VINOMED - Deutsche Weinakademie
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VINOMED MAGAZIN FÜR WEIN, LEBENSSTIL & GENUSS NOVEMBER // 2020 Wein zum Abendessen: Für Diabetiker auf Rezept? // Pioniere der Weinkultur: Carl Zuckmayer // Wein und biologische Effekte: Stimmt die J-Kurve noch? // Weinkonsum im Kontext: Gibt es ein Krebsrisiko? //
2 // VINOMED // AUS DER WISSENSCHAFT WEIN ZUM ABENDESSEN: FÜR DIABETIKER AUF REZEPT? „Cyathus vinosus cum cibus quaque die post meridiem“ – so etwa könnte die Verordnung eines Achtels Wein mit der Abendmahlzeit lauten, die der Münchner Facharzt für Innere Medizin, Endokrinologie und Diabetologie Prof. Kristian Rett im Rahmen der Empfehlungen zu einem gesunden Lebensstil für Prä- und Typ-2-Diabetiker anregt. Moderater Weingenuss = Teil des außerdem auf die Blutgerinnung, die Endothelfunktion mediterranen Lebensstils und auf Entzündungsparameter. In seinem Übersichtsartikel bemängelt der Diabetologe, dass die medizinischen Programme zur Patientenversor- Definition mediterraner Trinkmuster verbessern gung zwar explizit auch die mediterrane Ernährung emp- Nach Retts Ansicht muss jedoch auch die Definition me- fehlen, allerdings fehle dabei der moderate Weingenuss diterraner Trinkmuster verbessert werden. So vergibt die zur Abendmahlzeit, der traditionell in vielen Mittelmeer- derzeit verbreitete MEDAS-Skala (Mediterranean Diet ländern gepflegt werde und für dessen günstige Effekte Adherence Screener) einen Pluspunkt, wenn mindestens es eine gute Datenlage gebe. So hatte sich in der italieni- sieben Gläser Wein pro Woche getrunken werden. Dies schen MOLI-SANI-Studie ein moderater Weinkonsum als berücksichtigt jedoch weder das Geschlecht noch die die Komponente einer mediterranen Ernährungsweise empfehlenswerte Verteilung über die Woche und den mit dem größten vorteilhaften Einfluss auf die Herz- und Konsum zu einer Mahlzeit. Nötig sei es auch, klare Emp- Gefäßgesundheit von Typ-2-Diabetikern erwiesen. Und fehlungen für Situationen auszusprechen, in denen in der ADVANCE-Studie an gut 11.000 Typ-2-Diabetikern Abstinenz oberstes Gebot ist. Ansonsten aber sollte hatte moderater Weinkonsum im Vergleich zu Abstinenz das Glas Wein zum Abendessen den Platz in ärztlichen die Sterblichkeit günstiger beeinflusst als die medikamen- Lebensstilempfehlungen für (Prä-)Diabetiker bekommen, töse Senkung von Langzeitzucker und Blutdruck. den es aufgrund der Evidenz verdient. Folge man der Evidenz, ließen sich der noch immer weit VERBESSERUNGSVORSCHLÄGE ZUR BEURTEILUNG verbreiteten Unsicherheit in Sachen Weingenuss entge- DES MEDITERRANEN WEINKONSUMS: genwirken und gut informierte Entscheidungen treffen. oderater Konsum = Frauen 5 – 20 g Alkohol/Tag, Männer 10 – 40 g/Tag m Pluspunkt nur, wenn auch folgende Kriterien einfließen: Da alkoholische Getränke blutzuckersenkend wirken, Nüchternheit am Arbeitsplatz und im Straßenverkehr sollten sie von Diabetikern ohnehin nur im Rahmen einer 1 bis 2 abstinente Tage pro Woche Mahlzeit konsumiert werden. Dazu kommen beim Wein Abstinenz für Schwangere, Stillende, Kinder und