Weltmacht China - " Nr. 145 - Der bdvb

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Weltmacht China - " Nr. 145 - Der bdvb
» Nr. 145
Entgelt bezahlt bei Postamt 1 / 40210 Düsseldorf / Vertriebskennzeichen G 13904 / ISSN Nr. 1611-678X

                                                                                                       Weltmacht China
                                                                                                                    Eine Nation im Aufbruch

                                                                                                           Jahresthema 2019-2020 „Elektromobilität“ 06

                                                                                                        Warum wir mehr China-Kompetenz benötigen 22

                                                                                                        Verbandstag und Mitgliederversammlung 2019 42
Weltmacht China - " Nr. 145 - Der bdvb
Wittener MBA                                                  Master of
                                                              Business
                                                              Administration

FIRST
RULE:
QUESTION
EVERY
                     Der erste MBA für Neumacher.
                 Die anders führen, Dinge anschieben,
                Philosophie mit Business tanzen lassen,
                    Gesellschaft ändern, Netzwerke
                    spannen und dabei Erfolg haben.
                Für die Führungsqualitäten von morgen:

THING
               Kreativität, Kooperation, Kommunikation,
                  konstruktives Denken. Und für alle
                       Zukunftsgestalter, die sich
                            vernetzen wollen.

                  Drei Entdeckerworkshops rund um
               Führung, Philosophie, unternehmerisches
                         Denken und Handeln
                                  ↓
                      Entdecken und informieren
                          www.witten.mba

Partner:

                 Der MBA der Universität Witten/Herdecke am Professional Campus
                 im Akkreditierungsverfahren bei FIBAA
Weltmacht China - " Nr. 145 - Der bdvb
EDITORIAL

Liebe Mitglieder und Freunde
des bdvb,

        » Können wir von China lernen –
                 etwa in puncto E-Mobilität? «

mit Projekten wie der Neuen Seidenstraße           Apropos E-Mobilität: Mit dieser Materie wird
will China für mehr Handel und Prosperität         sich der bdvb im Rahmen seines ersten „Jah-
sorgen. Es kauft sich in strategische Logistik-    resthemas“ zwölf Monate lang intensiv ausei-
standorte ein, leitet Güterströme um, bindet       nandersetzen. Die gruppenübergreifende Be-
Wirtschaften an sich und sichert sich Einfluss.    schäftigung mit dem Jahresthema stärkt den
PwC hat 2017 festgestellt, dass China und In-      Dialog zwischen unseren Mitgliedern und Or-
dien bis 2050 die Länder mit dem größ-             ganisationseinheiten. Zugleich erhält der
ten Bruttoinlandsprodukt darstellen werden.        bdvb Gelegenheit, sein Profil nach außen zu
Deutschland soll dann nur noch an neunter          schärfen, Expertise zu entwickeln und eine
Stelle stehen. Mehr muss man nicht wissen,         Positionierung zu erarbeiten. Den Auftakt
um zu dem Schluss zu kommen, dass China            macht das Forschungsinstitut mit einem Bei-
ein wichtiger Partner für uns ist und sein wird.   trag in diesem Heft. Mitglieder, die beruflich
                                                   mit dem Thema E-Mobilität vertraut sind, sind
Doch wie umgehen mit einer derart aufstre-         herzlich zur Mitwirkung aufgerufen!
benden, vereinnahmenden Welt- und Wirt-
schaftsmacht? Natürlich kann man versuchen,        Schließlich will ich die Gelegenheit nicht ver-
den Konkurrenten einzuhegen. Die amerikani-        streichen lassen, Sie auf die exklusiven Mit-
sche Administration tut genau das. Doch sie        gliedervorteile hinzuweisen, die wir Ihnen mit
springt zu kurz und denkt wenig strategisch –      Hilfe unseres neuen Kooperationspartners
ganz im Gegensatz zum Politbüro in Peking,         Corporate Benefits anbieten können. Einen
dem in einer gelenkten Demokratie und Wirt-        entsprechenden Flyer finden Sie anbei, viel
schaft ungeahnte Ressourcen zur Verfügung          aussagekräftiger sind aber die konkreten An-
stehen.                                            gebote, die Sie online oder per Smartphone-
                                                   App aufrufen können. Den Link zur Regis-
Natürlich: In vielerlei Hinsicht darf uns China    trierung finden Sie im passwortgeschützten
kein Beispiel sein. Andersdenkende werden          Mitgliederbereich, den Sie über das kleine
weggesperrt, der Überwachungsstaat ist im          Vorhängeschloss im Menü unserer Homepage
Aufbau und mit geistigem Eigentum nimmt            erreichen.
man es nicht genau. Wir müssen also kriti-
sche Distanz wahren. Aus unserer Geschichte        Es lohnt sich, Mitglied im bdvb zu sein!
heraus wissen wir aber: Durch Abschottung
verändern wir nichts. Wirtschaftliche und po-
litische Beziehungen dagegen haben das Po-         Herzlichst
tenzial hierzu – wenn sich Partner auf Augen-
höhe begegnen.
                                                   Ihr
Deshalb ist es wichtig, sich mit dem Land aus-     Malcolm Schauf
einanderzusetzen – so wie diese Ausgabe
unseres Magazins. Was ist von der chinesi-
schen Industriepolitik zu halten? Wie erleben
deutsche Bürger und Unternehmen den Alltag
in der Volksrepublik? Können wir von China
lernen – etwa in puncto E-Mobilität?               Präsident

                                                                                                     » bdvb aktuell Nr. 145 «   3
Weltmacht China - " Nr. 145 - Der bdvb
Nr. 145
INHALT                  Editorial3

                        Aus Wirtschaft und Gesellschaft
                        Elektromobilität als Baustein für eine nachhaltige                                        6
                        Gestaltung der Mobilität

                        China: Wirtschaftspartner in einer sich wandelnden Rolle                                11

                        Licht und Schatten der chinesischen Industriepolitik                                    12

                        Standort Deutschland: eine chinesische Perspektive                                      16

                        Warum wir mehr China-Kompetenz benötigen und wie                                        22
                        wir sie bekommen

                       6                                   12 16
                           Impressum
                            bdvb aktuell
                            Ausgabe 145
                            Juli bis September 2019
                            ISSN 1611-678X

                            Herausgeber
                            Bundesverband Deutscher
                            Volks- und Betriebswirte e.V.
                            Florastraße 29, D-40217 Düsseldorf
                            Tel. +49 211 371022, Fax +49 211 379468            Der Bezugspreis von 7,50 Euro ist im
                            www.bdvb.de, info@bdvb.de                          Mitgliedsbeitrag enthalten.
                                                                               Nachdruck – auch auszugsweise – nur in
                            Redaktionelle Mitarbeit in dieser Ausgabe          Absprache mit dem Herausgeber gestattet.
                            Dr. Matthias Meyer-Schwarzenberger (V.i.S.d.P.),
                            Birgit Schoerke-Zitz, Florian Ries                 Für den Inhalt der Artikel sind die jeweiligen
                                                                               Autoren verantwortlich.
                            Anzeigen, Layout, Herstellung, Druck
                            Köllen Druck + Verlag GmbH
                            Ernst-Robert-Curtius-Str. 14                       Bildnachweise
                            53117 Bonn-Buschdorf                               Titel: 123rf/Leung Cho Pan
                            Tel. +49 228 989820, Fax +49 228 9898255           Inhalt: Soweit nicht anders gekennzeichnet,
                            verlag@koellen.de                                  alle Bilder/Grafiken © 123rf.com

 4   » bdvb aktuell Nr. 145 «
Weltmacht China - " Nr. 145 - Der bdvb
Chinas Mittelschicht – Motor oder Bremse?                   28

Die Auswirkungen der Digitalisierung auf Arbeitsmarkt       30
und Gesellschaft

                                                                         22
Industrie 4.0 – Die Rolle des Controllers                   32

Von Frau zu Frau:                                           34
Marcella Hansch gewinnt Erfinderinnenpreis

Interview
Für Europa birgt die Neue Seidenstraße mehr Chancen         18
als Gefahren

                                                                         34
China geht es vor allem um eine sichere Energieversorgung   24

Eine unglaubliche Aufbruchstimmung und Dynamik              26

Studium und Karriere
Gelesen und notiert                                         37

Über Umwege nach China                                      38

Wissenswerke                                                40

Verbandsleben
Schulfach Wirtschaft – eine Selbstverständlichkeit

Mitgliederversammlung 2019 und Rahmenprogramm
                                                            41

                                                            42
                                                                         41
Hochschulgruppenleiterkonferenz in Nürnberg                 44

Jahresveranstaltung BG Nürnberg                             46

Bezirks- und Hochschulgruppen                               48

                                                                          46
Aus den Fachgruppen                                         51

Wir gratulieren herzlich                                    54

Unsere Kontakte                                             57

Das Mitglied hat das letzte Wort                            58

                                                                 » bdvb aktuell Nr. 145 «   5
Weltmacht China - " Nr. 145 - Der bdvb
AUS WIRTSCHAFT UND GESELLSCHAFT

    Elektromobilität
    für eine nachhaltige Gestaltung
    Mit dieser Ausgabe des bdvb aktuell fällt gleichzeitig der
    Startschuss für das Jahresthema Elektromobilität, das sich
    von Juli 2019 bis Ende Juni 2020 wie ein roter Faden durch die
    Arbeit und Kommunikation des Verbandes, seiner Gremien und
    Gruppen ziehen wird.

