SCHWANGERSCHAFTSABBRUCH - DAS RECHT AUF EINE SELBSTBESTIMMTE ENTSCHEIDUNG - NR. 3/4 I 2012 - IFAS MERSEBURG
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2I 3/4 I 2012 Inhalt Impressum Editorial 3 ISSN 0175-2960 / 40. Jahrgang · 5,10 Euro Tabuthema Schwangerschaftsabbruch Herausgeber und Redaktion: Ulrike Busch 4 pro familia Deutsche Gesellschaft für Familienplanung, Sexualpädagogik Bevölkerungsdiskurs und Abtreibungsrecht und Sexualberatung e.V. Daphne Hahn 7 Bundesverband, Stresemannallee 3 60596 Frankfurt am Main Dokumentarfilme: Reden über ein Tabu Telefon: 069 26 95 779-0 Susanne Riegler, Janina Heckmann 10 Fax: 069 26 95 779-30 Internet: www.profamilia.de Schwangerschaftsabbruch in der sozialwissenschaftlichen Forschung E-Mail: info@profamilia.de Cornelia Helfferich 12 V.i.S.d.P.: Ärzteverbandsvertreter im Interview: Prof. Dr. Daphne Hahn, Christian Albring und Thomas Dimpfl 15 Redaktion: Gundel Köbke, Regine Wlassitschau Mythen über den Schwangerschaftsabbruch Bezug: Für ein Einzelheft 5,10 Euro zu- Petra Schweiger 17 züglich Versandkosten und einschließ- lich Mehrwertsteuer. Für ein Jahres- Klinische Praxis und Forschung abonnement 19,50 Euro (Ausland 21,50 Christian Fiala und Kristina Gemzell 19 Euro) einschließlich Mehrwertsteuer. Das Abonnement erstreckt sich über Anti Choice Aktionen in Bayern ein Kalenderjahr. Es verlängert sich Miriam Gil und Katharina Heudorfer 21 automatisch um ein Jahr, wenn nicht bis zum 30. September eines Jahres Pflichtberatung vor dem Schwangerschaftsabbruch gekündigt wird. Das Jahresabonne- Jutta Franz 23 ment wird am Jahresanfang in Rech- nung gestellt. Bestellungen richten Sie Pro Choice: Engagement für Wahlfreiheit bitte direkt an den pro familia Bundes- Anja Kruber und Christine Czygan 25 verband, Frankfurt. Krankenkasse kooperiert mit AbtreibungsgegnerInnen Erscheinungsweise: Vierteljährlich Andrea Ponti 27 Anzeigen: Männer in der Schwangerschaftskonfliktberatung Zur Zeit gelten die Mediadaten 1/2012 Sören Bangert 29 Layout: Spendwerk, www.spendwerk.de „Mein Bauch gehört mir“ Druck: Strube OHG, 34584 Felsberg Ute Wellstein 32 Copyright: ©pro familia Bundesverband, pro familia Positionspapier zum Schwangerschaftsabbruch 34 Deutsche Gesellschaft für Familien planung, Sexualpädagogik und 60 Jahre pro familia und IPPF Sexualberatung e. V., Paul Soemer 35 Frankfurt am Main. Die Beiträge sind urheberrechtlich Jetzt erst Recht – Ein Erfahrungsbericht 37 geschützt. Die Textinhalte geben die AutorInnenmeinung wieder und Rezension: Make Love – Ein Aufklärungsbuch 38 stimmen nicht zwangsläufig mit der Meinung der pro familia Redaktion Sexualstraftäter in Online-Spielen 40 überein. Dies gilt ebenfalls für Aus den Landesverbänden 41 Anzeigen und Beilagen. Titel-Foto: copyright (c) Kurzberichte und Termine 47 istock/ Sean Locke
3/4 I 2012 I3 Editorial Vom Recht auf selbstbestimmte Entscheidung n Die Parlamentarische Versammlung Persönlichkeitsrecht der Frau in den Vor- des Europarats hat am 16. April 2008 dergrund stellt und als zu schützendes eine Resolution verabschiedet, in der Gut definiert, ist ein Schritt, das Recht sie den Zugang zu einem sicheren und auf selbstbestimmte Entscheidung um- legalen Schwangerschaftsabbruch auf zusetzen. Das Gericht hat begründet, europäischer Ebene einfordert. Die Re- dass Frauen nicht eingeschüchtert und solution bestärkt das Recht der Frau, belästigt werden dürfen. sich selbstbestimmt für oder gegen eine Schwangerschaft zu entscheiden und verbindet dies mit In der aktuellen Doppelausgabe des pro familia magazins dem Anspruch, entsprechende Versorgungsstrukturen finden sich Artikel über das Reden und Schweigen zum in den Ländern der Europäischen Union zu schaffen. pro Thema Schwangerschaftsabbruch. Das magazin vereint familia verfolgt seit vielen Jahren die gleichen Ziele und wichtige Diskussionslinien: es enthält einerseits Kurzfas- setzt sich dafür in unterschiedlichen gesellschaftlichen sungen ausgewählter Beiträge einer Tagung, die Ende Sep- Zusammenhängen ein. tember in Merseburg stattgefunden hat. Deutlich wird an den Beiträgen, wie sehr das Thema Schwangerschaftsab- Der pro familia Bundesverband hat auf seiner diesjähri- bruch in bevölkerungspolitische und Geschlechterdiskur- gen Mitgliederversammlung ein neues Positionspapier se eingebettet ist, dass es in der öffentlichen Diskussion zum Schwangerschaftsabbruch verabschiedet, das in der im Zusammenhang mit psychischen Folgen und mora langen Tradition der bisherigen Verbandsarbeit steht und lischen Fragen beschrieben und besprochen wird und wie unsere Positionen im Kontext der sexuellen und repro- sehr wissenschaftliche Fragestellungen aktuelle Diskurse duktiven Gesundheit und Rechte begründet. Über eine repräsentieren. Andererseits wurden in das Heft weitere Schwangerschaft muss allein die schwangere Frau ent- Artikel und Interviews zu Themen wie der Ausbildungs- scheiden können. Ein Hintergrundpapier, in dem unsere situation im Bereich der Gynäkologie aufgenommen, das Verbandspositionen und Argumente, rechtliche Regelun- heißt, ob der medizinische Nachwuchs auch künftig die gen historisch und gesellschaftlich eingebunden werden, von uns geforderten medizinischen Kompetenzen er- wird folgen. Die Positionierung des Verbands zum Recht wirbt und wie eine gute Versorgung aussehen kann, bei auf eine selbstbestimmte Entscheidung, eine Schwanger- der beispielsweise auch andere medizinische Fachkräfte schaft auszutragen oder nicht, ist und bleibt mindestens eine neue Rolle einnehmen könnten. von Bedeutung, so lange der Schwangerschaftsabbruch im Strafrecht geregelt ist. Neben der rechtlichen haben Das Thema Schwangerschaftsabbruch zeigt wie kein wir jedoch vor allem die Versorgungsituation im Blick. anderes, wie es um die sexuelle und reproduktive Selbst- Frauen haben das Recht auf eine qualitativ hochwertige, bestimmung in einem Land bestellt ist. Für uns als auf dem aktuellen Stand der Wissenschaft durchgeführ- Verband bleibt es daher weiterhin wichtig, Position zu be- te medizinische Versorgung und sollen frei zwischen den ziehen.