Jugendliche, bei bekannter Suchtproblematik, mentalen Problemen, die Effekte seiner phenolischen Bestandteile, die sich bestimmten Krankheiten und Medikamenten ebenfalls günstig auf den Zuckerstoffwechsel auswirken, Vergleich des Effektes medikamentöser Maßnahmen mit moderatem Weinkonsum auf wichtige Ereignisse nach der ADVANCE-Studie, n = 11.140 Typ-2-Diabetiker mit hohem Risiko für Herz- und Gefäßerkrankungen, von 30 % der Teilnehmer Angaben zum Konsum alkoholischer Getränke, Fettdruck = signifikante und klinisch relevante Verbesserung Medikamentös erzwungene Medikamentöse Blutdrucksenkung Moderater Weinkonsum* Senkung des Langzeitzuckers von 140/75 auf 135/73 vs. Abstinenz HbA1c von 7,4 auf 6,6 % relative relative relative NNT# NNT# NNT# Risikosenkung Risikosenkung Risikosenkung Herz- und 6% 166 8% 143 22 % 59 Gefäßerkrankungen Komplikationen an 14 % 67 9% 143 15 % 33 kleinen Blutgefäßen Gesamtsterblichkeit 7% 142 14 % 83 23 % 83 # NNT = Number Needed to Treat, Anzahl Patienten, die behandelt werden müssen, um ein Ereignis zu verhindern * moderater Weinkonsum = < 14 Drinks/Woche für Frauen, < 21 Drinks für Männer, entsprechend < 20 bzw. < 30 g Alkohol = ca. 1 Glas pro Tag für die Frau, 2 Gläser für den Mann Quelle: Rett, K: Should we prescribe abstinence or wine once a day with supper in diabetes and prediabetes? Journal of Cardiovascular Medicine and Cardiology 2020;7:152–156
VINOMED // WEINKULTUR // 3 PIONIERE DER WEINKULTUR: CARL ZUCKMAYER Wein ist ein Kulturgut mit langer Tradition. Weingenießer, die einen maßvollen Lebensstil pflegen, sehen nicht nur die eigene Gesundheit, sondern auch die ihrer Mitmenschen als hohes Gut an. Auch wenn ein moderater Weinkonsum heute als wesentliches Element der Weinkultur gilt, so ist er keineswegs neu. Seit der Antike wird er aufgrund seiner positiven Wirkungen auf das körper- liche, seelische und soziale Wohlbefinden geschätzt. Die Deutsche Weinakademie stellt auf ihrer Internetseite Persönlichkeiten vor, die die Weinkultur aktiv geprägt oder weiterentwickelt haben. In die Wiege gelegt Weinphilosoph Zuckmayer Dem berühmten deutschen Schrift- „Der fröhliche Weinberg“ wurde in steller Carl Zuckmayer, der in den 1920er Jahren zum größten Nackenheim als Kind von Flaschen- deutschen Theatererfolg. Doch das kapselherstellern zur Welt kam, allein macht Zuckmayer noch nicht wurde die Liebe zum Wein praktisch zum Pionier der Weinkultur. Es ist in die Wiege gelegt. Der Wein spiel- vielmehr die Tatsache, dass er nicht te in seinem ersten Bühnenstück nur Weinliebhaber und -genießer, „Der fröhliche Weinberg“ von 1925 sondern auch Weinkenner und -phi- eine Hauptrolle. 