als glaubwürdige Partnerin gilt die Schweiz auch das Wärmedämmung und CO2-neutrale Heizungen deshalb, weil sie mit gutem Beispiel vorangeht und ihre finanziell unterstützt. Über tausend Unternehmen sind Verantwortung wahrnimmt. Als kleine und aufgrund von der CO2-Abgabe befreit, weil sie im eigenen Betrieb ihrer Innovationskraft erfolgreiche Industrienation ist in CO2-effizientere Anlagen investieren. Im Verkehr unser Land geradezu prädestiniert zu zeigen, dass sich greifen CO2-Vorschriften für neue Personenwagen so Wohlstand und Klimaschutz vereinbaren lassen. Wir wie Auflagen, welche die Treibstoffimporteure dazu können unter Beweis stellen, dass ein klimaverträglicher verpflichten, bis 2020 10 Prozent der von Fahrzeugen Weg gangbar ist. Dies im Wissen darum, dass uns eine verursachten CO2-Emissionen zu kompensieren. Mehrgenerationenaufgabe bevorsteht. Wichtig ist dabei, Keine Frage: Die Umstellung auf eine CO2-arme dass wir sowohl die Ursachen des Klimawandels bekämp Volkswirtschaft verursacht Kosten. Doch schadet diese fen, wie mit seinen Folgen leben lernen – Anpassung Mehrbelastung der Schweiz gesamthaft? Nein, denn und Klimaschutz müssen Hand in Hand gehen. der sanfte Druck, den die Klimapolitik auf die Wirt schaft ausübt, bietet auch Chancen. Viele Firmen sind Wachstum und Treibhausgasemissionen entkoppeln heute für den Klimaschutz sensibilisiert und kennen Bis Mitte dieses Jahrhunderts muss der weltweite Aus CO2-wirksame Massnahmen, die ihre Betriebskosten stoss von Treibhausgasen auf 1 Tonne CO2 pro Kopf und senken und damit ihre Wettbewerbsposition stärken. 6
Dossier Klima < umwelt 4/2014 Kommt dazu, dass Unternehmen, die sich aktiv um eine Vorschriften abgelöst werden. Und die Klimapolitik, CO2-Reduktion bemühen, für Investoren attraktiv sind. die bislang vor allem Sache des Bundes war, soll auch Denn die Kapitalmärkte bewerten umgekehrt die hohe auf Kantone, Städte und Gemeinden übergreifen. Diese CO2-Intensität von F irmen zunehmend als Risikofaktor. sollen Klimaaspekte vermehrt in ihre eigenen Politiken Zur Bewältigung des Klimawandels gilt es, die Anstren integrieren und damit die entsprechenden Instrumente gungen in den nächsten Jahrzehnten kontinuierlich zu des Bundes ergänzen. verstärken – mit entsprechenden Kosten für Unterneh men, die grosse Mengen an Treibhausgasen emittieren. Bewusstsein für Klimaschutz im Alltag schärfen Doch wir dürfen uns nichts vormachen: Der Weg zu einer klimaverträglichen Gesellschaft ist mühevoll und fordert ein kontinuierliches Engagement aller Akteure über einen langen Zeitraum. Die Autos sind zwar heute sauberer und die Häuser besser isoliert als noch vor 20 Jahren. Doch sind wir noch weit vom Idealzustand entfernt. Wenn wir die Klimaziele erreichen wollen, müssen Verkehr und Gebäudepark langfristig völlig CO2-frei werden, und die Wirtschaft muss noch CO2- ärmer produzieren. Ohne technischen Fortschritt gelingt dies nicht. Daher unterstützt der Bund mit einem neu geschaffenen Technologiefonds innovative Unternehmen. Sie erhalten Bürgschaften und so einen einfacheren Zugang zu Fremdkapital. Bild: Christine Bärlocher/Ex-Press/BAFU Kluge Köpfe braucht es aber nicht nur in der Wirt schaft, damit Produkte und Dienstleistungen klima «Die Schweiz ist prädestiniert zu zeigen, dass verträglicher werden, sondern auch aufseiten der Nachfrager. Wir alle haben es in der Hand, bei unseren sich Wohlstand und Klimaschutz vereinbaren Konsumentscheidungen auf die Klimawirkung zu ach lassen.» Bruno Oberle, Direktor BAFU ten und damit die Produzenten zu mehr Klimaschutz zu bewegen. Dass Konsumentinnen und Konsumenten beim Einkaufen dem Klima noch zu wenig Bedeutung Lokale Aktionen machen Klimaschutz erfahrbar, beimessen, liegt oft nicht am mangelnden Willen, schärfen das Problembewusstsein und zeigen konkrete sondern am fehlenden Wissen. Bessere Information, Handlungsmöglichkeiten auf. Individuelle Anpassun Aus- und Weiterbildung sowie Beratung kann hier Ab gen, zum Beispiel der Essgewohnheiten oder des Mobi hilfe schaffen. Zu diesem Zweck baut das BAFU zurzeit litätsverhaltens, können bei einer breiten Beteiligung ein umfassendes Klimaprogramm auf. der Bevölkerung viel bewirken. Klimaschutz muss in Zukunft konkreter sein und näher an die Menschen Klimaschutz erfahrbar machen herangeführt werden. Der gesellschaftliche Umbau Wie im Sport gilt auch beim Klimaschutz: Nach dem kann nur gelingen, wenn er auf allen Ebenen mitge Spiel ist vor dem Spiel. Anfang 2013 trat die neue tragen wird und zugleich institutionell verankert ist. CO2-Gesetzgebung in Kraft, welche bis 2020 eine Reduktion der schweizerischen Treibhausgasemis sionen um 20 Prozent verlangt. Und bereits heisst es, Weiterführende Links zum Artikel: die Klimapolitik für die Zeit nach 2020 vorzubereiten www.bafu.admin.ch/magazin2014-4-02 und weitergehende Reduktionsziele festzulegen. So verlangt es das CO2-Gesetz, und der Bundesrat will schon Mitte 2016 eine Vorlage in die Vernehmlassung geben. Der nächste Meilenstein soll für das Jahr 2030 KONTAKT gesetzt werden. Dabei wird der bewährte Instrumen Karine Siegwart Vizedirektorin tenmix grundsätzlich fortgeführt, aber teilweise etwas BAFU umgebaut. Fördermassnahmen wie das Gebäudepro 058 462 99 73 gramm dürften allmählich auslaufen und durch CO2- karine.siegwart@bafu.admin.ch 7