4I 3/4 I 2012 Tabuthema Schwangerschaftsabbruch Eine Positionierung zum Thema Abtreibung im Kontext reproduktiver Rechte ist wichtig Ulrike Busch n Ende September 2012 wurde an der Einheit die Neuregelung des Abtrei- Arrangements Hochschule Merseburg die Tagung bungsrechtes nötig geworden: straf- mit fataler Wirkung „Schwangerschaftsabbruch zwischen rechtliche Indikationenlösung und Heute nehmen wir zunächst das Ar- reproduktiver Selbstbestimmung außerstrafrechtliche Fristenlösung rangement der Frauen wahr, die sich und Kriminalisierung“ veranstaltet. prallten aufeinander. Für einen Mo- in einer vermeintlichen Fristenlösung 140 Jahre nach der Geburtsstunde ment blitzte die historische Chance befinden und keinen Grund mehr zum des § 218 im StGB, 40 Jahre nach der auf, eine Liberalisierung zu erreichen, Protest sehen und fühlen – zu anders Kampagne „Wir haben abgetrieben“ die an die außerstrafrechtliche Lö- ist die Realität für sie heute: der Zu- in der BRD und nach der Einführung sung der DDR anknüpfte und Ent- gang zum Schwangerschaftsabbruch einer außerstrafrechtlichen Fristen- scheidung wirklich – und nicht nur ist möglich, trotz Pflichtberatung und regelung in der DDR sowie fast 20 letztlich – den Frauen gibt. Verankerung im Abschnitt „Straftaten Jahre nach der Neuregelung des Ab- gegen das Leben“, was kaum mehr be- treibungsrechtes in Deutschland ver- Die 70er und 80er waren aus heutiger kannt ist. Das Arrangement der Politik wundert das Schweigen zu diesem Perspektive ein vehementes Rütteln ist historisch verstehbar, ist doch der Thema. Gibt es neue, dringendere an der gesellschaftlichen Verfasstheit Kompromiss Anfang der 90er nach Themen? Was ist aus den alten Dis- – in einer Zeit des Auf- und Umbruchs, intensivem Ringen gefunden worden. kursen zu lernen? Das Thema erweist eingebettet in die 68er Revolten. Das Es besteht die nicht unberechtigte sich als nach wie vor zentral, wenn es Abtreibungsthema eignete sich wie Sorge, dass ein Rühren am Thema in um sexuelle und reproduktive Rechte kaum ein anderes, sichtbar zu ma- einer Verschärfung münden könnte. geht und als nicht erledigt. chen, dass es um Veränderung ging. Die Diskurse um die Spätabbrüche Nahezu symbolisch bündelte sich vor drei Jahren sprechen eine beredte Das heutige Schweigen ist im Ver- Vieles in diesem Thema: die Rechte Sprache. Die Bundesverfassungsge- gleich mit dem Ringen Anfang der von Frauen, die Stellung der Frau in richtsurteile von 1975 bis 1993 sind 90er Jahre um eine Neureglung für der Gesellschaft, Selbstbestimmung. zur Norm geworden, sie fokussieren Deutschland oder gar mit dem Auf- Mit dem Bekenntnis „Wir haben ab- den Blick auf das ungeborene Leben begehren der 70er und 80er Jahre ge- getrieben“ ging es um etwas, das nur und seinen Schutz. gen den § 218 irritierend und wirft verständlich ist, wenn man das Davor Fragen auf. Natürlich waren das ganz kennt. Heute sind wir von Aufbegeh- Das Arrangement der Medien zeigt andere Situationen: Der Zugang zum ren weit entfernt, obwohl es den § 218 sich darin, dass das Thema in der Öf- Schwangerschaftsabbruch ist heute StGB immer noch gibt, es dominieren fentlichkeit kaum mehr behandelt möglich, wenn auch immer noch im Arrangements und die wichtige Frage wird, abgesehen von wenigen morali- Strafgesetzbuch geregelt. Anfang der nach deren Hintergründen, aber auch sierenden Beiträgen. Das Thema ver- 90er war im Kontext der deutschen Auswirkungen ist zu stellen. schwindet aus dem öffentlichen Be-
3/4 I 2012 I5 wusstsein oder es wird psychologisiert im Kontext ungewollter Schwanger- mit gesellschaftlicher Stigmatisie- und moralisiert – aber es geht seit schaft, die geeignet sind, dieses rung und moralischer Ächtung. Dies langem nicht mehr um ein Recht, das Schweigen anzunehmen. Ein Lebens- befördert eine Individualisierung des auch medial zu verteidigen ist. ereignis, das jede vierte Frau erlebt in Themas, eine Vereinzelung der Frau- einer Welt, in der sonst alles möglich en in ihrer Lebens- und Entschei- Das Arrangement der Wissenschaft: scheint, wird zum „Geheimnis“. Un- dungssituation. Die Sprachlosigkeit die letzte große Studie liegt mehr als gewollte Schwangerschaft und die in der Gesellschaft, das Wegfallen 20 Jahre zurück. Fast 20 Jahre nach Entscheidung für oder gegen ihr Aus- der selbstbewussten Besetzung die- der gesetzlichen Neuregelung ist tragen ist immer eine ganz individu- ses Themas im öffentlichen Diskurs nicht erforscht, was Frauen und Män- elle Herausforderung – der französi- lässt keinen Raum mehr für gemein- ner davon halten, ob und wenn ja sche Soziologe Luc Boltanski hat das same Legitimierungsideen, vom Ein- wie sich ihr Entscheidungsverhalten beschrieben: Er geht dem Besonde- fordern eines Rechts auf Abtreibung verändert hat, welche Auswirkungen ren der Situation auf die Spur, das ganz zu schweigen. Klarer Protest ist dies auf Verarbeitungsverläufe hat. sich festmachen lässt an der sehr un- selten. Im Bewusstsein junger Frau- Jetzt ist die Studie frauenleben 3 in mittelbaren, ja leiblichen Erfahrung en sind Tötungsvorwürfe implemen- Arbeit (siehe Beitrag Seite 12). einer Option, zu der Frau sich verhal- tiert. Die heutige Sichtbarkeit des ten muss: den Fötus ins Nichts zu Embryos hat darauf ebenso Einfluss Und das Arrangement der Beraterin- entlassen, ihn nicht zu adoptieren, wie die Botschaften vom Schutz des nen? Es ist keine einfache Sache, die- die Schwangerschaft nicht anzuneh- ungeborenen Lebens und die Bot- se Sinnbestimmung zwischen Pflicht- men oder ihn zu adoptieren und ihm schaft, bei einem Abbruch etwas beratung und Stiftungsanträgen. Es damit zugleich einen für sie unendli- Ungutes zu tun. Einen Schwanger- beunruhigt, wenn die, die prinzipiell chen Wert zu geben. Der besondere schaftsabbruch eigentlich abzuleh- für Selbstbestimmung sind und für Zustand auf Probe ist fühlbar, geistig, nen, aber im individuellen Fall es Freiwilligkeit als Voraussetzung für seelisch und auch körperlich. Ein doch legitimieren zu müssen, macht professionelle Beratung, dann doch Schwangerschaftsabbruch hinter- es nicht einfacher. einschränkend relativieren, dass man lässt einen Abdruck. den Frauen ja so viel mitgeben kann, Das Ungeborene Beratung ja nicht wirklich schaden Frauen gehen sehr verschieden da- als Grundrechtsinstanz könne, so viele Frauen so dankbar mit um, sie erleben den Abbruch Der verfassungsrechtlich abgeleitete und erleichtert die Räume verließen … der Schwangerschaft mehrheitlich Schutzauftrag des Staates für das als Chance, wachsen an dieser Ent- Ungeborene hat sich etabliert. Ich Fazit: Es entsteht eine Gesamtge- scheidung, gehen ihren Weg, sind nehme keine „entspannte Liberalität“ mengelage von Arrangements mit fa- befreit, dennoch auch traurig, so der oder „gelungene Entkriminalisie- taler Wirkung. Schließlich: Schwan- treffende Buchtitel der Kolleginnen rung“ wahr, die Monika Frommel be- gerschaften sind auch heute noch, vom Hamburger Familienplanungs- schreibt. Ursächlich ist die Auslegung trotz aller scheinbar perfekten Pla- zentrum. Boltanski sieht in den hier des Grundgesetzes durch das Bun- nungsmöglichkeiten, vielfach unge- nur grob skizzierten Besonderheiten desverfassungsgericht, nach dem das plant, werden dann gewollt, ange- einen Grund, weswegen Frauen in sich im Mutterleib entwickelnde Le- nommen oder nicht gewollt. Das der Regel auf eine sehr intime Weise ben unter dem Schutz der Verfassung gesellschaftliche Klima macht etwas mit ihrem Schwangerschaftsbbruch steht. Die Auswirkungen verbinden mit den betroffenen Frauen, aber umgehen. Gesellschaftlich bildet das Abtreibungsthema mit dem der auch mit ÄrztInnen und Beraterinnen. sich dies ab, indem ein Geheimnis modernen Reproduktionsmedizin. transportiert wird, um das eigent- Monika Frommel hat hier unter dem Individuelle und lich viele wissen. Ein Phänomen, das Fokus der positiven und negativen gesellschaftliche Sprachlosigkeit so viele Frauen erleben, erhält auch Reproduktionsfreiheit überaus Wich- Die gesellschaftliche Tabuisierung von ihnen selbst kaum Öffentlichkeit tiges beigetragen. Allerdings: Ist die trifft auf individuelle Besonderheiten – umso problematischer die Paarung Rede vom Lebensrecht letztlich wirk-
