UNTER DER LAST DES ALTERS - Friedrich-Naumann-Stiftung
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2.2015 www.libmag.de 2,90 EURO D E B AT T E N Z U R F R E I H E I T S C H W E R P U N K T : D I E G E K N I F F E N E G E N E R AT I O N UNTER DER LAST DES ALTERS MARIO VARGAS LLOSA: HAMED ABDEL-SAMAD: WOLFGANG GERHARDT: DAS BEKENNTNIS WIESO ISLAMKRITISCHE WARUM GROSSE GEWISSHEIT DES NOBELPREISTRÄGERS SATIRIKER FÜR IM GLAUBEN JEDE KULTUR ZUR FREIHEIT MUSLIME EIN SEGEN SIND DER TOLERANZ ZERSTÖRT
WOLFGANG GERHARDT Herausgeber liberal „LIBERAL IST DIE PLATTFORM FÜR FREIE, BÜRGERLICHE DEBATTEN ABSEITS DES MAINSTREAMS.“ liberal D e b at t e n z u r F r e i h e i t 2.2012 www.libmag.de 7,90 euro liberal D e b at t e n z u r F r e i h e i t 3.2012 www.libmag.de 7,90 euro D e b at t e n z u r F r e i h e i t 1.2013 www.libmag.de 7,90 euro OttO Graf LambsdOrff „Ein jOAcHim gAUck impErialEs „Wir GEhabE Schwerpunkt brauchen braucht liberale in eine Europa bewegung GeneiGtheit nicht.“ wohin Steuert die Fdp? zur s C h w e r p u n kt e u r O pa mit Beiträgen von: ULF POSCHARDT Freiheit mit beiträGen vOn: Ulrich Speck KAREN HORN THORSTEN JUNGHOLT mit KopF GÉrard Bökenkamp lUtz rathenow CORA STEPHAN John kornBlUm und herz.“ Graham watSon im interview: RAINER BRÜDERLE D E R H E R A U S F O R D E R E R : Warum Mitt Romney thomAS StrAuBhAAr: BEKENNTNISSE EINES NEOLIBERALEN an seiner Vergangenheit scheitern könnte norBert BoLZ: WARUM DER STAAT SCHRUMPFEN MUSS Z U R ü c k Z U m F O R t S c H R i t t : Karl-Heinz Paqué Freiheit ist anstrengend VON PRIVATHEIT UND MENSCHENWÜRDE liberal bittet Freigeister wie Vince Ebert, haraLd martenstein: wLAdimir kAminer: über die Zukunft des Liberalismus vinCe ebert: wer Beweise hat, muss nicht glauben vera LenGsfeLd: die antifa schlägt zu Jan Fleischhauer, Wladimir Kaminer, Necla Kelek, 01_Titel_001 1 22.05.2012 21:47:42 001 Titel_001 1 23.08.2012 12:48:53 001_Liberal-Titel_0113_001 1 20.11.2012 19:35:35 liberal 2.2013 3.2013 2.2013 4.2013 www.libmag.de www.libmag.de www.libmag.de Harald Martenstein, Michael Miersch, Ulf Poschardt, 7,90 EURO 7,90 euro 7,90 EURO D E B AT T E N Z U R F R E I H E I T D e b at t e n z u r F r e i h e i t D E B AT T E N Z U R F R E I H E I T Terry Pratchett, Roland Tichy, Christian Ulmen und Debatten zur Freiheit | AuF DeM WeG Zur VoLLBeSCHÄFTIGuNG Wolfram Weimer in die Arena. Ausweitung der tolerAnzzone SCHWERPUNKT TITA VON SOZIALE SCHWERPUNKT liberal ist laut Leserpost ein „intelligentes und mit HARDENBERG sCHwerPunKt: AuF deM weg zur GERECHTIGKEIT LEISTUNGSTRÄGER AUF DER VERLIERERBAHN HEUTE SCHON WAS VERBOTEN? VollBesCHÄFtigung ÜBER DIE GRÜNE GROSSINQUISITION spitzer Feder geschriebenes, exquisites Magazin“. Mit BeitrÄgen Von MIT BEITRÄGEN VON: PETER GLASER THOMAS STRAUBHAAR K A R L- H E I N Z PAQ U É ULF POSCHARDT MIT BEITRÄGEN VON: S A S C H A TA M M ANDREAS SCHÖNFELDER THOMMIE BAYER CHRISTOPHER HITCHENS E U R O PÄ I S C H E I D E N T I TÄT : GENSCHER UND LINDNER IM DUETT INTERVIEW RAINER BRÜDERLE: ES WAREN VIER GUTE JAHRE FÜR DEUTSCHLAND liberal verleiht der Freiheit eine Stimme. JoseF JoFFe: CHristiAn ulMen: JoACHiM Hunold: WIE SICH dIE LIbERALEN PoSITIoNIEREN MüSSEN WARUM INNERE FREIHEIT VERNUNFT IST WIESo dEUTSCHLANd AbZUSTüRZEN dRoHT GISELA FRIEDRICHSEN: VINCE EBERT: ZETTEL: WIE DIE JUSTIZ IHRE OPFER MISSACHTET WARUM AUCH EIN KABARETTIST LIBERAL SEIN KANN WIE DER VERSTORBENE BLOGGER DIE WELT SAH G A R R I KAS PA R OW: WESHALB RUSSLAND KEIN RECHTSSTAAT IST SIBYLLE BERG: WARUM DIE FREIHEIT DURCH GEBRAUCH WÄCHST BORIS EICHLER: WIESO RUNDFUNKRÄTE NICHT STAATSFERN SIND liberal wird herausgegeben von der 19.02.2013 21:37:05 gürtlerbachmann REEMTSMA - Wolfgramm (Regeln) Format: 210 x 260 mm + 5 mm Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit. 3.2014 Liberal (ISOcoated_L39) DU: 6.8.2012 1.2014 www.libmag.de 2.2014 www.libmag.de 7,90 EURO www.libmag.de 7,90 EURO 7,90 euro D E B AT T E N Z U R F R E I H E I T D E B AT T E N Z U R F R E I H E I T D e b at t e n z u r F r e i h e i t SCHWERPUNKT: GROKO DAS WIR ENTSCHEIDET – DAS DU BEZAHLT S C H W E R P U N K T : Q U O VA D I S F D P ? KRISE ALS CHANCE Schwerpunkt INTERVIEW MIT CHRISTIAN LINDNER Was Europa uns bEdEutEt VINCE EBERT, RAINER HANK, LUDWIG THEODOR HEUSS, I R M G A R D S C H WA E T Z E R : DAS UMSTRITTENE KIRCHENPAPIER DER FDP HENNING KRUMREY, HARALD MARTENSTEIN, MATTHIAS MATUSSEK, allein gegen Die Mafia: Space inc.: rote hilfe: WA LT E R K R Ä M E R : ZEHN POPULÄRE MILCHMÄDCHENRECHNUNGEN ALFRED NEVEN DUMONT, ULF POSCHARDT, WOLFRAM WEIMER 30 Jahre Commissario milliarDäre erobern Wie Der Verein linke CorraDo Cattani Den Weltraum GeWalttäter unterstützt R O B E R T P FA L L E R : DIE KULTUR DER BEVORMUNDUNG 001-001_Titel - iPad 1 26.11.2013 17:24:56 ei 4.2014 Jetzt kostenfr www.libmag.de 7,90 EURO D E B AT T E N Z U R F R E I H E I T abonnieren liberal SCHWERPUNKT: VS - VERSCHWENDUNGSSACHE WER WILL NOCH MAL – WER HAT NOCH NICHT? Online-Bestellung www.libmag.de/abo/ D E B AT T E N Z U R F R E I H E I T ROLAND TICHY: WA LT E R K R Ä M E R : GÉRARD BÖKENKAMP: WESHALB DRAGHIS WÄHRUNGSPOLITIK UNSERIÖS IST WIE NAHLES DIE KÜNFTIGEN RENTNER BETRÜGT WARUM DIE GRÜNEN KEINE FREIHEITSPARTEI SIND oder QR-Code scannen
EDITORIAL „CHRISTIAN LINDNER HAT OFFENBAR MIT SEINEM PLÄDOYER FÜR EINE KULTUR Generation X, Generation Y, Generation DES SCHEITERNS, Millionen Abrufen zum viralen Social-Media- Z, Generation Golf, Generation Maybe – Hit, offenbar hat er mit seinem Plädoyer für es mangelt nicht an Etiketten für die Nachfol- OHNE DIE ES KEINE eine Kultur des Scheiterns, ohne die es keine ger der Babyboomer. Aber es mangelt ihnen GRÜNDERKULTUR GEBEN Gründerkultur geben kann, einen Nerv ge- an Altersgenossen, mit denen sie die giganti- troffen. Lencke Steiner verfolgt dasselbe An- KANN, EINEN NERV schen Belastungen gemeinsam schultern liegen seit Neuestem nicht mehr nur in Talk- könnten, die ihnen die aktuelle Politik aufbür- GETROFFEN“ shows, sondern auch in dem Vox-Format „Die det. Auf die Hilfe ihrer Vorgänger brauchen Höhle der Löwen“. Wir sprachen mit dem sie nicht zu hoffen, denn die werden genau DAVID HARNASCH l iberalen Multitalent aber auch über ihre dann die meisten Wählerstimmen zu verge- CHEFREDAKTEUR Heimatstadt Bremen, über Bildung, Frauen ben haben, wenn sie ins Rentenalter kom- und Quereinsteiger in der Politik. men. Gegen deren schiere Masse wird keine Politik zu machen sein. Deshalb müssten Als wir Ende 2014 Hamed Abdel-Samad heute die Sozialsysteme enkelfähig gemacht gewinnen konnten, für uns über politischen werden. Doch von