Westfalen Sport - Zwischen Leidenschaft und Leidensfähigkeit - # 5 - FLVW
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Das Journal des Fußball- und Leichtathletik-Verbandes Westfalen #5 WestfalenSport Oktober 2019 Preis € 2,50 Gegen Extremismus #WirSindUnsEinig U18-Länderpokal Ungeschlagen zum Titel Zwischen Leidenschaft und Leidensfähigkeit
Editorial Liebe Vereinsvertreterinnen und Vereinsvertreter! Eigentlich sind Sie es gewöhnt, an dieser Stelle eine Hinführung zum Titelthema des Westfalen- Sports zu finden. Das hatte ich auch diesmal wieder vorgesehen, denn die Schiedsrichterinnen und Schiedsrichter haben es verdient, sich eindeutig zu ihnen zu bekennen, Respekt für sie einzufordern und jede verbale und tatsächliche Gewalt gegen sie zu geißeln und zu bestrafen. Aber ein Vorfall in unserem Verband und die schrecklichen Ereignisse in Kassel und jüngst in Halle machen es für mich noch wichtiger, ein deutliches Signal an unsere Vereine zu senden, dass wir rechtsextremes Gedankengut, rechtsterroristische Aktionen und den er- schreckend anwachsenden Antisemitismus in unserem Land nicht ohne Kommentar lassen dürfen. Wir haben im Sport diesen Entwicklungen lange Zeit rat- und hilflos zugesehen und uns damit entschuldigt, dass der Sport unpolitisch sei. Diese Argumentation ist eine Farce und verniedlicht die Gefahren, die extremes Gedankengut in unseren Vereinen und in der Fan-Szene anrichten. In unserem beim diesjährigen Verbandstag verabschiedeten Ethik- Kodex verpflichten wir uns, „Diskriminierung, Belästigung oder Beleidigung aufgrund von ethnischer Herkunft, Nationalität, Religion, Weltanschauung, Alter, Geschlecht, Behinderung oder sexueller Identität“ nicht zu dulden. Dafür stehe ich auch persönlich ein. Ein menschen- verachtendes Verhalten ist nicht zu entschuldigen, nicht zu tolerieren und erst recht nicht zu erklären. Wer dazu schweigt, stimmt zu. Deshalb fordere ich alle ausdrücklich dazu auf, diesen Entwicklungen nicht abwartend oder indifferent gegenüber- beziehungsweise an der Seite zu stehen, sondern deutliche Zeichen zu setzten, dass der Sport und unsere Vereine sich nicht – auch nicht unterschwellig – durch demokratiefeindliche und menschenverachtende Ansichten und deren Vertreter und Sym- pathisanten vereinnahmen oder unterwandern lassen dürfen und wollen. Der FLVW zeigt dauerhaft Flagge gegen Antisemitismus und Rassismus. Vor wenigen Wochen haben wir die Kampagne #WirSindUnsEinig ins Leben gerufen. Zudem unterstützt der Verband Aktionen wie „NieWieder!“, den DFB-Integrationspreis, den Julius-Hirsch-Preis und bietet integrative und demokratiestärkende Projekte an. Aber die Abwehr von Nationalismus und Antisemitismus ist nicht nur eine Aufgabe der Spit- zenverbände, nicht nur eine Aufgabe des FLVW, sondern auch eine Aufgabe für die Vereine, ihre Verantwortlichen und ihre Mitglieder. Ich bitte Sie herzlich, vor den alarmierenden Entwicklungen nicht die Augen zu verschließen oder gar zu kapitulieren. Ich bitte Sie herzlich, Solidarität zu zeigen mit unseren jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern und allen anderen, die aufgrund ihrer Herkunft oder Na- tionalität ins Visier verbalterroristischer oder gewaltterroristischer Aktionen und Aktivisten genommen werden. Ich bitte Sie herzlich, Haltung zu zeigen und sich an der Kampagne #WirSindUnsEinig zu beteiligen. Ihr Gundolf Walaschewski Präsident WestfalenSport #5_2019 3
Inhalt Inhalt 40 26 38 57 Durch Anklicken/Berühren der Bilder/Überschriften gelangen Sie direkt. zur Seite/zum Artikel. 30 44 60 3 Editorial FLVW 36 Von Tudorf ins Tor der deutschen U21-Nationalelf Vereinsentwicklung 4 Inhalt 20 Fritz Keller ist neuer DFB-Präsident 37 Neue Energie mit neuer adidas-Ausrüstung 52 Die richtigen Fragen stellen 21 Hermann Korfmacher zum DFB-Ehrenmitglied ernannt 38 „Street Kings“ in Jail 53 Ideen und Konzepte von morgen gesucht Titel: Schiedsrichter: Zwischen Leidenschaft und Leidensfähig- 22 Sieben Westfalen in der „Hall of Fame“ verewigt 39 Kniebeugen „unter Strom“: informativer Wandertag keit 23 AOK-Gesundheitstipp: Trainieren bei Erkältung? Leichtathletik 6 Pauken für den ersten Pfiff 24 100 Tage Beisitzer im Präsidium „mit besonderen Aufgaben“ Seniorinnen/Senioren 54 Aktuelles aus der Leichtathletik 8 Chef der DFB-Videoschiris: „Tolle Lebensschule“ 26 #WirSindUnsEinig 40 Mit dem „Early Bird-Prinzip“ zur Siegerschale 55 Leni Otte möchte in Vaters Fussstapfen treten 9 Liedtke: „Noch keine Alarmstimmung“ 27 55.000 Euro „Bonus“ für erfolgreiche Nachwuchsarbeit 42 Werthers Echte: Lisa-Michelle Beugholt und Christine Glatfeld 57 Noah Braida pulverisiert acht Bestleistungen 10 Perspektivteam: Die „Talentschmiede“ des FLVW 11 Bereit sein, an sich zu arbeiten Fußball-Auslese Juniorinnen/Junioren Aus den FLVW-Kreisen 12 Beobachter: kein Richter, eher Tippgeber 28 Wattenscheid 09 zieht erste Mannschaft zurück 43 Ansgar Knauff und Luis Hartwig 58 Oliver Sell über die Krux des Mehrkampftrainings 13 Die Ausrüstung der Schiedsrichter 29 Ennepetal mischt wieder oben mit 44 U18-LP: Für starke Leistung leider nicht belohnt 59 Marcel Maltritz‘ Comeback in der Kreisliga B 14 Richterklänge aus der Pfeife 30 Drei westdeutsche Titel für westfälische Ü-Teams 46 Die Neuen im FLVW-Mädcheninternat 60 Landesligist Langenholthausen feiert auf Schalke 17 DFB plant Schiedsrichter GmbH 32 Steinhäger Urkönige „Walking Fußball“-Vizemeister 48 goldgas Talent-Camp 2019 18 40 Jahre Schiri und immer noch Spaß 34 Ausgezeichnet: 70.000 Euro für FC Iserlohn von der DFL 61 Westfalenporträt: Hans-Joachim Watzke 19 Gute Sprüche auch an schlechten Tagen 35 Hauptpreis für Sportfreunde Stuckenbusch 50 Panorama 62 Vorschau/Impressum 4 WestfalenSport #5_2019 WestfalenSport #5_2019 5
Titel Titel ein Crashkurs sicherlich sinnvoll. Für mich wäre ein längerer Zeitraum viel- che laufen sogar weiter, nachdem sie die 1.000 Meter bereits absolviert leicht ein bisschen besser gewesen. Abends ging einfach gar nichts mehr. haben, um das Tempo der auf der Bahn Verbleibenden noch einmal anzu- Aber ich hoffe jetzt einfach auf gute Ergebnisse“, sagt die Trainerin. ziehen. Und tatsächlich: Es klappt! Auch Yüksel geht bei knapp unter sechs Minuten über die Ziellinie. Alle haben es geschafft. Und wenige Zeit spä- Abschluss auf der Laufbahn ter steht fest: Auch den Regeltest haben alle bestanden. Ein voller Erfolg. Vor den Ergebnissen wartet allerdings noch eine weitere Aufgabe auf die Schiedsrichter-Anwärter-Truppe. Denn neben dem Theorieteil müssen sie Das erste Jahr ist entscheidend sich auch in einer Praxisprüfung beweisen. Nach dem schriftlichen Teil „Es hat wirklich Spaß gemacht. Ich hab‘ unglaublich viel gelernt und geht es deswegen direkt zum Aufwärmen auf die Laufbahn. Die Gruppe finde es super, dass alles so schnell geht“, fasst der 13-jährige Fritz Pasing wirkt nach zwei Tagen schon sehr eingeschworen. Es