6I 3/4 I 2012 lich nur metaphorisch, weil die Ak- Die feministische Historikerin Barba- koüberwachung geworden sind. zeptanz der Rechte der betroffenen ra Duden schätzt im Gefolge ihrer Nicht von ungefähr hat das Forum Frauen angestrebt werde? Wird nicht Analyse der jüngeren Familienpolitik Beratung der Deutschen Gesellschaft ein hoher Preis gezahlt, wenn ver- in Europa ein: Auf staatliche Hilfen für Verhaltenstherapie (dgvt) im Ja- sucht wird, ein differenziertes Thema angewiesene Mütter, Eltern und Fa- nuar dieses Jahres die Nähe psycho- juristisch, noch dazu strafrechtlich, milien werden zu „families at risk“, die sozialer Beratung in bestimmten Be- zu lösen? Die Abtreibungsdebatte ist unter dem Verdacht stehen, dass ihre ratungsbereichen zu administrativer meines Erachtens ebenso wenig ent- Interessen von denen ihrer Kinder ab- Macht problematisiert und die moralisiert wie die Debatte um den weichen könnten. Sie sieht hier einen Grundstandards Freiwilligkeit, Ergeb- Embryonenschutz in der Reprodukti- ähnlichen Betrachtungsmodus wie nisoffenheit und Vertraulichkeit her- onsmedizin. Um die Frau wirklich aus im Schwangerschaftskonflikt: „Im vorgehoben. Es ergeben sich zwangs- ihrer Opferrolle beziehungsweise der Verfassungsurteil … von 1993 postu- läufig Herausforderungen für uns, Rolle der Täterin zu entlassen, bedarf lierten die Verfassungsrichter einen wenn wir uns in solchen Zuwen- es meiner Ansicht nach eines außer- Konflikt zwischen der schwangeren dungsbereiche befinden. strafrechtlichen Zugangs, eines Zu- Frau und der in ihr eingenisteten Zel- gangs, der reproduktive und sexuelle le. Dieser Konflikt war der Dreh- und Die Frage bleibt: Wie motiviert sind Selbstbestimmung wirklich ernst Angelpunkt zu einer staatlichen Ein- wir auch heute noch, wenn es Grund- meint und Frauen oder Paaren eine rede in die Frage der Abtreibung wäh- legendes zu verteidigen gilt? Und da verantwortliche Entscheidung zu- rend der ersten drei Schwanger- gibt es Vieles: Die Entscheidungsau- traut. Recht ist immer auch Ausdruck schaftsmonate. Heute stehen Frauen tonomie von Frauen und Paaren ihre politischen Willens. nach Ansicht der EU-Kommission reproduktiven Belange betreffend, und deutscher Politiker nicht nur das Recht auf Zugang zu Verhütung, Fachpolitische und familienpolitische während einer Schwangerschaft im unabhängig von der sozialen Lage Herausforderungen potentiellen Konflikt mit einem abs- (Hartz IV und Verhütung), das Recht Die Verbindungslinien reichen bis trakten Leben. Auch nach der Geburt auf moderne Gesundheitsversor- zu neuen aktuellen Themen: Frühe kann man, so die nun herrschende gung, zum Beispiel die Pille danach. Hilfen, Kinderschutz oder Babyklap- Meinung, nicht davon ausgehen, dass Und immer wieder das Thema pe und anonyme Geburt, auch Ju- die Bedarfe und Wünsche der Mütter Schwangerschaftsabbruch, das sich gendsexualität und Sexualstrafrecht. im Einklang sind mit denjenigen ihrer fast sinnbildlich eignet, die wirkliche Folgende Tendenzen lassen sich be- Kinder. Und: „In der von der EU anvi- Verfasstheit um die sexuelle und re- obachten: Es werden Gefahrenszena- sierten Ersetzung von Familienpolitik produktive Selbstbestimmung in ih- rien aufgebaut und das Gegenüber durch eine Politik am Kind wird still- rer Widersprüchlichkeit deutlich zu zum Risikopotential für die zu Schüt- schweigend die Thematisierung der machen und insofern zentrales The- zenden stilisiert. Dem wird primär materiellen und zeitlichen Not von ma bleibt: Es gilt, Position zu bezie- durch Verrechtlichung, zunehmende Frauen auf einen ‚Interessenkonflikt’ hen.
3/4 I 2012 I7 Bevölkerungsdiskurs und Abtreibungsrecht Das legitime Selbstbestimmungsrecht der Frau ist nirgends Thema Daphne Hahn n Für moderne Gesellschaften ist die abhängig entscheiden wollten, ein sem Gesetz kommt eine übergreifen- Regulierung der Bevölkerung ein As- Kind auszutragen oder nicht und zu de Bedeutung für die Abtreibung zu. pekt ihrer Existenz, ihrer Stabilität welchem Zeitpunkt dies geschehen In seiner Präambel war die Förderung und ihrer Zukunft. Die Kontrolle der solle. Restriktive Maßnahmen wur- des Kinderreichtums festgelegt. Ein- Bevölkerung, deren Wachstum, die den allmählich durch pädagogische geschränkt wurden damit die vorher Geburten- und Sterberaten und auch Interventionen abgelöst. Bereits zu vergleichsweise liberalen Länderre- der Zugang und die Zahl an Abtrei- Beginn der 1950er Jahre orientierte gelungen und zugelassen waren von bungen sind daher ein wichtiges Feld sich die Argumentation darauf, durch da an nur noch zwei Indikationen: die staatlicher Politik. Die rechtliche Situ- „Erziehung und Belehrung, durch medizinische Indikation und die erb- ation war im Jahr 1945 für das westli- Selbstdisziplin und feste Haltung“ medizinische, wobei sich der Begriff che Besatzungsgebiet in den einzel- Frauen zum Schwanger Bleiben zu der erbmedizinischen Indikation auf nen Bundesländern sehr heterogen. bewegen. Anders in der Sowjetischen das individuelle Leidensschicksal Durch Kontrollratsbeschluss wurde Besatzungszone. Zunächst gab es im richtete und damit frühzeitig argu- zwar die im Nationalsozialismus für Osten nach 1945 theoretisch die mentativ die Interessen von Individu- Abtreibung eingeführte Todesstrafe Chance, die während der Weimarer en in den Fokus der Argumentation aufgehoben. Gültig blieb der § 141 des Republik entstandene Reformbewe- rückte. Gesetzes zur Verhütung erbkranken gungen um den § 218 wieder aufzu- Nachwuchses, der eine Abtreibung greifen und die Reformvorschläge zur Bevölkerungspolitische Diskurse sind aus medizinischer Indikation erlaub- Entkriminalisierung der Abtreibung eng verbunden mit kollektiven Sym- te. In der Bundesrepublik rechtfertig- in die Realität umzusetzen, insbeson- bolisierungen. Bis in die 1960er Jahre te in den 1950er Jahren keine außer dere auf einem Territorium, dessen hinein blieben Argumentationsfigu- einer medizinischen Indikation einen Regierung sich in dieser Tradition ver- ren im Bevölkerungsdiskurs wichtig, Schwangerschaftsabbruch und er stand. Dies geschah jedoch nicht. die sich um die Erhaltung der Nation galt dann als begründet, wenn ein Ri- rankten. Metaphern wie „Aderlass an siko für das Leben der Mutter be- Unmittelbar nach Kriegsende wurde der Volkssubstanz“, der nicht gleich- stand, die dann im Todesfall erstens Frauen durch Verwaltungsanordnun- gültig hingenommen werden kann, ihre eigenen vorhanden Kinder nicht gen in den einzelnen Ländern der So- dienten dazu, die Legalisierung eben- mehr aufziehen und zweitens keine wjetischen Besatzungszone das so wie die Legitimierung der Abtrei- weiteren gebären kann. Recht zugesprochen, unter bestimm- bung zu verhindern. In den 1960er ten Voraussetzungen einen Schwan- Jahren trat das Argument des Volks- Frauen zum gerschaftsabbruch vornehmen zu wohls in den Hintergrund, es war als Schwanger Bleiben bewegen? lassen. 1950 wurde in der DDR ein Legitimationsmuster weitgehend de- Im medizinischen Diskurs der 1950er fundamentales Gesetz zur Regulie- savouiert. In den Vordergrund scho- Jahre in Westdeutschland wurde die rung der Bevölkerung erlassen: Das ben sich Argumente, die an der indivi- Gefahr der wachsenden Selbständig- „Gesetz über den Mütter- und Kinder- duellen Belastung und Gesundheit keit von Frauen thematisiert, die un- schutz und die Rechte der Frau“. Die- ansetzen.
