Ausgewählte heimische Heilpflanzen und ihre Wirkung auf Mensch und Tier

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Ausgewählte heimische Heilpflanzen und ihre Wirkung auf Mensch und Tier
Ausgewählte heimische Heilpflanzen und
   ihre Wirkung auf Mensch und Tier

                  Diplomarbeit

            zur Erlangung des akademischen Grades
            einer Magistra der Naturwissenschaften

             an der Karl-Franzens- Universität Graz

                         vorgelegt von
                Marie Lena HATTINGER

                     am Institut für Biologie
       Begutachterin Ao. Univ.-Prof. Dr.phil. Maria Müller

                           Graz, 2021

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Ausgewählte heimische Heilpflanzen und ihre Wirkung auf Mensch und Tier
Inhalt
  Abstract und Kurzzusammenfassung .................................................................................................. 3
  Vorwort ............................................................................................................................................... 4
  Einleitung ............................................................................................................................................. 5
  1.     Geschichte der Phytotherapie für Mensch und Tier ................................................................... 6
1.1.     Geschichte der Phytotherapie in der Humanmedizin ................................................................. 6
1.2.     Geschichte der Phytotherapie in der Veterinärmedizin.............................................................. 8
  2.     Wirkstoffgruppen ...................................................................................................................... 11
2.1.     Alkaloide .................................................................................................................................... 13
2.2.     Bitterstoffe ................................................................................................................................ 13
2.3.     Ätherische Öle ........................................................................................................................... 15
2.4.     Flavonoide ................................................................................................................................. 15
2.5.     Gerbstoffe.................................................................................................................................. 16
2.6.     Glykoside ................................................................................................................................... 17
2.7.     Saponine .................................................................................................................................... 18
2.8.     Schleimstoffe ............................................................................................................................. 18
2.9.     Senföle ....................................................................................................................................... 19
  3.     Ausgewählte Pflanzen ............................................................................................................... 21
3.1.     Baldrian...................................................................................................................................... 21
3.2.     Beinwell...................................................................................................................................... 23
3.3.     Blutwurz .................................................................................................................................... 26
3.4.     Brennnessel ............................................................................................................................... 27
3.5.     Eibisch ........................................................................................................................................ 29
3.6.     Löwenzahn................................................................................................................................. 30
3.7.     Mariendistel .............................................................................................................................. 32
3.8.     Schachtelhalm ........................................................................................................................... 34
3.9.     Sonnenhut ................................................................................................................................. 35
3.10.     Spitzwegerich ............................................................................................................................ 37
3.11.     Thymian .................................................................................................................................... 39
  4.     Interviews .................................................................................................................................. 41
4.1.     Dr. Eva Fürnschuß - Vet. Med. und ganzheitliche Tierheilpraktikerin ...................................... 41
4.2.     Ina Wähner, Verbandsbüroleiterin für Verband deutscher Tierheilpraktiker .......................... 47
4.3.     Dipl. Ing. Agrar Tanja Bader -Tierheilpraktikerin in Deutschland .............................................. 53
4.4.     Mag. Peter Sallegger - Pharmazeut ........................................................................................... 57
  5. Resümee ........................................................................................................................................ 66

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Ausgewählte heimische Heilpflanzen und ihre Wirkung auf Mensch und Tier
Abstract und Kurzzusammenfassung
This diploma thesis is about local medical plants and their impact on humans and
animals. In the first part you read about the historical background of human medicine
and veterinary medicine. After this the most important active components of secondary
plant substances are presented. The subsequent chapters contain information like
environment, plant substances, appearance, usage and the impact on humans and
animals of selected local plants. The cat, as a pure carnivore, holds an exceptional
position in the treatment with plant-based medicine. Finally, you find four interviews of
specialists about the usage of phytotherapy. The first one is with an Austrian
veterinarian with some background of alternative practices. The following two are with
German alternative practitioners for animals as in Germany it is allowed to practice this
profession without support of a veterinarian. The last interview was done with an
Austrian pharmacist with long experience in a plant-based therapy for animals.

Diese Diplomarbeit befasst sich mit heimischen Heilpflanzen und deren Anwendung
bei Menschen und Tieren. Zu Beginn wird der historische Hintergrund von Human-
sowie    Veterinärmedizin    dargelegt.     Anschließend     werden    die   wichtigsten
Wirkstoffgruppen der sekundären Pflanzenstoffe vorgestellt. Darauf folgt die
Präsentation einiger ausgewählter heimischer Heilpflanzen. Dies beinhaltet deren
Vorkommen, die wichtigsten         wirksamen Pflanzenstoffe, den        Phänotyp, die
Anwendungsweise und die Wirkungsweise bei Mensch und Tier. Hierbei nimmt die
Katze als reiner Fleischfresser eine Sonderstellung in der Behandlung mit
pflanzenbasierter Medizin ein. Abschließend finden sich vier Interviews mit
Spezialisten auf dem Gebiet der Phytotherapie. Das erste zeigt die Erfahrungen einer
österreichischen     Veterinärmedizinerin      mit   einer     Zusatzausbildung      zur
Tierheilpraktikerin. Die beiden folgenden wurden mit deutschen Tierheilpraktikerinnen
geführt. Im Gegensatz zu Österreich, wo nur in Kombination mit veterinärmedizinischer
Ausbildung bzw. in Kooperation mit einem Veterinärmediziner praktiziert werden darf,
kann diese Tätigkeit in Deutschland unabhängig ausgeübt werden. Das letzte
Interview wurde mit einem österreichischen Pharmazeuten geführt, dessen Interessen
und Ursprünge in der Behandlung von Tieren durch Heilpflanzen liegt.

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Ausgewählte heimische Heilpflanzen und ihre Wirkung auf Mensch und Tier
Vorwort
Bereits in meiner Kindheit drehte sich für mich alles um den Umgang mit Tieren. Wäre
es also nach mir gegangen, hätten wir einen ganzen Bauernhof unser Eigen nennen
können. Zu meinem Glück wohnten bei uns dann doch zumindest Katzen, ein Hund,
ein paar Fische und ein Hase. Der Rest musste über häufige Zoobesuche abgedeckt
werden. Auch die Leidenschaft zum Reiten entdeckte ich früh und so wurden häufig
Ausflüge auf den Reiterhof gemacht. In meiner Jugend kaufte ich mir schließlich mein
erstes eigenes Pferd. Leider war es nicht mehr das Jüngste und brachte einiges an
Wehwehchen mit. Als sich die Tierarztrechnungen schließlich häuften, versuchte ich
mich immer öfter an Phytotherapie als unterstützende Maßnahme. Zu dieser Zeit
begann ich auch mein Biologie-Studium, in welchem ich mich sehr für Heilkräuter
interessierte – die jedoch nur wenig bis gar keine Erwähnung im Curriculum fanden.
So begann ich mich selbst, zusätzlich zu allgemeinen Ernährungsthemen, mit dem
Einsatz von Phytotherapie zu befassen und die Sammlung an Büchern zu diesem
Thema vergrößerte sich explosionsartig. Meine Behandlungsversuche machte ich an
Mensch und Tier, wobei ich bei beiden gute Erfolge verzeichnen konnte. Schließlich
beschloss ich, meine Diplomarbeit zu diesem Thema zu verfassen, um meinen
laienhaften Versuchen etwas mehr Hintergrundwissen und Expertenerfahrungen zu
verleihen. Aus diesem Grund finden sich in der Arbeit auch vier Interviews
ausgewählter Spezialisten in diesem Bereich. Zur Anwendung der Phytotherapie bei
Tieren gibt es leider kaum Literatur, da dies momentan auch im veterinärmedizinischen
Studium kaum vorgesehen ist. Besonders bei Nutztieren könnte dabei oft auf einen
großen Erfahrungsschatz bäuerlicher Betriebe aus früheren Zeiten zurückgegriffen
werden. Schriftlich überliefert ist davon allerdings kaum etwas und somit besteht die
Gefahr, dass Vieles für immer verloren sein könnte. Diese Arbeit ist auch vom Anliegen
getragen, diesem Vergessen etwas entgegenzuhalten.