wird viel gelacht. Alle den Kurs zusammen. Schnell kann es jetzt auch gehen, bis die neuen reden miteinander. Wie gut das Team bereits funktioniert, wird sich vor Schiedsrichter das erste Mal auf dem Platz stehen. Zunächst mit einem allem noch beim abschließenden 1.000-Meter-Lauf zeigen. Doch zu- Paten, dann allein. Doch die größte Hürde kommt in den Augen von Kursleiter Markus Häbel Einzige weibliche Teilnehmerin Ugurgül Yüksel nächst stehen 50 und 100 Meter auf dem Plan. Markus Häbel erst noch. „Die Abbruchquote in der Anfangszeit ist recht PAUKEN FÜR DEN ERSTEN PFIFF Für die 50 Meter haben die Männer 9,6 Sekunden Zeit, Frauen 11. Bei hoch. Die meisten verlieren wir im ersten Jahr“, sagt der 44-Jährige. den 100 Metern dürfen 16 beziehungsweise 19 Sekunden nicht über- Rund 70.000 Schiedsrichter gibt es in Deutschland, circa 5.500 in schritten werden. Die Kurzstrecken sind schnell abgewickelt. Alle haben Westfalen. Ob die Crashkursteilnehmer die Statistik auch dauerhaft an- 28 Schiedsrichter-Anwärter absolvieren Crashkurs im SportCentrum Kaiserau die notwendigen Zeiten geliefert. Dann kommt die längere Strecke. Und heben werden, muss sich jetzt also zeigen. Doch eines steht fest: Ohne schnell wird klar: Hier ist Teamgeist gefordert. Schiedsrichter kann der Fußball nun mal nicht stattfinden. Bleibt also Schiedsrichter zu sein ist ein spannender und komplexer Job. Man muss unfassbar viele Regeln kennen. Man muss sich auf dem Platz durchsetzen können. Yüksel kämpft nach der zweiten Runde. Auch einigen anderen Teilneh- zu hoffen, dass die ersten Pfiffe nicht auch die letzten sein werden. | Und man muss unzählige Entscheidungen treffen – oft innerhalb von Sekunden. Der Fußball- und Leichtathletik-Verband Westfalen (FLVW) bietet nun mern fällt die längere Strecke nicht leicht. Doch alle feuern sich an. Man- Markus Trümper einen Kompaktkurs für Schiedsrichter an. Nach nur einem Wochenende kann man seinen Schein so schon in den Händen halten und den interessanten Den abschließenden 1.000-Meter-Lauf meisterten die Teilnehmer gemeinsam Weg des Schiedsrichter-Daseins einschlagen. Ein intensives Wochenende mit jeder Menge Input und viel Fleißarbeit. 28 Stühle, 28 Namensschilder, ausverkauftes Haus. Der Anwärter-Lehr- Ball. Alle Regeln haben zahlreiche Unterpunkte, die die Kursleiter Schritt gang, der Ende September im SportCentrum Kaiserau stattfand, stieß auf für Schritt durchgehen. Bei den ersten beiden Regeln kommen Themen großes Interesse. Viele junge Gesichter blicken Freitagabend auf die Prä- wie Maße und Bespielbarkeit des Platzes auf. Mit Regel 3, Spieler, tritt sentationsfolien, die Kursleiter Dirk Schmelle und Markus Häbel an die dann schon eine der wichtigsten Regeln auf den Programmpunkt. „Ins- Wand werfen. Die beiden jüngsten Teilnehmer sind gerade einmal 13 gesamt gibt es 17 Regeln. Neben Regel 3 stellen Regel 5, Schiedsrichter Jahre alt. Einer von ihnen ist Fritz Pasing. „Ich habe bei uns im Verein bei sowie Regel 12, verbotenes Spiel und unsportliches Betragen die wich- internen Turnieren schon öfter gepfiffen. Das hat mir viel Spaß gemacht“, tigsten Punkte für einen Spielleiter dar“, erklärt Markus Häbel. sagt der junge Bochumer. Zudem spiele er selbst Fußball und könne so manche Entscheidung des Unbeteiligten nicht nachvollziehen. „Das will Den Sinn dahinter verstehen 160 Seiten in zwei Tagen ich in Zukunft besser machen“, sagt Fritz selbstbewusst. 1.500 bis 2.000 Entscheidungen müsse ein Schiedsrichter pro Spiel treffen. Da dieses oft innerhalb von Sekunden passiere, sei es vor allem wichtig, die 160 Seiten Regeln Regeln nicht nur auswendig zu lernen, sondern vor allem auch den Sinn Die entgegengesetzte Altersspitze bildet Reinhard Zumdick. Der 57-jäh- dahinter zu verstehen, erklären die Kursleiter. rige Polizist stand schon Anfang der 90er-Jahre mit der Pfeife auf dem Während sich Dirk Schmelle von Folie zu Folie arbeitet, stellen die Kursteil- Platz. Dann hat es der Job irgendwann nicht mehr zugelassen. „Zwei nehmer immer wieder Nachfragen, machen Notizen, wirken durchweg Jahre vor der Pension will ich mein schönes Hobby jetzt wieder aufgrei- aufmerksam. So auch Ugurgül Yüksel vom RSV Meinerzhagen. Die fen“, sagt Zumdick. Dem bereits ausgebildeten Schiedsrichter werden 44-Jährige ist die einzige Frau im Kurs – und sieht darin auch eine beson- sicherlich viele Regeln noch bekannt vorkommen. Vieles wird aber auch dere Motivation. „Ich will zeigen, wir können das auch. Vor allem auch neu sein. Denn das 160-seitige Regelwerk durchläuft einen stetigen Ver- türkische Frauen. Jeder sollte den Mut haben, sich einer solchen Herausfor- änderungsprozess. „Es reicht schon, zwei Jahre nicht zu pfeifen. Dann derung zu stellen“, sagt die Teilnehmerin. muss man den Schein neu machen. Sonst kommt man mit den Neue- Dass lediglich eine Frau im Kurs sitzt, wundert Dirk Schmelle nicht. „Es rungen nicht mehr mit“, sagt Kursleiter Schmelle, der das Konzept des gibt nur sehr wenige Frauen in diesem Bereich, deswegen spiegelt das leider Wochenend-Intensivkurses vor zwei Jahren entwickelt hat. den Schnitt wider“, sagt der Experte. Das sei auch bei ihm im Kreis nicht Wie schnelllebig das Regelwerk sein kann, zeigen auch die ständigen anders. Von rund 150 Schiedsrichtern seien dort gerade mal fünf weiblich. Fortbildungen. Um auch die aktiven Schiedsrichter immer up to date zu Bis zum Abend folgt im Kursraum an diesem Tag ein Regelblatt nach dem halten, bieten die Kreise elf bis zwölf Monatsschulungen im Jahr an, bei anderen. Genau so sieht auch der nächste Tag aus. An Ausruhen am Abend denen sie auf den aktuellen Stand gebracht werden und die Regeln im- ist aber zunächst nicht zu denken. Denn nach dem Informations-Feuer- mer wieder durchgehen. „Acht davon sollte man auch besuchen“, rät der werk der ersten zwei Tage steht am Sonntag bereits die Prüfung an. 30 Re- Experte. Doch von Auffrischungen sind die meisten Kursteilnehmer gelfragen müssen dabei beantwortet werden. Höchstens fünf dürfen falsch noch weit entfernt. Auf sie werden in den nächsten 48 Stunden unzähli- sein. „Für einige war es einfach zu viel Stoff. Die haben sich sehr schwerge- ge Regeln einprasseln. Und diese müssen sie schnellstmöglich lernen. tan“, gibt Markus Häbel ein erstes Fazit nach dem Regeltest. Das bestätigt Am Anfang stehen die Grundlagen. Regel 1: das Spielfeld. Regel 2: der auch Yüksel. „Man muss so viel im Kopf behalten. Für jüngere Leute ist so Der Jüngste: Fritz (13) 6 WestfalenSport #5_2019 WestfalenSport #5_2019 7
