Vorwort von Dr. Torben Giese - StadtPalais
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Vorwort von Dr. Torben Giese Seit Mitte des Jahres 2020 diskutiert die städ- tische Gesellschaft in Stuttgart nun über die aktuellen Perspektiven auf die Erinnerung an den letzten württembergischen König Wilhelm II. Auslöser dieses Diskurses war die Neupositionierung des Denkmals von König Wilhelm II. von Hermann-Christian Zimmerle durch das Team des StadtPalais – Museum für Stuttgart. Zu der ersten Phase des Diskurses bis Mitte des Jahres 2020 ist im September 2021 das erste »Begleitheft zum langen Diskursjahr 2021« erschienen, welches die aufgrund der Corona-Pandemie ausschließlich digital statt- gefundenen Vorträge, Gespräche und Diskus- sionen dokumentiert und der interessierten Öffentlichkeit zugänglich gemacht hat. Wirken von König Wilhelm II. von Württem- Diesem ersten Begleitheft folgt nun das berg erläutert. Das dokumentierte Gespräch zweite, welches den digitalen Diskurs zwi- vom 12.5.2021 mit dem Titel »Ein Denkmal für schen Juli 2020 und dem Frühjahr des Jahres den Bürgerkönig Wilhelm II.« mit Bertram 2021 analog erschließt. Damit sollen ganz Maurer fokussiert den Entstehungsprozess gezielt diejenigen Teile der Gesellschaft er- des Denkmals am Wilhelmspalais. Das Heft reicht werden, die die sozialen Medien kaum endet schließlich mit der Vorstellung Work- oder gar nicht nutzen. Auch diesen Gruppen shop-Ergebnisse am 19.5.2021, die im Rahmen soll die Möglichkeit gegeben werden, sich die einer Google-Forms Umfrage von den Bürge- Inhalte des Diskurses über die Erinnerung an rinnen und Bürgern der Stuttgarter Stadtge- König Wilhelm II. zu erschließen. sellschaft erhoben wurden. In diesem Begleitheft sind vor allem die bei- Mit dem Erscheinen dieses zweiten Diskurs- den großen Podiumsdiskussionen »Die De- heftes war und ist der Diskurs über Württem- batte um den Standort von König Wilhelm II.« bergs letzten König Wilhelm II. aber noch vom 1.7.2020 und »Wo steht die Erinnerung an nicht zu Ende. Nutzen Sie die digitalen und König Wilhelm II. von Württemberg heute?« analogen Möglichkeiten des StadtPalais – vom 17.3.2021 aufgearbeitet. Ergänzt wird das Museum für Stuttgart, um sich selbst ein Diskursheft durch den Vortrag von Dr. Edith Bild von und eine Meinung über König Neumann vom 2.10.2020, der besonders Wilhelm II. von Württemberg zu machen. prägnant und kompakt das Leben und 1
Ausstellung: »Wilhelm II. – König von Württemberg« 2. 10. 2021 bis 27. 3. 2022 Anlässlich des 100. Todestages von König Das StadtPalais hat für diese Ausstellung Wilhelm II. von Württemberg im Oktober zahlreiche kostbare und noch nie gezeigte 2021 hat das StadtPalais – Museum für Stutt- Leihgaben aus Privatbesitz und aus öffent- gart es sich gemeinsam mit dem Haupt- lichen Sammlungen zusammentragen. Mit staatsarchiv Stuttgart zur Aufgabe gemacht, rund 400 Exponaten zeigt die Jubiläums- einen neuen Blick auf den letzten und heute schau die prägendsten Stationen im Leben noch beliebten Monarchen von Württemberg König Wilhelms II.: angefangen von der zu werfen. Vom 2. Oktober 2021 bis 27. März glücklichen Kindheit im Prinzenpalais, der 2022 ist die große Sonderausstellung Studienzeit in Tübingen und Göttingen, der Karriere des Thronanwärters beim Militär, über die eigentliche Regierungszeit als König www.stadtpalais-stuttgart.de von Württemberg bis hin zum einfachen »Herzog« nach dem Ende der Monarchie 1918. Dabei wird Wilhelm II. in seiner historischen Rolle zwischen Pflicht und Kür im Privaten und Öffentlichen geschärft. 2.10.2021 bis 27.3.2022 In der Ausstellung des Hauptstaatsarchivs ist Württembergs letzter König im Kreise seiner Freunde zu erleben. Fernab von jegli- cher höfischen Inszenierung kommt Wilhelm selbst in ungeahnter Offenheit zu Wort. In Wilhelm II. privaten Briefen erzählt er von den Zwängen eines Monarchen, von unerfüllter Liebe, Krieg und Thronverzicht. Seine Zeilen sprühen aber auch von der Begeisterung für die Jagd, den Rennsport und die Kultur. König von Württemberg Letztlich liefern sie prägnante Antworten auf die Frage, wer Wilhelm wirklich war. »Wilhelm II. – König von Württemberg« im StadtPalais und im benachbarten Hauptstaatsarchiv zu sehen. Schirmherr der Ausstellung ist Ministerpräsident Winfried Kretschmann MdL. 2
Podiumsdiskussion Die Debatte um den Standort des Denkmals von König Wilhelm II. im StadtPalais – Museum für Stuttgart Wo ist der geeignete Platz für das Denkmal Stuttgarter Stadtgesellschaft am 1. 7. 2020 im des letzten württembergischen Königs StadtPalais – Museum für Stuttgart diskutiert. Wilhelm II. von Württemberg? Über diese Dabei wurde deutlich: Hinter dem Streit um Frage hat eine Runde aus Akteur*innen der Wilhelm II. stehen größere Fragen.* Aufzeichnung der Podiumsdiskussion vom 1.7.2020. Link: https://youtu.be/k9-UIxBB6CQ Marc Gegenfurtner: Kurzum: Ich habe das StadtPalais als Ort des Meine lieben Freunde des StadtPalais! Als lebendigen Geistes, des Denkanstoßes und der solche möchte ich all diejenigen bezeichnen, Begegnung kennen- und schätzengelernt. Ich die im und mit dem StadtPalais diskutieren, freue mich, dass das auch weiterhin der Fall ist. streiten, sich austauschen und ihre Meinung In diesen Zeiten und gerade auch, wenn es um sagen. Also all das tun, was gute Freunde tun. kontroverse Themen geht. Die Tatsache, dass die Diskussion um den Ich muss gestehen, dass mir Wilhelm II. lange Denkmal-Standort Wilhelms II. in den Medien Zeit fremd war. Mich hat die Skulptur mit den bereits vor der Corona-Pandemie zur überge- beiden Hunden anfangs eher irritiert – was ordneten Frage nach der Stadt und der Regio- übrigens rein wirkungstechnisch sehr für ein nalgeschichte wurde, hat mich – als zwar nicht Kunstwerk im öffentlichen Raum spricht. Ich mehr ganz neuen, aber auch noch nicht histo- habe mich erst jetzt eingehender mit dem rischen Kulturamtsleiter – dazu veranlasst, Sie Thema befasst, als es durch die Zeitungen in mit ein paar Worten zu begrüßen. den öffentlichen Diskurs rückte, Ich bin froh, Seit etwa einem Jahr darf ich, der ich in der dass man sich heute endlich zusammensetzt, Region aufgewachsen bin, mich nun wieder um über die Frage nach dem richtigen und eingehender mit Stuttgart beschäftigen. Ich dem angemessenen Erinnern an den letzten konnte in dieser Zeit im StadtPalais Aspekte König Württembergs zu diskutieren. Das der Stadtgeschichte kennenlernen, die mir spricht sehr für das StadtPalais als Diskursort. bis dahin tatsächlich eher unbekannt waren. Ich muss auch gestehen, dass die Art und Als »Zurückgekehrter« konnte ich Stuttgart so Weise, wie der inhaltliche Austausch bislang etwas anschaulicher und durch die vielen Be- mitunter ablief, mein »Neu-Stuttgart-Bild« züge zur Gegenwart auch neu kennenlernen. auch wieder ein klein wenig ins Wanken ge- Ich war zuletzt in München tätig – und beim bracht hat. Denn im Zuge der Neubeschäf- Umsiedeln in die alte Heimat hat mir auch das tigung mit dieser Stadt ist mir aufgefallen, dass auf einer StadtPalais-Stofftasche abgedruckte das immer schon vorherrschende große kul- Ringelnatz-Zitat geholfen: »Stuttgart ist schön, turelle Selbstbewusstsein seit ein paar Jahren gegen dieses scheiß München ein Paris!