Vorwort von Dr. Torben Giese - StadtPalais

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Vorwort von Dr. Torben Giese - StadtPalais
Vorwort von Dr. Torben Giese
Seit Mitte des Jahres 2020 diskutiert die städ-
tische Gesellschaft in Stuttgart nun über die
aktuellen Perspektiven auf die Erinnerung
an den letzten württembergischen König
Wilhelm II. Auslöser dieses Diskurses war die
Neupositionierung des Denkmals von König
Wilhelm II. von Hermann-Christian Zimmerle
durch das Team des StadtPalais – Museum für
Stuttgart.

Zu der ersten Phase des Diskurses bis Mitte
des Jahres 2020 ist im September 2021 das
erste »Begleitheft zum langen Diskursjahr
2021« erschienen, welches die aufgrund der
Corona-Pandemie ausschließlich digital statt-
gefundenen Vorträge, Gespräche und Diskus-
sionen dokumentiert und der interessierten
Öffentlichkeit zugänglich gemacht hat.
                                                      Wirken von König Wilhelm II. von Württem-
Diesem ersten Begleitheft folgt nun das               berg erläutert. Das dokumentierte Gespräch
zweite, welches den digitalen Diskurs zwi-            vom 12.5.2021 mit dem Titel »Ein Denkmal für
schen Juli 2020 und dem Frühjahr des Jahres           den Bürgerkönig Wilhelm II.« mit Bertram
2021 analog erschließt. Damit sollen ganz             Maurer fokussiert den Entstehungsprozess
gezielt diejenigen Teile der Gesellschaft er-         des Denkmals am Wilhelmspalais. Das Heft
reicht werden, die die sozialen Medien kaum           endet schließlich mit der Vorstellung Work-
oder gar nicht nutzen. Auch diesen Gruppen            shop-Ergebnisse am 19.5.2021, die im Rahmen
soll die Möglichkeit gegeben werden, sich die         einer Google-Forms Umfrage von den Bürge-
Inhalte des Diskurses über die Erinnerung an          rinnen und Bürgern der Stuttgarter Stadtge-
König Wilhelm II. zu erschließen.                     sellschaft erhoben wurden.

In diesem Begleitheft sind vor allem die bei-         Mit dem Erscheinen dieses zweiten Diskurs-
den großen Podiumsdiskussionen »Die De-               heftes war und ist der Diskurs über Württem-
batte um den Standort von König Wilhelm II.«          bergs letzten König Wilhelm II. aber noch
vom 1.7.2020 und »Wo steht die Erinnerung an          nicht zu Ende. Nutzen Sie die digitalen und
König Wilhelm II. von Württemberg heute?«             analogen Möglichkeiten des StadtPalais –
vom 17.3.2021 aufgearbeitet. Ergänzt wird das         Museum für Stuttgart, um sich selbst ein
Diskursheft durch den Vortrag von Dr. Edith           Bild von und eine Meinung über König
Neumann vom 2.10.2020, der besonders                  Wilhelm II. von Württemberg zu machen.
prägnant und kompakt das Leben und

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Vorwort von Dr. Torben Giese - StadtPalais
Ausstellung:
»Wilhelm II. – König von Württemberg«
2. 10. 2021 bis 27. 3. 2022
Anlässlich des 100. Todestages von König                     Das StadtPalais hat für diese Ausstellung
Wilhelm II. von Württemberg im Oktober                       zahlreiche kostbare und noch nie gezeigte
2021 hat das StadtPalais – Museum für Stutt-                 Leihgaben aus Privatbesitz und aus öffent-
gart es sich gemeinsam mit dem Haupt-                        lichen Sammlungen zusammentragen. Mit
staatsarchiv Stuttgart zur Aufgabe gemacht,                  rund 400 Exponaten zeigt die Jubiläums-
einen neuen Blick auf den letzten und heute                  schau die prägendsten Stationen im Leben
noch beliebten Monarchen von Württemberg                     König Wilhelms II.: angefangen von der
zu werfen. Vom 2. Oktober 2021 bis 27. März                  glücklichen Kindheit im Prinzenpalais, der
2022 ist die große Sonderausstellung                         Studienzeit in Tübingen und Göttingen, der
                                                             Karriere des Thronanwärters beim Militär,
                                                             über die eigentliche Regierungszeit als König
  www.stadtpalais-stuttgart.de
                                                             von Württemberg bis hin zum einfachen
                                                             »Herzog« nach dem Ende der Monarchie 1918.
                                                             Dabei wird Wilhelm II. in seiner historischen
                                                             Rolle zwischen Pflicht und Kür im Privaten
                                                             und Öffentlichen geschärft.
 2.10.2021
 bis
 27.3.2022                                                   In der Ausstellung des Hauptstaatsarchivs
                                                             ist Württembergs letzter König im Kreise
                                                             seiner Freunde zu erleben. Fernab von jegli-
                                                             cher höfischen Inszenierung kommt Wilhelm
                                                             selbst in ungeahnter Offenheit zu Wort. In

 Wilhelm II.
                                                             privaten Briefen erzählt er von den Zwängen
                                                             eines Monarchen, von unerfüllter Liebe, Krieg
                                                             und Thronverzicht. Seine Zeilen sprühen aber
                                                             auch von der Begeisterung für die Jagd, den
                                                             Rennsport und die Kultur.

                                 König von Württemberg
                                                             Letztlich liefern sie prägnante Antworten
                                                             auf die Frage, wer Wilhelm wirklich war.

»Wilhelm II. – König von Württemberg«
im StadtPalais und im benachbarten
Hauptstaatsarchiv zu sehen. Schirmherr
der Ausstellung ist Ministerpräsident
Winfried Kretschmann MdL.

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Vorwort von Dr. Torben Giese - StadtPalais
Podiumsdiskussion
Die Debatte um den Standort des Denkmals
           von König Wilhelm II.
    im StadtPalais – Museum für Stuttgart
Wo ist der geeignete Platz für das Denkmal                     Stuttgarter Stadtgesellschaft am 1. 7. 2020 im
des letzten württembergischen Königs                           StadtPalais – Museum für Stuttgart diskutiert.
Wilhelm II. von Württemberg? Über diese                        Dabei wurde deutlich: Hinter dem Streit um
Frage hat eine Runde aus Akteur*innen der                      Wilhelm II. stehen größere Fragen.*

                 Aufzeichnung der Podiumsdiskussion vom 1.7.2020. Link: https://youtu.be/k9-UIxBB6CQ

Marc Gegenfurtner:                                             Kurzum: Ich habe das StadtPalais als Ort des
Meine lieben Freunde des StadtPalais! Als                      lebendigen Geistes, des Denkanstoßes und der
solche möchte ich all diejenigen bezeichnen,                   Begegnung kennen- und schätzengelernt. Ich
die im und mit dem StadtPalais diskutieren,                    freue mich, dass das auch weiterhin der Fall ist.
streiten, sich austauschen und ihre Meinung                    In diesen Zeiten und gerade auch, wenn es um
sagen. Also all das tun, was gute Freunde tun.                 kontroverse Themen geht.
Die Tatsache, dass die Diskussion um den                       Ich muss gestehen, dass mir Wilhelm II. lange
Denkmal-Standort Wilhelms II. in den Medien                    Zeit fremd war. Mich hat die Skulptur mit den
bereits vor der Corona-Pandemie zur überge-                    beiden Hunden anfangs eher irritiert – was
ordneten Frage nach der Stadt und der Regio-                   übrigens rein wirkungstechnisch sehr für ein
nalgeschichte wurde, hat mich – als zwar nicht                 Kunstwerk im öffentlichen Raum spricht. Ich
mehr ganz neuen, aber auch noch nicht histo-                   habe mich erst jetzt eingehender mit dem
rischen Kulturamtsleiter – dazu veranlasst, Sie                Thema befasst, als es durch die Zeitungen in
mit ein paar Worten zu begrüßen.                               den öffentlichen Diskurs rückte, Ich bin froh,
Seit etwa einem Jahr darf ich, der ich in der                  dass man sich heute endlich zusammensetzt,
Region aufgewachsen bin, mich nun wieder                       um über die Frage nach dem richtigen und
eingehender mit Stuttgart beschäftigen. Ich                    dem angemessenen Erinnern an den letzten
konnte in dieser Zeit im StadtPalais Aspekte                   König Württembergs zu diskutieren. Das
der Stadtgeschichte kennenlernen, die mir                      spricht sehr für das StadtPalais als Diskursort.
bis dahin tatsächlich eher unbekannt waren.                    Ich muss auch gestehen, dass die Art und
Als »Zurückgekehrter« konnte ich Stuttgart so                  Weise, wie der inhaltliche Austausch bislang
etwas anschaulicher und durch die vielen Be-                   mitunter ablief, mein »Neu-Stuttgart-Bild«
züge zur Gegenwart auch neu kennenlernen.                      auch wieder ein klein wenig ins Wanken ge-
Ich war zuletzt in München tätig – und beim                    bracht hat. Denn im Zuge der Neubeschäf-
Umsiedeln in die alte Heimat hat mir auch das                  tigung mit dieser Stadt ist mir aufgefallen, dass
auf einer StadtPalais-Stofftasche abgedruckte                  das immer schon vorherrschende große kul-
Ringelnatz-Zitat geholfen: »Stuttgart ist schön,               turelle Selbstbewusstsein seit ein paar Jahren
gegen dieses scheiß München ein Paris!«                        noch offener und aufgeschlossener wurde.