Titel Titel VSA-Vorsitzender Michael Liedtke Dr. Jochen Drees beim Sky-Interview im SportCentrum Kaiserau „NOCH KEINE ALARMSTIMMUNG“ Westfälischer Schiri-Chef mahnt zur Rücksicht auch in den sozialen Medien „SCHIEDSRICHTER ZU SEIN IST EINE UNHEIMLICH TOLLE LEBENSSCHULUNG“ Gleich zu Saisonbeginn sorgte ein Angriff auf einen 71-jährigen Schiedsrichter im Kreis Lüdenscheid bundesweit für Schlagzeilen. Aufsehen erregten auch an den folgenden Spieltagen vereinzelte Übergriffe auf Unparteiische im westfälischen Verbandsgebiet. WestfalenSport-Autor Christian Schubert sprach mit Mi- chael Liedtke, Vorsitzender des Verbands-Schiedsrichter-Ausschusses (VSA), über die aktuelle Situation auf den Sportplätzen. Der Chef der DFB-Videoschiedsrichter sieht im Schiedsrichter-Dasein mehr als ein Hobby WestfalenSport: Herr Liedtke, haben die Gewalt- ist tatsächlich ein gesellschaftliches Problem. Als und von offiziellen Vereinsverantwortlichen über 141 Bundesliga-Spiele, 92 Zweitliga-Partien: Dr. Jochen Drees gehört zu den erfahrensten Schiedsrichtern in Deutschland. Mit der Beendigung seiner Karri- vorfälle gegenüber Schiedsrichtern zugenommen? Rechtsanwalt behandele ich unter anderem Straf- Schiedsrichter verbreitet wird, ist ebenfalls Ge- ere auf dem Feld ist er seit der Saison 2017/2018 als Videoassistent tätig. Zuvor hatte er von 2003 bis 2017 Spiele in der 2. Liga sowie von 2005 bis 2017 Michael Liedtke: Vorab muss ich betonen, dass ich und Strafverfahrensrecht und kann deswegen auch walt. Ich verabscheue das zutiefst. Hier erwarte Bundesliga-Begegnungen geleitet. Doch bevor der Allgemeinmediziner auf der großen Bühne auflief, hat auch Drees die Ligen auf der Amateurebene durch- keine aktuelle Statistik vorliegen habe, die das bestäti- aus meiner beruflichen Erfahrung sagen, dass Kör- ich auch von unseren Sportgerichten, klare Gren- laufen. Eine Schule, die seiner Meinung nach nicht nur auf dem Platz nützlich ist wie er im Gespräch mit WestfalenSport-Autor Markus Trümper offenbart. gen könnte. Auch vom Gefühl her würde ich sagen, perverletzungsdelikte heute oftmals viel schwerwie- zen zu setzen und die Vereine zur Verantwortung dass die Vorfälle nicht zugenommen haben und dass gender sind als noch vor ein paar Jahren. Im Fuß- zu ziehen. WestfalenSport: Warum glauben Sie, dass das Schiedsrichter-Dasein hend eine Analyse zu betreiben und kritisch mit sich selbst umzugehen, auch in den vergangenen Jahren – leider – immer mal ball müssen Schiedsrichter heute teilweise mit eine schöne Sache für junge Menschen ist? auch das ist etwas, was ich fürs Leben gut und gern gebrauchen kann. wieder etwas passiert ist, was für Aufsehen gesorgt hat. Würgemalen am Hals ins Krankenhaus eingeliefert WestfalenSport: Im Saarländischen Fußballver- Dr. Jochen Drees: Schiedsrichter sein ist ein Hobby und eine Sportart, die Was ich aber ganz sicher feststellen kann: Die Quali- werden. Das hätte es vor ein paar Jahren nicht ge- band haben die Schiedsrichter kürzlich verbands- sehr breit gefächerte Anforderungen beinhaltet. Es ist deshalb eine un- WestfalenSport: Wenn man einmal in der Bundesliga pfeifen will, in tät der Übergriffe hat sich geändert. Schiedsrichter geben, als Übergriffe noch verhältnismäßig weit gestreikt, um auf die Gewalt gegen Unparteii- heimlich tolle Lebensschulung. Als junger Mensch muss man lernen, mit welchem Alter sollte man dann anfangen? werden viel vehementer angegangen. Und zwar nicht „glimpflich“ dahergekommen sind. sche aufmerksam zu machen. Halten Sie dies für verschiedenen Menschen, verschiedenen Charakteren zurechtzukommen. Dr. Drees: Je früher, desto besser. In der Regel ist es so, dass man unter nur von einzelnen, oftmals ziehen Mannschaftskolle- ein probates Mittel? Man muss mutig sein, man muss standhaft sein, man muss eine hohe 18 Jahren erst mal im Jugendbereich einsteigt. Aber da die ersten Erfah- gen oder Zuschauer in massiver Art und Weise mit. WestfalenSport: Was kann dagegen unternommen Regelkenntnis und eine hohe körperliche Fitness haben. Das sind alles rungen zu machen, ist sicherlich ganz hilfreich. Und wenn man 18 ist, Dabei möchte ich betonen, dass das nicht nur werden? Liedtke: Es ist ein Mittel zur Aufmerksamkeit und Komponenten, die ich sehr reizvoll finde. Auch Verantwortung zu über- fängt man an, den aktiven Bereich zu durchlaufen. Das haben auch alle Schiedsrichter betrifft: Auch Trainer, Spieler und Zu- Liedtke: Es gibt leider kein Allheilmittel. Mitglie- sicherlich kein Aktionismus. In einzelnen Kreisen nehmen und sich Kritik zu stellen, gehört dazu. Das sind alles Dinge, die Bundesliga-Schiedsrichter gemacht. Auch das prägt. Man sammelt Er- schauer sind von einer niedrigeren Hemmschwelle in der unseres Ausschusses wirken unter anderem hat es derartige Generalabsagen auch schon in einem auch im Leben helfen. Das ist meine persönliche Erfahrung. fahrungen an, die man gebrauchen kann. Nebenbei kann man sich Sachen Anfeindungen und Gewalt betroffen. Die auch im Arbeitskreis Gewaltprävention des Ver- Westfalen gegeben. Dennoch halte ich eine solche auch viel theoretisches Wissen anlesen und sich vorbereiten. Aber wenn Schiedsrichter liegen mir natürlich besonders am bandes mit, der verschiedene Ansätze verfolgt. Maßnahme für kein probates Mittel, da man lang- WestfalenSport: Ist es durch die hohe Verantwortung manchmal auch man im Live-Betrieb drin ist, kann man eben vor allem auch seine ge- Herzen und müssen – auch weil sie in den Kreisligen Wir sagen aber auch ganz klar: Gespräche und fristig nichts ändern wird. Im Gegenteil. Die Stim- eine schwierige Aufgabe? machten Erfahrungen nutzen. Deswegen wäre es auch Quatsch, auf der allein unterwegs sind – besser geschützt werden. gutes Zureden reichen nicht mehr. Gewalt findet mung kann auch umschlagen nach dem Motto: Dr. Drees: Natürlich gibt es auch Situationen, an denen man zu knab- Bundesliga-Ebene anzufangen. Man braucht die Erfahrung aus den un- nicht mehr nur unter dem Einfluss von Emotio- Ihr Schiedsrichter seid zu empfindlich. Was uns bern hat, wenn mal was danebengeht. Jeder Schiedsrichter trifft auch teren Klassen und vor allem aus dem Amateurbereich, um dann in der WestfalenSport: Worin sehen Sie die Gründe für nen auf dem Platz statt, sondern auch ein, zwei viel mehr helfen würde, wären authentischere Zah- mal eine falsche Entscheidung. Damit muss man auch lernen, umzuge- Bundesliga stabile Leistungen bringen zu können. diese Entwicklung? Tage später im Internet – wenn die Emotionen len. Wir wollen keine Alarmstimmung verbreiten, hen. Es gibt aber keinen, der absichtlich einen Fehler macht. Die Liedtke: Der Respekt insgesamt hat nachgelassen. eigentlich heruntergekocht sein müssten. Was aber Gewaltvorfälle gegenüber Schiedsrichtern lie- Schiedsrichter ärgern sich am allermeisten über Fehler. Aber dahinge- WestfalenSport: Vielen Dank für das Gespräch! Auch wenn es sich immer abgedroschen anhört: Es teilweise in den sozialen Medien auf Vereinsseiten gen ganz sicher nicht nur im Promillebereich. | 8 WestfalenSport #5_2019 WestfalenSport #5_2019 9
