WANDEL UND ORGANISATIONS-ENTWICKLUNG - Einblicke Best Practices Tipps - in zivilgesellschaftlichen Organisationen
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WANDEL UND ORGANISATIONS- ENTWICKLUNG in zivilgesellschaftlichen Organisationen Einblicke Stiftung Bürgermut (Hrsg.) Best Practices Tipps
Anders bleiben Wer die Welt verändern will, sollte dabei selbst nicht stehen bleiben. Klingt logisch. Doch die Realität in gemeinnützigen Organisationen und Sozialunternehmen sieht oft anders aus. Wer gesellschaftliche Missstände bekämpft, benachteiligten Menschen hilft, Klima und Umwelt schützt und Kultur ermöglicht, hat wenig Zeit für den eigenen Laden. Ihr kennt das, liebe Leser:innen? Keine Sorge, wir auch. Ruhig auch mal ohne den Dabei müsste es eigentlich umgekehrt sein. Wenn die Beobach- tung zutrifft, dass gesellschaftliche Veränderung immer rasanter perfekten Plan starten, verläuft, dass das Zusammenleben komplexer wird und Krisen sich überlagern, dann kann unsere Antwort nur größtmögliche Elastizität sein. Und für wen sollte das mehr gelten als für am sich über zarte Anfänge Gemeinwohl orientierte Akteur:innen? und kleine Schritte freuen, Immerhin: Die Richtung scheint zu stimmen. Immer mehr Orga- nisationen etablieren agile Prozesse, integrieren neue Arbeits- Uwe Amrhein, weisen und Kulturen in ihren Alltag und geben dabei nicht selten Veränderung nicht als Impulse in die For-Profit-Wirtschaft. Genau da müssen wir hin: Vorstand Stiftung Bürgermut Die Pionier:innen des Wandels fordern und unterstützen nicht Selbstzweck betrachten, nur ein neues, nachhaltiges Wirtschafts- und Sozialmodell, sie leben auch direkt vor, wie es funktioniert. mit überschaubaren Ressourcen Das klingt ziemlich groß, und genau darin liegt häufig ein Problem. Change Management – das klingt nach monatelangen Vorbereitungen, unübersichtlichen Projektplänen, endlosen experimentieren, Spaß dabei Sessions mit neunmalklugen Kolleg:innen und teuren Berater:innen. Dass es ganz anders geht, zeigen die Praktiker:innen, mit denen wir für dieses Buch gesprochen haben. haben und trotzdem noch die Ruhig auch mal ohne den perfekten Plan starten, sich über zarte Anfänge und kleine Schritte freuen, Veränderung nicht als Selbstzweck betrachten, mit überschaubaren Ressourcen eigentliche Arbeit schaffen. experimentieren, Spaß dabei haben und trotzdem noch die eigentliche Arbeit schaffen. Das klappt nie? Wir wetten dagegen. Uwe Amrhein Lasst uns bleiben, wie wir sind: immer anders, immer neu. Uwe Amrhein Vorstand Stiftung Bürgermut
INHALT Anders bleiben 3 Beraten lassen Der Code of Good Practice gibt Orientierung zur Zusammenarbeit mit externen Coach:innen 56 Einsteigen Wer hat welchen Hut auf? 8 Über Organisationsgrenzen hinaus zusammenarbeiten Wie Kollaboration gelingt: Die Entstehung Immer dieser Wandel: des Bundesverbandes soziales Mentoring 60 Wie Organisationen smart und mutig mit Veränderungen umgehen 12 Kollaboration lernen 64 Organisationsentwicklung im Verein, Sozialunternehmen, Verband 16 Gesundes Team, gesunde Orga „Wie geht’s?“ So sorgen Organisationen für Gesundheit im Team 66 12 × Wandel Inklusive Organisationen „Ein inklusives Team ist möglich, Gründen + Wachsen man muss es nur wollen.“ 70 Wenn aus engagierten Freund:innen Arbeitgeber:innen werden 24 Organisationskultur Raum für Onboarding, Feedback geben, Wissensmanagement Danken, Wissen teilen und Verabschieden 74 Drei Perspektiven aufs Sammeln, Strukturieren und Zugänglichmachen 30 Finanzierung, Förderung, Weiterbildung Ins Machen kommen: Starthilfe und Fehler machen erlaubt Begleitung für euren Wandel 78 Wie schaffe ich eine Kultur, in der Menschen sich trauen, mutig zu sein? 36 Anders zusammenarbeiten Aussteigen Aktivismus nach innen: Eine interne Das haben wir schon immer so gemacht: Organisationsentwicklerin berichtet 42 Von der Furcht vor Veränderung und anderen Hürden 84 Rollenwechsel Die Neuen am Ruder: Über den Wechsel 24-mal für eine bessere Welt 88 in die Geschäftsführung 46 Glossar 94 Gewachsene Strukturen verändern „Liebe Chefin, machst du das?“ 52 Impressum + Bildnachweise 100
Wer hat welchen Hut auf? Illustrationen: Tine Fetz | Text: Anne Hoppe Das ist nicht nur in Veränderungsprozessen eine wichtige Frage. Damit Projekte und Beobachter:in Prozesse gelingen, ist es wichtig zu wissen, wer welche Rolle übernimmt und welchen prüft auf Machbarkeit. Ist die eher stille, pflichtbewusste Beitrag leistet. Im Gegensatz zu Jobpositionen können Rollen variieren, von Fähigkeiten, Evaluationsinstanz. Beurteilt Vorlieben und Ressourcen abhängen. Sie sind ein bisschen wie Hüte, die man je nach kritisch, strategisch und mit hohen Projekt, Situation und Bedarf auf- und absetzen, wechseln oder teilen kann. Ansprüchen, ob A ktivitäten Sinn Welche Hüte setzt ihr euch gerne auf? ergeben. Impulsgeber:in bringt neue Ideen ein, Träumer:in im Team. Ist kreativ, begeisterungs- fähig und findet auch Lösungen für knifflige Herausforderungen. Zuweilen impulsiv und unfokussiert. Koordinator:in treibt Prozesse selbstbewusst und zielorientiert voran. Strahlt A utorität aus, ist moderationsstark und hat ein gutes Gespür für Talente. Kann manipulativ wirken. Wegbereiter:in knüpft Kontakte, lotet aus, was möglich ist, und moderiert Prozesse. Ist optimis- tisch und empathisch. Bringt Projekte erfolgreich auf den Weg, verliert mitunter schnell wieder das Interesse. 8 Wandel & Organisationsentwicklung | Einsteigen Wandel & Organisationsentwicklung | Einsteigen 9
Umsetzer:in organisiert und realisiert Gestalter:in als pragmatische Instanz findet mutige und kreative Lösungen, Aufgaben zuverlässig und mit denen auch schwierige Hindernisse effizient. Tut sich schwer, überwunden werden. Ist ehrgeizig, Arbeit abzugeben. arbeitet super unter Druck, dafür nicht immer so gut im Team. Perfektionist:in sorgt für die optimalen Teamplayer:in Ergebnisse. sorgt für gute Kommunikation. Ist gewissenhaft Hat ein ausgeprägtes Gespür für und sorgfältig, andere, ist diplomatisch und neigt manchmal schafft ein freundliches zur Verbissenheit. Arbeitsklima. Ist eher konfliktscheu. Spezialist:in bringt Fachexpertise ins Team. Ist engagiert, arbeitet selbstständig Quelle: und recherchiert gerne Daten, Die Rollen gehen auf die Fakten, Hintergründe. Besonders Team-Rollen von Dr. Meredith Belbin zurück. im Wachstum eine w ichtige Rolle. 10 Wandel & Organisationsentwicklung | Einsteigen Wandel & Organisationsentwicklung | Einsteigen 11