umwelt 4/2014 > Dossier Klima Klimaforschung Treibhausgasbudget zu zwei Dritteln aufgebraucht Die Fakten zum Klimawandel sind klar: Die Erde erwärmt sich global und langfristig. Das Treibhausgas Kohlendioxid (CO2) spielt dabei die Hauptrolle, und es ist äusserst wahrscheinlich, dass der Mensch die Hauptverantwortung für diese Entwicklung trägt. Text: Kaspar Meuli Wie lässt sich in wenigen Sätzen das Wichtigste aus Arbeitsgruppe I des Weltklimarats, die sich mit den wis einem 2000-seitigen Bericht zusammenfassen? Ein senschaftlichen Grundlagen des Klimawandels befasst Dokument, an dem 600 Autorinnen und Autoren hat. «Alle Kernsätze wurden von den Regierungen der auf der ganzen Welt mitgearbeitet haben und in dem 190 Mitgliedsstaaten der UNO-Klimakonvention abge Wissen aus mehr als 9000 wissenschaftlichen Studien segnet», betont Thomas Stocker. «Das verleiht ihnen steckt? grosses Gewicht.» Genau dieser Herausforderung hat sich der Klima Hier ein paar Beispiele dieser Kernsätze aus dem forscher Thomas Stocker gestellt, als er sich im Sommer letzten IPCC-Bericht 2013 daranmachte, zusammen mit zwei Kollegen die • Die Erwärmung des Klimasystems ist eindeutig, und Hauptaussagen des fünften sogenannten Sachstands viele dieser seit den 1950er-Jahren beobachteten Ver berichts des Weltklimarats (IPCC) herauszuschälen. änderungen sind seit Jahrzehnten bis Jahrtausenden Nach zwei Wochen Knochenarbeit hatten die Wissen nie aufgetreten. schaftler sich auf 19 Kernsätze geeinigt. «Das Ziel war, • Jedes der letzten drei Jahrzehnte war an der Erdober neue Wege zu finden, um unsere Resultate zu kommu fläche sukzessive wärmer als alle vorangehenden nizieren», erklärt Thomas Stocker. «Sie sind sehr kurz, Jahrzehnte seit 1850. ohne Fachbegriffe und in allgemein verständlicher • Von 1901 bis 2010 ist der mittlere Meeresspiegel um Sprache geschrieben.» Der Professor für Umwelt- und 19 Zentimeter gestiegen. Klimaphysik an der Universität Bern ist Ko-Leiter der • Während der letzten beiden Jahrzehnte haben die Hitzetage Anfang 21. Jahrhundert Hitzetage Ende 21. Jahrhundert Quelle: Meteoschweiz Heute gibt es im Schweizer Mittelland jährlich rund 5 bis 15 Tage, die Treibhausgasemissionen bis 2100 stetig an, sind Ende dieses an denen es 30 Grad oder wärmer wird (Karte links). Im Som- Jahrhunderts für jedes Jahr ähnlich viele Hitzetage zu erwarten mer 2003 waren es zwischen 30 und 50 dieser Hitzetage. Steigen wie im Hitzesommer 2003 (Karte rechts). 8
Dossier Klima < umwelt 4/2014 Eisschilder in Grönland und in der Antarktis an Masse aufzuzeigen, arbeiten die Forscher mit Szenarien. Diese verloren und die Gletscher sind fast überall in der gehen unter anderem von einem variierenden Wirt Welt weiter abgeschmolzen. schaftswachstum aus und berücksichtigen unterschied • Es ist äusserst wahrscheinlich, dass der menschliche lich einschneidende klimapolitische Massnahmen. Einfluss die Hauptursache der beobachteten Erwär Mit solchen Szenarien haben nicht nur die Autorin mung seit Mitte des 20. Jahrhunderts war. nen und Autoren des IPCC-Berichts gearbeitet, sondern auch die Studie zur Klimaänderung in der Schweiz Immer verlässlichere Aussagen zum künftigen Klima «CH2011». Einige ihrer zentralen Aussagen lauten: Wirkliche Überraschungen gab es nicht im neuen • Verglichen mit heute wird die durchschnittliche Bericht des Weltklimarats, dem fünften seit 1990. Doch Temperatur gegen Ende des 21. Jahrhunderts je nach die Aussagen haben weiter an Zuverlässigkeit gewon Szenario zwischen 1,5 und 4 Grad zunehmen. nen. Gründe für diesen Vertrauensgewinn sind: längere • Die erwartete Erwärmung wird im Sommer am Messreihen von Daten, methodische Fortschritte und stärksten ausfallen. Steigt die Temperatur um bessere Klimamodelle. All dies hilft der Forschung 4 Grad, dürfte sich die Zahl der über 25 Grad warmen nicht nur, die Ursachen des Klimawandels besser zu Sommertage auf bis zu 100 verdreifachen. verstehen, sondern es macht auch ihre Aussagen zum • Über das ganze Jahr betrachtet, zeigt sich für die Klima der Zukunft immer verlässlicher. Niederschläge in keiner Region des Landes eine klare Und was ist der allerwichtigste Befund des im Sep Tendenz zur Zu- oder Abnahme. tember 2013 veröffentlichten Berichts zum Zustand • Saisonal hingegen ist in der zweiten Hälfte des des Weltklimas? «Nur wenige Medien haben den ent 21. Jahrhunderts mit mehr Niederschlag im Winter scheidenden Punkt prominent aufgegriffen», sagt Reto zu rechnen. Im Sommer dürften die Regenmengen Knutti, Professor für Klimaphysik an der Eidgenös überall in der Schweiz abnehmen, und das Risiko sischen technischen Hochschule ETH Zürich und einer von Trockenphasen und Dürren steigt. der Hauptautoren des Berichts. «Wenn wir die weltweite • Gegen Ende des Jahrhunderts dürfte es zu häufigeren Erwärmung mit genügend grosser Wahrscheinlichkeit und intensiveren Starkniederschlägen kommen. auf 2 Grad beschränken wollen, müssen wir uns an ein fixiertes CO2-Budget halten. Die Menschheit dürfte Regionale Auswirkungen des Klimawandels maximal 800 Milliarden Tonnen Kohlenstoff ausstos Mit den regionalen Auswirkungen des Klimawandels sen; seit Beginn der Industrialisierung haben wir schon hat sich kürzlich eine Sammlung von wissenschaft zwei Drittel davon freigesetzt.» Das heisst: Wenn der lichen Studien unter dem Titel «CH2014-Impacts» be CO2-Ausstoss im gegenwärtigen Umfang weitergeht, ist fasst. Der Bericht kommt unter anderem zum Schluss, das Emissionsbudget in 30 Jahren restlos erschöpft. Und dass die Eismasse der Gletscher bis zum Ende dieses dieses Budget wird zum grössten Teil durch bestehende, Jahrhunderts ohne einschneidende klimapolitische auf fossile Energieträger ausgerichtete Infrastruktur Massnahmen nahezu vollständig verloren geht. Auch wie Kraftwerke, Gebäude und Fahrzeuge bereits ausge wird im Mittelland eine Schneedecke über mehrere schöpft. Der Spielraum für neue Anlagen und Bauten Tage selten. Weiter wird die Grundwassertemperatur ist sehr klein. Die Umstellung auf nicht fossile Energie steigen, was zu einer Verschlechterung der Grundwas ist dringend und muss innerhalb kurzer Zeit erfolgen. serqualität führen könnte. Und die zu erwartenden Entwicklungen, so der Bericht, haben zur Folge, dass Temperatur steigt in der Schweiz überdurchschnittlich in Zukunft viele in der Schweiz verbreitete Baumarten In manchen Bereichen macht sich der Klimawandel in unter Trockenstress leiden werden. Bei ungebremstem der Schweiz deutlicher bemerkbar als anderswo. Die Klimawandel könnte das Mittelland als Lebensraum Temperatur etwa ist in der Vergangenheit rund 1,6-mal für die heute weitverbreiteten Fichten und Buchen so stark angestiegen wie im Mittel der Nordhemisphäre. ungeeignet werden. Seit Messbeginn im Jahr 1864 beträgt die Temperatur zunahme hierzulande rund 1,8 Grad – gegen 90 Pro Weiterführende Links zum Artikel: zent davon entfallen auf die Zeit nach 1960. www.bafu.admin.ch/magazin2014-4-03 Auch das künftige Klima wird sich in der Schweiz wohl nicht parallel zu den globalen Veränderungen Kontakt entwickeln. Fest steht jedoch, dass längerfristig die Regine Röthlisberger Stv. Sektionschefin Klimaberichterstattung entscheidende Rolle dabei der weltweite Ausstoss an und -anpassung, BAFU Treibhausgasen spielt – und der lässt sich beeinflus 058 462 92 59 sen. Um eine Bandbreite der möglichen Entwicklung regine.roethlisberger@bafu.admin.ch 9