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* Moderiert wurde der Abend von Jan Sellner von der Stuttgarter Zeitung. Marc Gegenfurtner, Leiter des Kulturamts
der Stadt Stuttgart, sprach ein Grußwort. Dr. Edith Neumann, Sammlungsleiterin und stellvertretende Direktorin des
StadtPalais – Museum für Stuttgart führte inhaltlich in die Thematik ein.

An der Podiumsdiskussion waren folgende Akteur*innen beteiligt: Dr. Torben Giese, Direktor StadtPalais – Museum für
Stuttgart, Professor Dr. Wolfram Pyta, Professor für Neuere Geschichte und Leiter der Abteilung für Neure Geschichte
am Historischen Institut der Universität Stuttgart, Dr. Wolfgang Müller, Vorsitzender AgS Stuttgart (Arbeitsgemeinschaft
Stadtgeschichte Stuttgart). Darüber hinaus Veronika Kienzle, Bezirksvorsteherin Stuttgart- Mitte, Dr. Albrecht Ernst,
stellvertretender Leiter des Hauptstaatsarchivs Stuttgart und Lisa Gerlach, Stuttgarter Bürgerin und Briefschreiberin.

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Vorwort von Dr. Torben Giese - StadtPalais
bestritten und verhöhnt werden, sollten wir uns
                                                       gut überlegen, wie wir Demokraten uns auch
                                                       in scheinbar kleineren Angelegenheiten begeg-
                                                       nen. Wissenschaftlichkeit, die rechthaberisch
                                                       wahrgenommen wird, ist nicht zielführender
                                                       als Rechthaberei, die wissenschaftlich tut.
                                                       »Der Weg des Geistes ist die Vermittlung, der
                                                       Umweg.«: Dieses Zitat des großen Stuttgarter
                                                       Philosophen Georg Wilhelm Friedrich Hegel,
                                                       dessen 250. Geburtstag wir dieses Jahr mehr
                                                       schlecht als recht feiern können, hing im ver-
                                                       gangenen Jahr groß am Hegel-Haus. Für einen
                                                       solchen vermittelnden Umgang möchte ich
               Marc Gegenfurtner                       plädieren. Gerade auch im Bereich der Stadt-
                                                       geschichte, die in einem so großen Maße von
Darüber hinaus werden Diskussionen auf                 der Zusammenarbeit abhängt. Der Zusam-
Augenhöhe geführt und Meinungsverschie-                menarbeit von öffentlichem Dienst und
denheiten konstruktiv ausgetragen. Manche              Ehrenamt, also von professionell ausgebilde-
der Argumente, die ich in der Zeitung und              ten einerseits und andererseits von Historikern
auch in Zuschriften gelesen habe, haben mich           und anderen Menschen, die aus Leidenschaft
dann aber doch etwas erstaunt. Nicht, weil             zur Sache argumentieren.
hier vehement für die eigene Meinung einge-            Weil die Zusammenarbeit der verschiedenen
treten wurde – das halte ich mehr denn je für          Stuttgarter Einrichtungen mit der Bürgerschaft
eine demokratische Qualität und Errungen-              so vielfältig und vielstimmig ist, wird die Stelle
schaft, für die gerade in dieser Stadt in beson-       für Erinnerungskultur, die der Gemeinderat im
derem Maße gestritten wird. Aber wie mit-              Dezember 2020 beschlossen hat und die wir
unter eine wissenschaftliche Meinung und               demnächst ausschreiben wollen, im erinne-
deren Träger verbrämt wurden, das ließ mich            rungskulturellen Gefüge Stuttgarts auch eine
offen gestanden aufhorchen.                            wesentliche, moderierende Rolle spielen müs-
                                                       sen. Nicht nur, weil es so viele Meinungen und
        »In Zeiten, in denen weltweit                  Meinungsführende gibt, sondern auch, weil
                immer öfter und                        die Frage nach den noch weithin unerforsch-
             immer unverhohlener                       ten Aspekten der Stadtgeschichte eine immer
       wissenschaftliche Erkenntnisse,                 größere Rolle spielt. Unter anderem auch des-
         selbst von Staatsvertretern                   wegen, weil es nicht nur unerzählte Narrative
       bestritten und verhöhnt werden,                 gibt, sondern auch unerwähnte Narrateure,
        sollten wir uns gut überlegen,                 also bislang ausgeblendete Erzählende.
        wie wir Demokraten uns auch                    Sie sehen also, Stadtgeschichte ist ein sehr
            in scheinbar kleineren                     weites Feld und ich bin sehr gespannt, wie das
        Angelegenheiten begegnen.«                     heute Abend beackert wird. Das Wichtigste ist,
                                                       dass es fruchtbar und nicht furchtbar wird. In
               Marc Gegenfurtner                       diesem Sinne wünsche ich uns heute einen
                                                       ertragreichen Abend und auch in Zukunft eine
Man muss mit den Meinungen der Stadt und               lebendige und von Wertschätzung und Ge-
ihrer Fachleute selbstverständlich nicht un-           meinsamkeit geprägte Erinnerung. Ich darf
reflektiert einverstanden sein. Das zeichnet           nun das Wort an die Sammlungsleiterin
eine lebendige Stadtgesellschaft sogar aus.            Frau Dr. Edith Neumann übergeben.
Aber man sollte sich mit ihnen konstruktiv,
nicht pejorativ, auseinandersetzen. Zumindest,         Edith Neumann:
wenn man das auch umgekehrt erwartet. Wer              Auch ich begrüße Sie heute ganz herzlich im
Augenhöhe will, sollte sich nicht vorschnell           digitalen StadtPalais. Ich freue mich, dass diese
erheben. In Zeiten, in denen weltweit immer            wunderbare Podiumsdiskussion, die wir auf-
öfter und immer unverhohlener wissenschaft-            grund der Corona-Pandemie schon einmal
liche Erkenntnisse, selbst von Staatsvertretern        verschoben haben, heute stattfinden kann.

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Vorwort von Dr. Torben Giese - StadtPalais
Am Pult: Marc Gegenfurtner, sitzend (v.l.n.r.): Prof. Dr. Wolfram Pyta, Dr. Albrecht Ernst,
            Dr. Torben Giese, Jan Sellner, Veronika Kienzle, Dr. Wolfgang Müller und Lisa Gerlach

Ich gebe Ihnen eine kleine Einführung in das               1983 beschloss der Landesverband Baden-Würt-
Bild des Königs und in die Figurengruppe – als             temberg für Hundewesen anlässlich seines
Vorbereitung für die kommende, hoffentlich                 75-jährigen Bestehens, den Hundefreund
spannende Diskussion.                                      König Wilhelm II. zu ehren. Konkretisiert wurde
Die Podiumsdiskussion heißt »Die Debatte um                dies drei Jahre später, als der Tierarzt Dr. Hugo
den Standort der Figur von König Wilhelm II.«              Gehring auf eigene Kosten den 65-jährigen
Oder wie ich sagen würde: »Wie man an den                  Bildhauer Hermann-Christian Zimmerle aus
letzten König, Wilhelm II. erinnert.«                      Hemmingen mit einem Modell des Denkmals
Angefangen hat es mit dem schwäbischen                     beauftragte. Wiederum drei Jahre später war
Literaten Thaddäus Troll. Nach dem Ende der                das Modell fertig – dann ging es an die Finan-
Monarchie war der König erst einmal vergessen              zierung. Der Verleger und Autor Hans-Frieder
und es wurde nicht mehr groß über ihn ge-                  Willmann initiierte einen Spendenaufruf zur
redet. Erst im Jahr 1978 fiel Thaddäus Troll ein,          Realisierung der Figurengruppe. Der Verein
dass der König in der Stadt überhaupt keine                »Pro Stuttgart e.V.«, der seit 1987 ebenfalls
Rolle spielte und er ließ anlässlich seines 130.           unter dem Vorsitz von Willmann stand, unter-
Geburtstages einen Kranz auf dessen Grab                   stützte die Spendenaktion, und es gingen
legen, mit der Aufschrift: »Dem wahrhaft libe-             angeblich 250.000 D-Mark von der Bürger-
ralen Landesvater, seine treuen Württember-                schaft ein. Das Geld war also da, und die Bronze
ger«. Damit stieß er unwissentlich etwas an,               wurde gegossen. Aber man suchte noch nach
das Folgen haben sollte. Ab April 1980 begann              einem Aufstellungsort.
die Chefredakteurin der Stuttgarter Illustrier-            Das gestaltete sich schwieriger als gedacht,
ten, Anni Willmann, mit einer Artikelserie zu              denn weder die Stadtverwaltung noch das
»Württembergs geliebten Herrn und dem                      Land hatten einen Platz zur Verfügung ge-
Demokraten auf dem Königsthron«. Und es                    stellt – und eigentlich wollte diese Plastik
gab weitere Ideen: 1981 veranlasste der Ver-               keiner so wirklich haben.
schönerungsverein von Stuttgart, dass ein                  Man wusste nicht richtig, wie man diese Erin-
Abguss eines Bronzereliefs des Bildhauers                  nerung einordnen sollte, und schließlich kam es
Ludwig Habich aus dem Jahre 1911 in der da-                zu Diskussionen. 1991 erklärte Hannelore Jouly,
maligen Stadtbücherei angebracht wird. Es                  die damalige Direktorin der Stadtbücherei, dass
befindet sich auch heute noch im StadtPalais.              die Skulptur vor dem Wilhelmspalais stehen

