Weltmacht China - " Nr. 145 - Der bdvb
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» Nr. 145 Entgelt bezahlt bei Postamt 1 / 40210 Düsseldorf / Vertriebskennzeichen G 13904 / ISSN Nr. 1611-678X Weltmacht China Eine Nation im Aufbruch Jahresthema 2019-2020 „Elektromobilität“ 06 Warum wir mehr China-Kompetenz benötigen 22 Verbandstag und Mitgliederversammlung 2019 42
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EDITORIAL Liebe Mitglieder und Freunde des bdvb, » Können wir von China lernen – etwa in puncto E-Mobilität? « mit Projekten wie der Neuen Seidenstraße Apropos E-Mobilität: Mit dieser Materie wird will China für mehr Handel und Prosperität sich der bdvb im Rahmen seines ersten „Jah- sorgen. Es kauft sich in strategische Logistik- resthemas“ zwölf Monate lang intensiv ausei- standorte ein, leitet Güterströme um, bindet nandersetzen. Die gruppenübergreifende Be- Wirtschaften an sich und sichert sich Einfluss. schäftigung mit dem Jahresthema stärkt den PwC hat 2017 festgestellt, dass China und In- Dialog zwischen unseren Mitgliedern und Or- dien bis 2050 die Länder mit dem größ- ganisationseinheiten. Zugleich erhält der ten Bruttoinlandsprodukt darstellen werden. bdvb Gelegenheit, sein Profil nach außen zu Deutschland soll dann nur noch an neunter schärfen, Expertise zu entwickeln und eine Stelle stehen. Mehr muss man nicht wissen, Positionierung zu erarbeiten. Den Auftakt um zu dem Schluss zu kommen, dass China macht das Forschungsinstitut mit einem Bei- ein wichtiger Partner für uns ist und sein wird. trag in diesem Heft. Mitglieder, die beruflich mit dem Thema E-Mobilität vertraut sind, sind Doch wie umgehen mit einer derart aufstre- herzlich zur Mitwirkung aufgerufen! benden, vereinnahmenden Welt- und Wirt- schaftsmacht? Natürlich kann man versuchen, Schließlich will ich die Gelegenheit nicht ver- den Konkurrenten einzuhegen. Die amerikani- streichen lassen, Sie auf die exklusiven Mit- sche Administration tut genau das. Doch sie gliedervorteile hinzuweisen, die wir Ihnen mit springt zu kurz und denkt wenig strategisch – Hilfe unseres neuen Kooperationspartners ganz im Gegensatz zum Politbüro in Peking, Corporate Benefits anbieten können. Einen dem in einer gelenkten Demokratie und Wirt- entsprechenden Flyer finden Sie anbei, viel schaft ungeahnte Ressourcen zur Verfügung aussagekräftiger sind aber die konkreten An- stehen. gebote, die Sie online oder per Smartphone- App aufrufen können. Den Link zur Regis- Natürlich: In vielerlei Hinsicht darf uns China trierung finden Sie im passwortgeschützten kein Beispiel sein. Andersdenkende werden Mitgliederbereich, den Sie über das kleine weggesperrt, der Überwachungsstaat ist im Vorhängeschloss im Menü unserer Homepage Aufbau und mit geistigem Eigentum nimmt erreichen. man es nicht genau. Wir müssen also kriti- sche Distanz wahren. Aus unserer Geschichte Es lohnt sich, Mitglied im bdvb zu sein! heraus wissen wir aber: Durch Abschottung verändern wir nichts. Wirtschaftliche und po- litische Beziehungen dagegen haben das Po- Herzlichst tenzial hierzu – wenn sich Partner auf Augen- höhe begegnen. Ihr Deshalb ist es wichtig, sich mit dem Land aus- Malcolm Schauf einanderzusetzen – so wie diese Ausgabe unseres Magazins. Was ist von der chinesi- schen Industriepolitik zu halten? Wie erleben deutsche Bürger und Unternehmen den Alltag in der Volksrepublik? Können wir von China lernen – etwa in puncto E-Mobilität? Präsident » bdvb aktuell Nr. 145 « 3
Nr. 145 INHALT Editorial3 Aus Wirtschaft und Gesellschaft Elektromobilität als Baustein für eine nachhaltige 6 Gestaltung der Mobilität China: Wirtschaftspartner in einer sich wandelnden Rolle 11 Licht und Schatten der chinesischen Industriepolitik 12 Standort Deutschland: eine chinesische Perspektive 16 Warum wir mehr China-Kompetenz benötigen und wie 22 wir sie bekommen 6 12 16 Impressum bdvb aktuell Ausgabe 145 Juli bis September 2019 ISSN 1611-678X Herausgeber Bundesverband Deutscher Volks- und Betriebswirte e.V. Florastraße 29, D-40217 Düsseldorf Tel. +49 211 371022, Fax +49 211 379468 Der Bezugspreis von 7,50 Euro ist im www.bdvb.de, info@bdvb.de Mitgliedsbeitrag enthalten. Nachdruck – auch auszugsweise – nur in Redaktionelle Mitarbeit in dieser Ausgabe Absprache mit dem Herausgeber gestattet. Dr. Matthias Meyer-Schwarzenberger (V.i.S.d.P.), Birgit Schoerke-Zitz, Florian Ries Für den Inhalt der Artikel sind die jeweiligen Autoren verantwortlich. Anzeigen, Layout, Herstellung, Druck Köllen Druck + Verlag GmbH Ernst-Robert-Curtius-Str. 14 Bildnachweise 53117 Bonn-Buschdorf Titel: 123rf/Leung Cho Pan Tel. +49 228 989820, Fax +49 228 9898255 Inhalt: Soweit nicht anders gekennzeichnet, verlag@koellen.de alle Bilder/Grafiken © 123rf.com 4 » bdvb aktuell Nr. 145 «
Chinas Mittelschicht – Motor oder Bremse? 28 Die Auswirkungen der Digitalisierung auf Arbeitsmarkt 30 und Gesellschaft 22 Industrie 4.0 – Die Rolle des Controllers 32 Von Frau zu Frau: 34 Marcella Hansch gewinnt Erfinderinnenpreis Interview Für Europa birgt die Neue Seidenstraße mehr Chancen 18 als Gefahren 34 China geht es vor allem um eine sichere Energieversorgung 24 Eine unglaubliche Aufbruchstimmung und Dynamik 26 Studium und Karriere Gelesen und notiert 37 Über Umwege nach China 38 Wissenswerke 40 Verbandsleben Schulfach Wirtschaft – eine Selbstverständlichkeit Mitgliederversammlung 2019 und Rahmenprogramm 41 42 41 Hochschulgruppenleiterkonferenz in Nürnberg 44 Jahresveranstaltung BG Nürnberg 46 Bezirks- und Hochschulgruppen 48 46 Aus den Fachgruppen 51 Wir gratulieren herzlich 54 Unsere Kontakte 57 Das Mitglied hat das letzte Wort 58 » bdvb aktuell Nr. 145 « 5
AUS WIRTSCHAFT UND GESELLSCHAFT Elektromobilität für eine nachhaltige Gestaltung Mit dieser Ausgabe des bdvb aktuell fällt gleichzeitig der Startschuss für das Jahresthema Elektromobilität, das sich von Juli 2019 bis Ende Juni 2020 wie ein roter Faden durch die Arbeit und Kommunikation des Verbandes, seiner Gremien und Gruppen ziehen wird. 6 » bdvb aktuell Nr. 145 «
AUS WIRTSCHAFT UND GESELLSCHAFT als Baustein der Mobilität Die Idee hinter dem Jahresthema ist schnell erklärt: Ein Jahr lang widmet sich der bdvb regelmäßig einem bestimmten Sachverhalt in seinen verschiedensten Facetten. Wir suchen den Dialog, analysie- ren, geben Denkanstöße – sei es zentral oder dezentral in den Fach- und Ortsgruppen. Am Ende ziehen wir gemeinsam Bilanz über das Erreichte. Auf der Hand liegt: Das jeweilige Thema muss erhebliche gesell- schaftliche, wirtschaftliche und gegebenenfalls sogar wissenschaft- liche Relevanz besitzen. Kein Wunder also, dass die Wahl des Präsi- diums für das Jahresthema 2019/2020 auf die Elektromobilität fiel. Kaum ein Thema bewegt die Menschen derzeit mehr als der Kampf gegen den Klimawandel und seine Vereinbarkeit mit ökonomischen Zielsetzungen. Die Elektromobilität steht – unter anderem – im Zen- trum der Debatte. Welche Formen der E-Mobilität gibt es und wie sind sie ökonomisch zu bewerten? Welche Infrastruktur wird benötigt und welche Abhängigkeiten ergeben sich? Solchen Fragen – vom Strukturwandel bis hin zu bilanziellen Auswirkungen – widmen sich ab sofort viele Aktivitäten der Mitglieder und regelmäßige Beiträge im bdvb aktuell. Den Anfang macht ein Artikel von Prof. Dr. Paul J.J. Welfens und Prof. Dr. Markus Pütz. Auf den folgenden Seiten bietet er einen Über- blick über den aktuellen Stand der Diskussion. »»» » bdvb aktuell Nr. 145 « 7