umwelt 4/2014 > Dossier Klima Klimapolitik Durchdachter Massnahmenmix Das seit 2013 geltende CO2-Gesetz ist das Herzstück der Schweizer Klimapolitik. Ziel ist es, bis 2020 die Treib hausgasemissionen um mindestens 20 Prozent gegenüber dem Jahr 1990 zu senken. Das neue Gesetz baut auf einen Mix von Marktkräften, Förderungsmassnahmen und Vorschriften. Text: Lucienne Rey und Kaspar Meuli Sein Name ist Perlentop satin. Doch wer sinken. Sie ist ein wichtiges Instrument, entsteht. Je nach Blickwinkel sieht der dabei an das Abendkleid einer Filmdiva mit dem die Schweiz ihren Beitrag zur imposante Bau wie ein Krokodil mit denkt, liegt falsch. Vielmehr geht es um Begrenzung des globalen Temperatur kurzer Schnauze aus oder wie ein auf ein Premiumprodukt der Papierfabrik anstiegs auf weniger als 2 Grad gegen der Wiese gestrandetes Dampfschiff. Perlen im gleichnamigen Luzerner In über der vorindustriellen Zeit leisten dustriedorf. Perlentop satin steht für will. Kürzere Anfahrtswege sind gut fürs Klima ein beidseitig gestrichenes, halbmattes «Die Schweizer Klimapolitik strebt Der Standort der neuen KVA, an der acht Offset-Papier. eine Dekarbonisierung der Gesellschaft Abfallverbände aus allen Zentralschwei Die Herstellung von Papier benötigt an. Das heisst, wir wollen künftig zer Kantonen beteiligt sind, ist mit viel Energie. Für 1 Kilogramm sind es möglichst keine fossilen Brenn- und Bedacht gewählt. Die Renergia ersetzt rund 2,5 Kilowattstunden – so viel Treibstoffe mehr einsetzen», sagt Andrea die viel weniger zentral gelegene, über Strom, wie ein leistungsstarker PC Burkhardt, Leiterin der Abteilung Klima 40-jährige Anlage in Ibach am Stadtrand während eines ganzen Arbeitstages ver im BAFU. Doch das sei ein Mehrgenera von Luzern. Die meisten Gemeinden braucht oder eine 100-Watt-Glühbirne tionenprojekt, betont sie. «Die Abkehr werden der Renergia ihren Müll über während 24 Stunden. Besonders viel von der fossilen Energie wird erst Ende deutlich kürzere Distanzen anliefern und Wärme benötigt die Papierindustrie, um des Jahrhunderts abgeschlossen sein und so den CO2-Ausstoss reduzieren können. feuchtes Faservlies zu trocknen. Im Jahr verlangt ein kontinuierliches Engage Für den Klimaschutz besonders ins 2013 konsumierte die Perlen Papier AG ment der ganzen Gesellschaft und aller Gewicht fällt die Nähe zur Perlen Pa gut 1000 Gigawattstunden Energie und Sektoren der Wirtschaft.» Das CO2-Gesetz pier, die ebenfalls zu den Aktionären der stiess gegen 94 000 Tonnen Kohlendioxid diene als Antrieb, der diesen Prozess in Renergia gehört. Die Papierfabrik – eine (CO2) aus. Das geht ins Geld, denn das Gang halte. der grössten der Schweiz – wird künftig 2011 vom Parlament revidierte CO2- Die Folgen des CO2-Gesetzes für die von der KVA Wärme beziehen, die bei Gesetz sieht für Brennstoffe eine Abgabe Wirtschaft lassen sich am Beispiel der der Verbrennung der Abfälle entsteht. pro Tonne freigesetztes Kohlendioxid auf halber Strecke zwischen Luzern Ab Januar 2015 werden damit die Papier vor. Der Abgabesatz liegt derzeit bei und Zug an der Reuss gelegenen Perlen bahnen getrocknet. Ein wegweisendes 60 Franken pro Tonne, nachdem ihn Papier AG aufzeigen. Hier greifen gleich Beispiel also für die im CO2-Gesetz vor der Bundesrat 2014 um 24 Franken an mehrere der gesetzlich vorgesehenen gesehenen Kooperationsmassnahmen. gehoben hat, weil das Zwischenziel für Massnahmen. So treibt die Papierfabrik Als weiteres Instrument des CO2- das Jahr 2012 verfehlt wurde. den Klimaschutz auf Betriebsebene vor Gesetzes nutzt die Perlen Papier den an, indem sie eine enge Kooperation mit Emissionshandel (siehe Seite 12 «Der Klimapolitik braucht einen langen Atem einer starken Partnerin eingegangen ist, Markt bestimmt den CO2-Preis»). Weil Die CO2-Abgabe soll bewirken, dass der der Kehrichtverbrennungsanlage (KVA) das Unternehmen bei diesem System Verbrauch fossiler Brennstoffe zurück Renergia Zentralschweiz AG, die gegen mitmacht, ist es von der Brennstoff geht und damit die CO2-Emissionen wärtig in unmittelbarer Nachbarschaft abgabe entbunden. Das Gesetz sieht eine 10
Dossier Klima < umwelt 4/2014 Befreiung von CO2-intensiven Branchen Auch die Kompensationspflicht der Einfluss nehmen, denn wir haben vor, um sie in ihrer Wettbewerbsfähig Treibstoffimporteure kehrt diese Ent einen Entsorgungsauftrag», erklärt keit nicht zu behindern. wicklung nicht um. Bis 2020 müssen Adrian Schuler, Projektingenieur und sie zwar 10 Prozent der CO2-Emissionen Kommunikationsverantwortlicher bei Trendwende auch beim Verkehr aus dem Verkehr mit geeigneten Kli der Renergia. «Aber wir können die Zu den grossen Verursachern des Treib maschutzprojekten neutralisieren. Die Verbrennungswärme optimal nutzen.» hausgases CO2 gehört neben der Indus Emissionsverminderungen finden aber trie der Verkehr. Das CO2-Gesetz will grösstenteils in anderen Sektoren statt. Strom und Heizwärme aus Abfall mit neuen Vorschriften erreichen, dass Vom CO2-Gesetz betroffen sind Unter Dem ist tatsächlich so: Dank der von der die Schweizer Fahrzeugflotte als Ganzes nehmen nicht nur, wenn sie als Energie Renergia bezogenen Wärme kann die klimafreundlicher fährt. Mittelfristig verbraucher einen hohen Ausstoss an Papierfabrik Perlen