der aktuellen Regierung Humor in der islamischen Welt zu recher- ist nicht einmal zu erwarten, dass sie die Pro- chieren, ahnten wir nicht, welche schmerzli- bleme beim Namen nennt. che Aktualität das Thema kurz darauf gewin- Illustration: E. Merheim nach einem Foto von A. Meissner Wir tun das in unserem Schwerpunkt zur nen würde. Die dschihadistischen Anschläge gekniffenen Generation – und weisen Lösun- auf die Meinungsfreiheit und der mörderi- gen auf. sche Antisemitismus, der wieder in europäi- schen Städten angekommen ist, beschäftigen Ein Teil des heute schon für morgen um- uns auch in der Wutprobe, dem Zentralmotiv verteilten Wohlstands wird von Firmen er- und Wolfgang Gerhardts Essay zur Gretchen- wirtschaftet werden, die heute noch nicht frage nach dem Verhältnis von Religion zur mehr sind als eine Powerpoint-Präsentation Gewalt. Ausnahmsweise wäre uns weniger zu einer Geschäftsidee. Christian Lindners Relevanz in diesem Fall wesentlich lieber ge- Gründerrede im Landtag von NRW wurde mit wesen. ● liberal 2.2015 3
Von der Wiege bis zur Bahre VORSCHRIFTEN Unser Leben ist geprägt von Verboten. So sehr, dass wir das oft Warum darf ich mein Dachgeschoss wegen der gar nicht mehr realisieren – weil’s schon immer so war. Fakt ist: Vorschriften gegen Der Staat mischt sich in unser Privatleben ein wo er kann, auch Luxussanierung nicht bei Kleinigkeiten. Und regelt viele persönliche Dinge, die ihn ausbauen? Ich will doch nur Platz für meine Kinder eigentlich nichts angehen sollten. liberal hat einige Beispiele schaffen? zusammengetragen. Fallen auch Ihnen überflüssige Vorschriften ein, die schon so selbstverständlich geworden sind, dass man kaum noch darüber nachdenkt? Schreiben Sie uns an: redaktion@libmag.de Warum müssen sich meine Eltern schon im ersten Monat nach Studentenparty in meiner WG. meiner Geburt auf einen Warum darf ich mich bis ins Namen festlegen? Koma betrinken, aber nicht mit Warum muss ich Freunden einen Joint teilen? mein neues Moped 35 immer bis Ende 40 Februar versichern? 0 Es steht im Winter 30 nur in der Garage. 5 25 Warum darf ich meinen Geburtstag nicht mit meinen Freunden in einem Club feiern? Was geht mich das Tanzverbot am Karfreitag an? Wir 10 stören keine Kirchgänger. Warum müssen mich meine Eltern in der 20 Schule um die Ecke einschulen und 15 dürfen nicht die beste Schule für mich aussuchen? Meine Eltern haben mich Chantal genannt. Ich hasse Wir haben für unsere Lehrerin den Namen. Warum darf gesammelt und ein Abschiedsge- ich ihn als erwachsener schenk zum Abitur gekauft. Warum Mensch nicht einfach muss sie für die Annahme 4.000 ändern? Euro Bußgeld zahlen? 4 2.2015 liberal
Ich bin schwer erkrankt und möchte erlöst werden. Warum wird mir die Sterbehilfe verwehrt? 85 Spezialitäten zum runden Geburtstag: Warum zahle ich auf Hummer 19 Prozent 80 Mehrwertsteuer, aber auf Warum schreibt mir der Garnelen nur 7 Prozent? Staat vor, wann ich aufhören muss zu arbeiten? Ich bin fit und würde gerne weitermachen. 75 45 70 50 65 Warum darf meine Urne nicht auf dem Kaminsims meiner 55 Tochter stehen? 60 Meine Ehe funktioniert nicht mehr. Wir wollen beide die Scheidung. Trotzdem müssen wir noch das Trennungsjahr abwarten. Warum? liberal 2.2015 5
STA N DA R DS 3 EDITORIAL 4 START Von der Wiege bis zur Bahre 6 INHALT/IMPRESSUM 20 FUNDSTÜCK 20 WUTPROBE Alles ist vergeben 21 AUTOREN DER FREIHEIT Dorothea Siems 28 ZENTRALMOTIV „Meinungsfreiheit“ 40 MIERSCHS MYTHEN Paralleluniversum SCHWERPUNKT Die gekniffene Generation Wenn einer des andern Last trägt, erfüllt er der Bibel nach das Gesetz Christi. Als Paulus dies an die Galater schrieb, war die Welt allerdings noch eine andere. Heute erzeugt der demografische Wandel ein Problem der Generationengerechtigkeit von historisch ungekanntem Ausmaß: Die junge Generation droht unter der Last der bald in Rente gehenden Babyboomer zu ersticken. Und die Politik schaut weg. 50 BÜCHER 54 8 10 ZITATE DER FREIHEIT ZEHREN VON DER SUBSTANZ FÜNF VORSCHLÄGE FÜR DIE POLITIK Marko Martin Illustrationen: W. Smetek; B. Zeller; Fotos: Reuters/H. Hanschke Generationengerechtigkeit wird es nur geben, wenn Was geschehen müsste, um die gekniffene Generation zu der Staat allen die Chance gibt, mutig und motiviert retten – eine Handvoll unpopulärer Anregungen. ihr Schicksal in die Hand zu nehmen. Dazu braucht die VON KARL-HEINZ PAQUÉ Politik gute Konzepte und Entschlusskraft. Nichts davon ist derzeit in Berlin erkennbar. VON KARL-HEINZ PAQUÉ 14 13 „JEDER KANN GRÜNDEN“ WER ZAHLT? Lencke Steiner ist Hoffnungsträgerin der FDP für die Vorbei die Zeiten guter deutscher Tugenden. „Spare Bremer Bürgerschaftswahl. Im Interview spricht sie in der Zeit, dann hast du in der Not.“ Unwichtig. Das über unternehmerische Freiheit, gefährdete Leistungs- war gestern. Heute schleudert die Große Koalition die standards – und warum in Deutschland eine Kultur des Milliarden raus. VON KARL-ULRICH KUHLO Scheiterns fehlt. VON DAVID HARNASCH 6 2.2015 liberal
POLITIK WIRTSCHAFT GESELLSCHAFT 24 34 42 22 ALLES IM GRÜNEN BEREICH 34 WAGEN UND GEWINNEN 42 KOMMT EIN KALIF ZUM PSYCHIATER … Mit der neuen Landesbauordnung setzt die Die jüngere Geschichte Bremens ist wo- Islamkritische Satiriker sind für Muslime grün-rote Koalition in Baden-Württemberg möglich Blaupause für das, was uns blüht, ein Segen. Denn nichts brauchen sie Maßstäbe in Sachen ideologisch motivierter wenn sich die TTIP-Skeptiker durchsetzen mehr als einen Anstoß, den Respekt vor Gängelung. – wenn also Regelungswut und Ressenti- alten Mythen und die Angst vor Kultfigu- ments über Unternehmergeist und den ren zu verlieren. VON HAMED ABDEL-SAMAD 24 BEKENNTNIS ZUR FREIHEIT Markt triumphieren. VON JAN-PHILIPP HEIN Was der peruanische Schriftsteller Mario 46 TU FELIX NEDERLANDIA Vargas Llosa auf der 5. Lindauer Tagung 38 FLUCHTHELFER AUS DER ARMUT Wie es zwei liberale Parteien schaffen, in der Wirtschaftswissenschaften über die Immer mehr Intellektuelle plädieren Holland Erfolge zu feiern. VON PHILIPP HANSEN Bedeutung des Liberalismus sagte. nachdrücklich für ein Ende der Ära des VON MARIO VARGAS LLOSA Wachstums. Zur selben Zeit wünschen sich 48 HOLD THE AIR ON! aber alle mehr langfristiges Wachstum für How long believe we still, that the „Green 30 ASYL FÜR AFGHANISCHE HELFER die europäischen Krisenländer. Wie passt Point“ real green is and us real wider brings? Sie riskierten an der Seite der Bundeswehr das zusammen? EIN FILSERBRIEF VON GISELA DAUM ihr Leben. Doch wenn sie nach dem Ende des Einsatzes der Gefahr in ihrer Heimat 51 VON FREIHEIT UND RELIGION entkommen wollen, lässt