AUS WIRTSCHAFT UND GESELLSCHAFT Die aktuellen und zukünftigen Herausforderungen d.h. BMW, Daimler (mit den Marken Mercedes- im Klimaschutz, allen voran die erforderliche Benz und Smart), Ford und Opel forcieren den Aus- deutliche Senkung von Kohlenstoffdioxid- (CO2), bau der Elektromobilität und die Nutzung hybrider Stickoxid-, und Partikelemissionen, bilden einen Antriebe. Mercedes-Benz setzt zudem auf den Problemkomplex, dessen nachhaltige Bewältigung Brennstoffzellenantrieb und BMW auf wasserstoff- großer Kraftanstrengungen bedarf. Bei einer Be- betriebene Verbrennungsmotoren. Smart hat ange- trachtung der in den Bereichen Wirtschaft und Poli- kündigt, die Produktion ab 2020 auf rein batteriebe- tik in Deutschland aktuell oder absehbar favorisier- triebene Elektrofahrzeuge umzustellen; Komplett- ten Ansätze, Beiträge zur Bewältigung dieses Pro- produktion in China ab 2020. Der relativ junge Au- blemkomplexes zu liefern, lässt sich weniger ein tomobilproduzent e.Go aus Aachen bietet ebenfalls dominanter Ansatz herausstellen, sondern vielmehr rein batteriebetriebene Automobile an. Für den ein differenziertes Bild mit mehreren Ansätzen Kurzstreckenbedarf an individueller Mobilität bis zeichnen. Neben dem Auf- und Ausbau der Elektro- etwa 100 km pro Tag, also insbesondere im Stadt- mobilität auf Basis reiner batteriebetriebener Elek- verkehr und der nahen Peripherie, weisen reine AUTOR troantriebe oder Brennstoffzellen wird der Ausbau Elektrofahrzeuge im Betrieb bereits heute im Be- Prof. Dr. Paul J. J. Welfens, hybrider Antriebe als Kombination aus Verbren- reich der CO2-Emissionen Vorteile gegenüber kon- Vorsitzender des bdvb Forschungsinstituts nungsmotor und Elektroantrieben (Voll-Hybrid, ventionellen Automobilen mit Verbrennungsmotor und Präsident des EIIW/Bergische Plug-in-Hybrid etc.) und die Nutzung synthetischer auf. Denn bei der Stromerzeugung für das Laden Universität Wuppertal, Lehrstuhl für Kraftstoffe für konventionelle Verbrennungsmoto- der Batterien wird bei dem aktuell verfügbaren Volkswirtschaftslehre/Makroökonomik ren bzw. in Verbindung mit Hybrid-Antrieben disku- Strom-Mix deutlich weniger CO2 emittiert als beim Jean-Monnet-Professor für Europäische Integration und IZA Fellow, (Bonn), sowie tiert. Zur Wahrung des Klimaschutzes ist es zudem Betrieb der konventionellen Automobile mit Ver- Research Fellow am AICGS/Johns Hopkins erforderlich, die Vielfalt der verfügbaren Formen brennungsmotoren. Basiert die Stromerzeugung University, (Washington DC) der Mobilität, insbesondere bestehend aus ÖPNV, ganz auf erneuerbaren Energien, lassen sich die Bus, Bahn, Individualverkehr, Car-Sharing, Taxi, Batterien sogar entsprechend emissionsfrei aufla- Mietwagen, Schiff und Flugzeug zu Zwecken einer den; allerdings ist noch die Batterie- und Autopro- ressourcen- sowie umweltschonenden und effizien- duktion selbst energieintensiv. Für den Kurzstre- ten Deckung der Mobilitätsbedarfe idealerweise ckenbedarf reichen Automobile mit kleinen Elektro- vernetzt zu nutzen. Stromantriebe werden mit eine motoren und kleinen Batterien aus und lassen sich, wichtige Rolle spielen, sei es in der Form eines wie das Beispiel des Modells e.Go Life zeigt, zum Elektromotors oder auch einer Brennstoffzelle, die Preis eines sehr gut ausgestatteten Kleinfahrzeugs den Strom aus Wasserstoff beim Fahren erzeugt – bereits aktuell beschaffen. Für eine intensive Nut- wobei die Wasserstoffherstellung aus erneuerba- zung entsprechender rein elektrisch betriebener ren Energien als sauber gelten kann, aber auch der Kleinfahrzeuge muss die Ladeinfrastruktur in den Fall, dass Wasserstoff als Abfallstoff in der Produk- Städten indes erweitert werden. Dazu sind zusätzli- tion entsteht (geplanter Regional-Bahnverkehr auf che Umspannstationen (insbesondere für Mittel- dieser Basis im Rhein-Main-Gebiet). spannung) und Schnellladestationen erforderlich. In der Automobilindustrie wird aktuell vor allem der Anders sieht es dagegen aus, wenn die Mobilitäts- intensive Ausbau der Elektromobilität vorangetrie- bedarfe im Individualverkehr Mittel- bis Langstre- ben. So favorisiert die Volkswagen AG für ihre Au- cken betreffen, mit deutlich mehr als 100 km, also AUTOR tomobilmarken nicht zuletzt in Folge des Diesel- Fahrstrecken von 150 bis 300 km pro Tag oder mehr Prof. Dr. Markus Pütz, skandals zur Wahrung des Klimaschutzes den mas- als 300 km. Denn für diese Bedarfe sind Automobi- Stellv. Vorsitzender des bdvb siven Auf- und Ausbau der E-Mobilität, zuvorderst le mit stärkerer Motorleistung und erheblich größe- Forschungsinstituts und Inhaber der in Form batteriebetriebener Elektrofahrzeuge und rer Batteriekapazität erforderlich. Solche Batterien Professur für Produktionscontrolling an der wird zudem, eher als Übergangstechnologie, auch sind zugleich sehr kostspielig und auch mit hohem Fakultät für Fahrzeugsysteme und den Ausbau der Produktion von Fahrzeugen mit Hy- Gewicht verbunden. Die betreffenden Elektrofahr- Produktion der TH Köln, zugleich Privatdozent an der Bergischen Universität bridantrieb betreiben. Auch die anderen Volumen- zeuge (Kleinwagen bis hin zur Mittelklasse) sind Wuppertal hersteller der Automobilindustrie in Deutschland, erheblich teurer als vergleichbare konventionelle 8 » bdvb aktuell Nr. 145 «
