HEIZEN IN BERN: SONDERFALL UNTERE ALTSTADT - SimpleSite.com

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Herausgegeben von den Vereinigten Altstadtleisten Bern
                                                                                        37. Jahrgang | 4 / 2021

                                                          HEIZEN IN BERN: SONDERFALL UNTERE ALTSTADT
                                                          Die kalte Jahreszeit hat begonnen – und wie jedes Jahr zeigt sich: In der Unteren Altstadt ist
                                                          und bleibt schadstofffreies Heizen weitestgehend ein frommer Wunsch. Zwar müssen bis Ende
                                                          2031 die «ortsfesten elektrischen Widerstandsheizungen», wie die in etlichen Wohnungen in-
                                                          stallierten Elektroheizungen korrekt heissen, stillgelegt werden. Doch wer im Quartier auf Fern-
                                                          wärme setzt, wird enttäuscht. Denn die kommt nicht. Hauptenergieträger bleibt vorerst Erdgas,
                                                          gefolgt vom Öl und etwas Holz. Immerhin: Verbesserungen der Isolation an den Altstadthäusern
                                                          sind möglich, bedingen jedoch umfangreiche Planungen im Spannungsfeld Bauphysik, Wirt-

              Editorial                                   schaftlichkeit, Nachhaltigkeit, Sicherheit und Weltkulturerbe.

LEBEN UND LEBEN LASSEN
Noch immer prägt die Corona-Politik von Bund und
            Kanton unser Zusammenleben und er-
              hitzt teilweise die Gemüter. Die wei-
               terhin präsenten und immer wieder
               ändernden Einschränkungen blei-
              ben eine Herausforderung für alle –
            und die regelmässigen Demonstratio-
nen sind für Geschäftstreibende wie auch für die
Anwohnerschaft mühsam, unabhängig davon, wel-
che Meinung man selbst zur Covid-Zertifikatspflicht
hat.

Auch die wegen der Pandemie bewilligten ausge-
dehnten Aussenflächen von Restaurants und Bars
spalten die Geister. Vielen gefällt die zusätzliche Be-
lebung und das gemütliche Ambiente in den Gassen,
andere wiederum fürchten zusätzlichen Nachtlärm
und Beeinträchtigungen für Ladenbesitzer wie für           Der Hahn auf dem Münster wird weiterhin über der vielseitigen Kaminlandschaft der Altstadtdächer stehen.
Anwohnende. Während dies in der Kramgasse aller-
dings kaum ein Problem darstellt, wird diese The-         Vor dem Hintergrund der aktuellen Diskussionen für        Anforderungen wie Umweltschutz, Denkmalschutz,
matik in der Rathausgasse zurzeit heiss diskutiert.       vermehrten Umwelt- und Klimaschutz, sichere Ver-          Brandschutz, Zumutbarkeit und Gesetzgebung ge-
Leiste, Gastronomen, Behörden und Politik erörtern        sorgung und Wirtschaftlichkeit wollte die Brunne-         recht werden. Diese Lösungen müssten unter Beizug
im Hintergrund, wie die Situation nach der Pande-         Zytig wissen, wie künftig in unserem Quartier
mie sein soll und sein darf.                              geheizt werden wird. Die nachfolgende Übersicht
                                                          beschränkt sich auf die Untere Altstadt und auf das
Wie immer in unserer schönen Altstadt gibt es auch        zurzeit Machbare. Wir verdanken sie wertvollen In-
                                                                                                                        INFO         AUS DEM INHALT
hier nicht die eine richtige Lösung. Es zeigt sich ein-   formationen von Jean-Daniel Gross (Chef der Städ-
mal mehr, wie wichtig der lokale Kontakt der ein-         tischen Denkmalpflege), Thomas Friederich (Leiter
zelnen Leiste ist, um für jede Gasse den richtigen,       Energieberatung EWB), Bruno Liesch (Leiter Ener-
                                                                                                                    STADTRÄTINNEN AUS DER UNTEREN ALTSTADT: Für die junge
für alle verträglichen Weg zu finden. Niemand will         gieberatung Stadt Bern), Pascal Meinen (Städtisches
                                                                                                                    SP-Politikerin Lena Allenspach ist ihr erstes Stadtratsman-
eine ausgestorbene Museumsstadt und doch muss             Umweltamt, zuständig für die Bewilligung von              dat auch eine Lehrzeit. Seite 7.
auch den berechtigten Bedürfnissen der Anwohne-           Heizungen), Emanuel Sager (avenergy) und Harald
rInnen nach Nachtruhe und dem Gewerbe nach                Siegrist (Bauphysiker, Inhaber InfraBlow Siegrist,        600 JAHRE BERNER MÜNSTER: Die vier riesigen, über 500
Kundenfrequenz und Anlieferungsmöglichkeiten                                                                        Jahre alten Wandteppiche über das Leben des Heiligen Vin-
                                                          Bolligen). Nicht behandelt werden die Brandschutz-
                                                                                                                    zenz sind eine künstlerische Kostbarkeit und ein Zeugnis
Rechnung getragen werden.                                 aspekte.
                                                                                                                    des religiösen Lebens im damaligen Bern. Seite 12.

Die Toleranzschwelle in unserem Quartier ist hoch.        Sonderfall Untere Altstadt erkannt                         WOHNEN – ARBEITEN – VERKEHR – FREIZEIT: Die Vereinigten
Aber es ist wichtig, dass nun frühzeitig die richtigen    Die Anfrage der BrunneZytig komme zu früh,                Altstadtleiste VAL haben eine grosse Umfrage lanciert. Der
Weichen gestellt werden, damit im Frühling und            meinte Bruno Liesch, Leiter der Energieberatung           Hinweis auf Seite 20.
Sommer das richtige Mass für ein respektvolles Mit-       Stadt Bern. Die verantwortlichen Stellen hätten das       DAS NEUE SCHAUFENSTER DER UNTEREN ALTSTADT: Die neu
einander gefunden werden kann.                            Problem zwar erkannt. Es müssten aber erst noch           designte interaktive Website der VAL ist am Erscheinungs-
            Nicola Schneller, Präsident Kramgassleist     Lösungen entwickelt werden, die möglichst allen           tag der BrunneZytig aufgeschaltet worden. Seite 23.
BrunneZytig
 2       19. November 2021                                     Titelgeschichte

                                                          den. Für bestehende Boiler gibt es Übergangslösun-        ist ein Niedertemperatursystem möglich. Die Mehr-
                                                          gen.                                                      kosten im Vergleich zu einer konventionellen Hei-
                                                                                                                    zung erachtet das «Maison Capitol» für seine
                                                          Fernwärme für die Untere Altstadt nicht                    künftigen Mieter als tragbar; sie fallen vor allem
                                                          vorgesehen                                                beim Unterhalt an. Derart ideale Voraussetzungen
                                                          Das Fernwärmenetz, wie es heute geplant ist, wird         für eine zentrale Holzheizung dürften in der Altstadt
                                                          oberhalb des Zytglogge enden. Eine Erschliessung          allerdings nur selten zu finden sein.
                                                          der Unteren Altstadt würde grosse Investitionen be-
                                                          dingen, erklärt Thomas Friedrich von EWB. Es              Ernüchternd: Es bleiben Erdgas und Erdöl
                                                          müssten die heutigen Zuleitungen verstärkt werden,        Realistisch gesehen stehen also bis auf weiteres nur
                                                          und zudem sei die Leitungslegung in den engen Häu-        die beiden fossilen Energieträger zur Verfügung.
                                                          sern der Unteren Altstadt mit ihren unterschiedli-        Beide geben bei der Verbrennung CO2 und andere
                                                          chen Kellerniveaus anspruchsvoll. Das Schwer-             Schadstoffe ab.
                                                          gewicht des Ausbaus der Fernwärme liege im Westen
                                                          und im Norden (Länggasse-Breitfeldquartier) der           Ältere Öl- und Gasheizungen werden heute norma-
                                                          Stadt. Auf absehbare Zeit wird es also keine Fern-        lerweise durch sogenannte Brennwertöfen ersetzt.
                                                          wärme geben. Auch der Wärmeverbund Marzili, der           Das heisse Abgas aus der ersten Verbrennung wird
                                                          ein Gebiet südlich des Erlenweges bedient, plant          kondensiert, und es wird ihm ein zweites Mal
                                                          nicht, in das Gebiet des Matteleistes zu expandieren.     Wärme entzogen. Dadurch steigt der Wirkungsgrad
                                                                                                                    der Anlage, und der Energieverbrauch sinkt. Die