6     » bdvb aktuell Nr. 145 «
Weltmacht China - " Nr. 145 - Der bdvb
AUS WIRTSCHAFT UND GESELLSCHAFT

als Baustein
der Mobilität

                Die Idee hinter dem Jahresthema ist schnell erklärt: Ein Jahr lang
                widmet sich der bdvb regelmäßig einem bestimmten Sachverhalt in
                seinen verschiedensten Facetten. Wir suchen den Dialog, analysie-
                ren, geben Denkanstöße – sei es zentral oder dezentral in den Fach-
                und Ortsgruppen. Am Ende ziehen wir gemeinsam Bilanz über das
                Erreichte.

                Auf der Hand liegt: Das jeweilige Thema muss erhebliche gesell-
                schaftliche, wirtschaftliche und gegebenenfalls sogar wissenschaft-
                liche Relevanz besitzen. Kein Wunder also, dass die Wahl des Präsi-
                diums für das Jahresthema 2019/2020 auf die Elektromobilität fiel.

                Kaum ein Thema bewegt die Menschen derzeit mehr als der Kampf
                gegen den Klimawandel und seine Vereinbarkeit mit ökonomischen
                Zielsetzungen. Die Elektromobilität steht – unter anderem – im Zen-
                trum der Debatte. Welche Formen der E-Mobilität gibt es und wie
                sind sie ökonomisch zu bewerten? Welche Infrastruktur wird benötigt
                und welche Abhängigkeiten ergeben sich? Solchen Fragen – vom
                Strukturwandel bis hin zu bilanziellen Auswirkungen – widmen sich
                ab sofort viele Aktivitäten der Mitglieder und regelmäßige Beiträge
                im bdvb aktuell.

                Den Anfang macht ein Artikel von Prof. Dr. Paul J.J. Welfens und
                Prof. Dr. Markus Pütz. Auf den folgenden Seiten bietet er einen Über-
                blick über den aktuellen Stand der Diskussion.                          »»»
                                                             » bdvb aktuell Nr. 145 «   7
Weltmacht China - " Nr. 145 - Der bdvb
AUS WIRTSCHAFT UND GESELLSCHAFT

                                               Die aktuellen und zukünftigen Herausforderungen         d.h. BMW, Daimler (mit den Marken Mercedes-
                                               im Klimaschutz, allen voran die erforderliche           Benz und Smart), Ford und Opel forcieren den Aus-
                                               deutliche Senkung von Kohlenstoffdioxid- (CO2),         bau der Elektromobilität und die Nutzung hybrider
                                               Stickoxid-, und Partikelemissionen, bilden einen        Antriebe. Mercedes-Benz setzt zudem auf den
                                               Problemkomplex, dessen nachhaltige Bewältigung          Brennstoffzellenantrieb und BMW auf wasserstoff-
                                               großer Kraftanstrengungen bedarf. Bei einer Be-         betriebene Verbrennungsmotoren. Smart hat ange-
                                               trachtung der in den Bereichen Wirtschaft und Poli-     kündigt, die Produktion ab 2020 auf rein batteriebe-
                                               tik in Deutschland aktuell oder absehbar favorisier-    triebene Elektrofahrzeuge umzustellen; Komplett-
                                               ten Ansätze, Beiträge zur Bewältigung dieses Pro-       produktion in China ab 2020. Der relativ junge Au-
                                               blemkomplexes zu liefern, lässt sich weniger ein        tomobilproduzent e.Go aus Aachen bietet ebenfalls
                                               dominanter Ansatz herausstellen, sondern vielmehr       rein batteriebetriebene Automobile an. Für den
                                               ein differenziertes Bild mit mehreren Ansätzen          Kurzstreckenbedarf an individueller Mobilität bis
                                               zeichnen. Neben dem Auf- und Ausbau der Elektro-        etwa 100 km pro Tag, also insbesondere im Stadt-
                                               mobilität auf Basis reiner batteriebetriebener Elek-    verkehr und der nahen Peripherie, weisen reine
                                    AUTOR      troantriebe oder Brennstoffzellen wird der Ausbau       Elektrofahrzeuge im Betrieb bereits heute im Be-
            Prof. Dr. Paul J. J. Welfens,
                                               hybrider Antriebe als Kombination aus Verbren-          reich der CO2-Emissionen Vorteile gegenüber kon-
Vorsitzender des bdvb Forschungsinstituts      nungsmotor und Elektroantrieben (Voll-Hybrid,           ventionellen Automobilen mit Verbrennungsmotor
        und Präsident des EIIW/Bergische       Plug-in-Hybrid etc.) und die Nutzung synthetischer      auf. Denn bei der Stromerzeugung für das Laden
       Universität Wuppertal, Lehrstuhl für    Kraftstoffe für konventionelle Verbrennungsmoto-        der Batterien wird bei dem aktuell verfügbaren
    Volkswirtschaftslehre/Makroökonomik
                                               ren bzw. in Verbindung mit Hybrid-Antrieben disku-      Strom-Mix deutlich weniger CO2 emittiert als beim
   Jean-Monnet-Professor für Europäische
 Integration und IZA Fellow, (Bonn), sowie     tiert. Zur Wahrung des Klimaschutzes ist es zudem       Betrieb der konventionellen Automobile mit Ver-
Research Fellow am AICGS/Johns Hopkins         erforderlich, die Vielfalt der verfügbaren Formen       brennungsmotoren. Basiert die Stromerzeugung
              University, (Washington DC)      der Mobilität, insbesondere bestehend aus ÖPNV,         ganz auf erneuerbaren Energien, lassen sich die
                                               Bus, Bahn, Individualverkehr, Car-Sharing, Taxi,        Batterien sogar entsprechend emissionsfrei aufla-
                                               Mietwagen, Schiff und Flugzeug zu Zwecken einer         den; allerdings ist noch die Batterie- und Autopro-
                                               ressourcen- sowie umweltschonenden und effizien-        duktion selbst energieintensiv. Für den Kurzstre-
                                               ten Deckung der Mobilitätsbedarfe idealerweise          ckenbedarf reichen Automobile mit kleinen Elektro-
                                               vernetzt zu nutzen. Stromantriebe werden mit eine       motoren und kleinen Batterien aus und lassen sich,
                                               wichtige Rolle spielen, sei es in der Form eines        wie das Beispiel des Modells e.Go Life zeigt, zum
                                               Elektromotors oder auch einer Brennstoffzelle, die      Preis eines sehr gut ausgestatteten Kleinfahrzeugs
                                               den Strom aus Wasserstoff beim Fahren erzeugt –         bereits aktuell beschaffen. Für eine intensive Nut-
                                               wobei die Wasserstoffherstellung aus erneuerba-         zung entsprechender rein elektrisch betriebener
                                               ren Energien als sauber gelten kann, aber auch der      Kleinfahrzeuge muss die Ladeinfrastruktur in den
                                               Fall, dass Wasserstoff als Abfallstoff in der Produk-   Städten indes erweitert werden. Dazu sind zusätzli-
                                               tion entsteht (geplanter Regional-Bahnverkehr auf       che Umspannstationen (insbesondere für Mittel-
                                               dieser Basis im Rhein-Main-Gebiet).                     spannung) und Schnellladestationen erforderlich.