AUS WIRTSCHAFT UND GESELLSCHAFT Automobile. Eine flächendeckende Nutzung von Elektrofahrzeugen als Er- zunehmen. Beispielhaft hierfür kann im Bereich der Logistik auf die Nut- satz von konventionellen Automobilen würde einen immensen Ausbau der zung von batteriebetriebenen Elektrofahrzeugen durch die Deutsche Post Ladeinfrastruktur erfordern. Bei einer Gesamtbetrachtung der bei der Pro- verwiesen werden. Zudem sei die Nutzung von batteriebetriebenen Elekt- duktion von Elektrofahrzeugen im Vergleich zur Produktion konventioneller robussen im ÖPNV erwähnt, die z.B. in einigen Städten Chinas Standard Fahrzeuge entstehenden Umweltbelastungen schneiden die Elektrofahr- ist. Elemente der Antriebstechnik für E-Busse können auch für E-Lkws mit zeuge aktuell und wohl auch absehbar zudem deutlich schlechter ab, da überschaubarem Aktionsradius genutzt werden. Anders sieht es dagegen die Gewinnung der für Elektrofahrzeuge insbesondere benötigten Elemen- bei Nutzfahrzeugen für den Mittel- bis Langstreckenbedarf aus. Dort sind te Lithium und Kobalt sowie der erforderliche Batteriebau selbst sich als batteriebetriebene Fahrzeuge absehbar brennstoffzellenbetriebenen umweltbelastend erweisen. Ein weiteres Problem stellt auch die Lebens- Fahrzeugen unterlegen; es sind zudem Hybrid-Lkws mit einer rechten dauer der Batterien in den Elektrofahrzeugen dar. Nach einer Laufleistung Oberleitungsspur auf Autobahnen denkbar und werden in den USA und zwischen 100.000 km und 200.000 km erfordert der entstandene Schwund Deutschland erprobt. Erfreulicherweise sind die Chancen des Brennstoff- an Ladekapazität und somit Reichweite jeweils einen Austausch. Die Kos- zellenbetriebes auch in der deutschen Zulieferindustrie frühzeitig erkannt ten für den Austausch einer Batterie mit mittlerer Reichweite (von etwa worden. So hat das Unternehmen Bosch zuletzt publik gemacht, dass es 250 bis 350 km) belaufen sich aktuell auf knapp unter € 10.000, aller- kurzfristig in den Aufbau der Serienfertigung von Brennstoffzellen für dings kann die Alt-Batterie als „Second-Life-Batterie“ etwa für die Stär- Nutzfahrzeuge investiert, mittelfristig zudem auch die Produktion von kung der Angebotsseite eines städtischen Strom- bzw. Ladenetzes ver- Brennstoffzellen für Pkw betreiben wird. Insgesamt sind E-Fahrzeuge we- kauft bzw. genutzt werden; auch die Verwendung gebrauchter Batteriezel- niger komplex in der Produktion als herkömmliche Fahrzeuge, sodass in len in Pufferspeichern von Solaranlagen ist denkbar. Insofern besteht für der traditionellen Fahrzeugindustrie Deutschlands Wertschöpfung und den Batterieaustausch ein Einsparpotenzial. Für den Gebrauchtwagen- Jobs künftig entfallen dürften; aber hochwertige autonome innovative handel von Elektrofahrzeugen stellt der je nach Kilometer-Laufleistung Mobilitätskonzepte – basierend in der Kommunikation auf 5G – könnten erforderliche Batterieaustausch gleichwohl einen erheblichen Kostenfak- in Pilotprojekten in Deutschland, gerade auch in emissionsbelasteten tor dar. Großstädten, zügig entwickelt werden. All das bedeutet beschleunigten Strukturwandel und eine bessere Luftqualität. Die Zahl der geförderten Automobile, die mit Brennstoffzellen betrieben werden, sind derzeit noch Pilotprojekte ist allerdings bislang gering. erheblich teurer als rein batteriebetriebene Elektrofahrzeuge. Dies liegt insbesondere an den Kosten für die Brennstoffzellen und deren deutlich Im Sinne des Klimaschutzes zeichnet sich heute auch zunehmend aus geringerem Wirkungsgrad, wobei der Vorteil der Batterien auf ihre hohe Sicht der Politik bereits ab, dass zur Bewältigung des skizzierten Problem- Energiedichte in den Batteriezellen zurückzuführen ist. In Korea und Japan komplexes ein Maßnahmen-Mix erforderlich ist, der neben den zuvor ge- steigt die Zahl der Brennstoffzellen-Fahrzeuge jedoch schnell an, auch nannten technischen Alternativen auch eine nachhaltige Vernetzung der dank engagierter inländischer Hersteller und nationaler Förderung. verfügbaren Mobilitätskonzepte erforderlich macht. Darin werden neben dem ÖPNV und Individualverkehr auch Car-Sharing und weitere intelligen- Als eine Chance für eine nachhaltige Nutzung von Hybridfahrzeugen er- te Mobilitätsangebote vertreten sein, die über einen Ausbau der Digitali- weisen sich synthetische Kraftstoffe (Ethanol, Wasserstoff und Biogas), sierung in Verbindung mit einer intensiven Nutzung der künstlichen Intel- und zwar insbesondere, wenn deren Gewinnung durch Anlagen erfolgt, ligenz zu einer umweltschonenden und effizienten Abstimmung von Mobi- die mit überschüssigem Strom aus erneuerbaren Energiequellen (Was- litätsnachfrage und -angebot führen sollten. Da digital vernetzte Fahr- ser-, Wind- und Sonnenergie) betrieben werden. Laut einem Online-Pres- zeugflotten in Deutschland bzw. der EU millionenfach Daten im Betrieb sebeitrag der Autoren Nikolaus Doll und Daniel Wetzel vom 04.04.2019 in erzeugen werden, können vor allem digitale Zusatzdienste für „realmobile“ Welt.de weisen Studien aus Norwegen darauf hin, dass das ungenutzte Nutzer gezielt angeboten werden, zugleich auch Daten ausgelesen und skandinavische Potenzial an Windstrom zur synthetischen Gewinnung von ausgewertet werden, um Effizienzgewinne zu realisieren und beschleu- etwa 20 % des europäischen Kraftstoffbedarfs ausreicht. Für die Nutzung nigte Innovationsprozesse anzuschieben. Wenig verständlich ist, dass der synthetischer Kraftstoffe müsste einerseits zwar der Auf- und Ausbau von Gesetzgeber in Deutschland bislang kaum Gesetze zu Dateneigentum und verfahrenstechnischen Anlagen erfolgen, andererseits stünden jedoch zur Datennutzung auf den Weg gebracht hat, sodass digitale Zusatznutzeffek- Versorgung der Endverbraucher die vorhandene Tankstelleninfrastruktur te innovativer grüner Mobilität nur schwer mobilisierbar sind. bereit. In der Nutzfahrzeugindustrie zeichnet sich im Vergleich zur Automobilin- dustrie ein deutlich differenzierteres Bild ab. Zwar wird auch für den Kurz- streckenbedarf die Bedeutung von batteriebetriebenen Elektrofahrzeugen »»» » bdvb aktuell Nr. 145 « 9
AUS WIRTSCHAFT UND GESELLSCHAFT SAVE THE DATE Zu den Themen der CO2-Belastung durch die Batte- rie- und Elektrofahrzeugproduktion und nicht zuletzt kann hierbei auch Leitmarkt sein, allerdings ist der Staat gefordert, beschleunigt für vernünftige Rah- Passend zum bdvb-Jahresthema zur gesamten CO2-Belastung von Elektrofahrzeugen menbedingungen zu sorgen und auch den zügigen „E-Mobilität“ wird das Forschungsins- während typischer Gebrauchszyklen oder für die Ausbau etwa einer leistungsfähigen Ladesäu- titut des bdvb am 28.11.2019 am gesamte unterstellte Lebensdauer im Vergleich zu len-Architektur voranzubringen sowie ggf. auf Bun- Standort Deutz der TH Köln in Koope- entsprechenden Fällen mit konventionellen Auto- des- und Landesebene auch die Baustandards etwa ration mit der dortigen Fakultät für mobilen sind bereits mehrere Studien erstellt wor- zugunsten von mehr Schnell-Ladeboxen bei Neu- Fahrzeugsysteme und Produktion so- den. Aufgrund der in diesen Studien in Teilen ge- bauten sinnvoll zu modernisieren. Schumpe- wie dem VDI eine gemeinsame Tagung troffenen unterschiedlichen Annahmen erweist ter-Wettbewerb zwischen verschiedenen Konzep- zum Thema „Elektromobilität und ver- sich deren Vergleichbarkeit entsprechend zum Teil ten ist insgesamt wichtig. Ob sich die von der deut- netzte nachhaltige Mobilität“ veran- als schwierig. Beschleunigte umweltfreundliche schen und EU-Politik befürwortete Förderung von stalten. Weitere Informationen folgen Mobilitätsinnovationsdynamik in Deutschland und Batterieproduktion in EU-Ländern rechnet, bleibt im bdvb-Newsletter und in der