« noch offener und aufgeschlossener wurde. ________________________ * Moderiert wurde der Abend von Jan Sellner von der Stuttgarter Zeitung. Marc Gegenfurtner, Leiter des Kulturamts der Stadt Stuttgart, sprach ein Grußwort. Dr. Edith Neumann, Sammlungsleiterin und stellvertretende Direktorin des StadtPalais – Museum für Stuttgart führte inhaltlich in die Thematik ein. An der Podiumsdiskussion waren folgende Akteur*innen beteiligt: Dr. Torben Giese, Direktor StadtPalais – Museum für Stuttgart, Professor Dr. Wolfram Pyta, Professor für Neuere Geschichte und Leiter der Abteilung für Neure Geschichte am Historischen Institut der Universität Stuttgart, Dr. Wolfgang Müller, Vorsitzender AgS Stuttgart (Arbeitsgemeinschaft Stadtgeschichte Stuttgart). Darüber hinaus Veronika Kienzle, Bezirksvorsteherin Stuttgart- Mitte, Dr. Albrecht Ernst, stellvertretender Leiter des Hauptstaatsarchivs Stuttgart und Lisa Gerlach, Stuttgarter Bürgerin und Briefschreiberin. 3
bestritten und verhöhnt werden, sollten wir uns gut überlegen, wie wir Demokraten uns auch in scheinbar kleineren Angelegenheiten begeg- nen. Wissenschaftlichkeit, die rechthaberisch wahrgenommen wird, ist nicht zielführender als Rechthaberei, die wissenschaftlich tut. »Der Weg des Geistes ist die Vermittlung, der Umweg.«: Dieses Zitat des großen Stuttgarter Philosophen Georg Wilhelm Friedrich Hegel, dessen 250. Geburtstag wir dieses Jahr mehr schlecht als recht feiern können, hing im ver- gangenen Jahr groß am Hegel-Haus. Für einen solchen vermittelnden Umgang möchte ich Marc Gegenfurtner plädieren. Gerade auch im Bereich der Stadt- geschichte, die in einem so großen Maße von Darüber hinaus werden Diskussionen auf der Zusammenarbeit abhängt. Der Zusam- Augenhöhe geführt und Meinungsverschie- menarbeit von öffentlichem Dienst und denheiten konstruktiv ausgetragen. Manche Ehrenamt, also von professionell ausgebilde- der Argumente, die ich in der Zeitung und ten einerseits und andererseits von Historikern auch in Zuschriften gelesen habe, haben mich und anderen Menschen, die aus Leidenschaft dann aber doch etwas erstaunt. Nicht, weil zur Sache argumentieren. hier vehement für die eigene Meinung einge- Weil die Zusammenarbeit der verschiedenen treten wurde – das halte ich mehr denn je für Stuttgarter Einrichtungen mit der Bürgerschaft eine demokratische Qualität und Errungen- so vielfältig und vielstimmig ist, wird die Stelle schaft, für die gerade in dieser Stadt in beson- für Erinnerungskultur, die der Gemeinderat im derem Maße gestritten wird. Aber wie mit- Dezember 2020 beschlossen hat und die wir unter eine wissenschaftliche Meinung und demnächst ausschreiben wollen, im erinne- deren Träger verbrämt wurden, das ließ mich rungskulturellen Gefüge Stuttgarts auch eine offen gestanden aufhorchen. wesentliche, moderierende Rolle spielen müs- sen. Nicht nur, weil es so viele Meinungen und »In Zeiten, in denen weltweit Meinungsführende gibt, sondern auch, weil immer öfter und die Frage nach den noch weithin unerforsch- immer unverhohlener ten Aspekten der Stadtgeschichte eine immer wissenschaftliche Erkenntnisse, größere Rolle spielt. Unter anderem auch des- selbst von Staatsvertretern wegen, weil es nicht nur unerzählte Narrative bestritten und verhöhnt werden, gibt, sondern auch unerwähnte Narrateure, sollten wir uns gut überlegen, also bislang ausgeblendete Erzählende. wie wir Demokraten uns auch Sie sehen also, Stadtgeschichte ist ein sehr in scheinbar kleineren weites Feld und ich bin sehr gespannt, wie das Angelegenheiten begegnen.« heute Abend beackert wird. Das Wichtigste ist, dass es fruchtbar und nicht furchtbar wird. In Marc Gegenfurtner diesem Sinne wünsche ich uns heute einen ertragreichen Abend und auch in Zukunft eine Man muss mit den Meinungen der Stadt und lebendige und von Wertschätzung und Ge- ihrer Fachleute selbstverständlich nicht un- meinsamkeit geprägte Erinnerung. Ich darf reflektiert einverstanden sein. Das zeichnet nun das Wort an die Sammlungsleiterin eine lebendige Stadtgesellschaft sogar aus. Frau Dr. Edith Neumann übergeben. Aber man sollte sich mit ihnen konstruktiv, nicht pejorativ, auseinandersetzen. Zumindest, Edith Neumann: wenn man das auch umgekehrt erwartet. Wer Auch ich begrüße Sie heute ganz herzlich im Augenhöhe will, sollte sich nicht vorschnell digitalen StadtPalais. Ich freue mich, dass diese erheben. In Zeiten, in denen weltweit immer wunderbare Podiumsdiskussion, die wir auf- öfter und immer unverhohlener wissenschaft- grund der Corona-Pandemie schon einmal liche Erkenntnisse, selbst von Staatsvertretern verschoben haben, heute stattfinden kann. 4
Am Pult: Marc Gegenfurtner, sitzend (v.l.n.r.): Prof. Dr. Wolfram Pyta, Dr. Albrecht Ernst, Dr. Torben Giese, Jan Sellner, Veronika Kienzle, Dr. Wolfgang Müller und Lisa Gerlach Ich gebe Ihnen eine kleine Einführung in das 1983 beschloss der Landesverband Baden-Würt- Bild des Königs und in die Figurengruppe – als temberg für Hundewesen anlässlich seines Vorbereitung für die kommende, hoffentlich 75-jährigen Bestehens, den Hundefreund spannende Diskussion. König Wilhelm II. zu ehren. Konkretisiert wurde Die Podiumsdiskussion heißt »Die Debatte um dies drei Jahre später, als der Tierarzt Dr. Hugo den Standort der Figur von König Wilhelm II.« Gehring auf eigene Kosten den 65-jährigen Oder wie ich sagen würde: »Wie man an den Bildhauer Hermann-Christian Zimmerle aus letzten König, Wilhelm II. erinnert.« Hemmingen mit einem Modell des Denkmals Angefangen hat es mit dem schwäbischen beauftragte. Wiederum drei Jahre später war Literaten Thaddäus Troll. Nach dem Ende der das Modell fertig – dann ging es an die Finan- Monarchie war der König erst einmal vergessen zierung. Der Verleger und Autor Hans-Frieder und es wurde nicht mehr groß über ihn ge- Willmann initiierte einen Spendenaufruf zur redet. Erst im Jahr 1978 fiel Thaddäus Troll ein, Realisierung der Figurengruppe. Der Verein dass der König in der Stadt überhaupt keine »Pro Stuttgart e.V.«, der seit 1987 ebenfalls Rolle spielte und er ließ anlässlich seines 130. unter dem Vorsitz von Willmann stand, unter- Geburtstages einen Kranz auf dessen Grab stützte die Spendenaktion, und es gingen legen, mit der Aufschrift: »Dem wahrhaft libe- angeblich 250.000 D-Mark von der Bürger- ralen Landesvater, seine treuen Württember- schaft ein. Das Geld war also da, und die Bronze ger«. Damit stieß er unwissentlich etwas an, wurde gegossen. Aber man suchte noch nach das Folgen haben sollte. Ab April 1980 begann einem Aufstellungsort. die Chefredakteurin der Stuttgarter Illustrier- Das gestaltete sich schwieriger als gedacht, ten, Anni Willmann, mit einer Artikelserie zu denn weder die Stadtverwaltung noch das »Württembergs geliebten Herrn und dem Land hatten einen Platz zur Verfügung ge- Demokraten auf dem Königsthron«. Und es stellt – und eigentlich wollte diese Plastik gab weitere Ideen: 1981 veranlasste der Ver- keiner so wirklich haben. schönerungsverein von Stuttgart, dass ein Man wusste nicht richtig, wie man diese Erin- Abguss eines Bronzereliefs des Bildhauers nerung einordnen sollte, und schließlich kam es Ludwig Habich aus dem Jahre 1911 in der da- zu Diskussionen. 1991 erklärte Hannelore Jouly, maligen Stadtbücherei angebracht wird. Es die damalige Direktorin der Stadtbücherei, dass befindet sich auch heute noch im StadtPalais. die Skulptur vor dem Wilhelmspalais stehen 5