 Die neue Pelletheizung steht im «Maison Capitol».
                                                          Platzprobleme und Welterbe-                               Angaben über die Einsparung schwanken zwischen
  Links im Bild die automatische Einfüllung. Die
                                                          Unverträglichkeiten                                       10 und 30 Prozent.
  Aufnahme stammt von Anfang Oktober 2021, die            Für Wärmepumpen fehlt in der Unteren Altstadt der
  Heizung ist noch nicht angeschlossen.                   Platz. Die Löcher für Erdwärmepumpen müssten              Biogas als Ausweg?
                                                          ausserhalb der Häuser gebohrt werden, also auf dem        EWB definiert Biogas nach der strengen Schweizer
verschiedener Fachstellen sowie privaten Eigentü-         stark beanspruchten öffentlichen Grund. Vielleicht         Norm. Bern ist in der glücklichen Lage, dass relativ
merschaften ausgearbeitet werden. Unter der Feder-        sind einzelne Bohrungen in nicht überbauten Innen-        viel Biogas vorhanden ist. Es stammt in der Haupt-
führung des Amtes für Umweltschutz der Stadt Bern         höfen möglich. Erdwärme im grossen Stil kommt so-         sache aus der regionalen Kläranlage ARA Bern und
solle eine Arbeitsgruppe mit allen Beteiligten ins        wieso nicht in Frage, weil sich die Bohrstellen viel zu   noch aus anderen Quellen. Auch bei der Verbren-
Leben gerufen werden. Bis Resultate vorliegen, un-        nahe kämen. Luftwärmepumpen dürften in der Re-            nung von Biogas wird CO2 freigesetzt, allerdings nur
terstütze die «Energieberatung Stadt Bern» Eigentü-       gel am Lärm scheitern.                                    so viel, wie bei seiner Entstehung in den Grundstof-
merschaften beim Heizungsersatz.                                                                                    fen (zum Beispiel in der Biomasse) gebunden wor-
                                                          Solarpanels auf den Altstadtdächern schliesst die         den ist. Das Biogas gilt deshalb als klimaneutral. Da
Energieträger heute: Erdgas, Öl und etwas                 Denkmalpflege konsequent aus. Für die historischen         seine Gewinnung technisch aufwändig ist und seine
Strom                                                     Dachflächen gelte das Prinzip der Authentizität.           Menge begrenzt, kann für Biogas ein deutlich höhe-
EWB hat kürzlich begonnen, den Ist-Zustand in der         Daher sei es wichtig, dass die teilweise noch mit         rer Preis als für reines Erdgas verlangt werden. Per
Unteren Altstadt zu erheben. Das Resultat sei noch        handgestrichenen Biberschwanzziegeln gedeckten            1. November 2021 war der «Arbeitspreis», also das,
nicht wasserdicht, man kenne aber die Grössenord-         Dächer auch weiterhin sowohl in ihrer Wirkung als         was man für die bezogene Menge bezahlt, für reines
nungen, erklärt Thomas Friederich, der Leiter der         auch in ihrer Substanz erlebt werden können. Für          Biogas gut 80% höher als für reines Erdgas. Da in-
Energieberatung EWB. In der Unteren Altstadt              diese Sichtweise bestehe ein breiter Konsens, auch        dessen der Biogasanteil von der CO2-Abgabe und
werde heute überwiegend mit Erdgas geheizt, gefolgt       in der Politik. Jean-Daniel Gross, Chef der städti-       von der CO2-Kompensation ausgenommen ist, und
von Erdöl (unter einem Fünftel) und etwas Elektri-        schen Denkmalpflege, betont indessen, dass dieser          da die Gasrechnung neben dem «Arbeitspreis» auch
zität.                                                    Grundsatz nur für das Gebiet des Weltkulturerbes          Fixkosten enthält (zum Beispiel den Leistungspreis),
                                                          (inklusive Matte) gelte, nicht aber für die geschütz-     liegen die tatsächlichen Gesamtkosten für Biogas
Stromheizungen ab 1. Januar 2032 verboten                 ten Gebäude in den anderen Quartieren.                    zwar nicht um 80% höher, aber es bleiben doch
Elektrizität ist eine sehr dichte Energieform. Sie gilt                                                             spürbare Mehrkosten. Da die Preise für Erdgas zur
energetisch und ökologisch als doppelt so wertvoll        Holzheizung erlaubt – Pionieranlage im                    Zeit enorm schwanken, und weil die Auswirkungen
wie Öl und sollte deshalb nicht zum Heizen ver-           «Maison Capitol»                                          auf den einzelnen Kunden unterschiedlich sind, ver-
schleudert werden. Deshalb werden nach kantona-           Die Holzfeuerung ist nicht verboten. Für Pascal Mei-      zichten wir auf detaillierte Angaben.
lem Energiegesetz elektrische Widerstandsheizungen        nen vom städtischen Umweltamt ist Holz leider keine
ab 1. Januar 2032 verboten sein. In der Unteren           ideale Lösung, weil die Verbrennung viel Feinstaub        EWB bietet verschiedene Produkte an mit unter-
Altstadt gibt es historisch bedingt noch viele Etagen-    entwickle und oft die Nachbarn störe. Das gelte vor       schiedlichen Biogasanteilen: 0% Biogas (also reines
heizungen. Das Elektroverbot trifft sie hart. Eine         allem für dezentrale Öfen wie Kachel- oder Metall-        Erdgas), 25% Biogas (Standardprodukt, wenn der
Umgehung mit mobilen Elektroöfeli könnte zwar nur         öfen. Wichtig sei, dass von aussen genügend Frisch-       Kunde nichts anderes wünscht), 50% Biogas und
schwer kontrolliert werden. Eine nachhaltige Lösung       luft auf die Feuerstellen geleitet werden könne.          100% Biogas. Die Wahl zwischen diesen Möglichkei-
seien diese Öfchen jedoch nicht, weil die Leitungen                                                                 ten liegt heute bei den KundInnen. Man darf aller-
in vielen Häusern oft zu schwach seien. Nach einem        Eine Pionieranlage wird die Pelletheizung im neuen        dings nicht physikalisch denken, denn das, was man
Merkblatt des Kantonalen Amtes für Umweltkoordi-          «Maison Capitol» sein, das kürzlich aufgerichtet wor-     aus der Leitung bekommt, ist – ähnlich wie beim
nation und Energie fallen auch elektrische Infrarot-      den ist. Dieses grosse Gebäude wird innen komplett        Biostrom – nicht zu 100% «bio», sondern entspricht
heizungen unter das Verbot.                               neu aufgebaut. Deshalb konnten gemäss Auskunft            dem Mix im gesamten EWB-Gasnetz. Allerdings
                                                          von Bauleiter Gerhard Winkelmann gute Vorausset-          muss EWB nach klaren Regeln nachweisen, dass es
Nur beschränkt zulässig sind Elektroboiler für das        zungen für Pellets geschaffen werden. Die Pelletlager      nicht mehr Biogas verkauft, als es hat. Mit der Wahl
Warmwasser. Sie dürfen zwar weiterhin installiert         seien so gross, dass die Lieferung der Pellets nur «gut   für Biogas setzen die KonsumentInnen also ein sehr
werden, aber nur noch ausserhalb der Heizsaison           zweimal im Jahr» erfolgen müsse. Für Abgasfilter, für      wirksames Signal, dass mehr Biogas produziert wer-
betrieben werden. Während der Heizperiode soll das        modernste Heizgeräte und für die Luftzufuhr stehe         den soll. Wenn alle Erdgasbezüger in der Unteren
Wasser zusammen mit der Heizung gewärmt wer-              genügend Raum zur Verfügung. Dank Bodenheizung            Altstadt sich für 100% Biogas entscheiden würden,
BrunneZytig
                                                                Titelgeschichte                                                                  19. November 2021
                                                                                                                                                                            3