                                               In der Automobilindustrie wird aktuell vor allem der    Anders sieht es dagegen aus, wenn die Mobilitäts-
                                               intensive Ausbau der Elektromobilität vorangetrie-      bedarfe im Individualverkehr Mittel- bis Langstre-
                                               ben. So favorisiert die Volkswagen AG für ihre Au-      cken betreffen, mit deutlich mehr als 100 km, also
                                    AUTOR      tomobilmarken nicht zuletzt in Folge des Diesel-        Fahrstrecken von 150 bis 300 km pro Tag oder mehr
                   Prof. Dr. Markus Pütz,
                                               skandals zur Wahrung des Klimaschutzes den mas-         als 300 km. Denn für diese Bedarfe sind Automobi-
               Stellv. Vorsitzender des bdvb   siven Auf- und Ausbau der E-Mobilität, zuvorderst       le mit stärkerer Motorleistung und erheblich größe-
      Forschungsinstituts und Inhaber der      in Form batteriebetriebener Elektrofahrzeuge und        rer Batteriekapazität erforderlich. Solche Batterien
Professur für Produktionscontrolling an der    wird zudem, eher als Übergangstechnologie, auch         sind zugleich sehr kostspielig und auch mit hohem
        Fakultät für Fahrzeugsysteme und
                                               den Ausbau der Produktion von Fahrzeugen mit Hy-        Gewicht verbunden. Die betreffenden Elektrofahr-
          Produktion der TH Köln, zugleich
Privatdozent an der Bergischen Universität     bridantrieb betreiben. Auch die anderen Volumen-        zeuge (Kleinwagen bis hin zur Mittelklasse) sind
                                  Wuppertal    hersteller der Automobilindustrie in Deutschland,       erheblich teurer als vergleichbare konventionelle

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Weltmacht China - " Nr. 145 - Der bdvb
AUS WIRTSCHAFT UND GESELLSCHAFT

Automobile. Eine flächendeckende Nutzung von Elektrofahrzeugen als Er-         zunehmen. Beispielhaft hierfür kann im Bereich der Logistik auf die Nut-
satz von konventionellen Automobilen würde einen immensen Ausbau der           zung von batteriebetriebenen Elektrofahrzeugen durch die Deutsche Post
Ladeinfrastruktur erfordern. Bei einer Gesamtbetrachtung der bei der Pro-      verwiesen werden. Zudem sei die Nutzung von batteriebetriebenen Elekt-
duktion von Elektrofahrzeugen im Vergleich zur Produktion konventioneller      robussen im ÖPNV erwähnt, die z.B. in einigen Städten Chinas Standard
Fahrzeuge entstehenden Umweltbelastungen schneiden die Elektrofahr-            ist. Elemente der Antriebstechnik für E-Busse können auch für E-Lkws mit
zeuge aktuell und wohl auch absehbar zudem deutlich schlechter ab, da          überschaubarem Aktionsradius genutzt werden. Anders sieht es dagegen
die Gewinnung der für Elektrofahrzeuge insbesondere benötigten Elemen-         bei Nutzfahrzeugen für den Mittel- bis Langstreckenbedarf aus. Dort sind
te Lithium und Kobalt sowie der erforderliche Batteriebau selbst sich als      batteriebetriebene Fahrzeuge absehbar brennstoffzellenbetriebenen
umweltbelastend erweisen. Ein weiteres Problem stellt auch die Lebens-         Fahrzeugen unterlegen; es sind zudem Hybrid-Lkws mit einer rechten
dauer der Batterien in den Elektrofahrzeugen dar. Nach einer Laufleistung      Oberleitungsspur auf Autobahnen denkbar und werden in den USA und
zwischen 100.000 km und 200.000 km erfordert der entstandene Schwund           Deutschland erprobt. Erfreulicherweise sind die Chancen des Brennstoff-
an Ladekapazität und somit Reichweite jeweils einen Austausch. Die Kos-        zellenbetriebes auch in der deutschen Zulieferindustrie frühzeitig erkannt
ten für den Austausch einer Batterie mit mittlerer Reichweite (von etwa        worden. So hat das Unternehmen Bosch zuletzt publik gemacht, dass es
250 bis 350 km) belaufen sich aktuell auf knapp unter € 10.000, aller-         kurzfristig in den Aufbau der Serienfertigung von Brennstoffzellen für
dings kann die Alt-Batterie als „Second-Life-Batterie“ etwa für die Stär-      Nutzfahrzeuge investiert, mittelfristig zudem auch die Produktion von
kung der Angebotsseite eines städtischen Strom- bzw. Ladenetzes ver-           Brennstoffzellen für Pkw betreiben wird. Insgesamt sind E-Fahrzeuge we-
kauft bzw. genutzt werden; auch die Verwendung gebrauchter Batteriezel-        niger komplex in der Produktion als herkömmliche Fahrzeuge, sodass in
len in Pufferspeichern von Solaranlagen ist denkbar. Insofern besteht für      der traditionellen Fahrzeugindustrie Deutschlands Wertschöpfung und
den Batterieaustausch ein Einsparpotenzial. Für den Gebrauchtwagen-            Jobs künftig entfallen dürften; aber hochwertige autonome innovative
handel von Elektrofahrzeugen stellt der je nach Kilometer-Laufleistung         Mobilitätskonzepte – basierend in der Kommunikation auf 5G – könnten
erforderliche Batterieaustausch gleichwohl einen erheblichen Kostenfak-        in Pilotprojekten in Deutschland, gerade auch in emissionsbelasteten
tor dar.                                                                       Großstädten, zügig entwickelt werden. All das bedeutet beschleunigten
                                                                               Strukturwandel und eine bessere Luftqualität. Die Zahl der geförderten
Automobile, die mit Brennstoffzellen betrieben werden, sind derzeit noch       Pilotprojekte ist allerdings bislang gering.
erheblich teurer als rein batteriebetriebene Elektrofahrzeuge. Dies liegt
insbesondere an den Kosten für die Brennstoffzellen und deren deutlich         Im Sinne des Klimaschutzes zeichnet sich heute auch zunehmend aus
geringerem Wirkungsgrad, wobei der Vorteil der Batterien auf ihre hohe         Sicht der Politik bereits ab, dass zur Bewältigung des skizzierten Problem-
Energiedichte in den Batteriezellen zurückzuführen ist. In Korea und Japan     komplexes ein Maßnahmen-Mix erforderlich ist, der neben den zuvor ge-
steigt die Zahl der Brennstoffzellen-Fahrzeuge jedoch schnell an, auch         nannten technischen Alternativen auch eine nachhaltige Vernetzung der
dank engagierter inländischer Hersteller und nationaler Förderung.             verfügbaren Mobilitätskonzepte erforderlich macht. Darin werden neben
                                                                               dem ÖPNV und Individualverkehr auch Car-Sharing und weitere intelligen-
Als eine Chance für eine nachhaltige Nutzung von Hybridfahrzeugen er-          te Mobilitätsangebote vertreten sein, die über einen Ausbau der Digitali-
weisen sich synthetische Kraftstoffe (Ethanol, Wasserstoff und Biogas),        sierung in Verbindung mit einer intensiven Nutzung der künstlichen Intel-
und zwar insbesondere, wenn deren Gewinnung durch Anlagen erfolgt,             ligenz zu einer umweltschonenden und effizienten Abstimmung von Mobi-
die mit überschüssigem Strom aus erneuerbaren Energiequellen (Was-             litätsnachfrage und -angebot führen sollten. Da digital vernetzte Fahr-
ser-, Wind- und Sonnenergie) betrieben werden. Laut einem Online-Pres-         zeugflotten in Deutschland bzw. der EU millionenfach Daten im Betrieb
sebeitrag der Autoren Nikolaus Doll und Daniel Wetzel vom 04.04.2019 in        erzeugen werden, können vor allem digitale Zusatzdienste für „realmobile“
Welt.de weisen Studien aus Norwegen darauf hin, dass das ungenutzte            Nutzer gezielt angeboten werden, zugleich auch Daten ausgelesen und
skandinavische Potenzial an Windstrom zur synthetischen Gewinnung von          ausgewertet werden, um Effizienzgewinne zu realisieren und beschleu-
etwa 20 % des europäischen Kraftstoffbedarfs ausreicht. Für die Nutzung        nigte Innovationsprozesse anzuschieben. Wenig verständlich ist, dass der
synthetischer Kraftstoffe müsste einerseits zwar der Auf- und Ausbau von       Gesetzgeber in Deutschland bislang kaum Gesetze zu Dateneigentum und
verfahrenstechnischen Anlagen erfolgen, andererseits stünden jedoch zur        Datennutzung auf den Weg gebracht hat, sodass digitale Zusatznutzeffek-
Versorgung der Endverbraucher die vorhandene Tankstelleninfrastruktur          te innovativer grüner Mobilität nur schwer mobilisierbar sind.
bereit.