8I 3/4 I 2012 ullstein bild – Rudi Müller schwung ausgelöst. Im Zuge dieser Kampagne häuften sich die Vorstöße zur Aufhebung des § 218 StGB und zur Verabschie- dung einer Fristenlösung. Für die DDR war dies der Impuls, ohne Vorbereitung ein eigenes Gesetz zum Schwangerschaftsabbruch zu formulieren. Die Freiga- be der Abtreibung als vor- maliges Ziel der Kommu- nistischen Partei, in deren Traditionslinie die SED sich sah, konnte keinesfalls der Bundesrepublik überlassen bleiben. Das Gesetz knüpf- te an die gestalterischen Demonstration in Bonn gegen den Paragraphen 218 StGB am 21. September 1975 Kräfte der Planbarkeit an und nutzte Argumente aus dem Modernisierungs- Argumentationsmuster Liberalisierung in der DDR – und Individualisierungsdiskurs. Die für Verhaltensnormen Selbstbezichtigungskampagne neuen Wahlmöglichkeiten der Frauen Ab Ende der 1960er Jahre, zunächst in der Bundesrepublik standen im Zentrum der Argumenta- im Zusammenhang mit der Pille, Angelehnt an die internationale Dis- tion. Das Gesetz wurde nun auch als dann mit der Sterilisation und noch kussion – und die DDR wollte hier gesundheitspolitischer Fortschritt später mit der Abtreibung, kamen zu- nicht isoliert sein – liberalisierte sich verbucht – auch im Systemvergleich nehmend die psychischen Folgen ins der Zugang zu Abtreibungen vor al- mit der Bundesrepublik – weil wei- Spiel. Das Argument begründete lem in der zweiten Hälfte der 1960er tere illegalen Abtreibungen und ge- nicht nur einen weiteren vor allem Jahre. Die Zahl illegaler Abtreibungen sundheitliche Probleme von Frauen medizinischen Zugriff als Zugangs- blieb weiterhin hoch, der Gesetzge- dadurch verhindert werden. Was barriere und Kontrollinstanz, es be- ber nahm das im Verhältnis zu den in diesem Diskurs überhaupt nicht deutete auch ein vielfältig einsetzba- antizipierten Folgen – wie geringere auftauchte, waren mögliche psychi- res und langfristig wirkungsvolles Geburtenzahlen aber auch gesund- sche Folgen durch einen Schwanger- Argumentationsmuster – die weibli- heitliche Schäden durch illegale Ab- schaftsabbruch. che Psyche und damit einhergehend treibungen – in Kauf. Der gesamte die Antizipation der Folgen einer Ab- medizinische wie juristische Diskurs 1989 hatten wir es wieder mit einer treibung. Damit wurde eine Verhal- ließ mitnichten eine Indikationsrege- historischen Wende zu tun, deren Fol- tensnorm konzipiert. Diese einmal lung erwarten, wie sie 1972 in der gen vor allem von vielen ostdeut- eingeführte Argumentationsfigur hat DDR in Kraft trat. schen Frauen als besonders ein- sich nicht nur im Hinblick auf die Pille schneidend erfahren wurden; sie und Sterilisation als sehr erfolgreich Als großes Medienereignis hatte die wurden oft als Verliererinnen der erwiesen, sondern erwies sich auch im Stern im Sommer 1971 veröffent- Wende apostrophiert. Ende 1992 lief beim Schwangerschaftsabbruch als lichte Selbstbezichtigungskampagne das Gesetz aus, wonach eine Schwan- legitime Begründung, um die Zahl von Frauen in der Bundesrepublik gerschaft legal, ohne Pflichtberatung und den Zugang zu regulieren. einen grundlegenden Meinungsum- und kostenlos in den ersten zwölf
3/4 I 2012 I9 Wochen beendet werden konnte. abbruch 627. Davon finden sich 200 Ausnahmezustände wie soziale, me- Nach der Wende wurde die Debatte Ratgeber, 18 belletristische Bücher, dizinische und eugenische Gründe um Themen wie Abtreibung, Verhü- 301 Fachbücher aus Recht, Psycholo- als legitim verstanden wird. Dieses tung, Sterilisation, der angebliche Ge- gie, Medizin, Soziologie, 40 aus Religi- Ergebnis spiegelt sich in der LeserIn- bärstreik im Osten in beiden Teilen on und Glauben, 2 Geschenkbücher nendebatte der ZEIT wider. Deutschlands so plural geführt wie es (das österreichische Strafrecht und im Westen vorher schon der Fall war. ein Erinnerungsalbum), 4 Kinder- und Fazit: Ein Schwangerschaftsabbruch Während von ostdeutschen Vertrete- Jugendbücher wie Cyankali von Fried- ist nach wie vor nicht unabhängig rInnen vor allem die Autonomie und rich Wolf. Auf die Jahre verteilt, wer- von bevölkerungspolitischen Regu- Entscheidungsfreiheit von Frauen be- den jährlich 30 bis 40 neue Bücher lierungen zu denken, die typisch für tont wurde, betonten westdeutsche angeboten. In medizinischen, psycho- moderne Gesellschaften sind, nur Frauen vor allem das Bild der unmün- logischen oder sozialwissenschaftli- dass die weitaus subtiler stattfinden digen Ostfrau, die leichtfertig auf ihre chen Datenbanken findet sich eine als noch vor 50 oder 60 Jahren und Fruchtbarkeit verzichtet. Die Ausein- Unmenge an Artikeln zum Thema; sich nicht mehr an Argumenten der andersetzung zwischen Ost und West eine kurze Recherche in der Süddeut- Volksgesundheit, sondern an indivi- fand sich auch in der Differenz von schen Zeitung und Bild erbrachte je- duellen Wünschen orientieren. Die Ost- und Westfrauen wieder. weils etwa 600 gefundene Stellen. Es Veröffentlichungen zentrieren sich werden insbesondere psychische Pro- um weibliche Fruchtbarkeit und kör- Gewinnt das Selbstbestimmungs- bleme, Gründe für Spätabbrüche, in- perliche Zuschreibungen, wobei die recht an Boden? ternationale Diskurse – insbesondere Deutungsmacht der Medizin immer Am 3. August 2012 wurde in der Wo- die Auseinandersetzung in den USA noch sehr groß ist, auch bei den Vor- chenzeitung DIE ZEIT ein Artikel mit – thematisiert. Wahrscheinlich gab es stellungen, welche Folgen Abtreibun- dem Titel „Tabu Abtreibung“ veröf- niemals mehr Möglichkeiten als heu- gen für Frauen haben. Die Demarkati- fentlicht, in dessen Zentrum das Lei- te, etwas über Abtreibungen zu lesen. onslinie der Debatten, die Grenzlinie den an der Entscheidung für eine Ab- Warum also meinen wir, dass das zwischen dem, was Gegenstand der treibung steht. In den Kommentaren Thema ein Tabu ist? wissenschaftlichen wie öffentlichen findet sich die aktuelle Spannbreite Diskurse ist und dem, was wirklich ta- der Argumente zur Legitimität einer Für Deutschland gibt es zwei aktuelle buisiert ist, liegt genau da, wo es um Abtreibung wieder. Als nicht legitim Analysen öffentlicher Diskurse zur die Selbstbestimmung über eine Ab- wird eine Abtreibung dann betrach- Abtreibung, die zweierlei zeigen: Ein- treibung und die freie Entscheidung tet, wenn das Kind gesund ist. Häufig mal die große Überrepräsentanz von von Frauen geht. Die ist wirklich nir- wird auf Seiten der Gegner der Abtrei- Parteien oder parteipolitisch begrün- gendwo Thema. bung das Lebensrecht des Fötus als deter Präsenz in der öffentlichen De- Argument eingebracht, die Selbst- batte, während Organisationen sozi- Bei diesem Beitrag handelt es sich um sucht und Bequemlichkeit von Frauen, aler Bewegungen kaum zu Wort die stark gekürzte Fassung eines Vor- die gravierenden psychischen Folgen kommen. Das bedeutet aber nicht, trags, der bei der Tagung zum Thema für die Frau, die man davor schützen dass das Thema tabuisiert ist, son- „Schwangerschaftsabbruch zwischen muss, auf Seiten derjenigen, die Ab- dern dass nicht alle gleichermaßen reproduktiver Selbstbestimmung und treibungen befürworten, das Ent- am öffentlichen Deutungsprozess Kriminalisierung“ der Hochschule scheidungsrecht der Frau, die psychi- teilhaben. Zum zweiten zeigen diese Merseburg gehalten wurde.