1955 erhielt Carl losoph war. Seine Weinphilosophie Zuckmayer den Deutschen Wein- ist in dem Essay „Was weiß die Welt kulturpreis. Sein Lebenswerk strotzt über Wein“ nachzulesen, in dem Carl-Zuckmayer-Briefmarke (1996). trotz Verfolgung durch die National- Quelle: gemeinfrei er die Mühsal der Weinbereitung sozialisten, Berufsverbot und Emi- ebenso benennt wie die erfreu- gration von hoher schriftstellerischer die Darstellung der Zustände jedoch lichen Wirkungen des moderaten Produktivität. Zu seinen größten Er- nicht erfreut und drohten Zuckmayer Weingenusses: „Und es scheint, dass folgen gehören die Theaterstücke gar Prügel an. Dabei liebte er seine den sogenannten Genussgiften, „Der Hauptmann von Köpenick“, das Heimat und den rheinhessischen nicht nur im Gebrauch der Medizin, 1931 erstaufgeführt wurde, sowie Wein: „Wir pflegten früher Weine sondern ganz allgemein, gewisse „Des Teufels General“ von 1946. ganz unfachlich, rein stimmungsmä- lebensfördernde, sogar schöpferi- ßig, einzuteilen in Gesprächsweine, sche Elemente innewohnen. Eine „Der fröhliche Weinberg“ ist eine lus- Schweig-Weine, Streit-Weine, Grübel- total entgiftete, nur nach sanitären tige, aber auch derbe Komödie aus Weine, Liebes-Weine und so weiter – Grundsätzen ernährte Menschheit Zuckmayers rheinhessischer Heimat. die Rheinhessen-Weine galten uns wäre vermutlich längst zugrunde Durch sie wurde Nackenheim be- damals schon als ,Lach-Weineʻ, oder gegangen, oder zumindest der Ver- kannt, die Einheimischen waren über auf höherer Stufe als ,Mozart-Weineʻ.“ blödung heimgefallen.“ Quelle: https://www.deutscheweinakademie.de/kultur-gesellschaft/pioniere-der-weinkultur
4 // VINOMED // DWA INTERN COVID-19: WISSENSCHAFTLICHER BEIRAT DER DWA POSITIONIERT SICH KLAR Seit Beginn der Corona-Pandemie sind viele, teils sehr •Ü bermäßiger Alkoholkonsum schwächt das Im- unseriöse Pressemeldungen zu Wein und COVID-19 ver- munsystem und verringert somit die Fähigkeit des öffentlicht worden. Da die DWA nur Kenntnisse vermit- Körpers, mit Infektionskrankheiten umzugehen. telt, die auf einer wissenschaftlichen Evidenz beruhen, distanziert sie sich klar von unbewiesenen Aussagen. •U nabhängig von Corona empfehlen wir den moderaten Auf seiner Sitzung am 08. 10. 2020 positionierte sich der Weinkonsum gemäß den Wine in Moderation-Richt- Wissenschaftliche Beirat der DWA deutlich dazu und linien. Dies bedeutet, dass der Weinkonsum nicht ein bekräftigte seine bestehenden Leitlinien für einen ver- bis zwei Standardgläser (ca. 150 bis 300 ml) pro Tag antwortungsvollen Weinkonsum, die selbstverständlich überschreiten und am besten im Rahmen einer Mahl- auch in Corona-Zeiten gelten. zeit erfolgen soll. Hingewiesen sei insbesondere auf die Lebenssituationen, in denen auf den Konsum alkoho- In der dazu formulierten Stellungnahme (1) hielt der Bei- lischer Getränke jeglicher Art gänzlich verzichtet wer- rat folgende Punkte fest: den sollte (wie z. B. Schwangerschaft oder Suchtgefahr). • Der Konsum von Wein schützt nicht vor COVID-19. • E in bis zwei Abstinenztage in der Woche sind empfeh- lenswert. •W ein sollte nicht getrunken werden, um eine Infektion zu verhindern oder zu behandeln. (1) www.deutscheweinakademie.de WEIN UND GESUNDHEIT: DIE „J-KURVE“ IST ECHT Gibt es tatsächlich, wie von Kritikern oft behauptet wird, keinen „sicheren“ Weinkonsum? Oder anders gefragt: Ist die so häufig beobachtete und gut dokumentierte J-förmige Beziehung zwischen dem Konsum alkoholischer Getränke und gesundheitlichen Endpunkten bis hin zur Gesamtsterblich- keit „echt“? Diesen Fragen widmete sich am 17. 