Kontext irgendeiner Zeremonie. Er ist ein ele- ganter, gut gekleideter »Grandseigneur«, sieht gut aus und hasst es eigentlich, Orden zu tra- gen. Auf der einen Seite sehen Sie ihn im Jahr 1899. Da ist er bereits seit acht Jahren König. Daneben sehen Sie ihn 1905. Das ist ungefähr die Zeit, in der er die beiden Spitze in Hedel- fingen gekauft hat. Das hier wiederum ist im Jahr 1870: Er ist noch sehr jung und bereits verheiratet. Sie sehen, die Bartmode hat bei ihm stark gewechselt. Er wirkt entspannt, mit bürgerlicher Kleidung und elegant angezogen. Dr. Edith Neumann Andere Aufnahmen des Königs sind eher sel- ten, außer die offiziellen natürlich. Hier sehen darf. Und tatsächlich – am 7. Mai 1991 wurde Sie ihn nochmals älter, zwischen 1910 und 1912. sie dort der Öffentlichkeit übergeben. Auch Er steht im Garten von Friedrichshafen, also im Herzog Karl von Württemberg stiftete Geld für Urlaub, und ohne jeglichen Zwang, sich beson- das Denkmal und war bei der Eröffnung an- ders anziehen zu müssen. Es ist auch die Zeit, wesend. Er freute sich über die Skulptur. wie man ihn aus Erzählungen kennt, als er mit 1993 schrieb Anni Willmann nach den ganzen den beiden Spitzen spazieren ging. Ein ande- Ereignissen ihr Buch »Der gelernte König«. rer Rückblick zeigt den ganz jungen Mann, mit Darin tauchten viele Anekdoten zum König 15 Jahren wurde er Leutnant. Da klar war, dass auf, viele Erzählungen und Nacherzählungen Wilhelm Thronfolger wird, bereitete man ihn von Menschen, die den König noch kannten. gut auf dieses Amt vor – auch als obersten Dieses Buch beflügelte die Erinnerung um Befehlshaber des Landes. Er war im Krieg und das Denkmal und den König weiter. im Militärdienst, und danach sozusagen eine Die ganze Geschichte der Figurengruppe Weile auf »der freien Pirsch«. 1877 heiratete er wurde von Dr. Torben Giese in einem Buch in erster Ehe Marie zu Waldeck und Pyrmont. über das Wilhelmspalais, das vergangenes Jahr Noch im selben Jahr kam seine Tochter Pau- erschienen ist, erstmals zusammengefasst. line zur Welt. Sie ist das einzige Kind, das ihm Dann kam die Neuaufstellung. Im Oktober bleibt – Thronfolger Ulrich starb nach nur fünf 2013 wurde die Statue mit Zustimmung des Monaten. Auch seine Ehefrau Marie verstarb, Verkehrsvereins abgebaut und zwischenge- und es wurde deutlich, dass König Karl immer lagert. Es gab ein Versetzungsgutachten von älter wird. Der junge Wilhelm II., oder damals Juli 2013 und 2015 kam es zu einer neuen nur Wilhelm, musste übernehmen. Platzwahl. Die Abstimmung für die erneute Aufstellung wurde in Absprache mit dem »Wir werden darüber nachdenken, Planungsstab selbst und mit dem Architektur- wie liberal das Land unter Wilhelm II. war, büro LRO getroffen. Letzteres hat auch dieses wie stark er in seiner Rolle Haus umgebaut. Als neuer Ort wurde der im Deutschen Reich sein konnte, Garten des StadtPalais ausgesucht. Dann, im wie er überhaupt regieren konnte September 2017, fand die Wiederauferstehung und wo er mit Ministern der Skulptur tatsächlich statt – und heute ist regieren musste.« sie bei sämtlichen Aktivitäten im Garten des StadtPalais mitten im Geschehen. Edith Neumann Jetzt erzähle ich noch etwas zu Wilhelm II. – und zwar eigentlich gerne anhand von Bildern, Er vertrat immer öfter seinen Onkel Karl, und denn wir haben ja eine Figurengruppe und sah sich gezwungen, nochmals zu heiraten. ein Abbild von Wilhelm II. Ich möchte ihn ger- Hier sieht man ihn 1886 frisch verheiratet mit ne ein bisschen als Person vorstellen. Anders Charlotte zu Schaumburg-Lippe. Einmal ganz als bei Karl von Württemberg, gibt es tatsäch- offiziell, so wie er auch auf Gemälde-Porträts lich zeitgenössische Fotografien von Wilhelm II. auftaucht, mit seinen Orden und Auszeichnun- Die Aufnahmen, die ich Ihnen heute vorstelle, gen – eben in der Militäruniform des Oberbe- zeigen ihn in der Regel privat, und nicht im fehlshabers. 1891 wurde er König. Das Foto 6
zeigt ihn in der Anfangszeit seines Königtums. »Die Frage ist viel mehr: Nach der heutigen Diskussion geht für mich Wie prominent soll Wilhelm II. die Arbeit weiter, denn ich bereite derzeit eine am StadtPalais und damit auch Ausstellung vor. Zeigen werden wir sie im im Stadtbild in Erscheinung treten?« nächsten Jahr, anlässlich des 100. Todestages Darüber diskutieren wir.« von Wilhelm II. Hier sehen Sie das Plakat. Es ist bereits fertig und es wird eine Fülle von Aspek- Jan Sellner ten geben. Wir werden darüber nachdenken, wie liberal das Land unter ihm war, wie stark er gart-Mitte, und Torben Giese, Direktor und in seiner Rolle im Deutschen Reich sein konn- Hausherr des StadtPalais – Museum für Stutt- te, wie er überhaupt regieren konnte und wo gart. An seiner Seite Albrecht Ernst, der stell- er mit Ministern regieren musste. All diese Fra- vertretende Leiter des Hauptstaatsarchivs, und gen stellen wir uns gerade, und wir freuen uns Wolfram Pyta, Professor für Neuere Geschichte auf eine gute Diskussion im Laufe der nächs- und Leiter der Abteilung für Neuere Geschich- ten Zeit, die wir weiterhin mit Ausstellungen te am historischen Institut der Universität und Veranstaltungen betreuen werden. Jetzt Stuttgart. übergebe ich das Wort an Herrn Sellner. Herr Giese, ich darf die erste Frage an Sie rich- ten. Sie haben Wilhelm II. und seine zwei Jan Sellner: Hunde nicht persönlich abgesetzt, Sie haben Auch von mir einen schönen guten Abend. Ich ihn auch nicht persönlich in den Garten zu- darf Sie sehr herzlich begrüßen. Mein Name ist rückversetzt. Aber Sie stehen zu dieser Ent- Jan Sellner, ich bin Leiter der Lokalredaktionen scheidung. Was stört Sie an dem ursprüng- von der Stuttgarter Zeitung und den Stuttgar- lichen Standort vor dem StadtPalais? ter Nachrichten. In unserer Redaktion hat die- ses Thema sehr viel Raum eingenommen, auch schon vor der Corona-Pandemie. Ich darf den Abend mit einem Dank an Herrn Gegen- furtner und Frau Neumann für diese sehr kom- petente Einführung eröffnen. Wir werden uns in der nächsten dreiviertel Stunde über ver- schiedene Themen unterhalten. Über Denk- mäler, die in der Weltgeschichte auch immer mal wieder gestürzt werden können, wie wir in diesen Tagen erneut erfahren. Wir sind uns, so glaube ich, trotz unterschiedlicher Meinungen einig: Wilhelm II. war kein Sklavenhalter, dessen Denkmal im Neckar entsorgt werden müsste, oder im fiktiven Meer, das demnächst hier Jan Sellner wieder rund um das StadtPalais entsteht. Die Frage ist viel mehr: »Wie prominent soll Torben Giese: Wilhelm II. am StadtPalais und damit auch »Stören« ist immer ein schwieriges Wort. Man im Stadtbild in Erscheinung treten?