Logistik im Wandel CEO-Talk mit B Logistics- Chef Geert Pauwels - S. 24 - SBB Cargo
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3 | 2016 Das Schweizer Logistikmagazin CEO-Talk mit B Logistics- Chef Geert Pauwels. S. 24 Logistik im Wandel Voller Einsatz für eine erfolgreiche Güterbahn
Cargo 3 / 2016 4 Menschen bei SBB Cargo Den Güterverkehr neu denken 9 Blick ins Ausland Andere Länder, andere Güter 12 Innovation Anja-Maria Sonntag: «Überraschungen sind erwünscht» 14 Schwerpunkt Feldschlösschen: Brauschloss mit Gleisanschluss 21 Facts & Figures Lebensmittellogistik 22 Gotthard Es dämmert in Erstfeld 24 CEO-Talk 14 Geert Pauwels, B Logistics Abfüllanlage bei Feldschlösschen. 28 Neues aus der Branche Schotter 29 Das Objekt Der RFID-Chip 30 Meine Logistik Andrea Fürholz und Debora Hofer, Ruderinnen Impressum Das Logistikmagazin von SBB Cargo erscheint dreimal pro Jahr in Deutsch, Französisch und Italienisch. 22 Gesamtauflage: 6500 Exemplare Redaktion SBB Cargo: Lea Meyer (Leitung), Brigitte Hager, Anouk Ilg, Miriam Wassmer, Daniela Hunziker, Stefan Boss Redaktion Crafft: Roy Spring (Leitung), Kristina Morf, Pirmin Schilliger, Susanne Wagner, Robert Wildi, Simon Brunner Konzept, Gestaltung und Realisation: Lokführer Luca Orsega. Crafft Kommunikation AG, Zürich Übersetzungen: Traductor, Basel Lithog rafie und Druck: Neidhart + Schön AG, Zürich Redaktionsadresse: SBB Cargo «Redaktion Logistikmagazin cargo» Bahnhofstrasse 12, 4600 Olten, cargomagazin@sbbcargo.com Das Copyright liegt bei SBB Cargo. Der Abdruck von Artikeln ist mit Quellen- angabe erlaubt. Bitte schicken Sie uns ein Belegexemplar. Gratisabonnement auf www.sbbcargo.com/de/abonnement Abonnieren Sie das Cargo Magazin schweizweit kostenlos oder lesen Sie die Onlineversion unter www.sbbcargo.com. Adressänderungen oder Löschung des Abonnements bitte an cargomagazin@sbbcargo.com facebook.com/ twitter.com/ youtube.com/ instagram.com/ blog.sbbcargo.com sbbcargo sbbcargo sbbcargo sbbcargo
Editorial Die Weichen sind gestellt M it 2016 geht im schweizerischen Schienengüterverkehr ein ausser ordentlich ereignisreiches Jahr zu Ende. Allem voran wurde im Juni im inter- nationalen Rampenlicht der neue Gotthard- Stillstand ist Rückschritt – das gilt ins besondere in der Transport- und Logistik- branche. Wer mithalten will, braucht Visionen für die Zukunft. Welche Innova tionen bei SBB Cargo zurzeit mit Hoch- Basistunnel eröffnet – im Dezember geht druck entwickelt und umgesetzt werden, das Jahrhundertprojekt definitiv in Betrieb. erfahren Sie auf Seite 12. I Quasi nebenbei ging ein weiteres weg- weisendes Grossprojekt über die Bühne: n vielen Ländern gilt das Bahnland Mit dem WLV 2017 wird der Wagen Schweiz als Vorbild. Zu Recht? Unsere ladungsverkehr auf eine neue Stufe geho- Tour d’Horizon zeigt, welche Rolle ben. Per Fahrplanwechsel am 11. Dezember die Güterbahn in Europa und in Übersee 2016 werden die wichtigsten Standorte spielt (Seite 9). Eine tägliche Express nicht mehr nur einmal täglich, sondern bis verbindung zwischen Basel und Antwerpen zu dreimal bedient. («SwissXpress») verbindet die Schweiz W mit Belgien. Wie erfolgreiche Netzwerke ie ist es möglich, all diese den Markt beleben, verrät uns Geert Herausforderungen auf höchs- Pauwels, CEO der belgischen Güterbahn tem Niveau zu bewältigen? (B Logistics) im Gespräch mit SBB-Cargo- Keine Frage: Hinter dieser Leistung stehen Chef Nicolas Perrin (Seite 24). Menschen, die jeden Tag mit Leidenschaft und Fachkompetenz ihr Bestes geben. Ich wünsche Ihnen eine spannende Lektüre. Stellvertretend für die Belegschaft kommen auf den folgenden Seiten Mitarbeitende Lea Meyer Cover: Dan Cermak / Fotos: Anne Morgenstern; Anne Gabriel-Jürgens, zVg zu Wort, die mit ihrem Einsatz für die Leiterin Kommunikation Zukunft der Branche stehen (Seite 4). lea.meyer@sbbcargo.com D ank gebührt auch den Kunden, die auf die Vorteile der Güterbahn setzen. Die führende Brauerei der Schweiz setzt heute 60 Prozent ihres gesamten Liefervolumens auf der Schiene um. In unserer Reportage erfahren Sie, wie sich Feldschlösschen vom regionalen Foto: Hans Musterann Produzenten zum internationalen Ge- tränkelogistiker entwickelt hat (Seite 14). SBB Cargo 3 | 2016 3
Nico Bischoff (28) PRODUK TIONSFACHMANN «Wir haben fast alle unsere 250 Hbbills-uy aufgerüstet. Das sind die Güterwagen mit Klima gerät, die Migros transportiert beispielsweise damit ihre Kühl- produkte. Nun wissen wir jederzeit, wie feucht und wie kühl es im Inneren ist. Werden gewisse Werte überschritten, löst das System automatisch Alarm aus. In Wagen, die Container transpor tieren, haben wir Gewichtssen soren eingebaut, die sofort anzei- gen, ob richtig und nicht zu viel beladen wurde. Merkt man erst unterwegs, dass etwas nicht stimmt, muss der ganze Zug ange- halten und neu beladen werden. Man sagt, die neuen Güterwagen seien «intelligenter» – mir gefällt die Idee, dass meine Kollegen und ich den Wagen ein Hirn einbauen.» 4 SBB Cargo 3 | 2016
Menschen bei SBB Cargo Den Güterverkehr neu denken Digitalisierung, Automation, Infrastruktur, Kundenverhalten: Der Transport auf Schienen ist im Umbruch. Mittendrin: SBB Cargo und ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Text: Simon Brunner Fotografie: Dan Cermak Bestellte man vor 20 Jahren einen Güterwagen, lief betrieb seien bei Jungen nicht mehr gefragt. «Ohne der Bestellprozess noch ganz anders ab: mit Telefon Digitalisierung hätten wir Mühe, diese Arbeiten zu- oder Fax. Intern wurde mit Lochstreifen oder Fern- künftig noch zu erledigen», so Sonntag. Seit ein paar schreiber kommuniziert. Internationale Frachtbriefe Jahren werden halb- und vollautomatische Kupplun- wurden in sechsfacher, die nationalen in vierfacher gen getestet. Der Kosten- und Zeitvorteil ist enorm, Ausführung ausgestellt. Die von Hand geschriebenen wenn Zugwagons dereinst ohne menschliches Zutun Wagenetiketten wurden an den Wagen angebracht. zusammengehängt oder getrennt werden können. Ob Wagen verfügbar waren oder nicht, wurde tele In Bezug auf umfangreiche Neuerungen engagiert fonisch an den einzelnen Bahnhöfen abgefragt. sich SBB Cargo beim Technischen Innovations - Das Beispiel zeigt, wie sich die ganze Logistik- kreis Schienengüterverkehr (TIS). Ziel branche verändert. Die Herausforderungen sind der neun beteiligten Unternehmen ist es, enorm: Kunden wollen heute just-in-time produzie- bis 2030 den Güterwagen von Grund auf «Es gibt ren, in ihren eng getakteten, komplexen Produk - neu zu denken. Hinzu kommt die strate- tionsketten ist kein zeitlicher Spielraum vorhanden. gische Partnerschaft von SBB Cargo mit Funktionen Zudem soll umweltschonender transportiert werden Bosch