Titel Titel Timo Gansloweit (Foto: David Hennig) BEREIT SEIN, AN SICH ZU ARBEITEN Eine Ehre, Mitglied des PT-Teams zu sein Timo Gansloweit pfeift für den SC Husen-Kurl 19/28 im Kreis Dortmund. Der 23-Jährige ist seit 2011 als Schiedsrichter tätig und leitet seit dieser Saison Spiele in der Regionalliga West. Die Verbandsspielklassen durchlief er im Eiltempo, kam so schnell PERSPEKTIVTEAM: DIE „TALENTSCHMIEDE“ DES FLVW auf den „Radar“ des Verbands-Schiedsrichter-Ausschusses: 2014 Bezirksliga, 2015 Landesliga, 2016 Verbandsliga und 2017 schaffte er den Sprung in die Oberliga. Auf DFB-Ebene ist Aus Westfalen in die höchsten Ligen der Dortmunder zudem seit 2017 in der A-Junioren Bundesliga unterwegs. WestfalenSport-Autor David Hennig hat mit dem Perspektivteamschiedsrichter gesprochen. Seit dreizehn Jahren ist es das Ziel junger Schiedsrichterinnen und Schiedsrichter, für das Perspektivteam des Verbandes nominiert zu werden. Denn das sogenannte „PT“ dient häufig als Sprungbrett in die DFB-Spielklassen. WestfalenSport:Was bedeutet es für Dich persönlich, zu einem sol- Gansloweit: Wer ein ambitioniertes Ziel erreichen möchte, muss chen auserlesenen Kreis von 15 bis 20 Schiedsrichtern in ganz auch Opfer bringen. Gerade am Anfang habe ich in einer Saison über Liest man die Namen der westfälischen Schiedsrichterinnen und Yannick Rupert, her kommen zu können, müssen die Mitglieder des „PT“ einiges mit- Westfalen zu gehören? 100 Spiele gemacht, teilweise drei Spiele pro Wochenende. Später wa- Schiedsrichter auf der DFB-Liste, wird schnell klar, dass diese vor eini- Selim Erk und Leonidas bringen und investieren. Dabei sind regelmäßiges Lauf- und Regeltrai- Timo Gansloweit: Früher habe ich mir auf der Seite des Verbandes ren es dann weitere Anreisen zu meinen Spielen, zum Beispiel nach Exuzidis (v. l.) in der gen Jahren auch noch auf einer anderen Liste auftauchten: Sören Storks, Regionalliga-West im ning unerlässlich. Mehrmals im Jahr müssen die jungen angeschaut, wer in diesem Team ist. Bereits da wollte ich ein Teil Hamburg oder Kaiserslautern. Da kann sich jeder vorstellen, dass die Thorben Siewer, Florian Exner, Nadine Westerhoff, Kathrin Heimann Einsatz. Beide SRA Schiedsrichterinnen und Schiedsrichter ihre Fitness bei Überprüfungen davon werden. Es ist eine große Ehre, als besonders förderungswür- Freizeit, die Freunde und die Familie irgendwann kürzer kommen. oder Vanessa Arlt sind hier nur einige Beispiele. Alle haben eines ge- sind aktuell noch im im SportCentrum Kaiserau unter Beweis stellen. In regelmäßigen Ab- dig angesehen zu werden. Als junger Schiedsrichter hat mir das ei- PT, leiten Spiele in meinsam: Sie waren Mitglieder des westfälischen Perspektivteams. der Oberliga – Erk ist ständen treffen sich die Unparteiischen, um sich weiterzubilden, Erfah- nen besonderen Schub gegeben. WestfalenSport: Timo, Deine Zeit im Perspektivteam endet spätes- Kein Wunder, dass Michael Liedtke, Vorsitzender des Verbands- zu dieser Saison als rungen auszutauschen und sich auf ihre Spielleitungen vorzubereiten. tens zur nächsten Saison – nicht aufgrund schlechter Leistungen, son- Schiedsrichter-Ausschusses (VSA) nicht müde wird, die Wichtigkeit der Regionalliga-Referee Der wichtigste Punkt im Förderkonzept ist jedoch die systematische WestfalenSport: Du hast als junger Sportler den Weg bis in die dern weil Du mittlerweile in der Regionalliga angekommen bist. In- turnusmäßig ausge- „Talentschmiede“ zu unterstreichen, in der sich Storks, Siewer, Wester- schieden. Betreuung und ein intensives Coaching der Nachwuchs-Referees. Regionalliga gemeistert. Was war dafür nötig, was muss ein Schieds- wieweit hast Du als Mitglied der „FLVW-Talentschmiede“ profitiert? hoff und viele weitere westfälische Top-Schiedsrichter in den Jahren ih- Denn die eigentliche Arbeit findet Woche für Woche auf den Sport- richter dafür leisten? Gansloweit: Grundsätzlich habe ich von vielen zusätzlichen Schulun- rer Zugehörigkeit stetig weiterentwickelt haben. Denn genau dies ist das plätzen statt. Sie werden von qualifizierten und eigens ausgebildeten Gansloweit: Ich denke, dass die Bereitschaft, an sich zu arbeiten, gen, dem Coaching-System und den Beobachtern profitiert. Wir hat- Ziel des im Jahr 2006 gegründeten Perspektivteams: junge und talen- Coaches vor, während und nach dem Spiel betreut. In ausführlichen viel ausmacht! Es gibt für mich zwei Bereiche: die Lehrgänge und ten nicht nur die allgemeinen Einstiegsprüfungen, sondern auch wei- tierte Schiedsrichter und Schiedsrichterinnen an höhere Spielklassen, Analysen werden die Spielleitungen detailliert besprochen, Stärken Prüfungen sowie die Leistung auf dem Platz. Körperliche Fitness ist tere, regelmäßige Veranstaltungen in der Sportschule mit top möglichst bis an die DFB-Ligen, heranzuführen. Dabei werden Saison und Schwächen herausgearbeitet, sowie Tipps für zukünftige Spiellei- das eine, die Theorie das andere. Ich war nie ein Regelpapst, des- Referenten. Durch meinen persönlichen Coach, der anders als der für Saison junge, vielversprechende Sportlerinnen und Sportlern gezielt tungen gegeben. Zusätzlich hat jedes Mitglied des „PT“ einen festen halb musste ich lernen, lernen, lernen. Auf dem Sportplatz geht es Beobachter nicht nur eine Momentaufnahme von einem Schiedsrich- im „PT“ gefordert und gefördert, um diese gezielt weiterzuentwickeln. persönlichen Ansprechpartner, der über die gesamte Saison als nur über Erfahrung. „Pfeifen, Pfeifen, Pfeifen“ war hier das Motto. ter gewinnt, sondern eben auch langfristig Schwachstellen erkennt „Coach“ zur Verfügung steht und selbst Erfahrungen aus den höchs- Deshalb habe ich viele Spiele gepfiffen, konnte so Sachen auspro- und Verbesserungen herbeiführen kann, habe ich ebenfalls viel mit- Talentierten Schiedsrichternachwuchs fördern ten Klassen mitbringt. bieren und Lösungen für Probleme finden. Wichtig war hierbei, nehmen können. Doch auch die sehr guten, erfahrenen Beobachter Doch in den erlesenen Kreis der Nachwuchsschiedsrichter werden nur Dabei sind im Perspektivteam Schiedsrichterinnen und Schiedsrich- stets offen für andere Meinungen zu sein – und sich so stets zu haben mir direkt nach meinen Spielen viel nützliches Feedback gege- junge Talente mit Perspektive aufgenommen. Wer in den Beobach- ter von der Bezirks- bis zur Regionalliga vertreten. Nach einem Jahr in verbessern. ben. Denn als PT-Schiedsrichter erhält man nach dem Spiel immer tungsspielen, Lehrgängen und Überprüfungen auf Verbandsebene ste- der Regionalliga scheiden die Referees schließlich aus und werden auf ein ausführliches Coachinggespräch mit dem Beobachter. tig herausragende Leistungen abliefert, gerät schnell auf den Radar des WDFV- beziehungsweise DFB-Ebene weiter betreut. | WestfalenSport: Das klingt nach einer Menge Arbeit. Musstest Du VSA. Um dem ehrgeizigen Ziel in höheren Spielklassen zu pfeifen nä- Text und Foto: David Hennig viele „Opfer“ bringen? WestfalenSport: Vielen Dank für das Gespräch! | 10 WestfalenSport #5_2019 WestfalenSport #5_2019 11