schätzungsweise sollen auf den Strassen nur noch Autos Treibhausgasen verursachen, sondern 40 Millionen Liter Heizöl einsparen und mit tiefem CO2-Ausstoss unterwegs sein auch, falls sie grosse Materialmengen dadurch ihren CO2-Ausstoss jährlich um (siehe Seite 13 «Die Autoflotte muss verbrennen. Denn wann immer etwas 90 000 Tonnen vermindern. Kommt effizienter werden»). «Die eingeleiteten in Flammen aufgeht, das Kohlenstoff dazu, dass die Hälfte des Verbrennungs Massnahmen zeigen Wirkung», bilanziert enthält, bildet sich CO2. Mit der Verbren gutes der Renergia aus nachwachsen Klimaspezialistin Andrea Burkhardt, nung von Abfällen wie Plastik stossen den Rohstoffen wie Holz besteht und «die Emissionen gehen in allen Sektoren KVAs daher zwangsläufig viel dieses deshalb bei deren Verbrennung Ener zurück – auch beim Verkehr ist der Treibhausgases aus. «Auf die Menge des gie CO2-neutral erzeugt wird. Dieser Gesamtausstoss leicht gesunken.» Die Verbrennungsgutes können wir wenig Umstand wirkt sich auch günstig auf Trendwende erfolge allerdings verspätet, da griffige Massnahmen erst per 2012 eingeführt worden seien. «Sie zielen auf die Verbesserung der CO2-Effizienz Dank der von der Renergia bezogenen Wärme kann von neuen Fahrzeugen ab, die Verkehrs die Papierfabrik Perlen ihren CO2-Ausstoss jährlich um leistung hingegen nimmt nach wie vor zu.» schätzungsweise 9 0 000 Tonnen vermindern. die Klimabilanz der Papierfabrik aus. Die Energie aus dem Verbrennungs prozess gewinnt die Renergia über Röhren, die die Wände des Feuerungs- kessels auskleiden: Das im Rohrsystem zirkulierende Wasser erhitzt sich und liefert Dampf. Daraus wird sowohl Strom als auch Wärme gewonnen. 450 Giga wattstunden wird die Renergia künftig jährlich der Perlen Papier AG liefern. Die verbleibenden 155 Gigawattstunden werden als Strom ins öffentliche Netz eingespeist, was dem jährlichen Energie bedarf von rund 38 000 Haushaltungen entspricht. Um möglichst wenig von der kost baren Wärme zu verlieren, sind die Leitungen der Renergia dick in Dämm- stoffe eingepackt. Gute Isolationen an Bauwerken, insbesondere an Wohn- und Dienstleistungsgebäuden, sind denn auch ein weiteres Ziel des CO2-Gesetzes. An der neuen Kehrichtverbrennungsanlage (KVA) Renergia Zentralschweiz AG in Perlen/Root (LU) Es weist die Kantone an, dafür zu sor ist neben acht Zentralschweizer Abfallverbänden auch die Papierfabrik Perlen beteiligt. Sie wird gen, dass der Treibhausgasausstoss von von der Renergia künftig Wärme beziehen, die bei der Verbrennung der Abfälle entsteht. Gebäuden vermindert wird. Um die Bild: Lucienne Rey 11
umwelt 4/2014 > Dossier Klima Wärmedämmung bei bestehenden Ge bäuden zu verbessern und den Einsatz Wo das CO2-Gesetz ansetzt CO2-freier Brennstoffe aus erneuerbaren Quellen zu fördern, erhalten sie vom Bund Finanzhilfen. Klimaschutz im Einklang mit der Wirtschaft Besonders energieintensive Betriebe werden durch das Gesetz verpflichtet, CO2 sich dem Emissionshandelssystem (EHS) anzuschliessen. Zu diesen Firmen gehört auch die Papierfabrik Perlen, und im Prinzip müsste sich auch ihre Partnerin Der Markt bestimmt Renergia an diesem System beteiligen. Doch dank einer sogenannten Branchen den CO2-Preis vereinbarung zwischen den Kehrichtver Der Emissionshandel zielt darauf ab, brennern und dem Bund sind die KVAs CO2-Einsparungen in ein Gut zu verwan- von der Teilnahme am Emissionshandel deln, dem ein entsprechender Geldwert befreit. Im Gegenzug verpflichten sie zukommt. Wer Treibhausgasemissionen sich zu einer substanziellen Reduktion verursacht, muss durch entsprechende der Treibhausgasemissionen. Freiwilli Emissionsrechte dazu ermächtigt sein. Der ge Vereinbarungen existieren auch in CHF CHF Staat definiert dabei die CO2-Obergrenze, anderen Branchen. Über 3000 Firmen die pro Jahr emittiert werden darf – den engagieren sich unter dem Dach der sogenannten Cap. Für das Jahr 2013 wurde Energie-Agenur der Wirtschaft EnAW dieser vom Bund auf total 5,6 Millionen und der Cleantech-Agentur act. Unter Tonnen festgelegt; in den kommenden Jah- nehmen aus CO2-intensiven Branchen, ren wird er – gleich wie in der EU – jeweils die sich zu verbindlichen Emissionsver um 1,74 Prozent reduziert. Das BAFU teilt minderungen verpflichten, können sich von der CO2-Abgabe dispensieren lassen. Sparsamkeit wird belohnt den am Emissionshandelssystem (EHS) teil- nehmenden Firmen so viele Emissionsrechte Das Zusammenspiel von Perlen Pa Die CO2-Abgabe auf Brennstoffe wird seit kostenlos zu, wie sie benötigen, wenn sie pier AG und Renergia ist nicht nur ein dem Jahr 2008 in Form einer Lenkungs- CO2-effizient wirtschaften. Vorzeigebeispiel in Sachen saubere abgabe erhoben. Sie ist also nicht primär Massgeblich für die Höhe der zugeteilten Technologien. Es illustriert auch, wie darauf ausgerichtet, dem Staat Einnah- Rechte sind unter anderem branchenweite sich der Klimaschutz im Einklang mit men zu verschaffen, sondern soll zu einem Vergleichswerte, sogenannte Benchmarks. den Bedürfnissen der Wirtschaft vor erwünschten Verhalten animieren: der Berücksichtigt werden zudem die Produk antreiben lässt. Das Fazit von Andrea sparsamen Verwendung fossiler Brenn tionsdaten der Firmen aus den vergangenen Burkhardt, der Klimachefin des BAFU: stoffe. Mit dem Abgabesatz von 60 Fran- Jahren. Dabei sind auch branchenspezi - «Die Instrumente des CO2-Gesetzes tra gen der Wettbewerbsfähigkeit der Betrie ken je Tonne CO2 nimmt der Bund jährlich fische Anpassungen vorgesehen: Droht etwa be Rechnung und fördern Innovationen. 800 Millionen Franken ein. Davon sind ein die Gefahr, dass wegen der CO2-Kosten die Akzeptanz findet das Gesetz aber auch, Drittel, maximal 300 Millionen Franken, Produktion ins Ausland verlegt wird, be- weil es den Unternehmen Flexibilität bei für das Gebäudeprogramm vorgesehen, kommt das Unternehmen die Emissionsrechte der Umsetzung einräumt.» weitere 25 Millionen für den Technologie- bis zum Benchmark kostenlos. Unternehmen, fonds. Der Rest f liesst an Bevölkerung und die weniger CO2 ausstossen, als die Bench- Wirtschaft zurück. Den Einwohnerinnen mark vorsieht, profitieren, denn sie können Weiterführende Links zum Artikel: und Einwohnern der Schweiz wird der mit den ungenutzten Emissionsrechten Han- www.bafu.admin.ch/magazin2014-4-04 Ertrag aus der CO2-Abgabe über die Kran- del treiben. Ist eine Firma weniger effizient KONTAKT kenkassen rückverteilt; 2015 sind dies als verlangt, wird sie zur Kasse gebeten. Sie Andrea Burkhardt rund 45 Franken pro Person. Die Höhe der muss zusätzliche Emissionsrechte ersteigern Abteilungschefin Klima den Unternehmen ausbezahlten Beträge oder Gutschriften auf dem Markt kaufen. BAFU 058 462 64 94 ist proportional zur abgerechneten AHV- Rechte, die nach der kostenlosen Verteilung andrea.burkhardt@bafu.admin.ch Lohnsumme ihrer Angestellten. noch übrig sind, werden versteigert. 12