Engineering (BES). Kernstück des bei SBB Cargo, und schliesslich lautet die Vorgabe aus der Politik, Projekts «Intelligenter Güterwagen» ist dass SBB Cargo wirtschaftlicher werden und sich eine kleine Box mit Sensoren, die in den die wir heute selber tragen muss. Güterwagen installiert wird. «Tempe nur mit Mühe Und es wird mehr denn je transportiert: Der Welt- ratur, Laufleistung und Position – alles besetzen handel hat seit 2009 um 30 Prozent zugenommen wird genau erfasst und an die Leitstelle (und um über 200 Prozent seit 1990). Analog werden gesendet», erklärt BES-Projektleiter René können.» auch in der Schweiz immer mehr Güter befördert. Höpfner. Ob ein Wagen richtig beladen Und in unserem kleinen, topografisch anspruchs ist, wird mittels eines Systems des Anbie- vollen Land soll laut Bundesamt für Statistik (BFS) ters PJM in Echtzeit erfasst. Damit sind die Zeiten der Güterverkehr zwischen 2010 und 2030 um weitere vorbei, wo ein Wagen auf der Strecke aus der Kompo- 45 Prozent zunehmen. Nicht alle Transportwege sition ausgereiht und neu beladen werden musste, nur wachsen gleich schnell. An der Spitze: die Schiene, weil eine Palette zu viel aufgeladen worden war. mit einem prognostizierten Wachstum von rund Am 11. Dezember 2016 steht der grosse Fahrplan- 77 Prozent bis 2030, laut BFS. wechsel bevor. Damit geht einerseits der neue Gotthard- Basistunnel in Betrieb, andererseits startet der Wa- Grösster Umbruch der Geschichte genladungsverkehr 2017, der das Angebots- und Pro- Wie ist das alles gleichzeitig möglich und was bedeu- duktionskonzept in ein neues Zeitalter überführt. Der ten diese Anforderungen für die Mitarbeitenden? Schienengüterverkehr leistet heute 36 Prozent an der Anja-Maria Sonntag, Projektleiterin Automation bei gesamten Transportleistung von Strasse und Schiene SBB Cargo (Interview auf Seite 12), betont, das obers- in der Schweiz – 2030 werden es laut Bundesamt te Ziel sei, mit Innovationen mehr Nutzen für den für Statistik 44 Prozent sein. SBB Cargo mit ihren Kunden zu genieren und Prozesse zu vereinfachen. 3000 Mitarbeitenden, 6800 Güterwagen und rund Dabei gehe es nicht um das Einsparen von Arbeits- 500 Triebfahrzeugen steht vor dem grössten Umbruch plätzen, im Gegenteil: «Es gibt Funktionen bei SBB der Geschichte. Auf den nächsten Seiten erklären eine Cargo, die wir heute nur mit Mühe besetzen können.» Angebotsplanerin, der Produktionsleiter, ein Produk- In den nächsten 15 Jahren werden viele Mitarbeitende tionsfachmann und eine Lokführerin, was dieser pensioniert. Harte körperliche Arbeit und Schicht Wandel für sie persönlich bedeutet. SBB Cargo 3 | 2016 5
Sandra Marko (36) LOKFÜHRERIN «Als kleines Mädchen liebte ich Spielzeugautos, als Teenager war mir klar: Ich will mit Motoren zu tun haben. Und sie müssen gross sein! Heute freue ich mich jedes Mal, wenn mir die 620er zugeteilt wird, unsere grösste Lok mit 7832 kW. Die fährt sich einfach super, man spürt ihre geballte Kraft. Im Führerstand haben wir immer das iPad dabei – nein, nicht um auf Facebook zu surfen, das ist strengstens verboten. Auf dem Tablet sind alle relevan- ten Daten gespeichert: Strecken- profil, Geschwindigkeiten, Hand- bücher und so weiter. Papier- loser Führerstand heisst das. Kein Vergleich zu früher, als der Lokführer einen Koffer voller Dokumente mitschleppen musste.» Roland Walter (28) TEAMLEITER L ASTENDISPOSITION «Zuerst die Zahlen: Im April kamen 67,2 Prozent unserer Züge pünktlich an – waren also nicht mehr als drei Minuten verspätet –, im Juli waren es schon 75,6 Pro- zent. Es braucht noch ein wenig, bis wir unser Ziel von 78 Prozent erreicht haben, aber wir sind sehr gut gestartet mit der ‹Task- force Pünktlichkeit›, die ich co-leite. Wenn im Dezember WLV 2017 anläuft und wir die Kunden öfter bedienen als heute, wird die Pünktlichkeit noch wichtiger. Das A und O ist, dass der Zug pünktlich abfährt: Dem Zug ist für jeden Streckenteil ein Slot zugeteilt – verliert er diesen, muss er sich im wahrsten Sinn des Wortes hinten anstellen.» 6 SBB Cargo 3 | 2016
Chantal Mormile (35) STR ATEGISCHE ANGEBOTSPL ANERIN «Jede Firma versucht, den Ver- kauf ihrer Produkte und Dienst- leistungen anzukurbeln. Damit man den Kunden aber tatsäch- lich einen Mehrwert bieten kann, braucht es die Fähigkeit, coole neue Ideen zu generieren und auch umzusetzen. Ein Beispiel: Einer unserer Verkäufer kam mit der Idee zu mir, mittels einer Wagenwascha nlage die Grund lage für den Wagenwiederbelad zu schaffen. Damit könnte das Geschäft mit dem Kunden gut ausgebaut werden. Eine solche Anlage ist zwar teuer, aber die Rechnung könnte für alle auf gehen – auch und vor allem für den Kunden. Innovation ist eine Einstellungssache. Das lernen wir gerade.» SBB Cargo 3 | 2016 7
Jon Bisaz (47) LEITER PRODUK TION «Wir stehen kurz vor dem grössten Fahrplanwechsel in der Geschichte von SBB Cargo. Ab dem 11. Dezember, mit dem Wagenladungsverkehr 2017, stellen wir das Produktions system und das Angebot von Grund auf um. Die Herausforde- rung: Wir können den Ernstfall nicht live testen, es gibt ja kein Paralleluniversum zum Aus probieren. Wir haben natürlich viel am Computer simuliert, What-if-Analysen gefahren, über 1000 Kundengespräche geführt, unsere 2000 Mitarbeitenden schon lange auf diesen grossen Moment vorbereitet. Aber auf was kommt es wirklich an? Klar, eine saubere Planung, ein gutes Risikomanage- ment und Schulung sind wichtig, aber der Schlüssel zum Erfolg liegt darin, dass die Mitarbeiten- den den Wandel mittragen – es muss ihr Projekt sein. Das sagt sich leicht, jeder Chef will das Team einbeziehen. Aber was, wenn es unangenehmen Input gibt? Und was, wenn er auch noch zutrifft? Ich habe selber viel gelernt in diesem Prozess und bin jetzt sehr optimistisch, dass es gut kommt. Wir sind parat!» 8 SBB Cargo 3 | 2016
