SCHWANGERSCHAFTSABBRUCH - DAS RECHT AUF EINE SELBSTBESTIMMTE ENTSCHEIDUNG - NR. 3/4 I 2012 - IFAS MERSEBURG

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SCHWANGERSCHAFTSABBRUCH - DAS RECHT AUF EINE SELBSTBESTIMMTE ENTSCHEIDUNG - NR. 3/4 I 2012 - IFAS MERSEBURG
Nr. 3/4 I 2012

Schwangerschaftsabbruch

Das Recht auf eine
selbstbestimmte Entscheidung
SCHWANGERSCHAFTSABBRUCH - DAS RECHT AUF EINE SELBSTBESTIMMTE ENTSCHEIDUNG - NR. 3/4 I 2012 - IFAS MERSEBURG
2I                                                                                                     3/4 I 2012

Inhalt                                                                   Impressum
Editorial                                                            3   ISSN 0175-2960 / 40. Jahrgang · 5,10 Euro

Tabuthema Schwangerschaftsabbruch                                        Herausgeber und Redaktion:
Ulrike Busch                                                         4   pro familia Deutsche Gesellschaft für
                                                                         Familienplanung, Sexualpäda­gogik
Bevölkerungsdiskurs und Abtreibungsrecht                                 und Sexualberatung e.V.
Daphne Hahn                                                          7   Bundesverband, Stresemannallee 3
                                                                         60596 Frankfurt am Main
Dokumentarfilme: Reden über ein Tabu                                     Telefon: 069 26 95 779-0
Susanne ­Riegler, Janina Heckmann                                   10   Fax: 069 26 95 779-30
                                                                         Internet: www.profamilia.de
Schwangerschaftsabbruch in der sozialwissenschaftlichen Forschung        E-Mail: info@profamilia.de
Cornelia Helfferich                                                 12
                                                                         V.i.S.d.P.:
Ärzteverbandsvertreter im Interview:                                     Prof. Dr. Daphne Hahn,
Christian Albring und Thomas Dimpfl                                 15   Redaktion: Gundel Köbke,
                                                                         Regine Wlassitschau
Mythen über den Schwangerschaftsabbruch                                  Bezug: Für ein Einzelheft 5,10 Euro zu-
Petra Schweiger                                                     17   züglich Versandkosten und einschließ-
                                                                         lich Mehrwertsteuer. Für ein Jahres-
Klinische Praxis und Forschung                                           abonnement 19,50 Euro (Ausland 21,50
Christian Fiala und Kristina Gemzell                                19   Euro) einschließlich Mehrwertsteuer.
                                                                         Das Abonnement erstreckt sich über
Anti Choice Aktionen in Bayern                                           ein Kalenderjahr. Es verlängert sich
Miriam Gil und Katharina Heudorfer                                  21   ­automatisch um ein Jahr, wenn nicht
                                                                          bis zum 30. September eines Jahres
Pflichtberatung vor dem Schwangerschaftsabbruch                           ­gekündigt wird. Das Jahresabonne-
Jutta Franz                                                         23     ment wird am Jahresanfang in Rech-
                                                                           nung gestellt. Bestellungen richten Sie
Pro Choice: Engagement für Wahlfreiheit                                    bitte direkt an den pro familia Bundes-
Anja Kruber und Christine Czygan                                    25     verband, Frankfurt.

Krankenkasse kooperiert mit AbtreibungsgegnerInnen                       Erscheinungsweise:
                                                                         Vierteljährlich
Andrea Ponti                                                        27
                                                                         Anzeigen:
Männer in der Schwangerschaftskonfliktberatung                           Zur Zeit gelten die Mediadaten 1/2012
Sören Bangert                                                       29   Layout:
                                                                         Spendwerk, www.spendwerk.de
„Mein Bauch gehört mir“                                                  Druck: Strube OHG, 34584 Felsberg
Ute Wellstein                                                       32   Copyright:
                                                                         ©pro familia Bundesverband,
pro familia Positionspapier zum Schwangerschaftsabbruch             34   Deutsche Gesellschaft für Familien­
                                                                         planung, Sexualpädagogik und
60 Jahre pro familia und IPPF                                            Sexualberatung e. V.,
Paul Soemer                                                         35   Frankfurt am Main.
                                                                         Die Beiträge sind urheberrechtlich
Jetzt erst Recht – Ein Erfahrungsbericht                            37   ­geschützt. Die Textinhalte geben die
                                                                          AutorInnenmeinung wieder und
Rezension: Make Love – Ein Aufklärungsbuch                          38    ­stimmen nicht zwangsläufig mit der
                                                                           Meinung der pro familia Redaktion
Sexualstraftäter in Online-Spielen                                  40
                                                                           überein. Dies gilt ebenfalls für
Aus den Landesverbänden                                             41     Anzeigen und Beilagen.
                                                                           Titel-Foto: copyright (c)
Kurzberichte und Termine                                            47     istock/ Sean Locke
SCHWANGERSCHAFTSABBRUCH - DAS RECHT AUF EINE SELBSTBESTIMMTE ENTSCHEIDUNG - NR. 3/4 I 2012 - IFAS MERSEBURG
3/4 I 2012                                                                                                            I3

                                                       Editorial

                 Vom Recht auf
         selbstbestimmte Entscheidung
n Die Parlamentarische Versammlung                                            Persönlichkeitsrecht der Frau in den Vor-
des Europarats hat am 16. April 2008                                          dergrund stellt und als zu schützendes
eine Resolution verabschiedet, in der                                         Gut definiert, ist ein Schritt, das Recht
sie den Zugang zu einem sicheren und                                          auf selbstbestimmte Entscheidung um-
legalen Schwangerschaftsabbruch auf                                           zusetzen. Das Gericht hat begründet,
europäischer Ebene einfordert. Die Re-                                        dass Frauen nicht eingeschüchtert und
solution bestärkt das Recht der Frau,                                         belästigt werden dürfen.
sich selbstbestimmt für oder gegen eine
Schwangerschaft zu entscheiden und verbindet dies mit        In der aktuellen Doppelausgabe des pro familia magazins
dem Anspruch, entsprechende Versorgungsstrukturen            finden sich Artikel über das Reden und Schweigen zum
in den Ländern der Europäischen Union zu schaffen. pro       Thema Schwangerschaftsabbruch. Das magazin vereint
familia verfolgt seit vielen Jahren die gleichen Ziele und   wichtige Diskussionslinien: es enthält einerseits Kurzfas-
setzt sich dafür in unterschiedlichen gesellschaftlichen     sungen ausgewählter Beiträge einer Tagung, die ­Ende Sep-
Zusammenhängen ein.                                          tember in Merseburg stattgefunden hat. Deutlich wird an
                                                             den Beiträgen, wie sehr das Thema Schwangerschaftsab-
Der pro familia Bundesverband hat auf seiner diesjähri-      bruch in bevölkerungspolitische und Geschlechterdiskur-
gen Mitgliederversammlung ein neues Positionspapier          se eingebettet ist, dass es in der öffentlichen ­Diskussion
zum Schwangerschaftsabbruch verabschiedet, das in der        im Zusammenhang mit psychischen Folgen und mora­
langen Tradition der bisherigen Verbandsarbeit steht und     lischen Fragen beschrieben und besprochen wird und wie
unsere Positionen im Kontext der sexuellen und repro-        sehr wissenschaftliche Fragestellungen aktuelle Diskurse
duktiven Gesundheit und Rechte begründet. Über eine          repräsentieren. Andererseits wurden in das Heft weitere
Schwangerschaft muss allein die schwangere Frau ent-         Artikel und Interviews zu Themen wie der Ausbildungs-
scheiden können. Ein Hintergrundpapier, in dem unsere        situation im Bereich der Gynäkologie aufgenommen, das
Verbandspositionen und Argumente, rechtliche Regelun-        heißt, ob der medizinische Nachwuchs auch künftig die
gen historisch und gesellschaftlich eingebunden werden,      von uns geforderten medizinischen Kompetenzen er-
wird folgen. Die Positionierung des Verbands zum Recht       wirbt und wie eine gute Versorgung aussehen kann, bei
auf eine selbstbestimmte Entscheidung, eine Schwanger-       der beispielsweise auch andere medizinische Fachkräfte
schaft auszutragen oder nicht, ist und bleibt mindestens     eine neue Rolle einnehmen könnten.
von Bedeutung, so lange der Schwangerschaftsabbruch
im Strafrecht geregelt ist. Neben der rechtlichen haben      Das Thema Schwangerschaftsabbruch zeigt wie kein
wir jedoch vor allem die Versorgungsituation im Blick.       ­anderes, wie es um die sexuelle und reproduktive Selbst-
Frauen haben das Recht auf eine qualitativ hochwertige,       bestimmung in einem Land bestellt ist. Für uns als
auf dem aktuellen Stand der Wissenschaft durchgeführ-         ­Verband bleibt es daher weiterhin wichtig, Position zu be-
te medizinische Versorgung und sollen frei zwischen den        ziehen.
SCHWANGERSCHAFTSABBRUCH - DAS RECHT AUF EINE SELBSTBESTIMMTE ENTSCHEIDUNG - NR. 3/4 I 2012 - IFAS MERSEBURG
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                                         Tabuthema Schwangerschaftsabbruch