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Ausgewählte heimische Heilpflanzen und ihre Wirkung auf Mensch und Tier
Einleitung
Die Phytotherapie beschreibt, als Teilbereich der Heilpflanzenkunde, den Einsatz von
Pflanzen, bzw. Pflanzenbestandteilen, wie Blättern, Blüten, Rinden, Samen oder
Wurzeln zur Gesunderhaltung oder Therapierung von Erkrankungen (BRENDIECK-
WORM, MELZIG 2018, 26F.). Die Heilpflanzenkunde setzt sich neben der Phytotherapie
noch aus Bereichen der Phytochemie, Phytopharmazie sowie der Phytopharmakologie
zusammen. Zusätzlich befasst man sich – neben der Pflanze selbst – mit deren
Lebensbedingungen und ihrer stofflichen Zusammensetzung (FINTELMANN, WEISS
2006, 4). Die eingesetzten Pflanzen werden dann als Arznei- oder Heilpflanzen
bezeichnet. Dies basiert auf aktuellen Erkenntnissen und Erfahrungen. Die Qualität,
Wirksamkeit und Unbedenklichkeit wird hierbei laut Arzneimittelgesetz unter dieselben
Ansprüche gestellt wie synthetische Arzneimittel. Die Natur hat hierbei ein großes
Spektrum an Heilpflanzen zur Verfügung gestellt, was eine individuelle und auch
ganzheitliche Therapierung ermöglicht. Aufgrund der Komplexität von Arzneipflanzen
kann das Wirkstoffgemisch eine Multi-Target-Wirkung, also eine übergreifende
Wirksamkeit entfalten, wobei synthetische Therapeutika nur eine spezifische
Wirkungsweise (Mono-Target) haben. Im Vergleich hierzu zeigen Phytotherapeutika
auch deutlich weniger unerwünschte Arzneiwirkungen als synthetische Produkte und
eignen sich auch aufgrund der geringen Toxizität für den präventiven Einsatz, für
Langzeittherapien sowie infolgedessen auch für die Behandlung chronischer
Krankheiten. Die oft unterstellte geringere Wirkung von Arzneipflanzen resultiert aus
einem monokausalen Denken. Phytotherapie wirkt ganzheitlich und nicht auf eine
einzelne Symptomatik. Viele Patienten profitieren gerade von diesem breiten
Wirkspektrum, das mit herkömmlichen Arzneimitteln nur durch eine Kombination
einzelner Medikamente zu erreichen wäre und oft erhebliche Risiken mit sich bringt.
Ein spezifisch wirkendes synthetisches Arzneimittel kann somit auch nicht in derselben
Wirkungsweise durch ein pflanzliches Präparat ersetzt werden, da das Wirkspektrum
ganz anders ausgerichtet ist. In der Regel strebt die Phytotherapie an, durch eine
präventive und unterstützende Medikation, den Einsatz von nebenwirkungsreichen
Synthetika verhindern (BRENDIECK-WORM, MELZIG 2018, 26F.).

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Ausgewählte heimische Heilpflanzen und ihre Wirkung auf Mensch und Tier
1. Geschichte der Phytotherapie für
      Mensch und Tier
   1.1. Geschichte der Phytotherapie in der Humanmedizin

Die Phytotherapie hat ihre Ursprünge bereits in jahrtausendealten Medizinsystemen.
Bereits bei Ausgrabungen von Frühmenschen, die vor fast 400 000 Jahren in
Mitteldeutschland lebten, fand man Pflanzenreste. Dies lässt vermuten, dass es
bereits damals eine ausgeprägte Heilpflanzenkunde gab (WOLTERS 1999, 80).
Eindeutig konnte man dies bereits bei den Neandertalern vor rund 60 000 Jahren
feststellen, wobei ein Fund im kurdischen Irak aufgrund der Pollenanalyse bestätigt,
dass der Verstorbene auf Heilpflanzen bestattet wurde. Alle in diesem Zusammenhang
gefundenen Pflanzen werden auch heutzutage noch in der Phytotherapie eingesetzt
(PABST 2013, 80). Die Therapie mit Pflanzenheilmitteln ist in allen kulturell verankerten
Medizinsystemen der Erde anzutreffen. Dies reicht von der chinesischen,
tibetanischen und indisch-ayurvedischen Medizin (FINTELMANN, WEISS 2011, 5) bis hin
zur traditionell europäischen Medizin (TEM). Bereits ca. 3000 v. Chr. wurden in
Mesopotamien pflanzliche Rezepturen in Keilschrift niedergeschrieben. Zeitgleich
wurden in Indien Kräutergärten angelegt. Ca. 2600 v. Chr. verordnete der ägyptische
Arzt, Priester und Baumeister Imhotep den Arbeitern beim Pyramidenbau Rettich,
Knoblauch und Zwiebel zum Schutz vor Infektionskrankheiten und der Papyrus Ebers
(ca. 2600 v. Chr.) enthält 877 erwähnte Heilpflanzen. Typisch für die ägyptische
Medizin war die sogenannte Dreckapotheke. Dies war eine Art Antibiotikum, welches
aus Friedhofserde, die reich an Streptomyces-Arten war, gewonnen und zur
Behandlung von Wunden eingesetzt wurde. Im 5. Jhdt. v. Chr. gab der bekannteste
Arzt des griechischen Altertums Hippokrates in seiner Schriftensammlung Corpus
hippocraticum genaue Anleitungen für die Verwendung pflanzlicher Heilmittel
(BÄUMLER 2006, 3). Er betrachtete den Menschen als Gesamtes und sah Krankheiten
als ein Ungleichgewicht der Körpersäfte an. Dies bezeichnet man als die
Viersäftelehre. Sein Ziel war nicht nur die Behandlung der Krankheit, sondern des
ganzen Menschen durch Diät und die Verabreichung pflanzlicher Drogen (Focus
online, 2016). Griechische Ärzte brachten die Pflanzenheilkunde um 128 v. Chr.