Blick ins Ausland Andere Länder, andere Güter Das Bahnland Schweiz ist weltbekannt für seine gute Infrastruktur. Mit welchen Herausforderungen haben die Güterbahnen in anderen Ländern zu kämpfen? Eine Tour d’Horizon durch Europa und nach Übersee. Text: Pirmin Schilliger, Illustration: Henrik Franklin BELGIEN Privat und profitabel Das Land ist bezüglich Grösse und Dichte des Schienennetzes vergleichbar mit der Schweiz. Ganz anders sind aber die Topografie und die politischen Rahmen bedingungen. Jahrelang versuchte sich die Schienengütersparte der belgischen Eisenbahngesellschaft (SNCB) mit im- mer neuen Sanierungskonzepten aus den roten Zahlen zu hieven. Der Break-even wurde 2013 geschafft. Seit letztem Jahr firmiert die ehemalige SNCB Logistics Andere Länder lassen sich nur bedingt Die starke Position des Schienengüterver- Das Rezept heisst mit der Schweiz vergleichen. Zu unter- schiedlich sind Faktoren wie Grösse und kehrs in der Schweiz mit einem Anteil von 36 Prozent am gesamten Transport- Pünktlichkeit und Dichte des Eisenbahnnetzes, Topografie sowie politische und wirtschaftliche Rah- aufkommen basiert auf Pünktlichkeit, Verlässlichkeit und einer Qualität, die Verlässlichkeit. menbedingungen. Doch in allen anderen man in den anderen Ländern vergeblich Ländern gilt es als grosse Herausforde- sucht. «Damit hat sich SBB Cargo über die rung, den Wagenladungsverkehr, also den Industrie hinaus erfolgreich den Dienst- als B Logistics, ein privates Unternehmen, Transport von Einzelwagen, wirtschaft- leistungssektor als neues Marktsegment an dem die SNCB noch 31 Prozent der lich zu betreiben. erschlossen, so etwa Grosskunden wie Aktien hält. Dieses ist mit lediglich Politische Instrumente wie Schwer Coop, Migros oder die Post», sagt Susanne 1900 Angestellten weiterhin profitabel un- verkehrsabgabe und Lkw-Nachtfahrverbot Fiselius-Martens, Projektleiterin Xrail XCB terwegs, bei einem Umsatz von 456 Mio. sowie klare Verlagerungsziele von der bei SBB Cargo. Das Unternehmen setzt Euro im letzten Jahr und einer Förderleis- Strasse auf die Schiene sind wichtige Pfei- primär auf eine bessere Abdeckung der tung von 5 Mrd. Tonnenkilometern (tkm). ler des Schweizer Schienengüterverkehrs. Transportbedürfnisse im Inland. Einzig- Für den Wagenladungsverkehr (WLV), Doch in anderen Ländern gibt es bezüg- artig ist die 24-Stunden-Produktion im der auf einen Anteil von 41 Prozent kommt, lich Eisenbahn auch Vorteile gegenüber Wagenladungsverkehr 2017 mit bis zu gibt es in Belgien weiterhin über 200 Ser- der Schweiz, so etwa wirtschaftliche Grös drei Bedienzeiten am Tag. Möglich sei dies vicepunkte. Noch wichtiger sind Ganz se oder eine Topografie, Nachteile, die nur, weil der Schienengüterverkehr hier- züge und Züge für den kombinierten Ver- ein kleines und gebirgiges Land wie die zulande dem Personenverkehr gesetzlich kehr, mit schnellen Verbindungen von den Schweiz erst wettmachen muss. gleichgestellt ist, so Fiselius-Martens. Seehäfen zu den europäischen Wirt- > SBB Cargo 3 | 2016 9
Blick ins Ausland schaftszentren, von Schweden bis in die Schweiz und von Frankreich bis Ost europa. Ein solcher Ganzzug verkehrt täg- lich zwischen Antwerpen und der Schweiz. DEUTSCHL AND Sanieren, restrukturieren, expandieren DB Cargo Deutschland ist mit einem Um- satz von 4,417 Mrd. Euro und einer Trans- portleistung von über 98 Mrd. tkm das europäische Schwergewicht. Die starke Position beruht auf einem expansiven Wachstum; der Konzern ist mit rund zwei Dutzend Tochtergesellschaften eu- ropaweit aufgestellt. DB ist mit über 1500 Zügen pro Woche zwischen den wichtigsten Wirtschaftsregionen und See- häfen des Kontinents klarer Marktführer im Kombinierten Verkehr (KV). Auch der Ganzzugverkehr spielt, da es Masseng üter wie Kohle und Erze zu transportieren gilt, eine wichtige Rolle. Allerdings hat DB Cargo in den letzten Jahren Markta nteile verloren. In der derzeit laufenden Sanie- rungsphase stehen die «Wachs t ums strategie 2030» sowie das Programm «Zu- kunft Bahn» im Mittelpunkt. Der WLV, der zwischen 1995 und 2005 stark ab gebaut wurde und jetzt noch 39 Prozent Anteil hat, soll wieder profitabel werden: einerseits, indem er weiter verschlankt und die Bedienpunkte optimiert werden. Andererseits will DB Cargo ihre Produk mit einem Anteil von 60 Prozent. Nach schaftet weltweit die ganze Transport- tion neu modellieren und Synergien mit Jahren rigorosen Abbaus versucht sie, den wertschöpfungskette und bedient mit dem Ganzzugverkehr nutzen. WLV wieder wirtschaftlich zu machen. multimodalen Lösungen über 120 Länder. Doch das Konzept mit einem Netz von Rangier-Hubs in grösseren Städten scheint nicht zu greifen. In den letzten fünf Jah- FR ANKREICH ren ist der WLV nochmals um 15 Prozent ITALIEN geschrumpft. Die gesamte Verkehrsleis- Im Schatten des TGV tung von rund 20 Mrd. tkm geht immer Der Flaschenhals Im Pionierland der Hochgeschwindig- stärker auf das Konto von 400 Grosskun- Die Trenitalia Cargo bewegt sich mit einer keitszüge drohte dem Schienengüter den im Ganzzug- und im KV. Organisa Verkehrsleistung von rund 15 Mrd. tkm in verkehr fast schon das Abstellgleis. Die torisch ist die Fret SNCF als eine von fünf einer ähnlichen Grösse wie SBB Cargo. staatliche Fret SNCF, die seit Jahren mit Sparten eingebunden in die SNCF Logis- Ein wichtiger Teil der beförderten Fracht Verlusten kämpft, beherrscht den Markt tics. Die Frachttochter der SNCF bewirt- sind jedoch Massengüter wie etwa Schrott 10 SBB Cargo 3 | 2016
für die Stahlindustrie. Den WLV hat die POLEN zu einem weiteren Schub, beflügelt durch Trenitalia Cargo weitgehend eingestellt. die Fracking-Aktivitäten: Das im nördli- Im KV zwischen den Nordseehäfen und Pole-Position zwischen chen Mittleren Westen geförderte Öl und Oberitalien sieht sie sich ausländischen Ost und West Gas muss über weite Strecken zu den tra- Konkurrenten wie DB Cargo, SBB Cargo PKP Cargo wurde 2001 als Tochter der ditionell an den Küsten gelegenen Raffine- International oder der französischen staatlichen Eisenbahngesellschaft PKP aus- rien transportiert werden. Auf dem ameri- Captrain Italia gegenüber. Über die Toch- gegliedert. 2009 geriet sie im eigenen kanischen Schienennetz herrscht Arbeits- ter TX Logistik versucht sie in diesem Land in die Defensive, denn DB Cargo teilung: Die langen Strecken bedienen die Segment mitzumischen. Insgesamt kommt Deutschland schluckte den privaten Kon- sieben «Class 1 Railroads». Sie transpor- der Schienengüterverkehr in Italien gerade kurrenten PCC Logistics. 2013 ging PKP tieren vor allem Massengüter mit kilo noch auf einen Anteil von 6 bis 7 Prozent Cargo an die Börse, seither wirtschaftet meterlangen Zügen, denen mehrere Die- am gesamten Gütertransport. Es fehlen sie profitabel. Das verlorene Terrain will selelektrolokomotiven vorgespannt sind. leistungsfähige Containerterminals am PKP Cargo durch forsche Expansion zu- Die beiden grössten Gesellschaften, die Mittelmeer für den Umschlag vom Schiff rückgewinnen. Mittlerweile ist sie in Union Pacific und die BNSF Railway, auf die Schiene. Die Zugstrecken von der neun EU-Ländern aktiv, dies mit einer sind beide westlich des Mississippi unter- Küste durch den Apennin nach Norden Verkehrsleistung von 30 Mrd. tkm. Grosse wegs und dort direkte Konkurrenten. werden noch jahrelang ein Flaschenhals Mit je über 4000 Lokomotiven und rund bleiben. 