In der Nutzfahrzeugindustrie zeichnet sich im Vergleich zur Automobilin-
dustrie ein deutlich differenzierteres Bild ab. Zwar wird auch für den Kurz-
streckenbedarf die Bedeutung von batteriebetriebenen Elektrofahrzeugen                                                                       »»»
                                                                                                                         » bdvb aktuell Nr. 145 «     9
Weltmacht China - " Nr. 145 - Der bdvb
AUS WIRTSCHAFT UND GESELLSCHAFT

SAVE THE DATE                            Zu den Themen der CO2-Belastung durch die Batte-
                                         rie- und Elektrofahrzeugproduktion und nicht zuletzt
                                                                                                kann hierbei auch Leitmarkt sein, allerdings ist der
                                                                                                Staat gefordert, beschleunigt für vernünftige Rah-
Passend zum bdvb-Jahresthema             zur gesamten CO2-Belastung von Elektrofahrzeugen       menbedingungen zu sorgen und auch den zügigen
„E-Mobilität“ wird das Forschungsins-    während typischer Gebrauchszyklen oder für die         Ausbau etwa einer leistungsfähigen Ladesäu-
titut des bdvb am 28.11.2019 am          gesamte unterstellte Lebensdauer im Vergleich zu       len-Architektur voranzubringen sowie ggf. auf Bun-
Standort Deutz der TH Köln in Koope-     entsprechenden Fällen mit konventionellen Auto-        des- und Landesebene auch die Baustandards etwa
ration mit der dortigen Fakultät für     mobilen sind bereits mehrere Studien erstellt wor-     zugunsten von mehr Schnell-Ladeboxen bei Neu-
Fahrzeugsysteme und Produktion so-       den. Aufgrund der in diesen Studien in Teilen ge-      bauten sinnvoll zu modernisieren. Schumpe-
wie dem VDI eine gemeinsame Tagung       troffenen unterschiedlichen Annahmen erweist           ter-Wettbewerb zwischen verschiedenen Konzep-
zum Thema „Elektromobilität und ver-     sich deren Vergleichbarkeit entsprechend zum Teil      ten ist insgesamt wichtig. Ob sich die von der deut-
netzte nachhaltige Mobilität“ veran-     als schwierig. Beschleunigte umweltfreundliche         schen und EU-Politik befürwortete Förderung von
stalten. Weitere Informationen folgen    Mobilitätsinnovationsdynamik in Deutschland und        Batterieproduktion in EU-Ländern rechnet, bleibt
im bdvb-Newsletter und in der kom-       anderen EU-Ländern ist dringlich, da weitere Emis-     abzuwarten. Die US-China-Handelskonflikte er-
menden Ausgabe dieses Magazins.          sionsminderungen gerade im Verkehrsbereich mit-        schweren die Forschungskooperation zu umwelt-
                                         telfristig notwendig sind, wenn nationale, europäi-    freundlichen internationalen Innovations-Mobili-
                                         sche und UN-Klimaziele bis 2030, 2040 und 2050         tätsprojekten.                                     «
                                         erreicht werden sollen. Deutschland bzw. die EU

                                                                                                Neuer Schwung
                                                                                                Das Forschungsinstitut des bdvb e.V. ist ein eigen-
                                                                                                ständiger, als gemeinnützig anerkannter Verein,
                                                                                                dessen Satzungszweck die Förderung der ökonomi-
                                                                                                schen Bildung, Durchführung von Forschungsprojek-
                                                                                                ten und Studentenhilfe umfasst. Anlässlich der Mit-
                                                                                                gliederversammlung am 7. Juni 2019 in Düsseldorf
                                                                                                wurde Prof. Dr. Paul J. J. Welfens (Bergische Uni-
                                                                                                versität Wuppertal) als Vorsitzender des Vorstands
                                                                                                im Amt bestätigt. Weitere Mitglieder des neuen
                                                                                                Vorstands sind Prof. Dr. Markus Pütz (TH Köln) und
                                                                                                Prof. Dr. Peter M. Fischer (Universität St. Gallen) als
                                                                                                stellvertretende Vorsitzende sowie Prof. Dr. Philipp
                                                                                                A. Rauschnabel (Universität der Bundeswehr Mün-
                                                                                                chen) als Beisitzer. Das Amt des Schatzmeisters
                                                                                                übernimmt bdvb-Geschäftsführer Dr. Matthias
                                                                                                Meyer-Schwarzenberger. Neben der wissenschaftli-
                                                                                                chen Begleitung des bdvb-Jahresthemas, der finan-
                                                                                                ziellen Förderung der bdvb-Hochschulgruppen und
                                                                                                der Unterstützung der bdvb-Kampagne für das
                                                                                                Schulfach Wirtschaft will sich das Forschungsinsti-
                                                                                                tut in Zukunft auch durch umfragebasierte Studien
                                                                                                aktiv in die bdvb-Öffentlichkeitsarbeit einbringen. «
                                                                                                Kontakt: forschungsinstitut@bdvb.de
                                                                                                Spendenkonto: DE50 3005 0110 0047 0193 85
 Mit persönlichen Buchgeschenken dankte Professor Welfens Dr. Thorsten Böth (li.) und           (Stadtsparkasse Düsseldorf)
 Dieter Schädiger (Mitte) für ihre langjährige Vorstandstätigkeit                               Eine Spendenbescheinigung wird umgehend ausgestellt.

10        » bdvb aktuell Nr. 145 «
AUS WIRTSCHAFT UND GESELLSCHAFT

China: Wirtschaftspartner in
einer sich wandelnden Rolle
Die Debatten um die Zukunft des Chinageschäfts sind nicht gleichzusetzen mit einer Abkehr vom
Markt. Im Gegenteil: China bleibt ein Schlüsselmarkt für deutsche Unternehmen und die zuneh-
mende Digitalisierung in der Wirtschaft bietet neue Perspektiven. Allerdings müssen endlich kon-
sequent gleiche Bedingungen für alle Marktteilnehmer geschaffen werden.

Vor knapp einem Jahr brachte ein Konflikt die Welt-      Für deutsche Unternehmen ist China also einer der
wirtschaft ins Wanken und hält sie bis heute in          wichtigsten Märkte. Produkte „Made in Germany”
Atem. Es geht um fairen Handel, um Technologie-          und die deutsche Ingenieurskunst genießen einen
transfer, um Industriepolitik, aber es geht vor allem    hervorragenden Ruf. Eine Stärke, auf die die Unter-
um die Zukunft der global vernetzten Wirtschaft. Der     nehmen bauen können. Geschäftsmöglichkeiten für
IWF nennt den Handelskonflikt einen der wichtigs-        die deutsche Wirtschaft, die bereits mit 5.200 deut-
ten Einflussfaktoren auf die Verlangsamung des glo-      schen Unternehmen in China aktiv ist und rund
balen Wachstums. Doch die Verhandlungsrunden im          1,1 Millionen Arbeitsplätze geschaffen hat, beste-
Mai endeten ohne eine Lösung, stattdessen treten         hen weiterhin. Deutsche Exporte nach China stiegen
neue Strafzölle in Kraft und die Rhetorik wird zuneh-    in den vergangenen 20 Jahren um 1.500 %. Im Jahr
mend rauer. Das alles verursacht Unsicherheit – ein      2018 handelten Deutschland und China Waren im
schwer quantifizierbarer, dafür umso einflussreiche-     Wert von fast 200 Mrd. Euro.
rer Faktor, wenn es beispielsweise darum geht, In-
vestitionsentscheidungen zu treffen.                     Neben enormen Chancen bleiben die komplexen re-
                                                         gulatorischen Herausforderungen des chinesischen
Neben den Auswirkungen des Handelskonflikts hat          Markts weiter bestehen. Es gab Verbesserungen
                                                                                                                AUTOR
China mit seiner schwächelnden Wirtschaft zu kämp-       beim Marktzugang: So sah man Bewegung beim Ab-
fen. Nach einer fast euphorischen Phase des andau-       bau des Joint-Venture-Zwangs in der Automobilin-       Jens Hildebrandt ist seit August 2018
                                                                                                                Delegierter der Deutschen Wirtschaft in
ernden zweistelligen Wachstums hat das Land in den       dustrie und im Chemiesektor erlaubte man die Er-
                                                                                                                Peking und dortiger Geschäftsführer der
vergangenen Jahren eine gemäßigte Wachstumsge-           richtung einer eigenen Produktionsanlage. Dies         Deutschen Handelskammer. Er studierte
schwindigkeit erreicht. Der Optimismus ist nicht mehr    zeigt: China kann entsprechende Veränderungen          Politikwissenschaft und Sinologie in
so ausgeprägt wie in den vergangenen Jahren. Die         herbeiführen. Dringend erforderlich sind ein syste-    Leipzig, Peking und Hongkong und
sinkende Binnennachfrage drückt auf die Stimmung         matisch verbessertes Wettbewerbsumfeld, ange-          absolvierte ein MBA-Studium. Seit 2007 ist
                                                                                                                Jens Hildebrandt in verschiedenen
und der Wettbewerb im Land nimmt zu. Insgesamt           fangen beim Schutz geistigen Eigentums über Fra-       leitenden Positionen im Netzwerk der
bleiben die Geschäftsaussichten deutscher Unterneh-      gen der Internetsicherheit und Lizenzvergabe bis hin   deutschen Auslandshandelskammern
men in China für das laufende Jahr verhalten, trotz      zum uneingeschränkten Marktzugang. Es geht um          (AHK) und im Deutschen Industrie- und
Wachstum der chinesischen Wirtschaft im ersten           ein Level Playing Field für alle Unternehmen. Dazu     Handelskammertag e.V. (DIHK) tätig, u.a.
                                                                                                                als Leiter des Ostasien-Referats in Berlin
Quartal. Die Ankündigungen der chinesischen Regie-       braucht es einen transparenten und verlässlichen
                                                                                                                und später als Delegierter der Deutschen
rung über Maßnahmen zur Unterstützung der wirt-          weiteren Prozess der Öffnung. Die kontinuierliche      Wirtschaft in Guangzhou.
schaftlichen Entwicklung deuten darauf hin, dass         Arbeit am regulatorischen Umfeld kann für ein vor-
China entschlossen ist, für das Jahr 2019 ein stabiles   teilhafteres Investitionsklima sorgen, sodass die
wirtschaftliches Umfeld zu gewährleisten. China          bestehenden Marktchancen weiter ausgeschöpft
spielt für viele Unternehmen eine Schlüsselrolle –       werden können – zum Nutzen deutscher und chine-
weltweit. Die im DAX notierten Firmen haben rund         sischer Unternehmen gleichermaßen.                 «
700 Tochtergesellschaften in China und erwirtschaf-
ten hier knapp 15 % der Gesamtumsätze.