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Ausgewählte heimische Heilpflanzen und ihre Wirkung auf Mensch und Tier
schließlich   ins   Römische   Reich.   Dioskurides   verfasste   eine   fünfbändige
Arzneimittellehre, die Materia medica, welche an die 800 Arzneimittel großteils
pflanzlichen Ursprungs mit 4000 Anwendungsgebieten beschrieb (BÄUMLER 2006, 3).
Galen, der Leibarzt des römischen Kaisers (FINTELMANN, WEISS 2006, 5), ordnete ca.
160 n. Chr. Pflanzen erstmals bestimmte Qualitäten zu und legte so einen Grundstein
für das pharmakologische Verständnis. Ebenso beschrieb er einen Wirkungsgrad der
Pflanze in vier Stufen. Im Mittelalter, nach dem Untergang des weströmischen Reichs,
ging ein Großteil des Wissens aus dem Altertum verloren. Die Verwendung von
Heilpflanzen hatte keinen großen Stellenwert mehr und die Nutzung wurde sogar als
etwas Böses angesehen. Im Vordergrund standen nun Behandlungsmethoden wie
Schröpfen, Klistiere und Aderlässe. Trotz alldem förderte Karl der Große (747-814)
den Bau von Heilkräutergärten in Klöstern. Diese waren zugleich der Sitz des
medizinischen Wissens. Im 12. Jahrhundert verbindet Hildegard von Bingen in ihren
Rezepten Klostermedizin mit der traditionellen Volksheilkunde. Im 16. Jhdt. trat
schließlich Paracelsus als Begründer der modernen Naturheilkunde auf. Er beschrieb
alle Wiesen und Berge als Apotheken. Er nutzte vorwiegend Heilpflanzen und
begründete die Signaturenlehre, die einen Zusammenhang der äußeren Gestalt und
der Wirkungsweise bei bestimmten Krankheiten herstellte. Nach der Erfindung des
Buchdrucks in der Neuzeit konnte das Wissen nun einer breiten Bevölkerung
zugänglich gemacht werden. Das erste, mit Holzschnitten illustrierte Kräuterbuch in
deutscher Sprache wurde vom Arzt Wonnecke von Kaub verfasst. Erst 1532 wurde
das erste Kräuterbuch, das die Kräuter nach Familien ordnete, vom Arzt Otto von
Brunfels verfasst. Dies brachte ihm den Namen als „Vater der Botanik“ ein. Zwischen
dem 16. und 17. Jhdt. kamen vermehrt Pflanzen über den Seeweg von Indien und
Amerika nach Europa. Zu dieser Zeit waren die Mediziner stark von der Vier-Säfte-
Lehre des Hippokrates geprägt. Mit der Entwicklung der Naturwissenschaften trat im
19. Jhdt. eine entscheidende Wende ein. Durch die Extraktion des Morphins, also der
schlafmachenden Wirkung des Mohns, war der Stoffnachweis der modernen
Phytotherapie durch den Apotheker Friedrich Wilhelm Sertürner geglückt. Durch die
rasante Entwicklung der Chemie wurde die Entwicklung chemisch-synthetischer
Arzneimittel möglich und drängte die Phytotherapie insbesondere seit der Mitte des
20. Jahrhunderts stark zurück. Sebastian Kneipp gab im 19. Jhdt. mit der Wasserkur
ergänzende therapeutische Impulse zur traditionellen Heilpflanzenkunde. Rudolf Fritz
Weiß gründet den ersten Lehrstuhl für das Fachgebiet der Phytotherapie und stellt die

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Ausgewählte heimische Heilpflanzen und ihre Wirkung auf Mensch und Tier
Heilpflanzenkunde so auf eine wissenschaftliche Basis. Damit legte er auch den
Grundstein für die Anerkennung in der Schulmedizin. Heutzutage ist die Phytotherapie
wichtiger   Bestandteil   vieler   Therapiekonzepte.   Etwa    10%   der    verordneten
Medikamente lassen sich den Phytopharmaka zuordnen, was aus Sicht eines großen
Teils der Bevölkerung auch erwünscht und favorisiert wird (BÄUMLER 2006, 3FF.).

Aus medizinischer Sicht hat die TEM ihren Ursprung zwar in Asien, wurde dann aber
über das imperiale Rom, genauer durch Galen, dem Leibarzt des römischen Kaisers,
und schließlich durch Dioskurides, der das erste Kräuterbuch der westlichen Welt
schrieb, durch die Vier-Säfte-Lehre und natürlich von Paracelsus und Hildegard von
Bingen weitergetragen. Aus ethnologischer Sicht hatte allerding jede Ethnie, jede
Kultur und jeder Stamm seine eigene vollkommen Heilkunde, die stark mit den
örtlichen Gegebenheiten korreliert. So wurden viele Erfahrungen diesbezüglich über
den   Volksmund     weitergegeben      und   haben     einen   starken     Einfluss   der
Eingeborenenvölker Mitteleuropas. Dies umfasst vorchristliche Ethnien wie Kelten,
Germanen, Slawen und Balten, welche vorwiegend im oder am Waldrand lebten. Die
Natur bot ihnen hier alles, was für ein Überleben notwendig war, somit eben auch
Pflanzen, die zu Heilungszwecken dienlich waren. Wenig überraschend ist es also,
dass sich die spirituelle Welt dieser Völker auf Naturgeister und das Eigenleben des
Waldes fokussierte (Vgl. STORL 2017, 7-23). Nicht nur in Europa entwickelte sich eine
Art Volksmedizin aus den Überlieferungen der Urvölker. Ebenso verhielt es sich mit
den Medizinmännern Afrikas, Nord- und Südamerikas sowie Ozeaniens, welche ihre
Heilkräfte aus der Nutzung von Pflanzen bezogen. Viele dieser Pflanzen, wie die
Echinacea oder die Teufelskralle, haben ihren Weg auch in die heutigen
Anwendungsgebiete gefunden (FINTELMANN, WEISS 2011, 5).

   1.2. Geschichte der Phytotherapie in der Veterinärmedizin

Pflanzen bilden die Basis für jegliches tierische Leben. Sie dienen seit jeher der
Ernährung, Gesunderhaltung und Medikation von Beschwerden. Besonders bei den
beiden letztgenannten Punkten spielen die sekundären Pflanzenstoffe eine tragende
Rolle. Sie dienen der Pflanze als Schutz vor Fraßfeinden oder auch Umwelteinflüssen.

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Ausgewählte heimische Heilpflanzen und ihre Wirkung auf Mensch und Tier
Der Geruchs- und Geschmackssinn, welche bei Tieren meist deutlich besser
ausgeprägt sind als beim Menschen, dienten schon immer der Selektion von Nahrung.
Mit ihrer Hilfe lässt sich oft der Unterschied zwischen toxischen und wohltuenden
Pflanzen ausmachen. Durch Erfahrung und Instinkt konnte sich so eine
Selbstmedikation bei Mensch und Tier entwickeln. Ebenso passten sich im Laufe der
Evolution Körpermechanismen, wie Metabolisierung, Detoxifikation und Resorption
der pflanzlichen Nahrung an. Dies hatte Auswirkungen auf Immunsystem und
Stoffwechsel. Mittlerweile sind sekundäre Pflanzenstoffe also ein wesentlicher
Bestandteil der Gesunderhaltung aller, sich von Pflanzen ernährenden Organismen.
Tiere wählen bei Befindungsstörungen oft instinktiv Pflanzen, die der Linderung dieser
dienen. Besonders konnte der Vorgang der Selbstmedikation bei Primaten beobachtet
werden, die bis zu 20% ihrer Nahrung in Form von Kräutern und Früchten aufnehmen,
welche keinen nennenswerten Nährwert für sie bedeutet, allerdings antibakterielle,
antivirale,   antiparasitäre   oder   immunstimulierende    Eigenschaften    aufweist
(BRENDIECK-WORM, MELZIG 2018, 28).