40 000 Beschäftigten sind sie ähnlich gross. Die BNSF setzte 2015 rund 21,4 Mrd. Alles über Dollar um. Zusammen sind die sieben Big Players für rund 90 Prozent des auf der ÖSTERREICH tausend Kilometer Schiene getätigten Frachtumsatzes verant- wortlich. Daneben gibt es mehrere Hun- Es lebe die Donau-Monarchie gehört auf die dert kleinere Gesellschaften. Sie haben sich im Umfeld grosser Rangierbahnhöfe Die Rail Cargo Austria (RCA), eine Toch- ter der ÖBB Holding, fährt eine offensive Schiene. auf die regionale und lokale Feinvertei- lung der Güter spezialisiert. Hier spielt der Wachstumsstrategie. Sie hat vor Jahren WLV nach wie vor eine bedeutende Rolle. die Schienengütersparte der Ungarischen Sie sind mit ihren fein verästelten Angebo- Staatsbahnen übernommen und im letz- Hoffnungen setzt man in den Bahnverkehr ten für das Motto im amerikanischen ten Herbst die deutsche EBM Cargo ge- mit dem Fernen Osten. Heute schon ist Güterverkehr verantwortlich: «Was über kauft. Ausgehend von den Heimmärkten sie an 20 wöchentlichen Verbindungen tausend Kilometer befördert wird, gehört bietet sie massgeschneiderte Bahnlogis- entlang des Ost-West-Korridors beteiligt. grundsätzlich auf die Schiene.» tiklösungen zwischen Nordsee, Schwar- Investiert wird aber vor allem in den Aus- zem Meer, Mittelmeer und Standorten bau intermodaler Terminals an der Ost- in Osteuropa, bis in die Türkei und nach see. Aktuell dominieren in Polen weiter- Russland: Ganzzüge, KV und Einzel hin Ganzzüge mit Massengütern wie wagen. Der WLV hat mit einem Anteil von Kohle, Koks, Stahl, Kies und Baustoffen, 47 Prozent einen annähernd so hohen während der WLV weiter schrumpft. Stellenwert wie bei SBB Cargo. Der Bahn- anteil am gesamten Transportaufkommen liegt in Österreich bei 35 Prozent und da- mit ebenfalls fast auf Schweizer Niveau. USA Die RCA rühmt sich ihrer Wirtschaftlich- Comeback des keit. Tatsächlich liegt – bei einer Verkehrs- leistung von rund 29 Mrd. tkm – die EBIT- Schienengüterverkehrs Marge bei 3,5 Prozent: im internationalen In den USA hat der Schienengüterverkehr Vergleich ein Spitzenwert. seinen Marktanteil, gemessen in Tonnen- kilometern, allein zwischen 1990 und 2006 von 29 Prozent auf über 40 Prozent vergrössert. In den letzten Jahren kam es SBB Cargo 3 | 2016 11
Innovation «Überraschungen sind erwünscht» Wer sich nicht weiterentwickelt, landet schnell auf dem Abstellgleis. Anja-Maria Sonntag, Projektleiterin Automation, sagt, welche Projekte bei der Innovationsoffensive bei SBB Cargo im Vordergrund stehen. Interview: Susanne Wagner • ALLES IM BLICK Zugkontrolleinrichtungen (ZKE) zur automatisierten Überwachung von Gefahrenzonen LEISER UNTERWEGS • VORAUSSCHAUENDES FAHREN • 2000–2011: Umrüstung auf Adaptive Lenkung (ADL) für • EFFIZIENT RANGIEREN leise Bremssohlen flüssiges und energiesparendes Funkfernsteuerung Am 843 zum (Lärmsanierung, SBB-eigene Fahren im Bahnbereich (SBB) Rangieren mit einem Mitarbeiter Wagen abgeschlossen) UMWELTSCHONENDE LOKS • • MEHR SICHERHEIT Neue Hybridlok Eem 923 Zugsicherungssysteme mit von SBB Cargo Führerstandsignalisierung ETCS 2005 2009 2011 2006 2007 2008 2010 2012 2013 SBB Cargo macht die Güterwagen fit parenz der Logistikkette und die Nach- dem können wir die Wagen in einem spe fürs digitale Zeitalter. Warum erst jetzt? vollziehbarkeit der Transportwege sowie ziellen Internetportal verfolgen oder aber Im Vergleich zu anderen Bahnen oder automatisierte Datenverarbeitung extrem auch die Daten, wie etwa die Laufleistung, Wagenhaltern sind wir früh dran und wichtig. Hier können wir nur mithalten, direkt in unser SAP-System einbringen. haben einen Vorsprung. Auch haben sich wenn unsere Wagen intelligent sind. Kunden werden in Zukunft einen auf sie die technologischen Möglichkeiten ener- zugeschnittenen Zugriff auf das Datenpor- gieautarker Systeme in den letzten Jahren tal erhalten und so die für sie relevanten nochmals stark weiterentwickelt. Informationen wie Ankunftszeit, Doku- mentation der Kühlkette oder unerlaubte Und im Vergleich mit der Strasse? «Wir sind ein Teil der Zugriffe direkt abfragen können. Dieser Vergleich ist schwierig, da Last Logistikkette der wagen auf ihren Fahrzeugen Strom haben. Kunden, und da müssen In einer Pilotphase rüstete SBB Cargo Der Güterwagen an sich ist ein Stück Eisen 150 Kühlwagen mit Sensoren aus. ohne Strom. wir hineinpassen.» Gab es Überraschungen? Die Pilotphase ist ein wichtiger Teil des Trotzdem: Weshalb ist die Vernetzung Entwicklungsprozesses. Es ist sogar er- der Waggons so wichtig, um mit wünscht, dass man hier Überraschungen dem Güterverkehr auf der Strasse Sensoren spielen bei intelligenten erlebt, damit man die Systeme verbessern Schritt halten zu können? Güterwagen eine entscheidende Rolle. und etwas dabei lernen kann. In der In Zukunftsforen fallen Begriffe wie Wie setzt SBB Cargo die gewonnenen Summe sind wir sehr zufrieden. Logistic 4.0., integrierte Logistikketten Daten konkret um? und Just-in-time-Lieferungen. Wir alle Sensoren sind nur ein kleiner Teil. Die Was haben Sie gelernt? kennen die Bemühungen von Versand- eigentlichen Benefits ergeben sich aus Etwa, dass die Zuordnung der Daten für händlern, in immer kürzerer Zeit die dem Datenmanagement. Die gewonnenen die Kunden ganz wichtig ist. Bei sensitiven Waren zum Verbraucher zu bringen. Um Daten können in der Cloud mit weiteren Gütern können sie kontrollieren, ob die diesen Trends zu folgen, sind die Trans Datenquellen verknüpft werden. Ausser- Temperaturen während eines Transports 12 SBB Cargo 3 | 2016
im vorgegebenen Rahmen waren. Eine Es geht dabei um zwei Themen: um Kame- ausgerüsteten Züge werden bereits nächs- weitere Anwendung betrifft das Thema ras, welche die Wagen filmen, nach Schä- tes Jahr fahren. In einem weiteren Projekt Food Defense. Wir können dem Kunden den suchen und automatisch auswerten. streben wir variable Containeroberbauten die Sicherheit geben, dass der Wagen Die erste dieser Kameras wird derzeit in der Güterwagen an. Dafür überlegen wir während der Fahrt nicht geöffnet wurde. der Instandhaltung in Muttenz für ihre uns, den Oberbau und Unterbau zu tren- Wie wichtig dies den Kunden ist, hatten Aufgabe trainiert. In einem nächsten nen. Der Oberbau soll je nach Anforde- wir etwas unterschätzt. Schritt wird die Kamera an der Einfahrt rung der Kunden und der Güter angepasst zum Rangierbahnhof Limmattal aufge- werden. Warum Kühlwagen in der Pilotphase? stellt, wo sie Güterzüge im produktiven Handelsgüter eignen sich generell gut da- Einsatz kontrolliert. Andererseits wollen Weitere Innovationen? für, und je sensitiver die Ware ist, desto wir die von Infrastruktur erhobenen Kon- Nächstes Jahr werden wir einen neuen höher sind die Anforderungen an die Lo- trolldaten optimal auswerten. Das Ziel ist Zug mit verschiedenen innovativen Kom- gistik. Bei Kühlwagen ist die