« Darüber muss es eigentlich umdrehen: Uns stört an diskutieren wir. dieser Statue gar nichts. Wir haben uns nur die Es ist die Fortsetzung einer offenen Diskussion, Frage gestellt: »Ist das das richtige Denkmal die schon länger läuft, aber durch die Corona- vor einem StadtPalais, das sich als Museum des Pandemie unterbrochen wurde. Wir möchten 21. Jahrhunderts für Vergangenheit, Gegenwart die Diskussion heute wieder aufnehmen. Ich und Zukunft dieser Stadt versteht?« Auf diese begrüße auf dem Podium sehr herzlich Frau Frage sind wir zu dem Schluss gekommen, erst Lisa Gerlach, eine Historikerin, die sich an der mal grundsätzlich zu sagen: »Nein, das glauben Diskussion und an der Debatte schon aktiv be- wir nicht.« teiligt hat. Ich darf außerdem Herrn Wolfgang Warum? Weil wir glauben, dass König Wilhelm II. Müller von der Arbeitsgemeinschaft Stadtge- eine Identifikationsfigur für die ältere Genera- schichte ganz herzlich begrüßen. Zudem tion dieser Stadt ist. Das ist er unumwunden, Veronika Kienzle, Bezirksvorsteherin von Stutt- das werden wir niemals in Frage stellen und 7
das ist auch vollkommen legitim. Aber wir Jan Sellner: glauben nicht, dass er eine Identifikationsfigur Ist es wegen des Systems, wie damals schon für alle Stuttgarter*innen ist. Daraufhin haben der berühmte Ausspruch eines Revolutionärs wir uns die zweite Frage gestellt: »Könnte er lautet oder ist es wegen der Personen? Sie es denn sein? Ist es vielleicht unsere Aufgabe sagen selbst, Wilhelm II. ist einer der liberal- als Museum, dafür zu sorgen, dass König sten, oder sogar der liberalste der damaligen Fürsten. Torben Giese: Es ist interessant, wie man hier in Baden-Würt- temberg dem Tag der Revolution von 1918/19 und mit der Absetzung des Königs umgegan- gen ist. Die Frage nach dem »Warum« ist dabei eigentlich unerheblich. Ob der König aufgrund des Systems oder seiner Person gehen musste. Er ist gegangen worden, so wie in allen ande- ren deutschen Staaten auch. Ob das richtig oder falsch war, ist für einen Historiker wie mich immer schwierig zu beantworten. Das Denkmal erklärt ihn eigentlich sozusagen zum Dr. Torben Giese Bürger. Nicht zum »Bürgerkönig«, sondern zum Bürger. Und genau da ist für uns die Grenze, an Wilhelm II. zur Identifikationsfigur werden der wir sagen: »Nein, da wollen wir eigentlich könnte?« Auch diese Frage haben wir erst ein- nicht mitgehen.« Denn für uns ist er kein libe- mal mit »Nein« beantwortet, weil wir dann mit raler Demokrat, zu dem ihn dieses Denkmal Sicherheit sagen müssten, dass er der liberal- verklärt. Er ist liberal, keine Frage. Aber er ist ste der deutschen Monarchen war. Aber er ist ein liberaler Monarch, doch als solcher wird und bleibt ein Monarch, und kann damit nicht er nicht dargestellt. für eine freie, selbstverwaltete und selbstbe- stimmte Stadt im 20. und 21. Jahrhundert Jan Sellner: stehen. Herr Professor Pyta, was ist Ihr Blick auf Wilhelm II. und auf das Denkmal? »Uns stört an dieser Statue gar nichts. Wolfram Pyta: Wir haben uns nur die Frage gestellt: Man muss Kriterien entwickeln, und zwar nicht Ist das das richtige Denkmal nur Kriterien für Württemberg, sondern für Ge- vor einem StadtPalais, das sich samteuropa. In Europa hat es 1914 nur einen als Museum des 21. Jahrhunderts Staat gegeben, der keine Monarchie war. Das für Vergangenheit, Gegenwart war Frankreich, nehmen wir mal die Eidgenos- und Zukunft dieser Stadt versteht?« senschaft aus. Alle Staaten waren Monarchien. Die Monarchie ist die selbstverständliche Form Torben Giese von Herrschaft. Aber Monarchien sind ja keine Diktaturen. Es gibt verschiedene Abstufungen: Es gibt die parlamentarischen Monarchien, wie Außerdem haben wir uns im Zuge der Ent- beispielsweise in Belgien und den Niederlan- wicklung des Buches gefragt: »Ist denn dieses den, Dänemark und Großbritannien, in denen Denkmal überhaupt ein adäquater Umgang das Parlament die Personalentscheidungen mit Wilhelm II.?« Auch da haben wir für uns der Regierung trifft. Und es gibt konstitutio- gesagt: »Ein Denkmal ist ein Denkmal. Das ist nelle Monarchien, wie im deutschen Kaiser- nicht zu hinterfragen. Es ist richtig, wie es dort reich und in den einzelstaatlichen Monarchien, steht.« Aber es geht uns in der Liberalisierung in denen die Personalfindung noch ein letztes und Demokratisierung des Königs viel zu weit, Reservat des Königs ist. Wir müssen uns also dass man diese zwei Dinge sozusagen zusam- über Kriterien verständigen, mit denen damals menfasst. Monarchien und Monarchen gemessen wur- 8
den, sozusagen gesamteuropäische Kriterien. Da finden wir zum Beispiel den irritierenden Befund, dass in einer der liberalsten Monar- chien, nämlich in Belgien, deren Verfassung im Jahr 1830 eine der fortschrittlichsten war, ein Monarch namens Leopold I. unter anderem dafür verantwortlich war, dass in seinem Privat- besitz im belgischen Kongo mehrere Millionen Menschen umgebracht wurden. Jan Sellner: Sind das auch die Denkmäler, die jetzt gestürzt werden? Prof. Dr. Wolfram Pyta Wolfram Pyta: Ja. Das ist sozusagen die Frage nach den Krite- hohes Gut der Selbstreflexion, über sich selbst rien. Das Zweite ist: Wir müssen den württem- und seinen eigenen Standort nachzudenken, bergischen König Wilhelm II. mit den anderen ihn in Frage zu stellen. Bürgerlichkeit bedeutet deutschen Monarchen und Großherzogen ver- auch die Verabschiedung vom Denken in gleichen. Nur das kann aus der Zeit heraus die Klassengegensätzen, weil das Bürgertum kon- »Benchmark« sein, zumindest für mich als Wis- stitutiv auf Leistung setzt und Aufstieg durch senschaftler. Dabei wird man vielleicht zwei Leistung verheißt. Fragen stellen. Ich würde zwei Kriterien vor- Das sind für mich die beiden Kriterien, die schlagen. letztlich darüber bestimmen, Wilhelm II. in eine Gesamtgeschichte der deutschen Monar- chie einzubetten. Davon möchte ich abhängig »Wir müssen machen, wo er dann vielleicht in Stuttgart den württembergischen König Wilhelm II. seinen Standort verdient. mit den anderen deutschen Monarchen und Großherzogen vergleichen. Jan Sellner: Nur das kann aus der Zeit heraus Das klingt nach weiterer Forschungsarbeit. die »Benchmark« sein, zumindest für mich als Wissenschaftler.