kom- anderen EU-Ländern ist dringlich, da weitere Emis- abzuwarten. Die US-China-Handelskonflikte er- menden Ausgabe dieses Magazins. sionsminderungen gerade im Verkehrsbereich mit- schweren die Forschungskooperation zu umwelt- telfristig notwendig sind, wenn nationale, europäi- freundlichen internationalen Innovations-Mobili- sche und UN-Klimaziele bis 2030, 2040 und 2050 tätsprojekten. « erreicht werden sollen. Deutschland bzw. die EU Neuer Schwung Das Forschungsinstitut des bdvb e.V. ist ein eigen- ständiger, als gemeinnützig anerkannter Verein, dessen Satzungszweck die Förderung der ökonomi- schen Bildung, Durchführung von Forschungsprojek- ten und Studentenhilfe umfasst. Anlässlich der Mit- gliederversammlung am 7. Juni 2019 in Düsseldorf wurde Prof. Dr. Paul J. J. Welfens (Bergische Uni- versität Wuppertal) als Vorsitzender des Vorstands im Amt bestätigt. Weitere Mitglieder des neuen Vorstands sind Prof. Dr. Markus Pütz (TH Köln) und Prof. Dr. Peter M. Fischer (Universität St. Gallen) als stellvertretende Vorsitzende sowie Prof. Dr. Philipp A. Rauschnabel (Universität der Bundeswehr Mün- chen) als Beisitzer. Das Amt des Schatzmeisters übernimmt bdvb-Geschäftsführer Dr. Matthias Meyer-Schwarzenberger. Neben der wissenschaftli- chen Begleitung des bdvb-Jahresthemas, der finan- ziellen Förderung der bdvb-Hochschulgruppen und der Unterstützung der bdvb-Kampagne für das Schulfach Wirtschaft will sich das Forschungsinsti- tut in Zukunft auch durch umfragebasierte Studien aktiv in die bdvb-Öffentlichkeitsarbeit einbringen. « Kontakt: forschungsinstitut@bdvb.de Spendenkonto: DE50 3005 0110 0047 0193 85 Mit persönlichen Buchgeschenken dankte Professor Welfens Dr. Thorsten Böth (li.) und (Stadtsparkasse Düsseldorf) Dieter Schädiger (Mitte) für ihre langjährige Vorstandstätigkeit Eine Spendenbescheinigung wird umgehend ausgestellt. 10 » bdvb aktuell Nr. 145 «
AUS WIRTSCHAFT UND GESELLSCHAFT China: Wirtschaftspartner in einer sich wandelnden Rolle Die Debatten um die Zukunft des Chinageschäfts sind nicht gleichzusetzen mit einer Abkehr vom Markt. Im Gegenteil: China bleibt ein Schlüsselmarkt für deutsche Unternehmen und die zuneh- mende Digitalisierung in der Wirtschaft bietet neue Perspektiven. Allerdings müssen endlich kon- sequent gleiche Bedingungen für alle Marktteilnehmer geschaffen werden. Vor knapp einem Jahr brachte ein Konflikt die Welt- Für deutsche Unternehmen ist China also einer der wirtschaft ins Wanken und hält sie bis heute in wichtigsten Märkte. Produkte „Made in Germany” Atem. Es geht um fairen Handel, um Technologie- und die deutsche Ingenieurskunst genießen einen transfer, um Industriepolitik, aber es geht vor allem hervorragenden Ruf. Eine Stärke, auf die die Unter- um die Zukunft der global vernetzten Wirtschaft. Der nehmen bauen können. Geschäftsmöglichkeiten für IWF nennt den Handelskonflikt einen der wichtigs- die deutsche Wirtschaft, die bereits mit 5.200 deut- ten Einflussfaktoren auf die Verlangsamung des glo- schen Unternehmen in China aktiv ist und rund balen Wachstums. Doch die Verhandlungsrunden im 1,1 Millionen Arbeitsplätze geschaffen hat, beste- Mai endeten ohne eine Lösung, stattdessen treten hen weiterhin. Deutsche Exporte nach China stiegen neue Strafzölle in Kraft und die Rhetorik wird zuneh- in den vergangenen 20 Jahren um 1.500 %. Im Jahr mend rauer. Das alles verursacht Unsicherheit – ein 2018 handelten Deutschland und China Waren im schwer quantifizierbarer, dafür umso einflussreiche- Wert von fast 200 Mrd. Euro. rer Faktor, wenn es beispielsweise darum geht, In- vestitionsentscheidungen zu treffen. Neben enormen Chancen bleiben die komplexen re- gulatorischen Herausforderungen des chinesischen Neben den Auswirkungen des Handelskonflikts hat Markts weiter bestehen. Es gab Verbesserungen AUTOR China mit seiner schwächelnden Wirtschaft zu kämp- beim Marktzugang: So sah man Bewegung beim Ab- fen. Nach einer fast euphorischen Phase des andau- bau des Joint-Venture-Zwangs in der Automobilin- Jens Hildebrandt ist seit August 2018 Delegierter der Deutschen Wirtschaft in ernden zweistelligen Wachstums hat das Land in den dustrie und im Chemiesektor erlaubte man die Er- Peking und dortiger Geschäftsführer der vergangenen Jahren eine gemäßigte Wachstumsge- richtung einer eigenen Produktionsanlage. Dies Deutschen Handelskammer. Er studierte schwindigkeit erreicht. Der Optimismus ist nicht mehr zeigt: China kann entsprechende Veränderungen Politikwissenschaft und Sinologie in so ausgeprägt wie in den vergangenen Jahren. Die herbeiführen. Dringend erforderlich sind ein syste- Leipzig, Peking und Hongkong und sinkende Binnennachfrage drückt auf die Stimmung matisch verbessertes Wettbewerbsumfeld, ange- absolvierte ein MBA-Studium. Seit 2007 ist Jens Hildebrandt in verschiedenen und der Wettbewerb im Land nimmt zu. Insgesamt fangen beim Schutz geistigen Eigentums über Fra- leitenden Positionen im Netzwerk der bleiben die Geschäftsaussichten deutscher Unterneh- gen der Internetsicherheit und Lizenzvergabe bis hin deutschen Auslandshandelskammern men in China für das laufende Jahr verhalten, trotz zum uneingeschränkten Marktzugang. Es geht um (AHK) und im Deutschen Industrie- und Wachstum der chinesischen Wirtschaft im ersten ein Level Playing Field für alle Unternehmen. Dazu Handelskammertag e.V. (DIHK) tätig, u.a. als Leiter des Ostasien-Referats in Berlin Quartal. Die Ankündigungen der chinesischen Regie- braucht es einen transparenten und verlässlichen und später als Delegierter der Deutschen rung über Maßnahmen zur Unterstützung der wirt- weiteren Prozess der Öffnung. Die kontinuierliche Wirtschaft in Guangzhou. schaftlichen Entwicklung deuten darauf hin, dass Arbeit am regulatorischen Umfeld kann für ein vor- China entschlossen ist, für das Jahr 2019 ein stabiles teilhafteres Investitionsklima sorgen, sodass die wirtschaftliches Umfeld zu gewährleisten. China bestehenden Marktchancen weiter ausgeschöpft spielt für viele Unternehmen eine Schlüsselrolle – werden können – zum Nutzen deutscher und chine- weltweit. Die im DAX notierten Firmen haben rund sischer Unternehmen gleichermaßen. « 700 Tochtergesellschaften in China und erwirtschaf- ten hier knapp 15 % der Gesamtumsätze. » bdvb aktuell Nr. 145 « 11
