Weihnachten 2019 - Jesuitenmission

Die Seite wird erstellt Alexander Wiegand
 
WEITER LESEN
Weihnachten 2019 - Jesuitenmission
Weihnachten 2019
Weihnachten 2019 - Jesuitenmission
Editorial

      Liebe Leserinnen und Leser!
      Mit einem gigantischen Produktionsvolumen von über 300.000 Tonnen im Jahr rangiert
      Sri Lanka auf Platz vier der weltweiten Teeproduktion und ist unter Kennern berühmt für
      seine feine Mischungen. Was Teefreunde in aller Welt begeistert, schmeckt aber im Her-
      kunftsland bitter: das Leben der Familien, die auf den Teefeldern arbeiten. Die meisten von
      ihnen sind Nachfahren von Tamilen aus Südindien, die im 19. Jahrhundert von den Briten
      ins Land gebracht wurden, um Tee zu pflücken und verarbeiten. Heute wie damals stehen
      vor allem die Frauen auf den Plantagen am untersten Rand der Gesellschaft. Der indische
      Jesuit Alexis Prem Kumar spricht von einem „stillen Wirtschaftskrieg“, den die besitzenden
      Klassen Sri Lankas gegen die tamilischen Teepflücker führen.

      Auch in einer ganz anderen Weltregion, in Amazonien, werden Menschen von Wirtschaft
      und Politik marginalisiert und ihres Lebensraumes beraubt. So standen bei der von Papst
      Franziskus einberufenen Amazonien-Synode die Rechte der indigenen Bevölkerung, der
      Schutz ihrer Lebensweise und des Lebensraums Amazonien ganz oben auf der Agenda. Aus
      Amazonien kommt der Vorschlag des „Buen vivir“, des „Guten Lebens“ für alle, wie es im
      Vorbereitungsdokument zur Synode heisst: „Amazonien ist der Ort von Verheißung und
      Hoffnung auf neue Lebensweisen.“

      Neue Lebensweisen für Kirche und Weltgemeinschaft: Das bedeutet neben Hoffnung auch
      Verantwortung für unser Handeln und seine Konsequenzen. Dass wir uns dieser Verant-
      wortung immer wieder bewusst sind, und die Hoffnung auf Veränderung Raum findet,
      wünschen, gerade jetzt vor Weihnachten

      Klaus Väthröder SJ		                Mag. Katrin Morales
      Missionsprokurator		                Geschäftsführerin in Wien

2 jesuitenweltweit
Weihnachten 2019 - Jesuitenmission
Hilfe für Ostafrika
                                                                                           Inhalt

                             04		 Bitterer Tee
                             		   Bildung und Gerechtigkeit für tamilische Teepflücker in Sri Lanka

                             11		 Unsere Spendenbitte für Sri Lanka
                             		   Unterstützen Sie die Arbeit des Centre for Social Concern (CSC)

                             12 Der neue Mittelpunkt der Erde
Titel Sri Lanka:             		   Die Amazonas-Synode rückt indigene Belange ins Zentrum
Drei Arbeiterinnen auf den
Teeplantagen von Hatton
                             16		 Hinschauen! Nachdenken! Vorausschauen!
                             		   Weihnachtskunst mit Holzschnitten von Felix Dieckmann
Rücktitel Simbabwe:
Eine Hausmutter mit ihren
Schützlingen im Kinderdorf
                             22		 Kinderschutz ist Pflicht
Makumbi, Simbabwe.           		   Peter Carroll SJ und Stephan Lipke SJ über Maßnahmen ihrer Provinzen

                             26 Krippenspiel im September
                             		   12 Tage Afrika: Reisebericht von Provinzial Johannes Siebner SJ

                             28		Ein europäischer Bürgermeister
                             		   Ex-JEV Dominic Fritz will Stadtoberhaupt von Timișoara werden

                             31 Nachrufe
                             		   Trauer um Adolf Heuken SJ und Joachim Petrausch SJ

                             34		 Termine
                             		   Unser Programm für Nürnberg und Wien

                                                                              jesuitenweltweit 3
Weihnachten 2019 - Jesuitenmission
Bitterer Tee
  Arm, benachteiligt, an den Rand gedrängt: Mit Bildungsangeboten und poli­
  tischer Anwaltschaft kämpft das „Centre for Social Concern“ (CSC) für die
  Rechte der tamilischen Teepflücker in Sri Lanka. Der indische Jesuit Alexis
  Prem Kumar leitet die Einrichtung und berichtet über Erfolge, Rückschläge
  und Herausforderungen

4 jesuitenweltweit
Weihnachten 2019 - Jesuitenmission
P
        riyadarshini wird in unserem Zent-
        rum für Soziale Belange (Centre for
        Social Concern – CSC) zur Schnei-
derin ausgebildet. Ihre Heimat sind die
Teeplantagen von Mount Jean, und sie ist
Mutter von drei Kindern. Ihre Geschichte
ist die Geschichte sehr vieler anderer Frauen
aus den Teeplantagen.

Eine Heirat aus Liebe führte in die Armut
Priyadarshini kam im Bezirk Badula auf die
Welt, ihre schulische Ausbildung musste sie
abbrechen, weil kein Geld da war. Sie ging
in die Hauptstadt Colombo und heuerte in
einem Textilunternehmen als Hilfsarbeite-
rin an. Dort verliebte sie sich in einen ande-
ren ungelernten Arbeiter aus dem Hinter-
land und heiratete ihn. Er stammt aus der
Teeplantage Mount Jean, wo sie jetzt beide
arbeiten und leben.

                                                 jesuitenweltweit 5
Weihnachten 2019 - Jesuitenmission
Sri Lanka

     Obwohl Priyadarshini die elfte Klasse ab-         Bürgerkriegs zwischen Singhalesen und der
     schließen konnte, kennt sie keine andere          tamilischen Minderheit kennt, der 2009 für
     Arbeit als Teepflücken. Ihre Heirat grün-         beendet erklärt wurde. Aber in Sri Lanka
     dete in Liebe, nicht in einem Arrangement         tobt weiter ein Krieg, ein stiller, wirtschaft-
     der Eltern: Grund genug für ihre Familie,         licher Krieg gegen die Plantagenarbeiter.
     Priyadarshini zu verstoßen; ab sofort waren       Die meisten von ihnen sind Nachfahren in-
     sie und ihr Ehemann auf sich allein gestellt.     discher Tamilen, die während der britischen
     Ihr einziger Trost ist, dass sie in der Nähe      Kolonialzeit aus dem südindischen Tamil
     ihres Hauses arbeitet und sich so um ihre         Nadu nach Sri Lanka, damals Ceylon, ein-
     drei Kinder kümmern kann. Auf der ande-           gewandert waren. Auch sie kamen, um Tee
     ren Seite hat sie Mühe, die Bedürfnisse der       zu pflücken.
     Kleinen zu decken. Immerhin: „Ich lerne
     jetzt Schneidern und kann die Kleidung            Die lange Leidensgeschichte der Tamilen
     für unsere Familie selbst nähen.“ Sie träumt      Die folgenden historischen Fakten sind nur
     von einer besseren Zukunft für die Kinder.        ein paar Wegmarken ihrer Leidensgeschich-
     Außerhalb der Teeplantagen.                       te: Im Jahr 1911 hatten 13 Prozent der Bür-
                                                       ger Sri Lankas indisch-tamilische Wurzeln,
     Stiller Krieg gegen die Plantagenarbeiter         100 Jahre später waren es nur 4,5 %. Als
     Priyadarshinis Geschichte ist symptoma-           die Insel 1948 ihre Unabhängigkeit feierte,
     tisch für ein Land, das die Welt haupt-           entzog die Regierung den Tamilen indi-
     sächlich als Schauplatz des langjährigen          scher Herkunft die Staatsbürgerschaft. Sie
                                                       wurden staatenlos und verloren damit jeden
                                                       politischen Einfluss. 1964 schlossen Indien
                                                       und Sri Lanka den Srimao-Sastri-Pakt, in-
                                                       folge dessen es zu einer Auswanderungswel-
                                                       le nach Indien kam. Die Anzahl der indisch-
                                                       stämmigen Tamilen im Land schrumpfte
                                                       von fast einer Million auf 400.000.

                                                       Eine Landreform übertrug 1972 riesige Flä-
                                                       chen an Tee- und Gummibaum-Plantagen
                                                       in den Bezirken Gale, Matara und Ratnapu-
                                                       ra, die einst von den Briten bewirtschaftet
                                                       wurden, an singhalesische Kleinbauern. Die
                                                       Mehrheit der Tamilen, die in diesen Gegen-
                                                       den arbeiteten, wurden aus ihren Dörfern
                                                       vertrieben, verloren Arbeit und Obdach,
                                                       ohne jede Entschädigung.