06. 2020 der Münchner Ernährungswissenschaftler Prof. Dr. Nicolai Worm in einem Online-Seminar des Wine Information Council (WIC). statistische Beziehung zwischen dem Konsum alkoho- lischer Getränke und der Sterblichkeit insgesamt, insbe- sondere jedoch der Sterblichkeit an koronaren Herzkrank- Prof. Dr. Nicolai Worm, München, heiten und kardiovaskulären Krankheiten, zeigten (1, 2). Ernährungswissenschaftler und Publizist, Beirat der Deutschen J-förmig bedeutet: Im Vergleich zur Abstinenz sinkt das Weinakademie (DWA) relative Risiko bei leichtem und moderatem Konsum, um erst bei hohen Konsummengen anzusteigen. Konsistente Evidenz Aufgrund der bis dato vorliegenden epidemiologischen Zunächst zeichnete Worm die Datenlage im Lauf der Studien bestehe kein Zweifel daran, dass die „J-Kurve“ Jahrzehnte nach: Beginnend mit Ländervergleichsstudien weiterhin valide ist: Moderater Weinkonsum ist kon- aus den 1980er Jahren hatte sich bereits eine verringerte sistent mit einem geringeren Risiko für Herz-Kreislauf- Koronarsterblichkeit bei steigendem Weinkonsum ge- Erkrankungen, Diabetes Typ 2 und mit einer allgemein zeigt. Allerdings erlauben solche beobachtenden Stu- höheren Lebenserwartung assoziiert. Daher werde heute dien keine Aussagen über einen Ursache-Wirkungs-Zu- nicht mehr über den Verlauf der Kurve diskutiert, son- sammenhang. Ab den 1990er Jahren erschienen dann dern über ihren Nadir: bei welcher Dosis die Effekte am prospektive Beobachtungsstudien, die eine J-förmige größten sind.
VINOMED // DWA INTERN // 5 Konsum alkoholischer Getränke und Gesamtsterblichkeit in den USA n = 333.247, Follow-up 8,2 Jahre, 34.754 Todesfälle Kein Vergleich mit dem (8.947 durch kardiovaskuläre Krankheiten, 8.427 durch Krebs) Rauchen Widerlegen konnte Worm auch den oft geäußerten Vergleich, Log-Hazard-Ratio für Gesamtsterblichkeit 0,6 der Konsum alkoholischer Ge- tränke sei ebenso gesundheits- 0,4 →K eine Risikosteigerung schädlich wie Zigarettenrauchen. bis zu Studien haben klar gezeigt, dass 13–14 Drinks/Woche 0,2 oder 2 Drinks/Tag es beim Rauchen – im Gegensatz zum Wein – keine „J-Kurve“ gibt, 0,0 →1 Drink = 14 g Alkohol, sondern eine lineare Risikoerhö- z. B. 150 ml Wein hung (6). Das heißt: Bereits die mit 12 Vol.-% erste Zigarette ist schädlich und 0 10 14 20 30 Aktueller Alkoholkonsum (Drinks/Woche) kann somit nicht mit moderatem Weinkonsum verglichen werden. Quelle: Xi, B et al., J Am Coll Cardiol 2017;70:913–922 Allerdings können auch prospektive lischen Getränken ist Wein zudem auch wichtig zu betonen, dass der Kohortenstudien lediglich Assozia- reich an Polyphenolen. Sie verbes- moderate Weinkonsum in einen ins- tionen aufzeigen. Von höherer Evi- sern oder erhalten die Funktion des gesamt gesunden Lebensstil einge- denz wären randomisierte, place- Endothels und die Elastizität der bunden sein muss, um seine günsti- bokontrollierte Interventionsstudi- Blutgefäße, wirken antioxidativ und – gen Wirkungen zu entfalten. Wie dies en. Diese sind in Ernährungsfragen eine noch recht neue Erkenntnis – aussehen