AUS WIRTSCHAFT UND GESELLSCHAFT Licht und Schatten der chinesischen Industriepolitik Neuerdings findet die chinesische Industriepolitik viele Bewunderer im Westen: Der autoritäre Staat soll China zur führenden Wirtschaftsmacht gemacht haben. Das Beispiel von E-Mobility zeigt aber, dass das massive Eingreifen des chinesischen Staats die Märkte verzerrt und schwer kontrollierbare Risiken erzeugt. Der Handelskrieg zwischen den USA und China entzündete sich zu- einen der größten Kredite in der Geschichte der Automobilprodukti- nächst an den riesigen Handelsüberschüssen Chinas, die der ameri- on. FAW ist ein staatliches Unternehmen. Die Kreditvergabe an FAW kanische Präsident mit Handelszöllen bekämpfen wollte. Mittlerwei- und andere Staatsunternehmen demonstriert vor allem die ent- le aber hat sich der Streit ausgeweitet und die USA wollen nun vor schlossene Unterstützung der Regierung trotz des starken Rückgangs allem Änderungen der chinesischen Industriepolitik erzwingen. der Autoverkäufe und des Rückgangs des Wirtschaftswachstums. Angetrieben vom Handelskrieg ist die chinesische Regierung ent- Es steht außer Frage, dass China eine außerordentlich aktive und um- schlossen, billiges Geld in das System zu pumpen, um die chinesi- fassende Industriepolitik betreibt, die neben der Gestaltung von Rah- sche Wirtschaft zu stabilisieren. menbedingungen auch und vor allem konkrete Hilfen für ganze Indus- triezweige beinhaltet. Ein großer Teil des Regierungsprogramms zur Diese Handlungsweise spiegelt Grundcharakteristika der chinesi- Förderung von Innovationen kommt dabei dem staatlichen Sektor schen Politik in Bezug auf Industrien und Unternehmen mit strategi- weitaus mehr zugute als dem privaten Sektor. Großzügige Fördermit- scher Priorität wider. Es gibt kein besseres Beispiel als E-Mobility. In tel gehen vor allem an staatliche Forschungsinstitute oder große den späten 2000er Jahren identifizierte China E-Mobility, die auf den staatliche Unternehmen. Ein Blick auf den Bereich der Fahrzeugpro- Einsatz von Lithium-Ionen-Batterien betrieben wurde, als „strategi- duktion, insbesondere der E-Mobility, zeigt die Stärken und Schwä- sche aufstrebende Industrie“. Konsequenterweise wurde dies zu ei- chen der chinesischen Industriepolitik. nem der Schlüsselsektoren des Entwicklungsplans „Made in China 2025“. Die Regierung hoffte, dass große Investitionen in E-Mobility Ende 2018 wurde bekannt, dass der größte chinesische Automobil- China von einem technologischen Nachzügler zu einem der führen- hersteller FAW (First Automotive Works) mit Firmensitz in Changchun den Länder im Automobilsektor machen. Außerdem sollte die Abhän- von chinesischen Banken einen Kredit in Höhe von rund 1 Billion Yuan gigkeit des Landes von Ölimporten reduziert und die Luftqualität in (129 Millionen Euro) erhalten hatte. Es handelt sich vermutlich um den Städten verbessert werden. 12 » bdvb aktuell Nr. 145 «
AUS WIRTSCHAFT UND GESELLSCHAFT In der Folge wurden keine Kosten gescheut, um sowohl das Angebot Es ist jedoch wichtig zu erkennen, dass das Eingreifen der Regierung seitens der Hersteller als auch die Nachfrage der Kunden zu fördern. den E-Mobility-Markt so stark vorangetrieben hat, dass ein Großteil Nach Berechnungen des Center for Strategic and International Stu- dieser Geschäftstätigkeit ohne die starke, sichtbare Hand des Staa- dies in Washington haben die Behörden in China zwischen 2009 und tes gar nicht existieren würde. Die Staatsausgaben machen über 2017 insgesamt 50 Milliarden Euro in die Industrie investiert. Der 42 % aller Verkäufe aus, ein hoher Wert selbst in der Volksrepublik. größte Anteil ist für Kaufprämien in Höhe von 32 Milliarden Euro ver- Ohne staatliche Hilfe wäre der Sektor nicht profitabel. BYD Auto wendet worden, aber es wurden auch große Summen in Forschung (Build Your Dream Auto), einer der größten Automobilproduzenten und Entwicklung, staatliche Beschaffung von Fahrzeugen und öffent- Chinas und führend beim Verkauf von elektrisch aufladbaren Fahrzeu- liche Ladeinfrastruktur investiert. Darüber hinaus hat China die Um- gen mit Sitz in Shenzhen, machte 2017 einen Gewinn von 530 Millio- satzsteuer für elektrische Fahrzeuge gesenkt. nen Euro bei einem Umsatz von 14 Milliarden Euro. Die Gewinne ka- men dabei allerdings fast ausschließlich aus dem Verkauf von tradi- Diese Politik kann als intelligente Investitionspolitik verstanden wer- tionellen benzinbetriebenen Pkws. den, die einen strategischen Sektor gezielt fördert und die Ausbrei- tung ökologisch sinnvoller Technologien unterstützt. Als Resultat Die massive staatliche Unterstützung ist problematisch. Bei so vielen dieser Politik sind im Bereich der E-Mobility Hunderte von Herstellern Produzenten von E-Mobility ist es auch für die größten nahezu unmög- in China entstanden, darunter auch einige, die erstklassige elektri- lich, in naher Zukunft profitabel zu sein. Das Risiko von Überkapazitä- sche Fahrzeuge produzieren. Im Jahr 2018 wurden in China 1,1 Milli- ten ist hoch. In diesem Jahr gingen die Autoverkäufe in China weiter onen elektrisch betriebene Fahrzeuge verkauft. Während in China in zurück, inoffiziell ist von Rückgängen von fast 20 % die Rede. Die 2018 4,2 % der Neuwagenverkäufe auf elektrischem Antrieb beruh- Wachstumserwartungen im E-Mobility-Bereich sind ebenfalls viel zu ten, waren es in Deutschland nur 1,9 %. optimistisch. Die Verbraucher betrachten elektrische Fahrzeuge immer noch vorrangig als „ethische Pflicht“ und haben Zweifel in Bezug auf » bdvb aktuell Nr. 145 « 13
AUS WIRTSCHAFT UND GESELLSCHAFT Fahrzeugqualität, Reichweite, Wartung und die Kos- auch in anderen Hochtechnologiesektoren wieder- ten für den Batteriewechsel. Sehr bald wird es für holen, die von der der chinesischen Regierung stark die Hersteller schwierig werden, ihre Fahrzeuge am unterstützt werden, wie zum Beispiel Robotik, Markt abzusetzen. Viele werden sich dann für wei- künstliche Intelligenz und Halbleiter. tere Hilfen an Investoren, Kommunen oder den Staat wenden. Eine Konsolidierungswelle ist möglich. Die aus dieser Geschichte zu ziehende Schlussfol- gerung besagt nicht, dass die chinesische Regie- Die Gefahren beschränken sich nicht nur auf den rung auf die Entwicklung von E-Mobility oder ande- chinesischen Inlandsmarkt. Sollte das Interesse der ren fortschrittlichen Technologien verzichten sollte, chinesischen Verbraucher nachlassen, könnten die sondern dass sie stärker auf Marktsignale achten chinesischen Hersteller versuchen, elektrische und die Auswirkungen für andere Volkswirtschaf- Fahrzeuge (und ihre Ladeinfrastruktur) zu stark re- ten und die Weltwirtschaft sorgfältig prüfen sollte. duzierten Preisen zu exportieren. Es könnten Millio- Insbesondere ist es wichtig, die technologische nen chinesischer Autos auf den Weltmarkt gebracht Vielfalt so lange wie möglich aufrechtzuerhalten werden, was vor allem die privaten Produzenten in und den Erzeugern und Verbrauchern im In- und der Lieferkette gefährden könnte, die nicht auf Hil- Ausland ausreichend Gelegenheit zu geben, die für AUTOR fen des chinesischen Staates zählen können. sie geeigneten Optionen zu wählen und so den Klaus Mühlhahn ist Professor für technologischen Wandel zuzulassen und zu fördern. chinesische Geschichte und Kultur an der All diese Probleme – mangelnde Gewinne und be- Die chinesische