würden zwar weiterhin CO2 und andere Schadstoffe            vor allem aus dem Nahen Osten. Bei beiden entste-           wie Bauphysik, Energierecht, Brandschutz, Archi-
freigesetzt; die Untere Altstadt gälte aber als klima-     hen unbekannte Verluste beim Transport vom Gas-             tektur. Die Denkmalpflege empfiehlt, rechtzeitig
neutral.                                                   oder Ölfeld bis in die Schweiz. Beim Erdgas ist EWB         einen erfahrenen Gesamtplaner beizuziehen.
                                                           der einzige Anbieter, beim Öl kann der Kunde unter
Eine komplexe Frage: Gas oder Öl?                          mehreren Konkurrenten frei wählen. Öl hat zudem             Eine andere, bedenkenswerte Sicht der
Beim Vergleich spielen viele Faktoren hinein. Im           den Vorteil, dass der Verbraucher dank seinem Vor-          Denkmalpflege
Zweifel empfiehlt sich der Beizug eines neutralen           rat im Öltank gegen kurzfristige Lieferengpässe bes-        Jean-Daniel Gross legt Wert auf eine andere Sicht,
Beraters. Generell kann gesagt werden, dass Erdgas         ser geschützt ist und Preisschwankungen ausnützen           die in der Umweltgesetzgebung und in der Politik
etwas teurer ist als Erdöl. Reines Erdgas (ohne Bio-       kann. Bei der Umstellung auf Erdgas kann der Tank-          nicht oder nur ungenügend berücksichtigt werde. Es
anteil) setzt weniger CO2 frei als Erdöl, gemäss An-       raum anderweitig genutzt werden.                            treffe zwar zu, dass moderne Nullenergiehäuser
gabe von EWB circa 25%. Eine Anhebung der                                                                              theoretisch weniger Energie brauchen als histori-
geltenden CO2 -Abgabe, wie sie zurzeit im Eidgenös-        Die Stadt möchte die Ölheizungen zum Verschwin-             sche. Die Einsparung bei den Nullhäusern funktio-
sischen Parlament diskutiert wird, trifft beide Ener-       den bringen, hat aber dafür (noch) keine gesetzliche        niere allerdings nur, wenn diese dauernd
gieträger, Öl wegen dem höheren CO2 -Ausstoss aber         Grundlage. Sicher spielt dabei auch eine Rolle, dass        sachgerecht betrieben würden. Es gäbe keine Mes-
etwas stärker. Beim Anfahren der Heizung schneidet         die Stadt zu 100% Eigentümerin des Gaslieferanten           sungen über die tatsächlichen Emissionen der Null-
Öl ökologisch etwas schlechter ab. Beide Energieträ-       EWB ist. Auch auf nationaler Ebene steht die Gas-           energiehäuser. Gross hebt ein wichtiges ökologisches
ger stammen mehrheitlich aus politisch schwierigen         wirtschaft weitgehend im Eigentum der grossen               Plus der Altstadt hervor. Vor 1920 sei weitgehend
Gebieten, das Erdgas zu 59% aus Russland, das Erdöl        Städte, dagegen ist die Ölverteilung privatwirtschaft-      mit Muskelkraft und mit nachhaltigen Baustoffen
                                                           lich organisiert. Bei der Wahl dürften also auch po-        (zum Beispiel Holz oder Sandstein) gebaut worden.
                                                           litische Präferenzen des Kunden mitspielen.                 Die Altstadtgebäude seien ohne graue Energie ent-
                                                                                                                       standen, also ohne die grossen Energiemengen, die
                                                           Energiesparen und bessere Isolationen                       heute beispielsweise für die Herstellung von Baustof-
                                                           Die einfachste und günstigste Einsparungsmöglich-           fen (zum Beispiel in Zementöfen), beim Transport
                                                           keit ist die «Methode Pulli»: Schon das dauernde Ab-        und beim Baustellenbetrieb verbraucht werden.
                                                           senken der Raumtemperatur um ein Grad Celsius
                                                           spart sechs Prozent Energie.                                Zudem glichen die dicken Mauern die Tag- und
                                                                                                                       Nachtschwankungen aus und die kompakte Bau-
                                                           Dauerhafte Einsparungen können auch bessere Iso-            weise führe zu viel kleineren Aussenflächen und
                                                           lationen bringen, vor allem an Dächern, Fenstern            damit zu einer insgesamt viel effizienteren Wärme-
                                                           und Aussenmauern. Einfache Lösungen gibt es aber            nutzung. Diese Argumente sind Balsam für die
                                                           selten, ganz besonders nicht in der Altstadt. Schlecht      Ohren der Altstadtbewohnenden, sie werden leider
                                                           geplante Massnahmen können zu Schäden führen,               in der gegenwärtigen Umweltdiskussion kaum ge-
                                                           zum Beispiel zu ungünstigen Luftführungen, Feuch-           hört.
                                                           tigkeit oder Pilzen. Hinzu kommen die Anforderun-
                                                           gen der Denkmalpflege. Es ist allerdings nicht so,           Offene Fragen
                                                           dass diese alles unterbindet. Es komme stark auf die        Dieser Artikel kann vieles nicht behandeln – und
                                                           Umstände an, erklärt der Denkmalpfleger. An denk-            schon gar nicht eingehend. Offen sind aber einige
                                                           malgeschützten Innenräumen und bei historischen             für die Altstadt wichtige Fragen, zum Beispiel: Wie
                                                           Fenstern seien Dreifachverglasungen in der Regel            sehen die von der Energieberatung angestrebten
                                                           nicht möglich, bei anderen aber schon. Auch dickere         neuen Lösungen aus, und was kosten sie? Wird das
                                                           Dachisolationen könnten teilweise so angebracht             Verbot der Elektroheizungen ab 2032 knallhart
                                                           werden, dass sie von aussen nicht stören. In Aus-           durchgesetzt oder sind Ausnahmen für denkmalge-
                                                           nahmefällen könne die zusätzliche Isolation sogar           schützte Gebäude denkbar? Strebt die Stadt in der
 Legal, edel und behaglich, aber oft zu viel Feinstaub-   über den Dachsparren angebracht werden, sodass              Unteren Altstadt ein Erdgasmonopol an? Will sie die
  entwicklung: Historischer Kachelofen in einem Haus       kein Innenraum verloren geht. Notwendig sei eine            Altstadtbewohner zum Bezug des teureren Biogases
  an der Kramgasse. (Foto: zVg)                            gründliche Planung unter Einbezug aller Aspekte             zwingen? Wird es in einigen Jahrzehnten neue Tech-
                                                                                                                       nologien geben?

                                                                                           Spécialités                 Das Thema wird noch viel zu reden geben. Der Hahn
                                                                                           de produits d'Italie
                                                                                           vins et comestibles s.a.    auf dem Chordach des Münsters kann wohl noch
                                                                                                                       lange Zeit die Aussicht auf die vielseitige Kaminland-
                                                                                                                       schaft geniessen.
                                                             Liebe Kundin, lieber Kunde                                                                                    uu
                                                             Vielleicht wissen Sie nicht,
                                                             … dass wir nach Ihren Wünschen kalte Platten              Einen historischen Rückblick, wie in der Vergangen-
                                                                vorbereiten und auch liefern?
                                                             … dass wir individuelle Geschenkkörbe gestalten?          heit geheizt wurde, finden Sie auf Seite 5.
                                                             Sicher aber wissen Sie,
                                                             … dass Sie die Herzen Ihrer Lieben, Freunde und
                                                                Bekannten mit einem Geschenk (oder Ge-
                                                                schenkgutschein) höher schlagen lassen. Wer

                                                                                                                                            le bistro
                                                                kann einem feinen Olivenöl, einem raffinierten
                                                                aceto balsamico, getrockneten Steinpilzen oder

                                                                                                                                         Janine Mangiantini
                                                                Morcheln, hausgemachter Pasta oder gar

                                                                                                                          Brunngasse 19 CH - 3011 Bern T +41 31 311 15 42
                                                                einem Bacio widerstehen?

                                                                                                                             Öffnungszeiten 11.00 – 14.30 / 17.00 – 23.30

                                                                                                                         Zibelemärit 9 – 15 Uhr offen
                                                                                                                                  Sonntag und Montag geschlossen
                                                                Wir beraten Sie gerne
                                                                Ihr FERRARI-Team

                                                              Münstergasse 49, 3011 Bern          Tel. 031 311 08 57
BrunneZytig
 4       19. November 2021                                       Läbigi Altstadt