Immer dieser Wandel: Wie Organisationen smart und mutig mit Veränderungen umgehen Text: Julia Meuter Entscheidungen trifft bei den Digitalen Helden muss man auf Veränderungen reagieren? Und Nichts ist so beständig wie der Wandel. Das soll schon der Philosoph Heraklit gesagt haben. nicht primär die Führungsebene. Entscheidun- wie geht man als zivilgesellschaftliche Organisa- Wenn Veränderung unumgänglich ist, kann man sie auch mutig angehen. gen fällen die Menschen oder Teams, die die tion am besten mit Wandel um? größte Kompetenz haben. Mit der Arbeit in Wie Organisationen zu Gestaltern von Wandel werden und ein offenes Mindset entwickeln, kompetenzbasierten Hierarchien haben die darüber haben wir mit Jörg Schüler von den Digitalen Helden, Susanne Saliger von Digitalen Helden auf eine Herausforderung Mit Mut und Strategie der Akademie für Ehrenamtlichkeit und dem Organisationsentwickler Adrian Sina reagiert, die viele Organisationen kennen. Veränderungen angehen Vollmer gesprochen. „Wenn immer die Geschäftsführung entschei- det, wird die Arbeits Alle drei Expert:innen wissen: Es erfordert Mut, fähigkeit einer Organi- sich einzugestehen, dass Prozesse nicht mehr sation gehindert, gera funktionieren, dass neue Strukturen gebraucht de in wachsenden Struk werden oder dass die ehrenamtlich Engagier- turen“, so Jörg Schüler, ten anders ticken als früher. Und es macht Gründer und Geschäfts Arbeit, neue Wege einzuschlagen. führer der Digitalen Helden. „Das Wissen Susanne Saliger hat das liegt oft bei den Projekt Programm „Die Ver- mitarbeiter:innen.“ antwortlichen #digital“ geleitet und ist Expertin Gründe, die Strukturen für Veränderungen in oder Arbeitsweise zu Organisationen. „Orga- verändern, gibt es viele: nisationsentwicklung ist Digitalisierung, Pande- wie eine Operation am mie, Personalwechsel, offenen Herzen“, sagt Susanne Saliger, Wachstum, interne sie. Zivilgesellschaftliche Akademie für Spannungen, neue Kon- Organisationen, die sich Ehrenamtlichkeit kurrenz oder Kooperati- neu aufstellen, machen onen. Sich verändernde das immer, während das Bedarfe der Zielgruppen, Alltagsgeschäft läuft. neue Organisationsziele Zeit, personelle und und Projekte. Kein Ver- finanzielle Ressourcen sind knapp – eine Her- ein und kein Non-Profit ausforderung. Damit Organisationen nicht zu kann sich dem Wandel Getriebenen von Veränderungen werden, brau- entziehen. Doch wann chen sie eine Strategie. „Transformationspro- Wandel & Organisationsentwicklung | Einsteigen 13
Was in Veränderungsprozessen immer zesse“, so Susanne Saliger, „beginnen am bes- hilft, ist der Blick von außen. Verstärkt set- ten immer mit der Frage nach dem Warum.“ zen Förderprogramme auf professionelle Beratung, um Organisationen beim Wan- Zu wissen, dass man ein Tool einführt, um bes- Jörg Schüler, del zu unterstützen. Doch es muss nicht Digitale Helden ser mit der Zielgruppe zu kommunizieren, oder immer ein:e externe:r Berater:in sein, weiß dass die neue Entscheidungsstruktur wie im Susanne Saliger. Oft hilft auch der Aus- Falle der Digitalen Helden helfen wird, effizien- tausch mit Gleichgesinnten weiter. Man ter zu arbeiten, motiviert und schärft den Fokus. merkt: Wir sind nicht alleine mit unseren Herausforderungen. Oder man erfährt, Ist das Ziel klar, kann eine Organisation analy- wie andere vorgegangen sind und ihre Arbeit verbessert haben. sieren, wo sie gut aufgestellt ist und was die nächsten Schritte sein sollen. Susanne Saliger Die Digitalen Helden haben sich auf den Weg der Organisationsentwick- rät, systematisch vorzugehen und zu priorisie- lung gemacht. Durch die Einführung von kompetenzbasierten Hierar- ren. Kann gleich die neue Datenbank aufgebaut chien werden Entscheidungen inzwischen viel schneller und effizienter oder muss zuerst intern die Zusammenarbeit Stakeholder:innen mitzunehmen und Raum für gefällt. Auch wenn der Prozess nicht immer einfach ist, für Jörg Schüler verbessert werden? Durch die fünf Phasen von den Austausch von Sorgen und Kritik zu öffnen. steht fest: Es lohnt sich. Veränderungsprozessen führt auch ein Leitfa- Das Ziel und die nächsten Schritte, Erfolge und den, der im Rahmen des Programms „Die Ver- Hürden werden im besten Fall regelmäßig antwortlichen #digital“ entstanden ist. transparent kommuniziert. Auch kann es sinnvoll sein, Mitarbeiter:innen, ehrenamtlich Enga- Offenheit, Widerstand, gierte oder Zielgruppen punktuell in den Prozess Take-aways Fehler machen erlaubt partizipativ einzubinden. Manchmal entsteht Hut auf: Benennt Verantwortliche, die den Veränderungsprozess voran- Widerstand aus Angst vor Überforderung oder treiben und koordinieren. Wandel erfordert Offenheit und weil schlicht Kenntnisse fehlen. Susanne Saliger Neugierde. Adrian Sina Vollmer empfiehlt, Weiterbildungsbedarfe frühzeitig zu Planung: Plant ausreichend Zeit, personelle Ressourcen und Geld für die begleitet gemeinnützige Organi- klären und die Kompetenzen der Mit Umsetzung ein. sationen in Veränderungspro- arbeiter:innen gezielt zu stärken. zessen. In fast jeder Organisa- Partizipation: Nehmt alle mit. Informiert regelmäßig. tion hat er Menschen getroffen, Wer Neues wagt, macht Fehler. Nicht alles ist die richtig Lust auf Veränderung planbar. Mut und Offenheit entstehen, wo Feh- Lernen: Klärt den Weiterbildungsbedarf und stärkt neue Fähigkeiten. Mehr Wissen: haben. Diese Menschen sind wich- ler gemacht und korrigiert werden dürfen. Um Prüft, wer in eurer Organisation was kann und gegebenenfalls in der Digitale Helden tig für den Wandel. Sie können die vertrauensvoll zusammenzuarbeiten, haben die Adrian Sina Vollmer, Lage ist, anderen Wissen und Skills zu vermitteln. Organisationsentwicklung voran- Digitalen Helden daher gezielt Räume für Aus- Akademie für Ehrenamtlichkeit Organisations entwickler treiben und Kolleg:innen für den tausch geschaffen. Neben Meetingformaten Austausch: Tauscht euch mit anderen aus. Fragt Menschen aus befreun- Adrian Sina Vollmer Prozess begeistern. wie der Retrospektive, bei der das Team regel- deten Organisationen, ob sie euch punktuell – zum Beispiel durch die Leitfaden „Den digitalen Wandel mäßig über die Zusammenarbeit und Spannun- Moderation von Meetings – unterstützen können. Wenn ihr Kontakt zu in zivilgesellschaftlichen Organi- Wandel kann aber auch Wider- gen spricht, nehmen die Mita rbeiter:innen sationen aktiv gestalten“ aus dem Organisationen habt, die einen ähnlichen Prozess gemeistert haben, stand hervorrufen. Um Wider- regelmäßig an Coachings zu gewaltfreier Kom- Projekt „Die Verantwortlichen ladet sie ein und lasst euch erzählen, wie sie vorgegangen sind und was stand und Angst vorzubeugen, munikation teil. #Digital“ ihnen geholfen hat. rät Adrian Sina Vollmer, alle 14 Wandel & Organisationsentwicklung | Einsteigen Wandel & Organisationsentwicklung | Einsteigen 15