Die eigentliche pflanzliche Behandlung von Tieren durch den Menschen begann mit
der Domestikation von Wildtieren. Hierdurch konnten auch die Wirkungsweisen an
Tieren genauer beobachtet werden. Das erste domestizierte Tier war der Wolf vor etwa
135 000 Jahren. Durch seinen Nutzen für den Menschen war sein Wert groß genug,
ihn bei Erkrankungen und Verletzungen medizinisch zu versorgen. Aufzeichnungen
darüber lassen sich aus Zeiten finden, in welchen die Reichen und Herrschenden den
Hund zur Jagd einsetzten. Als Beginn der Veterinärmedizin konzentrierten sich
Mediziner allerdings vermehrt auf Nutztiere, da der Hund durch seine Kurzlebigkeit
und einfacher Ersetzbarkeit keine große Rolle für sie spielte. Die Domestikation von
Nutztieren sowie die Kultivierung von Pflanzen hingegen ermöglichten es den
Menschen vor rund 100 000 Jahren sesshaft zu werden. Nun hing also das Schicksal
der Menschen auch vom Wohlbefinden der Tiere ab. Domestiziert wurden besonders
Tiere, die umgänglich bzw. vom Menschen beherrschbar, schnellwüchsig und nicht
wählerisch in der Ernährung waren. Ebenso spielte es eine Rolle, dass sich diese Tiere
auch in Gefangenschaft fortpflanzten. Bereits um 1850 vor Chr. fand man das älteste
Schriftzeugnis der Tierheilkunde, den Veterinärpapyrus von Lahun, in welchem
Räucherungen und Einreibungen bei Rindern beschrieben wurden. Daraufhin
entwickelten sich zwischen dem zweiten Jahrhundert v. Chr. und dem 5. Jahrhundert
nach Chr. umfangreiche Schriften zur Behandlung von Haustieren, insbesondere der
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Ausgewählte heimische Heilpflanzen und ihre Wirkung auf Mensch und Tier
Pferdeheilkunde. Die Sesshaftwerdung, und damit auch die große Anzahl an Tieren
und Menschen auf begrenztem Raum, brachte jedoch auch Seuchen und Zoonosen
mit sich. Häufig trugen Wildtiere Krankheiten in sich, welche erst bei der Übertragung
auf domestizierte Artgenossen und Menschen Symptome zeigten. Tiere, die in ihrer
natürlichen Umgebung und deren Lebensrhythmus eingeschränkt sind, zeigen eine
deutlich höhere Krankheitsanfälligkeit. Beispiele von Krankheiten, die durch das enge
Zusammenleben übertragen wurden, wären Milzbrand, Tuberkulose und vermutlich
auch Pocken, Pest, Masern und Grippe. Die Eindämmung dieser ist hauptsächlich auf
die verbesserten Hygienemaßnahmen, insbesondere auf die Verwendung von
Desinfektionsmittel, Antibiotika, Antiparasitika und Rodentiziden zurückzuführen
(BRENDIECK-WORM, MELZIG 2018, 28F.).

Die Wahl der kultivierten Pflanzen fiel auf Sorten, welche eine hohe Dichte an
Nährstoffen wie Fetten, Eiweißen und Kohlenhydraten aufwiesen. Weitere Kriterien
stellten die Lagerfähigkeit, die Haltbarkeit, sowie der unkomplizierte Anbau dar. Die
Ernährungsweise der domestizierten Tiere änderte sich dadurch stark und auch die
Pflanzeninhaltsstoffe veränderten sich mit den Züchtungen. Häufig wurden sekundäre
Pflanzenstoffe als störend empfunden und ausselektiert. Durch Selektion und die
starke Bewirtschaftung von Viehweiden kam es zu einem Zurückdrängen der
Pflanzenarten mit einer hohen Menge an Sekundärstoffen. Stattdessen breiteten sich
wenig vielfältige Kulturgräser immer weiter aus. Auch aus diesem Grund kam es
schließlich zu einer Trennung zwischen kalorienreichen Kulturpflanzen und
sekundärstoffreichen Wildpflanzen, die für die Therapie von Erkrankungen genutzt
wurden. Einzig Gewürze hielten ihre Stellung zwischen dieser Trennung.

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2. Wirkstoffgruppen

Abbildung 1 Zusammenhang zwischen Primär- und Sekundärstoffwechsel der Pflanze.

Eine Pflanze besitzt primäre und sekundäre Pflanzenstoffe. Die primären bezeichnen
Stoffe wie Eiweiße, Fette oder Kohlenhydrate, sekundäre Pflanzenstoffe hingegen
erfüllen für die Pflanze Funktionen wie die Abwehr von Fraßfeinden, Schädlingen oder
Krankheiten,         sowie       die     Anlockung         von       Bestäubern.   Sie   wirken   als
Verdunstungsschutz, Farb- Geruchs- und Geschmacksstoff. Diese sekundären
Pflanzenstoffe werden in der Phytotherapie als Heilmittel genutzt und können in
verschiedene Wirkstoffgruppen eingeteilt werden (BRENDIECK-WORM, KLARER, STÖGER
2015, 41). Die Abbildung 1 zeigt hierzu den Zusammenhang zwischen Primär- und
Sekundärstoffwechsel, wobei vor allem aus Acetyl-CoA, Pyruvat und aromatischen
Aminosäuren die Hauptgruppen des sekundären Metabolismus, Terpenoide, Phenole
und Alkaloide hergestellt werden (JAROSCH 2019, 139). Pflanzliche Heilmittel sind – im
Vergleich zu chemisch hergestellten Arzneimitteln – Vielstoffgemische, die erst im
Zusammenspiel ihre spezifische Wirkung entfalten. Die Inhaltsstoffe sind für die
pharmakologische Wirksamkeit in unserem Körper verantwortlich, und obwohl in der

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Beschreibung einer Pflanze meist ein Hauptwirkstoff angeführt ist, so wirkt dieser
isoliert oft anders als im pflanzlichen Komplex. Ebenso weisen Pflanzen Ballast- oder
sogenannte Begleitstoffe auf, die unter anderem beeinflussen, wie schnell oder
langsam Wirkstoffe in den Organismus aufgenommen werden. Auch dies ist eine
Besonderheit pflanzlicher Arzneimittel. Die Wirkstoffe einer Heilpflanze sind meist nicht
gleichmäßig über die Pflanze verteilt, sondern kommen oft akkumuliert in Blüte,
Wurzel, Rinde, Blättern oder Samen vor. Ein Nachteil von pflanzlichen Heilmitteln kann
der Wirkstoffgehalt sein, welcher sich nach Klima, Ernte und Standort richtet. Dieser
kann durch sorgfältige Aufbereitung und das Sammeln zur richtigen Zeit jedoch
größtenteils vermindert werden. Durch richtige Zubereitung und Lagerung verlieren die
Pflanzen auch beim Trocknen nur wenig an Wirksamkeit. In der Phytotherapie wird
häufig das Wort Droge verwendet, welches sich vom altdeutschen Wort für trocken
ableitet und hier somit kein Sucht- oder Rauschmittel beschreibt, sondern aufbereitete,
getrocknete Heilpflanzen oder Teile davon (BÜHRING 2015, 14). Hiervon leitet sich auch
der Begriff des „Drogisten“ ab (PAHLOW 2016, 27). Die meisten Pflanzen mit den in
diesem Kapitel angeführten Wirkstoffgruppen können sowohl Mensch als auch Tier
verabreicht werden. Da sich die Tierwelt parallel zur Pflanzenwelt entwickelt hat,
haben die meisten Tierarten im Lauf der Evolution gelernt, sich über die Nahrung selbst
zu heilen und die Inhaltsstoffe der Pflanzen für sich zu nutzen. Besonders
Pflanzenfresser haben zudem Mechanismen entwickelt, um Überdosierungen von
sekundären      Pflanzenstoffen     durch    spezielle    Ausscheidungsmöglichkeiten
entgegenzuwirken. Allesfressern, wie dem Affen und dem Menschen, stehen diese
Strategien zur Entgiftung in einem deutlich geringeren Maß zur Verfügung (BRENDIECK-
WORM, KLARER, STÖGER 2015, 41). Eine Ausnahme zu den übrigen Tierarten bildet die
Katze, auf welche die meisten Pflanzenwirkstoffe toxisch wirken, da ihr evolutionärer
Weg einen reinen Fleischfresser hervorgebracht hat, welchem das Enzym zur
Ausscheidung     vieler   sekundärer     Pflanzenstoffe    fehlt.   Als   Folge   treten
Vergiftungserscheinungen und Schäden der Leber und Niere auf (BRENDIECK-WORM,
KLARER, STÖGER 2015, 62).