           Eine Positionierung zum Thema
               Abtreibung im Kontext
           reproduktiver Rechte ist wichtig
                                                      Ulrike Busch

n Ende September 2012 wurde an der        Einheit die Neuregelung des Abtrei-       Arrangements
Hochschule Merseburg die Tagung           bungsrechtes nötig geworden: straf-       mit fataler Wirkung
„Schwangerschaftsabbruch zwischen         rechtliche Indikationenlösung und         Heute nehmen wir zunächst das Ar-
reproduktiver      Selbstbestimmung       außerstrafrechtliche Fristenlösung        rangement der Frauen wahr, die sich
und Kriminalisierung“ veranstaltet.       prallten aufeinander. Für einen Mo-       in einer vermeintlichen Fristenlösung
140 Jahre nach der Geburtsstunde          ment blitzte die historische Chance       befinden und keinen Grund mehr zum
des § 218 im StGB, 40 Jahre nach der      auf, eine Liberalisierung zu erreichen,   Protest sehen und fühlen – zu anders
Kampagne „Wir haben abgetrieben“          die an die außerstrafrechtliche Lö-       ist die Realität für sie heute: der Zu-
in der BRD und nach der Einführung        sung der DDR anknüpfte und Ent-           gang zum Schwangerschaftsabbruch
einer außerstrafrechtlichen Fristen-      scheidung wirklich – und nicht nur        ist möglich, trotz Pflichtberatung und
regelung in der DDR sowie fast 20         letztlich – den Frauen gibt.              Verankerung im Abschnitt „Straftaten
Jahre nach der Neuregelung des Ab-                                                  gegen das Leben“, was kaum mehr be-
treibungsrechtes in Deutschland ver-      Die 70er und 80er waren aus heutiger      kannt ist. Das Arrangement der Politik
wundert das Schweigen zu diesem           Perspektive ein vehementes Rütteln        ist historisch verstehbar, ist doch der
Thema. Gibt es neue, dringendere          an der gesellschaftlichen Verfasstheit    Kompromiss Anfang der 90er nach
Themen? Was ist aus den alten Dis-        – in einer Zeit des Auf- und Umbruchs,    intensivem Ringen gefunden worden.
kursen zu lernen? Das Thema erweist       eingebettet in die 68er Revolten. Das     Es besteht die nicht unberechtigte
sich als nach wie vor zentral, wenn es    Abtreibungsthema eignete sich wie         Sorge, dass ein Rühren am Thema in
um sexuelle und reproduktive Rechte       kaum ein anderes, sichtbar zu ma-         einer Verschärfung münden könnte.
geht und als nicht erledigt.              chen, dass es um Veränderung ging.        Die Diskurse um die Spätabbrüche
                                          Nahezu symbolisch bündelte sich           vor drei Jahren sprechen eine beredte
Das heutige Schweigen ist im Ver-         Vieles in diesem Thema: die Rechte        Sprache. Die Bundesverfassungsge-
gleich mit dem Ringen Anfang der          von Frauen, die Stellung der Frau in      richtsurteile von 1975 bis 1993 sind
90er Jahre um eine Neureglung für         der Gesellschaft, Selbstbestimmung.       zur Norm geworden, sie fokussieren
Deutschland oder gar mit dem Auf-         Mit dem Bekenntnis „Wir haben ab-         den Blick auf das ungeborene Leben
begehren der 70er und 80er Jahre ge-      getrieben“ ging es um etwas, das nur      und seinen Schutz.
gen den § 218 irritierend und wirft       verständlich ist, wenn man das Davor
Fragen auf. Natürlich waren das ganz      kennt. Heute sind wir von Aufbegeh-       Das Arrangement der Medien zeigt
andere Situationen: Der Zugang zum        ren weit entfernt, obwohl es den § 218    sich darin, dass das Thema in der Öf-
Schwangerschaftsabbruch ist heute         StGB immer noch gibt, es dominieren       fentlichkeit kaum mehr behandelt
möglich, wenn auch immer noch im          Arrangements und die wichtige Frage       wird, abgesehen von wenigen morali-
Strafgesetzbuch geregelt. Anfang der      nach deren Hintergründen, aber auch       sierenden Beiträgen. Das Thema ver-
90er war im Kontext der deutschen         Auswirkungen ist zu stellen.              schwindet aus dem öffentlichen Be-
SCHWANGERSCHAFTSABBRUCH - DAS RECHT AUF EINE SELBSTBESTIMMTE ENTSCHEIDUNG - NR. 3/4 I 2012 - IFAS MERSEBURG
3/4 I 2012                                                                                                             I5

wusstsein oder es wird psychologisiert   im Kontext ungewollter Schwanger-          mit gesellschaftlicher Stigmatisie-
und moralisiert – aber es geht seit      schaft, die geeignet sind, dieses          rung und moralischer Ächtung. Dies
langem nicht mehr um ein Recht, das      Schweigen anzunehmen. Ein Lebens-          befördert eine Individualisierung des
auch medial zu verteidigen ist.          ereignis, das jede vierte Frau erlebt in   Themas, eine Vereinzelung der Frau-
                                         einer Welt, in der sonst alles möglich     en in ihrer Lebens- und Entschei-
Das Arrangement der Wissenschaft:        scheint, wird zum „Geheimnis“. Un-         dungssituation. Die Sprachlosigkeit
die letzte große Studie liegt mehr als   gewollte Schwangerschaft und die           in der Gesellschaft, das Wegfallen
20 Jahre zurück. Fast 20 Jahre nach      Entscheidung für oder gegen ihr Aus-       der selbstbewussten Besetzung die-
der gesetzlichen Neuregelung ist         tragen ist immer eine ganz individu-       ses Themas im öffentlichen Diskurs
nicht erforscht, was Frauen und Män-     elle Herausforderung – der französi-       lässt keinen Raum mehr für gemein-
ner davon halten, ob und wenn ja         sche Soziologe Luc Boltanski hat das       same Legitimierungsideen, vom Ein-
wie sich ihr Entscheidungsverhalten      beschrieben: Er geht dem Besonde-          fordern eines Rechts auf Abtreibung
verändert hat, welche Auswirkungen       ren der Situation auf die Spur, das        ganz zu schweigen. Klarer Protest ist
dies auf Verarbeitungsverläufe hat.      sich festmachen lässt an der sehr un-      selten. Im Bewusstsein junger Frau-
Jetzt ist die Studie frauenleben 3 in    mittelbaren, ja leiblichen Erfahrung       en sind Tötungsvorwürfe implemen-
Arbeit (siehe Beitrag Seite 12).         einer Option, zu der Frau sich verhal-     tiert. Die heutige Sichtbarkeit des
                                         ten muss: den Fötus ins Nichts zu          Embryos hat darauf ebenso Einfluss
Und das Arrangement der Beraterin-       entlassen, ihn nicht zu adoptieren,        wie die Botschaften vom Schutz des
nen? Es ist keine einfache Sache, die-   die Schwangerschaft nicht anzuneh-         ungeborenen Lebens und die Bot-
se Sinnbestimmung zwischen Pflicht-      men oder ihn zu adoptieren und ihm         schaft, bei einem Abbruch etwas
beratung und Stiftungsanträgen. Es       damit zugleich einen für sie unendli-      Ungutes zu tun. Einen Schwanger-
beunruhigt, wenn die, die prinzipiell    chen Wert zu geben. Der besondere          schaftsabbruch eigentlich abzuleh-
für Selbstbestimmung sind und für        Zustand auf Probe ist fühlbar, geistig,    nen, aber im individuellen Fall es
Freiwilligkeit als Voraussetzung für     seelisch und auch körperlich. Ein          doch legitimieren zu müssen, macht
professionelle Beratung, dann doch       Schwangerschaftsabbruch          hinter-   es nicht einfacher.
einschränkend relativieren, dass man     lässt einen Abdruck.
den Frauen ja so viel mitgeben kann,                                                Das Ungeborene
Beratung ja nicht wirklich schaden       Frauen gehen sehr verschieden da-          als Grundrechtsinstanz
könne, so viele Frauen so dankbar        mit um, sie erleben den Abbruch            Der verfassungsrechtlich abgeleitete
und erleichtert die Räume verließen …    der Schwangerschaft mehrheitlich           Schutzauftrag des Staates für das
                                         als Chance, wachsen an dieser Ent-         Ungeborene hat sich etabliert. Ich
Fazit: Es entsteht eine Gesamtge-        scheidung, gehen ihren Weg, sind           nehme keine „entspannte Liberalität“
mengelage von Arrangements mit fa-       befreit, dennoch auch traurig, so der      oder „gelungene Entkriminalisie-
taler Wirkung. Schließlich: Schwan-      treffende Buchtitel der Kolleginnen        rung“ wahr, die Monika Frommel be-
gerschaften sind auch heute noch,        vom Hamburger Familienplanungs-            schreibt. Ursächlich ist die Auslegung
trotz aller scheinbar perfekten Pla-     zentrum. Boltanski sieht in den hier       des Grundgesetzes durch das Bun-
nungsmöglichkeiten, vielfach unge-       nur grob skizzierten Besonderheiten        desverfassungsgericht, nach dem das
plant, werden dann gewollt, ange-        einen Grund, weswegen Frauen in            sich im Mutterleib entwickelnde Le-
nommen oder nicht gewollt. Das           der Regel auf eine sehr intime Weise       ben unter dem Schutz der Verfassung
gesellschaftliche Klima macht etwas      mit ihrem Schwangerschaftsbbruch           steht. Die Auswirkungen verbinden
mit den betroffenen Frauen, aber         umgehen. Gesellschaftlich bildet           das Abtreibungsthema mit dem der
auch mit ÄrztInnen und Beraterinnen.     sich dies ab, indem ein Geheimnis          modernen      Reproduktionsmedizin.
                                         transportiert wird, um das eigent-         Monika Frommel hat hier unter dem
Individuelle und                         lich viele wissen. Ein Phänomen, das       Fokus der positiven und negativen
gesellschaftliche Sprachlosigkeit        so viele Frauen erleben, erhält auch       Reproduktionsfreiheit überaus Wich-
Die gesellschaftliche Tabuisierung       von ihnen selbst kaum Öffentlichkeit       tiges beigetragen. Allerdings: Ist die
trifft auf individuelle Besonderheiten   – umso problematischer die Paarung         Rede vom Lebensrecht letztlich wirk-
SCHWANGERSCHAFTSABBRUCH - DAS RECHT AUF EINE SELBSTBESTIMMTE ENTSCHEIDUNG - NR. 3/4 I 2012 - IFAS MERSEBURG
6I                                                                                                              3/4 I 2012