sie der deutsche Manche Menschen vertreten ihren Glauben Staat sträflich im Stich. VON TORSTEN HEINRICH mit einer Gewissheit, die jede Kultur der Toleranz zerstört. VON WOLFGANG GERHARDT liberal • Debatten zur Freiheit. Vierteljahresheft Autoren dieser Ausgabe: Hamed Abdel-Samad, Georgios Giavanoglou, Tel. 0211/542 27-663, der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit Gisela Daum, Boris Eichler, Wolfgang G erhardt, georgios.giavanoglou@corps-verlag.de Reinhardtstraße 12, 10117 Berlin Philipp Hansen, David Harnasch, Jan-Philipp Hein, (Anzeigen-Marketing), Telefon 030/28 87 78 59, Fax 030/28 87 78 49 Torsten Heinrich, Karl-Ulrich Kuhlo, Marko Martin, Tatjana Moos-Kampermann, Tel. 0211/542 27-671, www.libmag.de Michael Miersch, Karl-Heinz Paqué, Dorothea tatjana.moos-kampermann@corps-verlag.de Siems, Mario Vargas Llosa (Disposition) Kontakt: leserbriefe@libmag.de; abo@libmag.de, redaktion@libmag.de Gesamtherstellung: Litho: TiMe GmbH corps. Corporate Publishing Services GmbH, Begründet von Karl-Hermann Flach und Hans ein Unternehmen der Verlagsgruppe Handelsblatt Druck: Wolfgang Rubin Kasernenstraße 69, 40213 Düsseldorf Bechtle Druck & Service GmbH & Co. KG Tel. 0211/542 27-700, Fax 0211/542 27-722 73730 Esslingen, Zeppelinstraße 116 Herausgegeben von Dr. Wolfgang Gerhardt, Prof. Dr. Karl-Heinz Paqué, Manfred Richter, Sabine www.corps-verlag.de Namentlich gekennzeichnete Artikel geben Leutheusser-Schnarrenberger, Dr. Wolf-Dieter Verlagsgeschäftsführung: nicht unbedingt die Meinung von Herausgeber Zumpfort Holger Löwe, Wilfried Lülsdorf und Redaktion wieder. Fotos: Reuters; Handelskammer Bremen Beirat: Dr. Bernd Klaus Buchholz, Karl-Ulrich Kuhlo, Redaktionsleitung: Mirko Hackmann Vertrieb: DPV Network GmbH www.dpv.de Helmut Markwort Gestaltung: Ernst Merheim (Grafik), Achim Meissner Bezugsbedingungen: Abonnement bis auf Wider- Gesamtleitung: Kirstin Härtig (Bildredaktion), Wieslaw Smetek (Titelillustration) ruf kostenfrei; Preis des Einzelheftes 2,90 Euro (In- landspreis, zzgl. 2,50 Euro Porto und Verpackung). Redaktion Friedrich-Naumann-Stiftung Objektleitung: Christiane Reiners Näheres über abo@libmag.de für die Freiheit: David H arnasch (Chefredakteur, v.i.S.d.P.), Anzeigen: Ralf Zawatzky, Tel. 0211/542 27-662, liberal im kostenlosen Abonnement: Boris Eichler (Chef vom Dienst), Thomas Volkmann ralf.zawatzky@corps-verlag.de (Leitung), Alles dazu auf Seite 2 liberal 2.2015 7
DIE GEKNIFFENE GENERATION DEMOGRAFISCHE VERLIERER I nzwischen weiß es jeder: Deutschland schrumpft aufgezehrt. Denn mit den Babyboomern verschwindet und altert. In den nächsten 30 Jahren nimmt die die bis dahin am besten ausgebildete Generation von Anzahl der Erwerbspersonen laut Prognosen um Fachkräften. Noch sichert sie – durch ihre Größe und fast zehn Millionen ab – von etwa 45 Millionen auf ihr gutes Einkommen – unsere Altersversorgung. Und 35 Millionen Menschen. Gleichzeitig steigt der Anteil noch stabilisiert sie das Rückgrat der deutschen Wirt- der 65-Jährigen und Älteren an der Bevölkerung steil schaft, vor allem deren viel gerühmte industrielle Inge- an, von gerade mal einem Fünftel auf mehr als ein nieurkunst und Innovationskraft. Aber die Uhr tickt, Drittel. Es ist die riesige Generation der Babyboomer, das Ende ist absehbar. die zunächst ins Ruhestandsalter vorrückt und dann Grund genug also für „German Angst“, wie die irgendwann von Bord geht. Ihr folgen im aktiven Briten den Hang der Deutschen zu apokalyptischen Erwerbsleben sehr viel kleinere Generationen, wie sie Zukunftsbildern ironisch benennen. Und in der Tat die Soziologen auch nennen mögen: X, Y oder Z. sind die Medien voll von Szenarien, in denen die Eine gigantische Herausforderung! Merkwürdig riesige Babyboomer-Generation die wenigen Jüngeren nur, dass die Politik sich darum kaum kümmert. Es über ihre demokratische Macht brutal auspresst oder sieht ja derzeit in Deutschland alles so schön aus, wir die Jungen in ihrer Verzweiflung den Generationen- werden weltweit beneidet: eine stabile Demokratie vertrag aufkündigen und Rentenzahlungen verwei- mit gesunder Wirtschaft, soliden Finanzen und niedri- gern. All dies ist übertrieben, aber nicht verwunder- ger Arbeitslosigkeit, jedenfalls im internationalen lich, wenn die Politik – wie derzeit die Große Koalition Vergleich. Niemals zuvor stand dieser Wohlstand – das Problem einfach ignoriert. Schlimmer noch, allerdings auf so tönernen Füßen wie heute. Wir leben durch das Rentenpaket, vor allem die Rente mit 63, hat derzeit noch gut von der Substanz, aber die ist bald sie die Problemlage gezielt verschärft, indem sie den Zehren von der SUBSTANZ Generationengerechtigkeit wird es nur geben, wenn der Staat allen die Chance gibt, mutig und motiviert ihr eigenes Schicksal in die zu Hand nehmen. Dazu braucht die Politik gute Konzepte und große Entschlusskraft. Nichts davon ist derzeit in Berlin erkennbar. // TEXT // KARL-HEINZ PAQUÉ // ILLUSTRATION // WIESLAW SMETEK 8 2.2015 liberal
DIE GEKNIFFENE GENERATION DEMOGRAFISCHE VERLIERER Rettet die gekniffene Generation! FÜNF VORSCHLÄGE FÜR DIE POLITIK Wir werden immer älter Entwicklung der Hundertjährigen in Deutschland, tatsächliche 65.000 Anzahl und Prognose 1 BILDUNG VERBESSERN! neuen Wissens und origineller Geschäftsideen entstehen nur dort, Wer eine gute Zukunft haben will, wo der Staat gute Rahmenbedingun- 25.000 braucht die bestmögliche Bildung. gen schafft, aber sich aus den Details 15.000 Motivation und Leistungsbereitschaft des wirtschaftlichen Wandels müssen im Vordergrund stehen, nicht heraushält. Gleichmacherei. Talente müssen 2010 2030 2050 gefördert und gefordert werden, und zwar auf allen Stufen der Erziehung 4 RENTENALTER – von der frühkindlichen Bildung über ABSCHAFFEN! Grundschule, Gymnasium und Universität bis hin zur modernen In einer alternden Gesellschaft mit Abgang der Babyboomer aus dem Arbeitsleben be- beruflichen Qualifikation, der besten hoher Lebenserwartung müssen die schleunigt und dem Rest der Gesellschaft auf lange Versicherung gegen Arbeitslosigkeit Menschen so lange arbeiten dürfen, Sicht zusätzliche Lasten von jährlich etwa zehn Milliar- und niedrige Löhne. wie sie wollen. Es darf kein festes Alter für den Rentenbezug mehr geben. den Euro auferlegt. Hinzu kommt eine latente Investi- Wer länger arbeitet, erhält eine tionsschwäche des Staates: Die Straßeninfrastruktur 2 INNOVATIONSKRAFT höhere Rente. Wer dies wegen verrottet, die Modernisierung der Kommunikations- STÄRKEN! Krankheit nicht kann, wird vom Staat netze kommt nicht voran, Stätten der Ausbildung – unterstützt. Die