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2.1. Alkaloide
Alkaloide sind meist sehr stark wirkende Stoffe, die auch als Heilgifte bekannt sind.
Wie schon Paracelsus postulierte, "Alle Dinge sind Gift, und nichts ist ohne Gift; allein
die Dosis machts, dass ein Ding kein Gift sei." – oder kurz gesagt „Die Dosis macht
das Gift“ (FLEXICON) wobei die meisten Alkaloidpflanzen aufgrund ihrer ausgeprägten
Wirkung auf das Nervensystem zu starken Psychopharmaka zählen, entsprechende
Nebenwirkungen aufweisen und somit rezeptpflichtig sind. Aus diesen Gründen sind
sie für die Selbstmedikation üblicherweise ungeeignet (BÜHRING 2015, 30). Sie wirken
primär über das zentrale und vegetative Nervensystem und ähneln in ihrer Struktur
den körpereigenen Neurotransmittern. Beispiele hierfür sind:

          o Atropin der Tollkirsche
          o Colchizin der Herbstzeitlose
          o Morphin des Schlafmohns

Als ungiftige Nebenwirkstoffe kommen sie in geringer Menge auch in anderen
Heilpflanzen vor, wo sie die Heilwirkungen der Pflanze unterstützen, ohne selbst
hervorzutreten (PAHLOW 2016, 27). Pyrrolizidinalkaloide, wie sie in Huflattich oder
Beinwell vorkommen, sind spezifische Alkaloidverbindungen, die keine therapeutische
Wirkung haben, jedoch bei Überdosierung giftige Stoffwechselprodukte bilden können.
Aus diesem Grund werden sie oft nicht innerlich, oder nur über einen begrenzten
Zeitraum angewendet (BÜHRING 2015, 30).

   2.2. Bitterstoffe
Sie sind Hauptbestandteile vieler alter Lebenselixiere und werden schon lange in der
Volksheilkunde für ihre kräftigende Wirkung geschätzt. Im Allgemeinen regen sie
Appetit und die Produktion von Verdauungssäften an, womit sie Verdauungsfördernd,
entblähend und fäulnishemmend wirken. Ebenso erleichtern sie die Resorption von
Nährstoffen, Vitaminen und Mineralien und helfen, das Säure-Basen-Gleichgewicht
sowie das vegetative Nervensystem des Körpers zu regulieren und auszugleichen.
Besonders für ältere Menschen bringen sie durch die tonisierende Wirkung und die
Förderung der Durchblutung von Herzkranzgefäßen und Extremitäten Erleichterung.
Auch im Tierreich nehmen ältere Individuen Bitterstoffdrogen eher auf als Jungtiere,
mit der erneuten Ausnahme von Katzen, welche diesen gänzlich abgeneigt sind und

                                                                                      13
deshalb auch nicht verabreicht werde sollten (BRENDIECK-WORM, KLARER, STÖGER
2015, 36). Problematisch können Bitterstoffe bei Überreizung von Magen und Darm
sowie bei Gallesteinen wirken (BÜHRING 2015, 33F.). Aufgrund ihres Geschmackes
werden sie von Menschen und Tieren ungerne aufgenommen und dienen der Pflanze
ursprünglich als Fraßschutz. In der Phytotherapie werden nur Pflanzen als
Bitterstoffdrogen bezeichnet, deren Wirksamkeit allein auf das Vorhandensein von
Bitterstoffen zurückgeführt werden kann. Diese werden auch „Amara“ genannt und, je
nach Stoffzusammensetzung, in drei Gruppen unterteilt:

   •   „Amara tonica“ – reine Bittermittel. Diese werden als besonders wirksam
       empfohlen und entfalten eine kräftigende Allgemeinwirkung. Zudem regen sie
       die Magensaftsekretion stark an und wirken so verdauungsfördernd. Auch bei
       Schwächezuständen, Rekonvaleszenz oder Erschöpftheit sind sie kurartig sehr
       förderlich. Zu den typischen Bitterstoffdrogen zählen:
          o Tausendgüldenkraut
          o Enzian
   •   „Amara aromatica“ – Bittermittel, die in nennenswerter Menge auch ätherische
       Öle enthalten. Sie zeichnen sich im Grunde genommen durch dieselbe
       Wirksamkeit wie Amara tonica aus, jedoch wird das Wirkspektrum um das der
       ätherischen Öle erweitert. Die Wirkung erstreck dich also neben dem Magen
       auch auf Darm, Leber und Galle. Aufgrund der antiseptischen Wirkung der Öle
       wirken diese Bittermittel auch gegen Bakterien und Parasiten. Beispiele hierfür
       wären:
          o Beifuß
          o Wermut
          o Engelwurz
          o Schafgarbe

„Amara acria“ – Bittermittel, die Scharfstoffe enthalten. Diese sind unter unseren
heimischen Heilpflanzen kaum zu finden. Sie unterstützen die Kreislauffunktion und
sollen den Körper, den – wie man feststellen konnte – belastenden Vorgang der
Verdauung erleichtern. Zu ihnen zählen (PAHLOW 2016, 27F.):

          o Ingwer
          o Galgant
          o Pfeffer
                                                                                   14
2.3. Ätherische Öle
Ätherische Öle sind in nahezu allen Pflanzen enthalten, riechen sehr intensiv und bis
auf wenige Ausnahmen angenehm. Die Löslichkeit in Wasser ist schlecht, jedoch
empfehlen sich stattdessen Honig, Milch, Sahne, Alkohol, Salz oder anderes Öl
(BÜHRING 2015, 29). In der Pflanze wird das Öl in Öldrüsenhaaren, Ölzellen oder
Ölgängen abgelagert und meist durch Dampfsterilisation extrahiert, wodurch man
reine ätherische Öle erhält. Als Öldrogen werden nur jene Pflanzen bezeichnet, die
einen besonders hohen Anteil dieser (0,1-10%) aufweisen. Dies betrifft insbesondere
die Pflanzenfamilien der:

         o Lippenblüter
         o Korbblüter
         o Doldenblüter

Aufgrund der starken Flüchtigkeit werden Öldrogen oder Aufgüsse aus diesen immer
zugedeckt bzw. luftdicht gelagert. Ätherische Öle setzen sich aus weit über 100
Einzelstoffen zusammen und besitzen ein sehr breites Wirkungsspektrum. Sie wirken
entzündungshemmend,         durchblutungsfördernd,     krampflösend,      harntreibend,
tonisierend auf Magen, Darm, Leber und Galle und fördern das Abhusten. Zudem
stehen sie in der Vermutung, neben der Bekämpfung von Gärungserregern und
Bakterien, auch gegen Viren wirksam zu sein (PAHLOW 2016, 28). Durch ihre Struktur
können sie über Haut und Schleimhäute sehr leicht in den Körper gelangen und
können sowohl innerlich als auch äußerlich angewendet werden. Ätherische Öle
können jedoch auch hautreizend, abortiv sowie leber- und nierenschädigend wirken
und sind in größeren Mengen toxisch (BÜHRING 2015, 29). Die haut- und
schleimhautreizende Wirkung schützt die Pflanze vor zu starkem Verbiss in der freien
Natur. Trotzdem werden sie auch bei Tieren angewendet, wobei viele auch bereits in
kleinen Mengen für Katzen toxisch wirken (BRENDIECK-WORM, KLARER, STÖGER 2015,
37F.).

   2.4. Flavonoide
Sie sind ein Sammelbegriff für verschiedene Pflanzenstoffe gleicher chemischer
Grundstruktur, die in fast allen Pflanzen enthalten sind. Sie gehören zu den wichtigsten
Wirkstoffen in der Phytotherapie und treten meist als gelblich-orange Farbstoffe auf.