                                                       In den 1990er-Jahren wurden viele Planta-
                                                       gen von Großunternehmen übernommen.
                                                       Die Regierung gab auch die Verantwortung
     Priyadarshini träumt von einer besseren Zukunft   für die Arbeiter ab und bat die neuen Ei-
     für ihre Kinder.                                  gentümer, sich um das Wohlergehen der

6 jesuitenweltweit
Weihnachten 2019 - Jesuitenmission
Sri Lanka

Gemeinschaft – Wohnen, Strom, Wasser
und andere Einrichtungen – zu kümmern.
Doch die gewinnorientierten Privatunter-
nehmen tun nicht mal ein Minimum zum
Wohle der Menschen. So leiden die Bewoh-
ner der Plantagen unter Unterernährung,
schlechter Gesundheit und haben keinen
Zugang zu Bildung, wirtschaftlicher und
politischer Teilhabe.

Der Staat versagt die Unterstützung
In den 1940er-Jahren startete die Regie-
rung eine landesweite Bildungsoffensive
– nur die Teeplantagen blieben außen vor.
Dort gibt es erst seit den 1980er-Jahren kos-
tenlose Schulen – in Sachen Bildung hinkt
die Gemeinschaft also 40 Jahre hinterher.

In den 1990er-Jahren wurden noch über
500.000 Tamilen als Teepflücker be-             Harte Arbeit, kleiner Lohn: eine Teepflückerin auf einer
schäftigt, jetzt sind es nur noch 140.000       Plantage in Mount Jean.
Viele arbeitslose Männer und Jugendliche
wandern ab nach Colombo und in ande-            Unsere Antwort: Bildung
re Städte, um dort Arbeit zu finden. Die        „Die Ernte ist groß, der Arbeiter aber sind
Folgen: getrennte Familien, ein schwa-          wenige“, heißt es im Evangelium, und auch
ches sozio-kulturelles Gefüge, Flucht in        wir beim CSC haben nicht genügend Res-
den Alkohol.                                    sourcen, um auf die Probleme angemessen
                                                zu reagieren. Denn die Situation erfordert
Dennoch: Es ist nicht so, als ob die Plan-      erhebliche Anstrengungen in den Bereichen
tagengemeinden nach der Unabhängigkeit          Bildung, Entwicklungs- und Lobbyarbeit.
überhaupt keine Unterstützung durch die         Nach Angaben der Weltbank verfügt Sri
Regierung erhalten hätten. Im Jahr 2015         Lanka im Vorschulbereich über insgesamt
initiierte die Regierung ein Projekt mit dem    17.023 Zentren für frühkindliche Bildung:
Namen „Hill Country New Villages, Infra-        29.341 Erzieher kümmern sich hier um
structure and Community Development“            475.617 Kinder in der Altersgruppe von
– neue Dörfer und Infrastruktur für die         3-5 Jahren. 84% dieser Zentren stehen ent-
Teeberge. An sieben Standorten wurden           weder unter privater Verwaltung oder wer-
insgesamt 10.000 Häuser errichtet, 40.000       den von NGOs und anderen nichtstaatli-
weitere sollen es werden. Angesichts einer      chen Einrichtungen betrieben. Und bereits
Fülle an anderen öffentlichen Wohnungs-         hier beginnt die Diskriminierung der Plan-
bauprojekten der Regierung erscheint das        tagengemeinden, denn in anderen Landes-
vielen Kritikern als gering. Aber wenn wir      teilen erfahren die Kindergärten wesentlich
es historisch betrachten, müssen wir zuge-      mehr Unterstützung durch die jeweiligen
ben, dass es besser ist als nichts.             Provinzregierungen. Um diese Defizite et-

                                                                                       jesuitenweltweit 7
Weihnachten 2019 - Jesuitenmission
Sri Lanka

     was auszugleichen, betreibt das CSC drei                 viele Kanalarbeiter mit ihren Familien woh-
     Vorschulen in den Plantagen von Tientsin,                nen. Wir beschäftigen dort sechs Lehrer, die
     Diyagala und Mount Jean für insgesamt                    sich um rund 200 Schüler kümmern. Zu-
     rund 60 Schüler.                                         sätzlich profitieren wir von unserer Vernet-
                                                              zung mit dem jesuitischen Hochschulpro-
     Landbevölkerung stark benachteiligt                      gramm JWL (Jesuit Worldwide Learning),
     Je älter die Schüler desto sichtbarer werden             das jährlich etwa 350 unserer jungen Leute
     die Unterschiede zwischen Mehrheitsgesell-               als Studenten aufnimmt.
     schaft und den Menschen in den Plantagen:
     So besuchen in allen Teilen des Landes un-               Die Frauen tragen die Hauptlast
     abhängig von ihrer Herkunft über 90 Pro-                 Besonders die Frauen in den Plantagen sind
     zent der Kinder die Klassen eins bis fünf.               durch ihren geringen sozioökonomischen
     Bei den Sechst- bis Neuntklässlern hingegen              Status und eine strukturelle Benachteili-
     öffnet sich bereits die Schere: 86,2 Prozent             gung anfällig für körperliche und psychi-
     der Stadtkinder absolvieren diese mittleren              sche Probleme. Obwohl sie in den Teegär-
     Jahrgangsstufen, bei ihren Altersgenossen in             ten genauso hart arbeiten wie die Männer,
     den Plantagen sind es nur knapp 54 Pro-                  werden sie schlechter bezahlt. Die jüngste
     zent. Und ganz schlecht sieht es bei den                 Kampagne für einen täglichen Mindestlohn
     Abiturienten aus: 46 Prozent der urbanen                 von 1000 Sri-Lanka-Rupien (das entspricht
     Bevölkerung schafft die Hochschulreife, in               etwa fünf Euro) hat leider nicht die ge-
     den Plantagen sind es gerade 12,8.                       wünschten Ergebnisse gebracht. Da es auf
                                                              den Teeplantagen nicht genug Arbeit für
     Vernetzung durch JWL                                     alle gibt, zieht es viele Männer nach Colom-
     Aus diesem Grund unterhalten wir auf fünf                bo oder in andere Städte; nicht alle von ih-
     Plantagen Nachhilfezentren, zusätzlich ei-               nen finden dort Jobs. Das Leben der Frauen
     nes in der urbanen Region Aluthgama, wo                  hingegen spielt sich ausschließlich auf den
                                                              Feldern und im Haus ab, sie haben nie ge-
                                                              lernt, Dinge in Frage zu stellen. Die meis-
                                                              ten sind unterernährt, und auch ihre Kinder
                                                              sind es oft von Geburt an. Viele der Männer
                                                              in den Plantagen sind alkoholabhängig, die
                                                              Frauen tragen somit die Hauptlast.

                                                              Schneidern und tanzen
                                                              Im Januar 2018 hat das CSC Schneiderkur-
                                                              se für Frauen in den Plantagen von Mount
                                                              Jean und Broakoak eingeführt. Rund 30
                                                              Frauen – darunter auch Priyadarshini –
                                                              nehmen am Training teil. Außerdem orga-
                                                              nisiert das CSC für sie Sensibilisierungs-
                                                              schulungen in verschiedenen Bereichen und
                                                              feiert einmal im Jahr den Frauentag: Im
     Kurse in der Schneiderwerkstatt öffnen den Frauen neue   März 2019 nahmen 75 Frauen an der Feier
     Perspektiven.                                            teil. Szenisch und in Redebeiträgen brach-

8 jesuitenweltweit
Weihnachten 2019 - Jesuitenmission
Sri Lanka

Gemeinsam die Stimme erheben: Das CSC fördert zivilgesellschaftliches Engagement.

ten sie ihre Themen zur Sprache, inspiriert               eine Protestkundgebung in der Provinz-
von einem Video über die Gleichstellung                   haupstadt Hatton organisiert. Das CSC hat
der Geschlechter und durch Gruppendis-                    sich aktiv daran beteiligt. Am Vortag hatten
kussionen. Der Höhepunkt der Feier war,                   wir zu einer Pressekonferenz in unserem
als die Frauen die Bühne erklommen und                    Zentrum eingeladen, wo zwei buddhisti-
gemeinsam tanzten.                                        sche Mönche und die lokalen Organisato-
                                                          ren der 1000-Rupien-Bewegung ihre Anlie-
Der Kampf für bessere Löhne                               gen zur Verbesserung der Situation auf den
Eine längere Geschichte hat unser Pro-                    Plantagen vorbrachten.
gramm „Kalam“ (tamilisch für „Zeit“): Es
wurde eingeführt, um das kritische Be-                    Der Traum vom eigenen Haus
wusstsein der Bewohner zu schulen. Alle                   In Sri Lanka gibt es mehr als 500 Tee-
zwei Monate diskutieren die Arbeiter die                  plantagen. Die Probleme, mit denen die
gegenwärtigen Probleme auf den Plantagen,                 Menschen konfrontiert sind, haben ihre
etwa ihre Gehälter und die entsprechende                  Ursachen in politischen und wirtschaftli-
Tarifvereinbarung von Regierung, Planta-                  chen Fehlentscheidungen, den kulturellen
genbesitzern und Gewerkschaften oder den                  Unterschieden zur singhalesischen Mehr-
jüngsten Gesetzentwurf zur Entwicklungs-                  heitsgesellschaft und einem Mangel an Bil-
förderung in den Tee-Regionen. Am 17. Fe-                 dungsangeboten. Wir Jesuiten können nur
bruar 2019 hat die 1000-Rupien-Bewegung                   in wenigen ausgewählten Teeplantagen da-