Organisationsentwicklung im ehrenamtlichen Verein Maria Acs, Referentin für Qualifizierung & Organisationsentwicklung bei der Stiftung für Ehrenamt und bürgerschaftliches Engagement in Mecklenburg-Vorpommern Welchen Nutzen hat ein ehrenamt • Fehlende finanzielle Mittel erschweren es, sich licher Verein davon, sich mit Organisa zusätzliche Ressourcen und Unterstützung für tionsentwicklung zu beschäftigen? den Prozess in die Organisation zu holen. • Professionalisierung des Ehrenamts. Wie geht man die Prozesse gut an? Die Arbeit wird effizienter. • Gründung einer Arbeitsgruppe, die den Prozess • Es werden Strukturen geschaffen, in denen vorantreibt und die Fäden in der Hand hält. sich Menschen gerne und lange engagieren. • Veränderungen werden partizipativ im • Die Organisation wird attraktiver für neue gesamten Team umgesetzt. Mitglieder. • Sogenannte tief hängende Früchte, also Vor welchen Herausforderungen Maßnahmen, die schnell Veränderungen stehen ehrenamtliche Vereine? sichtbar machen, helfen, die Lust auf Verän- derung langfristig aufrechtzuerhalten. • Wenig Zeit, sich mit internen Prozessen zu beschäftigen. Fokus: Wie hilfreich ist externe Unterstützung bei Entwicklungsprozessen von Vereinen? Organisationsentwicklung im Verein, „Wir denken: sehr der nicht Teil der Organisation ist. Die Rückmel- Sozialunternehmen, Verband Text: Julia Meuter hilfreich. Darum dung, wie jemand von außen den Verein wahr- haben wir ein Pro- nimmt, kann sehr wertvoll sein. Externe gramm aufge- Berater:innen kennen zudem vielseitige Metho- setzt, mit dem wir den und geben neue Impulse. Das hilft, mit der Um Organisationsentwicklung kommt keine lebendige Organisation herum. Dabei gibt es Ve r e i n e und Expertise, die im Verein vorhanden ist, Prozesse externe Berater: neu zu denken. zahlreiche Themen, die alle unabhängig von ihrer Organisationsform oder Größe teilen: innen zusammen- Kommunikation, Fördervorgaben, Fluktuation, Wachstum, Wissensmanagement, die bringen. Hat ein Natürlich müssen Vereine die richtige externe Zusammenarbeit mit ehrenamtlich Engagierten. Auch Zeitmangel und knappe Finanzen sind Maria Acs, Verein beispiels- Person finden. Das erfordert manchmal etwas Ehrenamtsstiftung MV bei fast allen harte Nüsse in Veränderungsprozessen. Zugleich bedeutet Organisationsent- weise Probleme Zeit. Auch lohnt sich eine intensive organisati- wicklung für unterschiedliche Organisationsformen jeweils etwas anderes. bei der Nach- onsinterne Analyse über die wichtigsten Her- wuchsgewinnung, ausforderungen, damit im Rahmen der Bera- ist es wichtig zu tung die richtigen Fragen behandelt werden.“ Was es (ehrenamtlichen) Vereinen, Sozialunternehmen oder Verbänden bringt, den Wandel hinterfragen, wie aktiv zu gestalten, vor welchen spezifischen Herausforderungen sie stehen können und was attraktiv die Arbeit im Verein oder die Vereins- Die Ehrenamtsstiftung MV hat ein Handbuch für hilft, um Veränderungsprozesse erfolgreich anzugehen, haben uns ein paar Expert:innen verraten. aktivitäten wirken. Das fällt jemandem leichter, Organisationsentwicklung im Verein herausgebracht. #Engagement neu gedacht 16 Wandel & Organisationsentwicklung | Einsteigen Wandel & Organisationsentwicklung | Einsteigen 17
Fokus: Was macht eine interne Organisationsentwicklerin? Organisationsentwicklung im Sozialunternehmen „Ich bin eine von unterstütze ganz klassisch dabei, das Projekt- Christine Hoenig-Ohnsorg, Gründerin und Geschäftsführerin der Zukunftswerft insgesamt vier management zu professionalisieren oder plane Mitarbeitenden, interne Fortbildungen. Aktuell erarbeite ich Welchen Nutzen In kleinen Gesprächsrunden können sich Mit- die sich in der Stif- einen neuen Prozess zur Jahreszielplanung. hat ein Sozial arbeitende zum Beispiel in einem geschützten tung Haus der unternehmen Raum darüber austauschen, was sie bewegt, kleinen Forscher Als Organisationsentwicklerin ist es extrem davon, sich mit was sie schwierig finden und was ihnen guttut. um die Organisa- wichtig, die Menschen einzubeziehen, die von Organisations tionsentwicklung der Veränderung betroffen sind. Dies geschieht • Damit die Geschäftsstelle arbeitsfähig ist, entwicklung zu kümmern. Meine auf unterschiedliche Weise. Durch Umfragen Freiräume bewusst wahrnehmen und unter- Juliane Metzner, beschäftigen? Stiftung Haus der Aufgaben sind oder Interviews ermittle ich zum Beispiel die nehmerisch agieren kann, gilt es, einen siche- kleinen Forscher vie lfältig. I ch Bedarfe der Kolleg:innen, in Workshops • Es schafft einen ren Rahmen und transparente Prozesse zur Christine begleite stiftungs- entwickeln wir im Team Lösungswege. Reflexi- Rahmen, in dem Zusammenarbeit von Vorstand und Geschäfts- Hoenig-Ohnsorg, weite Verände- onsformate wie Retrospektiven helfen, Verän- klare Verantwort- stelle zu schaffen. Zukunftswerft r u n g s p roze s s e, derungen in der Stiftung zu verankern. Hier lichkeiten, unab- spielen wir als interne hängig von ein Organisationse ntw ickler: zelnen Personen, innen eine wichtige Rolle, da festgelegt und wir mit den Strukturen und Rollen verteilt sind. Prozessen in der Stiftung • Entfaltung der Mitarbeitenden, wie etwa die vertraut sind. Dadurch Entwicklung unternehmerischer Fähigkeiten. haben wir gegenüber exter- nen Berater:innen einen gro- Vor welchen Herausforderungen ßen Wissensvorsprung, denn stehen Sozialunternehmen? wir kennen die formellen und informellen Besonderheiten • Oft fällt es Gründerpersönlichkeiten schwer, im Haus. So können wir loszulassen. Dadurch kann ein Machtgefälle schnell reagieren, stimmige innerhalb der Organisation entstehen. Veränderungsprozesse auf- • Viele Sozialunternehmen bewegen sich im setzen und diese langfristig Spannungsfeld von gemeinnützigen und begleiten. Der Wandel wird wirtschaftlichen Zielen. so nachhaltig in der Organi- sation verankert.“ Wie geht man die Prozesse gut an? • Frühzeitige Auseinandersetzung mit Konflikt- potenzialen und Aufbau von Vertrauen hilft, Konflikten und Widerständen zu begegnen. 18 Wandel & Organisationsentwicklung | Einsteigen