Titel Titel Andreas Mermann ist seit 13 Jahren als Beobachter unterwegs Wer den gelben Karton schon gesehen DIE AUSRÜSTUNG hat,sollte etwas SCHIEDSRICHTER- vorsichtiger sein – DER SCHIEDSRICHTER und leiser. BEOBACHTUNG: KEIN RICHTER, EHER TIPPGEBER Die Fox 40: pfeift schneller als du schießen kannst. Eine große Verantwortung Es ist ein verregneter Septembertag. Schieds- richterin Annika Paszehr macht mit ihren bei- den Assistenten die Platzbegehung, als Beob- achter Andreas Mermann auf der Platzanlage des Lüner SV ankommt. Ausgerüstet mit Schirm, Stift und Block wartet er an der Seiten- Nach 90 Minuten linie auf die Aktiven. Nach der kurzen, aber ist auf dieser Uhr herzlichen Begrüßung geht es auf einen Kaffee Kuli und Bleistift: Schluss. Na gut. ins Vereinsheim. Small Talk. Es entwickelt sich für jedes Wetter den Nachspielzeit ein lockeres, vertrautes Gespräch, bevor das richtigen Schreiber. kann sie auch noch. Schiedsrichter-Team zur Vorbereitung in die Kabine verschwindet. Gute Stimmung herrscht Für Schiedsrichter ist eine Beobachtung immer auch fordert, muss viele Zweikämpfe beurteilen. Schließlich nach dem Spiel bei Annika Paszehr und ihrem Gespann Falls mal etwas Tor, Gelb oder eine Drucksituation. „Ob Beobachtung oder nicht – gehen die beiden Mannschaften bei strömendem Re- durch die Bewertung und den schriftlichen Bericht mehr Notizbedaf auch mal Rot: Auf es sollte keinen Unterschied machen. Als Schiedsrich- gen auf dem nassen Untergrund ordentlich zur Sache. zum Ausdruck bringen, ob es sich um einen Schieds- herrscht: ein der Spielnotizkarte terin muss ich immer eine gute Leistung bringen, im- Im Trockenen sitzt Mermann, notiert fleißig in seinem richter oder eine Schiedsrichterin mit Potenzial für kleiner Block. wird alles vermerkt. mer das Beste geben“, erzählt Annika Paszehr. Die Block. Viel Positives. Die Aufzeichnungen sind wich- höhere Aufgaben handelt oder nicht. „Das ist schon DFB-Schiedsrichterin gibt aber auch zu, dass es sich tig, denn neben einem Coaching-Gespräch nach dem eine große Verantwortung“, weiß Mermann. nie ganz ausblenden lässt, dass da draußen jemand Spiel muss er später zu Hause insgesamt neun Rubri- Nach 90 Minuten ist es geschafft. Abpfiff. Zügig geht sitzt. „Die Bewertung des Beobachters kann ja letztlich ken des Beobachtungsbogens ausfüllen: „Beschrei- es in die trockene und warme Kabine. Nachdem der über Auf- oder Abstieg entscheiden.“ bung des Spiels“, „Regelanwendung, Regelauslegung, Spielbericht ausgefüllt ist, ziehen Schiedsrichter-Team Andreas Mermann macht es sich auf der Tribüne be- Spielkontrolle, taktisches Verhalten“, „Disziplinarkon- und Beobachter ein Resümee der Begegnung. „Aus Schluss, Aus, Ende: quem – etwas erhöht auf Höhe der Mittellinie, um trolle / Anzahl der persönlichen Strafen“, „Persönlich- den Gesprächen nach den Beobachtungsspielen kann also für Dich. Mit Rot möglichst gute Sicht auf das Spielfeld zu haben. Denn keit, Körpersprache, Umgang mit den Spielern und ich immer sehr viel mitnehmen“, sagt Paszehr. Als ak- geht‘s vom Platz. Seitenwahl oder Ball? von hier muss er in den anstehenden 90 Minuten – Offiziellen (Bank)“, „Körperliche Verfassung und Stel- tive Schiedsrichterin könne sie von der jahrelangen Die rot-schwarze Münze gleich genau wie das Schiedsrichter-Team auf dem lungsspiel“ sowie „Zusammenfassende Bemerkungen Erfahrung der Beobachter profitieren. Auch Mer- der Entscheidung. Platz – die Situationen auf dem Feld beurteilen und und Verbesserungsvorschläge“ – und bei Spielen ab mann war viele Jahre in höheren Ligen aktiv, leitete bewerten. Seit 2006 ist Andreas Mermann am Block der Landesliga werden noch drei weitere relevant: „Zu- Spiele in der Verbandsliga und war als Assistent in der aktiv, beobachtet Schiedsrichter bis zur Oberliga. „Ich sammenarbeit mit den Schiedsrichter-Assistenten“ Regionalliga, der damaligen dritthöchsten Spielklasse, sehe mich nicht als Richter, sondern eher als Kumpel und die einzelne Beurteilung der Schiedsrichter-Assis- tätig. Im Umgang mit den Beobachtern schätzt die des Schiedsrichters, der ihnen Tipps gibt“, sagt Mer- tenten. „Regelanwendung und -auslegung – hier be- Schiedsrichterin die Offenheit und Ehrlichkeit, wenn Gizem Kilic, 19 Jahre. mann. „Ich bin kein Freund davon, Positives und Ne- sonders die Zweikampfbeurteilung – und die Persön- gute Leistungen entsprechend honoriert, Fehler aber Seit drei Jahren Das Gucci-Täschchen des modernen Unparteiischen. gatives gegeneinander aufzuaddieren.“ Das Gesamt- lichkeit sind dabei für mich die wichtigsten Dinge“, auch mit Abzügen versehen werden. „Kein Beobachter Schiedsrichterin. Hier ist alles für den Spieltag drin. bild ist für ihn wichtig. „Ein Schiedsrichter sollte sagt Mermann. will einem Schiedsrichter etwas Schlechtes“, erklärt die Verein: FK Sharri Spielverständnis mitbringen, nach Möglichkeit beide In dreizehn Jahren hat er einige Spiele, zahlreiche Schiedsrichterin. Da sind sich Beobachter und Aktive Dortmund. Spielt selbst Mannschaften Fußball spielen lassen, vernünftig mit Schiedsrichter gesehen. „Viele Spiele, in denen es rich- einig, denn auch Mermann schätzt eine gewisse Lo- beim VfL Bochum. den Spielern umgehen und auch mit ihnen kommuni- tig schlecht für den Schiedsrichter gelaufen ist, habe ckerheit im Coaching-Gespräch nach dem Spiel. So Würde nie wieder zieren, statt sofort mit Karten zu hantieren.“ ich aber noch nicht gehabt. Doch wenn einer schlecht darf auch mal gelacht werden – gerade heute. Denn einen Unparteiischen In der Westfalenliga spielt an diesem Tag der Lüner SV pfeift, muss er auch entsprechend benotet werden“, auch hier sind sich nach dem Gespräch alle einig: Das anmeckern. Weiß gegen die SG Finnentrop/Bamenohl. Die DFB- hält Mermann fest. Man müsse schließlich die Spreu war eine runde Leistung! | nun, wie schwierig Schiedsrichterin wird gleich zu Beginn des Spiels ge- vom Weizen trennen. Der Beobachter muss letztlich Text und Foto: David Hennig es ist, alles zu sehen. 12 WestfalenSport #5_2019 WestfalenSport #5_2019 13