Temperatur schliesslich, schneller, nachvollziehbarer ponenten zum Thema Lärmschutz fahren ein besonders sensibler Parameter. und zuverlässiger produzieren zu können. lassen. • DIREKT VERBUNDEN • MEHR INFORMATION Projekt Intra-Zugkommunikation Umsetzung RFID (SBB) mit Funkzugriff auf das auf allen Güterwagen Handy des Lokführers (GSMR) POLEPOSITION • • OPTIMIERTE PROZESSE Digitalisierung mit Apps • INTELLIGENTE SYSTEME Start des europäischen Neue Prüflogik mit Way Side Projekts «5L-Zug» (leise, lauf- • STARKE PARTNER u. a. zur mobilen Wagen Umsetzung «Intelligenter kontrolle oder für Intelligence, Nutzung von stark, life-cycle-orientiert) Big Data mit ZKE-Anlagen, im Rahmen des «Technischen Güterwagen» zusammen Schadenmeldungen mit Bosch Engineering Prozessoptimierung, Asset- Innovationskreises Intelligence-Handlungsfelder Schieneng üterverkehr» und PJM 2014 2015 2016 2017 2018 Was sind die nächsten Schritte? Sensorik und Kameras in Ehren, aber Sind selbstfahrende Rangierloks bei Die Intelligenz für Güterwagen, die alle sind Menschen letztlich nicht verläss SBB Cargo bald Realität? Anforderungen unserer Kunden erfüllt, licher als Geräte? Wir arbeiten im Augenblick daran, die kann man nicht als serienreifes Produkt Um abzuschätzen, ob Baumstämme auf schon im Einsatz stehenden Funkfern- am Markt kaufen. Es sind alles Proto einem Güterwagen genügend fixiert sind, bedienungen der Loks um ein Display und typen, die wir mit dem Lieferanten weiter- sind sicher die Menschen besser. Beim ein Kollisionswarnsystem zu erweitern. entwickeln. Dank der neu gewonnenen exakten Abmessen einer Strecke schneidet Aber eine vollautomatische Rangierlok Erfahrung haben wir die technischen As- die Maschine besser ab. Wir kombinieren wird wohl erst 2020 oder 2023 auf Fahrt pekte verbessert, etwa die Genauigkeit die Stärke von Mensch und Maschinen. gehen. und Häufigkeit des GPS-Signals. Ab Okto- Wir wollen nicht komplett automatisieren, ber wird die Serienlösung fertig, und als aber unser Ziel sind möglichst bedienungs- Nächstes wird es um die Ausrollung gehen. arme Abläufe. Das Portal, auf dem die Kunden den Weg ihrer Güter via «Track and Trace» verfol- Welche Vorteile verspricht sich gen können, wird Ende 2016 aufgeschaltet. SBB Cargo von einer computer- gesteuerten Logistikkette? Wann werden alle Güterwagen von Intelligente Güterwagen sind eine Anfor- SBB Cargo mit Sensoren unterwegs sein? derung des Marktes. Wir sind ein Teil der Unser Ziel ist es, dies möglichst bald Logistikkette der Kunden, und da müssen zu realisieren. Wir haben uns einen Zeit- wir hineinpassen. horizont von zwei Jahren gesetzt. Anja-Maria Sonntag, Leiterin Transformation Welche innovativen Projekte sind bei SBB Cargo, arbeitet seit zwei Jahren intensiv Wie steht es mit der Umsetzung der bei SBB Cargo in der Pipeline? an der Frage, wie der Schienengüterverkehr durch den Einsatz von Technologien effizienter «wegseitigen Intelligenz», eines weiteren Wir arbeiten an einer automatischen gestaltet werden kann. Sie hat langjährige Erfahrung Foto: zVg Projekts der Automatisierungsoffensive Kupplung und Bremsprobe, um die Abläufe im Innovations- und Projektmanagement von SBB Cargo? schneller zu machen. Die ersten damit aus Automobil- und Schienenfahrzeugindustrie. SBB Cargo 3 | 2016 13
Seit 1889 mit der Bahn verbunden: Feldschlösschen-Rangierchef Simon Herzog mit einer Rangierlok am Hauptsitz in Rheinfelden.
Brauschloss mit Gleisanschluss Einst war es die Dampflok, heute sind es moderne Güterzüge: Feldschlösschen transportiert Bier und Mineralwasser seit 140 Jahren vor allem via Schiene zur Kundschaft. Im Gleichschritt mit SBB Cargo erneuert sich das Unternehmen permanent, um den wachsenden Anforde- rungen des Marktes gerecht zu werden. Text: Robert Wildi Fotografie: Anne Morgenstern
Schwerpunkt E in früher Morgen wie im Dreh- buch. Strahlend blauer Himmel, die aufgehende Sonne taucht das gigantische Backsteinschloss in ein film- reifes Licht. Für den perfekten Mittelalter- streifen müssten am fiktiven Set jetzt ein Mitarbeitenden tätig sind, hat Feldschlöss- chen vier Kilometer eigene Gleise verlegt. Das zeigt die tiefe Verbundenheit des Un- ternehmens mit der Bahn seit seiner Gründung im Jahr 1876. Schon die erste Bierlieferung von Feldschlösschen erfolg- Transportlogistik von Feldschlösschen ver- antwortlich. Die Welt habe sich gedreht und mit ihr die logistischen Herausforde- rungen im Handelsgeschäft. Feldschlöss- chen ist heute ein Tochterunternehmen der Carlsberg Group, braut neben Rhein- paar Ritter in Vollrüstung ums Eck galop- te auf der Schiene ab Rheinfelden. Drei- felden auch in Sion insgesamt acht eigene pieren. Was tatsächlich auftaucht, hat in- zehn Jahre später wurde der direkte Biermarken selbst und füllt am Bündner des viel mehr PS. Es ist eine Güterloko Gleisanschluss zum Brauschloss Realität, Standort Rhäzüns sein eigenes Mineral- motive, die sich vom Bahnhof Rheinfelden sodass Simon Herzogs heutiger Job in wasser ab. Von Bern bis Taverne und her den Weg auf den Schlosshügel bahnt. den frühesten Anfängen von einem Pfer- Landquart bis Satigny GE betreibt das Un- In cooler Pose auf der Brüstung steht ein defuhrhalter übernommen wurde. Es folg- ternehmen an insgesamt 21 neuralgischen Ritter der Neuzeit. Es ist Simon Herzog, te eine lange Epoche der Dampflok, mit Standorten Lager- und Verteilzentren. Rangierchef im Dienste der Feldschlöss- der sogar noch Simon Herzog zehn Jahre Neben den Eigenprodukten vertreibt chen Getränke AG. Rund fünfmal täglich kutschierte. 1990 übernahm die Diesellok. Feldschlösschen etliche weitere Bier- und werden bis zu zehn mit Bier und Mineral- Aus Liebe zur Tradition und zu Marke- Mineralwassersorten auf Provisionsbasis. wasser gefüllte Bahnwagen via Anschluss- tingzwecken hält Feldschlösschen vor Ort Total liefert die grösste Schweizer Geträn- gleis nach Rheinfelden gebracht und von bis heute Pferde und setzt sie für Bier- kehändlerin mehr als 1000 unterschied dort in alle Himmelsrichtungen verteilt. lieferungen in die Rheinfelder Altstadt ein. liche Produktartikel in die Lager, Keller Simon Herzog ist es, der diesen Warenfluss und Kühlschränke von gegen 30 000 koordinieren und gewährleisten muss. Von Rheinfelden in die ganze Welt Kunden, vom Detailhandelsriesen bis zum Und dies schon seit 36 Jahren. «Zeit für Nostalgie bleibt uns im hekti- Bergrestaurant. Rund um das «märchenhafte» Brau schen Alltag kaum», sagt Thomas Stalder, Ob klein oder gross, diese Klientel imperium im Aargauer Fricktal, wo knapp Geschäftsleitungsmitglied und als Leiter wird immer anspruchsvoller. Ganz kurz- die Hälfte von schweizweit rund 1300 Customer Supply Chain für die gesamte fristige Aufträge gehören heute zur Tages- Vier Kilometer firmeneigene Gleise: Feldschlösschen-Hauptsitz in Rheinfelden. 16 SBB Cargo 3 | 2016