                                                                                        jesuitenweltweit 9
Weihnachten 2019 - Jesuitenmission
Sri Lanka

     rauf reagieren. Im Moment sind nur zwei
     Jesuiten im CSC im Einsatz: ein Priester
     aus Indien – das bin ich – und ein Jesuiten-
     student. Angesichts der Fülle an Problemen
     müssten wir dringend unser Team mit ei-
     nem oder zwei Priestern verstärken. Unser
     Ziel ist, in der Zukunft 50 Standorte ab-
     decken zu können. Darüber hinaus hat das
     CSC kein eigenes Gebäude. Unsere derzei-
     tige Zentrale gehört einer Teefabrik, einge-
     klemmt zwischen einer Anwaltskanzlei und
     einem Wohnhaus. Um verlässlich zu wirken,
     mit den Armen zu gehen, die Jugend zu be-
     gleiten und für unser gemeinsames Zuhause
     zu sorgen, benötigen wir also nicht nur mehr
     Personal, sondern auch ein eigenes Gebäude.

     Sowohl wir vom CSC wie auch die Menschen,      2014 machte seine Entführung durch die Taliban in Afghanis-
     die auf den Plantagen arbeiten, und ihre Fa-   tan Schlagzeilen. Jetzt kämpft der indische Jeusit Alexis Prem
     milien werden die Hoffnung nicht aufgeben.     Kumar SJ für die Rechte der Plantagenarbeiter in Sri Lanka.

                          Alexis Prem Kumar SJ

10 jesuitenweltweit
jesuitenweltweit

    Unsere Bitte für Sri Lanka
    Das strahlende Lächeln auf den Gesichtern dieser Kinder ist keine Selbstverständlichkeit.
    Sie wachsen auf in den Teeplantagen rund um die Stadt Hatton in Zentral-Sri Lanka, viele
    von ihnen ohne Vater. Die Perspektiven dieser Jungen und Mädchen sind nicht viel besser
    als die ihrer Eltern, denn auch zehn Jahre nach Ende des Bürgerkriegs bleiben Tamilen in
    Sri Lanka Bürger zweiter Klasse.

    Umso wertvoller und beeindruckender ist die Arbeit der Jesuiten in und um Hatton, gerade
    weil es so wenig sind. Unter der Leitung von Pater Alexis Prem Kumar gehen sie mit den
    Teefamilien einen Weg der kleinen Schritte. Mit Bildungsangeboten öffnen sie Kindern und
    Jugendlichen Türen in eine Welt jenseits der Plantagen. Die Eltern, viele von ihnen können
    nicht lesen und schreiben, klären sie über ihre Rechte auf, etwa das zu protestieren: für faire
    Löhne, angemessenen Wohnraum, gegen Umweltzerstörung. Und sie stärken das Bewusst-
    sein der Frauen, deren Last am schwersten wiegt.

    150 Euro kostet es ein Kind ein Jahr lang in der Vorschule
    unterzubringen, 60 Euro jährlich machen ein Schulkind              Spendenkonto Österreich
    durch Nachhilfeunterricht fit für die Zukunft. Unterstützen        IBAN: AT94 2011 1822 5344 0000
    wir Pater Alexis, sein Team und die Plantagen-Familien
    gemeinsam auf ihrem Weg der kleinen Schritte!                      Spendenkonto Deutschland
                                                                       IBAN: DE61 7509 0300 0005 1155 82
    Von Herzen danke ich Ihnen für Ihre Spende!                        Stichwort: X31194 Sri Lanka

    Klaus Väthröder SJ
    Missionsprokurator                                                           jesuitenweltweit 11
Amazonien

     Der neue Mittelpunkt der Erde
     Raubbau, Brandschatzung, Klimastreiks: Die „grüne Lunge der Welt“ ist ins
     Zentrum des Interesses der Weltöffentlichkeit gerückt. Die Sondersynode
     Amazonien vom 6. bis 27. Oktober im Vatikan hat ein klares Zeichen gesetzt.

     W
                 irtschaftliche und politische In-   Ökosystemen. Er liegt in neun Ländern,
                 teressen bedrohen Natur und         darunter Brasilien, Peru, Venezuela, Boli-
                 Lebensraum am Amazonas wie          vien und Kolumbien und ist das Zuhause
     nie zuvor. Das jesuitische Schulwerk „Fe        vieler indigener Stämme. Bereits in seiner
     y Alegría“ und die Amazonas-Mission der         Eröffnungspredigt ging Franziskus auf die
     „Equipe Itinerante“ („Team Unterwegs“)          zahlreichen, meist aus Profitgier gelegten
     versuchen gegenzuwirken und die Interessen      Waldbrände ein: „Das von zerstörerischen
     der indigenen Bevölkerung zu wahren. Das        Interessen gelegte Feuer ist nicht das aus
     war auch ein erklärtes Ziel der von Papst       dem Evangelium.“
     Franziskus initiierten Synode mit dem The-
     ma: „Amazonien: neue Wege für die Kirche        Hoffnung der Ureinwohner
     und eine ganzheitliche Ökologie“.               Aber was bedeutet die Amazonas-Synode für
                                                     die Ureinwohner? Erstmals werden wir mit
     Der Amazonas brennt                             Respekt und Würde wahrgenommen“, sagt
     Der Amazonas-Regenwald, die „grüne              Elluz Pernia, die für „Fe y Alegría“ an der
     Lunge“ der Erde, zählt zu den wichtigsten       Synode teilgenommen hat. „Nach all den

12 jesuitenweltweit
Amazonien

erlittenen Schmerzen und dem Missbrauch
unseres Lebenssystems und unserer Werte
nimmt uns die Amazonas-Synode als Bei-
spiel für das, was Leben sein soll. Das gibt
uns Hoffnung.“ Elluz unterrichtet in einer
Schule von „Fe y Alegría“ und ist selbst in-
digener Herkunft. „Fe y Alegría“ (FyA), auf
Deutsch „Glaube und Fröhlichkeit“, ist ein
internationales Schulnetzwerk, das mehr als
1,5 Millionen Kindern und Jugendlichen
in 21 Ländern in Lateinamerika und Afri-
ka Bildung und Gemeinschaft bietet. Die
meisten von ihnen leben in kleinen Dörfern
und in abgelegenen Gegenden. Der vene-
zolanische Jesuit José María Vélaz hat das
Werk 1955 in Caracas ins Leben gerufen.
Als Teil des Panamazonien-Netzwerks RE-
PAM engagiert sich FyA in den Bereichen
Interkulturalität, Bilingualität und Fürsorge
für die Umwelt und integriert diese Baustei-
ne in den täglichen Unterricht. Ziel ist, das
Leben der indigenen Bevölkerung in Soli-
darität mit den Ärmsten und Ausgeschlos-
senen zu verteidigen und zu fördern und
auch die jüngste Generation für ein Leben
in Einklang mit der Natur und den Traditi-
onen zu sensibilisieren.

Indigene Kultur und Sprache wahren
Die Kinder und Jugendlichen setzen sich
im Unterricht mit der Lebensweise ihrer
Vorfahren auseinander und lernen, dass
ihre Wurzeln und ihre Verbindung zur
Natur wertvoll sind. Die Vorfahren haben
die indigenen Sprachen und ihr Wissen
immer mündlich weitergegeben. Bevor es
eine konventionelle Schule gab, wurde in
den Wohnhäusern und in der Natur unter-
richtet. Erfahrungen und Wissen wurden so
von Generation zu Generation weitergege-
ben. Heute versucht FyA auf Basis der indi-
genen Sprachen, Kulturen und Traditionen        Nahrung, Kleidung, Wohnen: Das Leben der indigenen
das vorhandene Wissen auf Papier zu brin-       Stämme am Amazonas ist eingebettet in die Kreisläufe der
gen und daraus Lehrmaterial für die Schu-       Natur - und bedroht von der Profitgier der Außenwelt.