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Vorwort von Dr. Torben Giese - StadtPalais
Kontext irgendeiner Zeremonie. Er ist ein ele-
                                                       ganter, gut gekleideter »Grandseigneur«, sieht
                                                       gut aus und hasst es eigentlich, Orden zu tra-
                                                       gen. Auf der einen Seite sehen Sie ihn im Jahr
                                                       1899. Da ist er bereits seit acht Jahren König.
                                                       Daneben sehen Sie ihn 1905. Das ist ungefähr
                                                       die Zeit, in der er die beiden Spitze in Hedel-
                                                       fingen gekauft hat. Das hier wiederum ist im
                                                       Jahr 1870: Er ist noch sehr jung und bereits
                                                       verheiratet. Sie sehen, die Bartmode hat bei
                                                       ihm stark gewechselt. Er wirkt entspannt, mit
                                                       bürgerlicher Kleidung und elegant angezogen.
               Dr. Edith Neumann                       Andere Aufnahmen des Königs sind eher sel-
                                                       ten, außer die offiziellen natürlich. Hier sehen
darf. Und tatsächlich – am 7. Mai 1991 wurde           Sie ihn nochmals älter, zwischen 1910 und 1912.
sie dort der Öffentlichkeit übergeben. Auch            Er steht im Garten von Friedrichshafen, also im
Herzog Karl von Württemberg stiftete Geld für          Urlaub, und ohne jeglichen Zwang, sich beson-
das Denkmal und war bei der Eröffnung an-              ders anziehen zu müssen. Es ist auch die Zeit,
wesend. Er freute sich über die Skulptur.              wie man ihn aus Erzählungen kennt, als er mit
1993 schrieb Anni Willmann nach den ganzen             den beiden Spitzen spazieren ging. Ein ande-
Ereignissen ihr Buch »Der gelernte König«.             rer Rückblick zeigt den ganz jungen Mann, mit
Darin tauchten viele Anekdoten zum König               15 Jahren wurde er Leutnant. Da klar war, dass
auf, viele Erzählungen und Nacherzählungen             Wilhelm Thronfolger wird, bereitete man ihn
von Menschen, die den König noch kannten.              gut auf dieses Amt vor – auch als obersten
Dieses Buch beflügelte die Erinnerung um               Befehlshaber des Landes. Er war im Krieg und
das Denkmal und den König weiter.                      im Militärdienst, und danach sozusagen eine
Die ganze Geschichte der Figurengruppe                 Weile auf »der freien Pirsch«. 1877 heiratete er
wurde von Dr. Torben Giese in einem Buch               in erster Ehe Marie zu Waldeck und Pyrmont.
über das Wilhelmspalais, das vergangenes Jahr          Noch im selben Jahr kam seine Tochter Pau-
erschienen ist, erstmals zusammengefasst.              line zur Welt. Sie ist das einzige Kind, das ihm
Dann kam die Neuaufstellung. Im Oktober                bleibt – Thronfolger Ulrich starb nach nur fünf
2013 wurde die Statue mit Zustimmung des               Monaten. Auch seine Ehefrau Marie verstarb,
Verkehrsvereins abgebaut und zwischenge-               und es wurde deutlich, dass König Karl immer
lagert. Es gab ein Versetzungsgutachten von            älter wird. Der junge Wilhelm II., oder damals
Juli 2013 und 2015 kam es zu einer neuen               nur Wilhelm, musste übernehmen.
Platzwahl. Die Abstimmung für die erneute
Aufstellung wurde in Absprache mit dem                      »Wir werden darüber nachdenken,
Planungsstab selbst und mit dem Architektur-             wie liberal das Land unter Wilhelm II. war,
büro LRO getroffen. Letzteres hat auch dieses                    wie stark er in seiner Rolle
Haus umgebaut. Als neuer Ort wurde der                        im Deutschen Reich sein konnte,
Garten des StadtPalais ausgesucht. Dann, im                  wie er überhaupt regieren konnte
September 2017, fand die Wiederauferstehung                       und wo er mit Ministern
der Skulptur tatsächlich statt – und heute ist                        regieren musste.«
sie bei sämtlichen Aktivitäten im Garten des
StadtPalais mitten im Geschehen.                                       Edith Neumann
Jetzt erzähle ich noch etwas zu Wilhelm II. –
und zwar eigentlich gerne anhand von Bildern,          Er vertrat immer öfter seinen Onkel Karl, und
denn wir haben ja eine Figurengruppe und               sah sich gezwungen, nochmals zu heiraten.
ein Abbild von Wilhelm II. Ich möchte ihn ger-         Hier sieht man ihn 1886 frisch verheiratet mit
ne ein bisschen als Person vorstellen. Anders          Charlotte zu Schaumburg-Lippe. Einmal ganz
als bei Karl von Württemberg, gibt es tatsäch-         offiziell, so wie er auch auf Gemälde-Porträts
lich zeitgenössische Fotografien von Wilhelm II.       auftaucht, mit seinen Orden und Auszeichnun-
Die Aufnahmen, die ich Ihnen heute vorstelle,          gen – eben in der Militäruniform des Oberbe-
zeigen ihn in der Regel privat, und nicht im           fehlshabers. 1891 wurde er König. Das Foto

                                                   6
Vorwort von Dr. Torben Giese - StadtPalais
zeigt ihn in der Anfangszeit seines Königtums.                     »Die Frage ist viel mehr:
Nach der heutigen Diskussion geht für mich                      Wie prominent soll Wilhelm II.
die Arbeit weiter, denn ich bereite derzeit eine               am StadtPalais und damit auch
Ausstellung vor. Zeigen werden wir sie im                    im Stadtbild in Erscheinung treten?«
nächsten Jahr, anlässlich des 100. Todestages                     Darüber diskutieren wir.«
von Wilhelm II. Hier sehen Sie das Plakat. Es ist
bereits fertig und es wird eine Fülle von Aspek-                           Jan Sellner
ten geben. Wir werden darüber nachdenken,
wie liberal das Land unter ihm war, wie stark er        gart-Mitte, und Torben Giese, Direktor und
in seiner Rolle im Deutschen Reich sein konn-           Hausherr des StadtPalais – Museum für Stutt-
te, wie er überhaupt regieren konnte und wo             gart. An seiner Seite Albrecht Ernst, der stell-
er mit Ministern regieren musste. All diese Fra-        vertretende Leiter des Hauptstaatsarchivs, und
gen stellen wir uns gerade, und wir freuen uns          Wolfram Pyta, Professor für Neuere Geschichte
auf eine gute Diskussion im Laufe der nächs-            und Leiter der Abteilung für Neuere Geschich-
ten Zeit, die wir weiterhin mit Ausstellungen           te am historischen Institut der Universität
und Veranstaltungen betreuen werden. Jetzt              Stuttgart.
übergebe ich das Wort an Herrn Sellner.                 Herr Giese, ich darf die erste Frage an Sie rich-
                                                        ten. Sie haben Wilhelm II. und seine zwei
Jan Sellner:                                            Hunde nicht persönlich abgesetzt, Sie haben
Auch von mir einen schönen guten Abend. Ich             ihn auch nicht persönlich in den Garten zu-
darf Sie sehr herzlich begrüßen. Mein Name ist          rückversetzt. Aber Sie stehen zu dieser Ent-
Jan Sellner, ich bin Leiter der Lokalredaktionen        scheidung. Was stört Sie an dem ursprüng-
von der Stuttgarter Zeitung und den Stuttgar-           lichen Standort vor dem StadtPalais?
ter Nachrichten. In unserer Redaktion hat die-
ses Thema sehr viel Raum eingenommen,
auch schon vor der Corona-Pandemie. Ich darf
den Abend mit einem Dank an Herrn Gegen-
furtner und Frau Neumann für diese sehr kom-
petente Einführung eröffnen. Wir werden uns
in der nächsten dreiviertel Stunde über ver-
schiedene Themen unterhalten. Über Denk-
mäler, die in der Weltgeschichte auch immer
mal wieder gestürzt werden können, wie wir in
diesen Tagen erneut erfahren. Wir sind uns, so
glaube ich, trotz unterschiedlicher Meinungen
einig: Wilhelm II. war kein Sklavenhalter, dessen
Denkmal im Neckar entsorgt werden müsste,
oder im fiktiven Meer, das demnächst hier                                  Jan Sellner
wieder rund um das StadtPalais entsteht.
Die Frage ist viel mehr: »Wie prominent soll            Torben Giese:
Wilhelm II. am StadtPalais und damit auch               »Stören« ist immer ein schwieriges Wort. Man
im Stadtbild in Erscheinung treten?« Darüber            muss es eigentlich umdrehen: Uns stört an
diskutieren wir.                                        dieser Statue gar nichts. Wir haben uns nur die
Es ist die Fortsetzung einer offenen Diskussion,        Frage gestellt: »Ist das das richtige Denkmal
die schon länger läuft, aber durch die Corona-          vor einem StadtPalais, das sich als Museum des
Pandemie unterbrochen wurde. Wir möchten                21. Jahrhunderts für Vergangenheit, Gegenwart
die Diskussion heute wieder aufnehmen. Ich              und Zukunft dieser Stadt versteht?« Auf diese
begrüße auf dem Podium sehr herzlich Frau               Frage sind wir zu dem Schluss gekommen, erst
Lisa Gerlach, eine Historikerin, die sich an der        mal grundsätzlich zu sagen: »Nein, das glauben
Diskussion und an der Debatte schon aktiv be-           wir nicht.«
teiligt hat. Ich darf außerdem Herrn Wolfgang           Warum? Weil wir glauben, dass König Wilhelm II.
Müller von der Arbeitsgemeinschaft Stadtge-             eine Identifikationsfigur für die ältere Genera-
schichte ganz herzlich begrüßen. Zudem                  tion dieser Stadt ist. Das ist er unumwunden,
Veronika Kienzle, Bezirksvorsteherin von Stutt-         das werden wir niemals in Frage stellen und