LIEBE LESERINNEN UND LESER                                                                                         Neben unserer Serie zum Münsterjubiläum beschäf-
                                                                                                                   tigt uns auf Seite 10 der «Brotschelm-Erggel bym
Als Kulturgut von ausserordentlichem universellem          In dieser Ausgabe erwartet Sie ausserdem noch ein       Zytglogge». Dieser Erker verrät einiges über die Zeit
Wert steht die Berner Altstadt seit 1983 auf der           bunter Strauss an anderen Themen, den ich für ein-      um 1500, doch die Figur des «Brotschelms» gibt so
Unesco-Welterbe-Liste. Dieser Eintrag bringt der           mal in alphabetischer Reihenfolge gebunden habe.        manches Rätsel auf. Ausserdem sind wir zusammen
Stadt nicht nur Ehre ein, sondern erlegt ihr auch                                                                  mit einem Zeitzeugen der Geschichte der inzwischen
Pflichten auf. So muss die Stadt einen Management-          A wie Advent: Wie immer in der vierten Ausgabe          verschwundenen Rebleuten Apotheke in der Ge-
plan vorlegen, in dem Ziele und Massnahmen zum             eines Jahres haben wir verschiedene Advent-Akti-        rechtigkeitsgasse nachgegangen, Seite 24.
Schutz ihrer Welterbestätte, ihrer Pflege, Nutzung          vitäten in unserem Quartier aufgelistet. Mit leiser     M wie Mode: Das Kleidungsstück muss dem Körper
und Weiterentwicklung festgehalten sind. Dieses, seit      Wehmut erinnern wir zudem an den verstorbenen           folgen – nicht der Körper der Form des Kleidungs-
vielen Jahren eigentlich zwingend vorgeschriebene          Oberchlous Erhard Riggenbach, der so viele Kinder-      stücks. Nach dieser Devise kleidet die bekannte Ber-
Planungs- und Handlungskonzept, das die Stadt mit          augen zum Strahlen gebracht hat, gerade auch in der     ner Couturière Marianne Milani seit Jahrzehnten
einiger Verspätung jetzt angehen wollte, hängt noch        Unteren Altstadt, Seite 8 und 9.                        Damen wie Herren mit ihren massgeschneiderten
im Stadtparlament fest.                                                                                            Kreationen ein. Das Treffen mit der passionierten
                                                           B wie Blinde Fenster: So haben wir in der Redaktion
                                                           jene Fenster getauft, die täuschend echt aussehen, in   Altstadtbewohnerin auf Seite 16. Egal, ob zum ele-
In unserem kleinen Schwerpunkt auf den Seiten 18                                                                   ganten Outfit oder zum Alltagsdress: Schöne Schuhe
                                                           Tat und Wahrheit aber nur aufgemalt sind – und die
bis 20 erfahren Sie, was die Vorgaben der Unesco                                                                   sind ein Hingucker. Auf rahmengenähtes Schuhwerk
                                                           zu allerlei Gedankenspielereien einladen. So meldet
an Bern sind und was der Managementplan bein-                                                                      nach Mass hat sich «Le Majordome» spezialisiert. Wir
                                                           sich auf Seite 6 ein solcher Fenstermaler zu Wort.
haltet, gerade auch im umstrittenen «dynamischen»                                                                  haben das Geschäft kurz nach dem Umzug in die
Teil, der sich unter anderem mit der Verwaltung,           F wie Fasnacht: Der Fastnachtsbär schläft im Käfig-      Kramgasse besucht – und eine neue Schuhwelt hat
dem öffentlichen Raum, Wohnen und Wirtschaft be-            turm den drei schönsten Tagen des Jahres entgegen       sich uns aufgetan, Seite 27.
fasst. Zudem haben wir im Nachgang zur Verschie-           – doch noch ist offen, wie (und ob) die Fasnacht
bung des Stadtratsentscheids Stadtpräsident Alec           2021/22 über die Bühne gehen soll. Auf Seite 15         R wie Restaurant: Wir erkunden auf Seite 30 das Er-
vom Graffenried einige Fragen gestellt.                     lassen wir den Verein Berner Fasnacht verschiedene      folgsrezept der «Harmonie», die seit über 100 Jahren
                                                           Varianten durchspielen.                                 im Besitz der Familie Fritz Gyger ist. Wer die «Har-
Die bauliche Substanz und die mittelalterliche Stadt-                                                              monie» kennt, weiss: Es gibt nicht nur einen Grund,
                                                           G wie Geschäft: Die Münsterkellerei gehört jetzt zum    warum diese Traditionsbeiz über so viele Jahre er-
struktur im Welterbe-Perimeter zu bewahren, die
                                                           Basler Familienunternehmen «Ullrich Passion for Li-     folgreich war und ist.
Altstadt aber gleichzeitig so weiterzuentwickeln, dass
                                                           quids». Bei unserem Besuch der Weinhandlung
sie den Anforderungen der modernen Zeit gerecht                                                                    S wie Spendenaufruf: Alle zwei Jahre legen wir der
                                                           haben wir schnell gemerkt: Der Name ist Pro-
wird und lebenswert bleibt, ist beileibe kein einfaches                                                            BrunneZytig einen Einzahlungsschein bei und bitten
                                                           gramm! Seite 28. An Leidenschaft für sein Geschäft
Unterfangen. Das zeigt auch unsere Titelgeschichte                                                                 unsere Leserschaft, unsere Arbeit mit einer Spende
                                                           fehlt es auch Aram Melikja nicht. Doch der Bericht
auf Seite 1 zum Heizen in der Altstadt. Nicht alles, was                                                           zu unterstützen. In dieser Ausgabe ist es wieder so
                                                           auf Seite 26 zeigt: Der Matteladen braucht dringend
wünschenswert wäre, ist – zumindest heutzutage –                                                                   weit. Lesen Sie sich den Spendenaufruf durch und
                                                           mehr Kundschaft.
auch möglich. Doch wenn man auf Seite 5 liest, wie                                                                 nutzen Sie doch anschliessend bitte den Einzah-
früher geheizt wurde, merkt man schnell, dass Fort-        H wie Historisches: Geschichtsinteressierte kommen      lungsschein. Das ehrenamtliche Redaktionsteam
schritt und Altstadt sich nie ausgeschlossen haben.        in dieser Ausgabe gleich mehrfach auf ihre Kosten:      freut sich über jede Spende und dankt Ihnen bereits

     Eingeschränkte Sicht…                                    …oder totale Freiheit?
                                                                                                                   jetzt!

                                                              Verlieren Sie die Fassung.
                                                                        Ihr Kontaktlinsenspezialist.
                                                                                                                   Im Namen des gesamten Teams wünsche ich Ihnen,
                                                                                                                   liebe Leserinnen und Leser, jetzt wieder viel Vergnü-
                                                                                                                   gen bei der Lektüre der BrunneZytig – und vor allem
                                                                                                                   eine entspanntere Advents- und Weihnachtszeit als
                                                                                                                   im vergangenen Jahr.
                                                             Büchi Optik, Kramgasse 25, 3011 Bern                                      Barbara Büttner, Chefredaktorin
                                                             031 311 21 81, www.buechioptik.ch

               Adventsdekorationen finden Sie am
          Für Ihre

               Blumenstand Komminoth
           in der Gurten- und Münstergasse
                eine grosse Auswahl an Koniferen, Stechpalmen, Misteln,
                       Weisstannen sowie fertige Adventskränze.
             Am Samstag, 27. November 2021 stellen wir unseren Verkauf
                an den Marktständen Gurtengasse und Münstergasse
                                  endgültig ein.
     Wir wünschen all unseren Kundinnen und Kunden schon jetzt schöne und
        erholsame Festtage und danken herzlich für das uns immer wieder
               entgegengebrachte Vertrauen. Bleiben Sie gesund!
                 Barbara und Christian KOMMINOTH mit Mitarbeiterinnen
                     Lenglod 5, 3182 Ueberstorf, Tel. 031 741 05 08
                                 www.komminoth.com
BrunneZytig
                                                               Läbigi Altstadt                                                              19. November 2021
                                                                                                                                                                      5

NICHT IMMER MACHT HEIZEN UNS WARM …
… denn frierend heizt sich mancher arm ( P.T. Meissner, Die Heizung mit erwärmter Luft, Wien 1821)