Organisationsentwicklung im Verband Fokus: Best Practice der Social Innovation Community des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) Jennifer Geiser, Netzwerkkoordinatorin der Social Innovation Community und des Netzwerks Digitale Wohlfahrt, Kompetenzzentren „Wandel.Wohlfahrt.Digitalisierung“ des Deutschen Roten Kreuzes „Im Frühjahr 2020 Besonders stolz bin ich auf ein Kartenset, das in haben wir die dem Netzwerk entstanden ist: Basierend auf den Warum ist es wichtig für Verbände, • Durch die föderalen Strukturen, wie es sie Social Innovation sieben Grundsätzen des DRK bieten die Karten sich mit Organisationsentwicklung zu zum Beispiel bei Wohlfahrtsverbänden gibt, Community ins Fragen, mit denen Teams in einer Retrospektive beschäftigen? können Änderungen nicht für alle vorgege- Leben gerufen, reflektieren können, wie die Werte des Verbands ben werden. um Innovation im in die tägliche Arbeit fließen können. Im Vergleich • Durch die Anpassung an neue Gegebenhei- DRK zu fördern. zur Größe des DRK sind wir natürlich noch ein ten wie Digitalisierung oder agile Arbeitsfor- Wie geht man die Prozesse gut an? Gestartet sind wir sehr kleines Netzwerk. Aber wir merken, dass der men bleiben Verbände für ehrenamtliches zunächst mit 20 Bedarf am Austausch mit Gleichgesinnten da ist Engagement und für ihre Zielgruppen rele- • Ein Bundesverband kann Angebote schaffen Jennifer Geiser, Personen. Mittler- – und das gibt uns Mut, immer wieder Änderungs- vant und als Arbeitgeber attraktiv. und die regionalen Ebenen bei der Umsetzung Kompetenzzentren „Wandel.Wohlfahrt. weile sind wir ein prozesse im Verband anzustoßen.“ von Veränderungsprozessen unterstützen. • Die Anpassung von Arbeitsbedingungen hilft Digitalisierung“ Netz werk von Wohlfahrtsverbänden, die zum Beispiel im • In jedem Verband gibt es Menschen, die Lust des Deutschen Roten über 150 Ehren- Pflegebereich tätig sind, Lösungen für Fach- haben, Innovation voranzutreiben und Struk- Kreuzes und Hauptamtli- kräftemangel zu finden. turen von innen heraus zu verändern. Wenn chen aus allen sich diese zusammentun und gemeinsam an Ebenen des Ver- Vor welchen Herausforderungen kleinen Stellschrauben drehen, können viele bands – die Offenheit ist uns dabei sehr wichtig. stehen Verbände? Veränderungsprozesse in Gang gebracht Unter dem Motto „voneinander und miteinander werden. lernen“ tauschen wir uns zu Projekten und Prak- • Viele Verbände sind in Bezug auf die perso- tiken wie zum Beispiel zum agilen Arbeiten oder nelle und finanzielle Ausstattung sehr hetero- • Auch wenn die Mühlen in großen Verbänden zur digitalen Kommunikation aus. Wir stoßen gen aufgestellt, was Veränderungsprozesse, manchmal langsamer mahlen, sollte das Mehr Wissen: aber auch neue Angebote für den Verband an. die für alle Mitglieder und lokalen Ebenen nicht entmutigen, vor Ort Veränderungen Stiftung für Ehrenamt und b ürgerschaftliches anwendbar sind, schwierig macht. anzustoßen. Engagement in Mecklenburg-Vorpommern Handbuch für Organisationsentwicklung im Verein von der Ehrenamtsstiftung MV #Engagement neu gedacht Programm OE der Ehrenamtsstiftung MV Neben den Nach-vorne-Treiber:innen Zukunftswerft braucht es auch diejenigen, die Stiftung Haus der kleinen Forscher DRK Social Innovation Community dafür sorgen, dass sich das Neue festigen kann. Es braucht Offenheit und eine Kultur, in der das Neue gedeihen kann. Jennifer Geiser auf D3 – so geht digital Wandel & Organisationsentwicklung | Einsteigen 21
12 × WANDEL
Gründen + Wachsen Wenn aus engagierten Freund:innen eine wichtige Funktion in der Berliner Bildungs- landschaft erfüllen. Da haben wir dann selber Der großen Verantwortung – auch für unsere Mitarbeitenden – bin ich mir bewusst. Es hilft mir Arbeitgeber:innen werden und Elisabeth Wirth Protokolle: Fanny Erdmann gemerkt, dass wir nicht mehr nur eine kleine aber nicht, mich im Alltag damit zu stressen. Mir Studierendeninitiative sind, sondern eine pro- hilft, dass wir zu dritt in der Geschäftsleitung fessionell wachsende Organisation. und befreundet sind. Durch das starke Ver- trauen können wir uns auch über Sorgen aus- Was macht es mit dem eigenen Rollenbild, wenn aus dem ehrenamtlichen Engagement tauschen. Ein großes Learning ist die Trennung Unternehmergeist erwächst und man Verantwortung für Mitarbeitende übernimmt? Neue Rollen, zwischen Person und Sache. Es war wichtig zu Was bedeutet die Professionalisierung für die Freundschaft? Wir haben Leonie Müller neue Verantwortungen – erkennen, dass wir beziehungsorientiert arbei- ten wollen – uns als Personen wertschätzen –, von Kopfsachen e.V. und Samuel Höller von a tip: tap e.V. befragt. herausfordernde Zeiten gleichzeitig in der Sache aber auch mal hart bleiben müssen. Zum Wachstum gehören auch Zweifel: Ist der Aufgrund der Pandemie brauch- eingeschlagene Weg der richtige? Ist das noch Kopfsachen e.V. ten wir am Anfang richtig viel unser Produkt? Fühlen wir uns mit der gestie- Durchhaltevermögen! Wir stan- genen Verantwortung wohl? Diese Themen Willi, Caro und ich haben gemein- den sehr hinter der Idee und stell- haben wir in unsere Strategietage und Coa- sam im Masterstudium Psycholo- ten das Programm auf digitale chings mitgenommen und im Kernteam ausge- gie in Berlin studiert. Beim Kaffee Ein großes Learning Angebote um. Im ersten Jahr handelt. Manchmal greifen wir dabei auf eine in der Mensa habe ich den beiden arbeiteten wir rein ehrenamtlich externe Moderation zurück, um uns besser auf ist die Trennung von meiner Idee erzählt, Präven- und wuchsen auf ein zwölfköpfi- die Inhalte fokussieren zu können. Als klar zwischen Person und tionskurse zur mentalen Gesund- heit für Schüler:innen anzubieten. Leonie Müller, ges Team an. Zu Beginn verstan- wurde, dass wir in hauptamtliche Strukturen Sache. den wir uns als kleiner Verein. Da gehen und wir Mittel erhalten, um Leute fest Ich fand, dass bei jungen Men- Kopfsachen e.V. unser Angebot auf große Zustim- einzustellen, haben wir intensiv an Gover- schen Handlungsbedarf besteht. mung stieß und wir die hohe nance-Themen gefeilt. Dabei waren auch die Leider lernen wir viel zu spät im „Du machst jetzt mal Nachfrage auch bedienen woll- Workshops im openTransfer Accelerator eine Leben, mit Krisen umzugehen. ten, wurde uns klar, dass wir große Unterstützung. Feierabend!