lich nur metaphorisch, weil die Ak-      Die feministische Historikerin Barba-      koüberwachung geworden sind.
zeptanz der Rechte der betroffenen       ra Duden schätzt im Gefolge ihrer          Nicht von ungefähr hat das Forum
Frauen angestrebt werde? Wird nicht      Analyse der jüngeren Familienpolitik       Beratung der Deutschen Gesellschaft
ein hoher Preis gezahlt, wenn ver-       in Europa ein: Auf staatliche Hilfen       für Verhaltenstherapie (dgvt) im Ja-
sucht wird, ein differenziertes Thema    angewiesene Mütter, Eltern und Fa-         nuar dieses Jahres die Nähe psycho-
juristisch, noch dazu strafrechtlich,    milien werden zu „families at risk“, die   sozialer Beratung in bestimmten Be-
zu lösen? Die Abtreibungsdebatte ist     unter dem Verdacht stehen, dass ihre       ratungsbereichen zu administrativer
meines Erachtens ebenso wenig ent-       Interessen von denen ihrer Kinder ab-      Macht problematisiert und die
moralisiert wie die Debatte um den       weichen könnten. Sie sieht hier einen      Grundstandards Freiwilligkeit, Ergeb-
Embryonenschutz in der Reprodukti-       ähnlichen Betrachtungsmodus wie            nisoffenheit und Vertraulichkeit her-
onsmedizin. Um die Frau wirklich aus     im Schwangerschaftskonflikt: „Im           vorgehoben. Es ergeben sich zwangs-
ihrer Opferrolle beziehungsweise der     Verfassungsurteil … von 1993 postu-        läufig Herausforderungen für uns,
Rolle der Täterin zu entlassen, bedarf   lierten die Verfassungsrichter einen       wenn wir uns in solchen Zuwen-
es meiner Ansicht nach eines außer-      Konflikt zwischen der schwangeren          dungsbereiche befinden.
strafrechtlichen Zugangs, eines Zu-      Frau und der in ihr eingenisteten Zel-
gangs, der reproduktive und sexuelle     le. Dieser Konflikt war der Dreh- und      Die Frage bleibt: Wie motiviert sind
Selbstbestimmung wirklich ernst          Angelpunkt zu einer staatlichen Ein-       wir auch heute noch, wenn es Grund-
meint und Frauen oder Paaren eine        rede in die Frage der Abtreibung wäh-      legendes zu verteidigen gilt? Und da
verantwortliche Entscheidung zu-         rend der ersten drei Schwanger-            gibt es Vieles: Die Entscheidungsau-
traut. Recht ist immer auch Ausdruck     schaftsmonate. Heute stehen Frauen         tonomie von Frauen und Paaren ihre
politischen Willens.                     nach Ansicht der EU-Kommission             reproduktiven Belange betreffend,
                                         und deutscher Politiker nicht nur          das Recht auf Zugang zu Verhütung,
Fachpolitische und familienpolitische    während einer Schwangerschaft im           unabhängig von der sozialen Lage
Herausforderungen                        potentiellen Konflikt mit einem abs-       (Hartz IV und Verhütung), das Recht
Die Verbindungslinien reichen bis        trakten Leben. Auch nach der Geburt        auf moderne Gesundheitsversor-
zu neuen aktuellen Themen: Frühe         kann man, so die nun herrschende           gung, zum Beispiel die Pille danach.
Hilfen, Kinderschutz oder Babyklap-      Meinung, nicht davon ausgehen, dass        Und immer wieder das Thema
pe und anonyme Geburt, auch Ju-          die Bedarfe und Wünsche der Mütter         Schwangerschaftsabbruch, das sich
gendsexualität und Sexualstrafrecht.     im Einklang sind mit denjenigen ihrer      fast sinnbildlich eignet, die wirkliche
Folgende Tendenzen lassen sich be-       Kinder. Und: „In der von der EU anvi-      Verfasstheit um die sexuelle und re-
obachten: Es werden Gefahrenszena-       sierten Ersetzung von Familienpolitik      produktive Selbstbestimmung in ih-
rien aufgebaut und das Gegenüber         durch eine Politik am Kind wird still-     rer Widersprüchlichkeit deutlich zu
zum Risikopotential für die zu Schüt-    schweigend die Thematisierung der          machen und insofern zentrales The-
zenden stilisiert. Dem wird primär       materiellen und zeitlichen Not von         ma bleibt: Es gilt, Position zu bezie-
durch Verrechtlichung, zunehmende        Frauen auf einen ‚Interessenkonflikt’      hen.
SCHWANGERSCHAFTSABBRUCH - DAS RECHT AUF EINE SELBSTBESTIMMTE ENTSCHEIDUNG - NR. 3/4 I 2012 - IFAS MERSEBURG
3/4 I 2012                                                                                                               I7

                                       Bevölkerungsdiskurs und Abtreibungsrecht

       Das legitime Selbstbestimmungsrecht
            der Frau ist nirgends Thema
                                                       Daphne Hahn