«Zeit für Nostalgie bleibt uns kaum»: Thomas Stalder, Logistikchef bei Feldschlösschen in der historischen Brauerei. ordnung. «Die 48-Stunden-Lieferfrist ist 200 000 Zuschauer mussten in Estavayer längst kalter Kaffee», sagt Thomas Stalder. FR mitten im Grünen bei Gluthitze ausrei- Maximal 24 Stunden dürfen es sein, in chend mit gekühltem Frischbier und ande- vielen Fällen wird ein «morgen» schon ren Getränken versorgt werden. Ein logis- gar nicht mehr akzeptiert. «Um konkur- tischer Hosenlupf. An der Fussball-Euro «Die 48-Stunden- renzfähig zu bleiben, müssen wir den Wa- 2008 belieferte Feldschlösschen alle acht renfluss also permanent beschleunigen, Stadien in der Schweiz und Österreich so- Lieferfrist ohne an Qualität zu verlieren.» Geschwin- wie mehr als 100 Public-Viewing-Zonen. ist längst digkeit ist im Bier- und Getränkehandel unabhängig vom Nachfragemarkt ein ent- Insgesamt wurden für den Event rund 50 000 Hektoliter Bier verkauft, was den kalter Kaffee.» scheidendes Kriterium. Es handelt sich im Gegensatz zu Nähmaschinen oder Holz Jahresabsatz gleich um 20 Prozent erhöhte. Solche Projekte oder die tägliche Be THOMAS STALDER, tischen um verderbliche Ware. Die ge lieferung von über 12 000 Kunden aus der LOGISTIKCHEF samte Getränkeproduktion in Rheinfelden Hotellerie, Restauration oder Catering- FELDSCHLÖSSCHEN wird durchschnittlich innert zwei bis drei szene sind zumindest auf der «letzten Wochen umgeschlagen und verfrachtet. Meile» nur über die Strasse möglich. Richtig herausfordernd sind zum Bei- Trotzdem setzt Feldschlösschen bis heute spiel riesige Sportanlässe. Heuer bestritt 60 Prozent des gesamten Liefervolumens Feldschlösschen zum vierten Mal in Fol- auf der Schiene um. Vor allem in die eige- ge das Eidgenössische Schwingfest. Total nen Warendepots und zu Grosskun- > SBB Cargo 3 | 2016 17
Schwerpunkt den wie Coop gelangt das Getränkegut fast ausschliesslich per Bahn. Der Einzel wagenverkehr von SBB Cargo ermöglicht Feldschlösschen zudem, auch für die Fein- verteilung unterschiedlichster Liefermen- gen an Endkunden maximal viele Kilo meter auf der Schiene zurückzulegen. «Undenkbar wäre so etwas zum Beispiel im Nachbarland Frankreich, wo im Güter- verkehr nur ganze Züge angeboten wer- den», sagt Thomas Stalder. Neben der Flexibilität und der damit verbundenen Wirtschaftlichkeit der Bahn dank Einzelwagen steht für Feldschlöss- chen die Partnerschaft mit SBB Cargo auch bezüglich Transportqualität auf einem soliden Fundament. Innovations- kraft schweisst offenbar zusammen. Als erste Schweizer Unternehmen überhaupt haben nämlich die beiden Parteien im letzten Jahr die Einhaltung der IFS- Normen (International Food Standards) vertraglich miteinander vereinbart. Weil Bier und Mineralwasser Lebensmittel sind, müssen sie laut IFS auf allen Trans- porten kontrolliert und für Dritte absolut unzugänglich sein, was von allen Partnern einiges an Aufwand erfordert. «Noch schneller und flexibler» Trotz solcher Errungenschaften darf Mehr als 1000 unterschiedliche Produktartikel: Abfüllanlage. die Entwicklung nicht stillstehen. Feld- schlösschen setze zwar aus Tradition und aus guten Gründen auf die Schiene, habe diese Treue aber nicht in Stein gemeisselt, mahnt der Logistikchef. Kurzum: «Um ihren Status quo als unser Prioritätspart- ner mittel- und langfristig zu behaupten, muss die Bahn mit den sich wandelnden Marktbedürfnissen mithalten, künftig also noch schneller und flexibler werden.» Er- ledige sie ihre Hausaufgaben, liege sogar eine weitere Volumenverlagerung auf die Schiene über die aktuellen 60 Prozent hinaus absolut drin. Die Botschaft kommt beim Adressaten SBB Cargo an. Dort weiss man, dass im zunehmend zeitkritischen Umfeld jeder Gleichschritt ein empfindlicher Rückschritt ist. «Kam es früher zu einer verspäteten Zustellung in ein Depot von Feldschlöss- chen, konnte dies mit Puffern in den Be- Täglich werden über 12 000 Kunden beliefert: Warenauslieferung. FELDSCHLÖSSCHEN: 1876 Gründung und erste 1889 Bau eines SBB- 1898 Feldschlösschen braut MEILENSTEINE Bierlieferung via Pferdefuhrwerk Gleisanschlusses auf dem 100 000 Hektoliter Bier, wird zur und Eisenbahn. Firmengelände in Rheinfelden. grössten Brauerei in der Schweiz DER 140-JÄHRIGEN und ist es bis heute geblieben. FIRMENGESCHICHTE 18 SBB Cargo 3 | 2016
ständen vor Ort ausgeglichen werden», Partner wechselt heute ohne Wimpernzu- sagt Wolfram Köster, Leiter der Business- cken auf die Strasse». Unit Handel, Bau, Entsorgung bei SBB Mit dem bevorstehenden Fahrplan- Cargo. Solche Zustände gehören ins Reich wechsel kann SBB Cargo ganz neue Argu- der Nostalgie. Das Horten von Notfall mente für die Bahn ins Feld führen. Neben reserven wäre in Zeiten von individuell der offiziellen Aufnahme des Gotthard- «Ein enttäuschter abgestimmten Bestell- und Liefermengen bis zum einzelnen Bierharass reine Ver- Basistunnels (GBT) ins Streckennetz fällt am 11. Dezember auch der Startschuss für Partner wechselt schwendung. das Projekt Wagenladungsverkehr (WLV) 2017. «Es beginnt ein neues Zeitalter heute ohne Weniger Lkws dank WLV 2017 Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit sind in für den Güterverkehr», verleiht Wolfram Köster dem Datum sogar einen histori- Wimpernzucken Zeiten von immer mehr Kostendruck und immer kleineren Gewinnmargen nicht schen Anstrich. Zu Recht. Der GBT ver- kürzt nicht nur die Fahrzeit auf der Nord- auf die Strasse.» nur Gebote, sondern Überlebensstrategie. Süd-Achse um 30 Minuten, sondern bie- «Wenn wir nicht jederzeit gewährleisten tet im Wagenladungsverkehr Kapazitäten WOLFRAM KÖSTER, LEITER HANDEL, BAU, ENTSORGUNG können, dass Feldschlösschen einen Kun- für deutlich grössere Güterzüge mit 750 SBB CARGO den am Folgetag der Bestellung mit der Metern Länge und 2000 Tonnen Gewicht. exakt geforderten Menge an Frischbier be- Für Feldschlösschen bedeutet die neue liefert, haben wir versagt», sagt Köster, Gotthardflachbahn zwar unmittelbar kei- «das sind wir als Transportpartner uns nen Mehrwert, weil das Depot in Taverne selbst und allen Kunden schuldig, ob aus schon heute von der Bahn bedient wird. der Getränke-, Möbel- oder Zementbran- Potenzial sieht Thomas Stalder im Falle, che.» Denn, so Köster, «ein enttäuschter dass der Tunnel SBB Cargo einen fle > Die «letzte Meile» ist nur über die Strasse möglich: Güterwagen und Lkw auf dem Firmengelände. 1950 Patentierung des von 1961 Einführung der Europalette, 2011 Produktionsstandort 2013 Feldschlösschen führt Feldschlösschen entwickelten die von Feldschlösschen als Rhäzüns wird auf kombinierten den ersten 18-Tonnen-Elektro-Lkw Transportsystems der Swiss erstem Getränkeu ntern ehmen Verkehr (Wechselbehälter) der Schweiz ein. Container Cars. der Schweiz verwendet wird. umgestellt. SBB Cargo 3 | 2016 19