10 I 3/4 I 2012 Dokumentarfilme Reden über Schwangerschaftsabbruch Zwei Filme über Gegenwart und Vergangenheit Die Redaktion fragte Susanne Riegler, Der lange Arm der Kaiserin Autorin und Regisseurin des Films, wie sie die vier Protagonistinnen in Dokumentarfilm von ihrem Film dazu gebracht hat, vor der S usanne Riegler, Österreich Kamera über ihren Schwanger- 2012, Länge: 64 Minuten schaftsabbruch zu sprechen und war- Obwohl der Abbruch einer um eine junge Frau von heute im Film ungewollten Schwanger- anonym bleiben wollte. schaft seit 1975 in Österreich unter gewissen Bedingungen n Susanne Riegler: Für Freda Meiss straffrei ist, wird auch dieses ner-Blau, die erste Protagonistin, war Thema t abuisiert. Der Film fragt: Warum ist das so? Ist es der „Lange Arm es ihr erklärter politischer Wille, dass der Kaiserin“ der noch immer nach uns greift? Protagonistinnen und Zeit- so etwas nicht in Vergessenheit ge- zeuginnen, wie Freda Meissner-Blau, Alfred Rockenschaub, die Rechtshistori- rät. Sie erzählte ihre Geschichte, weil kerin Ilse Reiter, sowie Elisabeth Haidler, die 1959 einen illegalen Abbruch da- es ihr wichtig war, dass die jünge- heim am Küchentisch hatte und der Gynäkologe Christian Fiala kommen zu re Generation weiß, wie es war, als Wort, Zitate und Dokumente beleuchten das Thema. Eine DVD des Films noch schwerer Kerker auf Abtreibung kann für 22 Euro unter www.derlangearmderkaiserin.at bestellt werden. stand. Die zweite Frau aus dem Salz- burger Lungau wies auf die morali- wusste, was sie wie erzählen können. dass es ihrer Karriere schaden könn- sche Doppelbödigkeit in einer sehr Freda Meissner-Blau zum Beispiel ist te. Diese Sorgen sind realistisch. Das katholischen ländlichen Ecke Öster- es beim Erzählen gar nicht gut gegan- finde ich bedenklich und gefährlich. reichs hin. Für sie war es am schwie- gen und sie hat mir gesagt, sie weiß Wo ist die Gesellschaft gelandet, dass rigsten, vor der Kamera zu sprechen, eigentlich gar nicht, ob sie das jemals ein Schwangerschaftsabbruch mög- weil sie wusste, sie würde von all ih- schon so erzählt hat. licherweise zu einer Sanktion führen ren NachbarInnen darauf angespro- kann? Genau diese Angst, die diese chen werden. Die dritte Protagonistin, Frauen haben eben noch immer junge Frau hat, müsste uns veranlas- die aus einer Engelmacherinnen-Dy- Angst, über das Thema Schwanger- sen, die Frage zu stellen, was los ist in nastie stammt, wollte sich nicht da- schaftsabbruch zu reden, weil es dieser Gesellschaft, da stimmt etwas für genieren, dass ihre Mutter und gesellschaftlich nach wie vor ganz nicht.
3/4 I 2012 I 11 Meine Entscheidung Dokumentarfilm von Janina Heckmann und Gitte Hellwig, Deutschland:2010, 28 Minuten. Fünf Frauen erzählen von ihren Erfahrungen um Schwanger- schaftskonflikt und Abtreibung. Ihre Erzählungen verlassen die abstrakte Diskussion im Für und Wider um Schwangerschaftsab- bruch: Sie sind persönlich und ehrlich. Der Film zeigt nicht das Bild von durch Abtreibung trau- matisierten Frauen, sondern viel- mehr einen Umgang mit dem Thema, der einen Schwangerschaftsabbruch in die eigene Biographie bewusst einbindet. Dana, Franzi, Sarah, Johan- na und Judith erzählen über ihre eigenen Konflikte: die Angst vor dem positiven Testergebnis, die Situation mit dem Partner, die Scham vor den Eltern. Aber sie haben alle zu einer Entscheidung gefunden, mit der sie leben können. Der Film kann unter der E-Mail: janina.heckmann@googlemail.com bestellt werden. Janina Heckmann berichtet darüber, Netzwerken kontaktiert und dort dass in einer Gesellschaft, die so of- was sie zu ihrem Film motiviert hat unseren Aufruf publiziert. Daraufhin fen mit Sexualität umzugehen vor- und warum die jungen Frauen bereit haben sich zwar viele Frauen zu ei- gibt, auch dieser Bereich nicht mehr waren, vor einer Kamera zu sprechen. nem Gespräch mit uns bereit erklärt, tabuisiert werden darf.