« Wolfram Pyta: Ja, unbedingt. Herr Dr. Albrecht Ernst hat uns Wolfram Pyta ja in entbehrungsvoller Detektivarbeit Quellen ausgegraben, die beispielsweise – ich will nur einen vielleicht etwas pointierten Satz vermit- Die erste Frage ist die nach dem Verhältnis der teln – Wilhelm II. als »Corona-Experten« zeigen. Monarchen zum Militär. Wir wissen, dass das Der als Verbindungsstudent selbstverständlich deutsche Kaiserreich, nicht zuletzt Preußen, weiß, was eine »Corona« ist – nämlich der Teil wo das Militär außerhalb der Verfassung steht, in einer Kneipe, den man in allen verbindungs- ein starkes Einfallstor für autoritäre Tendenzen studentischen Zirkeln kennt, und der bei je- und Strömungen bildete. Wir wissen auch, dem studentischen Ritual eine Rolle spielt. Es dass es Tendenzen gab, das Militärische zur will aber in diesem Fall nur heißen: Wilhelm II. Gesamtnorm für das gesellschaftliche Zusam- hat in seinen lebenslangen Freundschaften im menleben zu verklären, was auch als Militaris- Verbindungs-Studententum gelernt und ge- mus bezeichnet wird. lebt, ein echter Lebensbund. Das ist überaus Dann wäre die Frage: »Wie steht Wilhelm II. zu diffizil und differenziert, und spricht dafür, dass einem möglichen Primat des Militärischen?« jemand auch über die »schwäbischen Welten« Das ist für mich ganz entscheidend. hinausdenkt. In Göttingen war er im Übrigen Die zweite Frage ist die nach der Bürgerlich- bei das »Corps Bremensia«. Die lebenslangen keit, die damit verbunden ist. Was ist Bürger- Freundschaften und die Briefe, die davon zeu- lichkeit? Bürgerlichkeit ist zunächst einmal ein gen, verraten ein hohes Maß an Selbstreflexion. 9
Jan Sellner: wir das Staatstheater, das Kunstgebäude und, Bevor wir gleich in die Diskussionen über die und, und. All das waren Dinge, auf die er 1921 konkrete Standardfrage kommen: Herr Dr. mit Stolz zurückschauen konnte. Was wollen Ernst, Sie sind angesprochen. Sie sind einer wir jetzt mit diesen Gebäuden machen? Am der profunden Wilhelm II.-Kenner. Sie haben Staatstheater ist nach wie vor ein »W« an den die Korrespondenz von ihm gelesen und be- Türen angebracht. Muss das in diesem Kontext fassen sich intensiv mit ihm. Wen haben Sie dann auch entfernt werden? In einem seiner da kennengelernt? Briefe als Kronprinz schrieb er: »Es ist mir zu- wider, glorifiziert zu werden.« Das wollte er Albrecht Ernst: nicht. Er wollte wirklich als Mensch und Bürger Also, ich muss ganz offen sagen: Bevor ich auf geschätzt werden, und nicht nur wegen seiner diese Briefe aufmerksam wurde, sie gezielt Krone, die er ja nie trug. Einfach als jemand, gesucht und dann auch gefunden habe, war der ernst zu nehmen ist. Was ich bei Wilhelm mir Wilhelm II. zwar ein Begriff – aber in erster auch kennengelernt habe, ist Humor. Er selbst Linie tatsächlich so wie er durch dieses Denk- war einer, der gelegentlich auch Kuren mach- mal ein Stück weit symbolisiert wird.: dieser te, um sich ein bisschen zu »entfetten«, wie er spazieren gehende ältere Herr mit seinen es selbst schrieb. Es heißt ja übrigens immer, Hunden, der irgendwie ein »lieber Kerl« war. er sei auf diesem Denkmal viel zu schlank dar- Durch die Auswertung der Briefe habe ich nun gestellt. Wenn er dieses Denkmal mit seinen eine hochspannende und interessante Persön- Hunden sehen würde, nähme er das sicherlich lichkeit kennengelernt. Ein britischer Professor, durchaus amüsiert zur Kenntnis. Sie sehen: dem ich einen Teil der Briefe zu lesen gab, hat Zu den Briefen könnte man unheimlich viel gesagt: »Es gibt in Deutschland vor dem Ersten sagen. Aber ich denke, das stelle ich im Weltkrieg keinen einzigen Monarchen, über Moment ein. den wir inzwischen so genau Bescheid wissen wie über Wilhelm II. Wir kennen seine Höhen, Jan Sellner: seine Tiefen, seine Schwächen – wir kennen Herr Ernst, nur einen Satz noch dazu: Können ihn in all seinen Facetten. Sie etwas über den Umfang der Briefe sagen Forschungsarbeit, wie Professor Pyta eben und wie Sie damit umgehen? sagte, ist tatsächlich angesagt. Denn er war Monarch – und ich kann ihn deshalb hier nicht Albrecht Ernst: nur durch seine Briefe präsentieren, da muss Also es sind rund 700 Briefe. Von der Postkarte man auch immer mitdenken. Wilhelm schil- bis zum 16-seitigen Brief. Briefe, die wirklich im derte etwa nach seiner Abdankung in einem »Du-Stil« geschrieben sind, den es sonst von Brief, dass er so stolz sei Stuttgart zu einer einem Monarchen aus dieser Zeit nicht gibt. »Stadt der Künste« gemacht zu haben. Dabei muss man einiges bedenken, nicht nur in Jan Sellner: Stuttgart. Wir gehen ja bis zum Schiller Natio- An wen adressiert? nalmuseum nach Marbach. Und hier haben Albrecht Ernst: An zwei Freunde aus der Göttinger Verbindung »Bremensia«. Mit ihnen war er zeitlebens auf das Engste verbunden. Er schildert ihnen bei- spielsweise seine Eheprobleme, wenn wir schon beim Thema »Bürger« sind. Er schildert auch, dass er »wie ein Kettenhund heulte«, als er gezwungen wurde, die Monarchen-Lauf- bahn einzuschlagen. So etwas muss man auch sehen. Er hatte in Göttingen eine junge Frau, eine Professorentochter kennengelernt, die er sehr liebte und mit der er einige Jahre zusam- men war. Dann war er gezwungen, diese Be- ziehung aufzulösen. Das ist das Besondere an Dr. Albrecht Ernst den Briefen: Wem vertraut man das an? Den 10
engsten Freunden? Freunden fürs Leben? Was soll mit den Briefen geschehen? Sie sind mir eine große Sorge, weil ich immer noch über- lege, diese Briefe jetzt auch öffentlich ver- ständlich zu machen. Da werden ja Namen genannt. Mein Wunsch wäre, und ich hoffe, dass Sie es schaffen, zum 100. Todestag und zum Start der Ausstellung im StadtPalais eine Edition der Briefe herauszubringen. Nicht voll- ständig, denn es gibt auch Briefe nach dem Motto: »Holst du mich am Bahnhof ab?«. Das brauchen wir nicht. Aber eben auch sehr mächtige Briefe, die die Situation im Veronika Kienzle Wilhelmspalais ziemlich genau unter die Lupe nehmen. ist das so? Kommt es zurück oder ist das nur interimsweise?« Wir haben das immer wieder Jan Sellner: thematisiert, auch mit Kulturbürgermeister Das wäre ein wunderbares Zusammentreffen Fabian Mayer. Mir geht es aber jetzt erst einmal mit der Ausstellung, wenn es sich realisieren gar nicht so sehr um die Figur an sich, sondern lässt. Frau Kienzle, der Bezirksbeirat hat sich darum, wie dieser Diskurs stattfindet. Ich für den ursprünglichen Standort ausgespro- denke mal, Denkmäler sind per se »Diskursbe- chen, nämlich hier vor dem Wilhelmspalais, schleuniger«. Das merken wir hier ganz beson- beziehungsweise vor dem StadtPalais. Warum ders. Ich finde es gut, dass dieser Diskurs jetzt machen Sie sich als überzeugte Demokratin stattfindet und dass wir uns darüber verständi- für diesen Monarchen stark? gen. Ich sehe es übrigens genauso wie Sie, Herr Veronika Kienzle: Giese. Ich finde, am Schluss muss dabei her- Ich würde gerne früher beginnen. Herr Giese, auskommen, wo der richtige Ort ist. Wichtig ist ich bin Ihnen sehr dankbar, dass Sie es ange- es aber auch, dass dieses Bürgerengagement stoßen haben, die Historie, zu untersuchen gewürdigt wird, dass man die 250.000 oder und zum 100. Todestag Wilhelm II. dieser 280.000 Mark, die gesammelt wurden, nicht Figur näher treten zu wollen. Das war für den einfach vergisst. Das ist eine Riesensumme Bezirksrat aber gar nicht das Thema. Für den Geld, wenn man sie in der Bürgerschaft zu- Bezirksbeirat