                                                    7
Vorwort von Dr. Torben Giese - StadtPalais
das ist auch vollkommen legitim. Aber wir                Jan Sellner:
glauben nicht, dass er eine Identifikationsfigur         Ist es wegen des Systems, wie damals schon
für alle Stuttgarter*innen ist. Daraufhin haben          der berühmte Ausspruch eines Revolutionärs
wir uns die zweite Frage gestellt: »Könnte er            lautet oder ist es wegen der Personen? Sie
es denn sein? Ist es vielleicht unsere Aufgabe           sagen selbst, Wilhelm II. ist einer der liberal-
als Museum, dafür zu sorgen, dass König                  sten, oder sogar der liberalste der damaligen
                                                         Fürsten.

                                                         Torben Giese:
                                                         Es ist interessant, wie man hier in Baden-Würt-
                                                         temberg dem Tag der Revolution von 1918/19
                                                         und mit der Absetzung des Königs umgegan-
                                                         gen ist. Die Frage nach dem »Warum« ist dabei
                                                         eigentlich unerheblich. Ob der König aufgrund
                                                         des Systems oder seiner Person gehen musste.
                                                         Er ist gegangen worden, so wie in allen ande-
                                                         ren deutschen Staaten auch. Ob das richtig
                                                         oder falsch war, ist für einen Historiker wie
                                                         mich immer schwierig zu beantworten. Das
                                                         Denkmal erklärt ihn eigentlich sozusagen zum
                 Dr. Torben Giese                        Bürger. Nicht zum »Bürgerkönig«, sondern zum
                                                         Bürger. Und genau da ist für uns die Grenze, an
Wilhelm II. zur Identifikationsfigur werden              der wir sagen: »Nein, da wollen wir eigentlich
könnte?« Auch diese Frage haben wir erst ein-            nicht mitgehen.« Denn für uns ist er kein libe-
mal mit »Nein« beantwortet, weil wir dann mit            raler Demokrat, zu dem ihn dieses Denkmal
Sicherheit sagen müssten, dass er der liberal-           verklärt. Er ist liberal, keine Frage. Aber er ist
ste der deutschen Monarchen war. Aber er ist             ein liberaler Monarch, doch als solcher wird
und bleibt ein Monarch, und kann damit nicht             er nicht dargestellt.
für eine freie, selbstverwaltete und selbstbe-
stimmte Stadt im 20. und 21. Jahrhundert                 Jan Sellner:
stehen.                                                  Herr Professor Pyta, was ist Ihr Blick auf
                                                         Wilhelm II. und auf das Denkmal?

    »Uns stört an dieser Statue gar nichts.              Wolfram Pyta:
     Wir haben uns nur die Frage gestellt:               Man muss Kriterien entwickeln, und zwar nicht
         Ist das das richtige Denkmal                    nur Kriterien für Württemberg, sondern für Ge-
       vor einem StadtPalais, das sich                   samteuropa. In Europa hat es 1914 nur einen
      als Museum des 21. Jahrhunderts                    Staat gegeben, der keine Monarchie war. Das
        für Vergangenheit, Gegenwart                     war Frankreich, nehmen wir mal die Eidgenos-
     und Zukunft dieser Stadt versteht?«                 senschaft aus. Alle Staaten waren Monarchien.
                                                         Die Monarchie ist die selbstverständliche Form
                   Torben Giese                          von Herrschaft. Aber Monarchien sind ja keine
                                                         Diktaturen. Es gibt verschiedene Abstufungen:
                                                         Es gibt die parlamentarischen Monarchien, wie
Außerdem haben wir uns im Zuge der Ent-                  beispielsweise in Belgien und den Niederlan-
wicklung des Buches gefragt: »Ist denn dieses            den, Dänemark und Großbritannien, in denen
Denkmal überhaupt ein adäquater Umgang                   das Parlament die Personalentscheidungen
mit Wilhelm II.?« Auch da haben wir für uns              der Regierung trifft. Und es gibt konstitutio-
gesagt: »Ein Denkmal ist ein Denkmal. Das ist            nelle Monarchien, wie im deutschen Kaiser-
nicht zu hinterfragen. Es ist richtig, wie es dort       reich und in den einzelstaatlichen Monarchien,
steht.« Aber es geht uns in der Liberalisierung          in denen die Personalfindung noch ein letztes
und Demokratisierung des Königs viel zu weit,            Reservat des Königs ist. Wir müssen uns also
dass man diese zwei Dinge sozusagen zusam-               über Kriterien verständigen, mit denen damals
menfasst.                                                Monarchien und Monarchen gemessen wur-

                                                     8
Vorwort von Dr. Torben Giese - StadtPalais
den, sozusagen gesamteuropäische Kriterien.
Da finden wir zum Beispiel den irritierenden
Befund, dass in einer der liberalsten Monar-
chien, nämlich in Belgien, deren Verfassung im
Jahr 1830 eine der fortschrittlichsten war, ein
Monarch namens Leopold I. unter anderem
dafür verantwortlich war, dass in seinem Privat-
besitz im belgischen Kongo mehrere Millionen
Menschen umgebracht wurden.

Jan Sellner:
Sind das auch die Denkmäler, die jetzt
gestürzt werden?
                                                                      Prof. Dr. Wolfram Pyta
Wolfram Pyta:
Ja. Das ist sozusagen die Frage nach den Krite-        hohes Gut der Selbstreflexion, über sich selbst
rien. Das Zweite ist: Wir müssen den württem-          und seinen eigenen Standort nachzudenken,
bergischen König Wilhelm II. mit den anderen           ihn in Frage zu stellen. Bürgerlichkeit bedeutet
deutschen Monarchen und Großherzogen ver-              auch die Verabschiedung vom Denken in
gleichen. Nur das kann aus der Zeit heraus die         Klassengegensätzen, weil das Bürgertum kon-
»Benchmark« sein, zumindest für mich als Wis-          stitutiv auf Leistung setzt und Aufstieg durch
senschaftler. Dabei wird man vielleicht zwei           Leistung verheißt.
Fragen stellen. Ich würde zwei Kriterien vor-          Das sind für mich die beiden Kriterien, die
schlagen.                                              letztlich darüber bestimmen, Wilhelm II. in
                                                       eine Gesamtgeschichte der deutschen Monar-
                                                       chie einzubetten. Davon möchte ich abhängig
                »Wir müssen                            machen, wo er dann vielleicht in Stuttgart
  den württembergischen König Wilhelm II.              seinen Standort verdient.
   mit den anderen deutschen Monarchen
       und Großherzogen vergleichen.                   Jan Sellner:
      Nur das kann aus der Zeit heraus                 Das klingt nach weiterer Forschungsarbeit.
      die »Benchmark« sein, zumindest
        für mich als Wissenschaftler.«                 Wolfram Pyta:
                                                       Ja, unbedingt. Herr Dr. Albrecht Ernst hat uns
                 Wolfram Pyta                          ja in entbehrungsvoller Detektivarbeit Quellen
                                                       ausgegraben, die beispielsweise – ich will nur
                                                       einen vielleicht etwas pointierten Satz vermit-
Die erste Frage ist die nach dem Verhältnis der        teln – Wilhelm II. als »Corona-Experten« zeigen.
Monarchen zum Militär. Wir wissen, dass das            Der als Verbindungsstudent selbstverständlich
deutsche Kaiserreich, nicht zuletzt Preußen,           weiß, was eine »Corona« ist – nämlich der Teil
wo das Militär außerhalb der Verfassung steht,         in einer Kneipe, den man in allen verbindungs-
ein starkes Einfallstor für autoritäre Tendenzen       studentischen Zirkeln kennt, und der bei je-
und Strömungen bildete. Wir wissen auch,               dem studentischen Ritual eine Rolle spielt. Es
dass es Tendenzen gab, das Militärische zur            will aber in diesem Fall nur heißen: Wilhelm II.
Gesamtnorm für das gesellschaftliche Zusam-            hat in seinen lebenslangen Freundschaften im
menleben zu verklären, was auch als Militaris-         Verbindungs-Studententum gelernt und ge-
mus bezeichnet wird.                                   lebt, ein echter Lebensbund. Das ist überaus
Dann wäre die Frage: »Wie steht Wilhelm II. zu         diffizil und differenziert, und spricht dafür, dass
einem möglichen Primat des Militärischen?«             jemand auch über die »schwäbischen Welten«
Das ist für mich ganz entscheidend.                    hinausdenkt. In Göttingen war er im Übrigen
Die zweite Frage ist die nach der Bürgerlich-          bei das »Corps Bremensia«. Die lebenslangen
keit, die damit verbunden ist. Was ist Bürger-         Freundschaften und die Briefe, die davon zeu-
lichkeit? Bürgerlichkeit ist zunächst einmal ein       gen, verraten ein hohes Maß an Selbstreflexion.