“ – Der Spagat Dabei beginnen die meisten psy- wachsen können und müssen. zwischen Freundschaft chischen Störungen vor dem 25. Lebensjahr. Willi und Caro waren gleich Feuer Durch das Berliner Startup Stipendium konnten In der ersten Zeit haben wir Gründer:innen und Arbeit wir 2021 erstmals zwei hauptamtliche Stellen alles gemacht und à la Jobrotation getauscht. und Flamme und so starteten wir als Studieren- schaffen. Das war eine ziemlich spannende Zeit. So haben wir in alle Aufgaben reingeschnup- Wir machen uns für mentale Gesundheit stark. deninitiative. Bei den ersten Treffen besprachen Einiges musste sich einruckeln, aber es ist uns pert. Diese Erfahrung hilft mir bis heute. Zum Das müssen wir auch bei uns selbst beachten. wir die Workshopinhalte, unsere Zusammenar- gelungen, in hauptamtliche Strukturen überzu- Beispiel habe ich dadurch ein gutes Gespür für Wenn man in der Freizeit mit den gleichen Leu- beit und die Anbahnungen mit Schulen. Mit der gehen und weitere feste Stellen zu etablieren. unsere Workshopleiter:innen. Nach zwei Jah- ten zusammen ist wie im Berufsalltag, fällt die Vereinsgründung bekam unser Dreiergespann ren hat sich herauskristallisiert, wer was gern Trennung von Arbeit und Privatem doppelt Unterstützung von Mirko, der uns mit seinem Durch den Wechsel vom reinen Ehrenamt zu macht und besonders gut kann. Unsere Rollen schwer. Sie ist aber wichtig, und wir haben BWL-Background seither ergänzt. hauptamtlichen Strukturen hat sich der Blick auf sind organisch gewachsen, vieles hat sich rich- gemerkt, dass wir uns bewusst Zeit für die unsere Organisation verändert. Man nimmt sich tig und gut angefühlt. Freundschaft nehmen müssen. Weil wir uns Vom kleinen Verein zur und die Organisation ernster. Unsere Außenwir- wohlgesinnt sind, können wir auch ganz gut zuei- wachsenden Organisation kung stieg und uns wurde gespiegelt, dass wir nander sagen: Du machst jetzt mal Feierabend! 24 Wandel & Organisationsentwicklung | 12 × Wandel Wandel & Organisationsentwicklung | 12 × Wandel 25
Gründen + Wachsen a tip: tap e. V. uns allerdings erst gewöhnen. und haben uns bemüht, alles nach und nach zu großes Vertrauen. Das lässt Freiheiten. Gleich- Dass die Mitarbeiter:innen, die in verbessern. zeitig ist die Verantwortung sehr groß und Die Idee zu „a tip: tap e. V.“ ist am viele Aufgaben deutlich stärker manchmal wünschte ich mir, der Vorstand wäre Küchentisch entstanden. Wir – involviert waren als wir, teilweise Insgesamt hatten wir viel Glück mit den noch stärker eine Kontrollinstanz. drei Freund:innen – hatten schon schnelle Entscheidungen von uns Mitarbeiter:innen, die mit uns „a tip: tap e. V.“ oft über den Zustand der Welt erwarteten, mussten wir zum Bei- aufgebaut haben. Nur mit einem Mitarbeiter ist und den Klimawandel gespro- spiel erst verstehen. die Zusammenarbeit leider unglücklich verlau- chen. Gefolgt sind wir unseren fen. Zu lange haben wir gehofft, dass wir das hin- Weltverbesserungsideen jedoch 2018 bekamen wir vom Bundesmi- kriegen, und es war ein anstrengender Prozess Samuel Höller, Mitarbeiter:innen nehmen erst, als wir auf das griffige nisterium für Umwelt, Naturschutz für unser junges Team, bis wir uns getrennt a tip: tap e. V. Thema Leitungswasser kamen. und nukleare Sicherheit (BMU) den haben. Vorschläge zwangsläufig Anstoß, unser Projekt größer zu viel ernster und überle- Gemeinsam mit weiteren denken. Wir entwickelten unsere gen, wie sie das jetzt Freund:innen entwickelten wir ein Vorhaben weiter und beantragten Baustelle Kommunikation Projekt zu öffentlichen Trinkbrun- für drei Jahre 1,3 Millionen Euro. auch noch umsetzen sollen. nen in Berlin und Bilbao und stellten einen Antrag Zu diesem Zeitpunkt war klar, dass eine:r von Ein größeres Thema war in den ersten Jahren bei einem EU-Förderprogramm für junge Initia- uns aus dem Vorstand fest einsteigen muss, auch die interne Kommunikation. Wertschätzung Lernprozess Professionalisierung tiven. Wir erhielten 10.000 Euro zur Umsetzung. wenn das klappt. Nach der Zusage habe ich mei- haben wir anfangs nicht so gut kommuniziert. Nach einem Jahr war zwar die spanische Seite nen Job in einer Behörde aufgegeben und die Zudem waren wir als Freundeskreis einen eher Die letzten drei Jahre waren ein konstanter eingeschlafen, aber wir in Berlin hatten noch Geschäftsführung übernommen. flapsigen Ton gewohnt, der manche Lernprozess. Noch ist nicht alles perfekt, aber Spaß und gründeten 2012 den Verein „a tip: tap Mitarbeiter:innen vor den Kopf gestoßen hat. wir werden strukturierter. Bei der Entwicklung e. V.“, um Bildungs- und Aufklärungsarbeit für Auch musste ich erst einmal checken, dass es Wachstumsfreude und der Wasserquartiere und der drei Personalebe- den Genuss von Leitungswasser zu betreiben. etwas anderes ist, wenn ich eine Projektidee per Wachstumsschmerzen E-Mail an den Vorstand schicke oder an das nen – Geschäftsführung, Koordinator:innen und Mitarbeiter:innen – hat uns der openTransfer Team. Unser ehrenamtlicher Vorstand kann die Neue Rolle: Arbeitgeber:in Mit der Projektförderung vom Umweltministe- Accelerator sehr geholfen. Wir haben eine E-Mail auch mal ignorieren oder sagen: „Hey rium ist „a tip: tap e. V.“ rasant gewachsen. Mitte externe Buchhaltung und eine Mitarbeiterin, die Samuel, das ist zu viel!“ Mitarbeiter:innen nehmen Bis 2016 waren wir rein ehrenamtlich unterwegs. 2019 stellten wir bundesweit ein 20-köpfiges für Arbeitsverträge und Zeugnisse zuständig ist. Vorschläge zwangsläufig viel ernster und überle- Niemand von uns wollte das hauptberuflich Team zusammen. Wir hatten viel vor: Bildungs- Auch habe ich gelernt, Grenzen zu ziehen, für gen, wie sie das jetzt auch noch umsetzen sollen. machen. Um neue Projektanträge stellen zu aktionen, politische Arbeit, Aufklärung. Nicht mich und das Team. Wir bekommen mehr können, suchten wir stattdessen eine:n freie:n nur die Corona-Pandemie hat uns in der ersten Anfragen, als wir leisten können und es ist zum Am Anfang kamen von der geteilten Projektlei- Mitarbeiter:in. Trotz unseres mäßigen Honorars Zeit herausgefordert. Auch, dass wir alle Struk- Beispiel nicht cool, wenn ich ein Projekt annehme, tung, die aus Julian und mir besteht, auch bekamen wir über 30 Bewerbungen. Für die turen parallel zum Wachstum entwickeln muss- das ich nicht umsetzen kann, weil ich in Elternzeit manchmal widersprüchliche Informationen, Projekte „Leitungswasserfreundliche Schule“ ten, war nicht leicht. Teilweise wollten wir zu viel gehe. Priorisieren und absagen zu können, weil wir uns nicht vorher abgestimmt hatten. und „Wasserkiez – Leitungswasserfreundlicher und haben uns und unser Team überfordert. Wir gehört dazu. Und die Erkenntnis: Der Stapel an Das machen wir heute anders. Wir haben inzwi- Mariannenkiez und seine Nachbarschaft“ alle hatten viele Projektaufgaben gleichzeitig, Aufgaben wird nie kleiner. schen viele Strukturen und Prozesse geklärt. erhielten wir ein paar Monate später die nötige viele Freiheiten und eine dezentrale Arbeits- Auch haben wir ein besseres Gespür dafür, wo Finanzierung. Wir konnten die erste Stelle auf- weise, das hat bei manchen zu Unsicherheiten Transparenz nötig ist und wer wann eingebun- stocken und zwei neue Stellen schaffen. An die geführt. Wir haben gemerkt, dass wir für vieles den werden muss. Durch die Freundschaft zum neue Rolle als Arbeitgeber:innen mussten wir zuerst die Voraussetzungen schaffen müssen, ehrenamtlichen Vorstand gibt es zwischen uns 26 Wandel & Organisationsentwicklung | 12 × Wandel Wandel & Organisationsentwicklung | 12 × Wandel 27