meisten Älteren im von Schulen bis Universitäten – sind chronisch unter Ingenieurskunst und Hochtechnologie finanziert. Und dies alles, obwohl der deutsche Staat siebten Lebensjahrzehnt, die gesund sichern die Wertschöpfung der seit Mitte des letzten Jahrzehnts Zuwächse der Steuer- sind, werden arbeiten wollen. Die deutschen Wirtschaft im globalen einnahmen in Rekordhöhe erzielt hat: von 2005 bis Unternehmen werden auf sie gerne Wettbewerb. Um sie zu stärken, zurückgreifen, weil es an jüngeren 2014 rund 150 Milliarden Euro jährlich, eine Steigerung bedarf es attraktiver Standortbedin- Arbeitskräften fehlt. von fast 40 Prozent. Und laut Steuerschätzung kom- gungen – von exzellenten Forschungs- men in den nächsten fünf Jahren wohl nochmals 50 einrichtungen bis zu leistungsfähigen Milliarden Euro hinzu. Kommunikations- und Verkehrsnet- 5 ZUVERSICHT STATT zen. Hier besteht großer und ZUKUNFTSANGST! dringender Investitionsbedarf. Leistungskraft bleibt länger erhalten Daneben bedarf es mehr Zuwande- Deutschland ist zum Land der rung von jungen qualifizierten Kurzum, es besteht ein Problem der Generationenge- Technikskepsis geworden. Überall Fachkräften, geregelt und gefördert rechtigkeit, und was für eines: Die vielen Rentner sind werden in konservativem Geist die durch ein neues Zuwanderungsgesetz. ständig vom Abstieg bedroht, weil sie nicht wissen Risiken neuer Technologien betont – können, ob die Jüngeren noch bereit sind, sie zu und nicht deren Chancen. Die Forschung in Bereichen, die auf finanzieren; und die weniger werdenden Arbeitskräfte 3 BÜROKRATIE ABBAUEN! ächzen unter den Soziallasten und Rentenbeiträgen, breiten Widerstand stoßen (zum Deutschland ist Weltmeister der Beispiel die Biotechnologie), wird ins die ihr Nettoeinkommen verringern. Sie sind die Vorschriften, Verbote, Regulierungen Ausland verlagert. Junge Wissen- gekniffene Generation. Und das Ganze ist eine finstere und Kontrollen. Sie behindern schaftler wandern dorthin ab, um Zukunftsvision. Sie zu vermeiden braucht man dreier- Existenzgründungen und ersticken die freier forschen zu können und lei: eine nüchterne Analyse der Lage, die Motivation Bereitschaft zum Risiko. Wir brauchen Anerkennung für ihre Arbeit zu der Menschen zur Leistung und vor allem entschlos- eine neue Unternehmenskultur, die erhalten. Dies muss sich ändern. Die senes politisches Handeln. Start-ups stärkt und dem Mittelstand offene Gesellschaft erfordert den Mut Zur nüchternen Analyse gehört zunächst, dass den das Leben erleichtert. Brutstätten zum Fortschritt. düsteren Trends zur Schrumpfung große Chancen 10 2.2015 liberal
gegenüberstehen. So werden die Menschen zwar älter, Menschen zur Leistung motivieren. Warum schaffen aber mit der steigenden Lebenserwartung bleibt auch wir nicht das offizielle Rentenalter vollständig ab? ihre Leistungskraft deutlich länger erhalten. Nicht nur Ersetzt werden sollte es durch eine Option zur Ver- der vergleichende Blick auf Fotos von Menschen im tragsauflösung von Arbeitnehmer und Arbeitgeber ab Ruhestandsalter vor 50 Jahren und heute belegt dies 65 (oder 67) Jahren. Wer länger arbeiten will und eindrucksvoll. Auch die Wissenschaft bestätigt es: Die gefragt ist, es zu tun, finanziert seine zusätzliche Rente kognitiven Fähigkeiten lassen im siebten Lebensjahr- selbst – und erhöht sie damit, ohne die Gemeinschaft zehnt nur wenig nach, dies gilt vor allem dann, wenn der Beitragszahler zu belasten. Niemand wird dadurch der Ruhestand später eintritt und die sozialen Kontak- verdrängt, alle profitieren. Allerdings bedarf es politi- te über den Arbeitsplatz erhalten bleiben. Hinzu schen Mutes, eines klar auszusprechen: Nicht der kommt, dass die Leistungskraft heute viel weniger als Staat, sondern die Menschen selbst können und früher von der Körperkraft abhängt und im Übrigen müssen ihren Beitrag zum Sozialvertrag leisten. Der immer bessere technische Hilfsmittel zur Verfügung Staat kann nur helfen: durch Rahmenbedingungen, stehen, allfällige Schwächen zu kompensieren. Und die es erleichtern, diesen Beitrag zu erbringen. über allem wird in der Zukunft eine große Nachfrage Gleiches gilt für die anderen Aspekte unseres bestehen: Immer mehr Unternehmen werden ältere Zukunftsproblems: der Umgang mit jüngeren Men- Arbeitskräfte händeringend bitten, ihr Können und schen, deren Zahl derzeit abnimmt, später wohl auf ihre Erfahrung weiter einzubringen, eben weil es so niedrigem Niveau stagnieren wird. Sie brauchen schwer ist, jüngere Nachfolger zu finden. gemäß ihren Talenten die bestmögliche Bildung, um Eigentlich eine Idealkonstellation für eine längere ihre Lernmotivation und Kompetenz auf das hohe freiwillige Lebensarbeitszeit! Man muss nur die älteren Niveau zu führen, das in der deutschen Geschichte Erwerbstätig im Alter Die Silberne Revolution Von den 65- bis 74-Jährigen arbeiten in Bevölkerung in absoluten Zahlen (in Millionen) (Angaben in Prozent) Anteile der Altersgruppen in Prozent 11,8 Norwegen 82,3 81,8 18,7 79,8 80,4 79,0 78,1 78,4 23,6 26,3 76,8 14,3 20,4 30,5 36,2 73,6 Schweiz 73,1 20,0 19,4 15,8 37,3 17,1 38,9 10,0 Schweden 12,0 50,0 53,9 57,9 55,3 54,2 55,3 8,4 52,4 Dänemark 10,7 47,1 46,6 7,1 45,5 EU 8,1 4,1 Deutschland 7,2 30,0 28,4 26,8 7,6 Griechenland 21,7 21,7 6,1 18,4 17,0 16,7 16,1 15,6 4,6 Italien 5,5 2001 1960 1970 1980 1990 2000 2010 2020 2030 2040 2050 1,5 Frankreich 2011 3,5 über 60 Jahre 20 – 60 Jahre unter 20 Jahre Quelle: Eurostat; Berechnungen des DIW Berlin Quelle: Statistisches Bundesamt, 2009 liberal 2.2015 11
DIE GEKNIFFENE GENERATION DEMOGRAFISCHE VERLIERER des 19. Jahrhunderts für Deutschland noch so typisch bis in die jüngste Vergangenheit. Mit dem Abschied war. Dazu zählen – völlig gleichberechtigt – die akade- der Babyboomer aus dem Arbeitsmarkt wird das mische und die technisch-handwerkliche Ausbildung, vorbei sein. Es braucht dringend ein Stück amerikani- um die uns das Ausland noch immer beneidet. Gerade scher Start-up-Kultur in den deutschen Gewerbege- in der Differenzierung liegt die qualitative Stärke, und bieten, weit mehr als dies bisher rund um unsere nicht im zwanghaften Bemühen, Talente zu nivellieren Universitäten erkennbar ist. Dazu bedarf es einer und der Leistungskontrolle durch Noten zu entziehen. Top-Infrastruktur, vor allem im Kommunikationsbe- Und es zählt jene frühkindliche Bildung dazu, an der reich, in dem wir bisher nur mäßiges Mittelmaß anzu- es in Deutschland leider in der Fläche noch fehlt. All bieten haben. Es bedarf einer klugen Zuwanderungs- dies ist teuer, aber es ist fraglos die elementarste politik, die