n Für moderne Gesellschaften ist die        abhängig entscheiden wollten, ein         sem Gesetz kommt eine übergreifen-
Regulierung der Bevölkerung ein As-         Kind auszutragen oder nicht und zu        de Bedeutung für die Abtreibung zu.
pekt ihrer Existenz, ihrer Stabilität       welchem Zeitpunkt dies geschehen          In seiner Präambel war die Förderung
und ihrer Zukunft. Die Kontrolle der        solle. Restriktive Maßnahmen wur-         des Kinderreichtums festgelegt. Ein-
Bevölkerung, deren Wachstum, die            den allmählich durch pädagogische         geschränkt wurden damit die vorher
Geburten- und Sterberaten und auch          Interventionen abgelöst. Bereits zu       vergleichsweise liberalen Länderre-
der Zugang und die Zahl an Abtrei-          Beginn der 1950er Jahre orientierte       gelungen und zugelassen waren von
bungen sind daher ein wichtiges Feld        sich die Argumentation darauf, durch      da an nur noch zwei Indikationen: die
staatlicher Politik. Die rechtliche Situ-   „Erziehung und Belehrung, durch           medizinische Indikation und die erb-
ation war im Jahr 1945 für das westli-      Selbstdisziplin und feste Haltung“        medizinische, wobei sich der Begriff
che Besatzungsgebiet in den einzel-         Frauen zum Schwanger Bleiben zu           der erbmedizinischen Indikation auf
nen Bundesländern sehr heterogen.           bewegen. Anders in der Sowjetischen       das individuelle Leidensschicksal
Durch Kontrollratsbeschluss wurde           Besatzungszone. Zunächst gab es im        richtete und damit frühzeitig argu-
zwar die im Nationalsozialismus für         Osten nach 1945 theoretisch die           mentativ die Interessen von Individu-
Abtreibung eingeführte Todesstrafe          Chance, die während der Weimarer          en in den Fokus der Argumentation
aufgehoben. Gültig blieb der § 141 des      Republik entstandene Reformbewe-          rückte.
Gesetzes zur Verhütung erbkranken           gungen um den § 218 wieder aufzu-
Nachwuchses, der eine Abtreibung            greifen und die Reformvorschläge zur      Bevölkerungspolitische Diskurse sind
aus medizinischer Indikation erlaub-        Entkriminalisierung der Abtreibung        eng verbunden mit kollektiven Sym-
te. In der Bundesrepublik rechtfertig-      in die Realität umzusetzen, insbeson-     bolisierungen. Bis in die 1960er Jahre
te in den 1950er Jahren keine außer         dere auf einem Territorium, dessen        hinein blieben Argumentationsfigu-
einer medizinischen Indikation einen        Regierung sich in dieser Tradition ver-   ren im Bevölkerungsdiskurs wichtig,
Schwangerschaftsabbruch und er              stand. Dies geschah jedoch nicht.         die sich um die Erhaltung der Nation
galt dann als begründet, wenn ein Ri-                                                 rankten. Metaphern wie „Aderlass an
siko für das Leben der Mutter be-           Unmittelbar nach Kriegsende wurde         der Volkssubstanz“, der nicht gleich-
stand, die dann im Todesfall erstens        Frauen durch Verwaltungsanordnun-         gültig hingenommen werden kann,
ihre eigenen vorhanden Kinder nicht         gen in den einzelnen Ländern der So-      dienten dazu, die Legalisierung eben-
mehr aufziehen und zweitens keine           wjetischen Besatzungszone das             so wie die Legitimierung der Abtrei-
weiteren gebären kann.                      Recht zugesprochen, unter bestimm-        bung zu verhindern. In den 1960er
                                            ten Voraussetzungen einen Schwan-         Jahren trat das Argument des Volks-
Frauen zum                                  gerschaftsabbruch vornehmen zu            wohls in den Hintergrund, es war als
Schwanger Bleiben bewegen?                  lassen. 1950 wurde in der DDR ein         Legitimationsmuster weitgehend de-
Im medizinischen Diskurs der 1950er         fundamentales Gesetz zur Regulie-         savouiert. In den Vordergrund scho-
Jahre in Westdeutschland wurde die          rung der Bevölkerung erlassen: Das        ben sich Argumente, die an der indivi-
Gefahr der wachsenden Selbständig-          „Gesetz über den Mütter- und Kinder-      duellen Belastung und Gesundheit
keit von Frauen thematisiert, die un-       schutz und die Rechte der Frau“. Die-     ansetzen.
SCHWANGERSCHAFTSABBRUCH - DAS RECHT AUF EINE SELBSTBESTIMMTE ENTSCHEIDUNG - NR. 3/4 I 2012 - IFAS MERSEBURG
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                                                                                             ullstein bild – Rudi Müller
                                                                                                     schwung ausgelöst. Im
                                                                                                     Zuge dieser Kampagne
                                                                                                     häuften sich die Vorstöße
                                                                                                     zur Aufhebung des § 218
                                                                                                     StGB und zur Verabschie-
                                                                                                     dung einer Fristenlösung.
                                                                                                     Für die DDR war dies der
                                                                                                     Impuls, ohne Vorbereitung
                                                                                                     ein eigenes Gesetz zum
                                                                                                     Schwangerschaftsabbruch
                                                                                                     zu formulieren. Die Freiga-
                                                                                                     be der Abtreibung als vor-
                                                                                                     maliges Ziel der Kommu-
                                                                                                     nistischen Partei, in deren
                                                                                                     Traditionslinie die SED sich
                                                                                                     sah, konnte keinesfalls der
                                                                                                     Bundesrepublik überlassen
                                                                                                     bleiben. Das Gesetz knüpf-
                                                                                                     te an die gestalterischen
Demonstration in Bonn gegen den Paragraphen 218 StGB am 21. September 1975                           Kräfte der Planbarkeit an
                                                                                                     und nutzte Argumente
                                                                                                     aus dem Modernisierungs-
Argumentationsmuster                         Liberalisierung in der DDR –                 und Individualisierungsdiskurs. Die
für Verhaltensnormen                         ­Selbstbezichtigungskampagne                 neuen Wahlmöglichkeiten der Frauen
Ab Ende der 1960er Jahre, zunächst            in der Bundesrepublik                       standen im Zentrum der Argumenta-
im Zusammenhang mit der Pille,                Angelehnt an die internationale Dis-        tion. Das Gesetz wurde nun auch als
dann mit der Sterilisation und noch           kussion – und die DDR wollte hier           gesundheitspolitischer       Fortschritt
später mit der Abtreibung, kamen zu-          nicht isoliert sein – liberalisierte sich   verbucht – auch im Systemvergleich
nehmend die psychischen Folgen ins            der Zugang zu Abtreibungen vor al-          mit der Bundesrepublik – weil wei-
Spiel. Das Argument begründete                lem in der zweiten Hälfte der 1960er        tere illegalen Abtreibungen und ge-
nicht nur einen weiteren vor allem            Jahre. Die Zahl illegaler Abtreibungen      sundheitliche Probleme von Frauen
medizinischen Zugriff als Zugangs-            blieb weiterhin hoch, der Gesetzge-         dadurch verhindert werden. Was
barriere und Kontrollinstanz, es be-          ber nahm das im Verhältnis zu den           in diesem Diskurs überhaupt nicht
deutete auch ein vielfältig einsetzba-        antizipierten Folgen – wie geringere        auftauchte, waren mögliche psychi-
res und langfristig wirkungsvolles            Geburtenzahlen aber auch gesund-            sche Folgen durch einen Schwanger-
Argumentationsmuster – die weibli-            heitliche Schäden durch illegale Ab-        schaftsabbruch.
che Psyche und damit einhergehend             treibungen – in Kauf. Der gesamte
die Antizipation der Folgen einer Ab-         medizinische wie juristische Diskurs        1989 hatten wir es wieder mit einer
treibung. Damit wurde eine Verhal-            ließ mitnichten eine Indikationsrege-       historischen Wende zu tun, deren Fol-
tensnorm konzipiert. Diese einmal             lung erwarten, wie sie 1972 in der          gen vor allem von vielen ostdeut-
eingeführte Argumentationsfigur hat           DDR in Kraft trat.                          schen Frauen als besonders ein-
sich nicht nur im Hinblick auf die Pille                                                  schneidend erfahren wurden; sie
und Sterilisation als sehr erfolgreich       Als großes Medienereignis hatte die          wurden oft als Verliererinnen der
erwiesen, sondern erwies sich auch           im Stern im Sommer 1971 veröffent-           Wende apostrophiert. Ende 1992 lief
beim Schwangerschaftsabbruch als             lichte Selbstbezichtigungskampagne           das Gesetz aus, wonach eine Schwan-
legitime Begründung, um die Zahl             von Frauen in der Bundesrepublik             gerschaft legal, ohne Pflichtberatung
und den Zugang zu regulieren.                einen grundlegenden Meinungsum-              und kostenlos in den ersten zwölf
SCHWANGERSCHAFTSABBRUCH - DAS RECHT AUF EINE SELBSTBESTIMMTE ENTSCHEIDUNG - NR. 3/4 I 2012 - IFAS MERSEBURG
3/4 I 2012                                                                                                               I9