Gründen + Wachsen Fokus: Wie beeinflusst ein Skalierungsvorhaben die Organisation? Tipps für wachsende Organisationen Mit der Skalierung eines Projekts verändert sich bedarf es aber klarer Entscheidungsmandate und auch die Organisation. Neben einem unterneh- Bereiche. Oft steigen diejenigen, die von Anfang merischen Mindset sind strategische Fähigkeiten an dabei waren, in Führungspositionen auf. Das ist Zusammenarbeit verbessern: gefragt. Auch das sinnvoll, denn sie kennen die Organisation und das Koordinieren von Projekt am besten. • Arbeitet fortlaufend daran, strukturier- vielen Partner: ter zu werden. Reflexion, Coaching & Programme: innen muss erlernt Dennoch sollte sich eine Organisation in dieser • Reflektiert, was in eurer Zusammenar- • Reflektiert in regelmäßigen Abständen, we rd e n . Das Phase gut überlegen, wen sie braucht, um die beit gut klappt, was besser gehen kann was gut klappt, was besser gehen kann Team muss sich Skalierung voranzutreiben. Sind die Personen, und wie es besser geht. und was ihr bleiben lassen könnt. Schafft professionalisie- die von Anfang an dabei waren, schon bereit, dafür feste Anlässe und Termine. ren, häufig wer- Führung zu übernehmen? Und möchten sie diese • Plant ausreichend Zeit für die Umsetzung den auch neue Rolle überhaupt übernehmen? Eine offene und eurer Vorhaben ein. • Nutzt externe Beratung, denn der Blick Mitarbeiter:innen transparente Kommunikation ist bei dieser Ent- von außen bereichert. Kai Hübner, • Stellt Kommunikationsregeln auf. Sie sor- eingestellt. scheidung wichtig, und zwar von beiden Seiten. Skalierungsberater gen für Transparenz und Klarheit und • Auch Programme wie der openTransfer und Business Coach helfen, Missverständnisse zu vermeiden. Accelerator geben Raum, Fragen und Als kleines enga- Aspekte in den Blick zu nehmen, die im giertes Team ist es • Trefft verbindliche Absprachen und Alltag oft untergehen. noch möglich, dass klärt, wie bestimmte Dinge bei euch lau- jede:r überall ein fen und geregelt sind. Haltet die Ergeb- bisschen mit- nisse schriftlich fest. Der openTransfer Accelerator mischt und es kurze Entscheidungswege gibt. • Schafft Anlässe für Wertschätzung und unterstützt mit einem einjährigen Stipendium Sobald sich die Anzahl der Wirkungsorte erhöht, um Erfolge und erreichte Meilensteine Vereine, Initiativen und Sozialunternehmen, eine Skalierungsstrategie zu entwickeln und gemeinsam zu feiern. umzusetzen. Für den Jahrgang 2023 können sich wachstumsmutige Organisationen bis zum 12.03.2023 bewerben. Alle Infos. Mehr Wissen: Kopfsachen e. V. A tip: tap e. V. Priorisieren und Nein sagen lernen: Wirksam Wachsen: • Dies ist wirklich wichtig, um Überforderung zu vermeiden! Das Praxishandbuch für Non-Profit-Organisationen • Überlegt bei allen eigenen Ideen und bei Anregungen, die von außen an euch herangetragen werden, ob ihr diese wirklich umsetzen könnt und Kai Hübner wollt. Passen sie zu euren Zielen? Welche Ressourcen benötigt ihr dafür? Für wen skalieren wir eigentlich? Ein Plädoyer für die Skalierung • Helfen kann der Leitsatz: „Was wir machen, machen wir gut. Was wir nicht der richtigen Projekte gut machen können, machen wir nicht.“ 28 Wandel & Organisationsentwicklung | 12 × Wandel Wandel & Organisationsentwicklung | 12 × Wandel 29
Wissensmanagement Unsere wichtigste Drei Perspektiven aufs Sammeln, Strukturieren Ressource: Wissen nagement und das ist – insbesondere und Zugänglichmachen Interview und Texte: Johannes Hofmann Wie könnte es nicht das wichtigste Thema sein? zu Beginn – mit viel Austausch und Er- Mit diesem Satz begann das Gespräch über läuterungen ver- Wissensmanagement mit Clara Holler, Wissens- bunden. Kleine For- Clara Holler von der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung (DKJS), Jenny Mädel vom Acker e.V. und Changemanagerin bei der DKJS. mate regen diesen und Janette Füseler und Ronald Kraatz vom Stadtsportbund Chemnitz geben Einblicke. Austausch im Ar Warum sollten sich Non-Profits mit Wis beitsalltag an und Clara Holler, sensmanagement auseinandersetzen? fördern Perspek- Deutsche Kinder- tivwechsel. Wichtig und Jugendstiftung Die herausfordernden Rahmenbedingungen von ist, dass die Mitar- (DKJS) zivilgesellschaftlichen Organisationen wie kurze beitenden erfahren, Projektlaufzeiten und befristete Arbeitsverhält- dass nichts verloren nisse verstärken die Notwendigkeit, das Wissen geht, wenn sie Wis- bewusst zu managen. Ein funktionierendes Wis- sen teilen, sondern dass sie ihr eigenes Wissen wei- sensmanagement steigert die Effizienz und Pro- ter ausbauen können. Eine der wichtigen Zukunfts- duktivität, weil Arbeiten nicht mehr durch feh- kompetenzen wird die Fähigkeit sein, auf individu- lende Informationen doppelt gemacht werden, eller Ebene Wissensmanagement zu betreiben. neue Mitarbeitende schneller eingearbeitet wer- den können und vorhandenes Wissen bestmög- Wie gelingt es noch, den internen lich genutzt wird. Offener Austausch ist eine Wissenstransfer anzuregen? Grundlage für guten Wissenstransfer, er wirkt sich positiv auf die Organisationskultur aus und Ein hilfreicher Ansatz ist Storytelling. Durch Fra- kann einen guten Boden für Innovationen bieten. gen und Erzählen werden auf sehr individuelle, persönliche Weise Geschichten aus dem Arbeits- Wie gerne teilen Menschen ihr Wissen, kontext beleuchtet. Auch team- und organisati- wenn es doch eine so wichtige Ressource onsweite Nachrichtenkanäle fördern den Aus- ist und viel Arbeit und Zeit in die Aneig tausch. Sie sorgen für einen Wechsel von einer nung der Kenntnisse gesteckt wurden? Eins-zu-eins-Kommunikation wie E-Mail zu einer Eins-zu-viele Kommunikationsstruktur. Die Mög- Wir alle müssen im Prinzip lebenslang lernen und lichkeit, über das Schwarmwissen der Beleg- offen sein für Veränderung. Das Fach- und Er- schaft zu einer schnelleren Lösung zu gelangen, fahrungswissen der Mitarbeitenden ist eine zen- hat schon vielfach zu Aha-Momenten bei trale Ressource. Dieses zu teilen, stößt bei man- Kolleg:innen und zu einer höheren Akzeptanz der chen auf Widerstände. Denn häufig wurde ge- genutzten Tools geführt. Unter dem Motto „bes- lernt, dass die Unternehmen den Wert der Mitar- ser mehr finden, als viel suchen“ ist diese Form beitenden nicht zuletzt nach ihrem Wissen be- der internen Kommunikation ein Bestandteil messen. Den organisationsinternen Wissensfluss einer Organisationskultur, die sich durch einen anzuregen, gelingt mit einem guten Wissensma- offenen Austausch und Umgang auszeichnet. Wandel & Organisationsentwicklung | 12 × Wandel 31