Feuer bestimmte seit jeher die menschliche Zivilisa-     an Universitäten blieben winters kalt, es sei denn die
tion. Man brauchte es bis weit in die Neuzeit fürs Ko-   Schüler und Studierenden brachten selber Heizma-
chen, Heizen, Beleuchten und Waschen. Die meisten        terial mit.
Handwerke und Berufe wie Bäcker, Töpfer oder
Schmiede waren ebenfalls zwingend darauf ange-           Die Geschichte des Heizens beginnt mit der offenen
wiesen. Doch der Umgang mit Feuer war immer ge-          Feuerstelle auf dem Boden, was nicht nur gefährlich,
fährlich. Eine kleine Unachtsamkeit konnte rasch         sondern auch Energieverschwendung war: Mehr als
einen grossen Brand auslösen, der bis hin zur Zer-       die Hälfte der Engergie ging durch Rauch, Abgase
störung ganzer Dörfer und Stadtteile führen konnte.      und durch die mitgeführte kalte Raumluft verloren.
Griffen die Flammen einmal um sich, war ein Brand         Das Heizen mit tragbaren Glutbecken hatte immer-
mit den damaligen Mitteln – Löschen mit dem Was-         hin den Vorteil, dass man das Becken in andere
sereimer oder ab dem 16. Jahrhundert mit einfa-          Räume mitnehmen konnte. Zu den offenen Feuer-              Klassischer Kachelofen mit Ofentritt in einem Berner
chen Feuerspritzen – nur schwer zu bekämpfen. Den        stellen zählten auch gemauerte, leicht erhöhte und         Bauernhaus um 1917. ((Bild: Burgerbibliothek Bern,
                                                                                                                    FPa.21, Nr. 30)
Flammen boten die stroh- und schindelgedeckten           mit Kaminhut versehene Cheminées, wie man sie
Holz- und Fachwerkhäuser reichlich Nahrung.              noch von mittelalterlichen Küchen oder Schlosssälen
                                                                                                                  teilung der Wärme in den Räumen, die schlechte
                                                         kennt. Ihr Nachteil war der Luftzug, der einem vor
                                                                                                                  Energieeffizienz oder undichte Röhren stellten
Auch die Stadt Bern wurde im Laufe der Jahrhun-          dem Feuer sitzend Rücken und Füsse kühlte. Dage-
                                                                                                                  grosse Herausforderungen dar. Ein gewichtiges Pro-
derte mehrfach von verheerenden Bränden heim-            gen behalf man sich mit einem «Paravent». Ge-
                                                                                                                  blem war der enorme Brennholzbedarf, der in ge-
gesucht. Der Stadtbrand von 1405 etwa zerstörte          schlossene Feuerstellen, also Öfen, kannte man
                                                                                                                  wissen Zeiten zu einem eigentlichen Holznotstand
rund einen Drittel des damaligen Stadtgebietes, über     ebenfalls seit dem Mittelalter. Diese schlossen das
                                                                                                                  führte. Kohle und Torf als alternative Brennstoffe
100 Menschen fanden den Tod. Besonders wichtig           Feuer ein und gaben dessen Wärme durch dünne
                                                                                                                  konnten den zunehmenden Brennstoffmangel auch
war deshalb die Brandprävention: Die Obrigkeiten         Wände mit hoher Wärmekapazität an den Raum
                                                                                                                  nicht beheben. Deshalb wurden bereits im 18. Jahr-
erliessen Vorschriften betreffend dem Bau von Häu-        weiter. Die Ofenbauer, die sogannten Hafner, ver-
                                                                                                                  hundert wissenschaftliche Traktate über die Brenn-
sern und zum Umgang mit Feuerstätten und Brenn-          wendeten die unterschiedlichsten Materialien wie
                                                                                                                  materialersparnis und die «Holzsparkunst» verfasst
material. Feuerschauer kontrollierten regelmässig,       Lehm, Keramik, Metall oder Stein. Weit verbreitet,
                                                                                                                  und die Entwicklung brennstoffsparender Öfen,
ob die Vorschriften auch umgesetzt wurden, Brand-        vom Bauernhaus über Ratsstuben bis zum Schloss,
                                                                                                                  Techniken und Brennstoffe vorangetrieben.
wachen wurden eingesetzt und das Feuerwehrwesen          war der Kachelofen. Nicht selten stand der Kachel-
ständig ausgebaut.                                       ofen mitten im Raum, so konnte er auf alle Seiten
                                                                                                                  Ein weiteres Problem war die «Erneuerung der ver-
                                                         Wärme abgeben. Die Ofenkacheln konnten weiss,
                                                                                                                  brauchten Luft» und die Verbreitung von Krankhei-
Vom offenen Feuer zum Kachelofen                          blau oder bunt bemalt sein und wurden damit auch
                                                                                                                  ten durch die «Luftverderbnis» (Miasma) und die
Heizen ist eng mit Wohnkultur und Komfort verbun-        zum künstlerisch repräsentativen Schmuckstück des
                                                                                                                  «Zugluft» offener Kaminheizungen in beheizten Räu-
den, das wussten schon die alten Römer, die kom-         Raumes.
                                                                                                                  men. Tatsächlich war das Lüften der Räume keine
plexe Heizsysteme entwickelten, unter anderem den
                                                                                                                  Lösung, da damit viel Wärme verloren ging, und die
sogenannten Hypokaust, eine frühe Form der Fuss-         Von der Luft- zur Zentralheizung
                                                                                                                  Fenster vor allem auch wegen der stark mit Fein-
bodenheizung mittels Warmluft. Doch bis weit ins         Bereits im Mittelalter gab es auch verschiedenste
                                                                                                                  staub, Russ und Rauchabgas belasteten Stadtluft ge-
20. Jahrhundert war es nicht selbstverständlich, dass    Spielarten von Luftheizöfen und Heizystemen, die
                                                                                                                  schlossen bleiben mussten. Stadtluft machte also
alle Räume eines Hauses beheizbar waren. Selbst          Luft, Dampf und Warm- oder Heisswasser als Wär-
                                                                                                                  nicht nur frei, sondern mit wachsenden Städten und
Schulzimmer auf dem Lande oder Vorlesungsräume           meträger verwendeten. Diese Systeme waren jedoch
                                                                                                                  spätestens mit der Industrialisierung auch krank.
                                                         aufwändig, teuer und nicht für die Wohnverhältnisse
                                                                                                                  Abgesehen davon war das Heizen eine zeitraubende
                                                         einer breiten Bevölkerung tauglich. Erst im 19. Jahr-
                                                                                                                  und sehr schmutzige Arbeit; und das Schleppen des
                                                         hundert war der Stand der Technik so weit, dass die
                                                                                                                  schweren Brennmaterials führte, wie anthropologi-
                                                         Warmluftheizung, die sogenannte Calorifère, sich
                                                                                                                  sche Untersuchungen zeigen, bei Knechten und
                                                         zumindest in gehobenen Häusern durchsetzen
                                                                                                                  Mägden nachweislich zu frühen Schäden an den Ge-
                                                         konnte. Schwachstelle dieser Technik, mit der sich
                                                                                                                  lenken.
                                                         sogar zentral mehrstöckige Gebäude beheizen lies-
                                                         sen, waren die Gussröhren. Durch die Wärmedeh-
                                                                                                                  Doch ganz besonders schädlich und gefährlich war
                                                         nung waren die unelastischen und nicht lötbaren
                                                                                                                  gemäss damaliger Wissenschaft die Warmwasserhei-
                                                         Röhren allerdings notorisch undicht. Erst mit der Er-
                                                                                                                  zung! Im «Kunstmagazin der Mechanik und techni-
                                                         findung der Muffenverbindung um 1850 wurden die
                                                                                                                  schen Chemie» hielt 1803 ein renommierter Arzt
                                                         Rohrsysteme dichter und druckfester. Damit war der
                                                                                                                  fest, «dass in all jenen Ländern, wo der Gebrauch der
                                                         Weg für die dampfbetriebene Zentralheizung frei,
                                                                                                                  Öfen eingeführt, das Frauenzimmer früher altere
                                                         die man ab dem frühen 20. Jahrhundert zusätzlich
                                                                                                                  und verblühe als in Frankreich und Holland, wo man
                                                         mit der Warmwasserversorgung der Haushalte ver-
                                                                                                                  sich der Camine bedient». Ein bisschen mehr Kom-
                                                         band. Das System der Einzelofenheizung hielt sich
                                                                                                                  fort war also schädlich – aber offenkundig nur für
                                                         jedoch in den einfachen Siedlungsbauten und Miets-
                                                                                                                  Frauen. Warmwasserbedingte Alterungsprozesse bei
                                                         häusern bis weit in die 1930er-Jahre und darüber
                                                                                                                  Männern scheinen besagtem Mediziner nicht aufge-
                                                         hinaus.
                                                                                                                  fallen zu sein. Honi soit qui mal y pense!
                                                                                                                                                                     CE
                                                         Holznot, Miasmen und verblühende
 Repräsenativer Kachelofen in der Berner Stadtwoh-      Schönheit
  nung Kramgasse 72. Der Ofen steht heute im Schloss     Der Wohnkomfort des Heizens hatte immer seinen
  Jegenstorf. (Burgerbibliothek Bern, FN.G.C.637)
                                                         Preis: Nicht nur die Brandgefahr, die ungleiche Ver-
BrunneZytig
 6        19. November 2021                                                  Läbigi Altstadt

                                                           BLINDE FENSTER – ANSICHTEN EINES MALERS
     IN FO       IMPRESSUM
                                                                                                                        drin, ja irgendwo da und unten an der Gasse ebenso.
               Die «BrunneZytig» wird von den Altstadt-                                                                 Aber von Tieren wollte der Herr gar nichts wissen,
           leisten gemeinsam gestaltet. Unter den Leist-                                                                Tiere in der Stadt gäbe es heute nicht mehr, Rösser
rubriken finden Sie auch leistinterne Informationen.
                                                                                                                        schon gar nicht, und die Leute hätten auch nicht
VERANTWORTLICH FÜR DIE HERAUSGABE:                                                                                      Freude, da zu wohnen, wo früher Ställe und Mist-
Vereinigte Altstadtleiste Bern;                                                                                         haufen waren.
Chefredaktion: Barbara Büttner
redaktion.brunnezytig@bluewin.ch
                                                                                                                        Also dachte ich mir was anders aus: Ein zweites
REDAKTION LEIST DER UNTERN STADT:
                                                                                                                        Fenster, so wie da schon eines ist. So ein bisschen
Iris Gerber (ig), Zahai Bürgi (ZB)
                                                                                                                        Symmetrie gibt sofort etwas her, hat ja viel Barockes
REDAKTION KESSLERGASS-GESELLSCHAFT:
                                                                                                                        an den Gassen, da ist alles symmetrisch. Es dürfe
Claudia Engler (CE), Urs Ursprung (uu)
                                                                                                                        aber nicht viel extra kosten, sagte er auch noch, der
REDAKTION RATHAUSGASS-BRUNNGASS-LEIST:
Edi Franz (ef)                                                                                                          Herr Hausbesitzer und Auftraggeber, sonst doch lie-
                                                                                                                        ber einfach alles weiss, schnell gemacht, also billig.
REDAKTION KRAMGASSLEIST:
Barbara Büttner (babü), Evelyn Kobelt (koe),                                                                            Immer das Gleiche. Für Weiss ist Geld da, für ein
REDAKTION MATTE-LEIST:                                                                                                  bisschen Kunst fehlts dann.
Sophie Muralt (sm)
                                                                                                                        So habe ich das Fenster gemalt, aber dann die Store
KOORDINATION, INSERATEANNAHME, PRODUKTION:
Druckerei Weiss GmbH, Claudia Weiss und                                                                                 glatt weggelassen. Storen sind sowieso immer
Pascale Thomann-Weiss, Kalchackerstrasse 7,                                                                             schräg, aber schräg gemalt ist Pfusch und die rich-
3047 Bremgarten/BE, Tel. 031 301 22 79,                                                                                 tigen wirken dann daneben noch schräger, richtig
weissdruck@bluewin.ch                                                                                                   schäbig. Würde mich stören. Die Scheiben hätte ich
ISSN2235-1531, www.altstadtleiste.ch
                                                                                                                        schon reflektierender gemacht, mit leichtem Hell-
BESTELLUNG JAHRESABONNEMENT                                 Wo ist die Katze? Gesucht, aber nicht entlaufen.           grau, gegen Silber zu, aber eben, das hätte mehr
Preis: Fr. 20.–. Bestellung bei Druckerei Weiss GmbH,                                                                   Stunden gegeben, mehr Stunden heisst mehr Kosten.
weissdruck@bluewin.ch, Tel. 031 301 22 79
                                                                                                                        Wissen Sie, so wie bei den alten Malern, ein weisser
LEIST-ADRESSEN                                             Das wäre ja wirklich langweilig, dieses grosse Wand-         Tupf im Auge, und das ganze Gesicht wird lebendig.
Vereinigte Altstadtleiste: Sekretariat VAL, Postfach,      stück nur weiss anzumalen. Das würde nach rein
3000 Bern 8, val@bern-altstadt.ch, www.altstadtleiste.ch
                                                           gar nichts aussehen. Kommt dazu, dass die Mauer              Ich weiss noch, ich war mit Malen fast fertig, ich
Kramgassleist: Postfach 852, 3000 Bern 8,                  nicht fein verstrichen ist, und das leicht Unebene           stieg vom Gerüst zum Augenschein nehmen. Lang-
Kontakt: info@kramgasse.ch, Web: www.kramgasse.ch
                                                           macht, dass sich Schmutz aus der Luft und Staub von          weilig, dacht ich, da muss noch was hin, was Leben-
Matte-Leist: Postfach 29, 3000 Bern 13,
                                                           der Strasse festhalten und ablagern. «Nach ein paar          diges. So habe ich dann die Katze auf den Sims
www.matte-leist.ch, matteleist.info@gmail.com
                                                           Jahren haben Sie dann ein wüstes Gewölk auf dem              gemalt, der kleine Tiger dort oben. Von wegen keine
Rathausgass-Brunngass-Leist: Kontakt: Edi Franz,
                                                           Putz», das habe ich dem Auftraggeber so gesagt. Der          Tiere in der Stadt. In jedem Haus wohnt mindestens
c/o intraform ag, Rathausgasse 76, 3011 Bern,
edi.franz.rbl@bern-altstadt.ch                             hat nur gemeint, die Altstadt sei sowieso grau und           eine Katze! Jetzt ists eine mehr. Verrechnet habe ich
                                                           hinauf schaue eh keiner. «Also erstens: Wenn Sie hi-         sie nicht, so ein Tierchen hat man zur Freude, da
Leist der Untern Stadt: Postfach 570, 3000 Bern 8,
info@lus-bern.ch                                           naufschauen würden, würden Sie sehen, dass die               rechnet keiner mit Futter- und Tierarztkosten.
Kesslergass-Gesellschaft: Kontakt: Tobias Eastus,          Häuser mit endlosen Grauvarianten spielen, keins ist         Schaut, wie possierlich es dort sitzt.
Postfach 614, 3000 Bern 8                                  wie das andere, und wenn Sie das nicht sehen kön-                                                                ig
                                                           nen, zu verargen ists Ihnen nicht, Sie haben ja nicht
Die nächste Ausgabe der BrunneZytig                         das Auge eines Malers, dann würden Sie den Reich-
erscheint am 18. März 2022.                                tum an Schmuck an den Fassaden sehen, das ist,
Redaktionsschluss: 25. Februar 2022                        was ich unter zweitens gesagt haben möchte. Wir
                                                           kennen hier keine blutten Flächen, da ist immer
                                                           was.» Das habe ich ihm auch gesagt.