                                                   9
Vorwort von Dr. Torben Giese - StadtPalais
Jan Sellner:                                         wir das Staatstheater, das Kunstgebäude und,
Bevor wir gleich in die Diskussionen über die        und, und. All das waren Dinge, auf die er 1921
konkrete Standardfrage kommen: Herr Dr.              mit Stolz zurückschauen konnte. Was wollen
Ernst, Sie sind angesprochen. Sie sind einer         wir jetzt mit diesen Gebäuden machen? Am
der profunden Wilhelm II.-Kenner. Sie haben          Staatstheater ist nach wie vor ein »W« an den
die Korrespondenz von ihm gelesen und be-            Türen angebracht. Muss das in diesem Kontext
fassen sich intensiv mit ihm. Wen haben Sie          dann auch entfernt werden? In einem seiner
da kennengelernt?                                    Briefe als Kronprinz schrieb er: »Es ist mir zu-
                                                     wider, glorifiziert zu werden.« Das wollte er
Albrecht Ernst:                                      nicht. Er wollte wirklich als Mensch und Bürger
Also, ich muss ganz offen sagen: Bevor ich auf       geschätzt werden, und nicht nur wegen seiner
diese Briefe aufmerksam wurde, sie gezielt           Krone, die er ja nie trug. Einfach als jemand,
gesucht und dann auch gefunden habe, war             der ernst zu nehmen ist. Was ich bei Wilhelm
mir Wilhelm II. zwar ein Begriff – aber in erster    auch kennengelernt habe, ist Humor. Er selbst
Linie tatsächlich so wie er durch dieses Denk-       war einer, der gelegentlich auch Kuren mach-
mal ein Stück weit symbolisiert wird.: dieser        te, um sich ein bisschen zu »entfetten«, wie er
spazieren gehende ältere Herr mit seinen             es selbst schrieb. Es heißt ja übrigens immer,
Hunden, der irgendwie ein »lieber Kerl« war.         er sei auf diesem Denkmal viel zu schlank dar-
Durch die Auswertung der Briefe habe ich nun         gestellt. Wenn er dieses Denkmal mit seinen
eine hochspannende und interessante Persön-          Hunden sehen würde, nähme er das sicherlich
lichkeit kennengelernt. Ein britischer Professor,    durchaus amüsiert zur Kenntnis. Sie sehen:
dem ich einen Teil der Briefe zu lesen gab, hat      Zu den Briefen könnte man unheimlich viel
gesagt: »Es gibt in Deutschland vor dem Ersten       sagen. Aber ich denke, das stelle ich im
Weltkrieg keinen einzigen Monarchen, über            Moment ein.
den wir inzwischen so genau Bescheid wissen
wie über Wilhelm II. Wir kennen seine Höhen,         Jan Sellner:
seine Tiefen, seine Schwächen – wir kennen           Herr Ernst, nur einen Satz noch dazu: Können
ihn in all seinen Facetten.                          Sie etwas über den Umfang der Briefe sagen
Forschungsarbeit, wie Professor Pyta eben            und wie Sie damit umgehen?
sagte, ist tatsächlich angesagt. Denn er war
Monarch – und ich kann ihn deshalb hier nicht        Albrecht Ernst:
nur durch seine Briefe präsentieren, da muss         Also es sind rund 700 Briefe. Von der Postkarte
man auch immer mitdenken. Wilhelm schil-             bis zum 16-seitigen Brief. Briefe, die wirklich im
derte etwa nach seiner Abdankung in einem            »Du-Stil« geschrieben sind, den es sonst von
Brief, dass er so stolz sei Stuttgart zu einer       einem Monarchen aus dieser Zeit nicht gibt.
»Stadt der Künste« gemacht zu haben. Dabei
muss man einiges bedenken, nicht nur in              Jan Sellner:
Stuttgart. Wir gehen ja bis zum Schiller Natio-      An wen adressiert?
nalmuseum nach Marbach. Und hier haben
                                                     Albrecht Ernst:
                                                     An zwei Freunde aus der Göttinger Verbindung
                                                     »Bremensia«. Mit ihnen war er zeitlebens auf
                                                     das Engste verbunden. Er schildert ihnen bei-
                                                     spielsweise seine Eheprobleme, wenn wir
                                                     schon beim Thema »Bürger« sind. Er schildert
                                                     auch, dass er »wie ein Kettenhund heulte«, als
                                                     er gezwungen wurde, die Monarchen-Lauf-
                                                     bahn einzuschlagen. So etwas muss man auch
                                                     sehen. Er hatte in Göttingen eine junge Frau,
                                                     eine Professorentochter kennengelernt, die er
                                                     sehr liebte und mit der er einige Jahre zusam-
                                                     men war. Dann war er gezwungen, diese Be-
                                                     ziehung aufzulösen. Das ist das Besondere an
                Dr. Albrecht Ernst                   den Briefen: Wem vertraut man das an? Den