Stuttgart-Mitte stand vor allem sammensammelt. Wir haben ja noch mehr das Bürgerengagement an erster Stelle – und solcher, von den Bürger*innen initiierter Denk- natürlich die Tatsache, dass wir in den Umbau mäler in der Stadt. Denken Sie an den Mops des Palais mit einbezogen wurden. Der Be- vor dem Haus von Loriot und an andere kleine zirksbeirat ist eigentlich davon ausgegangen, Denkmäler. Auch sie sind kleine »Diskursbe- dass es auch weiterhin Wilhelmspalais heißen schleuniger«. Ich finde, wir haben eine Ver- wird und wurde vom Namen StadtPalais eher pflichtung, ganz kommunikativ damit umzu- überrascht. Zu dieser Namensänderung gab gehen. Dem Bezirksbeirat stieß zunächst die es damals bereits Reaktionen in der Bürger- fehlende Kommunikation auf, die vollendeten schaft. Und dann kam die Statue von König Tatsachen, was den Namen und den neuen Wilhelm II. plötzlich nicht an den angestamm- Standort angeht. Jetzt hat man den Wunsch, ten Platz, sondern auf die andere Seite des das richtig zu diskutieren. Und das wurde vom Gebäudes. Das wurde zwischen Architekten StadtPalais inzwischen aufgegriffen. und der Stadtverwaltung besprochen, nicht aber mit dem Bezirksbeirat. Wir haben das Torben Giese: Thema eigentlich erst wahrgenommen, als es Darf ich dazu etwas sagen, Herr Sellner? Ich schon vollzogen war. Ich habe es aber im Fol- möchte gerne eine interessante Tatsache klar- genden auf die Agenda gesetzt. Unter ande- stellen. Aus unserer Sicht haben wir dieses rem mit dem Verschönerungsverein Stuttgart Gebäude nicht umbenannt. Wir haben der und anderen, die sich darüber ein bisschen Institution den Namen StadtPalais gegeben. mokiert haben – nach dem Motto »Warum Vorher war es die Stadtbücherei im Wilhelms- 11
palais, und wir haben, als wir das Haus im Herbst 2017 wiedereröffneten, gemerkt, wie stark der Palais-Begriff ist, und dass wir dieses Haus, das ganze Museum danach benennen müssen. Also aus unserer Sicht haben wir genau das Gegenteil getan. Unser Buch heißt auch weiterhin »Das Wilhelmspalais«. Wir kön- nen ein Gebäude nicht umbenennen. Wir kön- nen aber die Institution »StadtPalais – Museum für Stuttgart« nennen. Im Nachhinein können wir schon verstehen, dass es vielleicht über das Ziel hinausschoss und es als Umbenennung verstanden werden konnte. Vorher stand ja Dr. Wolfgang Müller auch »Stadtbücherei« da, nicht »Wilhelmspa- lais«. Das soll jetzt nicht als Ausrede gelten, nur sondern er ist dort auch einfach im Weg. Wa- als Hintergrund. Eigentlich haben wir gedacht, rum haben wir nun als Arbeitsgemeinschaft wir geben dem Haus die höchste Referenz, die Stadtgeschichte das Thema aufgegriffen? Weil wir geben können und benennen die ganze wir persönlich, aber auch über unsere Vereine, Institution nach dem Palais. Mitgliedsverbände und auch über die persönli- chen Mitglieder sehr oft darauf angesprochen Jan Sellner: wurden. Natürlich waren es eher ältere Leute. Herr Müller, als Leiter der »Arbeitsgemeinschaft Aber wer weiß, ob sich so etwas im Laufe der Stadtgeschichte« zählen Sie zu den sehr enga- Zeit doch auch verändert? Man muss ja jetzt gierten Bürgern, die das Thema »StadtPalais/ nicht unbedingt einen scharfen Generationen- Wilhelmspalais/Stadtmuseum« intensiv über schnitt machen und sagen, dass es nur »die Jahre hinweg bearbeitet haben. Wie erleben Alten« sind, die das verlangen und »die Jun- Sie die Diskussion? Sie haben sich in den bis- gen« sich gar nicht für Wilhelm II. interessieren. herigen Beiträgen positioniert. Im Laufe der Das ist ja eine fließende Geschichte. Lange Diskussion darf ich dahin gehen, dass Sie Rede, kurzer Sinn: Wir plädieren dafür, dass sagen, das Denkmal gehört eigentlich wieder man einen angemessenen Platz vor dem an den ursprünglichen Standort. Warum ist Palais mit Blickrichtung in die Stadt findet, es aus Ihrer Sicht so? und dass man ihn dort möglichst bald auf- stellt. Jetzt ist es einfach notwendig, dass Wolfgang Müller: er einen besseren Platz bekommt. Punkt. Ich möchte das ein bisschen einschränken. Also den ursprünglichen Standort vertrete ich nicht auf den Meter genau. Ihn vertreten wahr- »Wir plädieren dafür, dass man scheinlich auch die wenigsten der Briefeschrei- für das Denkmal an Wilhelm II. ber und Bürger, die sich mokiert haben und einen angemessenen Platz vor dem Palais auch weiterhin mokieren. Aber einen besseren mit Blickrichtung in die Stadt findet, Platz als jetzt sollte er einfach bekommen, und dass man ihn dort möglichst denn es ist der falsche Ort. Er ist quasi ins bald aufstellt.« Abseits gestellt worden und das möchte ich jetzt gar nicht so tiefsinnig kommentieren. Die Wolfgang Müller Frau Kienzle hat dazu bereits eine ganze Reihe von Tatsachen und Argumenten formuliert. Aus meiner eigenen Anschauung hinterließ die Jan Sellner: Statue des Königs bei den großen StadtPalais- Frau Gerlach, Sie gehören zu den jüngeren, Events »Stuttgart am Meer« und »Stuttgart im engagierten Bürger*innen, die sich intensiv mit Schnee« aber den Eindruck, dass sie sich in der Stadtgeschichte beschäftigen. Sie haben einer ganz miserablen Umgebung befindet: uns einen flammenden Leserbrief geschrieben Da sind die Klohäuschen, es wird Bier ausge- und sind der Meinung, dass der König eigent- schenkt und Müll gelagert – und er stört dort. lich am richtigen Platz steht, wenn ich es rich- Es ist nicht nur kein würdiger Platz für ihn, tig gelesen habe. Warum? 12
Lisa Gerlach: Reformpädagoge. Auf der ganzen Welt gibt Danke schön. Ich bin tatsächlich der Meinung, es Waldorfschulen und er hat in pädagogi- dass die Statue keinen prominenten Platz scher Hinsicht vieles vorangebracht. Er hat aber braucht. So sehr ich die historische Arbeit auch Schriften veröffentlicht, die wir nicht so schätze und ja auch zu meinem Beruf ge- gut finden und kritisieren. Deshalb würden macht habe, denke ich, dass man bei solch wir aber nicht gleich die ganze Figur komplett einem Denkmal auch mitbedenken sollte, was verwerfen. Deshalb möchte ich schon darum es über den Zustand der Stadt jetzt sagt. Es ist bitten, das Thema um Wilhelm II. ein bisschen durchaus so, dass es etwas über uns als Gesell- differenzierter zu betrachten. Ich möchte auch schaft aussagt, wen wir ausstellen und wie wir daran erinnern, dass eine Dame aus Stuttgart ausstellen. Ich finde dieser Punkt sollte in der ihm jeden Monat ein Blumensträußchen zu Diskussion auch einen Raum bekommen. Füßen gelegt hat. Also wenn das keine emo- Ich kann Ihnen aus persönlicher Sicht sagen: tionale Bindung ist... Darauf muss ich als Wenn ich eine Königsstatue sehe, ist da nicht Bezirksvorsteherin reagieren, ich kann nicht unbedingt Bewunderung für einen großen so tun, als wäre das falsch. Mann. Sondern ich bin ehrlich gesagt vor allem erleichtert, dass ich nicht unter einem König lebe und ich weiß nicht, ob es unter diesen »So sehr ich die historische Arbeit Gesichtspunkten angebracht ist, dass er vor schätze und auch zu meinem Beruf dem Haus steht. Vielmehr sollte er als Teil gemacht habe, denke ich, dass man unserer Geschichte nach hinten. bei solch einem Denkmal Diese Geschichte ist wichtig und darf keines- mitbedenken sollte, was es wegs abgerissen werden, was ja in einigen über den Zustand der Stadt Leserbriefen dramatisch herbeigeschrieben jetzt sagt.