                                                                                                                        » bdvb aktuell Nr. 145 «    11
AUS WIRTSCHAFT UND GESELLSCHAFT

     Licht und Schatten
     der chinesischen Industriepolitik
     Neuerdings findet die chinesische Industriepolitik viele Bewunderer im Westen: Der autoritäre
     Staat soll China zur führenden Wirtschaftsmacht gemacht haben. Das Beispiel von E-Mobility zeigt
     aber, dass das massive Eingreifen des chinesischen Staats die Märkte verzerrt und schwer
     kontrollierbare Risiken erzeugt.

     Der Handelskrieg zwischen den USA und China entzündete sich zu-         einen der größten Kredite in der Geschichte der Automobilprodukti-
     nächst an den riesigen Handelsüberschüssen Chinas, die der ameri-       on. FAW ist ein staatliches Unternehmen. Die Kreditvergabe an FAW
     kanische Präsident mit Handelszöllen bekämpfen wollte. Mittlerwei-      und andere Staatsunternehmen demonstriert vor allem die ent-
     le aber hat sich der Streit ausgeweitet und die USA wollen nun vor      schlossene Unterstützung der Regierung trotz des starken Rückgangs
     allem Änderungen der chinesischen Industriepolitik erzwingen.           der Autoverkäufe und des Rückgangs des Wirtschaftswachstums.
                                                                             Angetrieben vom Handelskrieg ist die chinesische Regierung ent-
     Es steht außer Frage, dass China eine außerordentlich aktive und um-    schlossen, billiges Geld in das System zu pumpen, um die chinesi-
     fassende Industriepolitik betreibt, die neben der Gestaltung von Rah-   sche Wirtschaft zu stabilisieren.
     menbedingungen auch und vor allem konkrete Hilfen für ganze Indus-
     triezweige beinhaltet. Ein großer Teil des Regierungsprogramms zur      Diese Handlungsweise spiegelt Grundcharakteristika der chinesi-
     Förderung von Innovationen kommt dabei dem staatlichen Sektor           schen Politik in Bezug auf Industrien und Unternehmen mit strategi-
     weitaus mehr zugute als dem privaten Sektor. Großzügige Fördermit-      scher Priorität wider. Es gibt kein besseres Beispiel als E-Mobility. In
     tel gehen vor allem an staatliche Forschungsinstitute oder große        den späten 2000er Jahren identifizierte China E-Mobility, die auf den
     staatliche Unternehmen. Ein Blick auf den Bereich der Fahrzeugpro-      Einsatz von Lithium-Ionen-Batterien betrieben wurde, als „strategi-
     duktion, insbesondere der E-Mobility, zeigt die Stärken und Schwä-      sche aufstrebende Industrie“. Konsequenterweise wurde dies zu ei-
     chen der chinesischen Industriepolitik.                                 nem der Schlüsselsektoren des Entwicklungsplans „Made in China
                                                                             2025“. Die Regierung hoffte, dass große Investitionen in E-Mobility
     Ende 2018 wurde bekannt, dass der größte chinesische Automobil-         China von einem technologischen Nachzügler zu einem der führen-
     hersteller FAW (First Automotive Works) mit Firmensitz in Changchun     den Länder im Automobilsektor machen. Außerdem sollte die Abhän-
     von chinesischen Banken einen Kredit in Höhe von rund 1 Billion Yuan    gigkeit des Landes von Ölimporten reduziert und die Luftqualität in
     (129 Millionen Euro) erhalten hatte. Es handelt sich vermutlich um      den Städten verbessert werden.

12     » bdvb aktuell Nr. 145 «
AUS WIRTSCHAFT UND GESELLSCHAFT

In der Folge wurden keine Kosten gescheut, um sowohl das Angebot          Es ist jedoch wichtig zu erkennen, dass das Eingreifen der Regierung
seitens der Hersteller als auch die Nachfrage der Kunden zu fördern.      den E-Mobility-Markt so stark vorangetrieben hat, dass ein Großteil
Nach Berechnungen des Center for Strategic and International Stu-         dieser Geschäftstätigkeit ohne die starke, sichtbare Hand des Staa-
dies in Washington haben die Behörden in China zwischen 2009 und          tes gar nicht existieren würde. Die Staatsausgaben machen über
2017 insgesamt 50 Milliarden Euro in die Industrie investiert. Der        42 % aller Verkäufe aus, ein hoher Wert selbst in der Volksrepublik.
größte Anteil ist für Kaufprämien in Höhe von 32 Milliarden Euro ver-     Ohne staatliche Hilfe wäre der Sektor nicht profitabel. BYD Auto
wendet worden, aber es wurden auch große Summen in Forschung              (Build Your Dream Auto), einer der größten Automobilproduzenten
und Entwicklung, staatliche Beschaffung von Fahrzeugen und öffent-        Chinas und führend beim Verkauf von elektrisch aufladbaren Fahrzeu-
liche Ladeinfrastruktur investiert. Darüber hinaus hat China die Um-      gen mit Sitz in Shenzhen, machte 2017 einen Gewinn von 530 Millio-
satzsteuer für elektrische Fahrzeuge gesenkt.                             nen Euro bei einem Umsatz von 14 Milliarden Euro. Die Gewinne ka-
                                                                          men dabei allerdings fast ausschließlich aus dem Verkauf von tradi-
Diese Politik kann als intelligente Investitionspolitik verstanden wer-   tionellen benzinbetriebenen Pkws.
den, die einen strategischen Sektor gezielt fördert und die Ausbrei-
tung ökologisch sinnvoller Technologien unterstützt. Als Resultat         Die massive staatliche Unterstützung ist problematisch. Bei so vielen
dieser Politik sind im Bereich der E-Mobility Hunderte von Herstellern    Produzenten von E-Mobility ist es auch für die größten nahezu unmög-
in China entstanden, darunter auch einige, die erstklassige elektri-      lich, in naher Zukunft profitabel zu sein. Das Risiko von Überkapazitä-
sche Fahrzeuge produzieren. Im Jahr 2018 wurden in China 1,1 Milli-       ten ist hoch. In diesem Jahr gingen die Autoverkäufe in China weiter
onen elektrisch betriebene Fahrzeuge verkauft. Während in China in        zurück, inoffiziell ist von Rückgängen von fast 20 % die Rede. Die
2018 4,2 % der Neuwagenverkäufe auf elektrischem Antrieb beruh-           Wachstumserwartungen im E-Mobility-Bereich sind ebenfalls viel zu
ten, waren es in Deutschland nur 1,9 %.                                   optimistisch. Die Verbraucher betrachten elektrische Fahrzeuge immer
                                                                          noch vorrangig als „ethische Pflicht“ und haben Zweifel in Bezug auf