kann, zeigte er beispielhaft jedoch kaum durchführbar, da die verändern die Darmflora positiv (4). anhand der mediterranen Ernäh- Teilnehmer bemerken würden, ob Daher fanden sich in vielen Studien rungspyramide sowie an der von ihm sie Wein oder „Placebo-Wein“ be- bei Weingenuss ausgeprägtere Ef- entwickelten FlexiCarb-Pyramide, kämen. So bleiben zur Beurteilung fekte als bei anderen alkoholischen die beide nicht nur den moderaten der Evidenz vor allem prospektive Getränken (5). Dem Ernährungswis- Weinkonsum, sondern auch weitere Beobachtungsstudien und Meta- senschaftler Worm war es jedoch Lebensstilfaktoren berücksichtigen. Analysen daraus. Gestützt werden deren Ergebnisse, wenn die Daten- Die FlexiCarb-Pyramide lage konsistent, biologisch plausibel Ihre verdienten Extra-Carbs und durch bekannte Mechanismen Säfte, Softdrinks selten erklärbar ist. Dass dem so ist, legte Lightgetränke, Früchte-Smoothies Prof. Worm ebenfalls dar. Wellnesswasser, Fruchtsaftschorle Wein: mehr als ein Gemüsesäfte alkoholisches Getränk moderater ausreichend So sprechen neben der epidemio- Weinkonsum Schlaf täglich Schwarzer/grüner logischen Evidenz auch folgende Tee, Kaffee belegte Effekte für den moderaten Weinkonsum: Da wären zunächst die gute Fette Wasser, Früchte- und Kräutertee genügend Auswirkungen des Alkohols selbst. Sonnenlicht In moderaten Dosen erhöht er HDL- Weitere Informa- tionen unter Cholesterin und Adiponektin und er- Flexi-Carb-Pyramide gewichtet nach Energiedichte, Nährstoffdichte, http://flexicarb. rivaverlag.de Kohlenhydrate/GL, Verarbeitungsgrad, nach Worm/Lemberger/Mangiameli niedrigt LDL-Cholesterin, Fibrinogen Quelle: © riva Verlag, 2015; ISBN 978-3-86883-546-5 und die Plättchenaggregation (3). Im Gegensatz zu anderen alkoho- (1) Renaud, SC et al., Epidemiology 1989;9:184–188 | (2) Roerecke, M, Rehm, J, Addiction 2012;107:1246–1260 | (3) de Gaetano, G et al., Nutr Metab Cardiovasc Dis 2016;26:443–467 | (4) Cueva, C et al., Molecules 2017;22:99 | (5) Wood, AM et al., Lancet 2018;391:1519–1523 | (6) de Gaetano, G et al., JACC 2017;70:923–925
6 // VINOMED // WISSEN ONLINE WEINKONSUM IM KONTEXT: GIBT ES EIN KREBSRISIKO? Am 30. 09. 2020 stand Prof. Ramon Estruch beim Wine Information Council (WIC) online Rede und Antwort zu der Frage: Wie sind die Zusammenhänge zwischen dem Konsum alkoholischer Getränke und insbesondere von Wein und dem Risiko von Krebserkrankungen evidenzbasiert zu bewerten? licher Konsum sei krebsfördernd, für gerte Gesamt-, kardiovaskuläre und falsch. Zur Begründung führte er an, Krebssterblichkeit gefunden. Schon dass sich ein deutlich differenzierte- das zeige, dass ein Pauschalurteil in res Bild ergibt, wenn folgende wich- Sachen alkoholischer Getränke nicht tige Punkte berücksichtigt werden: gerechtfertigt ist. die verschiedenen Krebsarten, die Art der Getränke, das Trinkmuster sowie der Kontext der gesamten Er- Risiken bei hohem Konsum nährungsweise und des Lebensstils. Mund und oberer Rachenraum Eine 2018 (1) veröffentlichte Studie Prof. Dr. Ramon Estruch, Kehlkopf hatte den Zusammenhang zwischen Mitglied