                                                                                     15
Ihre Wirksamkeit richtet sich nach der Art und Menge der enthaltenen Flavonoide,
weshalb das Wirkspektrum schwierig einzugrenzen ist (PAHLOW 2016, 29). Besonders
häufig ist ihr vorkommen in Obst und Gemüse wie:

      o Brokkoli
      o Tomaten
      o Grünkohl
      o Kirschen
      o Orangen

Obwohl keine einheitliche Wirkung annehmbar ist, sind ein paar Hauptwirkungen für
die meisten Flavonoide bezeichnend. Sie binden freie Radikale, die die Zellmembran
schädigen und den Alterungsprozess begünstigen. Sie zählen daher auch zu den
ernährungsphysiologisch wichtigsten, krebsvorbeugenden Substanzen. Durch ihr
breites Wirkspektrum weisen sie auch ein weites Anwendungsgebiet auf. Die
Hauptwirkung liegt in ihrem Zellschutz, dem Schutz der Kapillargefäße, der positiven
Wirkung der Durchblutung der Herzkranzgefäße, der entzündungshemmenden,
stoffwechselfördernden und stimmungsaufhellenden Wirkung. Aus diesem Grund
werden    sie   oft   bei   Herz-Kreislauf-   oder   Gefäßerkrankungen,    Ödemen,
Lebererkrankungen und Allergien eingesetzt. Da sie ohne Nebenwirkungen sind und
rasch ausgeschieden werden, können sie in großen Dosen und als Langzeittherapie
beim Menschen (PAHLOW 2016, 32) und den meisten Tieren eingesetzt werden. Nicht
jedoch bei der Katze, da ihr das nötige Enzym zur Ausscheidung fehlt (BRENDIECK-
WORM, KLARER, STÖGER 2015, 38).

   2.5. Gerbstoffe
Sie wurden einst verwendet, um aus Tierhäuten Leder zu gewinnen, und schützen die
Pflanze selbst vor Fäulnis und Verderb. Als Gerbstoffe im pharmazeutischen Sinne
gelten Pflanzeninhaltsstoffe, die in der Lage sind, Eiweißstoffe der Haut und
Schleimhaut zu binden und in unlösliche Stoffe zu überführen. Mit dieser Fähigkeit
entziehen sie den angesiedelten, schlechten Bakterien den Nährboden und wirken
somit entzündungshemmend, zusammenziehend, blutungsstillend und austrocknend.
Durch die durchblutungshemmende Wirkung kommt es außerdem zu einer Schmerz-
und Juckreizminderung. Bei innerlicher Einnahme wirken sie stuhlfestigend, da sie die

                                                                                  16
Resorption von Wasser und Giften aus dem Darm ins Gewebe vermindern. So werden
sie auch oft als Gegengifte bei Alkaloid- und Schwermetallvergiftungen eingesetzt
(BÜHRING 2015, 34). Auch als Mittel gegen Durchfall oder bei Hämorrhoiden und
Frostbeulen sind sie hilfreich. Um Nebenwirkungen wie Magenreizungen zu
reduzieren, bereitet man kalte Auszüge zu, die nur einen kleinen Teil der Gerbstoffe
lösen. Bei Magengeschwüren und als Dauermedikation sind sie allerdings dennoch
nicht geeignet. Sie finden sich beispielsweise in (PAHLOW 2016, 29):

      o Heidelbeeren
      o Blutwurz
      o Eichenrinde
      o Bärentraubenblätter

Es wird zusätzlich zwischen resorbierbaren und nicht resorbierbaren Gerbstoffen
unterschieden, wobei zuerst genannte über verletzte Haut oder Schleimhaut in den
Blutkreislauf gelangen und durch ihren Abbau in der Leber diese belasten können.
Auch Gerbstoffdrogen sind für Katzen ungeeignet (BRENDIECK-WORM, KLARER, STÖGER
2015, 38).

   2.6. Glykoside
Alle Glykoside unter eine Art von Wirkung zu stellen, ist aufgrund der
Wirkungsverschiedenheit nahezu unmöglich. Die Gemeinsamkeit liegt darin, dass sie
bei Aufspaltung mit Wasseraufnahme einen Zucker und ein Aglykon bilden, welches
in weiterer Folge deren Wirkung bestimmt (PAHLOW 2016, 29). Hervorzuheben sind die
Digitalisglykoside, wie sie im Fingerhut (Digitalis) anzufinden sind. Sie steigern die
Kraft des Herzmuskels, vermindern einen zu schnellen Puls. Da die Nebenwirkungen
hoch sind und die Dosis sehr genau eingestellt werden muss, ist hier eine
Selbstmedikation mit Digitalisglykosiden nicht geeignet (BÜHRING 2015, 31). Weitere
Beispiele für Aglykone sind:

      o schleimlösende Substanzen der Primelwurzel
      o abführende Substanzen der Faulbaumrinde
      o schweißtreibende Substanzen der Lindenblüten

Aufgrund der diversen Wirkungsweisen kann hier keine allgemeine Auskunft über die
Wirkung bei Tieren gegeben werden.
                                                                                   17
2.7. Saponine
Saponine oder Seifenstoffe sind pflanzliche Glykoside, die in Kombination mit Wasser
einen haltbaren Schaum bilden. Früher wurden sie deshalb häufig als Reinigungs- und
Waschmittel verwendet. Sie besitzen eine hämolytische Wirkung, was bedeutet, dass
sie den Blutfarbstoff aus den roten Blutkörperchen austreten lassen. Sie werden durch
ihre verflüssigenden Eigenschaften oft als schleimlösende Mittel gebaucht. Zusätzlich
beeinflussen sie die Resorption anderer sekundärer Pflanzenstoffe und können somit
auch schon kleine Mengen stark wirksam auf den Organismus sein (PAHLOW 2016,
30). Saponine finden sich beispielsweise in:

       o Efeu
       o Schlüsselblume
       o Süßholz
       o Birke
       o Ginseng

Im     Allgemeinen    kann    man     die      Gesamtwirkung   als    schleimlösend,
stoffwechselfördernd, harn- und schweißtreibend, keimwidrig, ödemhemmend,
Immunsystem stimulierend und venenstärkend beschreiben. Saponine besitzen eine
leicht reizende Wirkung auf die Magenschleimhaut, was – wie oft gewollt – eine
vermehrte Sekretion aller Drüsen verursacht, bei Überdosierung jedoch Magen- und
Darmschleimhaut stark reizt. Auch kann eine zu große Menge Erbrechen und im
Extremfall eine Hämolyse auslösen, weshalb viele saponinhaltige Pflanzen als giftig
gelten (BÜHRING 2015, 35). Da sie die Oberflächenspannung von Wasser
herabsetzten, sind sie für Fische besonders toxisch (BRENDIECK-WORM, KLARER,
STÖGER 2015, 39).

     2.8. Schleimstoffe
Unter Schleimstoffen werden Polysaccharide verstanden, also kohlenhydrathaltige
Stoffe, die bei Kontakt mit Wasser aufquellen und eine visköse Flüssigkeit bilden
(PAHLOW 2016, 30). Aufgrund ihrer ausgeprägten Fähigkeit Wasser zu speichern, sind
sie besonders für Samen wichtig, die diese zum Quellen benötigen (BRENDIECK-WORM,
KLARER, STÖGER 2015, 38). Sie sind zwar im Pflanzenreich häufig anzutreffen, doch
nur selten in ausreichender Menge vorhanden, um sie therapeutisch zu nutzen.