Titel Titel Heinings verlässt seinen Raum und geht zur Umkleidekabine der Holzpfosten. Die Passkontrolle steht an. Ein Betreuer liest die Na- men der Spieler sowie ihre Passnummern vor. Heinings kontrolliert die Passbilder sowie die Trikotnummern. Nachdem alle Spieler dran waren, wünscht er allen Beteiligten ein gutes Spiel. Das Proze- dere wiederholt sich in der Nebenkabine. Danach schreitet Hei- nings auf den Platz. Während aus den kleinen Kabinen letzte An- feuerungs-Rufe der Spieler zu hören sind, legt der Schiedsrichter den Ball in die Mitte des Kunstrasens. Dann folgen die Teams. „Es macht wirklich Spaß“ Die Kapitäne stellen sich zu Heinings in den Mittelkreis. „Die Mannschaft, die den Münzwurf gewinnt, hat Seitenwahl. Der Geg- ner Anstoß.“ Heinings wirft die Münze in die Luft. Im Glanz der Sonne dreht sie sich, ehe sie auf der roten Seite liegen bleibt. Oestrich Dennis Heinings nimmt die Seitenwahl. Schwerte stößt an. Der 19-Jährige blickt auf führt die Teams auf seine Uhr. Dann lässt er die Pfeife ertönen. Das Spiel beginnt. den Platz Für Heinings ist jedes Spiel immer noch ein Perspektivwechsel. Lange Zeit hat er selbst auf dem Platz gestanden. Er kennt die klei- Richtung des Oestricher Strafraums. Torwart Dominic Storkmann nen und großen Tricks der Spieler genau – und fühlt sich deshalb läuft aus seinem Sechzehner und klärt per Kopf. Tobias Probst sprin- auch wohl auf der anderen Seite. „Am Anfang wollte ich einfach tet dazwischen, nimmt den Ball mit der Brust und lupft ihn in das nur mal die andere Sicht haben. Jetzt möchte ich nicht mehr tau- Oestricher Tor. 1:0 für die Schwerter Mannschaft. Heinings steht in schen. Es macht wirklich Spaß. Am meisten, wenn man kaum pfei- diesem Moment schräg hinter dem Schwerter, beobachtet die Situati- fen muss und ein Spiel einfach läuft“, sagt Heinings. on genau. Deshalb lässt er sich von den zahlreichen Handrufen der Oestricher nicht beirren. Das Tor zählt. „Man muss zu seinen Ent- Bloß nicht bequatschen lassen scheidungen stehen. Lässt du dich zu etwas anderem überreden, ver- Vorbereitung fürs Spiel: Aufstellung checken und die Spielernummern eintragen Genau so ein Spiel sieht der Schiedsrichter zunächst. Heinings muss lierst du den Respekt und das Spiel kann ganz schnell kippen“, sagt er. RICHTERKLÄNGE AUS DER PFEIFE lediglich wegen kleinerer Rempler unterbrechen, zeigt an, wer gerade Der Schiedsrichter kennt die Situation. In einem Kreisliga-Spiel, bei Einwurf hat und immer mal wieder mit der flachen Hand in Rich- dem der Letzte gegen den Zweiten spielte, hätte Heinings Rot zeigen tung Fünf-Meter-Raum, wenn ein Spieler den Ball am Tor müssen. „Da hab‘ ich mich irgendwie bequatschen lassen.“ Danach ver- Ein Kreisliga-Spiel aus der Sicht eines Schiedsrichters vorbeischießt. Abstoß bedeutet das Handzei- lor er das Spiel. Immer mehr Hektik kam auf. Am Ende zeigte Heinings chen. Nach 14 Minuten wird es dann doch noch Rot, wegen Beleidigung. „Da war ich einfach nur froh, als Fußball ist ein einfaches Spiel. 90 Minuten, 22 Spieler, ein Ball und nur ein Ziel: Tore schießen. Doch was macht eigentlich der Schiedsrichter in dieser das erste Mal unruhig. Ein Schluss war. Bin dann sofort weg“, erklärt er. Körperlich sei er aber noch Zeit? Wir haben den Schwerter Dennis Heinings bei einem Spieltag begleitet – und das Spiel aus seiner Perspektive betrachtet. langer Ball fliegt nie angegangen worden. in Die ersten Spieler laufen sich bereits warm, als Dennis Heinings Rechner und einen Drucker. Holzpfosten-Trainer Philip Laufer Der Treffer zählt den Platz betritt. Er ist Schiedsrichter. Rund 60 Partien hat er be- druckt gerade die Mannschaftsaufstellungen aus. Damit geht der Der junge Schiedsrichter profitiert sicherlich auch von seiner kör- reits geleitet. Heute steht im EWG-Sportpark die Kreisliga-Begeg- 19-jährige Schiedsrichter in seine Kabine und bereitet sich vor. Er perlichen Präsenz. Mit 1,90 Meter und breiter Statur überragt er die nung zwischen Holzpfosten Schwerte II und dem SF Oestrich an. holt eine kleine Plastiktüte aus seiner Tasche. Zwei Pfeifen, zwei meisten Spieler auf dem Feld. Auch seine Torentscheidung am Während die Holzpfosten sicher im Mittelfeld stehen, ist Oestrich Stifte, eine Plastikmünze – auf der einen Seite rot, die andere Sonntag wird schnell akzeptiert. Heinings zeigt Richtung nur sechs Punkte von den Abstiegsrängen entfernt. Ein Indiz da- schwarz – und drei Karten sind darin. Eine gelbe, eine rote sowie Mittellinie. Danach zückt er seine Karte. Notiert für, dass es ruppig auf dem Kunstrasen werden könnte. „Ich schaue eine dritte Karte für Notizen. „Da trage ich die Nummern der Spie- Spielernummer und die Minute. Als sich vor der Begegnung immer auf die Tabelle. Wenn der Zweite gegen ler ein, notiere Gelbe und Rote Karten und die Tore. Die Daten alle Spieler wieder in ihrer den Dritten spielt, kann ich mehr durchgehen lassen. Da wollen muss ich später auch beim DFB angeben“, sagt Heinings. Hälfte befinden, beide Fußball spielen. Bei einem Spiel wie heute steige ich meis- pfeift er. tens kleinlich ein, um dann zu schauen, wie es sich entwickelt“, Gelb an der Brust, Rot am Gesäß erklärt Heinings. Danach zieht er sich um. Drei Trikotsätze befinden sich in seiner Tasche: ein schwarzer, ein blauer und ein gelber. Die Mannschaften Mit 15 Jahren schon Schiri laufen heute in Rot und Weiß auf. Heinings entscheidet sich für das Vier Samstage, zwei Zusatztermine und ein Regel-Test waren nötig, schwarze Outfit. Die Gelbe Karte sowie die Spielkarte verstaut er damit Heinings an die Pfeife durfte. Mit 15 legte er die Prüfung ab. mit den beiden Kugelschreibern in der Brusttasche seines Oberteils. Danach pfiff er drei Jahre Jugendspiele. Seit der vergangenen Saison Pfeife und Münze kommen in die Hosentaschen. Die Rote Karte leitet er auch Spiele von Senioren-Mannschaften. verschwindet in der Gesäßtasche. „Irgendwie macht man das ein- Vor den Kabinen angekommen geht es zunächst in einen kleinen fach so, auch in der Bundesliga. Sobald ich dort hingreife, weiß Raum. Ein mit Staub bedeckter Schreibtisch hütet dort einen alten dann auch jeder, was kommt“, sagt der Schiedsrichter. 14 WestfalenSport #5_2019 WestfalenSport #5_2019 15
Titel Titel DFB-BUNDESTAG STELLT WEICHEN FÜR DIE ZUKUNFT DES SCHIEDSRICHTERWESENS Ausgliederung in eine Schiedsrichter GmbH Die Delegierten des 43. Ordentlichen DFB-Bundestags in Frankfurt am Main haben eine wichtige Weichenstellung im Bereich der deutschen Elite-Schiedsrichter vorgenommen. In einem Grundsatzbeschluss votierten die Delegierten einstim- mig für eine Ausgliederung der Elite-Schiedsrichter in eine ei- gene Schiedsrichter GmbH. Der DFB plant eine eigene Mit Blick auf die gestiegenen Anforderungen des Profifußballs wird Schiedsrichter GmbH die Sportliche Leitung der Elite-Schiedsrichter damit in das Haupt- amt überführt. Der DFB-Schiedsrichter-Ausschuss wird sich künf- Ronny Zimmermann, DFB-Vizepräsident für Schiedsrichter und tig verstärkt um die Themen der Amateure und Schnittstellenthe- Qualifizierung, sagt: „Mit den nun gefassten Beschlüssen haben wir men kümmern, die in beiden Bereichen verankert sind. Dazu die vor rund fünf Jahren begonnenen Strukturveränderungen im gehören unter anderem die Regelauslegung und die Talentförde- Bereich der Schiedsrichter so weit vorangetrieben, dass wir die ins rung. Die bisherigen DFB-Schiedsrichterkommissionen Elite und Auge gefassten Ziele innerhalb der kommenden Legislaturperiode Amateure wird es in der bisherigen Form nicht mehr geben. erreichen können. Wir gehen davon aus, dass wir nach erfolgter Die strukturellen Voraussetzungen für diesen Prozess wurden be- Umsetzung dieser Beschlüsse, für die kommenden Jahre und die reits im Vorfeld des Bundestages durch eine Neuaufstellung des auf uns wartenden Herausforderungen sehr gut vorbereitet sind. Schiedsrichterwesens geschaffen. In diesen Prozess eingebunden Zudem wird trotz der steigenden Professionalisierung auch künftig waren Vertreter von DFB und DFL genauso wie aktive Unparteii- die Einheit des deutschen Schiedsrichterwesens durch den DFB- sche. Der Strukturprozess wurde zusätzlich begleitet durch die Schiedsrichter-Ausschuss gegeben sein.