                                                           Schlussendlich hat er eingewilligt, dass ich auf den
                                                           freien Platz an der Mauer ein zweites Fenster mache,
   PHARMACIE            BÄREN        APOTHEKE              also male. Vorgeschlagen habe ich ihm ein so halb-
     Moderne Apotheke in historischem Ambiente             hohes mit einem Rosskopf, ja so eins der Rösser, wie
     Kompetent in allen Fragen Ihrer Gesundheit            sie jeweils aus dem Stall schauen, das kennt man
    Lukas Schwander, eidg. dipl. pharm. ETH                doch. Abwegig ist das nicht, weil in diesem Haus
 bim Zytglogge 1 3000 Bern 7 Tel. 031 311 02 42            waren immerhin bis in die 1960er-Jahre Rossställe
             www.apotheke-baeren.ch

                       Seit 1907

                                                                             Pepe
                                                                                                         KRAMGASSE 61
                                                             031 311 07 76

                                                                                                  S
                                                                                                           3011 BERN

             Rathausgasse 24 • 3011 Bern
      Telefon 031 311 29 92 • Fax 031 312 23 89
                                                                             CO IF F EU R
                 Montag geschlossen                                                                                      Merkmale: Getigert, hat mehr als sieben Leben.
BrunneZytig
                                                               Läbigi Altstadt                                                               19. November 2021
                                                                                                                                                                        7

LENA ALLENSPACH IST NOCH KEIN JAHR IM
STADTRAT UND IN ALLEN THEMEN UNTERWEGS
Bei den Berner Stadtratswahlen vor einem Jahr waren die Frauen die grossen Gewinnerinnen.
Ihr Anteil stieg von 54 auf knapp 69 Prozent. Davon profitiert hat auch die damals 28-jährige
Lena Allenspach von der SP/JUSO-Fraktion, die zur eigenen Überraschung den Sprung auf An-
hieb schaffte. Seit bald einem Jahr sammelt sie Erfahrungen im Stadtparlament.

Während ihrem ersten politischen Mandat in der           Politisches Engagement an der Uni
Stadt Bern möchte Lena Allenspach herausfinden,           Schon früh wusste die junge Lena, dass sie in ihrem
was ihr besonders gefällt und wo sie sich in Zukunft     Berufsleben etwas bewirken und verändern möchte.
speziell engagieren will: «Die Bandbreite der Themen     Lange hegte sie den Wunsch, nach dem Beispiel des
ist sehr gross, und wenn ich durch die Stadt laufe,      Vaters Medizin zu studieren. Aber sie erkannte
dann werde ich ständig damit konfrontiert. Ich ver-      selbst, dass sie naturwissenschaftlich weniger inte-
stehe die Projekte besser und sehe, wie sie umgesetzt    ressiert war als an Sprachen und Philosophie. Wäh-
werden. Es ist schön, die Stadt mitgestalten zu kön-     rend dem Studium trat sie dann der SP sowie der
nen.» Viel liegt ihr beispielsweise daran, dass den      JUSO bei, die es in Wengen kaum gab. Und nach
Airbnb-Wohnungen in der Altstadt ein Riegel ge-          dem Studienabschluss absolvierte sie bei der SP
schoben und die soziale Verdrängung unterbunden          Schweiz zuerst ein halbjähriges Praktikum und ar-
wird: «Wenn Bern der Vorlage zustimmt, dann ist          beitete danach als Kampagnenmitarbeiterin. In diese
das auch ein Signal für andere Städte in der Schweiz.    Zeit fiel die Kampagne zur «No Billag-Initiative» (Ja      Lena Allenspach von der SP-Fraktion ist eine der
Im Ausland haben schon einige Städte das Angebot         zur Abschaffung der Radio- und Fernsehgebühren),            jüngsten Städträtinnen. Sie interessiert sich insbeson-
                                                                                                                    dere für soziale Fragen, möchte aber in allen Bereichen
von solchen Plattformen begrenzt.» Anfang Jahr           die auch von der SP bekämpft und schliesslich deut-        des öffentlichen Lebens Erfahrungen sammeln.
nahm Allenspach in der Kommission für Finanzen,          lich abgelehnt wurde. Wohl nicht zuletzt diese Erfah-
Sicherheit und Umwelt Einsitz, wo einige der wich-       rung führte dann vor rund dreieinhalb Jahren zum
tigen städtischen Vorhaben früher oder später be-        beruflichen Einstieg bei syndicom (Gewerkschaft           Allenspach seit dem letzten März zusätzlich Co-Prä-
sprochen werden.                                         Medien und Kommunikation), wo sie heute ad inte-         sidentin der Stadtberner SP-Sektion ist. Sie teilt
                                                         rim und mit einem Pensum von achtzig Prozent die         diese Funktion mit Grossrätin Meret Schindler. Noch
Vom Land in die Stadt                                    Kommunikationsabteilung leitet. Auch da beschäfti-       nicht spruchreif ist für die SP-Frau eine Karriere auf
Die junge SP-Frau ist in Wengen mit zwei älteren         gen sie Fragen der «ungleichen Verteilung, unsiche-      nationaler Ebene. Sie will zuerst im Stadtrat und in
Geschwistern aufgewachsen, hat in Interlaken das         ren Berufe, Gleichstellung und Arbeitsbedingungen».      der Lokalpartei Erfahrungen sammeln.
Gymnasium besucht und ist dann für das Studium           Ihr gewerkschaftliches Engagement erstreckt sich                                                           koe
nach Bern gekommen. Seit sieben Jahren wohnt sie         zudem auf die Mitgliedschaft im Vorstand des Stadt-
in der Matte und beobachtet dort, wie schwierig es       berner Gewerkschaftsbundes. Weiter ist sie seit die-
ist, das Quartier am Leben zu erhalten und zu bele-      sem Jahr Vorstandsmitglied der feministischen
ben. Sie hat die Schliessung der Poststelle miterlebt,   Friedensorganisation cfd, die sich für eine Verbes-
gegen die sich die Anwohnerinnen und Anwohner            serung der Lebensbedingungen von Frauen und                  INFO         BERNER STADTRAT
erfolglos zur Wehr setzten. Ganz in der Nähe, am         ihren Kindern in Südosteuropa, in Nahost und im
Klösterlistutz, arbeitete sie während des Studiums       Maghreb einsetzt und in der Schweiz unter anderem
im Service und liebäugelt bis heute mit diesem           die Kampagne «16 Tage gegen Gewalt an Frauen»            Fast ein Jahr sind die Berner Stadtratswahlen her. Für die
«schönen Ausgleich». Studiert hat Lena Allenspach        organisiert.                                             BrunneZytig ist das Anlass, jene Gewählten vorzustellen,
Sozialarbeit und Sozialpolitik in Freiburg, und an-                                                               die in der Unteren Altstadt leben. Es sind drei Frauen. In
schliessend machte sie einen Master in Politologie in    Bern als Sprungbrett?                                    der letzten BrunneZytig (3/21) konnten Sie bereits das
Bern. Fragen der sozialen Gerechtigkeit beschäftig-      Selbstverständlich ist Lena Allenspach auch auf          Porträt der FDP-Vertreterin Ursula Stöckli lesen.
ten sie schon in der Jugendzeit. Ihr Vater, Hausarzt     Twitter unterwegs, wo sie rund 1300 Follower ver-                                                              koe
in Wengen, engagierte sich schon vor ihrer Geburt        bucht. Sie bezeichnet den Mikroblogging-Dienst als
längere Zeit für Solidarmed in Zimbabwe und kehrte       ihr «Lieblingsmedium», weil es sich so gut für Ironie
als Vorstandsmitglied immer wieder für kurze Auf-        und Sarkasmus eigne. Dabei ist sie sich sehr be-
enthalte dorthin zurück. Diese Reisen mit der Fami-      wusst, dass das, was auf diesem Kanal gesagt ist,
lie haben seine Tochter geprägt. Sie fühlt sich bis      nicht mehr rückgängig gemacht werden kann.
heute mit diesem Land verbunden und hofft, es trotz       Gerne wäre sie auch auf anderen sozialen Medien
unumgänglicher Flugreise wieder einmal besuchen          noch aktiver, allein ihr fehlt die Zeit, überall immer
zu können.                                               präsent zu sein. Die Zeit ist auch deshalb knapp, weil
BrunneZytig
 8       19. November 2021                                    Läbigi Altstadt