junge Fachkräfte aus dem Ausland nicht Investition in die Zukunft. abschreckt, sondern anzieht, so wie es uns Kanada und die USA vormachen. Und es bedarf vor allem der Zähmung jener unzähligen bürokratischen Monster, Bürokratische Monster zähmen die der Initiative junger Unternehmer Fesseln anlegen Allerdings: Gute Bildung genügt nicht. Sie muss sich in – von der Baunutzungsordnung bis zu arbeitsvertragli- wirtschaftliche Kraft zur Innovation umsetzen. Nur so chen Zwangsjacken, die auf das Neue nicht passen. kann es zu einem Fortschritt kommen, der auch gesellschaftliche Früchte trägt. Das nennt sich Wachs- FAZIT: Deutschland darf nicht länger von der Subs- tum, genauer: qualitatives Wachstum bei schrumpfen- tanz leben, sondern muss neue Substanz schaffen. Nur der oder stagnierender Bevölkerung. Dazu bedarf es so lassen sich Generationengerechtigkeit und Nach günstiger Rahmenbedingungen, also eines innovati- haltigkeit erreichen, und zwar in einem umfassenden KARL-HEINZ PAQUÉ, onsfreudigen Klimas, in dem Start-ups nicht skeptisch Sinn (und nicht nur ökologisch!). Dies geht nur, wenn ehemaliger Finanzminister von beäugt, sondern junge Unternehmer gefördert und der Staat allen die Chance gibt, mutig und motiviert ihr Sachsen-Anhalt, ist Dekan der ermuntert werden. Ein solches Klima herrscht in Schicksal in die Hand zu nehmen. Dazu braucht die Fakultät für Wirtschaftswissen- schaft der Otto-von-Guericke- Deutschland nicht. Als Volk der industriellen Ingeni- Politik gute Konzepte und große Entschlusskraft. Universität, Magdeburg. eurskunst schienen wir uns dies leisten zu können – Nichts davon ist derzeit in Berlin erkennbar. ● paque@ovgu.de Wie viele Menschen arbeiten in Deutschland? Steil ansteigender Altersquotient Altersquotient in Deutschland von 1870 bis 2050 Erwerbspersonen in Tausend (Skala rechts) 65-Jährige und Ältere je 100 20- bis unter 65-Jährige Veränderung zum Vorjahr (Skala links) 1.200 45.000 50 900 40.000 40 600 35.000 30 300 30.000 20 0 25.000 10 -300 20.000 -600 0 1870 1890 1910 1930 1950 1970 1990 2010 2030 2050 Foto: Privat 1990 2000 2010 2020 2030 2040 2050 2060 Quelle: Sachverständigenrat Quelle: Statistisches Bundesamt; Berechnung: BIB 2014 12 2.2015 liberal
ZWISCHENRUF Wer zahlt? „Wir versaufen unser Oma sein klein Häuschen“, Denn es gibt nicht genug von ihnen. Die Deutschen werden singt der Kölner in seliger Bierrunde nicht nur zum Karneval, weniger. laut Kurt Tucholsky ein Volkslied in seiner reinsten Form Doch um die gekniffene Generation kümmert sich diese „Wir verfrühstücken unser Kinder ihre Zukunft“ ist das Regierung nicht. Schließlich lassen sich bei den Babyboo- Motto der Generationenpolitik der großen Koalition heute. mern und den Alten, bei denen, die heute die Mehrheit stellen in unserem Land, mehr Wählerstimmen holen als bei Für Tucholsky war es der Moralwechsel von der sparsamen den Jungen. Großmutter, die mit ihren Spargroschen das Familienheim geschaffen hatte, zu der grölenden Korona der Enkel, die Die Wichtigen von morgen sind den Mächtigen von heute das Familienvermögen „durch die Gurgel jagen“. Vorbei die schnurzegal. Sie haben keine Lobby. Um sie sorgen sich nur Zeiten guter deutscher Tugenden. „Spare in der Zeit, dann die Liberalen. Aber denen haben die Anhänger von Merkel & hast Du in der Not.“ Unwichtig. Das war gestern. Gabriel ja eine Bundestagsauszeit verordnet. Union und SPD können für sich in Anspruch nehmen, diesen Moralwechsel zu perfektionieren. Sie schleudern heute Die Liberalen kümmern sich, stellen mit Recht die Frage in Milliarden raus, die die nächste Generation erst noch den Mittelpunkt: Können wir Alten uns darauf verlassen, erwirtschaften soll: Rente mit 63, Mütterrente, Mindestlohn. dass unsere Kinder unseren Verzehr auch wirklich bezahlen Wir haben’s ja! Und der Rheinländer tröstet sich beim können, wollen, wenn der Ober kommt? Ist es überhaupt zehnten Kölsch: „Et hätt noch immer jot jejange!“ (Auf verantwortbar, immer noch ‘ne Runde auf ihre Rechnung zu Deutsch: Es ist doch immer gut gegangen …) bestellen? Herr Schäuble lässt sich für die schwarze Null feiern, die Die Betroffenen selbst haben die Hoffnung auf „sichere doch in Wahrheit Herrn Draghi zu verdanken ist. Die Renten“ längst aufgegeben, haben kein Vertrauen mehr in deutschen Wähler werden eingelullt. Und wenn die Leute, das System und die handelnden Politiker. Wählen? Nein die was von Volkswirtschaft verstehen, warnend die Stimme Danke! erheben, denkt die Kanzlerin eher darüber nach, ihre Berater abzuschaffen, als sich um die Sorgen derer zu kümmern, die Aber niemand sollte sich darauf verlassen, dass unsere Enkel die Party dereinst bezahlen sollen, diejenigen, die gerade eines Tages wirklich für unsere Schulden aufkommen. erst ihre Existenz aufbauen wollen, vielleicht eine Familie Vielleicht haben die auch keine Lust mehr, immer weiter für gründen. unser sattes Leben zu zahlen. Vielleicht sagen sie auch einfach mal „Nein!“ und pfeifen auf das Solidarsystem. Die sind gekniffen! Die müssen in Zukunft bezahlen, was wir uns heute großzügig genehmigt haben. Aber bis dahin sind Der derzeitige Generationenvertrag ist die Lasten viel zu schwer geworden für deren Schultern. ein Vertrag zulasten Dritter. Karl-Ulrich Kuhlo Immer weniger Beitragszahler Rentner Beitragszahler 12 3 2 Quelle: GDV 1900 1990 2050 liberal 2.2015 13
DIE GEKNIFFENE GENERATION INTERVIEW „Jeder kann gründen!“ Deutschland lebt gut. Noch. Denn Deutschland lebt von der Substanz. Immer weniger Leistungsträger werden in naher Zukunft die (Renten-)Lasten von immer mehr (Renten-)Empfängern tragen müssen. Die heute noch junge Generation ist die gekniffene Generation der Zukunft. Die Entwicklung ist klar absehbar. Und die Politik der Großen Koalition verschärft die Situation dramatisch. Trotzdem bleibt alles ruhig, gespenstisch ruhig. Keine Proteste. Keine Demos. liberal fragte Lencke Steiner, erfolgreiche Mittelständlerin in Bremen und mit ihren 29 Lebensjahren selbst Mitglied dieser gekniffenen Generation. // INTERVIEW // DAVID HARNASCH Frau Steiner, haben Sie das Gefühl, dass Ihre haupt nicht repräsentiert. Als Vertreterin des Mittel- Generation die eigenen Interessen hinreichend stands und der Familienunternehmen kritisiere ich deutlich artikuliert? Existiert überhaupt ein die starken Eingriffe in die unternehmerische Freiheit Bewusstsein für die Probleme der aktuellen wie Mindestlohn und Frauenquote. All das geht völlig Entwicklungen? am Ziel vorbei und wird Schaden anrichten. Es gibt Bei jungen Menschen spielen gesellschaftspolitische eine riesige Lücke für