                                                                                     jesuitenweltweit 13
Amazonien

     Der mächtigste Fluss und der größte zusammenhängende Regenwald der Erde bergen eine unermessliche Artenvielfalt.

     len der Region zu schaffen. Schüler, Eltern,              Leben. Sie geben uns Nahrung, Medizin,
     indigene und nicht indigene Lehrer arbei-                 Häuser und Schatten. Ohne sie hätten wir
     ten zusammen, um Kultur und Identität zu                  nicht den Sauerstoff, den wir zum Leben
     erhalten und wiederzubeleben. „Den Ge-                    brauchen“, erklärt sie den Kindern.
     meinschaften der Ureinwohner verdanken
     wir Tausende Jahre des Schutzes und der                   Zusammenarbeit mit Umweltbehörden
     Kultivierung des Amazonas“, heißt es dazu                 Für das indigene Volk der Sateré-Mawé aus
     in einem Arbeitspapier der Synode.                        dem brasilianischen Teil Amazoniens ist die
                                                               Erde die Mutter und der Wald der Ort der
     Ein Blatt mit Leben                                       spirituellen Kraft. Nimmt man ihnen bei-
     Aber wie gehen die FyA-Lehrer vor in ih-                  des weg, nimmt man ihnen die Identität.
     rem Einsatz für Umwelt, Kultur und Iden-                  Ihr Lebensraum ist durch die zunehmende
     tität? Bei ihrer Arbeit mit den Sechs- bis                Rodung gefährdet, denn Holzfäller dringen
     Siebenjährigen benötigt Elluz Pernia dafür                immer weiter in die Regenwälder vor. Die
     nur zwei Blätter: ein saftiges, grünes und                „Equipe Itinerante“, ein jesuitisches Pro-
     ein trockenes Blatt. „Ein Blatt leuchtet und              jekt zum Schutz der indigenen Kultur und
     ist bunt, lebendig und glatt. Hinter ihm                  Lebensräume, unterstützt die Ureinwohner
     verbirgt sich die Schönheit des Lebens, der               im Regenwald, die Koordinaten von illegal
     Schöpfung und der Natur, die es zu pfle-                  gefällten Tropenbäumen zu erfassen und sie
     gen und zu respektieren gilt. Das andere ist              an die Umweltbehörde weiterzuleiten, die
     düster und zerbrechlich und kurz davor, zu                den Wald per Satellit überwacht. Die Equipe
     Staub zu zerfallen. „Die Pflanzen sind sehr               wurde vor 20 Jahren von Claudio Perani SJ
     wichtig für den Planeten und für unser                    gegründet. Barabo, einer der indigenen Ak-

14 jesuitenweltweit
Amazonien

tivisten, sagt bei der Synode: „Gott hat alle
Lebewesen in Abhängigkeit voneinander ge-
schaffen. Die Menschen zerstören jetzt diese
Harmonie. Es ist einfach zu zerstören, aber
schwer zu erschaffen.“

Globaler Klimaschutz als Kernthema
Als Beispiel für den globalen Klimaschutz
wurde auch der Einsatz der Aktivistin Greta
Thunberg hervorgehoben. Die von ihr initi-
ierten Schulstreiks haben für die junge Ge-
neration eine große Bedeutung. In diesem
Zusammenhang forderte der Vorsitzende
der Deutschen Bischofskonferenz, Kardi-
nal Reinhard Marx, die Industrieländer
auf, Verantwortung für den Klimaschutz zu
übernehmen und die Länder des Südens zu
unterstützen.

Der Weg ist die Veränderung
Die Erkenntnis, dass es eine Kehrtwende
braucht, hat auch die Kirche erfasst. Es ist
eine Veränderung, die bei Bildung anset-
zen muss: „Mit Bildung können wir jungen
Menschen Orientierung geben, um den Pla-        Der Amazonas ist Heimat für drei Millionen Ureinwohner
neten zu schützen und zu retten“, schreiben     von 400 verschiedenen Stämmen.
die Lehrer von FyA in einem Statement. Die
Tragödie des Amazonas habe letztendlich
die Menschen aufgeweckt und zu einem            573 Tonnen Kohlendioxid, davon 438 Ton-
Schritt in Richtung mehr Gerechtigkeit bei-     nen für Flugreisen, die im Zusammenhang
getragen. Zu einem Schritt, den in Amazo-       mit der Amazonien-Synode anfielen, kom-
nien indigene und nicht indigene Menschen       pensiert. Kurienkardinal Lorenzo Baldisseri
gemeinsam gehen, um das gemeinsame              schlug vor, 50 Hektar im Amazonasbecken
Haus zu retten.“                                aufzuforsten.
                                                                                Sara Gratt
Klare Zeichen für den Umweltschutz
Das gemeinsame Haus, in dem wir alle le-
ben, können wir auch fern des Amazonas in        Handeln und helfen
Europa schützen. Der Vatikan ging hier bei
der Synode mit gutem Beispiel voran: Ta-         jesuitenmission.de/Amazonas
gungsmaterialien wie Papier, Stifte und Ta-      jesuitenmission.at/Amazonas
schen kamen durchwegs aus umweltfreund-          jesuitenmission.de/CO2Rechner
licher Produktion, Einwegplastik wurde           jesuitenmission.at/CO2Rechner
nicht verwendet. Zudem werden geschätzte

                                                                                    jesuitenweltweit 15
Kunst

     Hinschauen, nachdenken, vorausschauen!
     Opern-Regisseur und Holzschnitt-Künstler: Felix Dieckmann wandelt zwischen
     den Welten, genauso wie zwischen seiner Wahlheimat Österreich und Japan.
     Pater Heinz Hamm SJ, seit 40 Jahren in Tokio, stellt den Künstler vor, Pater Joe
     Übelmesser SJ Teile seiner Rosenkranz-Serie.

                      F
                            elix Dieckmann, ein     weise konnte die Sophia-Universität ihn für
                            sehr bescheidener und   Ausstellungen zu dem Thema „Faust und
                            großzügiger Mann,       Don Giovanni“ gewinnen, für die Ignatius
                      ist überzeugter Katholik.     Kirche in Tokio und die Weltfriedenskirche
                      Seine Bilder stellen unauf-   in Hiroshima zum Thema „Rosenkranz der
                      dringlich dem Betrachter      Begegnung“, anlässlich einer Gedenkfeier
                      Lebenssituationen vor, die    zum Ende des Erstens Weltkrieges für eine
                      ihn zum Nachdenken über       Veranstaltung zu dem Thema „Krieg und
                      sein Verhalten gegenüber      Frieden“ in Nagasaki. Fünf ausgewählte
                      dem Mitmenschen bewe-         Werke der Rosenkranz-Reihe finden Sie auf
                      gen: Hinschauen! Nachden-     den nächsten Seiten.
                      ken! Vorausschauen!
                                                    Auseinandersetzung mit dem Anderen
                                                    China und Japan haben eine klassische Tradi-
     Leidenschaft Holzschnitt                       tion des Farbholzschnittes. Die japanischen
     Dieckmann wurde 1946 in Lüdenscheid            Meister sind unübertroffen. Der Holzschnitt
     geboren und studierte in Düsseldorf Ger-       ist eine überraschend intime Kunst. Holz
     manistik. Seit seiner Kindheit wollte er als   ist ein sehr lebendiges Material. Die Hand-
     Opern-Regisseur arbeiten, wurde schließ-       schrift des Künstlers muss sich diesem Stoff
     lich Professor am Linzer Bruckner-Kon-         anpassen. Die Farben haben ein Eigenleben,
     servatorium und lebt seit über 30 Jahren       die Oberfläche der Druckpapiere bilden wie-
     in Österreich. Als Regisseur inszenierte       derum ihre besondere Welt. Daher ist die
     er mehr als 40 Opern. Der Holzschnitt          Tätigkeit des Künstlers eine dauernde Ausei-
     ist die andere Leidenschaft seines Lebens.     nandersetzung mit dem Anderen. Sie machte
     Zufälligerweise wurden einige seiner Farb-     Felix Dieckmann fähig zur Begegnung mit
     holzschnitte in Japan gezeigt, als ich Felix   fremden Kulturen.
     Dieckmann durch eine Empfehlung der
     Erzdiözese Köln kennenlernte. Glücklicher-                       P. Heinz Hamm SJ, Tokio

16 jesuitenweltweit
Verkündigung
Da begegnen sich Himmel und Erde.
Damit es Friede werde
unter uns.
Die grüne Erde und der blaue Himmel.
Grünes begegnet dem Blau
der hohe Engel trifft die junge Frau
und es ereignet sich:
das Wort ist Fleisch geworden,
und hat unter uns gewohnt.