des Wine Information Council (WIC), Internist an der Universitätsklinik Barcelona, gesundheitsrelevanten Lebensstil- Speiseröhre Professor der Universität Barcelona faktoren und der weiteren Lebens- erwartung im Alter von 50 Jahren Der Kontext entscheidet untersucht. Neben dem Nichtrau- Brust bei Frauen Gleich zu Beginn seines Vortrags chen, einem normalen Body-Mass- Leber bekräftigte Prof. Estruch, dass es kei- Index, einer gesunden Ernährung ne Zweifel daran gibt, dass ein hoher und regelmäßiger Bewegung war Konsum alkoholischer Getränke das als fünfter Punkt ein mäßiger Kon- Darm Risiko für verschiedene Krebserkran- sum alkoholischer Getränke (sie- kungen steigert. Dennoch halte er he Tabelle) einbezogen. Die Studie die, unter anderem vom amerikani- hatte für Männer und Frauen mit schen Krebsforschungsinstitut AICR jedem zusätzlichen Punkt auf der geäußerte, pauschale Aussage, jeg- Lebensstilskala eine deutlich verrin- Quelle: modif. n. Cancer Research UK, 2014 Risikoreduktion pro zusätzlichem Lebensstilfaktor Anzahl der Lebens- stilfaktoren mit geringem Risiko1 0 1 2 3 4 5 Referenz- Gesamtmortalität gruppe –21 % –39 % –53 % –65 % –74 % Referenz- CVD-Todesfälle gruppe –25 % –46 % –60 % –72 % –82 % Todesfälle Referenz- durch Krebs gruppe –17 % –32 % –47 % –56 % –65 % 1 iedrigrisikofaktoren sind: Nichtrauchen, mindestens 3,5 Stunden moderate bis kräftige körperliche Aktivität pro Woche, eine hohe Ernährungsqualität und moderater N Konsum alkoholischer Getränke (= 5–15 g Alkohol/Tag für Frauen, 5–30 g für Männer), BMI < 25
VINOMED // WISSEN ONLINE // 7 Mediterran essen und trinken wie das „Underreporting“, das gerade beim Thema alko- Den Kontext der Ernährungsweise hält Estruch für den holische Getränke besonders ausgeprägt sein und die wichtigsten Einflussfaktor. So hatte eine Interventions- Studienergebnisse erheblich verfälschen kann. So hätten studie (2) bei täglichem Weingenuss nur dann eine ver- bei Frauen die angegebenen Trinkmengen bis zu 60 Pro- ringerte Krebsmortalität gefunden, wenn dieser im zent unter den tatsächlichen Mengen gelegen (6). Kommen Rahmen einer mediterranen Ernährung erfolgt war. Der Studien ohne Berücksichtigung des „Underreportings“ zu Unterschied zur Kontrolldiät war signifikant (p = 0,03). dem Ergebnis, dass schon bei moderatem Konsum das Die Meta-Analyse von Schwingshackl et al. (3) fand nicht Brustkrebsrisiko steige, ist das schlicht falsch, weil der nur ein verringertes Krebsrisiko bei mediterraner Ernäh- Konsum in Wahrheit viel höher lag. rung, sondern ermittelte darüber hinaus den moderaten Weinkonsum als stärksten Einzelfaktor dieses Essmusters. Phenole im Blickpunkt Dies zeige, wie wichtig es ist, nicht nur zwischen maßvol- Was speziell den Wein angeht, so hob Estruch dessen lem, moderatem und hohem Alkoholkonsum zu unter- phenolische Inhaltsstoffe hervor, die das Krebsrisiko scheiden, sondern auch danach, ob regelmäßig oder nur entscheidend modulieren, weil sie auf allen Stufen der gelegentlich getrunken wird, ob es sich um Wein oder Krebsentstehung und -progression günstig einwirken ein anderes