                                                                                                                        » bdvb aktuell Nr. 145 «    13
AUS WIRTSCHAFT UND GESELLSCHAFT

                                              Fahrzeugqualität, Reichweite, Wartung und die Kos-     auch in anderen Hochtechnologiesektoren wieder-
                                              ten für den Batteriewechsel. Sehr bald wird es für     holen, die von der der chinesischen Regierung stark
                                              die Hersteller schwierig werden, ihre Fahrzeuge am     unterstützt werden, wie zum Beispiel Robotik,
                                              Markt abzusetzen. Viele werden sich dann für wei-      künstliche Intelligenz und Halbleiter.
                                              tere Hilfen an Investoren, Kommunen oder den Staat
                                              wenden. Eine Konsolidierungswelle ist möglich.         Die aus dieser Geschichte zu ziehende Schlussfol-
                                                                                                     gerung besagt nicht, dass die chinesische Regie-
                                              Die Gefahren beschränken sich nicht nur auf den        rung auf die Entwicklung von E-Mobility oder ande-
                                              chinesischen Inlandsmarkt. Sollte das Interesse der    ren fortschrittlichen Technologien verzichten sollte,
                                              chinesischen Verbraucher nachlassen, könnten die       sondern dass sie stärker auf Marktsignale achten
                                              chinesischen Hersteller versuchen, elektrische         und die Auswirkungen für andere Volkswirtschaf-
                                              Fahrzeuge (und ihre Ladeinfrastruktur) zu stark re-    ten und die Weltwirtschaft sorgfältig prüfen sollte.
                                              duzierten Preisen zu exportieren. Es könnten Millio-   Insbesondere ist es wichtig, die technologische
                                              nen chinesischer Autos auf den Weltmarkt gebracht      Vielfalt so lange wie möglich aufrechtzuerhalten
                                              werden, was vor allem die privaten Produzenten in      und den Erzeugern und Verbrauchern im In- und
                                              der Lieferkette gefährden könnte, die nicht auf Hil-   Ausland ausreichend Gelegenheit zu geben, die für
AUTOR
                                              fen des chinesischen Staates zählen können.            sie geeigneten Optionen zu wählen und so den
Klaus Mühlhahn ist Professor für                                                                     technologischen Wandel zuzulassen und zu fördern.
chinesische Geschichte und Kultur an der
                                              All diese Probleme – mangelnde Gewinne und be-         Die chinesische Industriepolitik muss eine größere
Freien Universität Berlin und seit 2014
Vize-Präsident. Er veröffentlichte            drohte Lieferketten – könnten natürlich gerechtfer-    Verantwortung und Weitsicht zeigen.
zahlreiche Publikationen zur neueren und      tigt sein, wenn die Umstellung auf E-Mobility zu
neuesten Geschichte auf Englisch,             sauberer Luft führen würde. In China wird jedoch       Die chinesische Industriepolitik ist somit auch lan-
Deutsch und Chinesisch und ist ein            über 70 % der Elektrizität aus fossilen Brennstof-     ge nicht so erfolgreich, wie die amerikanische Poli-
häufiger Kommentator für die deutschen
Medien. Ein Schwerpunkt seiner Arbeit
                                              fen, einschließlich Kohle, erzeugt. Das bedeutet,      tik zu glauben scheint. Es gibt eine lange Liste ver-
sind Institutionen in Recht und Wirtschaft.   dass die Einführung von E-Mobility die Luftver-        schwenderischer Fehlkalkulationen, Fehlallokatio-
Im Januar 2019 erschien bei Harvard           schmutzung nicht verringert, sondern verlagert.        nen von Ressourcen und gescheiterter Investitio-
University Press das Buch “Making China       Sollte man eines Tages feststellen, dass Wasser-       nen. Die offiziell propagierte Geschichte von Chinas
Modern: From the Great Qing to Xi
                                              stoffbrennstoffzellen effizienter und sicherer sind    Aufstieg und technologischer Innovation lässt
Jinping”.
                                              als Lithium-Ionen-Batterien, könnte China mit einer    leicht vergessen, dass es eine weniger effiziente
                                              minderwertigen Technologie belastet sein.              und weniger glänzende Seite gibt. Die Kosten des
                                                                                                     China-Modells sind gravierend, abzulesen an Res-
                                              Eine ähnliche Geschichte hat sich vor einigen Jah-     sourcenverschwendung und Umweltverschmut-
                                              ren schon mal ereignet: Chinas Solarindustrie          zung. Grund dafür ist, dass Entscheidungen oft auf
                                              durchlief den gleichen Zyklus, und die Konsequen-      politischen Ambitionen beruhen und nicht unbe-
                                              zen gingen weit über Chinas Grenzen hinaus. In der     dingt auf der offenen und wettbewerblichen Aus-
                                              Folge wurden Solarzellenhersteller in anderen Län-     wahl der besten Ideen oder der innovativsten Plä-
                                              dern, darunter auch Deutschland, aus dem Markt         ne. Wie viele andere Regierungen der Welt ist die
                                              gedrängt. Viele Experten glauben, dass die heute       chinesische Regierung kein sehr guter und effizien-
                                              weitverbreitetste Technologie von Solarmodulen         ter Förderer von Innovation, da sie häufig bestimm-
                                              alles andere als effizient ist und sich nur deshalb    ten Interessengruppen verpflichtet ist.            «
                                              durchgesetzt hat, weil China diese Technologie vor-
                                              zeitig unterstützt hat. Diese Dynamik könnte sich

14       » bdvb aktuell Nr. 145 «
Bill Gates ist
der reichste
Mensch der
Welt.

Bis Du Bücher
im Internet
verkaufst.
Zwischen Jeff Bezos’ erstem verkauften Buch
und der heutigen Weltbedeutung von Amazon
liegen nur 24 Jahre. Die ganze Geschichte:
handelsblatt.com/handeln

                                       FÜR ALLE,
Charles Ommanney€/€Contour by Getty    DIE HANDELN
AUS WIRTSCHAFT UND GESELLSCHAFT
Interview

     „Eine unglaubliche
     Aufbruchstimmung und Dynamik“
     Die Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) ist eine von vielen ausländischen Institutionen in China.
     Im „Reich der Mitte“ besitzt sie eine Adresse in Peking und eine in Shanghai. Über Arbeit und
     Leben in China sprach bdvb aktuell mit dem Leiter der dortigen Vertretung, Diplom-Ökonom
     Michael Winzer.

                                                                                  sammenhang unterstützen wir un-        ren Interessen kongruent sind. In-
                                                                                  sere Kollegen in Deutschland mit       zwischen allerdings sind globale
                   Im Gespräch mit                                                Experten und Expertise.                Herausforderungen, wie die Neu-
                                                                                                                         gestaltung des Welthandels oder

                  Michael
                                                                                  China steckt im Wandel und             die Begrenzung des Klimawandels,
                                                                                  formuliert offen einen interna-        nur noch gemeinsam mit China zu
                                                                                  tionalen Führungsanspruch.             lösen. Die Zukunft wird zeigen, ob
                                                                                  Wie beurteilen Sie die Volks-          China in seiner gewandelten Rolle

                  Winzer
                                                                                  republik?                              ein verlässlicher Partner in Politik
                                                                                  Aus chinesischer Sicht ist das Land    und Wirtschaft wird. Klar ist, dass
                                                                                  seit mehreren tausend Jahren eine      aufgrund der wirtschaftlichen Stär-
                                                                                  globale Führungsmacht mit einer        ke und der damit einhergehenden
                                                                                  ausgeprägten kulturellen und wis-      politischen Bedeutung Chinas der
                                                                                  senschaftlichen Tradition. Mit den     Dialog immer wichtiger wird und
     bdvb aktuell: Herr Winzer, wie        das Modell der Sozialen Markt-         Opiumkriegen im 19. Jahrhundert        die internationalen Ansprüche an
     hat man sich Ihre Arbeit in           wirtschaft sehr wichtig ist. Weiter-   hat lediglich eine kurze Phase der     das Land als verlässlichen Partner
     China vorzustellen? Welche            hin arbeiten wir an Themen wie         Fremdbestimmung und der Schwä-         mit globaler Verantwortung deut-
     Projekte führen die Büros der         Urbanisierung, Digitalisierung oder    che begonnen, die der Wiederauf-       lich gestiegen sind.
     KAS durch?                            Rechtsstaatlichkeit. Durch Stipen-     stieg Chinas nun beendet. Aus
     Michael Winzer: Unser Büro in         dien fördern wir Studien- und For-     dieser Perspektive betrachtet sind     Mit der Initiative „Made in
     Peking fördert den politischen Aus-   schungsaufenthalte gesellschaft-       die in letzter Zeit formulierten An-   China 2025“ soll China binnen
     tausch und Dialog zwischen unse-      lich engagierter junger Chinesen in    sprüche eine Rückkehr zu einer         weniger Jahre zu westlichen
     rem Netzwerk in Deutschland bzw.      Deutschland. Auch für die globale      langen Tradition chinesischer Ge-      Hightech-Nationen aufschlie-
     der EU und China. Hierzu nutzen       Arbeit der KAS ist China inzwi-        schichte. In Deutschland wurde         ßen. Spürt man die Aufbruchs-
     wir Formate wie Rundtischgesprä-      schen zu einem wichtigen Quer-         China in den zurückliegenden Jahr-     stimmung?
     che, Konferenzen oder Studienpro-     schnittsthema geworden: In nahe-       zehnten vor allem als Markt und        Ja, wenn man vor Ort lebt, spürt
     gramme und beziehen politische        zu allen Regionen, in denen wir tä-    Wirtschaftspartner wahrgenom-          man sofort eine unglaubliche Auf-
     Nachwuchskräfte, etablierte Poli-     tig sind, befassen wir uns intensiv    men. Nun erkennt man, dass das         bruchsstimmung und Dynamik
     tiker und politische Multiplikato-    mit der sicherheits- und wirt-         Land ein neuer globaler Wettbe-        quer durch alle Bevölkerungs-
     ren mit ein. Über unser Büro in       schaftspolitischen Rolle des Lan-      werber ist, der – bedingt durch ein    schichten. Nach mehreren Jahr-
     Shanghai bringen wir uns in die       des. Nicht zuletzt gewinnt China in    anderes politisches System – ganz      zehnten mit enormen Wachs-
     ordnungspolitische Diskussion ein,    der politischen Bildung in Deutsch-    eigene Interessen vertritt. Interes-   tumsraten haben sich in der Be-
     wobei uns als Adenauer-Stiftung       land an Bedeutung. In diesem Zu-       sen, die teilweise nicht mit unse-     völkerung Zukunftsoptimismus,