                                       jesuitenweltweit 17
Kunst

                 Magnificat
                 Ein Mensch, sosehr von Gott erfüllt,
                 dass er nur noch ein Finger ist,
                 der steil nach oben zeigt,
                 als ob er sagen will:
                 Was da geschehen ist,
                 stammt nicht von mir.
                 Und doch darf ich dabei sein,
                 als die kleine Magd des Herrn.

18 jesuitenweltweit
Kunst

Bethlehem
Schau nur das Dach überm Stall,
ein krummer, eckiger Himmel.
Und alle drängen um das Kind.
Der guten Hirten sind es vier,
Weit her kommen Könige, drei
und ganz nah die zwei
Josef und die Mutter.
Wie ein missglückter Scherenschnitt,
noch einmal zwei stumme Besucher.
Ochs und Esel ganz im Hintergrund.

                                       jesuitenweltweit 19
Kunst

                 Simeon
                 Wie ein Junger Held steht er auf!
                 und reckt sich der Zukunft entgegen
                 als wäre er noch einmal jung
                 und all die Jahre seien abgefallen
                 wie ein lose verknüpftes Tuch.
                 Kein Wunder!
                 Er hat in den Augen eines Kindes
                 das Licht und das Heil,
                 das für alle Welt bereitet ist.

20 jesuitenweltweit
Kunst

Zachäus
Höher hinauf, mein kleiner Mann!
Du willst ihn schließlich sehen,
Es ist genauso wie beim Fotografieren:
Wenn du die Kamera siehst,
dann sieht sie dich auch.
Und er hat dich gesehen.
Und er schaut hinauf zu dir und sagt:
Steig herunter, Zachäus!
Ich will heute dein Gast sein.

                                         jesuitenweltweit 21
Kinderschutz ist Pflicht
     Das Bewusstsein für Kinderschutz und Kinderrechte ist innerhalb des Jesuitenor-
     dens weltweit stark gewachsen. Es gibt verbindliche Maßnahmen, um für Kinder
     ein sicheres Umfeld zu schaffen.

     J
          etzt ist es passiert: Das rohe Ei ist zu   Direkte Arbeit mit Kindern
          Boden gefallen, die Schale aufgeplatzt,    In vielen Ländern der Erde leiten Jesuiten
          Eigelb und Eiweiß verlaufen zu einer       Bildungseinrichtungen, die wir als Jesui-
     Pfütze im Sand. Das Netz, das unsere Klein-     tenmission unterstützen. In Indien, Kam-
     gruppe aus einem Bindfaden um das Ei he-        bodscha, Osttimor, Simbabwe, Mosam-
     rumgeknotet hat, ist beim dritten Lauf ab-      bik, Südsudan fördern wir zum Beispiel
     gerutscht und hat dem Ei keinen Halt mehr       Schulen mit angeschlossenen Internaten,
     geboten. „Dieses Spiel lässt sich an jedem      so dass auch Kinder aus ländlichen Berei-
     Ort der Welt umsetzen und verdeutlicht so-      chen eine Chance auf gute Bildung haben.
     fort, worum es beim Kinderschutz geht“, er-     In Südamerika unterstützen wir in mehre-
     klärt Brian Cranmer, der den Workshop für       ren Ländern das jesuitische Schulwerk Fe
     die Mitglieder des Xavier Netzwerkes leitet.    y Alegría, das Bildung in sozial schwache
     „Kinderschutz muss funktionieren wie ein        Regionen bringt. Alle Projekte haben eine
     stabiles Netz, das im Team engmaschig ge-       Gemeinsamkeit: Es geht um direkte Arbeit
     knüpft, gespannt und gehalten wird.“            mit Kindern. Und das bringt eine große

22 jesuitenweltweit
Kinderschutz

Verantwortung mit sich. Das Xavier Netz-       Radio Chikuni klärt auf
werk als internationaler Zusammenschluss       Wir müssen den Kindern vermitteln, dass
von Jesuitenmissionen und jesuitischen         sie eine Stimme haben und Rechte. Auf
NGOs hat für alle Mitgliedsorganisatio-        körperliche und seelische Unversehrtheit,
nen und Projektpartner verbindliche Stan-      aber auch darauf, in die Schule zu gehen,
dards beschlossen, die spätestens bis Anfang   was in Teilen unserer Provinz und in ganz
2020 umgesetzt sein müssen. Der mehr-          Afrika alles andere als selbstverständlich
tägige Workshop Anfang Oktober diente          ist. Ein tolles Beispiel, wie es gehen kann,
dazu, den Projektverantwortlichen im Xa-       ist unsere Missionsstation Chikuni: Dort
vier Netzwerk das notwendige Wissen und        hängen auf den Bäumen überall Plakate,
Rüstzeug an die Hand zu geben.                 die Kinderrechte proklamieren und den
                                               Kindern deutlich machen, dass ihnen kei-
Worum es beim Kinderschutz konkret geht,       ner etwas zuleide tun darf, dass es selbst-
schildern uns P. Peter Caroll SJ aus Sambia    verständlich ist, dass sie in den Unterricht
und P. Stephan Lipke SJ aus Russland.          gehen. Diese Aussagen werden auch über
                                               Radio Chikuni in die entlegensten Dörfer
Sambia: Bewusstsein schaffen                   getragen, mit Wortbeiträgen oder traditio-
Wie überall auf der Welt gab es auch in        nellen Musikstücken, die diese Themen be-
Sambia Vorfälle, die das Wohl von Kindern      handeln. Auch in anderen Einrichtungen,
gefährdet haben: Fälle von Missbrauch          etwa in Kasisi oder in der St. Xavier Schule
und Gewalt und Kinderarbeit. 2014 ha-          in Lusaka, hängen große Plakate, die un-
ben wir uns auf eine für alle Einrichtungen    missverständlich darauf hinweisen.
gültige Politik geeinigt. Sie wird seit 2015
konsequent umgesetzt und entspricht ei-        Kultursensible Vorgehensweise
nem Maßnahmenkatalog, der 2018 von             Missbrauch, Misshandlung und Ausbeu-
allen afrikanischen Jesuiten-Provinzen be-     tung von Kindern sind leider weit verbrei-
schlossen wurde. Wichtigster Punkt ist:        tet. Das Problem ist sehr virulent, überall
Bewusstsein schaffen. Wir schulen zwei         bekannt, aber es gab darüber lange keine
bis drei Mal im Jahr Mitarbeiterinnen und      Diskussion. Offen darüber zu reden, ist
Mitarbeiter unserer Einrichtungen, die         ein Tabu. In afrikanischen Gesellschaf-
mit Kindern arbeiten. Dieser Austausch ist     ten haben meist Männer das Sagen. Und
sehr wichtig, da erst im Gespräch mitein-      sie sind fast immer die Täter. Frauen ha-
ander bestimmte Dinge klar werden und          ben keine Stimme, erst recht nicht Kinder.
auch ausgesprochen werden. Etwa was            Dazu kommt die Armut: Kinder werden
Missbrauch bedeutet, welche Formen es          leicht zu Opfern, wenn sie etwa für sexuelle
gibt, dass die Täter meist keine Fremden       Gegenleistungen Geld oder etwas zu essen
sind, sondern Nachbarn sein können, Ver-       bekommen. Auch Kinderarbeit ist allge-
wandte, Lehrer, Kleriker. Die Schulungen       genwärtig. Wir müssen hier kultursensibel
übernimmt meine Mitarbeiterin Dorothy          vorgehen. Erster Schritt muss sein, mit den
Hambayi, eine Krankenschwester, die viel       Betroffenen zu reden. Oft gibt es auch bei
Expertise mitbringt. Sie geht auch raus in     den Erwachsenen kein Bewusstsein, dass
die Gemeinden und sieht sich die Lage vor      Kinder nicht arbeiten sollen. Dazu sollten
Ort an, schult dort die Mitarbeiter, die das   flächendeckend unsere Sozialarbeiter den
Wissen weitergeben.                            Umgang mit Kindern im Auge behalten.