Wochen beendet werden konnte.              abbruch 627. Davon finden sich 200         Ausnahmezustände wie soziale, me-
Nach der Wende wurde die Debatte           Ratgeber, 18 belletristische Bücher,       dizinische und eugenische Gründe
um Themen wie Abtreibung, Verhü-           301 Fachbücher aus Recht, Psycholo-        als legitim verstanden wird. Dieses
tung, Sterilisation, der angebliche Ge-    gie, Medizin, Soziologie, 40 aus Religi-   Ergebnis spiegelt sich in der LeserIn-
bärstreik im Osten in beiden Teilen        on und Glauben, 2 Geschenkbücher           nendebatte der ZEIT wider.
Deutschlands so plural geführt wie es      (das österreichische Strafrecht und
im Westen vorher schon der Fall war.       ein Erinnerungsalbum), 4 Kinder- und       Fazit: Ein Schwangerschaftsabbruch
Während von ostdeutschen Vertrete-         Jugendbücher wie Cyankali von Fried-       ist nach wie vor nicht unabhängig
rInnen vor allem die Autonomie und         rich Wolf. Auf die Jahre verteilt, wer-    von bevölkerungspolitischen Regu-
Entscheidungsfreiheit von Frauen be-       den jährlich 30 bis 40 neue Bücher         lierungen zu denken, die typisch für
tont wurde, betonten westdeutsche          angeboten. In medizinischen, psycho-       moderne Gesellschaften sind, nur
Frauen vor allem das Bild der unmün-       logischen oder sozialwissenschaftli-       dass die weitaus subtiler stattfinden
digen Ostfrau, die leichtfertig auf ihre   chen Datenbanken findet sich eine          als noch vor 50 oder 60 Jahren und
Fruchtbarkeit verzichtet. Die Ausein-      Unmenge an Artikeln zum Thema;             sich nicht mehr an Argumenten der
andersetzung zwischen Ost und West         eine kurze Recherche in der Süddeut-       Volksgesundheit, sondern an indivi-
fand sich auch in der Differenz von        schen Zeitung und Bild erbrachte je-       duellen Wünschen orientieren. Die
Ost- und Westfrauen wieder.                weils etwa 600 gefundene Stellen. Es       Veröffentlichungen zentrieren sich
                                           werden insbesondere psychische Pro-        um weibliche Fruchtbarkeit und kör-
Gewinnt das Selbstbestimmungs-             bleme, Gründe für Spätabbrüche, in-        perliche Zuschreibungen, wobei die
recht an Boden?                            ternationale Diskurse – insbesondere       Deutungsmacht der Medizin immer
Am 3. August 2012 wurde in der Wo-         die Auseinandersetzung in den USA          noch sehr groß ist, auch bei den Vor-
chenzeitung DIE ZEIT ein Artikel mit       – thematisiert. Wahrscheinlich gab es      stellungen, welche Folgen Abtreibun-
dem Titel „Tabu Abtreibung“ veröf-         niemals mehr Möglichkeiten als heu-        gen für Frauen haben. Die Demarkati-
fentlicht, in dessen Zentrum das Lei-      te, etwas über Abtreibungen zu lesen.      onslinie der Debatten, die Grenzlinie
den an der Entscheidung für eine Ab-       Warum also meinen wir, dass das            zwischen dem, was Gegenstand der
treibung steht. In den Kommentaren         Thema ein Tabu ist?                        wissenschaftlichen wie öffentlichen
findet sich die aktuelle Spannbreite                                                  Diskurse ist und dem, was wirklich ta-
der Argumente zur Legitimität einer        Für Deutschland gibt es zwei aktuelle      buisiert ist, liegt genau da, wo es um
Abtreibung wieder. Als nicht legitim       Analysen öffentlicher Diskurse zur         die Selbstbestimmung über eine Ab-
wird eine Abtreibung dann betrach-         Abtreibung, die zweierlei zeigen: Ein-     treibung und die freie Entscheidung
tet, wenn das Kind gesund ist. Häufig      mal die große Überrepräsentanz von         von Frauen geht. Die ist wirklich nir-
wird auf Seiten der Gegner der Abtrei-     Parteien oder parteipolitisch begrün-      gendwo Thema.
bung das Lebensrecht des Fötus als         deter Präsenz in der öffentlichen De-
Argument eingebracht, die Selbst-          batte, während Organisationen sozi-        Bei diesem Beitrag handelt es sich um
sucht und Bequemlichkeit von Frauen,       aler Bewegungen kaum zu Wort               die stark gekürzte Fassung eines Vor-
die gravierenden psychischen Folgen        kommen. Das bedeutet aber nicht,           trags, der bei der Tagung zum Thema
für die Frau, die man davor schützen       dass das Thema tabuisiert ist, son-        „Schwangerschaftsabbruch zwischen
muss, auf Seiten derjenigen, die Ab-       dern dass nicht alle gleichermaßen         reproduktiver Selbstbestimmung und
treibungen befürworten, das Ent-           am öffentlichen Deutungsprozess            Kriminalisierung“ der Hochschule
scheidungsrecht der Frau, die psychi-      teilhaben. Zum zweiten zeigen diese        Merseburg gehalten wurde.
SCHWANGERSCHAFTSABBRUCH - DAS RECHT AUF EINE SELBSTBESTIMMTE ENTSCHEIDUNG - NR. 3/4 I 2012 - IFAS MERSEBURG
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                                                    Dokumentarfilme

           Reden über Schwangerschaftsabbruch
                                    Zwei Filme über Gegenwart und Vergangenheit

Die Redaktion fragte Susanne Riegler,                                     Der lange Arm der Kaiserin

Autorin und Regisseurin des Films,
wie sie die vier Protagonistinnen in          Dokumentarfilm von
ihrem Film dazu gebracht hat, vor der        S­ usanne Riegler, Österreich
Kamera über ihren Schwanger-                  2012, Länge: 64 Minuten
schaftsabbruch zu sprechen und war-           Obwohl der Abbruch einer
um eine junge Frau von heute im Film          ungewollten Schwanger-
anonym bleiben wollte.                        schaft seit 1975 in Österreich
                                              unter gewissen Bedingungen
n Susanne Riegler: Für Freda Meiss­           straffrei ist, wird auch dieses
ner-Blau, die erste Protagonistin, war        Thema t­ abuisiert. Der Film fragt: Warum ist das so? Ist es der „Lange Arm
es ihr erklärter politischer Wille, dass      der Kaiserin“ der noch immer nach uns greift? Protagonistinnen und Zeit-
so etwas nicht in Vergessenheit ge-           zeuginnen, wie Freda Meissner-Blau, Alfred Rockenschaub, die Rechtshistori-
rät. Sie erzählte ihre Geschichte, weil       kerin Ilse ­Reiter, sowie Elisabeth Haidler, die 1959 einen illegalen Abbruch da-
es ihr wichtig war, dass die jünge-           heim am Küchentisch hatte und der Gynäkologe Christian Fiala kommen zu
re Generation weiß, wie es war, als           Wort, ­Zitate und Dokumente beleuchten das Thema. Eine DVD des Films
noch schwerer Kerker auf Abtreibung           kann für 22 Euro unter www.derlangearmderkaiserin.at bestellt werden.
stand. Die zweite Frau aus dem Salz-
burger Lungau wies auf die morali-         wusste, was sie wie erzählen können.        dass es ihrer Karriere schaden könn-
sche Doppelbödigkeit in einer sehr         Freda Meissner-Blau zum Beispiel ist        te. Diese Sorgen sind realistisch. Das
katholischen ländlichen Ecke Öster-        es beim Erzählen gar nicht gut gegan-       finde ich bedenklich und gefährlich.
reichs hin. Für sie war es am schwie-      gen und sie hat mir gesagt, sie weiß        Wo ist die Gesellschaft gelandet, dass
rigsten, vor der Kamera zu sprechen,       eigentlich gar nicht, ob sie das jemals     ein Schwangerschaftsabbruch mög-
weil sie wusste, sie würde von all ih-     schon so erzählt hat.                       licherweise zu einer Sanktion führen
ren NachbarInnen darauf angespro-                                                      kann? Genau diese Angst, die diese
chen werden. Die dritte Protagonistin,     Frauen haben eben noch immer                junge Frau hat, müsste uns veranlas-
die aus einer Engelmacherinnen-Dy-         Angst, über das Thema Schwanger-            sen, die Frage zu stellen, was los ist in
nastie stammt, wollte sich nicht da-       schaftsabbruch zu reden, weil es            dieser Gesellschaft, da stimmt etwas
für genieren, dass ihre Mutter und         gesellschaftlich nach wie vor ganz          nicht.
3/4 I 2012                                                                                                              I 11

                                                    Meine Entscheidung

  Dokumentarfilm von Janina
  Heckmann und Gitte Hellwig,
  Deutschland:2010, 28 Minuten.
  Fünf Frauen erzählen von ihren
  Erfahrungen um Schwanger-
  schaftskonflikt und Abtreibung.
  Ihre Erzählungen verlassen die
  abstrakte Diskussion im Für und
  Wider um Schwangerschaftsab-
  bruch: Sie sind persönlich und
  ehrlich. Der Film zeigt nicht das
  Bild von durch Abtreibung trau-
  matisierten Frauen, sondern viel-
  mehr einen Umgang mit dem
  Thema, der einen Schwangerschaftsabbruch in die eigene Biographie bewusst einbindet. Dana, Franzi, Sarah, Johan-
  na und Judith erzählen über ihre eigenen Konflikte: die Angst vor dem positiven Testergebnis, die Situation mit dem
  Partner, die Scham vor den Eltern. Aber sie haben alle zu einer Entscheidung gefunden, mit der sie leben können.
  Der Film kann unter der E-Mail: janina.heckmann@googlemail.com bestellt werden.

Janina Heckmann berichtet darüber,      Netzwerken kontaktiert und dort           dass in einer Gesellschaft, die so of-
was sie zu ihrem Film motiviert hat     unseren Aufruf publiziert. Daraufhin      fen mit Sexualität umzugehen vor-
und warum die jungen Frauen bereit      haben sich zwar viele Frauen zu ei-       gibt, auch dieser Bereich nicht mehr
waren, vor einer Kamera zu sprechen.    nem Gespräch mit uns bereit erklärt,      tabuisiert werden darf. 
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                       Schwangerschaftsabbruch in der sozialwissenschaftlichen Forschung