die Werte Freiheit, Eigentum, Entwicklungen und Probleme sicher nicht die Rolle, Verantwortung und Selbstverwirklichung. Und ich die sie verdient haben. Ich selbst war früher auch eher habe große Lust darauf, diese Lücke zu füllen! jemand, der sich nicht so stark für politische Themen interessiert hat. Ich glaube, dass die junge Generation Sie kennen ja nicht nur die Bedürfnisse junger einfach nicht so intensiv mit Politik konfrontiert wird. Unternehmer - welche Themen treiben denn Es gibt zu wenig Politik- und Wirtschaftsunterricht in aktuell Ihre gleichaltrigen Freunde um, die ange- den Schulen. Das ist ein wirkliches Problem, was wir stellt sind? anpacken müssen. Junge Menschen müssen frühzeitig Wir sind da gar nicht so verschieden (lacht). Meine ans politische Geschehen herangeführt werden – im Freunde fragen sich natürlich auch, wie es beruflich Unterricht, aber auch zu Hause. Bei mir hat sich das mit ihnen weitergeht, wie sie Familie und Beruf ver- mit meiner unternehmerischen Tätigkeit und meinem nünftig vereinbaren können, wie sie ein glückliches Verbandsengagement dann auch schnell geändert. Leben führen und ihre Ideen und Ziele umsetzen Foto: A. Kreuz/Die jungen Unternehmer können. Warum haben Sie gerade jetzt beschlossen, der FDP als Spitzenkandidatin für Bremen zur Sie kommen nicht aus der Berufspolitik, sondern Verfügung zu stehen? Dafür gab es ja schon haben verschiedene Blickwinkel auf politische komfortablere Momente. Fragen, die teilweise sehr unterschiedlich sind: Als Mitglied der jungen Generation fühle ich mich Ein konservativer Familienunternehmer hat ja durch die Große Koalition bei der Rente mit 63 über- andere Sorgen und Nöte als ein junger Start-Up- 14 2.2015 liberal
ZUR PERSON LENCKE STEINER, 29, ist Gesicht und die Stimme des Bundesver- bands der Jungen Unternehmer, engagiert sich beim Bundesverband der Familienunternehmen, ist Konzernbeirätin der Bahn, Aufsichts- rätin, Schirmherrin für einen Studi- enpreis, leitet mit der Familie ihr Unternehmen, wirkt bei einer erfolg- reichen Fernsehshow mit und enga- giert sich auch noch ehrenamtlich politisch für die FDP in Bremen. 15
DIE GEKNIFFENE GENERATION INTERVIEW dürften Sie aus der Vox-Show „Die Höhle der Löwen“ bekannt sein. Hier sind Sie einer von vier potenziellen Investoren, denen Unternehmens- gründer ihre Ideen vorstellen. Da dieses Format auf Vox ein Millionenpublikum erreicht, vermute ich, dass es mehr dazu beiträgt, den Gründergeist in Deutschland zu befördern als viele Sonntagsre- den und viele politische Programme. Definitiv ein klares Ja! Das war tatsächlich auch meine Motivation. Ich verkaufe keinen Feinkostbecher mehr, nur weil ich um 20.15 Uhr bei Vox sitze. Ich wollte die Gründerszene beleben und auch den Menschen draußen aufzeigen, was jeder Einzelne aus seinem Leben machen kann: Jeder kann gründen! Egal, wie alt – wir hatten Gründer dabei, die waren 17, 18 und wir hatten welche, die waren 68, hatten Langeweile mit ihrer Rente und wollten noch etwas bewegen. Egal, was für ein Mensch du bist und woher du kommst, wenn du eine Vision hast, wenn du an deinen Traum glaubst und ihn verwirklichen willst und dann - das haben leider einige unterschätzt - noch das richtige Geschäftskonzept dahinter entwickelst, dann kann wirklich jeder gründen. Und auch, wenn nachher Ideen durchgefallen sind, ist keiner als Verlierer raus- gegangen, sondern für mich war wirklich jeder Einzel- ne ein Gewinner. Gründer auf der Suche nach Risikokapital. Wel- che Perspektive überwiegt? Eigentlich müsste die Show ja noch bessere Ein- Ich versuche, all diese Perspektiven mit in meine schaltquoten erzielen, wenn es statt Risikokapital Meinungsbildung einfließen zu lassen und offen auf eine sofortige Verbeamtung zu gewinnen gäbe alle Menschen zuzugehen. Ich hoffe, nur wenige – denn unter jungen Uni-Abgängern wird die viel Vorurteile zu haben – und wenn ich mich mal bei häufiger als Lebensziel angegeben als erfolgreiche einem ertappe, muss ich schmunzeln, versuche dann Selbstständigkeit. Haben Sie eine Erklärung, aber auch nachzuhaken und es zu überprüfen. Ich warum ausgerechnet im reichen, von der Krise habe in den letzten Jahren mit Frau Merkel, Herrn kaum tangierten Deutschland Sicherheit so einen Steinbrück und Herrn Özdemir gesprochen, gerade hohen Stellenwert für junge Leute hat? habe ich beim Bundespräsidenten Gauck über Gene- Darüber habe ich auch schon gegrübelt. Es geht uns in rationengerechtigkeit diskutiert. Ich will Ansichten Deutschland verdammt gut. Ich möchte nicht tau- über Parteigrenzen hinweg und Leute aus allen Le- schen müssen, aber selbst wirklich arme Menschen bensbereichen kennenlernen, denn jede Rolle ist für sind hierzulande zum Glück nicht an Leib und Leben das Funktionieren der Gesellschaft wichtig: Ob das ein bedroht. Unser Lebensstandard ist hoch und jeder will Staatsoberhaupt, ein Gründer, ein Geschäftsführer, ein ihn sich individuell sichern. Darüber wird aber überse- Lagermitarbeiter oder ein Hausmeister ist – jeder ist hen, dass er gefährdet ist, wenn niemand mehr per- kritisch für den Apparat. Und deshalb interessieren sönliche Risiken eingehen will. Ich war bei der Hoch- mich auch all ihre Perspektiven. In den Diskussionen schule St. Gallen und habe mich mit dem Thema des mit diesen Menschen konnte ich einen sehr breiten „Clash of Generations“ beschäftigt. Dort waren hun- Blick auf unterschiedliche Themen bekommen und dert „Young Leaders of Tomorrow“ und Vertreter der meine eigenen Argumente schärfen und pointieren. älteren Generation. Mein Vater ist heute 71, in der Generation war die Motivation zur Arbeit ganz klar: Die liberal-Leser kennen Sie aus verschiedenen Geld, Macht und Status. Wenn man unsere Generation Talkshows, aber den meisten anderen Menschen befragt, hat sich das komplett verändert, wir wollen … 16 2.2015 liberal