                                                                                  18
Trotzdem beeinflussen sie die Wirkung anderer sekundärer Pflanzenstoffe (PAHLOW
2016, 30). Die Wirkung von Schleim ist rein lokal und dadurch, dass dieser einen
schützenden Film auf den Schleimhäuten bildet, als reizlindernd zu bezeichnen. Aus
diesem Grund werden sie erfolgreich bei Schleimhautentzündungen, Juckreiz,
oberflächlichen Schmerzen oder Hustenreiz angewendet. Aufgequollen wirken sie
leicht abführend, können allerdings bei anderer Anwendung auch Wasser und
Giftstoffe im Stuhl binden und Durchfall lindern. Für eine Anwendungsdauer, die länger
als eine Woche dauert, sind sie sowohl aus diesem Grund ungeeignet, als auch
deshalb, da sie die Nährstoffaufnahme durch den Darm vermindern (BÜHRING 2015,
35). Schleimstoffe allgemein, aber besonders deutlich zu bemerken in Obst wie etwa
Himbeeren, mindern den Geschmackssinn, besonders den sauren. Aus diesem Grund
empfinden wir Himbeeren, die mehr Schleimstoffe und Säure aber weniger Zucker
enthalten als Johannisbeeren, trotzdem als süßer (PAHLOW          2016, 30). Weitere
Beispiele sind:

      o Eibisch
      o Isländisch Moos
      o Malve
      o Lein

   2.9. Senföle
Senföle, oder auch Glucosinolate bzw. Senfölglycoside, sind für den scharfen
Geschmack in einigen Pflanzen verantwortlich. Sie entfalten ihre Wirkung erst bei der
Zerstörung der Zellen, wobei sich aus Glucosinolaten Senfölglycoside bilden
(BRENDIECK-WORM, KLARER, STÖGER 2015, 32F.). Sie sind fettlöslich und dringen
schnell in die Haut ein (BÜHRING 2015, 35). Ihre Wirkung ist antibiotisch, jedoch auch
Haut- und Schleimhaut reizend sowie gefäßerweiternd. Beim Kochen geht ihre
Wirkung oft schon bei 45°C verloren, was bei deren Anwendung zu beachten ist
(BRENDIECK-WORM, KLARER, STÖGER 2015, 32F.). Eingesetzt werden sie häufig bei
rheumatischen Schmerzen, Gelenksbeschwerden, Nasennebenhöhlenentzündung,
Bronchitis, bei Erkältungen und bei Infektionen als Breitbandantibiotikum. Auch eine
Wirkung gegen Krebs konnte bisher festgestellt werden. Bei zu langer Anwendung
oder zu hoher Dosierung kann es zu Hautreizungen oder sogar Nervenschäden

                                                                                   19
kommen, weshalb sie für Kleinkinder und Menschen mit Sensibilitätsstörungen nicht
geeignet sind (BÜHRING 2015, 35). Beispiele für Pflanzen, die Senföle enthalten sind:

      o Radieschen
      o Kohlarten
      o Kressen

                                                                                    20
3. Ausgewählte Pflanzen

   3.1. Baldrian
Allgemeines
Der Baldrian Valeriana officinalis
stammt aus der Familie der
Baldriangewächse,             der
Valerianaceae. Er wird bis 1,70
Meter groß und bildet aus einem
kurzen               Wurzelstock
grundständige     Blätter   sowie
einen gegenständig beblätterten      Abbildung 2: Valeriana officinalis   Abbildung 3: Valeriana officinalis
                                                                          Foto
Stängel. Der Stängel ist hohl,
schwach behaart und gefurcht und trägt an der Spitze einen doldenartigen
Blütenstand. Die Blüten besitzen fünf hellrosa bis weiß gefärbte, verwachsene
Kronblätter und bilden über dem Grund der Kronröhre eine Aussackung, in welcher
Nektar dargeboten wird. In der Fruchtreife, die an die Blütezeit, welche sich von Mai
bis September erstreckt, folgt, bildet sich eine kleine Schließfrucht mit oder ohne
Haarkranz. Die Laubblätter sind unpaarig gefiedert. Heimisch ist der Baldrian in
Europa und Teilen Asiens, wobei er in Nordamerika eingebürgert wurde. Bevorzugt
wächst die Pflanze an Flussufern, feuchten Wiesen oder Wäldern und in
Hochstaudenfluren. Kultiviert wird er unter anderem in Deutschland, Polen,
Tschechien, Russland und einigen anderen europäischen Staaten. Bei der
Drogengewinnung wird der gesamte Wurzelstock in den Monaten von Oktober bis
Dezember oder im zeitigen Frühjahr ausgegraben und getrocknet (ENNET, REUTER
2015, 31F.). Verwechslungen mit anderen Doldenblütern wie dem giftigen, gefleckten
Schierling sind möglich, allerdings aufgrund der unterschiedlichen Blattformen
unwahrscheinlich (Wildfind.com).

Geschichte
Schon im fünften Jahrhundert vor Christus war die Wirkung des Baldrians bei
Hippokrates bekannt (BRENDIECK-WORM, KLARER, STÖGER 2015, 225). Auch 800 n.
Chr. wurde er im Lorscher Arzneibuch aufgrund seiner ausgleichenden Eigenschaften
                                                                                                               21
bei Schlafmangel oder zu viel Schlaf erwähnt (BÜHRING 2015, 52). Ein Honigtrunk
versetzt mit Baldrian, Haselwurz, Pfeffer, Betonie, Steinbreche, Röhrenkassie und
Steckenwurzharz galt zu Zeiten von Karl des Großen als „Göttliches Heilmittel“, das
bei allen krankheitsbedingten Schmerzen helfe (Wildfind.com). Im Mittelalter waren
Baldrianpflanzen als Arzneimittel bereits allseits gut bekannt. Im 16. Jahrhundert
wurde er bereits im Garten kultiviert, wobei es sich hierbei nicht um den wilden
Baldrian, sondern um den, aus Sibirien stammenden, großen Baldrian handelt. Neben
seiner Nutzung als Arzneimittel gegen diverse Krankheiten, wie beispielsweise die
Pest, wurde er oft als Mottenmittel zwischen die Kleidung gelegt und auch auf
spiritueller Ebene spielte er aufgrund der stark duftenden ätherischen Öle eine große
Rolle. Im Volksglauben sollte er böse Geister und Hexen vertreiben bzw. fernhalten.
Im 18. Jahrhundert wurde er schließlich vom englischen Arzt John Hill als
Beruhigungsmittel in die Therapie eingeführt (ENNET, REUTER 2015, 32F.).

Inhaltsstoffe
In der Droge, also den getrockneten Wurzeln, sind bis zu zwei Prozent Valepotriate,
wie Valtrat oder Didrovaltrat, enthalten. Ebenso enthalten sie ätherisches Öl, Alkaloide,
Phenolcarbonsäuren und Sesquiterpene, wie Valerensäure oder Valerenal (ENNET,
REUTER 2015, 32). Keinem dieser Inhaltsstoffe allein kommt eine besondere Wirkung
zugute. Vielmehr macht die Gesamtheit aller Inhaltsstoffe die Wirksamkeit des
Baldrians aus (PAHLOW 2016, 64).

Wirkung
Im Vordergrund seiner Wirksamkeit steht die, auch in Versuchen nachgewiesene,
beruhigende Wirkung bei nervöser Unruhe, Schlafstörungen (ENNET, REUTER 2015,
32) oder Angstzuständen. Damit einher geht eine krampflösende Wirkung, weshalb
der Baldrian auch bei krampfartigen Schmerzen im Magen-Darmbereich angewendet
wird. Dadurch schützt er auch vorbeugend gegen Magen- und Darmgeschwüre,
besonders wenn diese aus einer psychischen Belastung resultieren. Auch bei leichten
Herzbeschwerden und zur Steigerung des Immunsystems kann er eingesetzt werden
(BRENDIECK-WORM, KLARER, STÖGER 2015, 225). Bei einer üblichen Dosierung sind
keine Nebenwirkungen bekannt. Einzig bei der regelmäßigen Einnahme größerer
Mengen können Kopfschmerzen und Unwohlsein auftreten (ENNET, REUTER 2015, 32).
Auch Tiere können aus diversen Gründen, wie beispielsweise in Paarungszeiten, bei
wechselnden Sozialkontakten oder abweichenden Tagesrhythmen Stress empfinden.
Baldrian   hilft   also   auch   ihnen,   Stress,   Angst   oder   Nervosität   und   die
                                                                                      22
Folgeerscheinungen, wie Magen- Darm- Muskel- oder Verhaltensprobleme zu lindern
(Tiere & Natur). Die Anwendung bei Tieren unterscheidet sich somit – wiederum mit
Ausnahme der Katze – nicht zu jener beim Menschen. Einzig die Dosierung ist je nach
Tierart abweichend (BRENDIECK-WORM, KLARER, STÖGER 2015). Nach EU-Verordnung
darf der Wirkstoff allerdings nicht bei lebensmittelliefernden Tieren als Therapie
eingesetzt werden (VO (EWG) Nr. 2377/90). Eine gegenteilige Wirkung als er sie auf
andere Tiere und Menschen hat, bewirkt der Baldrian bei Katzen. Der Geruch wirkt
sehr anziehend, was beispielsweise bei der Verwendung eines Baldriankissens als
Spielzeug zu beobachten ist. Es wird vermutet, dass die Ausdünstungen jenen ähneln,
welche Katzen in der Paarungszeit absondern. Baldrian dient also bei Katzen nicht zur
inneren Einnahme als Heilmittel, sondern eher als Aufwertung des Spielzeugs. Viele
meinen, dass das Kraut in geringen Mengen noch nicht giftig für Katzen wirke,
wohingegen es in höheren Mengen Erbrechen auslösen würde (HOLLENBACH 2018).
Andere wiederum empfehlen Vorsicht walten zu lassen, da die enthaltenen
ätherischen Öle nicht abgebaut werden können und zu Vergiftungen führen können
(Tiere & Natur, BRENDIECK-WORM, KLARER, STÖGER 2015, 62).