       …und dann folgte weitgehend Stille
                                                   Cornelia Helfferich

n Die sozialwissenschaftliche For-        setzt. Ende 2013, nach Abschluss der      Stadtstaaten und den alten Bundes-
schung zu Schwangerschaftsabbrü-          Auswertung der Daten von 4.002            ländern. Siehe auch die Grafiken auf
chen in Deutschland zeigt für die         Frauen aus vier Bundesländern (Zu-        den folgenden Seiten.
letzten 20 Jahre eine große Leerstelle.   fallsstichprobe in der Bevölkerung)
In den 80er Jahren gab es im Zuge der     und von 97 qualitativen Interviews        Der Zweck der Schwangerschafts-
Reform der §§ 218ff. StGB in den alten    (Frauen mit ungewollten Schwan-           abbruchstatistik ist die Kontrolle der
Bundesländern interessante Studien,       gerschaften), werden damit erst-          Verbreitung eines prinzipiell straf-
die überwiegend in Vergessenheit ge-      mals wieder aktuelle Daten auch zu        würdigen Handelns. Aussagen über
raten sind, dann folgte weitgehend        Schwangerschaftsabbrüchen       vor-      die Hintergründe von Schwanger-
Stille. Lediglich die Studie zu Famili-   liegen. Die Fragestellungen und die       schaftsabbrüchen auf personenbe-
enplanung im Lebenslauf von Frau-         methodische Anlage einer Forschung        zogener Ebene sind nicht Zweck des
en („frauen leben“, im Auftrag der        sind immer auch durch ihren speziel-      Registers.
Bundeszentrale für gesundheitliche        len Blick auf den Schwangerschafts-
Aufklärung (BZgA), 1997 bis 2001) er-     abbruch bestimmt. Die Frage danach,       Die Forschung der 80er Jahre
fragte auch Schwangerschaftsabbrü-        an welche Forschungstradition heute       Ende der 70er sowie in den 80er Jah-
che, aber dies bildete keinen Auswer-     angeknüpft werden kann und soll,          ren wurden in der alten Bundesre-
tungsschwerpunkt. So ist die einzige      ist auch eine Frage nach der „Konst-      publik zahlreiche Studien zu psycho-
aktuelle Datenquelle die Schwanger-       ruktion“ des Phänomens Schwanger-         sozialen (Oeter/Wilken 1979) oder
schaftsabbruchstatistik des Statisti-     schaftsabbruch in der vorliegenden        sozialen Hintergründe von Schwan-
schen Bundesamtes, die die gemel-         Forschung und nach der Möglichkeit,       gerschaftsabbrüchen (v. Troschke /
deten Abbrüche zusammenfasst.             dies kritisch zu reflektieren.            Hendel-Kramer/Werner 1982, Holz-
Währenddessen wurden in anderen                                                     hauer 1989), zu psychodynamischen
Europäischen Ländern größere Studi-       Ergebnisse und Kontext der                Konflikten (Merz 1979, Goebel 1984)
en zu ungewollten Schwangerschaf-         ­Schwangerschaftsabbruchstatistik         oder zur Rolle von ÄrztInnen (Häu­
ten und deren Ausgang durchgeführt.        Die Schwangerschaftsabbruchsta-          ssler-Sczepan 1989) angesichts der
                                           tistik gilt als weitgehend vollständig   Praxis des neu implementierten § 218
Nachdem 2009 Schwangerschafts-             und zuverlässig. Erfasst werden un-      StGB durchgeführt. Aus dieser Zeit
abbrüche bei Minderjährigen unter-         ter anderem Alter und Familienstand      liegt auch eine kulturgeschichtliche
sucht wurden, beauftragte die BZgA         der Frau, die eine Schwangerschaft       Studie vor (Jerouschek 1988). Über-
2011 das Sozialwissenschaftliche           abbrach, Zahl der Kinder, das Bun-       wiegend wurden nur Frauen befragt,
FrauenForschungsInstitut Freiburg          desland des Wohnsitzes der Frau und      die Schwangerschaften abbrachen.
mit einer Studie, die an „frauen le-       des Eingriffs sowie die rechtlichen      Nachdem in den 70er Jahre Studien
ben“ und an Vorläuferstudien zu Fa-        Voraussetzungen für den Abbruch          pathologische Züge bei den Frauen,
milienplanung im Lebenslauf von            und medizinische Angaben. Die Da-        die keine Kinder wollte, die Pille nah-
Männern und von Migrantinnen an-           ten können gut Trends abbilden und       men etc. überprüften, ging es auch
knüpft, die aber einen Schwerpunkt         makrostrukturelle Zusammenhänge          weiterhin um Besonderheiten der
bei ungewollten Schwangerschaften          wie zum Beispiel die Unterschiede        abbrechenden Frauen, zum Beispiel
und      Schwangerschaftskonflikten        zwischen neuen Bundesländern, den        bezogen auf ihre Einstellungen zu
3/4 I 2012                                                                                                                     I 13

Sexualität und zur Geschlechtsrolle          Die Fragestellungen sind ohne Zwei-             Schwangerschaften gestellt und die
sowie auf ihre Werteinstellungen.            fel relevant und der Wunsch zu verste-          abbrechende Frau als defizitär, ma-
Ein zweiter Fokus war die Psychody-          hen, warum sich eine Frau für einen             teriell orientiert und selbstbezogen,
namik von Konflikten, die mit einem          Abbruch entscheidet, ist weiter ak-             psychisch belastet oder als Opfer der
Schwangerschaftsabbruch bewältigt            tuell. Doch der gesellschaftliche Kon-          Einflüsse anderer Menschen gese-
wurden, wie zum Beispiel Ablösungs-          text der Forschung nach der Reform              hen. Ausgeblendet wurden die Be-
und Trennungskonflikte oder Konflik-         der §§ 218ff. StGB in der Bundesrepub-          ziehungen zwischen Mann und Frau
te um Weiblichkeit und Generativität.        lik mit einer klaren Missbilligung von          und zwischen der Frau und einem
                                             Schwangerschaftsabbrüchen repro-                möglichen Kind, Fragen von Sexua-
Als Drittes wurde die Bedeutung              duzierte vor allem Rechtfertigungs-             lität, Selbstbestimmung und Macht
situativer Rahmenbedingungen er-             druck und Begründungszwänge und                 sowie der Kontext der Gesellschaft.
forscht, darunter ökonomische oder           führte zu einer spezifischen Konst-             Die unzureichende Engführung die-
gesundheitliche Probleme, eine               ruktion des Forschungsgegenstands               ser Sichtweise – bei aller Bedeutung
Schwangerschaft während der Aus-             Schwangerschaftsabbruch.         Dieser         der Ergebnisse im Detail – zeigt sich
bildung oder nach bereits mehreren           wurde herausgelöst aus dem Kon-                 darin, dass viele Aspekte, die für
Kindern. Eine vierte Fragestellung           text von Sexualität, Verhütung und              Schwangerschaftsabbrüche festge-
galt den Einflüssen auf die Entschei-        ungewollten         Schwangerschaften           stellt wurden, auch für ausgetragene,
dung zum Beispiel durch den Part-            (Parzellierung) und die Betrachtung             ungewollte Schwangerschaft gelten.
ner, Beratungsstellen, das Gesetz            konzentrierte sich auf das Problem
oder ärztlichen Rat. Studien auf einer       der individuellen Frau und ihre (mora-          Ein Beispiel aus
Metaebene wie zur kulturellen Be-            lische) Entscheidung (Individualisie-           der internationalen Forschung
wertung und den gesellschaftlichen           rung). Der Schwangerschaftsabbruch              Die französische COCON-Studie (CO-
Praktiken von Schwangerschaftsab-            wurde als Abweichung in den Gegen-              hort CONtraception survey) in dem
brüchen waren selten.                        satz zur Normalität ausgetragener               Team um Bajos und Leridon, bei der

Abbildung 1: Schwangerschaftsabbrüche je 1.000 Frauen im Alter von 15 bis 45 Jahren nach Bundesland

                             0           2           4           6         8           10          12         14       16

Mecklenburg-Vorpommern                                                                             11,4
          Sachsen-Anhalt                                                                        10,7
                Thüringen                                                                    10,1
             Brandenburg                                                               9,3
                  Sachsen                                                        8,5
                                                                                                                                Quelle: Schwangerschaftsabbruchstatistik, Statistisches Bundesamt 2010

                   Hessen                                                  7,5
                 Saarland                                                 7,3
       Schleswig-Holstein                                               7,0
     Nordrhein-Westfalen                                               6,8
           Niedersachsen                                            6,2
          Rheinland-Pfalz                                        5,8
     Baden-Württemberg                                           5,7
                   Bayern                                  4,8
                    Berlin                                                                                    13,4
                  Bremen                                                                                  12,5
                 Hamburg                                                                          11,3

              Deutschland                                               7,2
14 I                                                                                                                                                                                 3/4 I 2012

Abbildung 2: Entwicklung der Abbruchquoten auf 10.000 Frauen des Alters                                                                                       von Font-Ribera (1994 bis 2003)
                                                                                                                                                              verglich ebenfalls ungewollte
            2004                2006           2008                2010

                                                                                Quelle: Schwangerschaftsabbruchstatistik, Statistisches Bundesamt 2010
                                                                                                                                                              Schwangerschaften, die ausge-
140
                                                                                                                                                              tragen oder abgebrochen wur-
                                                                                                                                                              den, und fand ähnliche Einflüs-
120                                                                                                                                                           se der Lebenssituation in der
                                                                                                                                                              Kombination von Partnerschaft,
100                                                                                                                                                           Alter und eigenen Einkommens-
                                                                                                                                                              chancen auf die Entscheidung
 80                                                                                                                                                           für oder gegen einen Schwan-
                                                                                                                                                              gerschaftsabbruch.