Wissensmanagement Bewegung in der Organisation: Tipps für ein gutes Ankommen „Rudi Radieschen über den benbereiche der Zentral-Teams besser kennen. Acker werfen und sich persönlich Gemeinsames Essen und lustige Austausch Wie gelingt es, neue Teammitglieder auch in wachsenden Organisationen herzlich zu begrüßen kennenlernen“ runden mit der Rudi-Radieschen-Handpuppe und einen optimalen Start zu gewährleisten? Jenny Mädel, Teamlead Talente und Gewinnung inklusive. „Vielleicht liegt es an Acker oder an den beim Acker e.V., hat mit uns ihre Onboarding-Tipps geteilt. Neben der fachlichen Einarbeitung sind ein per- Leuten, die bei uns arbeiten – aber wir mögen sönliches Kennenlernen und die Vermittlung der uns einfach wirklich gerne“, schwärmt Jenny Acker ist in den nenlernen gefördert. Vor ihrem ersten Arbeits- Kultur ein besonders wichtiger Baustein im On- Mädel. Das merke man auch bei den jährlich letzten Jahren tag erhalten die neuen Mitarbeiter:innen des boarding-Prozess dezentral aufgebauter Orga- stattfindenden Retreats: Hier zieht sich das ge- stark gewachsen Sozialunternehmens zudem eine Übersicht mit nisation wie Acker. Beim Quartals-Onboarding samte Team für ein paar Tage vom Arbeitsalltag und zeichnet sich Informationen, was sie bei ihrem Einstieg erwar- kommen bei Acker alle neuen „Mitacker:innen“ zurück, um gemeinsam durchzuatmen und sich besonders durch tet. In den ersten Tagen liegt der Fokus darauf, der letzten drei Monate für zwei Tage ins Berliner über Veränderungen, Erfolge und Herausforde- seine dezentralen das neue Arbeitsumfeld mit all seinen digitalen Büro und lernen ihre Kolleg:innen und die Aufga- rungen auszutauschen. Strukturen aus. Tools kennenzulernen und einzurichten. Ein wich- Die etwa 200 Mit- tiger Bestandteil ist das organisationsinterne arbeitenden sind Wissensmanagementsystem. Jenny Mädel, Acker e.V. an unterschiedli- chen Standorten Acker-Wiki: in Deutschland, das Navigationssystem Österreich und für neue und bestehende der Schweiz tätig. Mitarbeiter:innen Aufgrund flacher Hierarchien liegen viel Wissen und Verantwortung in den jeweiligen Teams und Ein Wiki macht relevantes Wis- Arbeitsbereichen. Für neue Mitarbeiter:innen sen aus dem dynamischen kann dies zu Beginn zunächst überwältigend Umfeld zugänglich. Acker nutzt sein – ein mehrstufiger Onboarding-Prozess hierfür das Atlassian-Tool Con- erleichtert ihnen den Einstieg. fluence. In jedem Team sind „Wiki-Gärtner:i nnen“ dafür „Onboarding beginnt schon verantwortlich, relevante Infor- vor dem ersten Tag“ mationen einzupflegen und aktuell zu halten. Gleichzeitig „Für uns ist jemand ab Zusage und Vertrags sind alle eingeladen, sich in die unterzeichnung Teil des Ackerteams“, betont Pflege dieser Wissensbibliothek Jenny Mädel. Die neuen Mitarbeiter:innen wer- einzubringen. Nicht nur – aber den den zukünftigen Kolleg:innen bereits im ganz besonders – für neue Mit- monatlichen „AckerUpdate“ vorgestellt. Mit arbeitende ist das Acker-Wiki einem Mini-Interview und Fragen wie „Womit die erste Anlaufstelle bei allen kann man dir eine Freude machen?“ oder „Ein Fragen von „Anbauplanung“ bis Funfact über dich?“ wird ein persönliches Ken- „Zielvereinbarungsprozess“. 32 Wandel & Organisationsentwicklung | 12 × Wandel
Ein gutes Mittel aufbereitet. Dabei lag unser Fokus auf einem einheitlichen phase werden wir die wichtigsten Fra- gen und Antworten auf unserer Web- Erscheinungsbild und kurzen, site veröffentlichen. Damit erhöhen gegen Angst prägnanten Formulierungen. Das war wichtig, damit die Berater:innen auch am Tele- wir die Transparenz für die Mitglieds- vereine und Berater:innen. entlasten unsere hieß: lernen. fon das Wesentliche im Blick haben und nicht in ein Büro- kratendeutsch verfallen. Erkenntnisse aus dem Veränderungsprozess Janette Füseler, Stadtsportbund Planänderung: Chemnitz Bereits zu einem frühen Zeitpunkt war Sten Nadolny: Die Entdeckung der Langsamkeit FAQ entlasten und uns klar, dass die Einführung eines sorgen für Transparenz CRM und die Neustrukturierung des Beratungsprozesses äußerst umfang- Ursprünglich hatten wir vor, reich sein werden. Dennoch mussten diese Vorlagen in unser neues wir schmerzlich lernen, wie wichtig es Sportlich beraten: System für Customer-Relationship-Manage- ist, frühzeitig offen mit allen Beteiligten über die Wesentliche Informationen digital bündeln ment (CRM) zu überführen. Dann hätten die Notwendigkeit der Anpassungen zu sprechen. Berater:innen direkt innerhalb des Kontaktma- Leider haben wir unseren Plan zu spät mit dem Beim Stadtsportbund Chemnitz sind vier Vereinsberater:innen für die facettenreichen Anliegen nagementsystems mögliche Antworten für die gesamten Team geteilt und die Möglichkeit ver- der 200 Mitglieder verantwortlich. Mit der Digitalisierung des Wissensmanagements wurde Beratung einsehen können. Mit dem CRM-Sys- passt, auf individuelle Bedenken einzugehen. Im deren Auskunftsfähigkeit gesichert. Die Geschäftsführerin Janette Füseler und der Vereins tem Salesforce wäre das jedoch zu teuer gewor- Verlauf hat uns geholfen, dass wir die organisa- berater Ronald Kraatz geben Einblick in den Prozess. den. Daher entschieden wir uns, eine interne tionsinternen Prozesse detailliert und übersicht- FAQ-Sammlung aufzubauen, um die lich aufbereitet haben und somit eine solide Berater:innen zu unterstützen. Nach der Test- Grundlage für alle weiteren Schritte hatten. Aufgrund einer unübersichtlich für Ehrenamtlichkeit beworben, das geführten Excel-Tabelle hatten Organisationen bei der Entwicklung unsere Vereinsberater:innen und Umsetzung einer Digitalstrate- bei Anfragen nie alle notwendi- gie unterstützt. gen Informationen griffbereit. Häufig mussten sie sich rück- Sammeln, Clustern, versichern und die notwendi- Aufbereiten Mehr Wissen: gen Angaben intern abstim- Deutsche Kinder- und Jugendstiftung Deutsche Stiftung für Engagement men. Um die Struktur zu Angeregt von unserem Berater gGmbH und Ehrenamt Onlineseminar-Reihe Ronald Kraatz, Wissensmanagement vereinfachen und den Bera- haben wir zu Beginn die häufigsten Acker e.V. Stadtsportbund tungsprozess klarer und schnel- Chemnitz Fragen der Verbandsmitglieder Plötzlich Digital – Die Sprechstunde Stadtsportbund Chemnitz e.V. ler zu machen, haben wir uns gesammelt, nach Themenschwer- zum Tool Notion, dem All-in-one beim Projekt „Die Verantwort- punkten geclustert und die spezifi- Gesellschaft für Wissensmanagement e.V. Workspace lichen #Digital“ der Akademie schen Antworten und Informationen 34 Wandel & Organisationsentwicklung | 12 × Wandel Wandel & Organisationsentwicklung | 12 × Wandel 35