                                                    10
engsten Freunden? Freunden fürs Leben? Was
soll mit den Briefen geschehen? Sie sind mir
eine große Sorge, weil ich immer noch über-
lege, diese Briefe jetzt auch öffentlich ver-
ständlich zu machen. Da werden ja Namen
genannt. Mein Wunsch wäre, und ich hoffe,
dass Sie es schaffen, zum 100. Todestag und
zum Start der Ausstellung im StadtPalais eine
Edition der Briefe herauszubringen. Nicht voll-
ständig, denn es gibt auch Briefe nach dem
Motto: »Holst du mich am Bahnhof ab?«.
Das brauchen wir nicht. Aber eben auch
sehr mächtige Briefe, die die Situation im                             Veronika Kienzle
Wilhelmspalais ziemlich genau unter die
Lupe nehmen.                                           ist das so? Kommt es zurück oder ist das nur
                                                       interimsweise?« Wir haben das immer wieder
Jan Sellner:                                           thematisiert, auch mit Kulturbürgermeister
Das wäre ein wunderbares Zusammentreffen               Fabian Mayer. Mir geht es aber jetzt erst einmal
mit der Ausstellung, wenn es sich realisieren          gar nicht so sehr um die Figur an sich, sondern
lässt. Frau Kienzle, der Bezirksbeirat hat sich        darum, wie dieser Diskurs stattfindet. Ich
für den ursprünglichen Standort ausgespro-             denke mal, Denkmäler sind per se »Diskursbe-
chen, nämlich hier vor dem Wilhelmspalais,             schleuniger«. Das merken wir hier ganz beson-
beziehungsweise vor dem StadtPalais. Warum             ders. Ich finde es gut, dass dieser Diskurs jetzt
machen Sie sich als überzeugte Demokratin              stattfindet und dass wir uns darüber verständi-
für diesen Monarchen stark?                            gen.
                                                       Ich sehe es übrigens genauso wie Sie, Herr
Veronika Kienzle:                                      Giese. Ich finde, am Schluss muss dabei her-
Ich würde gerne früher beginnen. Herr Giese,           auskommen, wo der richtige Ort ist. Wichtig ist
ich bin Ihnen sehr dankbar, dass Sie es ange-          es aber auch, dass dieses Bürgerengagement
stoßen haben, die Historie, zu untersuchen             gewürdigt wird, dass man die 250.000 oder
und zum 100. Todestag Wilhelm II. dieser               280.000 Mark, die gesammelt wurden, nicht
Figur näher treten zu wollen. Das war für den          einfach vergisst. Das ist eine Riesensumme
Bezirksrat aber gar nicht das Thema. Für den           Geld, wenn man sie in der Bürgerschaft zu-
Bezirksbeirat Stuttgart-Mitte stand vor allem          sammensammelt. Wir haben ja noch mehr
das Bürgerengagement an erster Stelle – und            solcher, von den Bürger*innen initiierter Denk-
natürlich die Tatsache, dass wir in den Umbau          mäler in der Stadt. Denken Sie an den Mops
des Palais mit einbezogen wurden. Der Be-              vor dem Haus von Loriot und an andere kleine
zirksbeirat ist eigentlich davon ausgegangen,          Denkmäler. Auch sie sind kleine »Diskursbe-
dass es auch weiterhin Wilhelmspalais heißen           schleuniger«. Ich finde, wir haben eine Ver-
wird und wurde vom Namen StadtPalais eher              pflichtung, ganz kommunikativ damit umzu-
überrascht. Zu dieser Namensänderung gab               gehen. Dem Bezirksbeirat stieß zunächst die
es damals bereits Reaktionen in der Bürger-            fehlende Kommunikation auf, die vollendeten
schaft. Und dann kam die Statue von König              Tatsachen, was den Namen und den neuen
Wilhelm II. plötzlich nicht an den angestamm-          Standort angeht. Jetzt hat man den Wunsch,
ten Platz, sondern auf die andere Seite des            das richtig zu diskutieren. Und das wurde vom
Gebäudes. Das wurde zwischen Architekten               StadtPalais inzwischen aufgegriffen.
und der Stadtverwaltung besprochen, nicht
aber mit dem Bezirksbeirat. Wir haben das              Torben Giese:
Thema eigentlich erst wahrgenommen, als es             Darf ich dazu etwas sagen, Herr Sellner? Ich
schon vollzogen war. Ich habe es aber im Fol-          möchte gerne eine interessante Tatsache klar-
genden auf die Agenda gesetzt. Unter ande-             stellen. Aus unserer Sicht haben wir dieses
rem mit dem Verschönerungsverein Stuttgart             Gebäude nicht umbenannt. Wir haben der
und anderen, die sich darüber ein bisschen             Institution den Namen StadtPalais gegeben.
mokiert haben – nach dem Motto »Warum                  Vorher war es die Stadtbücherei im Wilhelms-

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palais, und wir haben, als wir das Haus im
Herbst 2017 wiedereröffneten, gemerkt, wie
stark der Palais-Begriff ist, und dass wir dieses
Haus, das ganze Museum danach benennen
müssen. Also aus unserer Sicht haben wir
genau das Gegenteil getan. Unser Buch heißt
auch weiterhin »Das Wilhelmspalais«. Wir kön-
nen ein Gebäude nicht umbenennen. Wir kön-
nen aber die Institution »StadtPalais – Museum
für Stuttgart« nennen. Im Nachhinein können
wir schon verstehen, dass es vielleicht über das
Ziel hinausschoss und es als Umbenennung
verstanden werden konnte. Vorher stand ja                                 Dr. Wolfgang Müller
auch »Stadtbücherei« da, nicht »Wilhelmspa-
lais«. Das soll jetzt nicht als Ausrede gelten, nur        sondern er ist dort auch einfach im Weg. Wa-
als Hintergrund. Eigentlich haben wir gedacht,             rum haben wir nun als Arbeitsgemeinschaft
wir geben dem Haus die höchste Referenz, die               Stadtgeschichte das Thema aufgegriffen? Weil
wir geben können und benennen die ganze                    wir persönlich, aber auch über unsere Vereine,
Institution nach dem Palais.                               Mitgliedsverbände und auch über die persönli-
                                                           chen Mitglieder sehr oft darauf angesprochen
Jan Sellner:                                               wurden. Natürlich waren es eher ältere Leute.
Herr Müller, als Leiter der »Arbeitsgemeinschaft           Aber wer weiß, ob sich so etwas im Laufe der
Stadtgeschichte« zählen Sie zu den sehr enga-              Zeit doch auch verändert? Man muss ja jetzt
gierten Bürgern, die das Thema »StadtPalais/               nicht unbedingt einen scharfen Generationen-
Wilhelmspalais/Stadtmuseum« intensiv über                  schnitt machen und sagen, dass es nur »die
Jahre hinweg bearbeitet haben. Wie erleben                 Alten« sind, die das verlangen und »die Jun-
Sie die Diskussion? Sie haben sich in den bis-             gen« sich gar nicht für Wilhelm II. interessieren.
herigen Beiträgen positioniert. Im Laufe der               Das ist ja eine fließende Geschichte. Lange
Diskussion darf ich dahin gehen, dass Sie                  Rede, kurzer Sinn: Wir plädieren dafür, dass
sagen, das Denkmal gehört eigentlich wieder                man einen angemessenen Platz vor dem
an den ursprünglichen Standort. Warum ist                  Palais mit Blickrichtung in die Stadt findet,
es aus Ihrer Sicht so?                                     und dass man ihn dort möglichst bald auf-
                                                           stellt. Jetzt ist es einfach notwendig, dass
Wolfgang Müller:                                           er einen besseren Platz bekommt. Punkt.
Ich möchte das ein bisschen einschränken.
Also den ursprünglichen Standort vertrete ich
nicht auf den Meter genau. Ihn vertreten wahr-                    »Wir plädieren dafür, dass man
scheinlich auch die wenigsten der Briefeschrei-                   für das Denkmal an Wilhelm II.
ber und Bürger, die sich mokiert haben und                   einen angemessenen Platz vor dem Palais
auch weiterhin mokieren. Aber einen besseren                    mit Blickrichtung in die Stadt findet,
Platz als jetzt sollte er einfach bekommen,                      und dass man ihn dort möglichst
denn es ist der falsche Ort. Er ist quasi ins                               bald aufstellt.«
Abseits gestellt worden und das möchte ich
jetzt gar nicht so tiefsinnig kommentieren. Die                             Wolfgang Müller
Frau Kienzle hat dazu bereits eine ganze Reihe
von Tatsachen und Argumenten formuliert.
Aus meiner eigenen Anschauung hinterließ die               Jan Sellner:
Statue des Königs bei den großen StadtPalais-              Frau Gerlach, Sie gehören zu den jüngeren,
Events »Stuttgart am Meer« und »Stuttgart im               engagierten Bürger*innen, die sich intensiv mit
Schnee« aber den Eindruck, dass sie sich in                der Stadtgeschichte beschäftigen. Sie haben
einer ganz miserablen Umgebung befindet:                   uns einen flammenden Leserbrief geschrieben
Da sind die Klohäuschen, es wird Bier ausge-               und sind der Meinung, dass der König eigent-
schenkt und Müll gelagert – und er stört dort.             lich am richtigen Platz steht, wenn ich es rich-
Es ist nicht nur kein würdiger Platz für ihn,              tig gelesen habe. Warum?

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Lisa Gerlach:                                           Reformpädagoge. Auf der ganzen Welt gibt
Danke schön. Ich bin tatsächlich der Meinung,           es Waldorfschulen und er hat in pädagogi-
dass die Statue keinen prominenten Platz                scher Hinsicht vieles vorangebracht. Er hat aber
braucht. So sehr ich die historische Arbeit             auch Schriften veröffentlicht, die wir nicht so
schätze und ja auch zu meinem Beruf ge-                 gut finden und kritisieren. Deshalb würden
macht habe, denke ich, dass man bei solch               wir aber nicht gleich die ganze Figur komplett
einem Denkmal auch mitbedenken sollte, was              verwerfen. Deshalb möchte ich schon darum
es über den Zustand der Stadt jetzt sagt. Es ist        bitten, das Thema um Wilhelm II. ein bisschen
durchaus so, dass es etwas über uns als Gesell-         differenzierter zu betrachten. Ich möchte auch
schaft aussagt, wen wir ausstellen und wie wir          daran erinnern, dass eine Dame aus Stuttgart
ausstellen. Ich finde dieser Punkt sollte in der        ihm jeden Monat ein Blumensträußchen zu
Diskussion auch einen Raum bekommen.                    Füßen gelegt hat. Also wenn das keine emo-
Ich kann Ihnen aus persönlicher Sicht sagen:            tionale Bindung ist... Darauf muss ich als
Wenn ich eine Königsstatue sehe, ist da nicht           Bezirksvorsteherin reagieren, ich kann nicht
unbedingt Bewunderung für einen großen                  so tun, als wäre das falsch.
Mann. Sondern ich bin ehrlich gesagt vor allem
erleichtert, dass ich nicht unter einem König
lebe und ich weiß nicht, ob es unter diesen                   »So sehr ich die historische Arbeit
Gesichtspunkten angebracht ist, dass er vor                  schätze und auch zu meinem Beruf
dem Haus steht. Vielmehr sollte er als Teil                  gemacht habe, denke ich, dass man
unserer Geschichte nach hinten.                                   bei solch einem Denkmal
Diese Geschichte ist wichtig und darf keines-                    mitbedenken sollte, was es
wegs abgerissen werden, was ja in einigen                        über den Zustand der Stadt
Leserbriefen dramatisch herbeigeschrieben                                 jetzt sagt.«
wurde. Aber ich finde es schon wichtig, dass
das Erinnern in einen Diskurs über den gesell-                            Lisa Gerlach
schaftlichen Fortschritt, den wir zum Glück
gegangen sind, eingebettet sein sollte.
                                                        Jan Sellner:
                                                        Professor Pyta, es wurde nun auch die grund-
                                                        sätzliche Frage nach Stadtgeschichte im öffent-
                                                        lichen Raum angesprochen. Gibt es da Defi-
                                                        zite, gibt es mehr zu tun?