                                                                            jesuitenweltweit 23
Kinderschutz

            Wenn Kinder Schaden nehmen, müssen                     Risikofaktoren
            natürlich auch die Behörden eingeschaltet             Leider gibt es aber immer wieder auch das
            werden. Die Lage ist eine ganz andere als in          Umgekehrte: Missionare, die zu Tätern
            Europa, wir brauchen Geduld, da etwa Kin-             werden. Es gibt sogar bestimmte Risikofak-
            derarbeit tiefe gesellschaftliche Wurzeln hat.        toren, die bei Missionaren besonders stark
            Auch mit Behörden ist es gerade auf dem               ausgeprägt sind: Missionarinnen und Mis-
            Land nicht immer einfach, da die Sensibili-           sionare wagen sich in Neuland vor, deshalb
            tät fehlt oder der Dorfpolizist alle Familien         ist dort oft niemand, mit dem sie sich aus-
            kennt oder mit ihnen verwandt ist.                    tauschen, aber auch ein bisschen gegenseitig
                                                                  beaufsichtigen können. Nicht immer kom-
                                              Peter Carroll SJ,   men sie, kommen wir mit der Einsamkeit
                              Province Child Protection Officer   zurecht, bei uns in Russland auch mit der
                                                                  Kälte und Dunkelheit, mit dem Alkohol.
            Russland: Mission und Missbrauch                      Oft haben wir zu tun mit Leuten, die von
            Wenn Einsatz für den Glauben die Sorge                uns wirtschaftlich abhängig sind und die
                       um Gerechtigkeit einschließt,              sich deshalb schwertun, uns gegenüber nein
                       dann ist Mission – zumin-                  zu sagen oder uns zu kritisieren. Außerdem
                       dest indirekt – auch Einsatz               gibt es wohl – leider – Bistümer und Or-
                       gegen sexuellen Missbrauch.                densgemeinschaften, die in ferne Missionen
                       Tatsächlich haben Missiona-                Mitbrüder schicken, mit denen es Probleme
                       rinnen und Missionare über                 gibt. Auch die Missionen der Jesuiten sind
                       die Jahrhunderte Kinder vor                nicht immer frei davon gewesen.
                       Sklaverei und damit vor se-
                       xueller Ausbeutung bewahrt,                Nähe und Macht
                       Soldaten vom Vergewaltigen                 Deshalb hat sich auch die Russische Region
                       abgehalten, Menschen Arbeit                der Gesellschaft Jesu Regeln für den Um-
                       und Bildung statt Abhängig-                gang mit den uns anvertrauten Menschen
                       keit geboten.                              gegeben, besonders mit Minderjährigen,
                                                                  Behinderten, Ausgegrenzten. Diese Regeln
                              Beispiele für Einsatz gegen         setzen bereits da an, wo Nähe allmählich
                              Missbrauch aus jüngerer Zeit        zu viel Nähe oder Macht allmählich zu viel
                              sind P. Hieronymus Messmer          Macht wird: Es ist nötig, dass die Beichte
                              SJ, der in den 1990er Jahren        in einem geschützten Raum mit Privat-
                              während des Bürgerkriegs in         sphäre stattfindet, aber nicht in einer en-
                              Tadschikistan zahlreiche Fami-      gen Kammer, in der alles Mögliche vor sich
                              lien mit Frauen und Kindern         gehen kann, und erst recht nicht im priva-
                              außer Landes und damit außer        ten Zimmer eines Priesters. Es ist normal,
                              Gefahr bringen konnte, und          gelegentlich in der Seelsorge jemanden zu
                              P. Krzysztof Korolczuk SJ. Er       umarmen, im Sportunterricht oder bei der
                              hat in Kirgistan während der        Messdienerprobe jemanden zu berühren,
Peter Carroll SJ (oben) und   Pogrome gegen die usbekische        etwa um eine Bewegung zu korrigieren.
Stephan Lipke SJ koordinie-   Minderheit 2010 viele Frauen        Aber der Missionar selbst, seine Mitbrüder,
ren die Kinderschutz­
                    maß­      und Kinder vor Gewalt be-           Kolleginnen und Kollegen müssen darauf
nahmen ihrer Provinzen.       wahrt.                              achten, dass daraus nicht Grenzüberschrei-

   24 jesuitenweltweit
Kinderschutz

In Afrika ist der Kampf fürs Recht auf ein Leben ohne Gewalt auch ein Kampf gegen Tabus.

tungen werden: aufdringlich, zu viel, zu                    Kinderschutzzentrum an der Gregoriana in
eng. Es ist unvermeidlich, dass jemand mit                  Rom und die Caritas in St. Petersburg. Im
einer leitenden Funktion in einer Mission                   Mai waren wir in Saratow an der Wolga, im
wie ein Oberer oder Pfarrer viele Vollmach-                 Oktober kamen verschiedene Regionen an
ten hat. Er darf aber nicht Menschen von                    die Reihe, von Kaliningrad bis Irkutsk. Mir
sich abhängig machen, indem er z.B. allei-                  scheint, dass dieses Programm mit großem
ne und ohne Beratung große Geschenke                        Interesse angenommen wird.
macht oder über Arbeitsverhältnisse ent-
scheidet. Solche Regeln sind wohl ebenso                                              Stephan Lipke SJ,
wichtig wie eine klare Vorgehensweise bei                   Direktor des St.-Thomas-Instituts in Moskau
einem konkreten Missbrauchsverdacht.

Seminare in der ganzen Region
Seit Anfang 2019 gibt es nun ähnliche Re-
geln für alle Tätigkeiten der katholischen                   Mehr zu unseren Standards
Kirche in Russland. Unser St.-Thomas-                        und Verpflichtungen:
Institut ist damit beauftragt, Seminare für
Priester, Ordensleute, Caritasdirektoren und                 jesuitenmission.de/Kinderschutz
andere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der                  jesuitenmission.at/Kinderschutz
Kirche zu organisieren. Dabei helfen uns das

                                                                                           jesuitenweltweit 25
Krippenspiel
     im September
     12 Tage in Simbabwe, Sambia und Mosambik: Provinzial Johannes Siebner SJ
     schildert Eindrücke zwischen Aufbruchsstimmung und Hoffnungslosigkeit.

     W
                   enn Engel Himmel und Erde         den Verkündigungsengel vor? Wie stelle
                   verbinden sollen, dann müssen     ich mir die Verkündigung von „froher Bot-
                   sie doch fliegen können – das     schaft“ vor? Welche Art Flügel und welchen
     versteht sich von selbst. Deswegen kommt        Tonfall braucht es, um Himmel und Erde
     kein Engelskostüm ohne die entsprechen-         zu verbinden? Aber es ist da noch eine an-
     den Accessoires aus. Was aber tun, wenn         dere sehr starke Erinnerung an diese Begeg-
     beim besten Willen keine Flügel aufzutrei-      nung im Waisenhaus von Makumbi, etwa
     ben sind? Der Engel, den ich im Waisen-         50 Kilometer außerhalb von Harare: Direkt
     haus von Makumbi kennen lernen durfte,          vor dem Treffen mit den Kindern und Ju-
     hatte lediglich ein weißes Chorhemdchen         gendlichen in der Aula haben wir mit der
     aus der Sakristei über die Kleidung gewor-      Leitung der Missionsstation ernsthaft über
     fen. Und er hüpfte durch die gesamte Sze-       die Probleme mit der Wasserversorgung für
     ne, was die Beine hergaben. Und er rief sehr    die Kinder gesprochen. Ich wollte es erst
     laut, ja er brüllte fast – zunächst musste er   nicht glauben: Das kann doch nicht wahr
     natürlich Maria beeindrucken, später die        sein; das darf einfach nicht sein! Nicht in
     Hirten auf dem Feld.                            diesem wunderschönen, an sich fruchtba-
                                                     ren und an sich reichen Land.
     Fruchtbares Land ohne Wasser
     Das Bild des auf und ab hüpfenden und           Wenig Hoffnung in Simbabwe
     laut rufenden Engels hat mich noch viele        Simbabwe ist in keinem guten Zustand.
     Tage nach der Rückkehr aus Afrika beglei-       Die vielen Flaggen hingen während all der
     tet und beschäftigt. Wie stellt ein Kind sich   Tage meines Aufenthalts auf Halbmast,

26 jesuitenweltweit
Afrika

Staatstrauer war angesagt über viele Tage,    vor Ort entscheidenden Sprache Chichewa.
ja Wochen, da die Begräbnisfeiern des ver-    Die Zeit mit ihm, den Mitbrüdern seiner
storbenen Tyrannen Robert Mugabe auf          Kommunität, den Teams des Begegnungs-
sich warten ließen. Mir wurde dieses allge-   hauses Satemwa und der Missionsstation
genwärtige Symbol zu einem Zeit-Zeichen       Lafidzi ist erfüllt von Hoffnung und Auf-
über dieses Land. Ich fragte immer wieder     bruch. Die Kirche „brummt“ hier im Nor-
nach, ob es jetzt ein Aufatmen oder gar       den des Landes und die Jesuiten dürfen Teil
neue Hoffnung gibt, und ob jetzt offen ge-    davon sein – Deo Gratias.
sprochen werden kann über die vergange-
nen 40 Jahre. Nein. Einige gar sehnen sich
im Blick auf die jetzige politische Führung
sogar nach Mugabe zurück. Das ist erschüt-
ternd. Und da ist tatsächlich im Moment,
jedenfalls in dem zugegeben kleinen Um-
feld, in dem ich mich bewegt habe, keine
Aufbruchsstimmung, kaum Hoffnung.