 60
                                                                                                                                                                Fazit: Forschung zu Schwanger-
                                                                                                                                                                schaftsabbrüchen in Deutsch-
 40                                                                                                                                                             land heute kann eine Tradition
                                                                                                                                                                aufgreifen, sie sollte aber die
 20                                                                                                                                                             jeweils zeitgeschichtliche Kon-
                                                                                                                                                                struktion des Gegenstandes
   0                                                                                                                                                            „Schwangerschaftsabbruch“
                                                                                                                                                                und der eine Schwangerschaft
                   15 bis < 18 Jahre                  30 bis < 35 Jahre                                                                                         abbrechenden Frau reflektieren
                   18 bis < 20 Jahre                  35 bis < 40 Jahre                                                                                         und gegebenenfalls eine eige-
                   20 bis < 25 Jahre                  40 bis < 45 Jahre                                                                                         ne wertgebundene Vorannah-
                                                                                                                                                                me als solche ausweisen. Der
                   25 bis < 30 Jahre
                                                                                                                                                                Forschungsgegenstand sollte
                                                                                                                                                                biografisch in die Abschnitte
in Frankreich knapp 3.000 Frauen        schaft wurde ausgetragen; die Logik                                                                              ­Sexualität, Kinderwunsch, Verhütung,
viermal im Zeitraum 2000 bis 2004       dieser Entscheidung hängt dabei we-                                                                               Schwangerschaft, die Entscheidung
befragt wurden, ging von den Verhü-     sentlich von der Phase im Lebenszy-                                                                               über Ausgang der Schwangerschaft
tungspraktiken und -biografien und      klus ab. Stabilität der Partnerschaft                                                                             und die Frau-Mann-Beziehungen in
von der Erhältlichkeit und Akzeptanz    ist ein übergreifender Faktor (ähnli-                                                                             der jeweiligen Lebensphase sowie in
verschiedener Methoden aus und          che Ergebnisse hatte auch die Studie                                                                              den gesellschaftlichen Kontext einge-
untersuchte die Ursachen von Ver-       „frauen leben“ gefunden). Bei die-                                                                                bettet werden.
3/4 I 2012                                                                                                            I 15

                                                        Interview

   Die Qualifikation der Ärztinnen und
  Ärzte beim ­Schwangerschaftsabbruch
     ­in Deutschland ist sichergestellt

n Es wird immer wieder kritisiert,                           Dr. med. Chris-      Die Anforderungen für ambulantes
dass Methoden des Schwanger-                                 tian Albring,        Operieren gelten auch für Einrich-
schaftsabbruchs in der Ausbildung                            Präsident des        tungen und Tageskliniken, welche
von MedizinerInnen keinen ange-                              Berufsverbandes      Interruptiones durchführen. Somit
messenen Stellenwert haben und                               der Frauenärzte      erfolgen regelmäßig Begehungen
selten zum Ausbildungsstandard                               (BVF)                seitens der Gesundheitsämter. Allge-
von Universitätskliniken gehören. Die                                             mein gilt für operative Eingriffe der
Redaktion bat Dr. med. Christian Alb-                                             Facharztstandard gemäß Weiterbil-
ring, Präsident des Berufsverbandes                          Prof. Dr. med.       dungsordnung (MWBO der Bundes-
der Frauenärzte (BVF) und Prof. Dr.                          Thomas Dimpfl,       ärztekammer (BÄK) und WBO der je-
med. Thomas Dimpfl, Präsident der                            Präsident der        weiligen Landesärztekammer (LÄK).
Deutschen G ­ esellschaft für Gynäko-                        Deutschen            Die Musterweiterbildungsordnung
logie und ­Geburtshilfe (DGGG), über                         Gesellschaft für     der Bundesärztekammer in der Fas-
den aktuellen Stand zu berichten.                            Gynäkologie und      sung vom 25. Juni 2010 sieht darüber
                                                             Geburtshilfe         hinaus eine Beratung bei Schwanger-
                                                                                  schaftskonflikten sowie der Indikati-
pro familia magazin: Wird das Thema      pro familia magazin: Wie wird die        onsstellung zum Schwangerschafts-
Schwangerschaftsabbruch in der           Qualifikation der Ärztinnen und Ärzte    abbruch unter Berücksichtigung der
ärztlichen Ausbildung von Medizine-      beim Schwangerschaftsabbruch in          gesundheitlichen, einschließlich der
rinnen und Medizinern angemessen         Deutschland sichergestellt?              psychischen Risiken vor. ÄrztInnen in
behandelt, wenn ja, wie?                                                          der Schwangerschaftskonfliktbera-
                                         Dr. med. Christian Albring / Prof. Dr.   tung müssen alle drei Jahre eine Fort-
Dr. med. Christian Albring / Prof. Dr.   med. Thomas Dimpfl: Die für einen        bildungsmaßnahme beim zuständi-
med. Thomas Dimpfl: Aufgrund der         operativen     Schwangerschaftsab-       gen Landesministerium nachweisen,
zentralen ethischen Bedeutung ärztli-    bruch notwendige Abrasio (Ausscha-       sonst erlischt die Beratungserlaubnis.
chen Handelns erfolgt die Themati-       bung) bzw. Saugkürettage zählt zu
sierung des Schwangerschaftsab-          den grundlegenden Maßnahmen in           pro familia magazin: Trifft es zu, dass
bruchs mit entsprechend hohem            der Frauenheilkunde, deren sichere       immer weniger Ärztinnen und Ärzte
Stellenwert in den Curricula der gynä-   Beherrschung standardmäßig zur           qualifiziert und bereit sind, einen
kologisch-operativen und geburtshilf-    frauenärztlichen Facharztweiterbil-      Schwangerschaftsabbruch durchzu-
lichen Vorlesungen und Seminare. Im      dung gehört, und die obligatorischer     führen?
Hinblick auf die Beratungskompetenz      Bestandteil des Weiterbildungs-Log-
sind Kurs-Weiterbildungen gemäß § 4      books der DGGG ist (vgl. www.dggg.       Dr. med. Christian Albring / Prof. Dr.
Abs. 8 in Psychosomatischer Grund-       de/fileadmin/public_docs/LogBook/        med. Thomas Dimpfl: Es liegen der-
versorgung obligat.                      logbook_weiterbildung_2003.pdf)          zeit keine Anhaltspunkte dafür vor,
16 I                                                                                                                3/4 I 2012

dass weniger Ärztinnen             Gesetzliche Regelung des ­
und Ärzte als zum Beispiel         Schwangerschaftsabbruchs in Europa
vor zehn oder fünfzehn
Jahren für einen Schwan-           Das European Network der International

gerschaftsabbruch qualifi-         ­Planned Parenthood Federation (IPPF EN)
                                    hat eine aktualisierte Ausgabe der Abortion
ziert sind. Auch wenn kei-
                                    ­Legislation in Europe herausgegeben. D
                                                                          ­ ie
ne Ärztin und kein Arzt
                                     Publikation enthält Informationen zur
– weder in der Weiterbil-
                                     gesetzlichen Regelung des Schwangerschafts­-
dung noch als Fachärztin
                                   abbruchs in den europäischen Ländern, in
oder Facharzt – gezwun-
                                   denen die IPPF Mitgliedsorganisationen hat.
gen werden kann, einen
                                   http://www.ippfen.org/en/Resources/Publications/Abortion+legislation+in+Europe.htm
Schwangerschaftsabbruch
vorzunehmen oder dabei
mitzuwirken, liegen keine Hinweise hinaus wahren. Ich werde mit allen keiner missbräuchlichen Verwendung
im Hinblick auf eine Änderung in der meinen Kräften die Ehre und die edle zugeführt wird“.
Bereitschaft zur Durchführung einer Überlieferung des ärztlichen Berufes
Interruptio graviditatis vor. Es gibt aufrechterhalten und bei der Aus- Ergänzend sei noch darauf hingewie-
auch nach Erkenntnissen in der übung meiner ärztlichen Pflichten sen, dass weiterhin auch ein medika-
DGGG und im BVF keinerlei Hinweise keinen Unterschied machen weder mentöser Schwangerschaftsabbruch
darauf, dass Frauen mit einer Indikati- nach Religion, Nationalität, Rasse mit Mifegyne® möglich ist. Hier ist
on für eine Interruptio schließlich un- noch nach Parteizugehörigkeit oder die Zeitgrenze von 63 Tagen post con-
versorgt bleiben. Die Bereitschaft sozialer Stellung. Ich werde jedem ceptionem zu beachten.
einer Ärztin oder eines Arztes zur Menschenleben von der Empfängnis
­
Durchführung eines Schwanger- an Ehrfurcht entgegenbringen und pro familia magazin: Sehen Sie aus
schaftsabbruches wird – bei allen selbst unter Bedrohung meine ärztli- ihrer Sicht Handlungsbedarf im Hin-
komplexen Aspekten der Entschei- che Kunst nicht in Widerspruch zu blick auf die Versorgung zum Schwan-
dungsfindung – zentral durch das den Geboten der Menschlichkeit an- gerschaftsabbruch?
ärztliche Gelöbnis in der Berufsord- wenden. Ich werde meinen Lehrern
nung, in der Öffentlichkeit oftmals in und Kollegen die schuldige Achtung Dr. med. Christian Albring / Prof. Dr.
Diskussionen und Auseinanderset- erweisen. Dies alles verspreche ich med. Thomas Dimpfl: Betrachtet man
zungen postuliert als „Eid des Hippo- auf meine Ehre.“                                     die historische Entwicklung der Ver-
krates“, geleitet.                                                                         teilung und Anzahl von Frauenärz-
                                               Und in der Musterberufsordnung-Ärz- ten/ärztinnen, frauenärztlichen Klini-
Beispielhaft sei hier das Gelöbnis aus te (MBO-Ä) ist in § 14 zur Erhaltung des ken und Abteilungen und von
der Berufsordnung Hessen – (Stand: ungeborenen Lebens und Schwanger- frauenärztlich betreuten Belegklini-
1. Juli 2010) angeführt, das für jede/n schaftsabbruch festgelegt: „(1) Der ken, die in den einzelnen Bundeslän-
Arzt / Ärztin gilt: „Bei meiner Aufnah- Arzt ist grundsätzlich verpflichtet, das dern                  Schwangerschaftsabbrüche
me in den ärztlichen Berufsstand ge- ungeborene Leben zu erhalten. Der durchführen, so besteht kein Hand-
lobe ich, mein Leben in den Dienst der Schwangerschaftsabbruch unterliegt lungsbedarf. Selbst in strukturschwa-
Menschlichkeit zu stellen. Ich werde den gesetzlichen Bestimmungen. Der chen Regionen ohne Anschluss an ei-
meinen Beruf mit Gewissenhaftigkeit Arzt kann nicht gezwungen werden, ne großstädtische Versorgung sind
und Würde ausüben. Die Erhaltung einen Schwangerschaftsabbruch vor- die Mobilitätsanforderungen für Be-
und Wiederherstellung der Gesund- zunehmen oder ihn zu unterlassen. troffene in Deutschland unserer
heit meiner Patienten soll oberstes (2) Der Arzt, der einen Schwanger- Kenntnis nach gewöhnlich alltags-
Gebot meines Handelns sein. Ich wer- schaftsabbruch durchführt oder eine kompatibel. 
3/4 I 2012                                                                                                               I 17