Dossier Klima < umwelt 4/2014 Die Autoflotte muss effizienter werden Gemeinsam Klimaziele erreichen Versuche, den Treibstoffverbrauch in der Schweiz über hohe Benzinpreise zu dros- Mit Branchen- und Zielvereinbarungen seln, haben politisch einen schweren Stand. verpf lichten sich bestimmte Wirtschafts- Das CO2-Gesetz richtet sich daher auf die zweige und Firmen gegenüber dem Bund, gesamte Fahrzeugf lotte: Es bestimmt, freiwillig Massnahmen umzusetzen, um dass die 2015 neu zugelassenen Autos im definierte Umweltziele zu erreichen. Bran- Mittel nicht mehr als 130 Gramm CO2 pro chenvereinbarungen binden alle Betriebe Kilometer ausstossen dürfen. Dieser Durch- eines Wirtschaftszweiges ein; neu wurde schnittswert nimmt die Importeure in mit den KVAs eine solche Übereinkunft die Pf licht: Der Bund macht ihnen indivi- getroffen. Zielvereinbarungen werden duelle Zielvorgaben, um die CO2-Emissio- individuell mit einzelnen Firmen abge- nen der gesamten Schweizer Fahrzeug- schlossen. Sobald diese die Befreiung von f lotte zu reduzieren. Fahrzeuge, die grosse Innovationen im Dienste der CO2-Abgabe anstreben, müssen sie eine Mengen an Treibhausgasen ausstossen, des Klimas fördern verbindliche Verminderungsverpf lichtung können durch wenig emittierende Autos eingehen. Verfehlen sie die gesetzten Ziele, kompensiert werden. Der Bund will technische Innovationen werden Sanktionen fällig. Eine Firma kann Treibstoffimporteure müssen bis 2020 fördern, die zum Klimaschutz beitragen. aber auch eine Zielvereinbarung eingehen, 10 Prozent der vom Verkehr verursachten Sie sollen den Ausstoss von Treibhausgasen ohne auf eine Befreiung von der CO2-Ab CO2-Emissionen ausgleichen – dies durch senken, den Ressourceneinsatz reduzieren gabe hinzusteuern. Werden in diesem Fall die Reduktion von Treibhausgasen mit oder die Verwendung erneuerbarer Ener- die angepeilten Werte verfehlt, ist keine Klimaschutzprojekten im Inland. Modell gien begünstigen. Strafe zu befürchten. bei dieser Regelung stand der Klimarap- Zu diesem Zweck hat der Bund einen Wichtige Akteure bei den Zielverein pen, mit dem die Erdölwirtschaft von 2005 Technologiefonds geäufnet, der mit maxi- barungen sind die bereits seit einem run- bis 2012 Massnahmen im In- und Ausland mal 25 Millionen Franken pro Jahr aus den den Jahrzehnt tätige Energie-Agentur der finanzierte. Für das Nachfolgeprogramm Erträgen der CO2-Abgabe gespeist wird. Wirtschaft EnAW und die neu gegründete wurde die Stiftung Klimaschutz und Der Fonds ermöglicht es dem Bund, Dar- Cleantech Agentur Schweiz – act; beide sind CO 2-Komp ens ation (KliK) gegründet. lehen an Firmen zu verbürgen, die kli- vom Bund mit der Umsetzung von Voll- Die Stiftung will in den nächsten Jahren mafreundliche Anlagen oder Verfahren zugsaufgaben beauftragt. Diese Agenturen über 1 Milliarde Franken investieren und entwickeln. Aufgrund dieser Sicherheiten unterstützen die Firmen bei der Ausar- da mit mindestens 6,5 Mil lionen Tonnen erhalten die Unternehmen von Banken beitung von Massnahmenplänen zu CO2- CO2 kompensieren. KliK kann entweder leichter Darlehen. Einsparungen, indem sie zum Beispiel die eigene Projekte durchführen oder Dritten Über das Gebäudeprogramm fördern Produktionsprozesse systematisch analysie- die CO2-Reduktionsleistung in Form von Bund und Kantone eine bessere Wärme- ren und Reduktionspotenziale identifizieren. Bescheinigungen abkaufen. Das BAFU dämmung und erneuerbare Energien, aber Berechnungen zufolge haben Unternehmen, stellt solche Bescheinigungen für Emissions auch die Optimierung der Gebäudetechnik die ihre Prozesse entsprechend optimiert hat- reduktionen aus, die über das übliche Mass oder Massnahmen, welche die Nutzung der ten, 2012 rund ein Viertel weniger Treibh- hinausgehen. Abwärme ermöglichen. ausgase ausgestossen als noch im Jahr 1990. 13
umwelt 4/2014 > Dossier Klima Klimaanpassung Chancen nutzen und Risiken klein halten Der Klimawandel ist ein schleichender Prozess. Wir gewöhnen uns an wärmere Winter, trockenere Sommer, häufigere Starkregen. Die Schweiz muss sich auf diese Veränderungen einstellen – je früher, desto besser. Mit einem Aktionsplan des Bundes werden die Weichen für die nötigen Anpassungen gestellt. Text: Stefan Hartmann Bleierne Sommerhitze hängt über Sitten. Seit die entsprechenden Ziele, Herausforderungen Wochen kein Tropfen Regen. Und regnet es doch und Handlungsfelder formuliert. Der zweite, im einmal, dann umso heftiger. In Zukunft wird Frühling 2014 erschienene Teil ist der Aktions sich diese Situation als Folge des Klimawandels plan 2014–2019. Er zeigt auf, wie der Bund die häufiger einstellen. Der Walliser Kantonshaupt formulierten Ziele erreichen und künftige Her ort weist den stärksten Temperaturanstieg der ausforderungen bewältigen will. Der Plan sieht Schweiz in den vergangenen 30 Jahren auf, 63 Massnahmen in unterschiedlichen Sektoren nämlich 0,5 Grad pro Jahrzehnt. Die Hitze be vor – eine davon ist das Pilotprogramm mit 31 kommt vielen Menschen schlecht. Jetzt will Projekten. sich Sitten besser für den Klimawandel wapp nen: Es soll grüner werden. Denn es