GEDANKEN ZUM SAMICHLOUS
Die viel genannte Pandemie hinterlässt überall Spuren, auch der traditionelle Samichlous-Aus-
zug vom Zytglogge kann dieses Jahr erneut nicht stattfinden. Zeit für schöne Erinnerungen,
welche nicht nur unsere Familie in den letzten Jahrzehnten erleben durfte.

Mitte 80er-Jahre wurde der traditionelle «Chlousus-     Unteren Altstadt entwickelte sich dies zum festen Ri-
zug» ins Leben gerufen. Anfangs ein Samichlous, ein     tual für viele Familien, die dieses Echte suchten.
Schmutzli und ein Esel. Am Ersten Advent um fünf
Uhr nachmittags standen sie da und erfreuten die        In den Anfangsjahren war der «Rici» auch als Chlous
Kinder mit Lebkuchen und Mandarinli.                    in der Unteren Altstadt unterwegs und besuchte die
                                                        Familien zuhause in ihren Wohnungen. Zwei
1985 – Gründung der «Chlousezunft Bärn»                 Schmutzlis und der Esel Amadeus begleiteten ihn.
Erhard «Rici» Riggenbach war es ein Anliegen, die
Tradition des Chlousens am Leben zu erhalten und        Persönliche Erinnerungen
für die Kinder und ihre Familien die Begegnung mit      Unsere Familie umfasste 1989 mittlerweile vier

                                                                                                                   Dr Samichlous 2019 vor dem Hüttli in Liebiwil.
dem Samichlous authentisch und als positives Erleb-     Personen, die Kinder im Alter von fünf und einem
nis zu gestalten. Mit der Zeit zog der Anlass in der    Jahr. Ein Samichlous gehört irgendwie dazu, meinte
oberen Kramgasse immer mehr Familien, Chlöise           meine Frau, wie machen wir das bloss? Den Besuch
und Schmutzlis an. Die Organisation wurde entspre-      eines «Werbe-Klauses» in einem Einkaufscenter kam         Liebiwil, kurz nach Herzwil (wer nicht weiss, wo das
chend aufwändiger und der Kramgassleist unter dem       für uns nicht in Frage. Wie Frauen so sind, löste sie     ist, kann es googeln). Im Familienverband marschie-
damaligen Präsidenten Kurt Plüss half tatkräftig mit.   das Problem pragmatisch: Sie suchte im Telefonbuch        ren wir also über Felder, mal im Schnee, mal im
Kurt Anderegg und Peter Ineichen sind die Altstädt-     (das gab es damals noch) unter Samichlous – und           Pflotsch, den Fackeln entlang bis zum Hüttli. Der
ler, welche über Jahre den Anlass organisierten.        wurde fündig. Ein Anruf, ein nettes Gespräch, und         Schmutzli begrüsst alle herzlich, der Esel Amadeus
Heute, wenn Corona nicht wäre, würde es so ablau-       der Termin war abgemacht.                                 steht neben dem offenen Feuer und alle wirken ge-
fen: Im Erker neben dem Zeitglocken geht um fünf                                                                  spannt, aber glücklich. Zu gegebener Zeit öffnet sich
Uhr das Fenster auf, der Oberchlous begrüsst die an-    Erwartungsvoll sassen wir neben dem Advents-              die Türe, der zweite Schmutzli bittet zum Eintritt und
wesenden Kinder und Erwachsenen. Dann schlägt           kranz, weihnächtliche Düfte durchflossen unsere            die verschiedenen Familien drücken sich um den
er sein altes, ledergebundenes Buch auf und liest       Wohnung. Dann klingelts, im Teppenhaus geht das           Tisch, gedeckt mit Tannästen, Mandarinli und spa-
eine der wunderbaren Weihnachtsgeschichten vor.         Licht an und Chlous «Rici» und sein Schmutzli traten      nischen Nüssli. Zum wiederholten Mal fühlt sich nun
Funkelnde Augen in der Gasse, es wird einem jedes-      ein. Die Kinder waren ziemlich beeindruckt und der        der Samichlous an wie ein Familienmitglied.
mal warm ums Herz.                                      ältere fragte sofort, wo denn der Esel sei. «Jaaa, drum
                                                        hei mr zwe Schmutzli, dr Esu cha ja nid d’Stäge uf,       «Bartwöschete»
Anschliessend strömen die Chlöise und Schmutzlis        drum mues öpper dunger zuen em luege», meinte             Mit grossen Augen schaut unsere Tochter den wal-
aus dem kleinen Treppenhaus auf die Kramgasse           der Chlous.                                               lenden Bart an und fragt bald darauf, wie er den
und verteilen unter den Kindern die legendären Leb-                                                               denn wasche? Sofort ist der Schmutzli zur Stelle und
kuchen und Mandarinli.                                  Gschänkli im Sack – und Mahnungen an den                  erklärt ruhig: «Ja, das isch scho chli es Problem:
                                                        Vater                                                     Aber mir hei glii usegfunge, wi das am Beschte geit:
All das haben wir «Rici» zu verdanken                   Nachdem wir in der Runde sassen, schaute der              Är mues aube dr Handstand mache u de steue mr
Er hatte die Idee und war immer bedacht, dass die-      Chlous mit seinen lieben Augen ruhig einen nach           de ä Chübu Wasser drunger, de geit das ganz guet!»
ser «Chloususzug» nicht ein Mainstream-Anlass,          dem anderen an. «So Ching, si das Jahr öii Eutere         In lockerer Stimmung wird dann zusammen gesun-
sondern ein traditionelles und authentisches Erlebnis   lieb gsi zu öich?». Diese Frage hörte ich so zum ersten   gen, der Samichlous spielt die Flöte und der
sein soll. Zusammen mit dem Ersten Advent in der        Mal, aus meiner Jugend war ich sie andersherum ge-        Schmutzli singt in den höchsten Tönen vor. Gschän-
                                                        wohnt. Es entstand ein Familiengespräch, bis der Sa-      kli werden keine mehr verteilt, aber das Glücksge-
                                                        michlous plötzlich sagte: «Du Vatter, dr Schmutzli het    fühl aller Beteiligten steigt jedesmal höher. Mitt-
                                                        mr vori gseit, du heigsch öppe chli Müi, am Morge         lerweile war die nächste Generation im Samichlous-
                                                        zytig zur Arbeit ds cho, das heigen im d’Vögu vo dä       alter, was es uns Grosseltern erlaubte, weiterhin an
                                                        Decher zwitscheret.» Da hatte er natürlich recht und      diesem familiären Zusammenkommen teilzuneh-
                                                        ich zog meine Schlüsse daraus: Bald hatte unsere          men.
                                                        Firma andere Betriebszeiten und öffnet seither die
                                                        Türe erst um 9.30 Uhr.                                    Trauer
                                                                                                                  Im Spätsommer 2021 erreichte uns die Nachricht,
                                                        Woher die Information stammte, wusste der Vater           dass «Rici» am 17. Juli verstorben sei. Grosse Trauer
                                                        natürlich nicht. Die Päckli wurden vorher im Ge-          bei uns und unseren Kindern, sogar Tränen flossen.
                                                        schäft deponiert, der Schmutzli holte sie dort ab und     Die Enkel konnten es kaum fassen: «Dr Samichlous
                                                        erhielt auf die Frage, was man denn dem Vater an-         stirbt doch nid?» So ist es; «Rici», was Du da aufge-
                                                        lasten könnte, offenbar diese Auskunft. So geht das        baut hast, wie viel Freude Du jedesmal bereitet hast,
                                                        eben.                                                     wir danken es Dir herzlich! Und der Trost: Du hast
                                                                                                                  es nicht versäumt, Dein Gedankengut weiterzuge-
                                                        Der Samichlous wird zum Familienmitglied                  ben, wir werden wieder zum Samichlous ins Hüttli
                                                        Die privaten Besuche bei den Familien wurden bald         gehen können. Und werden Deiner gedenken. Dei-
                                                        einmal zu zeitaufwändig für den Samichlous, zumal         ner Familie sprechen wir unser tiefes Beileid aus, Du
                                                        sich auch immer mehr Familien bei ihm meldeten.           musstest zu früh gehen und wir werden Dich ver-
                                                        Die Antwort auf das Problem war bald gefunden: Die        missen!
                                                        Familien kommen zu uns! Der Samichlous empfängt                                                               ef
 Grosse Augen am weihnächtlichen Tisch.                Kind und Kegel seither im Wald, sinnigerweise in
BrunneZytig
                                                                Läbigi Altstadt                                                               19. November 2021
                                                                                                                                                                      9