“ | DOSB-Führungsakademie und eine externe Beratungsagentur. DFB Der 19-Jährige bleibt bleibt immer in Ballnähe Es geht weiter. Dabei verliert der junge Schwerter nie den Ball aus den Vor allem auch dem Trainer. Ich bin selbst Jugendtrainer und weiß, Augen, positioniert sich immer in Nähe des Spielgeschehens. Bei Kon- dass es in der Halbzeit viel zu besprechen gibt“, erklärt er. tern oder langen Bällen setzt auch der Schiedsrichter immer wieder zu Kurze Zeit später verlässt er seinen kleinen Raum und pfeift einmal Sprints an. laut. Die Spieler kommen wieder auf den Platz. Die zweite Halbzeit In der 22. Minute dann der nächste Pfiff – und die nächste schwie- ist körperbetonter. Viele kleine Fouls sorgen für Spielunterbrechun- rige Situation. Freistoß kurz vor der Strafraumgrenze der Oestri- gen. In der 75. Minute muss Heinings dann an seine hintere Hosen- cher. Nach neun langen Schritten zeigt der Schiedsrichter den Spie- tasche fassen. Ampelkarte für Musa Öznarcicegi. Das zweite gröbere lern in der Mauer an, welchen Abstand sie zum ruhenden Ball Foul fordert die zweite Gelbe Karte – und damit Gelb-Rot. Am Ende einhalten müssen. Dann positioniert er sich seitlich neben dem haben die Holzpfosten den längeren Atem und schießen sich in der Strafraum, auf Höhe der letzten Abwehrspieler. Der Ball fliegt über 80. Minute zum Sieg. Nach drei Minuten Nachspielzeit pfeift Hei- die Mauer. Abpraller vom Torwart. Wieder drin. Doch Heinings nings ab. Nach zahlreichen Shakehands und einem kurzen Gespräch hatte vorher abgepfiffen. Der Schütze stand im Abseits. Auch diese mit Holzpfosten-Trainer Laufer, der sich kurz versichert, ob er nicht Entscheidung wird sofort akzeptiert. Zehn Minuten später fällt der zu laut war, geht es noch mal an den eingestaubten Rechner. Der Ausgleich. Und wieder ist Heinings gefragt. Denn bevor Oestrichs Schiedsrichter trägt alle Daten ein. Danach bekommt er noch Geld. Dominic Meckel einschiebt, kommt ein Schwerter im Mittelfeld zu 23 Euro Aufwandsentschädigung gibt es für ein Kreisliga-Spiel. Fall. Ein Pfiff bleibt aus. Die Holzpfosten wollen ein Foul gesehen Heinings zieht sich um, packt seine kleine Plastiktüte und verlässt haben. Nach kurzem Protest zeigt Heinings zur Mitte. Der Treffer den Sportpark, während in den Reihen der Holzpfosten-Spieler die zählt. Kurze Zeit später ist Halbzeit. ersten Sieger-Biere geöffnet werden. Bis zum nächsten Sonntag ruht seine Pfeife. Und auch dann hofft Heinings wieder auf ein 23 Euro pro Spiel Spiel, das einfach so läuft. | Dennis Heinings nimmt den Ball und geht in seine Kabine. Er legt Text und Fotos: Markus Trümper ihn auf den Tisch, schaut kurz auf sein Handy. Dann heißt es war- (Der Text erschien erstmals in den Ruhr Nachrichten ten. „Zehn Minuten muss man den Spielern auf jeden Fall geben. Schwerte) 16 WestfalenSport #5_2019 WestfalenSport #5_2019 17
Titel Titel „ES MACHT GUTE SPRÜCHE AUCH IMMER NOCH AN SCHLECHTEN TAGEN SPASS“ Cynthia Günther leitet Spiele in den un- teren Ligen – mit einem gesunden Selbst- Schiedsrichter Hans-Jürgen bewusstsein Orphall leitete an die 5.000 Spiele in 40 Jahren Ende September, ein Kunstrasenplatz im Ruhrgebiet. Dort spielt die Spvgg Erkenschwick, ein ehemaliger Zweitligist gegen YEG Hassel. Westfalenliga. Ehemals große gegen immer noch kleine Hans-Jürgen Orphall beim Frauen-Kreispokalspiel zwischen dem SV BW Weitmar und dem SC Union Bergen Namen: Das ist Amateurfußball 2019. Am Rand steht eine junge „Wenn du nicht gleich die Klappe hältst, dann siehst du Gelb. Dann weißt du, wo der Frosch die Locken hat!“ Ein typischer Orphall, klar in der Sache und Schiedsrichter-Assistentin. Manche kennen sie, denn sie ist durch koddrig im Ton, aber gut gemeint. Die Ansage ist an einen Trainer einer Jugendmannschaft gerichtet, sie kommt von einem Mann, der seit über 40 Jahren Fernseh-Auftritte bekannt geworden. „Zeiglers wunderbare Welt Spiele leitet: Hans-Jürgen Orphall. des Fußballs“ und das „Morgenmagazin“ der Öffentlich-Rechtli- chen machten es möglich und sie bekannt. Auch der schnelle und Beim ersten Mal ist es immer am schönsten, heißt es Dahlhausen und einem türkischen Verein zu Aus- sperrt. Außerdem stellt der geschädigte Linienrichter kurzzeitige Ruhm gehört 2019 zum Amateurfußball. Dass sich die so oft. Für Hans-Jürgen Orphall trifft das nicht zu. schreitungen. „Es gab eine Szene am Strafraum, da einen Strafantrag wegen Körperverletzung. junge Dame während der 90 Minuten von einer größeren Gruppe 1976 zieht er zum ersten Mal die Schiedsrichterkluft hat ein Spieler einen anderen weggetreten. Ich habe „Es macht mir immer noch Spaß“, sagt Orphall auch junger Männer fortlaufend Beleidigungen unterster Schublade an- an – und will die Pfeife nach 20 Minuten am liebsten Freistoß gegeben, der wird mit einem langen Schlag angesichts solcher Vorfälle, die leider in den letzten hören muss – nun, gehört das überhaupt noch ins Jahr 2019? in die Ecke schmeißen. „Das war ein typisches Derby, in die gegnerische Hälfte ausgeführt. Ich konzentrie- Jahren zugenommen haben und insbesondere den TuS Bredenscheid gegen die SG Welper, Alte Herren“, re mich auf den Ball und versuche hinterherzulaufen, Amateurfußball in ein ganz schlechtes Licht stellen. Im vergangenen Jahr jedenfalls wurde Cynthia Günther (21), jene Frau an erinnert sich der heute 69-Jährige. „Da war von An- als sich in meinem Rücken etwas abspielt. Ich drehe „Man kennt das doch“, sagt der erfahrene Referee, der Seitenlinie, deutschlandweit gefeiert. Beim Tag der Amateure 2018 fang an Gift drin – und ich als junger Kerl mitten mich um, zwei Spieler liegen auf dem Boden und „wenn ein Spiel normal läuft, ist es selbstverständ- stellte ihr Heimatverein TuS Harpen einen Zuschauerrekord in der Kreis- drin.“ Am Ende macht er seine Sache gut und bringt behakeln sich, dann rennt auch noch der Trainer auf lich. Aber wehe, wenn es schlecht läuft, dann ist na- liga C auf - dabei entdeckte man die schlagfertige und offenherzige junge die Partie ohne größere Probleme zu Ende. Danach den Platz“, schildert Orphall den aufkeimenden Tu- türlich der Schiri schuld.“ Er sagt das ohne Groll, Frau, die sich den Ruf erarbeitet hatte, auf dem Platz nicht nur für Ord- redet ihm der zuständige Schiri-Obmann gut zu, doch mult, der sich dann aber recht schnell wieder legt. denn „wir sind alle nur Menschen. Kein Schiri macht nung, sondern teils auch für erstaunte Gesichter zu sorgen. Immer dann, Lässt sich nicht verbiegen: Cynthia Günther, Schiedsrichterin aus Bochum, bleibt weiter zu machen. Orphall hält sich daran – bis heute. das extra, wenn er mal falsch pfeift.