fehlt der Folgen für Natur, Wirtschaft und Gesellschaft 31 000 Einwohner zählenden Stadt an grünen «Mit den Pilotprojekten sollen die Kantone, Re Nischen mit Wiesen, Sträuchern und Bäumen, gionen und Gemeinden für die Anpassung an den die Feuchtigkeit aufnehmen und abgeben kön Klimawandel sensibilisiert und die Zusammen nen, was kühlend auf das lokale Klima wirkt. arbeit zwischen den Akteuren gefördert werden», Im Juni 2014 lancierte die Stadt deshalb eine sagt Thomas Probst, der das Pilotprogramm im Kampagne mit dem Ziel, Eigentümer privater BAFU koordiniert. Es soll verdeutlichen, wie Liegenschaften zu ermutigen, ihre Hinterhöfe, wichtig eine frühzeitige Vorbereitung auf die Dächer und Mauern zu begrünen oder Beton Auswirkungen des Klimawandels ist. Als das beläge durch Kiesflächen zu ersetzen. BAFU im Frühjahr 2013 öffentlich zur Eingabe Die Sittener Kampagne ist Teil eines Pilotpro von Projektanträgen einlud, übertraf die grosse gramms, mit dem verschiedene Bundesämter die Zahl der Gesuche alle Erwartungen. Statt der Umsetzung der Strategie des Bundesrates zur erhofften zwei bis drei Dutzend Anträge gingen Anpassung der Schweiz an den Klimawandel über 100 ein. Dies zeuge von grossem Interesse am Thema, freut sich Thomas Probst. «Kantone und Regionen erkennen immer mehr, Der Aktionsplan «Klimaanpassung» soll Verände- dass der Klimawandel Tatsache ist und welche rungen besser und früher sichtbar machen und Konsequenzen der Anstieg der Temperaturen und die Veränderung der Niederschläge für die helfen, den Risiken des Klimawandels durch geeig- Natur, das Wirtschaftsleben und die Gesellschaft nete Massnahmen zu begegnen. haben», ergänzt Roland Hohmann. Er ist im BAFU für die Anpassungsstrategie zuständig. Das genaue Ausmass des Klimawandels in der orantreiben wollen. Die Anpassungsstrategie v Schweiz hänge allerdings von der Entwicklung soll aufzeigen, wie sich die Chancen des Klima der globalen Treibhausgasemissionen ab. wandels nutzen und seine Risiken minimieren Doch so viel kann die Wissenschaft bereits heu lassen. In einem ersten Teil wurden im Jahr 2012 te sagen: Die regionalen Klimamodelle zeigen für 14
Dossier Klima < umwelt 4/2014 Nirgendwo in der Schweiz sind die Temperaturen derart gestiegen wie in Sitten (VS). die Schweiz, je nach Szenario, eine Temperatur Jetzt will sich die Stadt besser für den Klimawandel wappnen: Sie soll grüner zunahme von 1,5 bis 4 Grad bis gegen Ende dieses werden, was sich kühlend auf das lokale Klima auswirkt. Bild: Keystone/Laurent Gilliéron Jahrhunderts und eine deutliche Abnahme der Niederschläge im Sommer um bis zu 20 Prozent. Landwirte im Seeland künftig besser gewappnet Für Roland Hohmann steht deswegen fest: «Die sein. Darum sammelt gegenwärtig ein Team von Gesellschaft muss sich in den kommenden Jahr Fachleuten Daten für eine Internetplattform, die ein zehnten dringend mit den Auswirkungen des Kli Bewässerungsmanagement ermöglichen soll. Die mawandels befassen.» Mit Trockenheit und lokalen Plattform erlaubt, Wasserstände, Bodenfeuchte oder Wasserengpässen zum Beispiel – einem Thema, Wetterentwicklung in Echtzeit abzurufen. Das hilft dem sich ein weiteres Pilotprojekt zur Anpassung den Behörden und den Betroffenen, schneller zu im Seeland (FR, BE, VD) widmet. handeln und Massnahmen zu ergreifen: Haushälte risch mit der kostbaren Ressource Wasser umgehen, Umgang mit knappem Wasser lernen lautet das Gebot der Stunde. An die grosse Trockenheit der Sommer 2003 und «Wir müssen die Risiken, die ein wärmeres Kli 2009 erinnern sich die Seeländer Gemüsebauern ma mit sich bringt, minimieren lernen und die zwischen dem Fluss Broye und dem Hagneckkanal Anpassungsfähigkeit von Wirtschaft, Gesellschaft noch heute mit Unbehagen. Schmerzhaft mussten und Umwelt steigern», fordert Pamela Köllner von sie lernen, dass das scheinbar reichlich vorhandene der BAFU-Abteilung Klima. Dazu gelte es, Heraus Nass in ihrer Region nach nur wenigen Wochen forderungen in drei Bereichen zu meistern. Das versiegen kann. Die Folge waren grosse Ernte sind die Überwachung und Früherkennung von ausfälle. Für solche Dürreereignisse wollen die Veränderungen in der Umwelt, die Verringerung be 15
umwelt 4/2014 > Dossier Klima stehender Unsicherheiten und Wissenslücken sowie Gletschern weniger Wasser führen. Und die positive die Sensibilisierung, Information und Koordination. Meldung: Eine moderate Erwärmung kann den Bau Zur Vertiefung des Wissens über die Folgen des ern höhere Erträge bescheren. Klimawandels für die Schweiz sieht die bundesrät Die Klimaszenarien für den Kanton Uri zeigen auf, liche Strategie eine Risikoanalyse mit sechs grossen dass es auch in den Bergen deutlich wärmer wird. Fallstudien vor. Sie betreffen die Grossräume Mit Wurden 1965 in Altdorf im Urner Talboden rund telland, Alpen, Voralpen, Jura, Südschweiz sowie 25 Sommertage mit einer Höchsttemperatur von die Agglomerationen. Dabei werden insbesondere mindestens 25 Grad verzeichnet, waren es 2008 be die Risiken und Chancen des Klimawandels für den reits deren 45. Je nachdem, wie sich die künftigen Zeitraum um das Jahr 2060 abgeklärt. Emissionen entwickeln, wird es in Altdorf um 2060 zwischen 60 und 82 Sommertage geben. Ein ähnli Risikoanalysen für Aargau und Uri ches Bild bietet Andermatt im Urserental. Im Mittel Bereits liegen zwei dieser Studien vor: eine zum zählt das Bergdorf heute 136 Frosttage im Jahr. Je Kanton Aargau, die für den Grossraum Mittelland nach Ausmass der künftigen Erwärmung werden steht, und eine für den Kanton Uri, stellvertretend die Tage mit Minustemperaturen bis 2060 um rund für die Bergregionen. Von gesamtschweizerischem 20 bis 40 Prozent abnehmen. Interesse sind diese Untersuchungen nicht zuletzt, weil sie Risiken konkretisieren. «Wir wissen, dass Es drohen häufigere Extremereignisse es billiger und einfacher ist, bei Entscheiden bereits Als inneralpine Region könnte der Kanton Uri in heute den Klimawandel im Auge zu behalten, als den kommenden Jahrzehnten vermehrt