Mosambik: Die Kirche brummt
Aber ich will und kann mich nicht als po-
litischer Journalist betätigen. Ich möchte
einfach ein wenig teilen, was ich sehen und
erfahren durfte auf meiner Reise. Und dazu
gehören neben dieser Nachdenklichkeit         Alte Weggefährten: Jesuiten-Provinzial Johannes Siebner SJ
natürlich vor allem die Begegnungen und       und Pater Heribert Müller (li.) in Mosambik.
Gespräche mit vielen Mitarbeiterinnen und
Mitarbeitern in den drei Ländern und in       Sambia wird grüner
„unseren“ Werken. Da stechen heraus die       Den Abschluss meiner Reise bildet der Be-
schönen und berührenden Begegnungen           such im Kasisi Agricultural Training Center
mit den Mitbrüdern; ich denke vor allem       (KATC) am Stadtrand von Lusaka, Sambia.
an die alten und teilweise kranken Mitbrü-    Claus Recktenwald SJ hat dort angefangen,
der im Haus Richartz in Harare.               nur zwei Wochen bevor wir dort waren. So
                                              hat es sich wunderbar ergeben, ihn in die-
Mit Pater Heribert Fernando Müller bin        ser Zeit der Orientierung zu treffen. Hier
ich vor nunmehr 36 Jahren ins Noviziat        im KATC geht es um Ökologie, Bio-Anbau
eingetreten. 1987 ging er nach Afrika und     und Nachhaltigkeit in einem sehr weitrei-
ist geblieben. Wir haben uns nie ganz aus     chenden Umfang. Es ist wirklich bemer-
den Augen verloren; aber die Entfernung       kenswert, mit welchem Einsatz, mit welcher
ist eben doch groß. Die drei Tage mit ihm     Konsequenz und mit welch erstaunlicher
im Norden Mosambiks sind rundum schön         Reichweite hier alternative Anbaumetho-
und ermutigend. Seit zwei Jahren leitet       den probiert und verbreitet werden. Aus
er hier das Schulprojekt ESIL, nach vie-      einem weiten Einzugsbereich kommen die
len Jahren unterschiedlicher Aufgaben in      Multiplikatoren, um das „grüne Klassen-
Simbabwe und Mosambik. Portugiesisch          zimmer“ zu besuchen und dann daheim die
spricht er und macht Fortschritte in der      Botschaft weiterzugeben.

                                                                                     jesuitenweltweit 27
Syrien – Deutschland

                                                                 weltbegeistert

      Ein europäischer Bürgermeister
      Vom Freiwilligen zum Stadtoberhaupt: Der Schwarzwälder Dominic Fritz kam
      als JEV ins rumänische Timișoara und verliebte sich in die Stadt. Im kommen-
      den Jahr tritt er in seiner Wahlheimat bei den Kommunalwahlen an.

     E
             s ist nicht leicht, Dominic Samuel     das Freiwilligenprogramm der deutschen
             Fritz ans Telefon zu bekommen. Ter-    Jesuiten-Provinz damals hieß. „Ich kann
             mine, Gespräche, Anfragen, Inter-      mich noch sehr genau an mein Ankommen
     views. Verbände, Vereine, Medien, Bürger.      in der Stadt erinnern“, berichtet er, „ich war
     Dominic Fritz dürfte dieser Tage einer der     gespannt, denn Rumänien war damals eines
     gefragtesten Menschen in Timișoara sein.       meiner Wunschländer“. Während vielen sei-
     Denn dort will der 36-Jährige im Juni 2020     ner JEV-Kollegen ein Aufenthalt in Asien,
     Bürgermeister werden, und schon jetzt ist      Afrika oder Lateinamerika reizvoll schien,
     der Wahlkampf in seiner heißen Phase an-       wollte er seine persönliche Terra Incognita,
     gekommen.                                      den Osten Europas, entdecken. Seine Sen-
                                                    dung führte ihn in ein Kinderheim: „Damals
     „Terra Incognita“ im Osten Europas             waren die sozialen Probleme in Rumänien
     Das Besondere: Dominic Fritz ist kein Ru-      sehr deutlich ausgeprägt“, sagt Fritz, „ver-
     mäne, auch keiner der rund 10.000 Deutsch-     wahrloste Kinder, die Klebstoff schnüffeln,
     Rumänen von Temeswar – so der historische      gehörten zum Stadtbild.“ Natürlich nicht im
     deutsche Name der Stadt. Er ist in einem       „Freidorfer Kinderhaus“, wo Fritz ein Jahr
     kleinen Ort im Schwarzwald aufgewachsen.       lang gearbeitet hat. Aber auch hier spürte er
     Zum Temeswarer wurde er erst 2003. Und         die Gegensätze zur Heimat: „Dass hier viele
     das als Jesuit European Volunteer (JEV), wie   Kinder auf einem Haufen wohnen, hat mich

28 jesuitenweltweit
Rumänien

als Bruder von sieben Geschwistern nicht         Dass er nicht mal einen rumänischen Pass
gestört.“ Aber: „Dass diese Kinder keine Fa-     hat, sei für sein Vorhaben kein Problem:
milie haben und vom Staat kaum Unterstüt-        „Die Stadt war und ist multikulturell.“ Und
zung erfahren, das fand ich schrecklich.“        sie verfügt als ehemalige Metropole der
                                                 Habsburgermonarchie durch den Zuzug
Vom „großen Bruder“ zum Taufpaten                der „Donauschwaben“ seit dem 17. Jahr-
Schnell fanden sie in Dominic einen neu-         hundert über ein reiches deutsches Erbe.
en großen Bruder – und das gilt bis heute.       Und nein: Dass Rumänien mal als eines
Denn der Schwarzwälder fand in Timișoara         der Armenhäuser der EU galt, davon sei in
nicht nur eine zweite Familie, sondern auch      der drittgrößten Stadt des Landes mit ihren
eine zweite Heimat: „Nach meinem Jahr            knapp 307.000 Einwohnern nichts zu spü-
als Freiwilliger habe ich nie den Kontakt zu     ren: „In Timișoara hat sich sehr viel getan
meinen Leuten verloren.“ Mittlerweile ist er     in den vergangenen 15 Jahren“, räumt der
nicht mehr nur „Bruder“, sondern Taufpate        Kandidat ein. Die Wirtschaft boomt, die
der Kinder seiner ehemaligen Schützlinge,        Universität lockt junge Menschen aus aller
die jetzt alle erwachsen sind. Der begeisterte   Welt, die historische Altstadt glänzt. Und:
Sänger und Absolvent des jesuitischen Gym-       Die Stadt macht sich bereit für ihren gro-
nasiums St. Blasien hat schon 2005 einen         ßen Auftritt als Europäische Kulturhaupt-
Chor aus der Taufe gehoben, das „Timișoara       stadt 2021.
Gospel Project“, wo Dutzende von Laien-
und Profisängern zusammenkommen, um              Kampf gegen Vetternwirtschaft
gemeinsam für einen guten Zweck zu singen.       „Das Problem aber ist: Die Menschen und
Im vergangenen Jahr hat er sich nun ent-         die Wirtschaft in Timișoara sind schon viel
schieden, nicht mehr nur „im Kleinen“ die        weiter als Politik und Verwaltung“, sagt
Dinge voranzubringen im äußersten Westen         Fritz. Defizite macht er vor allem in den
Rumäniens, sondern an vorderster Front. Als      Bereichen „Stadtplanung, Verkehr und
Bürgermeister. Und zwar „als europäischer
Bürgermeister einer europäischen Stadt“.

Sinnbild der Völkerverständigung
„Rumänien ist in Europa angekommen“,
sagt Fritz, und vor allem Timișoara sei hier
ein Vorreiter, schon aufgrund seiner Ge-
schichte: „Seit Jahrhunderten leben hier eth-
nische Rumänen, Ungarn, Serben, Slowaken
und Deutsche friedlich miteinander.“ Eine
Stadt als Sinnbild von Völkerverständigung
und friedlicher Koexistenz, eine wohlhaben-
de Stadt mit einer Arbeitslosenquote von un-
ter einem Prozent.

Das wirft natürlich die Frage auf, warum
man sich – und das als Ausländer – auf­macht,    Die zweite Familie: Dominic Fritz hat 2003/04 in einem
die politischen Geschicke zu ändern?             Temeswarer Kinderheim gearbeitet.