                                                        Wolfram Pyta:
                                                        Es ist nicht meine primäre Aufgabe, das zu
                                                        beurteilen. Aber um diesen schönen Ausdruck
                                                        der Denkmäler als »Diskursbeschleuniger«
                                                        nochmals aufzugreifen: Mir scheint, dass wir
                                                        in Stuttgart vielleicht eine Debatte anstoßen
                                                        können, die für ganz Deutschland gilt – näm-
                  Lisa Gerlach                          lich die Debatte über den Stellenwert der
                                                        Monarchie in Deutschland selbst. Das ist ein
                                                        Thema, das eigentlich längst überfällig ist. Es
Veronika Kienzle:                                       gibt zwar bestimmte, sehr isolierte Themen,
Ich finde, dass wir Persönlichkeiten der Ge-            über die man spricht, aber keine Generalde-
schichte nicht einfach nur zwischen zwei                batte. Die müsste zunächst einmal so geführt
Buchdeckeln aufbewahren sollten, sondern                werden, dass wir uns davon verabschieden,
dass wir uns durchaus auch im öffentlichen              einen prinzipiellen Gegensatz zwischen Demo-
Raum mit ihnen auseinandersetzen müssen.                kratie und Monarchie zu konstruieren. Denn
Das gehört einfach zur Stadt und zur Zeit-              dann wären Großbritannien, die Niederlande,
geschichte dazu. Wir haben viele Persönlich-            und Dänemark heute keine Demokratien.
keiten der Zeitgeschichte in Stuttgart. Zum             Selbstverständlich kann eine Monarchie sich
Beispiel Rudolf Steiner, ein weltweit bekannter         parlamentarisieren. Das war auch die große

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Frage in der historischen Forschung vor etwa           chie zurückkehren sollte oder wie man zu die-
50 Jahren, als man sich intensiv mit dem deut-         ser Monarchie eigentlich steht. Sind wir nei-
schen Kaiserreich beschäftigte: Gibt es einen          disch auf England, wo es noch eine Monarchie
Hang oder eine natürliche Entwicklung hin              gibt? Oder sind wir total froh, dass es sie bei
zu einer Parlamentarisierung der Monarchie?            uns nicht mehr gibt? Natürlich verbergen
Seit 40 Jahren hat die Geschichtswissenschaft          sich hinter unserem Umgang mit Wilhelm II.
dazu geschwiegen. Jetzt könnte man diese               genau diese Fragen. Ich finde es vollkommen
Debatte von Stuttgart aus noch einmal be-              legitim, dass man als junger Mensch fragt:
schleunigen. Die zweite Frage ist: Ich wun-            »Was mache ich denn mit so einem König?
dere mich, warum man im Jahr 2021 nicht                Ist das jetzt jemand, dem ich Ehrerbietung
darüber nachdenkt, dass 150 Jahre zuvor der            schulde oder schulde ich ihm gar nichts?«
deutsche Nationalstaat gegründet wurde. Der
deutsche Nationalstaat ist ein föderaler Staat,
in dem auch Württemberg seinen Platz hatte.                          »Ich finde, dass wir
Nutzen wir das doch vielleicht als Anstoß, da-                Persönlichkeiten der Geschichte
rüber nachzudenken, welchen Stellenwert                         nicht einfach nur zwischen
Württemberg in diesem deutschen National-                     zwei Buchdeckeln aufbewahren
staat hatte. Welche Impulse sind von Württem-                  sollten, sondern dass wir uns
berg, möglicherweise vom württembergischen                      auch im öffentlichen Raum
König, ausgegangen? Ich stelle in der Ge-                                 mit ihnen
schichtswissenschaft eine weitgehende Igno-                    auseinandersetzen müssen.«
ranz fest, was das 19. Jahrhundert und das
deutsche Kaiserreich anbelangt. Es ist höchste                         Veronika Kienzle
Zeit, dass solche Debatten von der öffentlichen
Hand angestoßen werden. Es gibt immer noch
Historiker, die sich mit Bismarck und dem              Richtig ist: Durch die Diskussion um das Denk-
Deutschen Kaiserreich beschäftigen. Sie sind           mal von Wilhelm II. stellt sich die entschei-
rar geworden, aber es gibt sie. Hier könnte            dende Frage: »Wie wollen wir mit dem Thema
Stuttgart Avantgarde sein – um einen Diskurs           Monarchie als Gesellschaft umgehen?« Wenn
anzustoßen, der längst überfällig ist.                 man uns als Haus betrachtet, steht er vor dem
                                                       Haus als Symbol für die demokratische Stadt
                                                       Stuttgart des 19. und 20. Jahrhunderts. Oder
               »Es ist ja schon so,                    sollte da eher Rudolf Steiner stehen? Oder ein
            dass es etwas über uns                     wirklicher Bürger? Oder der Mops oder eine
           als Gesellschaft aussagt,                   Bank? Verstehen Sie? Ich glaube, das trifft das,
              wen wir ausstellen                       worum es uns auch geht. Als StadtPalais ver-
           und wie wir ausstellen.«                    treten wir nicht die Interessen aller. Wir ver-
                                                       treten unsere eigenen und gehen deswegen
                  Lisa Gerlach                         auch in den Diskurs. Wenn die Menschen um
                                                       uns herum zu einem anderen Schluss kommen
                                                       und sagen: »Ihr seid da ein bisschen arg
Jan Sellner:                                           »monarchiefeindlich« im Palais, ihr seid jung
Herr Giese, »eine Debatte anstoßen« ist das            und ihr seid zu vorsichtig, wir müssen einen
Stichwort. Ich glaube, darum geht es ihnen             anderen Weg gehen«, gehen wir mit, aber
auch.                                                  wir müssen darüber debattieren. Wir können
                                                       nicht einfach sagen, dass Menschen wie Frau
Torben Giese:                                          Gerlach oder auch wie wir im Team, die mit
Ja. Wir sind inhaltlich garantiert nicht einer         dieser vielleicht etwas verklärenden Form von
Meinung, aber Herr Pyta hat natürlich vollkom-         Erinnerung an die Monarchie eher fremdeln,
men Recht, dass das Verhältnis der Deutschen           Recht haben. Dasselbe gilt für diejenigen, die
zur Monarchie gebrochen, schwierig und pro-            sagen: »Nein, das darf man nicht, das ist re-
blematisiert ist. Wenn man so will, hat unsere         spektlos.« Natürlich dürfen wir das als jüngere
Gesellschaft nie darüber geredet, ob man               Generation. Das Denkmal ist ja auch noch da.
nicht vielleicht doch wieder zu einer Monar-           Ich habe manchmal das Gefühl, dass wir in