… Work-Life-Balance. Genau! Schönes Wort! Ich hasse es, denn „work“ und „life“ gehören zusammen. Ohne gute Arbeit kann ich mir kein gutes Leben leisten. Und wer das Glück hat, an der Arbeit Spaß zu haben, der hat auch dadurch ein gutes Leben. Für mich ist das nicht trennbar und auch nicht in Balance zu bringen, weil beide Begriffe in dieselbe Waagschale gehören. Den Begriff hört man nie von Krankenschwestern oder Müllwagenfahrern, die rein physisch nicht 16 Stunden täglich voller Freude harte körperliche Arbeit leisten können, sondern von den Abgän- gern der Elite-Uni St. Gallen. Leider ja! Ich sehe da durchaus unseren Leistungs- standard gefährdet. Schaut man sich an, welche Vor- sätze sich die Leute weltweit fürs neue Jahr nehmen, findet man überall „mehr Geld verdienen“ und „beför- dert werden“ – außer bei uns in Deutschland. Hier Als Vertreterin des Mittelstands rangiert „Stressabbau“ vor „sich mehr Zeit für die und der Familienunternehmen schönen Dinge nehmen“. kritisiere ich die starken Eingriffe Sich in einem eigenen Unternehmen zu verwirk in die unternehmerische Freiheit lichen, ist bei aller Arbeit für viele Leute hoch befriedigend. Und auch das deutsche Publikum wie Mindestlohn und Frauenquote. verschlingt Berichte über Silicon-Valley-Helden, lässt sich aber vom Gründungsfieber kaum an stecken. Haben Sie eine Idee, wie man das abge sehen vom Fernsehen popularisieren kann? Fernsehen ist ein unheimlicher Hebel, alleine unsere nachgetreten. Diese Kultur des Scheiterns müssen wir Show hatte über zwei Millionen Zuschauer. Ich glaube, etablieren. Da sind ganz stark die Medien gefragt, die wir brauchen einerseits Vorbilder, andererseits müs- einen starken Einfluss auf die Gesellschaft haben. Da sen wir als Gesellschaft aufhören, das Unternehmer- müssen wir ansetzen und Geschichten bringen, die tum zu verurteilen. Wir haben leider eine sehr starke zeigen, dass Fehlermachen auch erlaubt ist. Aus Feh- Neidgesellschaft. lern kann man nur lernen - das darf man nicht verur- teilen, sondern muss es einfach nur annehmen und Schon in Schulbüchern werden ja Unternehmer sagen: „Das mache ich nächstes Mal anders!“ und Angestellte als Antagonisten dargestellt, deren Interessen sich keinesfalls irgendwie über- Was kann denn die Politik tun, um gründungs- lagern könnten … freundlicher zu werden? Außer Steuern durch Absolut! Das hat sich aber Gott sei Dank verbessert. eine riesige Bürokratie schleusen, um sie ausge- Wir haben auch im Verband stark daran gearbeitet, wählten, von Beamten als zukunftsträchtig erach- dass zumindest Familienunternehmer einen anderen teten Unternehmen zu überweisen? Ruf haben. Früher war der Unternehmer immer gleich Der Bürokratieaufwand und auch unser Steuersystem der Ausbeuter und der böse Kapitalist - das ist ein sind für Investoren völlig abschreckend. Da kommt Fotos: M. Fuchs; AFP/Getty Images richtiges Imageproblem. Und bei den Gründern fehlt kein Chinese und auch kein anderer freiwillig hierher uns eine Kultur des Scheiterns, wie es sie in Amerika - es muss sich etwas ändern! Derzeit wird ja diskutiert, gibt. Wer in Deutschland auf die Nase fällt, darf nicht die Doppelbesteuerung auf Veräußerungsgewinne in mehr aufstehen. Statt dem die Hand zu reichen, zu Beteiligungen wieder einzuführen. Wenn so ein Anti- gratulieren und zu sagen: „Toll, dass du es versucht Angel-Gesetz in Kraft träte, wäre es das Todesurteil für hast! Komm, neuer Versuch! Wir helfen dir!“ wird eher die Start-Up-Szene. Eine weitere Option wären steuerli- liberal 2.2015 17
DIE GEKNIFFENE GENERATION INTERVIEW che Abschreibungen, wenn Beteiligungen schiefgehen. Das ist im Moment nicht möglich, da muss man ran. Dafür gäbe es ja Vorbilder: Einige US-Bundes staaten und Israel haben solche Regeln. Eben, da ist es möglich und wir sollten uns daran orientieren. Der Staat kann aber nicht nur Investoren, sondern auch Gründern direkt das Leben erleichtern: Man könnte Gründer etwa im ersten Jahr von den quartalsweisen Umsatzsteuervoranmeldungen befrei- en. Auch Aufbewahrungsfristen könnte man von zehn auf drei Jahre verkürzen. Ich habe gerade ein Unter- nehmen gegründet, da kam ein Riesenpaket Rechnun- gen: Berufsgenossenschaft, Kammer, Handelsregister, einige davon übrigens gefälscht – so gut, dass man wirklich niemandem, der so etwas bezahlt, einen Vorwurf machen kann. Da gibt es also noch viel Ver- besserungspotenzial und Handlungsspielraum. Nun sind das Themen der Bundespolitik. Ihr Erste Priorität ganz klar: unmittelbares Wirkungsfeld ist aber Bremen, das Mehr Investitionen in Bildung. ja in den letzten Jahrzehnten suboptimal gema- nagt wurde. Und wir müssen den Man könnte auch einfach sagen: kaputtgewirtschaftet. Haushalt konsolidieren. Es gibt sehr viel zu tun. Dann priorisieren Sie mal! Erste Priorität ganz klar: Mehr Investitionen in Bil- dung. Und wir müssen den Haushalt konsolidieren. attraktiv genug ist und die Leute ihre Kinder hier nicht Reichen denn Investitionen? Oder muss das auf die Schule schicken wollen, können die Arbeitge- System zunächst umgebaut werden? ber das nicht ausgleichen. Man muss das System natürlich umstrukturieren. Doch schon ein Blick auf den Haushalt zeigt, dass Sonst sind die weichen Standortfaktoren doch Bildung in Bremen unterfinanziert ist. In den letzten nicht schlecht – Bremen ist eine schöne Stadt und Jahrzehnten wurde nur an der Struktur herumgebaut, attraktiv gelegen. und das eigentliche Problem darüber völlig vernach- Man kann in 20 Minuten von der Innenstadt mitten lässigt: Schulqualität und Bildungsarmut. Eine große ins Grüne fahren, da beginnt dann ein Naturschutzge- Aufgabe, die damit einhergeht, ist die Integration von biet. Das ist wirklich schön! Die Weser, die Wümme, Kindern mit Migrationshintergrund. Damit muss die Ochtum, lauter kleine Flüsse, das macht Lebens- früher angefangen werden. Kitas müssen schon zu qualität aus. Aber wir sind nun mal nicht Bad Bremen, Bildungseinrichtungen für sprachliche Förderung wer- der Luftkurort. Wir haben den weltweit größten Um- den, die gewährleisten, dass in der Grundschule alle schlaghafen für Automobile und sind ein sehr großer mit einigermaßen vergleichbarem Sprachniveau Industrie- und Logistikstandort. Wir haben große starten können. Konzerne hier mit Mondelēz, Kellogg's, Beck & Co.; wir sind Europas größter Luft- und Raumfahrtstandort. Was ist am zweitwichtigsten? Wir müssen dafür sorgen, dass die Wirtschaft sich Das Problem lässt sich vom gerade angesprochenen wohlfühlt. Dafür braucht es eine Willkommenskultur nicht trennen: Fachkräftemangel. Wir haben in Bre- für Investoren und es müssen die Rahmenbedingun- men sehr viele Uni- und Hochschulabsolventen, die gen stimmen, damit die Wirtschaft sich entwickeln nur leider nicht hierbleiben. Wenn die Stadt nicht und wachsen kann. 18 2.2015 liberal