“ wenn sie Fußballern den einen oder anderen flotten Spruch um die Ohren auch bei Gegenwind gerade. Sie muss sich auf dem Platz einiges anhören, hat Zunächst spielt der gebürtige Bochumer natürlich sel- Hoher Besuch in der Kabine haut. Sie sagt ganz trocken: „Wenn mir ein Spieler auf den Keks geht, muss aber immer einen Konter parat (Foto: privat) ber Fußball. DJK Sportfreunde Linden heißt sein ers- Heftiger wird es ein paar Jahr später bei der Partie Ab ins Altenheim? der sich auch was anhören.“ ter Verein (heute CSV Sportfreunde Bochum-Lin- Genclerbirligi Hagen gegen die TSG Herdecke. Zur Nächstes Jahr wird er 70, dann wäre es vielleicht an Cynthia Günther wurde bekannt, weil sie als junge Frau Spiele in Männer- dafür nicht. „Ich habe ja meine eigene Art, mich auf dem Platz zu den), nach der Jugend wechselt er zur DJK Halbzeit steht es 2:0 für den Gastgeber. Dennoch der Zeit, mal übers Aufhören nachzudenken. Or- Amateur-Ligen pfeift. Eine spannende Erfahrung, all’ die Termine in TV- präsentieren. Mit ihrer kann ich mich gar nicht so gut identifizieren“, Weitmar-Mark (den Verein gibt es heute nicht mehr). suchen in der Pause der Staffelleiter und der Deeska- phall will das von seiner Gesundheit abhängig ma- Sendungen, Interviews vor einer laufenden Kamera, Gespräche mit Jour- sagt die 21-Jährige. Und außerdem: „Ich habe ja ein gutes Selbstbe- „Da sollte ich mit 21 Jahren schon Präsident werden“, lationsbeauftragte des Fußballkreises Hagen/Enne- chen. „So lange die Knochen halten, mache ich wei- nalisten. Lange war es ruhig um sie. Nun, wusstsein, um meinen eigenen Weg zu verrät Orphall und fügt an: „Aber das war zu früh für pe-Ruhr die Schiedsrichterkabine auf. „Pass lieber ter“, kündigt er an. Nur selten muss er sich Sprüche da der Tag der Amateure wieder einmal gehen.“ Dieses Selbstbewusstsein, unter- mich, damit wäre ich überfordert gewesen.“ auf, wir wollen dich schützen“, sagen sie zu Orphall, von Spielern anhören, die gut seine Enkel sein könn- ansteht, blickt sie zurück und fragt rheto- mauert von einer klaren Haltung und der Stattdessen springt der gelernte Schlosser woanders doch der wundert sich: „Was wollt Ihr denn von mir, ten, schließlich pfeift Orphall auch Jugendspiele. risch: „Ist doch bekloppt, dass wir darüber „Wenn mir ein Spieler auf den Keks geht, Fähigkeit, ihre Meinung zu jeglichen ein, nämlich an der Pfeife. Nach einer kurzen Amtszeit ist doch alles gut!“ „Einer hat mal gesagt: ‚Geh mal besser ins Alten- überhaupt sprechen, oder?“ Themen offen zu vertreten und zu verteidi- als Jugendleiter bei den Sportfreunden Waldesrand, Ist es nicht, wie der Spielverlauf in der zweiten Hälfte heim‘. Das war nicht böse gemeint, deswegen habe Viel, viel wichtiger ist für sie ohnehin, dass muss der sich auch was anhören.“ gen, verschafft ihr Respekt. Ein Fußball- schließt er sich der dritten Mannschaft der DJK Mär- zeigt. Nach einer Ecke schafft Herdecke den 1:2-An- ich ihn nicht vom Platz gestellt. Ein paar Tage da- sie weiter an ihrer Karriere bastelt. Sie Spiel kann von so einem Verhalten profi- kisch Hattingen an. „Die haben sofort gesagt: Wenn schlusstreffer. Der Ball zappelt allerdings nicht im nach habe ich ihn aber im Getränkemarkt getroffen, selbst hat die Fußball-Schuhe an den Na- tieren. Und sie hat vom Fußball profitiert. du bei uns spielen willst, musst du auch Schiedsrichter Netz, sondern rollt hinters Tor. Das Netz ist wohl wo er arbeitet. Da habe ich gerufen: ‚Hier ist der Opa gel gehängt, um sich noch mehr auf das „Ansätze von diesem Auftreten waren werden“, berichtet Orphall grinsend. nicht korrekt an den Haken befestigt – obwohl Or- aus dem Altenheim“, berichtet Orphall lachend. Pfeifen zu konzentrieren. Denn bald wird sich entscheiden, ob sie zur neu- schon vorher da. Aber das Pfeifen hat mich noch einmal reifen lassen“, Er hilft gelegentlich bei Jugendspielen als Unparteii- phall seinen Assistenten vor dem Anpfiff gefragt hat, Wenn er nicht mehr so gut laufen kann, dass er die en Saison Landesliga-Spiele leiten darf. Eine aussichtsreiche Chance für behauptet sie. scher aus, ehe es mit 26 Jahren zum besagten „offiziel- ob sie geprüft hätten, dass an den Toren alles in Ord- Pfeife wirklich an den Nagel hängt, will er als Pate sie. Denn: „In den höheren Ligen gibt es weniger Diskrepanzen mit Spie- Und dann: Nach dem Spiel in Erkenschwick kam ein Zuschauer auf len“ Debüt in Bredenscheid kommt. Seitdem hat Or- nung sei. Dann nimmt das Unheil seinen Lauf: Gen- seine Erfahrung an junge Schiedsrichter weitergeben. lern. Da macht es mehr Spaß, zu pfeifen.“ sie zu. Er gehörte nicht zu der Gruppe, die sie fortlaufend beleidigt phall an die 5.000 Spiele geleitet, gezählt hat er sie clerbirligi startet einen vielversprechenden Angriff, „Das hätte ich mir damals auch gerne gewünscht, das So schließt sich der Kreis. Eine von ihr und ihren Kolleginnen und Kolle- hatte. „Er hat mir seinen Respekt ausgesprochen dafür, dass ich meine nicht. Die Kreisliga ist sein Zuhause, höher hat er es doch Orphall pfeift abseits. Im Gegenzug macht gab es zu meiner Zeit aber leider nicht“, sagt er. gen beliebte Antwort auf dem Platz zielt nämlich auf das Thema Weiter- Leistung abgerufen habe“, erinnert sie sich. Das hatte auch der nie geschafft. „Zu spät angefangen“, winkt Orphall ab. Herdecke mit einem Konter das 2:2 und gewinnt am Zu seiner Zeit gab es einiges nicht, zum Beispiel den entwicklung ab. Immer dann, wenn ein Spieler sie fragt, ob sie einen Schiedsrichter-Beobachter festgestellt, der ihre Leistung anschließend Probleme auf dem Platz hat der kumpelig wirkende, Ende noch mit 4:2. „Da hatte ich Spaß“, nickt Or- Videobeweis oder Handys. Mit beiden Neuerungen schlechten Tag habe, entgegnet sie: „Wenn du ‘nen besseren Schiri haben bewerten sollte. „Es stand drin, dass ich sehr ruhig geblieben bin“, er- aber konsequent pfeifende Mann – bis auf wenige phall. Die türkische Mannschaft aber nicht. Ein Ha- kann Orphall nichts anfangen, als Schiri der alten willst, dann streng’ dich an und spiel’ ne Liga höher!“ innert sie sich und schließt an: „Es wäre mir lieber gewesen, wenn Ausnahmen – nicht. Ende der 90er Jahre kommt es gener Spieler streckt den Linienrichter mit einem Schule kommt er trotzdem immer noch gut an. | Sie hat sich entschieden, ihre Weiterentwicklung voranzutreiben. Vorbil- während des Spiels jemand was zu den Leuten gesagt hätte.“ | in einem B-Jugendspiel zwischen der SG Linden- Kopfstoß nieder, der Hitzkopf wird für ein Jahr ge- Text und Foto: Heiko Buschmann der wie etwa Bundesliga-Schiedsrichterin Bibiana Steinhaus braucht sie Dominik Hamers 18 WestfalenSport #5_2019 WestfalenSport #5_2019 19
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