mit Ex erst später auf Veränderungen zu reagieren», betont tremereignissen konfrontiert sein. Noch lässt sich Pamela Köllner. Die Risikoanalyse Aargau rechnet aber nicht genau sagen, wie sich die massgeblichen in den kommenden Jahrzehnten mit häufigeren Prozesse verändern werden. Es sind aber gerade Er und intensiveren Hitzewellen. Diese dürften in den eignisse, auf welche die Gesellschaft bereits heute oft grösseren Siedlungsgebieten und Städten zu erhebli mals schlecht vorbereitet ist und die besonders hohe chen gesundheitlichen Belastungen der Bevölkerung Schäden anrichten. Dies haben Naturkatastrophen führen. Zudem dürften neu auftretende Allergene zu in den letzten Jahren regelmässig gezeigt. Die hohen einer Verlängerung der Pollensaison führen, wovon Schäden hängen aber auch damit zusammen, dass in den Bergen in den vergangenen Jahrzehnten zahl reiche teure Infrastrukturbauten erstellt wurden – «Es ist billiger und einfacher, bei Entscheiden zum Teil an mit Naturrisiken behafteten Standorten. den Klimawandel bereits heute im Auge zu Kurz: Die Gesellschaft ist viel verletzlicher geworden. Anpassungsstrategien werden deshalb nicht zuletzt behalten, als erst später auf Veränderungen zu dafür sorgen müssen, dass diese Verletzlichkeit nicht reagieren.» Pamela Köllner, BAFU weiter zunimmt. Konkret könnte das heissen, dass mancherorts künftig nicht mehr gebaut werden darf. allergische Personen betroffen wären. Positiv fällt ins Aber auch im Urnerland hat der Klimawandel Gewicht, dass im Aargau 2060 von milderen Win nicht nur negative Folgen. Die Vegetationsperiode tern und damit geringeren Heizkosten ausgegangen beispielsweise wird sowohl in Andermatt wie in Alt werden kann; es sind beträchtliche Einsparungen zu dorf um bis zu einem Viertel zunehmen, wodurch die gewärtigen. Andererseits wird der Bedarf an Kühl Bauern mit mehr Erträgen rechnen können. Ebenfalls energie zunehmen. von den verlängerten Wärmeperioden profitieren Für die Aargauer Bauern und Bäuerinnen liefert die wird der Sommertourismus. Und nicht zu verges Risikoanalyse sowohl gute wie weniger e rfreuliche sen: Wenn die Gletscher schmelzen, profitieren die Nachrichten. Bedenklich stimmt: Beim Klimaszenario Wasserkraftwerke von einem zusätzlichen Wasser «stark» (Erwärmung 3 Grad und mehr) wird sogar angebot – jedoch nur vorübergehend. Letztlich führt im «Wasserschloss der Schweiz» vermehrt mit Was eine Abnahme der Frosttage auch für die Urnerinnen sermangel und Hitzestress zu rechnen sein. Dazu und Urner zu tieferen Heizkosten. Roland Hohmann: «Die Bewässerung von Wiesen und Äckern wird in diesem Fall wohl immer wichtiger Probleme mit Götterbäumen im Tessin und zugleich schwieriger werden.» Die Flüsse könn Ziel des Aktionsplans «Klimaanpassung» ist, negative ten ab 2060 wegen des fehlenden Schmelzwassers Veränderungen des Klimawandels besser und früher aus inzwischen stark oder ganz abgeschmolzenen sichtbar zu machen und den Risiken durch geeignete 16
Dossier Klima < umwelt 4/2014 Der Götterbaum, eine invasive gebietsfremde Art, ist wegen Massnahmen zu begegnen. Dies veranschaulicht des wärmeren Klimas in der Südschweiz auf dem Vor- auch ein Pilotprojekt aus der Südschweiz. Dort ist marsch. Der Exot wurde vor über 100 Jahren als Zierbaum der Götterbaum, eine invasive gebietsfremde Art eingeführt; heute gefährdet er Schutzwälder. (Neophyt), infolge des wärmeren Klimas auf dem Bilder: Jan Wunder, Marco Conedera, WSL Vormarsch. Der Exot wurde vor über 100 Jahren als Zierbaum in Tessiner Gärten eingeführt und breitet sich mittlerweile rasant aus. mit der Anpassungsstrategie hat der Bundesrat erste Fachleute der Eidgenössischen Forschungsanstalt Weichen gestellt und aufgezeigt, dass der Klimawan für Wald, Schnee und Landschaft WSL befürchten, del auch in der Schweiz Anpassungen unumgänglich dass der Kampf gegen den Eindringling bald verloren macht», erklärt BAFU-Anpassungsspezialist Roland sein könnte. Im Maggiatal wollen sie deshalb mit Hohmann. «Vor allem aber gilt es, die Ursachen des einem Pilotprojekt das Wissen zum Götterbaum ver Klimawandels zu bekämpfen. Wir müssen unseren tiefen. Grund: Die schnell wachsenden Bäume stellen Verbrauch an fossilen Energien drastisch senken.» eine Gefahr für Schutzwälder dar, sie sind oft von Gelingt dies nicht rechtzeitig, könnten die Anpassun Kernfäule befallen und werden demzufolge rascher gen an den Klimawandel auch in der Schweiz sehr Opfer von Sturmwinden als angestammte Baumar aufwendig und teuer werden. ten. Das im Tessin erarbeitete Anpassungswissen dürfte übrigens bald auch nördlich der Alpen von Nutzen sein. Forstfachleute gehen davon aus, dass Weiterführende Links zum Artikel: sich der Götterbaum in den kommenden Dekaden www.bafu.admin.ch/magazin2014-4-05 auch da ausbreiten wird. Kontakt Noch steht nicht im Detail fest, wie die Schweiz mit Roland Hohmann Sektion Klimaberichterstattung und den Folgen des Klimawandels umgehen wird. Von -anpassung, BAFU Risikoanalysen, Strategien und Pilotprojekten führt 058 465 58 83 ein langer Weg zu konkreten Massnahmen. «Doch roland.hohmann@bafu.admin.ch 17