Schwerpunkt xibleren und erweiterten Fahrplan ins damit diese dort am Folgemorgen früh Feldschlösschen. «So haben wir länger Tessin ermögliche. Genau das ist geplant. genug zur Feinverteilung bereitstand», Zeit für die Bereitstellung der Ware in- In Kombination mit dem anderen Gross- erklärt Thomas Stalder. klusive Kommissionierung und Verlad», projekt WLV 2017 sollen in absehbarer sagt Thomas Stalder. Zeit verkehrsstarke Bedienpunkte in der Für Rangierchef Simon Herzog bedeu- Südschweiz bis zu drei statt heute nur tet der Fahrplanwechsel indes längere Ar- zwei Zustellungen pro Tag erhalten. Das erlaubt eine Erhöhung und flexiblere «Ich will die beitstage. Ein Problem hat er damit nicht. Schliesslich habe er weit über die Hälfte Verteilung der Transportkapazitäten. «Si- cher interessant, zumal uns diese Option Modernisierung seines Lebens bei Feldschlösschen ver- bracht und sei für die grosse Loyalität auch mehr Möglichkeiten geben würde, im italienischen Markt noch stärker Fuss im Güterverkehr seines Arbeitgebers dankbar. In seinem kleinen Bürohäuschen direkt am An- zu fassen», so Stalder. an vorderster schlussgleis zeugen säuberlich eingerahm- Sehr direkt profitiert Feldschlösschen te Urkunden, Zeitungsausschnitte und vom WLV 2017 für die Bier- und Mineral- Front miterleben.» Fotos von den epochalen Entwicklungen, wasserlieferungen in die Westschweiz. SIMON HERZOG, die Simon Herzog bei Feldschlösschen Der Kapazitätsausbau erlaubt es SBB Cargo RANGIERCHEF FELDSCHLÖSSCHEN erlebt und teils mitgeprägt hat. «Ich will nämlich, die Strecke Rheinfelden nach Sa- die fortschreitende Modernisierung im tigny GE via «Nachtsprung» so zu bedie- Güterverkehr ebenfalls an vorderster nen, dass die Ware dort morgens um 5.00 Front miterleben.» Er schaut auf die Uhr, Uhr statt wie bisher 7.30 Uhr eintrifft. Op- Dank dem neuen Fahrplan durch Wagen- schon bald ist Mittag. Zeit für die nächste timal für Feldschlösschen, da jetzt wieder ladungsverkehr 2017 fährt der Zug von Bierfahrt vom Schloss runter zum Bahn- die gesamte Produktion für den Raum Rheinfelden nach Genf später ab: Nach- hof. Es ist heute schon die dritte. Genf via Bahn befördert werden kann. mittags um 17.25 Uhr statt bisher 16.00 «Mit dem alten Regime waren wir ge- Uhr verlässt ab Mitte Dezember jeweils zwungen, einen Teil der Ware am Vor- der letzte Güterzug den Bahnhof am abend per Lkw nach Satigny zu bringen, Fuss des Schlosshügels. Optimal für Vom regionalen Bierfuhrhalter zum internationalen Getränkelogistiker: Feldschlösschen-Fuhrmann Hubert Schlachter. 20 SBB Cargo 3 | 2016
$$$Geschichte Frisch ans Ziel Der Transport von Lebensmitteln gilt als Königsdisziplin im Güterverkehr. SBB Cargo sorgt dafür, dass die Ware rechtzeitig eintrifft. Illustration: Bratislav Milenkovic MIGROS — Rund 2800 Bahnwagen befördert SBB Cargo jede Woche für die Migros. Dabei wird unterschieden nach Near-Food (z. B. Getränke), Non-Food (z. B. Kleidung), Food (z. B. Reis) und Frisch produkten (z. B. Milchprodukte). APROZ – Durchschnittlich 140 Bahnwagen verlassen jede Woche den Getränkehersteller Aproz. In den letzten 50 Jahren wurden von SBB Cargo über 4,2 Milliarden Liter Quellwasser aus den Walliser Alpen an verschiedene Schweizer Verteilzentren geliefert. NESPRESSO — 63 Pendelwagen verkehren wöchentlich im Auftrag von Nespresso zwischen Orbe und Avenches. LINDT & SPRÜNGLI – Im Schnitt 423 Tonnen Kakao befördert SBB Cargo pro Woche für die Produktion bei Lindt & Sprüngli von Amsterdam nach Olten. COCA-COLA — Mehr als 1000 Paletten befördert SBB Cargo jede Woche für Coca-Cola, dies in einer 550 Meter langen Zugkombination, be- stehend aus bis zu 31 Bahnwagen. LONGOBARDI — 12 15 bis Bahnwagen mit italienischen Longobardi-Tomatenkonserven gelangen pro Woche in die Schweiz. Zukünftig sollen auch Longobardi- Pasta und -Olivenöl durch den Gotthard-Basistunnel transportiert werden. VITTEL — 6 Bahnwagen von Vittel transportiert SBB Cargo im Wochenrhythmus aus Frankreich zu Schöni Transport nach Rothrist. Foto: Hans Musterann SBB Cargo 3 | 2016 21
Gotthard «Ein ruhiges, aber konzentriertes Fahren»: Tunnel portal bei Erstfeld. Es dämmert in Erstfeld Am 11. Dezember geht der Gotthard-Basistunnel definitiv in Betrieb. Exklusiv konnte das Cargo Magazin einen Lokführer an Bord eines kommerziellen Güterzugs mit 35 Güterwagen durch den neuen Tunnel begleiten. Text: Stefan Boss Fotografie: Anne Gabriel-Jürgens Ein sonniger Tag im Tessin. Wir stehen Durch den neuen Tunnel können bis zu zwischen den Gleisen am Güterbahnhof 750 Meter lange Züge fahren. Über die San Paolo in Bellinzona. Schon fährt er Bergstrecke ist bei 580 Metern Schluss. ein, der endlose Zug aus Cadenazzo. Luca Im Führerstand der Re 620 greift Orsega, Lokführer bei SBB Cargo Inter Orsega zum Telefon und meldet dem national, begrüsst uns mit Handschlag. Es Dienstleiter in der Betriebszentrale Polle- steht Aufregendes auf dem Programm: gio Fahrbereitschaft. Er spricht Tessiner die Fahrt durch den 57 Kilometer langen Dialekt. Es dauert nur Augenblicke, und Gotthard-Basistunnel im Güterzug. schon wird das Signal auf Grün gestellt. Kein weiterer Test soll es sein, son- Um 13.44 Uhr setzt sich die Maschine dern eine richtige Fahrt in einem kommer- mit den 35 Wagen ruckelnd in Bewegung. ziellen Zug, der sonst über die Bergstrecke Die feierliche Eröffnung am Gotthard von Süd nach Nord verkehren müsste. Er von Anfang Juni ist längst vorbei, über besteht aus offenen Wagen, gedeckten 100 000 Personen nahmen daran teil. Das Wagen und Tragwagen – ein bunter Zug Foto mit den Ehrengästen, die im Per im Wagenladungsverkehr. Ziel ist der sonenzug durch den Gotthard fahren, Rangierbahnhof Limmattal, wo die Wagen ging um die Welt. Aber wie fühlt sich die neu formiert und weiterverfrachtet wer- Durchfahrt im Güterzug an? Schliesslich den. Orsega macht ein kurzes Manöver wurde der neue Tunnel vor allem für und hängt ein paar weitere Wagen an. den Cargo-Verkehr gebaut. Vorfreude und ein bisschen Wehmut: Luca Orsega, Sage und schreibe 601 Meter lang ist der «Nervoso?» Orsega schüttelt den Kopf Lokführer bei SBB Cargo International. Tross! Damit kommt ein entscheidender und lacht. Er ist schon fünfmal durch Vorteil des Bauwerks voll zum Tragen: die neue Röhre geflitzt, Probleme hatte er 22 SBB Cargo 3 | 2016