   3.2.    Beinwell
Allgemeines
Der Beinwell Symphytum officinale
stammt    aus   der   Familie   der
Borretschgewächse,              der
Boraginaceae. Der Wurzelstock ist
dick, außen schwarz und innen
weiß.     Aus   ihm    entspringen
verästelte, bis zu einem Meter
hohe Stängel, die mit lanzettlichen,
rau behaarten Blättern bewachsen       Abbildung 4: Symphytum   Abbildung 5: Symphytum officinale Foto
                                       officinale
sind. Glockige, rot-violette oder
gelblich gefärbte Blüten sitzen in überhängenden Trauben (PAHLOW 2016, 73) am
Ende des Stängels in den Blattachseln. In der Fruchtreife bilden sich vier einsamige,
graubraune oder schwarze Nüsschen (ENNET, REUTER 2015, 38). Die Pflanze blüht von
Mai bis September, wobei die Ernte des Wurzelstocks zur Drogengewinnung von März

                                                                                                   23
bis Mai im Frühjahr erfolgt. Der Beinwell bevorzugt feuchte Standorte, wie Waldraine,
Gräben, Bachufer, Äcker, Wiesen und Gebüsche (PAHLOW 2016, 73). Er ist in ganz
Europa sowie Westsibirien, auf der Krim und im Kaukasus häufig anzutreffen. In
Nordamerika wurde er einst eingeschleppt und ist nun auch wild zu finden. Viele
Boretscharten werden nicht nur als Arzneipflanzen kultiviert, sondern auch als Futter
und Gemüsepflanzen angebaut (ENNET , REUTER 2015, 38). Eine Verwechslung wäre
mit dem höchst giftigen Fingerhut möglich, wobei die Blattränder des Fingerhuts, im
Vergleich zum Beinwell gezähnt sind. Einfacher zu unterscheiden sind sie in der
Blütezeit, da der Fingerhut auffällig in langen Trauben blüht (WWF Blog).

Geschichte
Bereits in der Antike bei Dioskurides und Plinius war der Beinwell bereits zur
Wundheilung bekannt. Auch im Mittelalter wusste Hildegard von Bingen um seine
Wirksamkeit als Heilmittel zur äußeren Anwendung bei Knochenverletzungen und
Beinbrüchen. Aber auch innerlich wurde er bei Durchfallerkrankungen, Blutspeien,
Blutharnen und Gonorrhö angewendet (ENNET, REUTER 2015, 39).

Inhaltsstoffe
Der Beinwell enthält Allantoin, Pyrrolizidinalkaloide, Asparagin, Gerbstoffe, Schleim,
Stärke, Triterpene, Aminosäuren (ENNET, REUTER 2015, 38F.), Flavonoide und Vitamin
B12 (PAHLOW 2016, 73).

Wirkung
Wie der Name „Beinwell“ (von Bein – Knochen, und well von Wallen bzw.
Zusammenwachsen, oder auch „symphytum“ vom Griechischen symphein für
Zusammenwachsen oder Verbinden) bereits aussagt, wurde er traditionell bei
Knochenbrüchen angewendet (BÜHRING U. 2015, 58). Üblicherweise wird der Beinwell
äußerlich als Tinktur, Teeaufguss oder Brei aus frischen Wurzeln in Form von
Umschlägen und Salben angewendet. Er hilft bei Prellungen, Zerrungen sowie
Verstauchungen, wobei die Anwendung hier nur bei intakter Haut erfolgen darf. Durch
das enthaltene Allantoin wird eine wundheilungsfördernde Wirkung herbeigeführt,
welche besonders bei Haut- und Schleimhautdefekten zu Tragen kommt.
Unterstützend   wirken    ebenso    die   einhüllenden    Schleimstoffe     sowie     die
adstringierenden und desinfizierenden Gerbstoffe (ENNET, REUTER 2015, 39).
Erstaunlicherweise konnte man bereits Heilerfolge bei chronischen Eiterungen
aufgrund     von     Knochenmarksentzündungen,           offenen    Beinen,         sowie
Zellgewebsentzündungen feststellen, bei denen die üblichen Mittel bereits versagten.
                                                                                       24
Das Allantoin löst hierbei Wundsekrete auf, verflüssigt den Eiter und unterstützt die
Granulation. Bei äußerlicher Anwendung sind, bei einer Anwendung auf intakter Haut,
keine Nebenwirkungen bekannt. Schwangere sollten ihn allerdings trotzdem nicht
nutzen (PAHLOW 2016, 73). Bereits einige Studien zeigen mittlerweile die Wirkung von
Präparaten mit Beinwellextrakten im Vergleich zu Placebos. Bei Distorsionen des
Sprunggelenks können beispielsweise schnelle Reduktionen der Schwellung, des
Schmerzes und der Bewegungseinschränkung beobachtet werden (KOLL R., 2000).
Ebenso verhielt es sich bei Testungen an Sportverletzungen des Kniegelenks (HESS
1991 156-162),     wobei   die    Zustandsverbesserung   bereits   vier   Tage   nach
Anwendungsbeginn      einsetzte    (MAYER   1992,    888-891).     Die    vorhandenen
Pyrrolizidinalkohole haben sich hingegen bei innerlicher Anwendung in Tierversuchen
als leberschädigend und krebserregend erwiesen. Bei äußerlicher Anwendung
gelangen diese nur in geringen, unschädlichen Mengen in den Körper (ENNET, REUTER
2015, 39). Mittlerweile existiert auch eine Kreuzung mit dem rauen Beinwell –
Symphytum asperum, welcher nun auch innerlich angewendet werden darf, da ihm die
toxischen Stoffe des Symphytum officinale fehlen. Dieser wird deshalb auch
Futterbeinwell genannt und oft Tieren, wie Pferden oder Kühen, mit dem Futter
verabreicht. Tragenden Stuten darf jedoch unter keinen Umständen Beinwell
zugefüttert werden (LIATH 2012, 171). Nach EU-Richtlinien darf er auch keinen Tieren
verabreicht werden, welche der Milchproduktion dienen. Lediglich der Wirkstoff selbst
darf auf intakter Haut angewendet werden (VO (EWG) Nr. 2377/90). Ansonsten gilt für
Tiere dieselbe Anwendung wie bei Menschen, mit Ausnahme der Katze, bei welcher
Beinwell nicht angewandt werden sollte. Artabhängig gibt es jedoch Unterschiede in
der Dosierung (BRENDIECK-WORM, KLARER, STÖGER 2015).

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