Fehler machen erlaubt Wie schaffe ich eine Kultur, in der Menschen Amy Edmondson hat ein Buch geschrieben, in dem es genau darum geht: wie sich eine ver- durch Angst und Unterdrückung dazu motivier- ten, möglichst genau das zu tun, was ihnen sich trauen, mutig zu sein? Text: S ebastian Klein trauensvolle Unternehmenskultur gestalten gesagt wurde. Das Bild des genialen Chefs, der lässt. Das Buch heißt „Die angstfreie Organisa- alle für die Ausführung seiner Ideen (miss-) tion“ (Original: The Fearless Organization). Die braucht, passt nicht mehr in unsere Zeit. Und Autorin war die Erste, die sich mit dem Konzept dennoch bestehen Umfelder fort, in denen Angst Organisationen, die eingetretene Pfade verlassen und Neues wagen, begeben sich auf ein der psychologischen Sicherheit beschäftigt hat, das Handeln der Menschen prägt. Abenteuer. Sie werden analysieren, planen, experimentieren und anpassen. Sie werden das später durch das „Aristoteles-Projekt“ bei Vorreiter:innen und Skeptiker:innen im Team begegnen, zähe Momente überwinden und Google Bekanntheit erlangte. Erfolge feiern. Sie werden Fehler machen und lernen. Wie mutig Veränderungen in Organi- Die Kernaussage des Buches lautet: Keine Orga- sationen angegangen werden, wird stark von der Fehlerkultur beeinflusst. Wie wichtig ist es, nisation kann sich heute eine Kultur der Angst Fehler zu akzeptieren? Und wie geht man am besten mit ihnen um? Keine Organisation kann leisten. Es gibt sie noch in vielen Unternehmen, doch sie ist zum Relikt aus vergangenen Zeiten sich heute eine Kultur Das hat auch das Magazin Neue Narrative in seiner Mut-Ausgabe #10 gefragt. geworden. Heute fahren Firmen besser, in der Angst leisten. Die Antworten dürfen wir hier teilen. denen eine Kultur des offenen Austauschs herrscht, in denen Menschen sich trauen, Risiken Es gibt viele Beispiele, die zeigen, wozu das einzugehen und auch unange- führt: Firmen wie Nokia haben den Wandel der nehme Dinge auszusprechen. Zeit verschlafen, weil ein dominanter, kalter Angst ist der Feind der Potenzi- CEO jeden Widerspruch bestrafte. Menschen in alentfaltung. Gerade in Umfel- der Organisation hielten daraufhin wichtige dern, die sich schnell ändern Informationen zurück, was das einst so erfolg- und wo Innovationen gefragt reiche Unternehmen in eine Sackgasse führte. sind, können Unternehmen es Im Dieselskandal trat zutage, dass der VW-Vor- sich nicht mehr leisten, dieses standsvorsitzende Winterkorn dafür bekannt Potenzial nicht auszuschöpfen. war, Menschen einzuschüchtern und bei unan- genehmen Nachrichten laut zu werden. Er stand Kultur der somit an der Spitze eines Unternehmens, in dem Angst und des Menschen gelernt hatten, lieber zu schweigen, als unangenehme Dinge anzusprechen, und lie- Schweigens ber wegzuschauen, als Bedenken zu Firmenab- Es lohnt sich, zunächst einen läufen oder unenthischem Verhalten zu äußern. Blick auf das negative Ende des Spektrums zu werfen: Firmen, in Von der Kultur des Schweigens denen eine Kultur der Angst und zur Kultur des Scheiterns des Schweigens herrscht. Laut Edmondson war diese Kultur in Was hat das alles nun mit dem Mut zu tun, Risiken Zeiten dominant, als „geniale“ einzugehen und zu scheitern? Unternehmen Gründer:innen und Ingenieur: brauchen ein intelligentes Scheitern: Das erfor- innen ihre Mitarbeiter:innen dert ein Umfeld, in dem Menschen neue Dinge Wandel & Organisationsentwicklung | 12 × Wandel 37
Fehler machen erlaubt ausprobieren, die sinnvoll erscheinen, sie aber so fen, in der psychologische Sicherheit gegeben schnell wie möglich einstellen, wenn sich zeigt, ist? Dazu gehört an erster Stelle, dass wirkliche dass diese Ideen ins Nichts führen. Dazu ist vor Klarheit darüber besteht, was der Sinn und Zweck allem eine Sache gefragt: Menschen müssen sich der Zusammenarbeit ist und an welchen Zielen trauen, zu sagen, was sie denken. Und zwar auch aktuell gearbeitet wird. Solang diese Art der dann, wenn es potenziell unangenehm ist, wenn Klarheit nicht gegeben ist, wird weder produkti- wir also beispielsweise eine neue, verrückte Idee ver Dissens noch intelligentes Scheitern möglich. vorstellen oder Bedenken äußern, weil wir einen Aspekt sehen, der bislang unbekannt war. Sind Richtung und Ziele klar, dann lässt sich eine Kultur psychologischer Sicherheit vor allem durch In einer Kultur des Schweigens halten Menschen zwei Werte beschreiben: Aufrichtigkeit und ihre Ideen, Fragen und Bedenken zurück. Wertschätzung. Aufrichtigkeit in dem Sinn, dass Warum? Weil sie Angst haben, die damit ver- Menschen ihre Ideen und Einfälle genauso vor- bundenen zwischenmenschlichen Risiken einzu- bringen wie ihre Kritik und Bedenken. Wertschät- gehen. Wir evaluieren unbewusst jede Situation zung in dem Sinn, dass ein gegenseitiger Respekt danach: Wie hoch ist das Risiko, gedemütigt, für die andere Person an erster Stelle steht. erniedrigt oder sogar aus der Gruppe ausge- schlossen zu werden? Ist die Sache zu riskant, Darüber hinaus macht es Sinn, sich den Sprach- bleiben wir lieber stumm. gebrauch im Team genauestens anzusehen. Wo psychologische Sicherheit herrscht, zeigen Men- Wo Menschen sich trauen, den Mund aufzuma- schen sich verletzlich und sagen Dinge wie: chen, ihre Bedenken zu äußern, Ideen einzubrin- gen und allgemein sie selbst zu sein, spricht Ich weiß es nicht. Edmondson von psychologischer Sicherheit. Psychologische Sicherheit bedeutet, dass nicht Ich brauche Hilfe. nur zwischen zwei Individuen Vertrauen herrscht, sondern dass wir als Individuum auf Ich habe einen Fehler begangen. der Ebene unseres Teams oder gar der ganzen Organisation das Vertrauen haben, dass unsere Es tut mir leid. Offenheit nicht bestraft oder gegen uns ver- wendet wird. Auf diese Weise lernen wir, dass Generell geht es darum, von einer Kultur des Aufrichtigkeit erwünscht ist, dass auch das Sagens (in der jede:r immer zu allem etwas zu Zugeben von Fehlern kein Risiko darstellt. sagen hat und die Führungskraft versucht, sich so schnell wie möglich eine Meinung zu bilden) zu einer Kultur des Fragens zu kommen: also in eine Von der Kultur des Sagens zur Haltung der Neugier und der Grundannahme, Kultur des Fragens dass jemand anderes es besser weiß. Was bedeutet es, als Führungskraft (oder als selbstorganisiertes Team) eine Kultur zu schaf- 38 Wandel & Organisationsentwicklung | 12 × Wandel
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