                                     Mythen über den Schwangerschaftsabbruch

                   Die meisten Frauen sind
                 traurig und befreit zugleich
                        und können gut
                 mit ihrer Entscheidung leben
                                                     Petra Schweiger

n Weltweit sind mehr als ein Drittel      die einen Schwangerschaftsabbruch          über weiter gerecht werden können.
aller Schwangerschaften ungewollt         durchführen lassen. Viele Frauen er-       Ungewollte Schwangerschaften ent-
– etwas mehr als die Hälfte der un-       leben im Zusammenhang mit ihrer            stehen häufig aufgrund von Verhü-
gewollt schwangeren Frauen ent-           ungewollten Schwangerschaft auch           tungsfehlern. Manchmal spielen da-
scheidet sich für einen Abbruch. Eine     Informationskonflikte (falsche oder        bei ungenügendes Wissen über die
ungewollte Schwangerschaft ist ein        ungenügende Informationen zum              Fruchtbarkeit und ein erschwerter
bedeutsames Ereignis im Leben einer       Schwangerschaftsabbruch)            oder   Zugang zur Notfallverhütung, zum
Frau – jedoch im Bereich der histori-     Machtkonflikte (gesetzlich verordne-       Beispiel die Rezeptpflicht für die Pille
schen und statistischen Normalität        te Pflichtberatungen und Wartefris-        danach eine wesentliche Rolle. Auch
aufgrund der Tatsache, dass Frauen        ten), die sie als nicht hilfreich in der   eine als konflikthaft erlebte Sexua-
während der etwa 350 Zyklen ihrer         Bewältigung der aktuellen Situation        lität beeinträchtigt die Anwendung
fruchtbaren Lebensjahre mehrmals          erleben.                                   einer wirksamen Kontrazeption,
(ungewollt) schwanger werden kön-                                                    denn Selbstbestimmung und Kont-
nen. Die meisten Frauen besprechen        Wichtig: gute Information und eine         rolle der Fruchtbarkeit impliziert für
sich in dieser Situation mit naheste-     selbstbestimmte Entscheidung               Frauen ein aktives Engagement und
henden Menschen, wie in anderen           Auf der persönlichen Ebene ist der         die grundsätzliche Zustimmung zur
bedeutenden         Lebenssituationen     eigentliche intrapersonale Konflikt        eigenen sexuellen Lust. Eine (unge-
auch und treffen rasch eine Entschei-     – das Unvereinbare – die Tatsache,         wollte) Schwangerschaft kann auch
dung. Nur etwa eine von zehn Frauen       dass die betroffene Frau derzeit kein      die Sehnsucht nach Sinngebung oder
braucht professionelle Beratung.          Kind haben möchte und gleichzeitig         Orientierung im Leben ausdrücken,
                                          schwanger ist. Das konflikthafte Auf-      kann der unbewusste Versuch sein,
Der Wertkonflikt (lat. Confligere: zu-    einandertreffen dieser beiden Fakten       eine Beziehung zu retten oder das Be-
sammentreffen) in dem sich Frauen         liegt zeitlich vor der Entscheidung für    dürfnis nach Ablösung von der Her-
befinden, die zum Schwangerschafts-       oder gegen die ungewollte Schwan-          kunftsfamilie symbolisieren.
abbruch entschieden sind, ist vor-        gerschaft. Der Schwangerschaftsab-
wiegend ein interpersonaler Konflikt      bruch kann die Lösung dieses Konflik-      Die Wahrscheinlichkeit, dass sich
zwischen ihren eigenen Bedürfnissen       tes sein. Für viele Frauen bedeutet ein    Frauen zum Schwangerschaftsab-
und den gesellschaftlichen Interes-       Schwangerschaftsabbruch, dass sie          bruch entscheiden, ist umso höher,
sen. Wertschätzung erfahren diejeni-      ihr bisheriges Leben fortsetzen und        je mehr Gründe zutreffen: keine auf
gen, die sich für die Mutterschaft ent-   ihrer Verantwortung sich selbst, ihren     ein Kind bezogene Zukunftsvorstel-
scheiden und Ablehnung diejenigen,        Familien und der Gesellschaft gegen-       lungen, abgeschlossene Familien-
18 I                                                                                                            3/4 I 2012

planung, keine feste Partnerschaft       ganda religiöser FanatikerInnen. Ein     zugleich und können gut mit ihrer
oder kurze Dauer der Partnerschaft,      Post Abortion Syndrom wurde von          Entscheidung leben.
in Ausbildung, Berufstätigkeit, ho-      Anti-Choice-AnhängerInnen mit der
he Berufszufriedenheit, schlechte        Absicht konstruiert, dass das psychi-    Besondere Aufmerksamkeit brau-
Wohnverhältnisse, geringes Einkom-       sche Gesundheitsargument Frauen          chen Frauen mit psychischen Vor-
men, körperliche und/oder psychi-        noch stärker verunsichert als das        erkrankungen, Frauen mit starken
sche Erkrankung. Die Gefühle nach        moralische Argument. Es existiert in     Ambivalenzen bei der Entscheidung,
einem     Schwangerschaftsabbruch        keinem Diagnosemanual und wirkt          Frauen die eine ursprünglich ge-
schwanken zwischen Schuldgefüh-          dennoch in vielen Köpfen, obwohl die     wünschte Schwangerschaft abbre-
len und Traurigkeit über den Verzicht    internationale Studienlage bestens       chen und Frauen die mit niemandem
auf eine Lebensmöglichkeit und Er-       belegt, dass es kein nachhaltiges Ri-    über ihre Entscheidung sprechen
leichterung. Für viele Frauen wird die   siko für die psychische Gesundheit       konnten. „Was mir auf dem Her-
Zeit bis zum Termin des Abbruchs         von Frauen in Folge eines freiwilligen   zen liegt und was ich sehr schlimm
wesentlich belastender erlebt, als       Abbruchs einer Schwangerschaft im        finde ist, dass soviel Irrtümer über
der Eingriff selbst oder die Zeit da-    ersten Trimenon gibt.                    psychische Folgen verbreitet sind.
nach. Sehr wenige Frauen haben                                                    Dass nicht gefragt wird, haben mög-
nach einem Schwangerschaftsab-           43,8 Millionen Frauen lassen jährlich    liche Folgen wirklich etwas mit dem
bruch anhaltende psychische Proble-      eine ungewollte Schwangerschaft          Schwangerschaftsabbruch zu tun,
me, sofern sie vorher gut informiert     abbrechen. Ein Schwangerschafts-         oder nicht viel mehr mit der Situati-
wurden, die Entscheidung selbstbe-       abbruch ist weltweit der häufigste       on in der die Frau lebt...“ , fasst Chris-
stimmt getroffen haben, eine wohl-       gynäkologische Eingriff. Unter lega-     tiane, 26 Jahre, beispielhaft zusam-
wollende, soziale Akzeptanz ihrer        len Bedingungen durchgeführt, ist        men.
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