Getränk handelt und ob es im Rahmen einer können. Ihre Wirkungen reichen von antioxidativen und gesunden Ernährungsweise wie der mediterranen Ernäh- antientzündlichen Effekten bis hin zur Hemmung von rung und im Rahmen einer Mahlzeit genossen wird. Wachstumsfaktoren wie mTOR und der Induktion von schützenden Sirtuinen (siehe Abbildung). Binge drinking – absolutes No-Go Da vor allem Rotwein deutlich mehr Wie entscheidend es sein kann, „binge drinking“, also Polyphenole als Bier enthalte, sei bei 92 mg 300 mg den Konsum mehrerer Getränke (mehr als 4) zu einer Wein auch mit deutlicheren Wirkungen Trinkgelegenheit, auszuschließen, zeigte Estruch an zwei zu rechnen. 330 ml 150 ml Beispielen: So war das Risiko für Prostatakrebs in einer Studie mit älteren finnischen Zwillingen nur dann signi- Prof. Estruch wies darauf hin, dass für jeden Menschen je fikant erhöht, wenn sie zu den „binge drinkern“ gehör- nach Alter, Geschlecht, Krankheiten und Risiken eine indi- ten (4). Ähnlich verhielt es sich beim Brustkrebsrisiko viduelle Nutzen-Risiko-Abwägung vorzunehmen ist. Dazu dänischer Krankenschwestern (5): Es war signifikant er- sei es auch notwendig, mehr Interventionsstudien zu höht, wenn mehr als 10 Drinks (à 12 g Alkohol) an einem diversen Endpunkten durchzuführen, die Ess- und Trink- Wochenende konsumiert wurden, auch wenn dies im muster berücksichtigen. Er sei zuversichtlich, dass sich Wochendurchschnitt nur ein moderater Konsum gewe- dann zeigen werde, dass ein moderater Weingenuss im sen wäre. Weitere Fallstricke bei der Erforschung der Rahmen einer gesunden (mediterranen) Ernährung das Zusammenhänge böten Confounder, also Fehlerquellen Krebsrisiko senke. ↓ KREBS ↓ ENTZÜNDUNGEN ↓ Arachidonsäure, inflam- Balance zwischen pro- ↓ NO ↓ oxidativer Stress ↓ inflammatorische matorische Prostaglandine und antiinflammato- ↓ Zellproliferation Angiogenese und Leukotriene rischen Zytokinen ↑ Autophagie en o xid Regulation von t ic k He mm o nS T1 NF-kB und MAPK- IR CO un g gv S R X2 v , PL o n C Signalwegen m un t ion mT O A2 O m d uk n , LO X1 , He In g vo X un POLYPHENOLE em m H (1) Li, Y et al., Circulation 2018;138:345–355 | (2) Ostan, R et al., Nutrients 2015;7:2589–2621 | (3) Schwingshackl, L et al., Nutrients 2017;9:1063 | (4) Dickermann, BA et al., Cancer Causes Control 2016;27:1049–1058 | (5) Mørch, LS et al., Eur J Clin Nutr 2008;62:817–822 | (6) Vance, MC et al., JAMA Intern Med 2020;180:459–461
8 // VINOMED // QUERBEET Corona-Shutdown: Nur jeder 3.200 Personen im Alter zwischen 12. konsumierte viel mehr 18 und 80 Jahren durch. Davon Verantwortungsvolle alkoholische Getränke gaben 37,4 Prozent an, mehr alko- Weinwerbung In den ersten Wochen des corona- holische Getränke als zuvor konsu- bedingten Shutdowns stieg der Ab- miert zu haben. Bei knapp 30 Pro- satz alkoholischer Getränke um zent war es jedoch nur etwas mehr. sechs Prozent an. Waren das Hams- Lediglich rund 8 Prozent gaben „viel terkäufe? Oder ist tatsächlich der mehr“ an. Die Wissenschaftler emp- Konsum gestiegen? Um diese Frage fehlen, hier besonderes Augenmerk zu klären, führten