                                                                                     jesuitenweltweit 29
Syrien – Deutschland

      Vor 14 Jahren zog es Dominic Fitz und seine JEV-Mitstreiter in die Welt. Für ihn wurde der Einsatzort Heimat.

     Infrastruktur“ aus. Auch wenn die Anti-                       in Deutschland und hat ab 2013 für den
     korruptionsmaßnahmen der letzten Jahre                        ehemaligen Bundespräsidenten Horst Köh-
     Früchte tragen, und die einst allgegenwär-                    ler gearbeitet, ab 2016 als Leiter des Berliner
     tige Alltagskultur der Bestechung auf dem                     Büros. Vorher war der Politik- und Verwal-
     Rückzug sei, bleibe das strukturelle Prob-                    tungswissenschaftler für die Gesellschaft für
     lem einer behäbigen Verwaltung, anfällig                      Internationale Zusammenarbeit (GIZ) tätig.
     für Verschleppen und Vetternwirtschaft.                       Jetzt möchte er seine Leidenschaft für Politik
     Das will er ändern und ein „wahrhaft eu-                      und Verwaltung „in einem konkreten und
     ropäisches, grünes, innovatives Temeswar“                     lokalen Kontext umsetzen“, schreibt er auf
     entwickeln. „Gemeinsam werden wir den                         seiner Website. Und zwar „dort, wo mein
     Geist von Temeswar wiedererlangen“, ist                       Herz schlägt, einem Ort, der zu meinem Zu-
     der Wahlkampfslogan von Dominic Fritz                         hause geworden ist: in Temeswar.“
     und seiner Partei USR, der „Union Rettet
     Rumänien“, einer jungen, eher unideologi-                                                        Steffen Windschall
     schen Gruppierung mit ihrem Parteivorsit-
     zenden Dan Barna, den Beobachter schon
     mal als „Emmanuel Macron Rumäniens“
     bezeichnen.                                                   Rumänien ist weiter ein Fixpunkt auf der
                                                                   JV-Landkarte. In ihren Blogs berichten Jacob
     Außer einer gehörigen Portion Idealismus                      und Tobias über ihren Freiwilligendienst in
     bringt Fritz auch politische Erfahrung mit:                   Bukarest: jesuit-volunteers.org/jv-sein
     Bis vor Kurzem war er Mitglied der Grünen

30 jesuitenweltweit
Nachrufe

Trauer um den Chronisten Indonesiens
Pater Adolf Heuken SJ (17. Juli 1929 – 25. Juli 2019)

Pater Adolf Heuken kam 1963, also direkt nach dem Abschluss seiner Ordenstheologie,
nach Indonesien. Angeblich, weil er bei seinem Eintritt in die Westdeutsche Jesuitenpro-
vinz 1950 in Eringerfeld sich erbeten hatte, später in die Mission geschickt zu werden.
Adolf stammte aus einer tief katholischen Familie. Geboren wurde er in Coesfeld im Müns-
terland als erstes von acht Geschwistern, aber seine eigentliche Heimat war Telgte, wohin
wenig später sein Vater, ein Lehrer, versetzt wurde. Adolf weigerte sich, in die Hitlerjugend
einzutreten. Und als ihn im Februar 1945, er war gerade 16 Jahre alt, die SS einziehen
wollte, meldete er sich bei der Luftwaffe, darauf spekulierend, dass er mit seiner Farben-
blindheit jedenfalls nie fliegen würde.

Drei Meter Bücher
In Indonesien schloss Adolf zunächst im
schönen, relativ kühlen, 470 Meter hoch
gelegenen Girisonta sein Terziat ab. Sein
Terziariermeister war Msgr. Willekens, Alt-
bischof von Jakarta, mit dem er sich bestens
verstand. Immer wenn ihm in den Gesprä-
chen nichts einfiel, fragte er einfach, auf
Holländisch: „Monsignore, wie war das zu
Ihrer Zeit in Jakarta?“, womit das Colloqui-
um gerettet war. Nach dem Terziat beauf-
tragte ihn Provinial A. Sunarjo, in Jakarta
P. Joop Beek in der Laienarbeit zu helfen.
Während Pater Beek durch Kurse Katho-
liken aus ganz Indonesien zu politischer „Vom Morgen bis in die Nacht am Schreibtisch“: Hier ver-
Verantwortung ausbildete, schrieb Adolf fasste Adolf Heuken SJ u.a. sein Indonesisch-Wörterbuch.
Bücher und Broschüren. Zudem hielt er in
seinen ersten Jahren Vorlesungen in Moraltheologie am Priesterseminar in Yogyakarta und
an der Philosophischen Driyarkara-Hochschule in Jakarta. Adolf Heuken gehörte zu einer
heute selten gewordenen Brut von Jesuiten. Von Morgen bis in die Nacht habe ich Adolf
nie anders als an seinem Schreibtisch arbeitend getroffen. Er selbst behauptete, dass, ne-
beneinander gestellt, seine Publikationen, die meisten auf Indonesisch, einige auf Englisch,
drei Meter Regal füllen würden. Darunter waren die neun Bände einer Enzyklopädie über
die indonesische Kirche und ein interessant bebildertes Buch über 150 Jahre Jesuiten in
Indonesien. Er schrieb immer Bücher, von denen er meinte, dass sie fehlen. So publizierte
er vor 35 Jahren die vier Bände einer „Ensiklopedia Pancasila“, also einer Enzyklopädie
über Indonesien von einem politisch-soziologischen Standpunkt aus, die ich immer noch
benütze. In Zusammenarbeit mit dem Langenscheidt-Verlag schrieb er ein Deutsch-In-
donesisches und dann ein Indonesisch-Deutsches Wörterbuch von je etwa 640 Seiten, bis
heute mit Abstand das Beste seiner Art.

                                                                                 jesuitenweltweit 31
Nachrufe

     Leidenschaft für Kultur und Geschichte
     Was ihn am meisten interessierte, war Geschichte. Schon 1971 schrieb er ein Buch über die
     Geschichte der katholischen Kirche in Indonesien. Aber vor allem hatte es ihm Jakarta angetan,
     das alte Batavia, inzwischen eine im Verkehr ertrinkende Zwölfmillionenstadt.

      Adolf kränkte es sehr, dass zahlreiche alte Bauten aus der holländischen Kolonialzeit in Ver-
      fall gerieten, oft abgerissen wurden und jedenfalls keine Beachtung fanden. Zitiert wurde sein
      Ausspruch: „Eine Stadt ohne alte Gebäude ist wie ein Mensch ohne Erinnerung.“ Sein meist
      gelesenes Buch wurde das auch für Fachleute unentbehrliche „Historical Sites of Jakarta“, das
      dann in allen großen Hotels der Stadt auslag, das, wie die Tageszeitung „Jakarta Post“ schrieb,
     „als definitiver Maßstab für akademische Schriften über die Geschichte von Jakarta“ gilt. Spä-
      ter schrieb er ein Buch über alte Moscheen in Jakarta.

     Respektiert in der alten und der neuen Heimat
     Pater Heuken wurde oft gebeten, Besucher aus dem Ausland bei einem Bummel durch Ja-
     kartas Altstadt zu begleiten. Als Anerkennung verlieh ihm die Deutsche Bundesregierung das
     Große Verdienstkreuz und die indonesische Regierung den Orden „Satyalenana Kebudaya-
                                                an“ als Anerkennung für seine Verdienste um die
                                                Kultur Indonesiens. Seine sich ansammelnden
                                                Bücher über Jakarta gelten heute als die beste Bi-
                                                bliothek über Jakarta überhaupt. Für viele Jahre
                                                war er Mitglied des „Teams der Fachleute für den
                                                Schutz wertvoller Gebäude“. Pater Heukens be-
                                                sonderer Freund war der frühere Gouverneur von
                                                Jakarta, später dann indonesischer Botschafter
                                                in Deutschland, Fauzi Bowo, der ihn noch kurz
                                                vor seinem Tode auf der Intensivstation besuchte.
                                                Der jetzige Gouverneur, Anis Baswedan, besuchte
                                                Pater Heuken auf dem Totenbett in der Kapelle
                                                des Kanisiuskollegs, wo er aufgebahrt war.

                                                           Adolf Heuken wurde genau 90 Jahre alt. Er war
                                                           bereit zu sterben. Für uns indonesische Jesuiten,
                                                           für mich persönlich und für Jakarta ist sein Tod
                                                           ein Verlust. Wir sind dankbar, dass wir ihn hatten.
     Fünf Jahre nach Kriegsende trat der überzeugte
     Antifaschist Adolf Heuken in den Jesuitenorden ein.                            Franz Magnis-Suseno SJ

32 jesuitenweltweit
Sie können auch lesen