Industriepolitik muss eine größere Freien Universität Berlin und seit 2014 Vize-Präsident. Er veröffentlichte drohte Lieferketten – könnten natürlich gerechtfer- Verantwortung und Weitsicht zeigen. zahlreiche Publikationen zur neueren und tigt sein, wenn die Umstellung auf E-Mobility zu neuesten Geschichte auf Englisch, sauberer Luft führen würde. In China wird jedoch Die chinesische Industriepolitik ist somit auch lan- Deutsch und Chinesisch und ist ein über 70 % der Elektrizität aus fossilen Brennstof- ge nicht so erfolgreich, wie die amerikanische Poli- häufiger Kommentator für die deutschen Medien. Ein Schwerpunkt seiner Arbeit fen, einschließlich Kohle, erzeugt. Das bedeutet, tik zu glauben scheint. Es gibt eine lange Liste ver- sind Institutionen in Recht und Wirtschaft. dass die Einführung von E-Mobility die Luftver- schwenderischer Fehlkalkulationen, Fehlallokatio- Im Januar 2019 erschien bei Harvard schmutzung nicht verringert, sondern verlagert. nen von Ressourcen und gescheiterter Investitio- University Press das Buch “Making China Sollte man eines Tages feststellen, dass Wasser- nen. Die offiziell propagierte Geschichte von Chinas Modern: From the Great Qing to Xi stoffbrennstoffzellen effizienter und sicherer sind Aufstieg und technologischer Innovation lässt Jinping”. als Lithium-Ionen-Batterien, könnte China mit einer leicht vergessen, dass es eine weniger effiziente minderwertigen Technologie belastet sein. und weniger glänzende Seite gibt. Die Kosten des China-Modells sind gravierend, abzulesen an Res- Eine ähnliche Geschichte hat sich vor einigen Jah- sourcenverschwendung und Umweltverschmut- ren schon mal ereignet: Chinas Solarindustrie zung. Grund dafür ist, dass Entscheidungen oft auf durchlief den gleichen Zyklus, und die Konsequen- politischen Ambitionen beruhen und nicht unbe- zen gingen weit über Chinas Grenzen hinaus. In der dingt auf der offenen und wettbewerblichen Aus- Folge wurden Solarzellenhersteller in anderen Län- wahl der besten Ideen oder der innovativsten Plä- dern, darunter auch Deutschland, aus dem Markt ne. Wie viele andere Regierungen der Welt ist die gedrängt. Viele Experten glauben, dass die heute chinesische Regierung kein sehr guter und effizien- weitverbreitetste Technologie von Solarmodulen ter Förderer von Innovation, da sie häufig bestimm- alles andere als effizient ist und sich nur deshalb ten Interessengruppen verpflichtet ist. « durchgesetzt hat, weil China diese Technologie vor- zeitig unterstützt hat. Diese Dynamik könnte sich 14 » bdvb aktuell Nr. 145 «
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AUS WIRTSCHAFT UND GESELLSCHAFT Interview „Eine unglaubliche Aufbruchstimmung und Dynamik“ Die Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) ist eine von vielen ausländischen Institutionen in China. Im „Reich der Mitte“ besitzt sie eine Adresse in Peking und eine in Shanghai. Über Arbeit und Leben in China sprach bdvb aktuell mit dem Leiter der dortigen Vertretung, Diplom-Ökonom Michael Winzer. sammenhang unterstützen wir un- ren Interessen kongruent sind. In- sere Kollegen in Deutschland mit zwischen allerdings sind globale Im Gespräch mit Experten und Expertise. Herausforderungen, wie die Neu- gestaltung des Welthandels oder Michael China steckt im Wandel und die Begrenzung des Klimawandels, formuliert offen einen interna- nur noch gemeinsam mit China zu tionalen Führungsanspruch. lösen. Die Zukunft wird zeigen, ob Wie beurteilen Sie die Volks- China in seiner gewandelten Rolle Winzer republik? ein verlässlicher Partner in Politik Aus chinesischer Sicht ist das Land und Wirtschaft wird. Klar ist, dass seit mehreren tausend Jahren eine aufgrund der wirtschaftlichen Stär- globale Führungsmacht mit einer ke und der damit einhergehenden ausgeprägten kulturellen und wis- politischen Bedeutung Chinas der senschaftlichen Tradition. Mit den Dialog immer wichtiger wird und bdvb aktuell: Herr Winzer, wie das Modell der Sozialen Markt- Opiumkriegen im 19. Jahrhundert die internationalen Ansprüche an hat man sich Ihre Arbeit in wirtschaft sehr wichtig ist. Weiter- hat lediglich eine kurze Phase der das Land als verlässlichen Partner China vorzustellen? Welche hin arbeiten wir an Themen wie Fremdbestimmung und der Schwä- mit globaler Verantwortung deut- Projekte führen die Büros der Urbanisierung, Digitalisierung oder che begonnen, die der Wiederauf- lich gestiegen sind. KAS durch? Rechtsstaatlichkeit. Durch Stipen- stieg Chinas nun beendet. Aus Michael Winzer: Unser Büro in dien fördern wir Studien- und For- dieser Perspektive betrachtet sind Mit der Initiative „Made in Peking fördert den politischen Aus- schungsaufenthalte gesellschaft- die in letzter Zeit formulierten An- China 2025“ soll China binnen tausch und Dialog zwischen unse- lich engagierter junger Chinesen in sprüche eine Rückkehr zu einer weniger Jahre zu westlichen rem Netzwerk in Deutschland bzw. Deutschland. Auch für die globale langen Tradition chinesischer Ge- Hightech-Nationen aufschlie- der EU und China. Hierzu nutzen Arbeit der KAS ist China inzwi- schichte. In Deutschland wurde ßen. Spürt man die Aufbruchs- wir Formate wie Rundtischgesprä- schen zu einem wichtigen Quer- China in den zurückliegenden Jahr- stimmung? che, Konferenzen oder Studienpro- schnittsthema geworden: In nahe- zehnten vor allem als Markt und Ja, wenn man vor Ort lebt, spürt gramme und beziehen politische zu allen Regionen, in denen wir tä- Wirtschaftspartner wahrgenom- man sofort eine unglaubliche Auf- Nachwuchskräfte, etablierte Poli- tig sind, befassen wir uns intensiv men. Nun erkennt man, dass das bruchsstimmung und Dynamik tiker und politische Multiplikato- mit der sicherheits- und wirt- Land ein neuer globaler Wettbe- quer durch alle Bevölkerungs- ren mit ein. Über unser Büro in schaftspolitischen Rolle des Lan- werber ist, der – bedingt durch ein schichten. Nach mehreren Jahr- Shanghai bringen wir uns in die des. Nicht zuletzt gewinnt China in anderes politisches System – ganz zehnten mit enormen Wachs- ordnungspolitische Diskussion ein, der politischen Bildung in Deutsch- eigene Interessen vertritt. Interes- tumsraten haben sich in der Be- wobei uns als Adenauer-Stiftung land an Bedeutung. In diesem Zu- sen, die teilweise nicht mit unse- völkerung Zukunftsoptimismus, 26 » bdvb aktuell Nr. 145 «