12 I 3/4 I 2012 Schwangerschaftsabbruch in der sozialwissenschaftlichen Forschung …und dann folgte weitgehend Stille Cornelia Helfferich n Die sozialwissenschaftliche For- setzt. Ende 2013, nach Abschluss der Stadtstaaten und den alten Bundes- schung zu Schwangerschaftsabbrü- Auswertung der Daten von 4.002 ländern. Siehe auch die Grafiken auf chen in Deutschland zeigt für die Frauen aus vier Bundesländern (Zu- den folgenden Seiten. letzten 20 Jahre eine große Leerstelle. fallsstichprobe in der Bevölkerung) In den 80er Jahren gab es im Zuge der und von 97 qualitativen Interviews Der Zweck der Schwangerschafts- Reform der §§ 218ff. StGB in den alten (Frauen mit ungewollten Schwan- abbruchstatistik ist die Kontrolle der Bundesländern interessante Studien, gerschaften), werden damit erst- Verbreitung eines prinzipiell straf- die überwiegend in Vergessenheit ge- mals wieder aktuelle Daten auch zu würdigen Handelns. Aussagen über raten sind, dann folgte weitgehend Schwangerschaftsabbrüchen vor- die Hintergründe von Schwanger- Stille. Lediglich die Studie zu Famili- liegen. Die Fragestellungen und die schaftsabbrüchen auf personenbe- enplanung im Lebenslauf von Frau- methodische Anlage einer Forschung zogener Ebene sind nicht Zweck des en („frauen leben“, im Auftrag der sind immer auch durch ihren speziel- Registers. Bundeszentrale für gesundheitliche len Blick auf den Schwangerschafts- Aufklärung (BZgA), 1997 bis 2001) er- abbruch bestimmt. Die Frage danach, Die Forschung der 80er Jahre fragte auch Schwangerschaftsabbrü- an welche Forschungstradition heute Ende der 70er sowie in den 80er Jah- che, aber dies bildete keinen Auswer- angeknüpft werden kann und soll, ren wurden in der alten Bundesre- tungsschwerpunkt. So ist die einzige ist auch eine Frage nach der „Konst- publik zahlreiche Studien zu psycho- aktuelle Datenquelle die Schwanger- ruktion“ des Phänomens Schwanger- sozialen (Oeter/Wilken 1979) oder schaftsabbruchstatistik des Statisti- schaftsabbruch in der vorliegenden sozialen Hintergründe von Schwan- schen Bundesamtes, die die gemel- Forschung und nach der Möglichkeit, gerschaftsabbrüchen (v. Troschke / deten Abbrüche zusammenfasst. dies kritisch zu reflektieren. Hendel-Kramer/Werner 1982, Holz- Währenddessen wurden in anderen hauer 1989), zu psychodynamischen Europäischen Ländern größere Studi- Ergebnisse und Kontext der Konflikten (Merz 1979, Goebel 1984) en zu ungewollten Schwangerschaf- Schwangerschaftsabbruchstatistik oder zur Rolle von ÄrztInnen (Häu ten und deren Ausgang durchgeführt. Die Schwangerschaftsabbruchsta- ssler-Sczepan 1989) angesichts der tistik gilt als weitgehend vollständig Praxis des neu implementierten § 218 Nachdem 2009 Schwangerschafts- und zuverlässig. Erfasst werden un- StGB durchgeführt. Aus dieser Zeit abbrüche bei Minderjährigen unter- ter anderem Alter und Familienstand liegt auch eine kulturgeschichtliche sucht wurden, beauftragte die BZgA der Frau, die eine Schwangerschaft Studie vor (Jerouschek 1988). Über- 2011 das Sozialwissenschaftliche abbrach, Zahl der Kinder, das Bun- wiegend wurden nur Frauen befragt, FrauenForschungsInstitut Freiburg desland des Wohnsitzes der Frau und die Schwangerschaften abbrachen. mit einer Studie, die an „frauen le- des Eingriffs sowie die rechtlichen Nachdem in den 70er Jahre Studien ben“ und an Vorläuferstudien zu Fa- Voraussetzungen für den Abbruch pathologische Züge bei den Frauen, milienplanung im Lebenslauf von und medizinische Angaben. Die Da- die keine Kinder wollte, die Pille nah- Männern und von Migrantinnen an- ten können gut Trends abbilden und men etc. überprüften, ging es auch knüpft, die aber einen Schwerpunkt makrostrukturelle Zusammenhänge weiterhin um Besonderheiten der bei ungewollten Schwangerschaften wie zum Beispiel die Unterschiede abbrechenden Frauen, zum Beispiel und Schwangerschaftskonflikten zwischen neuen Bundesländern, den bezogen auf ihre Einstellungen zu
3/4 I 2012 I 13 Sexualität und zur Geschlechtsrolle Die Fragestellungen sind ohne Zwei- Schwangerschaften gestellt und die sowie auf ihre Werteinstellungen. fel relevant und der Wunsch zu verste- abbrechende Frau als defizitär, ma- Ein zweiter Fokus war die Psychody- hen, warum sich eine Frau für einen teriell orientiert und selbstbezogen, namik von Konflikten, die mit einem Abbruch entscheidet, ist weiter ak- psychisch belastet oder als Opfer der Schwangerschaftsabbruch bewältigt tuell. Doch der gesellschaftliche Kon- Einflüsse anderer Menschen gese- wurden, wie zum Beispiel Ablösungs- text der Forschung nach der Reform hen. Ausgeblendet wurden die Be- und Trennungskonflikte oder Konflik- der §§ 218ff. StGB in der Bundesrepub- ziehungen zwischen Mann und Frau te um Weiblichkeit und Generativität. lik mit einer klaren Missbilligung von und zwischen der Frau und einem Schwangerschaftsabbrüchen repro- möglichen Kind, Fragen von Sexua- Als Drittes wurde die Bedeutung duzierte vor allem Rechtfertigungs- lität, Selbstbestimmung und Macht situativer Rahmenbedingungen er- druck und Begründungszwänge und sowie der Kontext der Gesellschaft. forscht, darunter ökonomische oder führte zu einer spezifischen Konst- Die unzureichende Engführung die- gesundheitliche Probleme, eine ruktion des Forschungsgegenstands ser Sichtweise – bei aller Bedeutung Schwangerschaft während der Aus- Schwangerschaftsabbruch. Dieser der Ergebnisse im Detail – zeigt sich bildung oder nach bereits mehreren wurde herausgelöst aus dem Kon- darin, dass viele Aspekte, die für Kindern. Eine vierte Fragestellung text von Sexualität, Verhütung und Schwangerschaftsabbrüche festge- galt den Einflüssen auf die Entschei- ungewollten Schwangerschaften stellt wurden, auch für ausgetragene, dung zum Beispiel durch den Part- (Parzellierung) und die Betrachtung ungewollte Schwangerschaft gelten. ner, Beratungsstellen, das Gesetz konzentrierte sich auf das Problem oder ärztlichen Rat. Studien auf einer der individuellen Frau und ihre (mora- Ein Beispiel aus Metaebene wie zur kulturellen Be- lische) Entscheidung (Individualisie- der internationalen Forschung wertung und den gesellschaftlichen rung). Der Schwangerschaftsabbruch Die französische COCON-Studie (CO- Praktiken von Schwangerschaftsab- wurde als Abweichung in den Gegen- hort CONtraception survey) in dem brüchen waren selten. satz zur Normalität ausgetragener Team um Bajos und Leridon, bei der Abbildung 1: Schwangerschaftsabbrüche je 1.000 Frauen im Alter von 15 bis 45 Jahren nach Bundesland 0 2 4 6 8 10 12 14 16 Mecklenburg-Vorpommern 11,4 Sachsen-Anhalt 10,7 Thüringen 10,1 Brandenburg 9,3 Sachsen 8,5 Quelle: Schwangerschaftsabbruchstatistik, Statistisches Bundesamt 2010 Hessen 7,5 Saarland 7,3 Schleswig-Holstein 7,0 Nordrhein-Westfalen 6,8 Niedersachsen 6,2 Rheinland-Pfalz 5,8 Baden-Württemberg 5,7 Bayern 4,8 Berlin 13,4 Bremen 12,5 Hamburg 11,3 Deutschland 7,2
14 I 3/4 I 2012 Abbildung 2: Entwicklung der Abbruchquoten auf 10.000 Frauen des Alters von Font-Ribera (1994 bis 2003) verglich ebenfalls ungewollte 2004 2006 2008 2010 Quelle: Schwangerschaftsabbruchstatistik, Statistisches Bundesamt 2010 Schwangerschaften, die ausge- 140 tragen oder abgebrochen wur- den, und fand ähnliche Einflüs- 120 se der Lebenssituation in der Kombination von Partnerschaft, 100 Alter und eigenen Einkommens- chancen auf die Entscheidung 80 für oder gegen einen Schwan- gerschaftsabbruch. 60 Fazit: Forschung zu Schwanger- schaftsabbrüchen in Deutsch- 40 land heute kann eine Tradition aufgreifen, sie sollte aber die 20 jeweils zeitgeschichtliche Kon- struktion des Gegenstandes 0 „Schwangerschaftsabbruch“ und der eine Schwangerschaft 15 bis < 18 Jahre 30 bis < 35 Jahre abbrechenden Frau reflektieren 18 bis < 20 Jahre 35 bis < 40 Jahre und gegebenenfalls eine eige- 20 bis < 25 Jahre 40 bis < 45 Jahre ne wertgebundene Vorannah- me als solche ausweisen. Der 25 bis < 30 Jahre Forschungsgegenstand sollte biografisch in die Abschnitte in Frankreich knapp 3.000 Frauen schaft wurde ausgetragen; die Logik Sexualität, Kinderwunsch, Verhütung, viermal im Zeitraum 2000 bis 2004 dieser Entscheidung hängt dabei we- Schwangerschaft, die Entscheidung befragt wurden, ging von den Verhü- sentlich von der Phase im Lebenszy- über Ausgang der Schwangerschaft tungspraktiken und -biografien und klus ab. Stabilität der Partnerschaft und die Frau-Mann-Beziehungen in von der Erhältlichkeit und Akzeptanz ist ein übergreifender Faktor (ähnli- der jeweiligen Lebensphase sowie in verschiedener Methoden aus und che Ergebnisse hatte auch die Studie den gesellschaftlichen Kontext einge- untersuchte die Ursachen von Ver- „frauen leben“ gefunden). Bei die- bettet werden.