umwelt 4/2014 > Dossier Klima Kältemittel Die langwierige Suche nach umweltverträglicher Kühlung Auf Kühlung angewiesene Branchen wie der Lebensmittelhandel und die Automobilindustrie mussten lange auf treibhausgashaltige Kältemittel zurückgreifen. Inzwischen kommen zunehmend Ersatzprodukte zur Anwendung, doch auch diese haben ökologische oder sicherheitstechnische Handicaps. Die Suche nach optimalen Kältemitteln muss deswegen nicht nur dem Schutz der Umwelt, sondern auch der Energieeffizienz und der Sicherheit Rechnung tragen. Text: Pieter Poldervaart Während Jahrzehnten galten in Die Lebensmittelbranche, die der Kältetechnik Fluorchlorkoh auf Kühlung im grossen Stil an- lenwasserstoffe als die perfekte gewiesen ist, setzt deshalb zuneh Chemikalie. Doch in den 1970er- mend auf Kohlendioxid (CO2) als Kälte Jahren wurde klar, welch grossen Scha mittel. Sein Vorteil: Es ist 1430-mal weni den die unter dem Kürzel FCKW bekannten ger klimawirksam als Tetrafluorethan. «Darüber Stoffe in der Ozonschicht anrichten. 1987 läutete hinaus ist der Stromverbrauch bei CO2-Kühlungen deshalb das Montreal-Abkommen ihr weltweites tiefer als bei anderen Kältemitteln», sagt Coop- Verbot ein. Seither ist die Kälteindustrie damit Sprecher Urs Meier. Zudem könne die Abwärme beschäftigt, nach immer neuen Alternativen zu effizienter genutzt werden. Deshalb installiert der suchen. Mit Tetrafluorethan (R134a) war schon bald Grossverteiler seit 2010 nur noch CO2-Kühlanlagen. ein neues Kältemittel ohne schädigende Nebenwir Bereits sind 300 Supermärkte umgerüstet, was kung für die Ozonschicht gefunden. Bloss, so zeigte 40 Prozent aller Standorte entspricht. Dieselbe sich, hat es andere negative Eigenschaften: In der Politik verfolgt Coop auch im Ausland, erklärt Luft freigesetztes R134a ist stark klimaschädigend. Urs Meier: «Anfang 2014 eröffneten wir eine neue Dieses Kältemittel zählt zu den synthetischen Treib Filiale unserer Abholgrossmarktkette Fegro/Selgros hausgasen, deren Bedeutung stark zugenommen im russischen Wolgograd – und nahmen dort die hat. Machten die synthetischen Gase 1990 knapp erste CO2-Kälteanlage Russlands in Betrieb.» Wei 0,5 Prozent der Schweizer Emissionen aus, waren tere Verbesserungen strebt Coop durch optimierte es 2012 bereits 2,9 Prozent. Der weltweite Ausstoss Prozesse und Kühlmöbel an. Auch Konkurrent Lidl könnte unter «Business as usual»-Bedingungen im setzt nebst Ammoniak auf CO2 als Kältemittel. Für Jahr 2050 rund 10 bis 20 Prozent der gesamten kleinere Kühleinheiten kommt auch Propan zum Ein Treibhausgasemissionen erreichen. satz. Doch, so gibt Lidl-Sprecher Dominik Lehmann 18
Dossier Klima < umwelt 4/2014 zu bedenken, sei dies technisch herausfordernd: diese Technologie im Automobilbau komplett neu «Anlagen mit CO2 arbeiten mit hohem Druck. Das und bedingt eine innovative Konstruktionsweise macht entsprechende Sicherheitsvorkehrungen für Klimaanlagen. Kommt dazu, dass CO2 schon nötig.» bei tieferen Konzentrationen erstickend wirkt als dies bei R134a der Fall ist. Die Automobilhersteller Autobranche sucht nach Ausweg müssen daher sicherstellen, dass bei einem Leck im Neben dem Detailhandel sind Kältemittel heute Autoinnern keine gefährliche CO2-Konzentration auch in der Autoindustrie unverzichtbar. Es ist erreicht wird. Als positiver Nebeneffekt wird das noch gar nicht lange her, da waren auf Schweizer Nachfüllen mit umweltbelastenden Kältemitteln Strassen kaum Autos mit Klimaanlage unter verunmöglicht. wegs. Doch mittlerweile ist die angenehm kühle Raumtemperatur auch im Auto der Normalfall. In Deutschland sind praktisch alle neu immat «Eine Wunderlösung wird es in der rikulierten Autos serienmässig mit Klimaanlage Kältetechnik auch künftig nicht geben, ausgerüstet – betrieben zum überwiegenden Teil weder für Supermärkte noch für Auto mit R134a. In der EU ist das klimaschädigende Käl temittel ab 2017 in Neuwagen verboten. Mit der hersteller.» sogenannten europäischen Gesamtgenehmigung Blaise Horisberger, BAFU sind auch die hierzulande importierten Personen wagen davon betroffen. Thomas Rohrbach, Spre «Eine Wunderlösung», prognostiziert Blaise cher des Bundesamtes für Verkehr (BAV), präzisiert, Horisberger, zuständig unter anderem für Kälte die EU-Verordnung beziehe sich auf das maximale mittel beim BAFU, «wird es in der Kältetechnik Treibhauspotenzial neuer Kältemittel, nicht aber deshalb auch künftig nicht geben, weder für Super auf die Stoffe selbst. märkte noch für Autohersteller.» Diese Beurteilung Tatsächlich testet die Autoindustrie zurzeit gelte nicht nur für die Kältemittel CO2, R1234yf verschiedene Alternativen zum in Verruf gera und 134a, sondern auch für Ammoniak, das bei tenen R134a. Einige wenige Hersteller setzen spielsweise bei grossen stationären Kühlhäusern bereits heute Tetrafluorpropylen (R1234yf) ein. oder Kunsteisbahnen Verwendung findet. Denn Die wichtigsten Pluspunkte dieses Stoffes: Er alle heute diskutierten Kältemittel würden neben ist technisch einfach anzuwenden und verfügt unbestrittenen Vorteilen auch Risiken aufweisen, über ein sehr tiefes Treibhauspotenzial. Negativ die sich allerdings durch geeignete Massnahmen zu Buche schlägt, dass sich das Gas entzünden entschärfen liessen. Für die Zukunft rechnet Blaise kann, wenn es bei einem Unfall ausläuft. Dabei Horisberger auch in unseren Breitengraden mit ei bildet sich toxischer Fluorwasserstoff. Auch wenn nem wachsenden Bedürfnis nach Kühlung – und es nicht zu einem Brand kommt, entwickelt das daher mit einer anhaltenden Expansion der Kälte Kältemittel ein problematisches Abbauprodukt. Es technik: «Insbesondere bei der Raumklimatisierung ist giftig für Pflanzen, extrem stabil und kann sich werden die Ansprüche an gesteuerte Temperaturen in Oberflächengewässern anreichern. weiter steigen.» Umso wichtiger ist es für den Ausserdem öffnet das neue Produkt Umwelt BAFU-Fachmann deshalb, dass künstliche Kälte betrügereien Tür und Tor. In mit R1234yf betrie möglichst umweltverträglich und energieeffizient bene Klimaanlagen lässt sich nämlich verbote erzeugt wird, aber ohne nicht zu bewältigende nerweise auch das viel stärker klimaschädigende Risiken. Kältemittel R134a nachfüllen. Die Befürchtung, dass auf Kosten der Umwelt betrogen wird, ist Weiterführende Links zum Artikel: begründet. So wird in einigen Ländern immer www.bafu.admin.ch/magazin2014-4-06 noch auch das ozonschichtschädigende und längst verbotene FCKW in Autoklimaanlagen nachgefüllt. Bedürfnis nach Kühlung wächst Kontakt Die Suche nach einem Kältemittel ganz ohne Blaise Horisberger Stv. Sektionschef Biozide und Pflanzenschutzmittel jeden Pferdefuss ist also schwierig. Deshalb ruht BAFU die Hoffnung der Autobranche genau wie in der 058 462 90 24 Lebensmitteindustrie auf Kohlendioxid. Bloss ist blaise.horisberger@bafu.admin.ch 19
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