ERLEBEN SIE DEN ADVENT 2021 IN DER UNTEREN ALTSTADT!
Vor über 28 Jahren schlossen sich einige Geschäfte der vom Passantenstrom weniger frequentierten Postgasse zusammen, um am ersten Ad-
ventssonntag mit einem weihnächtlichen Angebot und speziellen kleinen Events die Berner in die Untere Altstadt zu locken. Daraus wurde eine
kleine, feine Tradition, an der inzwischen viele Geschäfte in der Altstadt teilnehmen. Nach einem ausgefallenen Corona-Jahr also nun alles wieder
gäng wi gäng? Nicht ganz.

Für die hoffentlich zahlreichen BesucherInnen bleibt       Dr Samichlous chunt nid id Chramgass!
alles beim Alten. Denn was dieses Jahr neu am An-         Der Samichlous-Besuch in der Unteren Altstadt ist
lass ist, wird bestimmt keinem auffallen, weil es hin-     ein poetischer vorweihnächtlicher Event, den der
ter den Kulissen im Bereich der Organisation              Kramgassleist – zusammen mit der Samichlouszunft
passierte: Ein paar der derzeitigen InitiantInnen des     Bern und unterstützt von der Stadt – organisiert und
Anlasses haben sich mit neuen Interessierten zu-          berappt. Voll Vorfreude fanden wir beim Blick in die
sammengetan und am 18. Oktober den Verein «Ers-           Homepage der Zunft jedoch eine traurige Nachricht:
ter Advent» gegründet. Damit hat sich die                 «Da es beim traditionellen Chlousauszug in der
Organisation unabhängig von den Vereinigten Alt-          Chramgasse extrem schwierig ist, ein Covid-Disposi-
stadtleisten gemacht. Die «Neuen» freuen sich darauf,     tiv zu erstellen, müssen wir auch 2021 schweren
den Sonntagsverkauf am 28. November wie ge-               Herzens auf die Durchführung des Anlasses verzich-
wohnt zu koordinieren und auch die Werbung dafür          ten.» Die 15 Chlöise, die immer mit Schmutzlis und
zu übernehmen. Auf ihrer Homepage machen sie              Eseli am Zytglogge erschienen sind und den Värsli de-
darauf aufmerksam, dass der Erst-Advent-Verkauf           klamierenden Kindern ihre Lebkuchen verteilten,
ein im Rahmen der üblichen offiziellen Sonntagsver-        kommen also zum zweiten Mal hintereinander nicht
käufe eingetragener Anlass ist und deshalb nicht          in die Kramgasse. Und ohne Chlöise auch keine Pigi-
einer jährlichen Bewilligungspflicht unterliegt. Aus       lunasingers mit ihren Weihnachtsliedern beim Brun-
diesem Grund gelten die für die Geschäfte nötigen         nen. Doch dann ganz zuunterst auf der Homepage die
Corona-Schutzmassnahmen, und es ist kein Zertifi-          Ankündigung: «Der Chlousauszug 2022 in die Kram-
kat dafür nötig. Eine weitere Folge der Corona-Jahre      gasse Bern, die schönste Gasse der Welt, findet vo-         kommen von den bewährten Lieferanten. Ungefähr
ist ebenfalls deutlich spürbar, es haben sich bisher      raussichtlich statt am Sonntag, 27. November 2022.»        ein Monat vor dem Anlass werden die Einladungen
nur die Hälfte der ansonsten rund hundertfünfzig          Sami niggi näggi, dann bleibe ich halt so lange hinge-     verschickt, und Kurzentschlos- sene können sich
teilnehmenden Geschäfte angemeldet.                       rem Ofe, vielleicht gibt’s dann nächstes Jahr wieder       noch bis etwa eine Woche vor Durchführung bei san-
                                                          Nuss u Bire, so dass i wider füre chum…                    dra.thomann@bluewin.ch anmelden.
Vereinspräsidentin Anna Christen, Inhaberin der           www.samichlouszunft-bern.ch/aktuell;
Buchhandlung «Klamauk» an der Postgasse, erklärt          www.pigiluna-singers.ch                                    «Veni veni Immanuel» – Singen sie mit!
die Motivation des neuen Vereins: Die Tradition des                                                                  Dieses alte Adventslied können sie am Ersten Advent
«Ersten Advent» solle für die nächsten Jahre gefestigt    Vorweihnacht für die Senioren in der Spysi                 morgens um 10 Uhr in der Kirche St. Peter und Paul
und stetig weiterentwickelt werden, damit «die Untere     Am «Ersten-Advent-Anlass» sollten Sie unbedingt an         hören. Ein schöner und weihnächtlicher Auftakt
Altstadt die Aufmerksamkeit erfährt, die sie verdient.    der Münstergasse 62 vorbeigehen. Antoinette Mäder          zum anschliessenden Lädelibummel in der Altstadt.
Der «Erste Advent» in der Unteren Altstadt ist für        betreibt – zusammen mit Sandra Thomann – diesmal
                                                                                                                     Schon eine ganze Weile stehen wir in Kontakt mit
mich ein besinnlicher Anlass, der in gemütlicher At-      ihren Glühweinstand zur Finanzierung der Senioren-
                                                                                                                     dem christkatholischen Kirchenchor Bern. Der Chor
mosphäre dazu einlädt, die Vielfalt der kleinen und       weihnacht vor ihrem Geschäft für Wohnkunst. Das
                                                                                                                     mit zurzeit aktiven sechzehn Frauen und neun Män-
unabhängigen Geschäfte zu entdecken.» Vorstands-          heisst natürlich auch, dass Sandra und Antoinette fest
                                                                                                                     nern existiert seit fast 150 Jahren Er ist ein Laien-
mitglied Christoph Balsiger ergänzt: «Es ist aber ein-    entschlossen sind, das beliebte vorweihnächtliche
                                                                                                                     chor, und nicht alle Mitglieder können Noten lesen,
deutig unsere Absicht, den ‹Ersten Advent› zugunsten      «z’Vieri» in der Spysi durchzuführen – für alle, die ein
                                                                                                                     doch sein Repertoire reicht vom Gospel bis zu den
des gesamten Stadtzentrums weiterzuentwickeln:            Zertifikat und ihre ID vorweisen können. Was an
                                                                                                                     grossen Messen. Noch bevor wir den Chor für un-
Vom einfachen koordinierten Verkaufstag zum gros-         kleinen Give-aways dieses Jahr am 20. Dezember um
                                                                                                                     sere LeserInnen portraitieren konnten, kam Corona
sen, aber charmanten Weihnachtsmarkt.»                    16 Uhr wieder bereitliegen wird, sei noch nicht ver-
                                                                                                                     – und das Singverbot für Chöre. Die diesjährige
www.erster-advent-bern.ch                                 raten, aber die Zutaten zum vielseitigen Schmaus
                                                                                                                     Weihnachtzeit bietet nun eine schöne Gelegenheit,
                                                                                                                     einen ganz speziellen Erst-Advents-Gottesdienst
                                                                                                                     mitzuerleben, der auch im Fernsehen SRF live über-
                                                                                                                     tragen wird. Der Chor singt die «Messe basse» vom
                                                                                                                     1845 in Frankreich geborenen Komponisten und
                                                                                                                     Organisten Gabriel Fauré. Er schrieb sie für einen
                                                                                                                     dreistimmigen Frauenchor und Solostimmen, doch
                                                                                                                     die Dirigentin des Kirchenchors, Aurore Baal, arran-
                                                                                                                     gierte das Werk so, dass auch Männerstimmen nicht
                                                                                                                     untätig bleiben müssen.

                                                                                                                     Falls Sie an dieser live übertragenen Messe nicht
                                                                                                                     dabei sein können, gibt es noch die Möglichkeit, den
                                                                                                                     Chor am 5. Dezember um 17 Uhr in der Kirche
                                                                                                                     St. Peter und Paul zu hören – und viele beliebte
                                                                                                                     Adventslieder selbst mitzusingen. Dieses «offene
                                                                                                                     Adventssingen» ist sicher auch all denen willkom-
                                                                                                                     men, welche die Pigiluna-Chlouse-Singers in der

 Chorprobe für das Adventssingen in der Kramgasse 10, wo die christkatholische Kirche ihre Gemeinderäume hat.
                                                                                                                     Kramgasse dieses Jahr vermissen.
                                                                                                                     www.singenimchor.ch                               ZB
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