3/4 I 2012 I 15 Interview Die Qualifikation der Ärztinnen und Ärzte beim Schwangerschaftsabbruch in Deutschland ist sichergestellt n Es wird immer wieder kritisiert, Dr. med. Chris- Die Anforderungen für ambulantes dass Methoden des Schwanger- tian Albring, Operieren gelten auch für Einrich- schaftsabbruchs in der Ausbildung Präsident des tungen und Tageskliniken, welche von MedizinerInnen keinen ange- Berufsverbandes Interruptiones durchführen. Somit messenen Stellenwert haben und der Frauenärzte erfolgen regelmäßig Begehungen selten zum Ausbildungsstandard (BVF) seitens der Gesundheitsämter. Allge- von Universitätskliniken gehören. Die mein gilt für operative Eingriffe der Redaktion bat Dr. med. Christian Alb- Facharztstandard gemäß Weiterbil- ring, Präsident des Berufsverbandes Prof. Dr. med. dungsordnung (MWBO der Bundes- der Frauenärzte (BVF) und Prof. Dr. Thomas Dimpfl, ärztekammer (BÄK) und WBO der je- med. Thomas Dimpfl, Präsident der Präsident der weiligen Landesärztekammer (LÄK). Deutschen G esellschaft für Gynäko- Deutschen Die Musterweiterbildungsordnung logie und Geburtshilfe (DGGG), über Gesellschaft für der Bundesärztekammer in der Fas- den aktuellen Stand zu berichten. Gynäkologie und sung vom 25. Juni 2010 sieht darüber Geburtshilfe hinaus eine Beratung bei Schwanger- schaftskonflikten sowie der Indikati- pro familia magazin: Wird das Thema pro familia magazin: Wie wird die onsstellung zum Schwangerschafts- Schwangerschaftsabbruch in der Qualifikation der Ärztinnen und Ärzte abbruch unter Berücksichtigung der ärztlichen Ausbildung von Medizine- beim Schwangerschaftsabbruch in gesundheitlichen, einschließlich der rinnen und Medizinern angemessen Deutschland sichergestellt? psychischen Risiken vor. ÄrztInnen in behandelt, wenn ja, wie? der Schwangerschaftskonfliktbera- Dr. med. Christian Albring / Prof. Dr. tung müssen alle drei Jahre eine Fort- Dr. med. Christian Albring / Prof. Dr. med. Thomas Dimpfl: Die für einen bildungsmaßnahme beim zuständi- med. Thomas Dimpfl: Aufgrund der operativen Schwangerschaftsab- gen Landesministerium nachweisen, zentralen ethischen Bedeutung ärztli- bruch notwendige Abrasio (Ausscha- sonst erlischt die Beratungserlaubnis. chen Handelns erfolgt die Themati- bung) bzw. Saugkürettage zählt zu sierung des Schwangerschaftsab- den grundlegenden Maßnahmen in pro familia magazin: Trifft es zu, dass bruchs mit entsprechend hohem der Frauenheilkunde, deren sichere immer weniger Ärztinnen und Ärzte Stellenwert in den Curricula der gynä- Beherrschung standardmäßig zur qualifiziert und bereit sind, einen kologisch-operativen und geburtshilf- frauenärztlichen Facharztweiterbil- Schwangerschaftsabbruch durchzu- lichen Vorlesungen und Seminare. Im dung gehört, und die obligatorischer führen? Hinblick auf die Beratungskompetenz Bestandteil des Weiterbildungs-Log- sind Kurs-Weiterbildungen gemäß § 4 books der DGGG ist (vgl. www.dggg. Dr. med. Christian Albring / Prof. Dr. Abs. 8 in Psychosomatischer Grund- de/fileadmin/public_docs/LogBook/ med. Thomas Dimpfl: Es liegen der- versorgung obligat. logbook_weiterbildung_2003.pdf) zeit keine Anhaltspunkte dafür vor,
16 I 3/4 I 2012 dass weniger Ärztinnen Gesetzliche Regelung des und Ärzte als zum Beispiel Schwangerschaftsabbruchs in Europa vor zehn oder fünfzehn Jahren für einen Schwan- Das European Network der International gerschaftsabbruch qualifi- Planned Parenthood Federation (IPPF EN) hat eine aktualisierte Ausgabe der Abortion ziert sind. Auch wenn kei- Legislation in Europe herausgegeben. D ie ne Ärztin und kein Arzt Publikation enthält Informationen zur – weder in der Weiterbil- gesetzlichen Regelung des Schwangerschafts- dung noch als Fachärztin abbruchs in den europäischen Ländern, in oder Facharzt – gezwun- denen die IPPF Mitgliedsorganisationen hat. gen werden kann, einen http://www.ippfen.org/en/Resources/Publications/Abortion+legislation+in+Europe.htm Schwangerschaftsabbruch vorzunehmen oder dabei mitzuwirken, liegen keine Hinweise hinaus wahren. Ich werde mit allen keiner missbräuchlichen Verwendung im Hinblick auf eine Änderung in der meinen Kräften die Ehre und die edle zugeführt wird“. Bereitschaft zur Durchführung einer Überlieferung des ärztlichen Berufes Interruptio graviditatis vor. Es gibt aufrechterhalten und bei der Aus- Ergänzend sei noch darauf hingewie- auch nach Erkenntnissen in der übung meiner ärztlichen Pflichten sen, dass weiterhin auch ein medika- DGGG und im BVF keinerlei Hinweise keinen Unterschied machen weder mentöser Schwangerschaftsabbruch darauf, dass Frauen mit einer Indikati- nach Religion, Nationalität, Rasse mit Mifegyne® möglich ist. Hier ist on für eine Interruptio schließlich un- noch nach Parteizugehörigkeit oder die Zeitgrenze von 63 Tagen post con- versorgt bleiben. Die Bereitschaft sozialer Stellung. Ich werde jedem ceptionem zu beachten. einer Ärztin oder eines Arztes zur Menschenleben von der Empfängnis Durchführung eines Schwanger- an Ehrfurcht entgegenbringen und pro familia magazin: Sehen Sie aus schaftsabbruches wird – bei allen selbst unter Bedrohung meine ärztli- ihrer Sicht Handlungsbedarf im Hin- komplexen Aspekten der Entschei- che Kunst nicht in Widerspruch zu blick auf die Versorgung zum Schwan- dungsfindung – zentral durch das den Geboten der Menschlichkeit an- gerschaftsabbruch? ärztliche Gelöbnis in der Berufsord- wenden. Ich werde meinen Lehrern nung, in der Öffentlichkeit oftmals in und Kollegen die schuldige Achtung Dr. med. Christian Albring / Prof. Dr. Diskussionen und Auseinanderset- erweisen. Dies alles verspreche ich med. Thomas Dimpfl: Betrachtet man zungen postuliert als „Eid des Hippo- auf meine Ehre.“ die historische Entwicklung der Ver- krates“, geleitet. teilung und Anzahl von Frauenärz- Und in der Musterberufsordnung-Ärz- ten/ärztinnen, frauenärztlichen Klini- Beispielhaft sei hier das Gelöbnis aus te (MBO-Ä) ist in § 14 zur Erhaltung des ken und Abteilungen und von der Berufsordnung Hessen – (Stand: ungeborenen Lebens und Schwanger- frauenärztlich betreuten Belegklini- 1. Juli 2010) angeführt, das für jede/n schaftsabbruch festgelegt: „(1) Der ken, die in den einzelnen Bundeslän- Arzt / Ärztin gilt: „Bei meiner Aufnah- Arzt ist grundsätzlich verpflichtet, das dern Schwangerschaftsabbrüche me in den ärztlichen Berufsstand ge- ungeborene Leben zu erhalten. Der durchführen, so besteht kein Hand- lobe ich, mein Leben in den Dienst der Schwangerschaftsabbruch unterliegt lungsbedarf. Selbst in strukturschwa- Menschlichkeit zu stellen. Ich werde den gesetzlichen Bestimmungen. Der chen Regionen ohne Anschluss an ei- meinen Beruf mit Gewissenhaftigkeit Arzt kann nicht gezwungen werden, ne großstädtische Versorgung sind und Würde ausüben. Die Erhaltung einen Schwangerschaftsabbruch vor- die Mobilitätsanforderungen für Be- und Wiederherstellung der Gesund- zunehmen oder ihn zu unterlassen. troffene in Deutschland unserer heit meiner Patienten soll oberstes (2) Der Arzt, der einen Schwanger- Kenntnis nach gewöhnlich alltags- Gebot meines Handelns sein. Ich wer- schaftsabbruch durchführt oder eine kompatibel.