AUS WIRTSCHAFT UND GESELLSCHAFT Interview „Die Zukunft wird zeigen, ob China in seiner gewandelten Rolle ein verlässlicher Partner in Politik und Wirtschaft wird.“ Veränderungsbereitschaft, Eigen- umgesetzt werden. Das politische kulturelle Unterschiede zwischen initiative, Ehrgeiz und Motivation System der EU basiert ja auf eben- Europa und China gibt. Es ist un- ausgebreitet. Selbst in gesell- solchen Beteiligungsmechanis- heimlich spannend, die aktuelle schaftlichen Gruppen, die bisher men. Eigentumsrechte sind gesi- globale politische und wirtschaftli- nur wenig vom Wachstum profi- chert, Verfahren laufen rechts- che Kräfteverschiebung vor Ort tieren konnten, herrscht oft die staatlich ab und neben wirtschaft- mitzuerleben. Ich arbeite seit zwei Einsicht, dass man nicht abge- lichen Interessen werden auch Jahren in Peking und bereits insge- hängt wurde, sondern dass die Umwelt und Soziales berücksich- samt acht Jahre in Asien, doch ich individuelle Chance morgen oder tigt. Das macht die EU neben an- lerne täglich Neues über die kultu- übermorgen kommen kann. Mit deren Dingen für Investitionen at- rellen Unterschiede. Das führt ihren langfristigen Visionen für traktiv und ist eine Grundlage un- auch dazu, dass man bestimmte die wirtschaftliche Entwicklung seres Wohlstandes. Wenn wir Dinge aus einer anderen Perspekti- DER INTERVIEWPARTNER bis zum Jahr 2049 befördert die diese Strahlkraft nicht verlieren ve sieht. Für mich, meine Frau und chinesische Politik diesen Zu- wollen, dürfen wir uns hierauf meine Kinder ist es eine sehr wert- kunftsoptimismus und den Auf- aber nicht ausruhen, sondern müs- volle Erfahrung, von der bereits Michael Winzer studierte Wirt- stiegsehrgeiz in der Gesellschaft sen weiter an unserer Konkurrenz- vorhin angesprochenen Dynamik, schaftswissenschaften an der zusätzlich. Weiterhin gibt es in fähigkeit arbeiten. Aufbruchsstimmung und dem Zu- Universität Hohenheim und der China eine unglaublich hohe Affi- kunftsoptimismus in China ange- Universität Göteborg. Nach dem nität gegenüber neuer Technolo- Mehr als 60 Länder haben Ge- steckt zu werden. Allerdings gibt Diplom hat er seine berufliche gie und ein geringes Bewusstsein setze gegen NGOs verab- es natürlich Einschränkungen, die Tätigkeit bei der KAS als Projekt- für den Schutz persönlicher Da- schiedet, darunter auch China. man hinnehmen muss, wie etwa assistent im Auslandsbüro für ten. Aufgrund dieser Rahmenbe- Wie ist der aktuelle Stand? die Luftverschmutzung. Zentralasien und den Südkaukasus dingungen ist China bereits in ei- Kommt das ‚Sozialpunktesys- in Taschkent/Usbekistan begonnen. nigen Bereichen an die Weltspitze tem‘ auch für Angestellte von Die KAS steht laut Leitbild für Anschließend war er zunächst als aufgestiegen. NGOs? Soziale Marktwirtschaft und Referent und dann als stellvertre- Das NGO-Gesetz hat unsere Arbeit die christliche Religion – bei- tender Teamleiter in der Finanz- und Projekte wie die Belt-and- in China in vielen Bereichen verän- des hat in China einen schwe- Projektverwaltung der KAS-Zen- Road-Initiative“ oder „Made dert. Die wesentliche Änderung ist, ren Stand … trale in Berlin tätig. Daraufhin folgte in China 2025“ müssen sich dass wir unsere Aktivitäten vorab In der Tat offenbaren sich hier zu- die knapp vierjährige Tätigkeit als nicht demokratisch legitimie- von den Behörden genehmigen las- nächst große Gegensätze. Doch es Leiter des KAS-Büros in Bangkok. ren? Sind Demokratien im sen müssen und nur noch mit ei- ist ja nicht unser Ziel, dass China Seit zwei Jahren führt der heute Nachteil? nem chinesischen Partner tätig unser ordnungspolitisches System 39-jährige das Auslandsbüro der Natürlich entfaltet es zunächst ei- werden dürfen. Weiterhin sind zu- exakt so kopiert. Wir verfolgen kei- KAS in Peking. ne enorme Anziehungskraft, wenn sätzliche Berichtspflichten gegen- nen missionarischen Anspruch. schnell sichtbare Ergebnisse er- über den chinesischen Behörden Jedes Land muss seinen eigenen reicht werden. Vor allem in ärme- entstanden. Allerdings haben wir Weg finden, wie es sich entwickelt ren Ländern und Regionen wird es seit Mai 2017 unsere Registrierung und sicherstellt, dass sein spezifi- goutiert, wenn Projekte einfach als ‚ausländische NGO‘, womit un- sches Modell durch politische Par- umgesetzt werden und in kurzer sere Arbeit in China wieder eine tizipation und Interessensaus- Zeit Straßen, Schienen oder Kraft- rechtliche Grundlage hat. Zu dem gleich nachhaltig und stabil wird. werke entstehen. Aber: Auch in für das kommende Jahr geplanten Unsere Rolle ist, im Dialog für un- China formuliert eine zunehmend Sozialpunktesystem liegen uns sere Werte zu werben und für die- selbstbewusstere, gebildetere und noch keine verbindlichen Informati- se einzutreten, gemeinsame Her- reichere Mittelschicht ihre Interes- onen vor. Ich bin sehr gespannt, ausforderungen zu diskutieren und sen stärker. Deshalb wird der mit- was es für die Adenauer-Stiftung in einer immer vernetzteren Welt tel- und langfristige Erfolg beider und für mich persönlich bedeuten gegenseitiges Verständnis und Initiativen davon abhängen, wie wird. Vertrauen zu schaffen. Die Nach- stark alle Beteiligten in die politi- frage danach wächst unter unse- schen Entscheidungsprozesse ein- Wie nimmt man als Europäer ren chinesischen wie auch unseren gebunden sind und in welchem das Leben und Arbeiten in deutschen und europäischen Part- Maße die politischen Entschei- China wahr oder die kulturel- nern. « dungen von der Bevölkerung ge- len Unterschiede? tragen werden. Das belegen Bei- Das Leben und Arbeiten in China spiele aus Ländern, in denen Pro- ist eine große Bereicherung, auch jekte der Belt-and-Road-Initiative oder insbesondere weil es enorme » bdvb aktuell Nr. 145 « 27
AUS WIRTSCHAFT UND GESELLSCHAFT Interview Marcella Hansch (links) mit Melanie Vogel bei der Verleihung des Erfinderinnenpreises 2019 auf der women&work 34 » bdvb aktuell Nr. 145 «
AUS WIRTSCHAFT UND GESELLSCHAFT Interview Von Frau zu Frau Marcella Hansch gewinnt den Erfinderinnenpreis in der Kategorie „Humanismus 4.0“ Am 4. Mai 2019 erhielt die Architektin Marcella Hansch mit ihrem Projekt „Pacific Garbage Screening“ den women&work-Erfinderinnenpreis in der Sonderkategorie „Humanismus 4.0“. Der Sonderpreis zeichnet Frauen aus, deren Visionen in besonderem Maße die Zukunft des Menschen kooperativ gestalten und daher nicht zwingend wirtschafts- und gewinngetrieben sind bzw. sein können. Melanie Vogel, Initiatorin dieses Preises und langjähriges bdvb-Mitglied, sprach mit der Erfinderin. Marcella, was verbirgt sich denn die Erde kann sich gut also innerhalb von 70 Jahren, in hinter dem Projekt „Pacific ohne uns weiterdrehen. Was weniger als einer Lebensspanne Garbage Screening“? war für dich der auslösende eines Menschen, ein Riesenprob- Es sind eigentlich zwei Zielsetzun- Gedanke für dein Projekt? lem generiert. Und trotzdem be- gen, die wir mit dem Projekt verfol- Ich tauche gern, doch ich habe ein zeichnen wir uns immer noch als gen. Zum einen sind wir dabei, ei- bisschen Angst vor Fischen. Daher die intelligenteste Spezies auf die- ne Technologie zu entwickeln, die achte ich immer sehr darauf, dass sem Planeten, was total absurd ist. Flüsse und Meere von Plastik rei- sie mir nicht zu