« wurde. Aber ich finde es schon wichtig, dass das Erinnern in einen Diskurs über den gesell- Lisa Gerlach schaftlichen Fortschritt, den wir zum Glück gegangen sind, eingebettet sein sollte. Jan Sellner: Professor Pyta, es wurde nun auch die grund- sätzliche Frage nach Stadtgeschichte im öffent- lichen Raum angesprochen. Gibt es da Defi- zite, gibt es mehr zu tun? Wolfram Pyta: Es ist nicht meine primäre Aufgabe, das zu beurteilen. Aber um diesen schönen Ausdruck der Denkmäler als »Diskursbeschleuniger« nochmals aufzugreifen: Mir scheint, dass wir in Stuttgart vielleicht eine Debatte anstoßen können, die für ganz Deutschland gilt – näm- Lisa Gerlach lich die Debatte über den Stellenwert der Monarchie in Deutschland selbst. Das ist ein Thema, das eigentlich längst überfällig ist. Es Veronika Kienzle: gibt zwar bestimmte, sehr isolierte Themen, Ich finde, dass wir Persönlichkeiten der Ge- über die man spricht, aber keine Generalde- schichte nicht einfach nur zwischen zwei batte. Die müsste zunächst einmal so geführt Buchdeckeln aufbewahren sollten, sondern werden, dass wir uns davon verabschieden, dass wir uns durchaus auch im öffentlichen einen prinzipiellen Gegensatz zwischen Demo- Raum mit ihnen auseinandersetzen müssen. kratie und Monarchie zu konstruieren. Denn Das gehört einfach zur Stadt und zur Zeit- dann wären Großbritannien, die Niederlande, geschichte dazu. Wir haben viele Persönlich- und Dänemark heute keine Demokratien. keiten der Zeitgeschichte in Stuttgart. Zum Selbstverständlich kann eine Monarchie sich Beispiel Rudolf Steiner, ein weltweit bekannter parlamentarisieren. Das war auch die große 13
Frage in der historischen Forschung vor etwa chie zurückkehren sollte oder wie man zu die- 50 Jahren, als man sich intensiv mit dem deut- ser Monarchie eigentlich steht. Sind wir nei- schen Kaiserreich beschäftigte: Gibt es einen disch auf England, wo es noch eine Monarchie Hang oder eine natürliche Entwicklung hin gibt? Oder sind wir total froh, dass es sie bei zu einer Parlamentarisierung der Monarchie? uns nicht mehr gibt? Natürlich verbergen Seit 40 Jahren hat die Geschichtswissenschaft sich hinter unserem Umgang mit Wilhelm II. dazu geschwiegen. Jetzt könnte man diese genau diese Fragen. Ich finde es vollkommen Debatte von Stuttgart aus noch einmal be- legitim, dass man als junger Mensch fragt: schleunigen. Die zweite Frage ist: Ich wun- »Was mache ich denn mit so einem König? dere mich, warum man im Jahr 2021 nicht Ist das jetzt jemand, dem ich Ehrerbietung darüber nachdenkt, dass 150 Jahre zuvor der schulde oder schulde ich ihm gar nichts?« deutsche Nationalstaat gegründet wurde. Der deutsche Nationalstaat ist ein föderaler Staat, in dem auch Württemberg seinen Platz hatte. »Ich finde, dass wir Nutzen wir das doch vielleicht als Anstoß, da- Persönlichkeiten der Geschichte rüber nachzudenken, welchen Stellenwert nicht einfach nur zwischen Württemberg in diesem deutschen National- zwei Buchdeckeln aufbewahren staat hatte. Welche Impulse sind von Württem- sollten, sondern dass wir uns berg, möglicherweise vom württembergischen auch im öffentlichen Raum König, ausgegangen? Ich stelle in der Ge- mit ihnen schichtswissenschaft eine weitgehende Igno- auseinandersetzen müssen.« ranz fest, was das 19. Jahrhundert und das deutsche Kaiserreich anbelangt. Es ist höchste Veronika Kienzle Zeit, dass solche Debatten von der öffentlichen Hand angestoßen werden. Es gibt immer noch Historiker, die sich mit Bismarck und dem Richtig ist: Durch die Diskussion um das Denk- Deutschen Kaiserreich beschäftigen. Sie sind mal von Wilhelm II. stellt sich die entschei- rar geworden, aber es gibt sie. Hier könnte dende Frage: »Wie wollen wir mit dem Thema Stuttgart Avantgarde sein – um einen Diskurs Monarchie als Gesellschaft umgehen?« Wenn anzustoßen, der längst überfällig ist. man uns als Haus betrachtet, steht er vor dem Haus als Symbol für die demokratische Stadt Stuttgart des 19. und 20. Jahrhunderts. Oder »Es ist ja schon so, sollte da eher Rudolf Steiner stehen? Oder ein dass es etwas über uns wirklicher Bürger? Oder der Mops oder eine als Gesellschaft aussagt, Bank? Verstehen Sie? Ich glaube, das trifft das, wen wir ausstellen worum es uns auch geht. Als StadtPalais ver- und wie wir ausstellen.« treten wir nicht die Interessen aller. Wir ver- treten unsere eigenen und gehen deswegen Lisa Gerlach auch in den Diskurs. Wenn die Menschen um uns herum zu einem anderen Schluss kommen und sagen: »Ihr seid da ein bisschen arg Jan Sellner: »monarchiefeindlich« im Palais, ihr seid jung Herr Giese, »eine Debatte anstoßen« ist das und ihr seid zu vorsichtig, wir müssen einen Stichwort. Ich glaube, darum geht es ihnen anderen Weg gehen«, gehen wir mit, aber auch. wir müssen darüber debattieren. Wir können nicht einfach sagen, dass Menschen wie Frau Torben Giese: Gerlach oder auch wie wir im Team, die mit Ja. Wir sind inhaltlich garantiert nicht einer dieser vielleicht etwas verklärenden Form von Meinung, aber Herr Pyta hat natürlich vollkom- Erinnerung an die Monarchie eher fremdeln, men Recht, dass das Verhältnis der Deutschen Recht haben. Dasselbe gilt für diejenigen, die zur Monarchie gebrochen, schwierig und pro- sagen: »Nein, das darf man nicht, das ist re- blematisiert ist. Wenn man so will, hat unsere spektlos.« Natürlich dürfen wir das als jüngere Gesellschaft nie darüber geredet, ob man Generation. Das Denkmal ist ja auch noch da. nicht vielleicht doch wieder zu einer Monar- Ich habe manchmal das Gefühl, dass wir in 14
den Debatten so tun, als hätten wir es abgeris- »Mir ist es ein Anliegen, sen. Das würden wir niemals tun. Es gehört zu dass ein Denkmal uns. Es gehört zu diesem Haus. Und wir sind zum Nachdenken anregen soll. froh, dass es da ist. Das kann aber nur funktionieren, wenn man es auch sieht Jan Sellner: und im Stadtbild wahrnimmt.