das Zentral- auf die Suchtprophylaxe zu legen. Mitte Oktober fand ein Online-Se- institut für Seelische Gesundheit (ZI) Rund 20 Prozent der Befragten be- minar zum Thema Weinwerbung in Mannheim zusammen mit der richteten über einen geringeren statt. Ein Thema, das viele Erzeuger Klinik für Psychiatrie und Psychothe- Konsum alkoholischer Getränke, und Händler interessierte. Neben rapie am Klinikum Nürnberg eine rund 40 Prozent hielten ihr Trink- Dr. Claudia Stein-Hammer (DWA), anonyme Online-Befragung unter verhalten für unverändert. die berichtete, was das Thema über rechtliche Rahmenbedingungen hi- Änderungen des Konsumverhaltens naus mit Wine in Moderation zu 8,3 0,4 tun hat, konnte mit Katja Heintschel von Heinegg (Foto), Geschäftsfüh- rerin des Deutschen Werberates, gleich viel etwas mehr eine kompetente Fachfrau gewon- 29,1 41,0 etwas weniger viel mehr nen werden. Sie machte den Teil- viel weniger begonnen nehmern deutlich, was in der Wein- werbung geht und was nicht, wo 9,1 12,1 die Grauzonen sind und dass das, was offline gilt, auch den Rahmen Quelle der Umfrage: https://www.zi-mannheim.de/institut/news-detail/umfrage-37-prozent-trinken-mehr-alkohol.html für online vorgibt. Führt Corona zu einem höheren Weinkonsum? Freunden ein Glas Wein zu trinken, stieg der häus- Auch Prof. Dr. Gergely Szolnoki, Institut für Wein- und liche Konsum. Das bedeute jedoch nicht, dass während Getränkewirtschaft, Schwerpunkt Marktforschung, der der Krise insgesamt mehr getrunken wurde. Denn vor Hochschule Geisenheim University, hat Befragungen Corona lag der Hauskonsum von Wein bei ca. 50 Prozent, zum Thema Corona und Mehrkonsum durch- die andere Hälfte des Weines wurde also außer Haus geführt. Er berichtet, dass anfänglich nicht klar konsumiert. Theoretisch hätten die Weintrinker während war, wie sich der Konsum alkoholischer Geträn- des „Lockdowns“ zu Hause daher doppelt so viel Wein ke weiterentwickeln würde. Da es zu Beginn der trinken müssen, um die durchschnittliche Menge des Ausgangsbeschränkungen keine Möglichkeit gab, Vorjahres zu erreichen. Und das sei ein sehr unrealis- etwa im Restaurant oder beim Besuch von tisches Szenario. Sind Sie am Thema Wein und Gesundheit interessiert? Unter www.deutscheweinakademie.de können Sie sich für den dwa.letter anmelden. Herausgeber Redaktion Gestaltung Deutsche Weinakademie GmbH Dr. Claudia Stein-Hammer (V. i. S. d. P.), Seippel & Weihe Platz des Weines 2, 55294 Bodenheim Ulrike Gonder Kommunikationsberatung GmbH info@deutscheweinakademie.de www.seippel-weihe.com Telefon: 06135/9323144 Fotohinweis www.deutscheweinakademie.de Titel © Lilechka75, istock; S. 3, 6 Deutsche Weinakademie GmbH; S. 4 privat, Nicolai Worm; Produktion S. 8 Katja Heintschel von Heinegg, ZAW, Berlin; bk betterkonsult S. 8 privat, Prof. Dr. Gergely Szolnoki www.betterkonsult.de Die redaktionellen Texte basieren auf Informationen, die wir als zuverlässig ansehen. Eine Haftung ist jedoch ausgeschlossen. Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung des Herausgebers.
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