… ist Punkt drei? vorne steht. Für mich ist es jetzt in erster Linie wichtig, Sie geben den Punkten eine Hierarchie, das ist nicht neutral zu bleiben. Parteineutral ist bürgernah, die korrekt, denn diese Themen „beste Bildung“, „florie- wenigsten Menschen haben ein Parteibuch. Auch ich rende Wirtschaft“, „gesunde Umwelt“ und „fließender möchte primär für die Themen stehen und erst in Wirtschaftsverkehr“ sind gleichermaßen wichtig und zweiter Linie das Parteilabel draufkleben. Ich glaube, Schlüssel für eine moderne Großstadt mit Lebens ich erreiche damit auch eine Reihe von Politikverdros- qualität. Was die Wirtschaftsfaktoren betrifft, gehe ich senen und Nichtwählern, die sagen, jetzt finde ich gern auf einige Beispiele ein. Da sind wir beim Gewer- diese Themen toll, damit kann ich mich identifizieren besteuerhebesatz, bei der Grundsteuer, bei der Büro- und ich gehe jetzt wieder hin. Das ist mein Traum. kratie und bei der Frage, ob man überhaupt Gewerbe- grundstücke kaufen und bebauen kann. Das Wie eng sind Sie denn in die Parteiaktivitäten versuchen Sie mal hier in Bremen! Da haben Sie eingebunden? Kriegen Sie mit, wie die Stimmung richtig „Spaß“! Unsere Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, außerhalb Bremens ist? dass sich die Wirtschaft hier wohlfühlt, und das kann Die Stimmung ist sensationell! Ich bin, obwohl ich kein sie nur, wenn die Rahmenbedingungen stimmen, Mitglied bin, überall dabei. Ich war auch gerade mit heißt: stabile Steuersätze, zur Verfügung stehende Katja Suding, Nicola Beer und Christan Lindner beim Fachkräfte, ausbildungsfähige Jugendliche, fließender Dreikönigstreffen: Aufbruchstimmung, neuer Esprit, Verkehr und eine Bauordnung, die Gründung und neues Gesicht! Man merkt, dass sich was getan hat Expansion fördert. Des Weiteren würde ich eine und sich etwas bewegt. Man sieht ja auch die Umfra- Willkommenskultur für Investoren und für die bereits gen: Immerhin vier Prozent - das hat sich fast verdop- hier ansässige Wirtschaft etablieren. Die Stadt sollte pelt. Ich warte jetzt auf sechs, sieben, acht Prozent. Ich sich als Dienstleister verstehen. Ansätze hierzu sind war gestern in Hamburg und habe Katja unterstützt. wettbewerbsfähige Gewerbe- und Grundsteuersätze. Und ich kann mich da auf die Hamburger verlassen; Eine Bürokratie, die uns nicht von der eigentlichen die werden dann auch zu uns nach Bremen kommen. Arbeit abhält, ein Bauamt, das das Wachstum und den Da halten wir zusammen – trotz der besonderen Ausbau nach vorne bringt und zu guter Letzt das gegenseitigen „Zuneigung“, die man beiden Städten ja Thema Verkehr. Der Verkehr muss fließen! Es kann nachsagt (lacht). Wissen Sie, was der Norden ist? nicht sein, dass wir hier überall Tempo 30 festlegen, Kompetent, hübsch, hanseatisch. ● was sich Rot-Grün tatsächlich überlegt. In Wohnstra- ßen ist es natürlich eine wichtige und richtige Maß- nahme, auf Wirtschaftswegen allerdings unpassend. Gigaliner-Projekte sollten wir prüfen, statt diese zu verteufeln, und „Schlauampeln“ würden nicht nur für fließenden Verkehr sorgen, sondern auch zu einer geringeren CO2-Belastung beitragen. Das ist für mich der Alltag in einer modernen Großstadt. Jetzt engagieren Sie sich für die FDP, sind aber - es sei denn, das hat sich in den letzten Stunden geändert - immer noch kein offiziell eingeschrie- benes Mitglied? Das stimmt! Was muss für diesen Schritt denn noch geschehen? Es ist ja ungewöhnlich, sich als Fotos: M. Fuchs; AFP/Getty Images Außenstehende so zu exponieren. Es zeichnet die FDP aus, dass bei ihr eine Chancen- und Leistungsgerechtigkeit gelebt wird. Man lässt auch Quereinsteigern die Chance, die Spitzenkandidatur zu übernehmen und etwas zu bewegen, wenn diese Person für diese Themen und somit für die Partei liberal 2.2015 19
FUNDSTÜCK EINE EINS MIT DREIZEHN NULLEN! Dieser Geldschein mit dem Nennwert von zehn Trillionen Dollar wurde 2008 von der Nationalbank Simbabwes ausgegeben. Die von der Regierung Simbabwes politisch bestimmte Geld- mengenpolitik der Reserve Bank hatte seit Längerem zu hohen Inflationsraten geführt. Von Anfang 2008 bis Anfang 2009 herrschte in SIMBABWE HYPERINFLATION mit allen negativen Begleiterscheinungen, bis schließlich die Währung aufgegeben werden musste. Im Juli 2008 betrug die Inflations- rate 231.000.000 Prozent. Die Preise verdoppelten sich nahezu täglich. 2009 ließ die Regierung des afrikanischen Landes schließlich Fremdwährungen zu und legalisierte damit die ohnehin verbreitete Praxis, mit Rand, Euro oder US-Dollar zu bezahlen. Die vorbedruckten Banknotenpapierbögen für das Spielgeld stammten übrigens von einem deutschen Lieferanten. WUTPROBE Alles ist vergeben // TEXT // DAVID HARNASCH // ILLUSTRATION // ERNST MERHEIM D as Massaker in Paris war leider viel zu erwartbar, um halb- wegs aufmerksame Zeitgenossen „schockieren“ zu können. Empörung war die angemessene Reaktion, übrigens auch auf die mediale „Aufarbeitung“: Noch bevor die vier Juden beerdigt waren, die aus dem einzigen ganz konkreten Grund ermordet wur- den, dass sie Juden sind, drehte sich der mediale Diskurs ausschließ- lich um die Frage, welche eventuellen Unannehmlichkeiten aus potenziellen Reaktionen auf das Gemetzel die wichtigere Minderheit treffend: Lutz hat in unendlicher Großzügigkeit die Kriegserklärung zu gewärtigen haben könnte. der Fundamentalisten dankend abgelehnt, ohne dabei ein Jota Die Stimmung wütender Solidarität in der gesamten westlichen zurückzuweichen. Charlie vergibt dem Islam. Ein gütiger, trauriger Welt war noch auf ihrem Höhepunkt, als die überlebenden Redak- Mohammed vergibt Charlie. Oder gerade nicht? Schließlich handelt teure das von Zeichner Lutz entworfene Cover der Folgeausgabe es sich um Satire. Fantastische Ambivalenz, aus tiefster Trauer von Charlie Hebdo der Weltöffentlichkeit vorstellten. Es bedarf geschöpft. keiner prophetischen (excuse the pun) Fähigkeiten, um dem wei- Die Reaktionen ließen nicht lange auf sich warten, Ambivalenz nenden Mohammed mit „Je suis Charlie“-Schild unter der Über- halten Religioten bekanntlich nicht aus: In Pakistan, Algerien und schrift „Tout est pardonné“ schon jetzt einen Status als eines der Palästina gab es Demonstrationen und gewalttätige Krawalle. In wirkmächtigsten Kunstwerke des Jahrhunderts zuzugestehen. Nie Niger brannte ein französisches Kulturzentrum, vier Menschen sah ich eine Karikatur, die gleichzeitig so treffend, berührend, wurden getötet, über 40 verletzt. Hunderte Menschen waren zuvor tröstend, originell, klug, politisch inkorrekt und dabei erstaunlicher- nach dem Freitagsgebet vor das Kulturzentrum gezogen. Sie trugen weise auch noch witzig ist. Eine Zeichnung, die dem Betrachter Plakate: „Ich bin Mohammed, nicht Charlie“. Das, liebe Demonstran- minutenlang die Sprache nimmt und ihn zu Tränen rührt. Nie war ten, ist die Ursache für viele Missstände, unter denen Ihr zu leiden ein so naives, einfaches Bildchen auf so vielen Ebenen perfekt habt, und also Euer sehr gravierendes Problem. Nicht unseres. ● 20 2.2015 liberal
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