« Herr Ernst, Sie schmunzeln. Wie gelingt es, dass man diese Diskussion, diese Debatte Albrecht Ernst nicht verklärend führt, sondern wirklich gewinnbringend? offenen Karten gespielt hat. Ich habe ganz verschiedene Dinge gehört – etwa, dass man Albrecht Ernst: den König, oder eben diesen Bürger, dorthin Ich finde, man muss dabei wirklich an die stellte, wo sein Hundezwinger war. In der Zei- Quellen gehen. Meiner Meinung nach hat auch tung war nachzulesen, dass man ihn hinters das StadtPalais als Stadtmuseum Nachhol- Haus stellte, damit er vom Straßenlärm ge- bedarf. Das Ganze krankt doch daran, dass Sie, schützt ist. Dafür sitzen nun die Kinder in ihren Herr Giese, Wilhelm, den Württemberger, im Wasserbecken direkt an der Bundesstraße. Prinzip von Anfang an in eine Schublade mit Das sind ja alles irgendwo Widersprüche, die dem preußischen Wilhelm, also mit dem deut- ich als ebensolche empfunden habe. Es wurde schen Kaiser, gesetzt haben. Es gab dabei kein eben auch von Rosen gesprochen, er stehe differenziertes Bild. Sie haben vorhin von einer im Rosengarten. Wenn wir jetzt die Bilder be- »Identifikationsfigur« gesprochen. Dieses Denk- trachten, ist es eigentlich ein ziemlich abgetre- mal fordert ja nicht dazu auf, sich mit diesem tener Rasen, auf dem dieses Denkmal steht. absolut bürgerlich erscheinenden, spazieren Mir ist es ein Anliegen, dass ein Denkmal zum gehenden Monarchen zu verbinden, oder sich Nachdenken anregen soll. So viel zur Frage von damit irgendwie zu identifizieren. Für mich ist Herrn Sellner. Das kann aber nur funktionieren, das Denkmal eher etwas, das zum Schmunzeln wenn man es auch sieht und im Stadtbild einlädt – und an dem man sich vielleicht mit wahrnimmt. Eventuelle Kritik, die es an diesem dieser älteren Dame, die dort ihre Blumen nie- Mann gibt, könnte man etwa über Informatio- dergelegt hat, einfach auch nur erfreuen kann. nen auf Hinweisschildern unterbringen. Ich habe aber auch gedacht, dass es dem Stadt- Palais nicht unbedingt abverlangt werden »Eventuelle Kritik, die es muss, dieses Denkmal unbedingt hier be- an diesem Mann gibt, halten zu müssen. Deswegen kam nun das könnte man etwa über vielleicht mit einem kleinen Augenzwinkern Informationen auf Hinweisschildern versehene »Asyl-Angebot«, ihn einfach in die unterbringen.« Nachbarschaft zu stellen. Er wäre dann in unmittelbarer Nähe und vor allem zugänglich. Albrecht Ernst Für mich muss ein Denkmal einfach zugäng- lich sein. Es klang jetzt immer wieder an, dass nur ältere Jan Sellner: Leute an dem Thema Interesse hätten. Ich will Auf das »Asyl-Angebot« kommen wir gleich an dieser Stelle erwähnen: Vor zwei Jahren, noch zu sprechen. Ich möchte kurz Herrn 2018, bekam ein damals 18-jähriger Gymnasiast Giese die Gelegenheit geben. Dann gibt in Ludwigsburg den Landespreis für Heimat- es hier gleich weitere Wortmeldungen. forscher, weil er sich in seiner Seminararbeit dem Thema Wilhelm gewidmet hat. Ich habe Torben Giese: mir das Fazit notiert, in dem der Schüler Ich finde es nicht gut, uns oder auch mir feh- schrieb: »Wilhelm durchbricht in vielerlei Hin- lende Wissenschaftlichkeit vorzuwerfen. Wir sicht das traditionelle Bild eines Fürsten.« Er sind die einzigen, die ein Buch dazu geschrie- hat also genau verstanden, worum es geht. ben haben. Ich habe als erster die Geschichte Was mich bei dem Thema von Anfang an irri- dieses Denkmals recherchiert. Zu sagen, wir tierte, war, dass man offensichtlich nicht mit hätten unsere wissenschaftlichen Hausauf- 15
gaben nicht gemacht, ist nicht fair. Und das einem Geschenk geht man sorgfältig um. Es bringt uns auch nicht weiter. Das Entscheiden- ist müßig, darüber zu debattieren, warum es de an der Frage ist doch: Das eine ist die histo- auch Gegenstimmen gab oder Abwägungen rische Bewertung der Person. Das andere sind da waren. Herrn Rommel darf man auf keinen Fragen der Erinnerungskultur, das Einmaleins Fall als Kronzeuge zitieren, denn er war ja des Historikers. Diese zwei Dinge gehören bekannt in seiner – ich will fast sagen – »Ge- nicht zusammen. Wir haben niemals die histo- schichtslosigkeit«, auch was die Fortschreibung rische Bewertung von Wilhelm II. irgendwie in der Stadtgeschichte und den Denkmalschutz Frage gestellt. Wir haben nur gesagt: In der betrifft. Aber mit einem Geschenk geht man Erinnerungskultur ist er für uns nicht der rich- sorgfältig um und ein Geschenk verwaltet man tige Weg. Das auseinanderzuhalten ist eigent- treuhänderisch. Deshalb gebietet es meiner lich nicht so schwierig. Es bedarf aus meiner Meinung nach auch der Respekt vor den Spen- Sicht auch keiner Vermischung, denn wir re- dern, dass man nun nicht nach Gutsherrenart spektieren Ihr Urteil zu Wilhelm II. Sie sind der verfährt. Mir erschließt sich diese feine Abwä- größte Kenner. Wir hoffen, dass wir die Briefe gung gar nicht, warum er denn dort im Garten bekommen, sodass wir auch Ihr Wissen teilen sein darf, während er an einer anderen ordent- dürfen. Ich würde mich darüber freuen. Wich- lichen Stelle im vorderen Bereich nicht sein tig wäre, es wirklich zu trennen und keine Dis- soll. kussionen darüber zu führen, wer mehr oder weniger weiß, oder wer mehr gelesen hat als Jan Sellner: der andere, denn es ist eine Debatte. Frau Kienzle, Sie hatten vorhin den Entschei- dungsprozess geschildert und Bürgerengage- Albrecht Ernst: ment angesprochen. Was ist denn Ihre persön- Nur eine ganz kurze Erwiderung. Ich las Ihren liche Meinung? Wie geht man Ihrer Ansicht Buchbeitrag mit Begeisterung. Sie haben, was nach mit diesem Geschenk um? die Vorgeschichte des Denkmals angeht, vieles entdeckt und auch ins rechte Licht gerückt. Gar Veronika Kienzle: keine Frage, Herr Giese. Aber am Anfang las Ich bin der Meinung, dass man die Bürger*in- ich, der schwärzeste Tag im Leben Wilhelms nen bei der Frage der Neupositionierung un- war der Tag seiner Abdankung. Der schwärze- bedingt einbeziehen muss. Ebenso bei der ste Tag in seinem Leben war aber viel, viel frü- Reflexion auf diese Person. Ich selbst sehe in her, als er seinen Sohn und seine Frau verlor. der Skulptur übrigens nicht den Monarchen. Den Briefen nach, die ich als authentisch an- Ich sehe eher diesen Mann, der mit seinen nehme, weil sie eben nicht für die Öffentlich- Hunden spazieren geht. Ich finde, es wäre keit bestimmt waren, hat er seine Abdankung einfach richtig gewesen, zu sagen, dass man sogar als Erleichterung gesehen. »Nun bin ich einen neuen Standort sucht. Und das Ganze diese Dornenkrone los«, schrieb er mitunter. nicht nur zwischen Bauplanern, Architekten Das sind eben solche Zitate, die ich für bare und den künftigen StadtPalais-Betreibern oder Münze nehme. Deswegen muss man einfach Initiatoren diskutiert, sondern auch die Schen- noch tiefer eindringen. Das wollte ich damit kenden einbezieht und sagt: »Wir haben da sagen. etwas vor, können wir das diskutieren.« Diese Diskussion, Herr Giese, wurde erst jetzt, nach- Jan Sellner: dem die Presse darüber berichtete, und nach- Gut, dann zu Herrn Müller. dem die Briefe kamen, losgetreten – und es ist gut, dass Sie das machen. Aber die Leute sind Wolfgang Müller: jetzt schon ein bisschen aufgebracht und ich Ich möchte nochmals zurück zur eigentlichen hätte sie und auch den Bezirksbeirat gerne Frage des heutigen Tages kommen: zum etwas früher einbezogen gesehen. Ich glaube, Standort der Statue und wie man mit ihr um- dann hätten wir auch ein gutes Ergebnis be- geht. Ich will gar nicht das Wort »Denkmal« kommen. strapazieren. Es ist eine Statue. Es ist ein Ge- schenk von Bürgern an die Bürger. Die Stadt Jan Sellner: hat es stellvertretend für die Bürgerschaft an- Mit Blick nach vorne: Es gibt schon diverse genommen. Sie ist beschenkt worden und mit Vorschläge. Es wurde angesprochen, sozu- 16
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