26     » bdvb aktuell Nr. 145 «
AUS WIRTSCHAFT UND GESELLSCHAFT
                                                                                                                                Interview

         „Die Zukunft wird zeigen,
      ob China in seiner gewandelten
      Rolle ein verlässlicher Partner in
       Politik und Wirtschaft wird.“
Veränderungsbereitschaft, Eigen-        umgesetzt werden. Das politische      kulturelle Unterschiede zwischen
initiative, Ehrgeiz und Motivation      System der EU basiert ja auf eben-    Europa und China gibt. Es ist un-
ausgebreitet. Selbst in gesell-         solchen Beteiligungsmechanis-         heimlich spannend, die aktuelle
schaftlichen Gruppen, die bisher        men. Eigentumsrechte sind gesi-       globale politische und wirtschaftli-
nur wenig vom Wachstum profi-           chert, Verfahren laufen rechts-       che Kräfteverschiebung vor Ort
tieren konnten, herrscht oft die        staatlich ab und neben wirtschaft-    mitzuerleben. Ich arbeite seit zwei
Einsicht, dass man nicht abge-          lichen Interessen werden auch         Jahren in Peking und bereits insge-
hängt wurde, sondern dass die           Umwelt und Soziales berücksich-       samt acht Jahre in Asien, doch ich
individuelle Chance morgen oder         tigt. Das macht die EU neben an-      lerne täglich Neues über die kultu-
übermorgen kommen kann. Mit             deren Dingen für Investitionen at-    rellen Unterschiede. Das führt
ihren langfristigen Visionen für        traktiv und ist eine Grundlage un-    auch dazu, dass man bestimmte
die wirtschaftliche Entwicklung         seres Wohlstandes. Wenn wir           Dinge aus einer anderen Perspekti-     DER INTERVIEWPARTNER
bis zum Jahr 2049 befördert die         diese Strahlkraft nicht verlieren     ve sieht. Für mich, meine Frau und
chinesische Politik diesen Zu-          wollen, dürfen wir uns hierauf        meine Kinder ist es eine sehr wert-
kunftsoptimismus und den Auf-           aber nicht ausruhen, sondern müs-     volle Erfahrung, von der bereits       Michael Winzer studierte Wirt-
stiegsehrgeiz in der Gesellschaft       sen weiter an unserer Konkurrenz-     vorhin angesprochenen Dynamik,         schaftswissenschaften an der
zusätzlich. Weiterhin gibt es in        fähigkeit arbeiten.                   Aufbruchsstimmung und dem Zu-          Universität Hohenheim und der
China eine unglaublich hohe Affi-                                             kunftsoptimismus in China ange-        Universität Göteborg. Nach dem
nität gegenüber neuer Technolo-         Mehr als 60 Länder haben Ge-          steckt zu werden. Allerdings gibt      Diplom hat er seine berufliche
gie und ein geringes Bewusstsein        setze gegen NGOs verab-               es natürlich Einschränkungen, die      Tätigkeit bei der KAS als Projekt-
für den Schutz persönlicher Da-         schiedet, darunter auch China.        man hinnehmen muss, wie etwa           assistent im Auslandsbüro für
ten. Aufgrund dieser Rahmenbe-          Wie ist der aktuelle Stand?           die Luftverschmutzung.                 Zentralasien und den Südkaukasus
dingungen ist China bereits in ei-      Kommt das ‚Sozialpunktesys-                                                  in Taschkent/Usbekistan begonnen.
nigen Bereichen an die Weltspitze       tem‘ auch für Angestellte von         Die KAS steht laut Leitbild für        Anschließend war er zunächst als
aufgestiegen.                           NGOs?                                 Soziale Marktwirtschaft und            Referent und dann als stellvertre-
                                        Das NGO-Gesetz hat unsere Arbeit      die christliche Religion – bei-        tender Teamleiter in der Finanz- und
Projekte wie die Belt-and-              in China in vielen Bereichen verän-   des hat in China einen schwe-          Projektverwaltung der KAS-Zen-
Road-Initiative“ oder „Made             dert. Die wesentliche Änderung ist,   ren Stand …                            trale in Berlin tätig. Daraufhin folgte
in China 2025“ müssen sich              dass wir unsere Aktivitäten vorab     In der Tat offenbaren sich hier zu-    die knapp vierjährige Tätigkeit als
nicht demokratisch legitimie-           von den Behörden genehmigen las-      nächst große Gegensätze. Doch es       Leiter des KAS-Büros in Bangkok.
ren? Sind Demokratien im                sen müssen und nur noch mit ei-       ist ja nicht unser Ziel, dass China    Seit zwei Jahren führt der heute
Nachteil?                               nem chinesischen Partner tätig        unser ordnungspolitisches System       39-jährige das Auslandsbüro der
Natürlich entfaltet es zunächst ei-     werden dürfen. Weiterhin sind zu-     exakt so kopiert. Wir verfolgen kei-   KAS in Peking.
ne enorme Anziehungskraft, wenn         sätzliche Berichtspflichten gegen-    nen missionarischen Anspruch.
schnell sichtbare Ergebnisse er-        über den chinesischen Behörden        Jedes Land muss seinen eigenen
reicht werden. Vor allem in ärme-       entstanden. Allerdings haben wir      Weg finden, wie es sich entwickelt
ren Ländern und Regionen wird es        seit Mai 2017 unsere Registrierung    und sicherstellt, dass sein spezifi-
goutiert, wenn Projekte einfach         als ‚ausländische NGO‘, womit un-     sches Modell durch politische Par-
umgesetzt werden und in kurzer          sere Arbeit in China wieder eine      tizipation und Interessensaus-
Zeit Straßen, Schienen oder Kraft-      rechtliche Grundlage hat. Zu dem      gleich nachhaltig und stabil wird.
werke entstehen. Aber: Auch in          für das kommende Jahr geplanten       Unsere Rolle ist, im Dialog für un-
China formuliert eine zunehmend         Sozialpunktesystem liegen uns         sere Werte zu werben und für die-
selbstbewusstere, gebildetere und       noch keine verbindlichen Informati-   se einzutreten, gemeinsame Her-
reichere Mittelschicht ihre Interes-    onen vor. Ich bin sehr gespannt,      ausforderungen zu diskutieren und
sen stärker. Deshalb wird der mit-      was es für die Adenauer-Stiftung      in einer immer vernetzteren Welt
tel- und langfristige Erfolg beider     und für mich persönlich bedeuten      gegenseitiges Verständnis und
Initiativen davon abhängen, wie         wird.                                 Vertrauen zu schaffen. Die Nach-
stark alle Beteiligten in die politi-                                         frage danach wächst unter unse-
schen Entscheidungsprozesse ein-        Wie nimmt man als Europäer            ren chinesischen wie auch unseren
gebunden sind und in welchem            das Leben und Arbeiten in             deutschen und europäischen Part-
Maße die politischen Entschei-          China wahr oder die kulturel-         nern.                             «
dungen von der Bevölkerung ge-          len Unterschiede?
tragen werden. Das belegen Bei-         Das Leben und Arbeiten in China
spiele aus Ländern, in denen Pro-       ist eine große Bereicherung, auch
jekte der Belt-and-Road-Initiative      oder insbesondere weil es enorme

                                                                                                                         » bdvb aktuell Nr. 145 «   27
AUS WIRTSCHAFT UND GESELLSCHAFT
Interview

Marcella Hansch (links) mit Melanie Vogel
bei der Verleihung des Erfinderinnenpreises 2019
auf der women&work

34       » bdvb aktuell Nr. 145 «
AUS WIRTSCHAFT UND GESELLSCHAFT
                                                                                        Interview

Von Frau zu Frau
Marcella Hansch gewinnt den
Erfinderinnenpreis in der Kategorie
„Humanismus 4.0“
Am 4. Mai 2019 erhielt die Architektin Marcella Hansch mit ihrem Projekt
„Pacific Garbage Screening“ den women&work-Erfinderinnenpreis
in der Sonderkategorie „Humanismus 4.0“. Der Sonderpreis zeichnet
Frauen aus, deren Visionen in besonderem Maße die Zukunft des
Menschen kooperativ gestalten und daher nicht zwingend wirtschafts-
und gewinngetrieben sind bzw. sein können. Melanie Vogel, Initiatorin
dieses Preises und langjähriges bdvb-Mitglied, sprach mit der Erfinderin.