nahekommen. Bei nigt. Zum anderen verfolgen wir einem Tauchgang vor circa sechs Wie soll deine Idee des den präventiven Gedanken der Jahren gab es einen Moment des „Screenings“ konkret funktio- Aufklärung und Umweltbildung. Es Schreckens, als mich etwas unter nieren? reicht eben nicht, eine Technologie Wasser berührt hat. Doch es war Dazu muss ich ein wenig ausholen, zu entwickeln, sondern wir müssen eben kein Fisch, sondern Plastik. denn unsere Entwicklung ist im auch die Menschen ändern. Selbst Ich habe mich dann umgeschaut Prinzip eine Kooperation von ganz die beste Technologie darf keine und auf einmal total viel Plastik vielen Fachbereichen und Wissens- Entschuldigung mehr dafür sein, gesehen, was ich bis zu diesem gebieten. Als Architektin musste dass wir weiterhin Flüsse und Oze- Zeitpunkt einfach ausgeblendet ich erst einmal meinen eigenen ane verschmutzen. Wir möchten hatte. Und wenn man anfängt, da- Wissenshorizont erweitern. Ich ha- die Menschen motivieren, ein Be- rauf zu achten, nicht nur im Was- be beispielsweise bei den Maschi- wusstsein dafür zu entwickeln, ser, sondern auch am Strand, in nenbauern nachgefragt, wie Mole- dass jeder zur Müllreduzierung den Straßen, dann sieht man den külstrukturen funktionieren, ich beitragen kann und der eine Cof- Plastikmüll einfach überall. Und musste herausfinden, warum sich fee-to-go-Becher eben doch was das hat mich geschockt. Damals Plastik im Wasser zersetzt und ausmacht, wenn alle auf ihn ver- gab es das Wort Mikroplastik noch welche Strömungswege das Plas- zichten, denn für die Menschheit gar nicht, aber ich fing an, zu re- tik nimmt, wenn es erst einmal im ist es extrem wichtig, dass uns un- cherchieren und mich schlau zu Ozean angelangt ist. Und dazu ser Planet auch in Zukunft noch zur machen über Müllstrudel im Meer, brauchte ich die Hilfe von Biolo- Verfügung steht. und war entsetzt, wie sehr das gen, Geographen, Geologen, Che- Thema totgeschwiegen wird. Was mikern. Dann habe ich Recycling- Über Jahrhunderte haben wir mich am meisten geschockt hat, und Kläranlagen besucht und ge- gesagt, der Mensch sei die war, dass die meisten Kunststoffe schaut, wie dort Wasser gereinigt Krone der Schöpfung, doch erst in den 50er Jahren auf den wird. Aus diesen ganzen Grundla- praktisch sind wir es nicht, Markt gekommen sind. Wir haben gen und Ideen ist dann im Prinzip » bdvb aktuell Nr. 145 « 35
AUS WIRTSCHAFT UND GESELLSCHAFT Interview DER INTERVIEWPARTNER Marcella Hansch, M.Sc., studierte dieses Projekt entstanden. In Kläranlagen gibt es näm- Partner im Ausland sitzen. Die muss man erstmal ak- Architektur an der RWTH Aachen. lich Sedimentierbecken, in denen das Wasser einge- quirieren und von dem Projekt überzeugen. Eine Vision Seit 2013 arbeitet ist sie für leitet und beruhigt wird. Die Sedimente setzen sich am kann man nicht einfach in das Antragsformular rein- verschiedene Planungs- und Archi- Boden ab und das saubere Wasser fließt weiter. Die- schreiben, sondern man muss sie runterbrechen auf tekturbüros tätig. 2016 gründete sie ses Prinzip habe ich auf die Wasserreinigung von Flüs- realistische nächste Schritte. Dann kann man als ge- pacific garbage screening e.V., sen und Meeren übertragen, denn Plastik schwimmt meinnütziger Verein so einen Antrag nicht mal eben dessen Vorstandsvorsitzende sie nicht nur an der Oberfläche, sondern es wird durch stellen, weil man oft Eigenkapital mit einbringen auch ist. Marcella Hansch und ihr Strömungen, Winde, Verwirbelungen ca. 30 bis 50 muss. Das heißt, wir mussten für diese Anträge noch Team arbeiten derzeit an einer Meter unter die Wasseroberfläche gedrückt. Und zusätzlich ein Unternehmen gründen. Wir sind aber Umsetzung einer Technologie zur durch diese extreme Tiefe kann man eben kein Netz auch kein klassisches Start-up, d.h. auch Start-up-Fi- Reinigung der Meere und machen nehmen oder Filter durch das Wasser ziehen, weil man nanzierungen können wir nur schwer bekommen, denn durch Vorträge, Interviews und sonst auch Fische, Plankton und Kleinstlebewesen mit unser Projekt wirft ja kein Gewinn ab, sondern kostet Öffentlichkeitsarbeit auf die aus dem Wasser herausfiltern würde. Wenn man es erst einmal wahnsinnig viel Geld in der Entwicklung Verschmutzung der Meere also schaffen könnte, Strömungen so weit zu beruhi- und im Bau. Nun haben wir unser Unternehmen so aufmerksam. gen wie in einem Sedimentierbecken einer Kläranla- gegründet, dass alle Überschüsse, falls sie jemals ge- ge, brauchte man keine Netze. Daraufhin habe ich neriert werden sollten, direkt wieder ins Projekt flie- Weitere Informationen: verschiedene Studien gemacht, die Idee in Simulati- ßen. Das letzte halbe Jahr haben wir praktisch nur mit www.pacific-garbage-screening.de onsprogrammen getestet und diese Plattform entwi- Bürokratie verbracht. Ob diese Anträge erfolgreich www.Erfinderinnenpreis.de ckelt. Darüber hinaus habe ich mir die Frage gestellt, sein werden, können wir überhaupt nicht abschätzen. was man mit dem Kunststoff machen kann, denn Wir versuchen daher grade parallel noch, mit Stiftun- durch den langen Verbleib im Wasser ist das Plastik gen ins Gespräch zu kommen, Sponsoren zu finden, nicht mehr recyclebar. Momentan wird dieses Plastik doch auch das ist sehr schwierig, weil Sponsoren ei- meistens verbrannt, aber das ist ja auch keine umwelt- gentlich immer auch eine Gegenleistung haben wol- freundliche Lösung. Erneut habe ich recherchiert, wel- len, die wir noch nicht bieten können. che Alternativlösungen es gibt. In Kanada beispiels- weise gibt es Vergasungsanlagen. Wenn man Kunst- Was ist dein größter Wunsch? stoffe vergast, dann entsteht ein Gemisch, bestehend Ich wünsche mir, dass die Menschen ihr Bewusstsein aus CO2 und Wasserstoff, was man als Molekülstruk- ändern und lernen, unseren Planeten wertzuschätzen. tur beides separat nutzen könnte. Wasserstoff als Was wir hier auf der Erde als Zuhause bezeichnen kön- Energieträger und CO2, wenn man es nicht in die Luft nen, ist unfassbar wertvoll! Jeder kann durch seinen pustet, ist natürliche Nahrung für Bäume, Algen usw. Konsum etwas Positives bewegen und die Welt ein Stück besser machen. Außerdem wünsche ich mir, Wie finanzierst du dieses Mega-Projekt? Partner und Sponsoren zu finden, mit denen wir das Wir haben vor zwei Jahren einen Verein gegründet Projekt schneller in die Tat umsetzen können. « und aktuell finanzieren wir uns hauptsächlich aus Spenden. Wir sind jetzt zusätzlich dabei, Forschungs- felder zu beantragen, aber das ist super schwierig. Erstmal kann man Fördergelder gar nicht so einfach beantragen. Es fängt schon bei der Bürokratie an. Um einen Antrag zu stellen, braucht man Partner; wenn man EU-Gelder beantragt, muss mindestens einer der 36 » bdvb aktuell Nr. 145 «
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