3/4 I 2012 I 17 Mythen über den Schwangerschaftsabbruch Die meisten Frauen sind traurig und befreit zugleich und können gut mit ihrer Entscheidung leben Petra Schweiger n Weltweit sind mehr als ein Drittel die einen Schwangerschaftsabbruch über weiter gerecht werden können. aller Schwangerschaften ungewollt durchführen lassen. Viele Frauen er- Ungewollte Schwangerschaften ent- – etwas mehr als die Hälfte der un- leben im Zusammenhang mit ihrer stehen häufig aufgrund von Verhü- gewollt schwangeren Frauen ent- ungewollten Schwangerschaft auch tungsfehlern. Manchmal spielen da- scheidet sich für einen Abbruch. Eine Informationskonflikte (falsche oder bei ungenügendes Wissen über die ungewollte Schwangerschaft ist ein ungenügende Informationen zum Fruchtbarkeit und ein erschwerter bedeutsames Ereignis im Leben einer Schwangerschaftsabbruch) oder Zugang zur Notfallverhütung, zum Frau – jedoch im Bereich der histori- Machtkonflikte (gesetzlich verordne- Beispiel die Rezeptpflicht für die Pille schen und statistischen Normalität te Pflichtberatungen und Wartefris- danach eine wesentliche Rolle. Auch aufgrund der Tatsache, dass Frauen ten), die sie als nicht hilfreich in der eine als konflikthaft erlebte Sexua- während der etwa 350 Zyklen ihrer Bewältigung der aktuellen Situation lität beeinträchtigt die Anwendung fruchtbaren Lebensjahre mehrmals erleben. einer wirksamen Kontrazeption, (ungewollt) schwanger werden kön- denn Selbstbestimmung und Kont- nen. Die meisten Frauen besprechen Wichtig: gute Information und eine rolle der Fruchtbarkeit impliziert für sich in dieser Situation mit naheste- selbstbestimmte Entscheidung Frauen ein aktives Engagement und henden Menschen, wie in anderen Auf der persönlichen Ebene ist der die grundsätzliche Zustimmung zur bedeutenden Lebenssituationen eigentliche intrapersonale Konflikt eigenen sexuellen Lust. Eine (unge- auch und treffen rasch eine Entschei- – das Unvereinbare – die Tatsache, wollte) Schwangerschaft kann auch dung. Nur etwa eine von zehn Frauen dass die betroffene Frau derzeit kein die Sehnsucht nach Sinngebung oder braucht professionelle Beratung. Kind haben möchte und gleichzeitig Orientierung im Leben ausdrücken, schwanger ist. Das konflikthafte Auf- kann der unbewusste Versuch sein, Der Wertkonflikt (lat. Confligere: zu- einandertreffen dieser beiden Fakten eine Beziehung zu retten oder das Be- sammentreffen) in dem sich Frauen liegt zeitlich vor der Entscheidung für dürfnis nach Ablösung von der Her- befinden, die zum Schwangerschafts- oder gegen die ungewollte Schwan- kunftsfamilie symbolisieren. abbruch entschieden sind, ist vor- gerschaft. Der Schwangerschaftsab- wiegend ein interpersonaler Konflikt bruch kann die Lösung dieses Konflik- Die Wahrscheinlichkeit, dass sich zwischen ihren eigenen Bedürfnissen tes sein. Für viele Frauen bedeutet ein Frauen zum Schwangerschaftsab- und den gesellschaftlichen Interes- Schwangerschaftsabbruch, dass sie bruch entscheiden, ist umso höher, sen. Wertschätzung erfahren diejeni- ihr bisheriges Leben fortsetzen und je mehr Gründe zutreffen: keine auf gen, die sich für die Mutterschaft ent- ihrer Verantwortung sich selbst, ihren ein Kind bezogene Zukunftsvorstel- scheiden und Ablehnung diejenigen, Familien und der Gesellschaft gegen- lungen, abgeschlossene Familien-
18 I 3/4 I 2012 planung, keine feste Partnerschaft ganda religiöser FanatikerInnen. Ein zugleich und können gut mit ihrer oder kurze Dauer der Partnerschaft, Post Abortion Syndrom wurde von Entscheidung leben. in Ausbildung, Berufstätigkeit, ho- Anti-Choice-AnhängerInnen mit der he Berufszufriedenheit, schlechte Absicht konstruiert, dass das psychi- Besondere Aufmerksamkeit brau- Wohnverhältnisse, geringes Einkom- sche Gesundheitsargument Frauen chen Frauen mit psychischen Vor- men, körperliche und/oder psychi- noch stärker verunsichert als das erkrankungen, Frauen mit starken sche Erkrankung. Die Gefühle nach moralische Argument. Es existiert in Ambivalenzen bei der Entscheidung, einem Schwangerschaftsabbruch keinem Diagnosemanual und wirkt Frauen die eine ursprünglich ge- schwanken zwischen Schuldgefüh- dennoch in vielen Köpfen, obwohl die wünschte Schwangerschaft abbre- len und Traurigkeit über den Verzicht internationale Studienlage bestens chen und Frauen die mit niemandem auf eine Lebensmöglichkeit und Er- belegt, dass es kein nachhaltiges Ri- über ihre Entscheidung sprechen leichterung. Für viele Frauen wird die siko für die psychische Gesundheit konnten. „Was mir auf dem Her- Zeit bis zum Termin des Abbruchs von Frauen in Folge eines freiwilligen zen liegt und was ich sehr schlimm wesentlich belastender erlebt, als Abbruchs einer Schwangerschaft im finde ist, dass soviel Irrtümer über der Eingriff selbst oder die Zeit da- ersten Trimenon gibt. psychische Folgen verbreitet sind. nach. Sehr wenige Frauen haben Dass nicht gefragt wird, haben mög- nach einem Schwangerschaftsab- 43,8 Millionen Frauen lassen jährlich liche Folgen wirklich etwas mit dem bruch anhaltende psychische Proble- eine ungewollte Schwangerschaft Schwangerschaftsabbruch zu tun, me, sofern sie vorher gut informiert abbrechen. Ein Schwangerschafts- oder nicht viel mehr mit der Situati- wurden, die Entscheidung selbstbe- abbruch ist weltweit der häufigste on in der die Frau lebt...“ , fasst Chris- stimmt getroffen haben, eine wohl- gynäkologische Eingriff. Unter lega- tiane, 26 Jahre, beispielhaft zusam- wollende, soziale Akzeptanz ihrer len Bedingungen durchgeführt, ist men.
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