Rubrik noch nie. Wir fahren an einem Rebberg vorbei, die Trauben hängen schwer an den Zweigen. Bei Biasca, an den mächtigen Flanken des Rheinwaldhorns, kommen wir auf die Neubaustrecke. Es gibt nun keine Aussensignale mehr, Orsega verlässt sich auf den kleinen Monitor, auf dem ihm die Signale angezeigt werden (Verkehrs- leitsystem ETCS Level 2). Um 14.05 Uhr nähern wir uns dem schlanken Betonportal, dann wird es dun- kel. Neben der Fahrspur blitzen im Schein- «Dank des Gotthard- Basistunnels bringen wir die Ware 30 bis 45 Minuten schneller ans Ziel.» werferlicht die Distanztafeln und die Sig- nale für den Notausgang auf – das ist alles. Orsega dreht am Stufenschalter, beschleu- nigt seine Lok, bis sie gut 100 Stunden kilometer erreicht. «Es ist ein ruhiges, aber konzentriertes Fahren», sagt der drei fache Vater, der mit seiner Familie in Giornico wohnt. Neuer Trumpf für die Bahn: Güterbahnhof San Paolo in Bellinzona. Frischere Früchte und Gemüse Ganz zuvorderst führen wir einen Sat- telanhänger mit Tessiner Früchten und Gemüsen mit. Es handelt sich um einen Bauwerk die tägliche Arbeit? «Es gibt zwei kam der gelernte Automechaniker genau Transport der Firma Zingg in Hedingen. Gefühle», sagt Orsega mit einem Lachen. deshalb zur Bahn. Zudem schätzt er die Franz Gräzer, zuständig für den kombi- Einerseits liebt er die Berge, er hat selber grössere Sicherheit im neuen Tunnel: «Du nierten Verkehr, freut sich über den künf- ein kleines Ferienhaus in den Tessiner musst nicht damit rechnen, dass auf tigen Zeitgewinn. «Dank des Gotthard- Alpen, deshalb ist er etwas wehmütig, dass einmal ein Hindernis wie ein Stein oder Basistunnels bringen wir unsere Ware er keine Züge mehr über die Bergstrecke ein Tier auf der Strecke ist.» 30 bis 45 Minuten schneller ans Ziel», sagt mit ihren Kehrtunneln fahren wird. Nach gut zwei Stunden fahren wir im er später am Telefon. Die Ware wird in Die- Andererseits freut er sich über den Bahnhof Arth-Goldau ein. Orsega stoppt tikon umgeschlagen und dann auf der letz- neuen Trumpf für die Bahn. Es können kurz vor der Rigibahn, einem Meisterwerk ten Meile mit dem Lastwagen ausgeliefert. nicht nur längere Züge durch den Basis- der Ingenieurskunst des 19. Jahrhunderts. Nach 40 Minuten, die flackernden tunnel fahren, für Züge bis 1600 Tonnen Kollege Christoph Roth wartet schon auf Foto: Hans Musterann Lichter der Nothaltestellen von Faido und entfällt auch das Vorspannen einer zwei- dem Perron, er wird den Zug bis ins Sedrun sind vorüber, erscheint ein Däm- ten Lok. Der Tunnel erlaubt es, die Ka Limmattal weiterfahren. Der 11. Dezem- merlicht am Horizont, das rasch heller pazität im Nord-Süd-Verkehr stark zu stei- ber kann kommen: Das Personal und der wird. Auch Erstfeld im Urnerland ist heute gern. Der umweltschonende Transport ist Tunnel sind bereit für die Inbetriebnahme eine Sonnenstube. Wie verändert das neue Orsega ein grosses Anliegen. Schliesslich des Meisterwerks des 21. Jahrhunderts. SBB Cargo 3 | 2016 23
«Wir müssen die Eisenbahn schlichtweg neu erfinden!»: Geert Pauwels (l.) und Nicolas Perrin am Zürcher Hauptbahnhof. Foto: Hans Musterann
CEO-Talk CEO-Talk «Wer sich zurücklehnt, ist sofort im Rückstand» Wie die Schweiz verfügt auch Belgien über ein ausserordentlich dichtes Schienennetz. Gespräch zwischen Geert Pauwels, CEO der belgischen Güterbahn B Logistics, und Nicolas Perrin, CEO von SBB Cargo, über Unterschiede, Gemeinsamkeiten und die Zukunft der Branche. Interview: Roy Spring Fotografie: Daniel Winkler Herr Pauwels, als Marathonläufer sind weiter. Ohne Durchhaltewillen und Leiden- PERRIN: Zwei Aspekte sind entscheidend: Sie es gewohnt, lange durchzuhalten. schaft wäre unsere Firma nicht da, wo sie Erstens geht es darum, am Ball zu bleiben Ist Ausdauer auch im Beruf gefragt? heute ist. und immer noch besser zu werden. Wer sich GEERT PAUWELS: Nun, eigentlich bin ich zurücklehnt, ist sofort im Rückstand. Zum kein sehr guter Marathonläufer, leider bleibt B Logistics hat sich vom defizitären Teil anderen müssen wir unsere Flexibilität aus- mir nicht genügend Zeit zum Trainieren. der staatlichen SNCB zum mehrheitlich bauen, um auf negative Einflüsse von aus- Deshalb stehe ich jeden Marathon nur mit privaten, wettbewerbsorientieren sen reagieren zu können. Das sind die Willenskraft durch. Aber die meisten Läufer Unternehmen entwickelt. 2013 haben Sie Hebel, um im Wettbewerb vorne dabei zu – so auch Nicolas, mit dem ich zwischen den den Turnaround verkündet. Wie kam bleiben. Xrail-Meetings gerne joggen gehe – werden es dazu? Ihnen bestätigen, dass es ein echtes Hoch- PAUWELS: Als wir 2008 die Restrukturie- Skeptiker halten einen wettbewerbs gefühl ist, die Zielgerade zu überqueren. rung starteten, ging es schlicht darum, das fähigen Schienengüterverkehr Überleben der Firma zu sichern. Misserfolg für unmöglich. Liegen sie falsch? Herr Perrin, auch in der Schweiz geht war keine Option. Wir haben sämtliche PAUWELS: In Europa sieht die Entwicklung die Branche durch turbulente Zeiten. Aspekte des Zugfahrens hinterfragt: Ma- des Schienengüterverkehrts in den letzten Wie steht es um Ihre Work-Life-Balance? nagement, Betriebsprozesse, Kundenbezie- zehn Jahren nicht gut aus. Doch es gibt NICOLAS PERRIN: Es war ein intensives hung, Unternehmensführung… Wir haben nicht nur Schattenseiten. Die Überlastung Jahr! Aber wenn es dem Geschäft gut geht, die Betriebskosten stark zurückgefahren auf den Strassen und die Sorgen rund um stimmt auch das Wohlbefinden. Schwierig und investierten gezielt in qualifizierte Leu- das Klima werden zwingend zu einer stei- zu verdauen war der Rückschlag durch den te, um eine schlagkräftige Organisation zu genden Nachfrage bei der Bahn führen. starken Franken kurz nach der erfolgrei- werden. In den letzten sechs Jahren hat sich Daher bin ich überzeugt, dass wir eine er- chen Sanierung. Doch es ist wie im Sport: die DNA unserer Firma grundlegend verän- folgreiche Zukunft vor uns haben! Wir wol- Erfolgserlebnisse helfen uns, solche Durst- dert. Jetzt liegt der Fokus nicht mehr auf len erstklassige Schienenprodukte anbie- strecken zu verkraften. dem Überleben, sondern auf unserem neu- ten, die punkto Service und Leistung einen Foto: Hans Musterann PAUWELS: Genau! Die Wende zu schaffen, en Ziel: der Verkehrsverlagerung. Unterschied machen und die so gut sind, war sicherlich das Schwierigste, was ich dass die Kunden automatisch die Schiene je getan habe. Es war tatsächlich ein Mara- Auch SBB Cargo konnte 2013 die «schwarze bevorzugen. thon, aber die Ziellinie wurde immer weiter Null» verkünden. Wie kommen Sie zu PERRIN: Ich habe mich immer dezidiert für hinausgeschoben, jedes Jahr noch etwas nachhaltigem Erfolg? eine wettbewerbsorientierte Bahn ein- > SBB Cargo 3 | 2016 25
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