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den Debatten so tun, als hätten wir es abgeris-                    »Mir ist es ein Anliegen,
sen. Das würden wir niemals tun. Es gehört zu                         dass ein Denkmal
uns. Es gehört zu diesem Haus. Und wir sind                     zum Nachdenken anregen soll.
froh, dass es da ist.                                          Das kann aber nur funktionieren,
                                                                   wenn man es auch sieht
Jan Sellner:                                                    und im Stadtbild wahrnimmt.«
Herr Ernst, Sie schmunzeln. Wie gelingt es,
dass man diese Diskussion, diese Debatte                                 Albrecht Ernst
nicht verklärend führt, sondern wirklich
gewinnbringend?                                         offenen Karten gespielt hat. Ich habe ganz
                                                        verschiedene Dinge gehört – etwa, dass man
Albrecht Ernst:                                         den König, oder eben diesen Bürger, dorthin
Ich finde, man muss dabei wirklich an die               stellte, wo sein Hundezwinger war. In der Zei-
Quellen gehen. Meiner Meinung nach hat auch             tung war nachzulesen, dass man ihn hinters
das StadtPalais als Stadtmuseum Nachhol-                Haus stellte, damit er vom Straßenlärm ge-
bedarf. Das Ganze krankt doch daran, dass Sie,          schützt ist. Dafür sitzen nun die Kinder in ihren
Herr Giese, Wilhelm, den Württemberger, im              Wasserbecken direkt an der Bundesstraße.
Prinzip von Anfang an in eine Schublade mit             Das sind ja alles irgendwo Widersprüche, die
dem preußischen Wilhelm, also mit dem deut-             ich als ebensolche empfunden habe. Es wurde
schen Kaiser, gesetzt haben. Es gab dabei kein          eben auch von Rosen gesprochen, er stehe
differenziertes Bild. Sie haben vorhin von einer        im Rosengarten. Wenn wir jetzt die Bilder be-
»Identifikationsfigur« gesprochen. Dieses Denk-         trachten, ist es eigentlich ein ziemlich abgetre-
mal fordert ja nicht dazu auf, sich mit diesem          tener Rasen, auf dem dieses Denkmal steht.
absolut bürgerlich erscheinenden, spazieren             Mir ist es ein Anliegen, dass ein Denkmal zum
gehenden Monarchen zu verbinden, oder sich              Nachdenken anregen soll. So viel zur Frage von
damit irgendwie zu identifizieren. Für mich ist         Herrn Sellner. Das kann aber nur funktionieren,
das Denkmal eher etwas, das zum Schmunzeln              wenn man es auch sieht und im Stadtbild
einlädt – und an dem man sich vielleicht mit            wahrnimmt. Eventuelle Kritik, die es an diesem
dieser älteren Dame, die dort ihre Blumen nie-          Mann gibt, könnte man etwa über Informatio-
dergelegt hat, einfach auch nur erfreuen kann.          nen auf Hinweisschildern unterbringen. Ich
                                                        habe aber auch gedacht, dass es dem Stadt-
                                                        Palais nicht unbedingt abverlangt werden
           »Eventuelle Kritik, die es                   muss, dieses Denkmal unbedingt hier be-
             an diesem Mann gibt,                       halten zu müssen. Deswegen kam nun das
            könnte man etwa über                        vielleicht mit einem kleinen Augenzwinkern
     Informationen auf Hinweisschildern                 versehene »Asyl-Angebot«, ihn einfach in die
                unterbringen.«                          Nachbarschaft zu stellen. Er wäre dann in
                                                        unmittelbarer Nähe und vor allem zugänglich.
                 Albrecht Ernst                         Für mich muss ein Denkmal einfach zugäng-
                                                        lich sein.

Es klang jetzt immer wieder an, dass nur ältere         Jan Sellner:
Leute an dem Thema Interesse hätten. Ich will           Auf das »Asyl-Angebot« kommen wir gleich
an dieser Stelle erwähnen: Vor zwei Jahren,             noch zu sprechen. Ich möchte kurz Herrn
2018, bekam ein damals 18-jähriger Gymnasiast           Giese die Gelegenheit geben. Dann gibt
in Ludwigsburg den Landespreis für Heimat-              es hier gleich weitere Wortmeldungen.
forscher, weil er sich in seiner Seminararbeit
dem Thema Wilhelm gewidmet hat. Ich habe                Torben Giese:
mir das Fazit notiert, in dem der Schüler               Ich finde es nicht gut, uns oder auch mir feh-
schrieb: »Wilhelm durchbricht in vielerlei Hin-         lende Wissenschaftlichkeit vorzuwerfen. Wir
sicht das traditionelle Bild eines Fürsten.« Er         sind die einzigen, die ein Buch dazu geschrie-
hat also genau verstanden, worum es geht.               ben haben. Ich habe als erster die Geschichte
Was mich bei dem Thema von Anfang an irri-              dieses Denkmals recherchiert. Zu sagen, wir
tierte, war, dass man offensichtlich nicht mit          hätten unsere wissenschaftlichen Hausauf-

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gaben nicht gemacht, ist nicht fair. Und das             einem Geschenk geht man sorgfältig um. Es
bringt uns auch nicht weiter. Das Entscheiden-           ist müßig, darüber zu debattieren, warum es
de an der Frage ist doch: Das eine ist die histo-        auch Gegenstimmen gab oder Abwägungen
rische Bewertung der Person. Das andere sind             da waren. Herrn Rommel darf man auf keinen
Fragen der Erinnerungskultur, das Einmaleins             Fall als Kronzeuge zitieren, denn er war ja
des Historikers. Diese zwei Dinge gehören                bekannt in seiner – ich will fast sagen – »Ge-
nicht zusammen. Wir haben niemals die histo-             schichtslosigkeit«, auch was die Fortschreibung
rische Bewertung von Wilhelm II. irgendwie in            der Stadtgeschichte und den Denkmalschutz
Frage gestellt. Wir haben nur gesagt: In der             betrifft. Aber mit einem Geschenk geht man
Erinnerungskultur ist er für uns nicht der rich-         sorgfältig um und ein Geschenk verwaltet man
tige Weg. Das auseinanderzuhalten ist eigent-            treuhänderisch. Deshalb gebietet es meiner
lich nicht so schwierig. Es bedarf aus meiner            Meinung nach auch der Respekt vor den Spen-
Sicht auch keiner Vermischung, denn wir re-              dern, dass man nun nicht nach Gutsherrenart
spektieren Ihr Urteil zu Wilhelm II. Sie sind der        verfährt. Mir erschließt sich diese feine Abwä-
größte Kenner. Wir hoffen, dass wir die Briefe           gung gar nicht, warum er denn dort im Garten
bekommen, sodass wir auch Ihr Wissen teilen              sein darf, während er an einer anderen ordent-
dürfen. Ich würde mich darüber freuen. Wich-             lichen Stelle im vorderen Bereich nicht sein
tig wäre, es wirklich zu trennen und keine Dis-          soll.
kussionen darüber zu führen, wer mehr oder
weniger weiß, oder wer mehr gelesen hat als              Jan Sellner:
der andere, denn es ist eine Debatte.                    Frau Kienzle, Sie hatten vorhin den Entschei-
                                                         dungsprozess geschildert und Bürgerengage-
Albrecht Ernst:                                          ment angesprochen. Was ist denn Ihre persön-
Nur eine ganz kurze Erwiderung. Ich las Ihren            liche Meinung? Wie geht man Ihrer Ansicht
Buchbeitrag mit Begeisterung. Sie haben, was             nach mit diesem Geschenk um?
die Vorgeschichte des Denkmals angeht, vieles
entdeckt und auch ins rechte Licht gerückt. Gar          Veronika Kienzle:
keine Frage, Herr Giese. Aber am Anfang las              Ich bin der Meinung, dass man die Bürger*in-
ich, der schwärzeste Tag im Leben Wilhelms               nen bei der Frage der Neupositionierung un-
war der Tag seiner Abdankung. Der schwärze-              bedingt einbeziehen muss. Ebenso bei der
ste Tag in seinem Leben war aber viel, viel frü-         Reflexion auf diese Person. Ich selbst sehe in
her, als er seinen Sohn und seine Frau verlor.           der Skulptur übrigens nicht den Monarchen.
Den Briefen nach, die ich als authentisch an-            Ich sehe eher diesen Mann, der mit seinen
nehme, weil sie eben nicht für die Öffentlich-           Hunden spazieren geht. Ich finde, es wäre
keit bestimmt waren, hat er seine Abdankung              einfach richtig gewesen, zu sagen, dass man
sogar als Erleichterung gesehen. »Nun bin ich            einen neuen Standort sucht. Und das Ganze
diese Dornenkrone los«, schrieb er mitunter.             nicht nur zwischen Bauplanern, Architekten
Das sind eben solche Zitate, die ich für bare            und den künftigen StadtPalais-Betreibern oder
Münze nehme. Deswegen muss man einfach                   Initiatoren diskutiert, sondern auch die Schen-
noch tiefer eindringen. Das wollte ich damit             kenden einbezieht und sagt: »Wir haben da
sagen.                                                   etwas vor, können wir das diskutieren.« Diese
                                                         Diskussion, Herr Giese, wurde erst jetzt, nach-
Jan Sellner:                                             dem die Presse darüber berichtete, und nach-
Gut, dann zu Herrn Müller.                               dem die Briefe kamen, losgetreten – und es ist
                                                         gut, dass Sie das machen. Aber die Leute sind
Wolfgang Müller:                                         jetzt schon ein bisschen aufgebracht und ich
Ich möchte nochmals zurück zur eigentlichen              hätte sie und auch den Bezirksbeirat gerne
Frage des heutigen Tages kommen: zum                     etwas früher einbezogen gesehen. Ich glaube,
Standort der Statue und wie man mit ihr um-              dann hätten wir auch ein gutes Ergebnis be-
geht. Ich will gar nicht das Wort »Denkmal«              kommen.
strapazieren. Es ist eine Statue. Es ist ein Ge-
schenk von Bürgern an die Bürger. Die Stadt              Jan Sellner:
hat es stellvertretend für die Bürgerschaft an-          Mit Blick nach vorne: Es gibt schon diverse
genommen. Sie ist beschenkt worden und mit               Vorschläge. Es wurde angesprochen, sozu-

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