Marcella, was verbirgt sich            denn die Erde kann sich gut           also innerhalb von 70 Jahren, in
hinter dem Projekt „Pacific             ohne uns weiterdrehen. Was            weniger als einer Lebensspanne
Garbage Screening“?                    war für dich der auslösende           eines Menschen, ein Riesenprob-
Es sind eigentlich zwei Zielsetzun-    Gedanke für dein Projekt?             lem generiert. Und trotzdem be-
gen, die wir mit dem Projekt verfol-   Ich tauche gern, doch ich habe ein    zeichnen wir uns immer noch als
gen. Zum einen sind wir dabei, ei-     bisschen Angst vor Fischen. Daher     die intelligenteste Spezies auf die-
ne Technologie zu entwickeln, die      achte ich immer sehr darauf, dass     sem Planeten, was total absurd ist.
Flüsse und Meere von Plastik rei-      sie mir nicht zu nahekommen. Bei
nigt. Zum anderen verfolgen wir        einem Tauchgang vor circa sechs       Wie soll deine Idee des
den präventiven Gedanken der           Jahren gab es einen Moment des        „Screenings“ konkret funktio-
Aufklärung und Umweltbildung. Es       Schreckens, als mich etwas unter      nieren?
reicht eben nicht, eine Technologie    Wasser berührt hat. Doch es war       Dazu muss ich ein wenig ausholen,
zu entwickeln, sondern wir müssen      eben kein Fisch, sondern Plastik.     denn unsere Entwicklung ist im
auch die Menschen ändern. Selbst       Ich habe mich dann umgeschaut         Prinzip eine Kooperation von ganz
die beste Technologie darf keine       und auf einmal total viel Plastik     vielen Fachbereichen und Wissens-
Entschuldigung mehr dafür sein,        gesehen, was ich bis zu diesem        gebieten. Als Architektin musste
dass wir weiterhin Flüsse und Oze-     Zeitpunkt einfach ausgeblendet        ich erst einmal meinen eigenen
ane verschmutzen. Wir möchten          hatte. Und wenn man anfängt, da-      Wissenshorizont erweitern. Ich ha-
die Menschen motivieren, ein Be-       rauf zu achten, nicht nur im Was-     be beispielsweise bei den Maschi-
wusstsein dafür zu entwickeln,         ser, sondern auch am Strand, in       nenbauern nachgefragt, wie Mole-
dass jeder zur Müllreduzierung         den Straßen, dann sieht man den       külstrukturen funktionieren, ich
beitragen kann und der eine Cof-       Plastikmüll einfach überall. Und      musste herausfinden, warum sich
fee-to-go-Becher eben doch was         das hat mich geschockt. Damals        Plastik im Wasser zersetzt und
ausmacht, wenn alle auf ihn ver-       gab es das Wort Mikroplastik noch     welche Strömungswege das Plas-
zichten, denn für die Menschheit       gar nicht, aber ich fing an, zu re-   tik nimmt, wenn es erst einmal im
ist es extrem wichtig, dass uns un-    cherchieren und mich schlau zu        Ozean angelangt ist. Und dazu
ser Planet auch in Zukunft noch zur    machen über Müllstrudel im Meer,      brauchte ich die Hilfe von Biolo-
Verfügung steht.                       und war entsetzt, wie sehr das        gen, Geographen, Geologen, Che-
                                       Thema totgeschwiegen wird. Was        mikern. Dann habe ich Recycling-
Über Jahrhunderte haben wir            mich am meisten geschockt hat,        und Kläranlagen besucht und ge-
gesagt, der Mensch sei die             war, dass die meisten Kunststoffe     schaut, wie dort Wasser gereinigt
Krone der Schöpfung, doch              erst in den 50er Jahren auf den       wird. Aus diesen ganzen Grundla-
praktisch sind wir es nicht,           Markt gekommen sind. Wir haben        gen und Ideen ist dann im Prinzip

                                                                                       » bdvb aktuell Nr. 145 «     35
AUS WIRTSCHAFT UND GESELLSCHAFT
      Interview

DER INTERVIEWPARTNER

Marcella Hansch, M.Sc., studierte         dieses Projekt entstanden. In Kläranlagen gibt es näm-   Partner im Ausland sitzen. Die muss man erstmal ak-
Architektur an der RWTH Aachen.           lich Sedimentierbecken, in denen das Wasser einge-       quirieren und von dem Projekt überzeugen. Eine Vision
Seit 2013 arbeitet ist sie für            leitet und beruhigt wird. Die Sedimente setzen sich am   kann man nicht einfach in das Antragsformular rein-
verschiedene Planungs- und Archi-         Boden ab und das saubere Wasser fließt weiter. Die-      schreiben, sondern man muss sie runterbrechen auf
tekturbüros tätig. 2016 gründete sie      ses Prinzip habe ich auf die Wasserreinigung von Flüs-   realistische nächste Schritte. Dann kann man als ge-
pacific garbage screening e.V.,            sen und Meeren übertragen, denn Plastik schwimmt         meinnütziger Verein so einen Antrag nicht mal eben
dessen Vorstandsvorsitzende sie           nicht nur an der Oberfläche, sondern es wird durch       stellen, weil man oft Eigenkapital mit einbringen
auch ist. Marcella Hansch und ihr         Strömungen, Winde, Verwirbelungen ca. 30 bis 50          muss. Das heißt, wir mussten für diese Anträge noch
Team arbeiten derzeit an einer            Meter unter die Wasseroberfläche gedrückt. Und           zusätzlich ein Unternehmen gründen. Wir sind aber
Umsetzung einer Technologie zur           durch diese extreme Tiefe kann man eben kein Netz        auch kein klassisches Start-up, d.h. auch Start-up-Fi-
Reinigung der Meere und machen            nehmen oder Filter durch das Wasser ziehen, weil man     nanzierungen können wir nur schwer bekommen, denn
durch Vorträge, Interviews und            sonst auch Fische, Plankton und Kleinstlebewesen mit     unser Projekt wirft ja kein Gewinn ab, sondern kostet
Öffentlichkeitsarbeit auf die             aus dem Wasser herausfiltern würde. Wenn man es          erst einmal wahnsinnig viel Geld in der Entwicklung
Verschmutzung der Meere                   also schaffen könnte, Strömungen so weit zu beruhi-      und im Bau. Nun haben wir unser Unternehmen so
aufmerksam.                               gen wie in einem Sedimentierbecken einer Kläranla-       gegründet, dass alle Überschüsse, falls sie jemals ge-
                                          ge, brauchte man keine Netze. Daraufhin habe ich         neriert werden sollten, direkt wieder ins Projekt flie-
Weitere Informationen:                    verschiedene Studien gemacht, die Idee in Simulati-      ßen. Das letzte halbe Jahr haben wir praktisch nur mit
www.pacific-garbage-screening.de           onsprogrammen getestet und diese Plattform entwi-        Bürokratie verbracht. Ob diese Anträge erfolgreich
www.Erfinderinnenpreis.de                  ckelt. Darüber hinaus habe ich mir die Frage gestellt,   sein werden, können wir überhaupt nicht abschätzen.
                                          was man mit dem Kunststoff machen kann, denn             Wir versuchen daher grade parallel noch, mit Stiftun-
                                          durch den langen Verbleib im Wasser ist das Plastik      gen ins Gespräch zu kommen, Sponsoren zu finden,
                                          nicht mehr recyclebar. Momentan wird dieses Plastik      doch auch das ist sehr schwierig, weil Sponsoren ei-
                                          meistens verbrannt, aber das ist ja auch keine umwelt-   gentlich immer auch eine Gegenleistung haben wol-
                                          freundliche Lösung. Erneut habe ich recherchiert, wel-   len, die wir noch nicht bieten können.
                                          che Alternativlösungen es gibt. In Kanada beispiels-
                                          weise gibt es Vergasungsanlagen. Wenn man Kunst-         Was ist dein größter Wunsch?
                                          stoffe vergast, dann entsteht ein Gemisch, bestehend     Ich wünsche mir, dass die Menschen ihr Bewusstsein
                                          aus CO2 und Wasserstoff, was man als Molekülstruk-       ändern und lernen, unseren Planeten wertzuschätzen.
                                          tur beides separat nutzen könnte. Wasserstoff als        Was wir hier auf der Erde als Zuhause bezeichnen kön-
                                          Energieträger und CO2, wenn man es nicht in die Luft     nen, ist unfassbar wertvoll! Jeder kann durch seinen
                                          pustet, ist natürliche Nahrung für Bäume, Algen usw.     Konsum etwas Positives bewegen und die Welt ein
                                                                                                   Stück besser machen. Außerdem wünsche ich mir,
                                          Wie finanzierst du dieses Mega-Projekt?                   Partner und Sponsoren zu finden, mit denen wir das
                                          Wir haben vor zwei Jahren einen Verein gegründet         Projekt schneller in die Tat umsetzen können.       «
                                          und aktuell finanzieren wir uns hauptsächlich aus
                                          Spenden. Wir sind jetzt zusätzlich dabei, Forschungs-
                                          felder zu beantragen, aber das ist super schwierig.
                                          Erstmal kann man Fördergelder gar nicht so einfach
                                          beantragen. Es fängt schon bei der Bürokratie an. Um
                                          einen Antrag zu stellen, braucht man Partner; wenn
                                          man EU-Gelder beantragt, muss mindestens einer der

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