Wie Medienvielfalt zukunftsfest machen? - Anja Zimmer - Bibliothek der ...
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Anja Zimmer Wie Medienvielfalt zukunftsfest machen? Bausteine für eine konvergente Medienregulierung
FES diskurs März 2022 Die Friedrich-Ebert-Stiftung Die Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) wurde 1925 gegründet und ist die traditionsreichste politische Stiftung Deutschlands. Dem Vermächtnis ihres Namensgebers ist sie bis heute verpflichtet und setzt sich für die Grundwerte der Sozialen Demokratie ein: Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität. Ideell ist sie der Sozialdemokratie und den freien Gewerk- schaften verbunden. Die FES fördert die Soziale Demokratie vor allem durch: – politische Bildungsarbeit zur Stärkung der Zivilgesellschaft; – Politikberatung; – internationale Zusammenarbeit mit Auslandsbüros in über 100 Ländern; – Begabtenförderung; – das kollektive Gedächtnis der Sozialen Demokratie mit u. a. Archiv und Bibliothek. Die Abteilung Analyse, Planung und Beratung der Friedrich-Ebert-Stiftung Die Abteilung Analyse, Planung und Beratung der Friedrich-Ebert-Stiftung versteht sich als Zukunftsradar und Ideenschmiede der Sozialen Demokratie. Sie verknüpft Analyse und Diskussion. Die Abteilung bringt Expertise aus Wissenschaft, Zivilgesellschaft, Wirtschaft, Verwaltung und Politik zusammen. Ihr Ziel ist es, politische und gewerkschaftliche Ent- scheidungsträger_innen zu aktuellen und zukünftigen Herausforderungen zu beraten und progressive Impulse in die gesellschaftspolitische Debatte einzubringen. FES diskurs FES diskurse sind umfangreiche Analysen zu gesellschaftspolitischen Fragestellungen. Auf Grundlage von empirischen Erkenntnissen sprechen sie wissenschaftlich fundierte Hand- lungsempfehlungen für die Politik aus. Über die Autorin Dr. Anja Zimmer ist Medien- und Netzexpertin, Moderatorin und Rechtsanwältin, sie berät in politischen und strategischen Fragen. Zuvor war sie Direktorin der Medienanstalt Berlin- Brandenburg. p twitter.com/glossatorin. Für diese Publikation ist in der FES verantwortlich Dr. Johanna Niesyto, Abteilung Analyse, Planung und Beratung
INHALT 4 1. EINLEITUNG: VIELFALTSSICHERUNG IST DEMOKRATIEPOLITIK 5 2. ANALYSE: DATEN, DATEN, D ATEN 5 2.1 Aktuelle Marktsituation: Alles im grünen Bereich? 7 2.1.1 Anteile von Medienkonzernen am Meinungsmarkt 7 2.1.2 Entwicklungen einzelner Mediengattungen im Bundesgebiet 8 2.2. Trends in der Marktsituation: Neue Vielfaltssicherung gefragt! 9 2.2.1 Medienintermediäre und P lattformen 10 2.2.2 Lokale Medien 12 3. RECHTSLAGE: SICHERUNG VON MEDIENVIELFALT 12 3.1 Konzentrationskontrolle 14 3.2 Missbrauchskontrolle 17 3.3 Ausblick: Europäisches Recht 19 4. BAUSTEINE FÜR EINE KONVERGENTE MEDIENREGULIERUNG 24 Literaturverzeichnis 26 Abbildungsverzeichnis 26 Abkürzungsverzeichnis FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG 3
1 EINLEITUNG: VIELFALTSSICHERUNG IST DEMOKRATIEPOLITIK Die Frage, wie Medienvielfalt effektiv gesichert werden cke (noch) nicht füllen. Oder im Digitalen: Angebote gibt kann, beschäftigt die Medienpolitik von Beginn an. Denn es dort zwar zuhauf. Aber längst nicht alles wird im Wett- ohne Vielfalt kann eine gelebte Demokratie nicht existie- bewerb um Aufmerksamkeit gefunden. Zudem kann die ren. Medienvielfalt bildet das Fundament für eine Öffent- Macht großer Plattformen vielfaltsbegrenzend wirken. Die lichkeit, in der sich Bürger_innen eine informierte eigene kartellrechtlichen Verfahren zum Google News Showcase Meinung bilden, sich verständigen und an Gesellschaft oder zur Privilegierung von Informationen des Bundesge- teilhaben können. Oder wie das Bundesverfassungsgericht sundheitsministeriums zeigen, wie sehr ein marktbeherr- sagen würde: Vielfalt ist unerlässlich für demokratische schender Anbieter auf digitale Medienvielfalt Einfluss neh- Willensbildung, Zusammenhalt und Toleranz. men kann. Dies belegt auch die jüngste Feststellung des Die Trias aus Unabhängigkeit der Medien, Schutz Bundeskartellamts, wonach Google eine „überragende von Presse- und Meinungsfreiheit und Medienvielfalt marktübergreifende Bedeutung“ zukommt. Gleiches dürfte bildet die Grundvoraussetzung für politische und kulturel- beispielsweise für Facebook gelten. Soziale Medien haben le Vielfalt und damit letztlich für eine pluralistische Ge- zudem eine überragende Bedeutung bei der Auswahl, Auf- sellschaft, in der unterschiedliche Meinungen gehört wer- findbarkeit und Qualität von Informationen. Wie lässt sich den, Bürger_innen sich frei und unbehindert informieren Vielfalt hier zeitgemäß und zukunftsfest sichern? können und das Verständnis gesellschaftlicher Gruppen Medienentwicklung, Mediennutzung und Medienviel- füreinander gefördert wird. Denn eine hohe Zahl unter- falt sind zusammenzudenken. Die Reformdebatten der schiedlicher Anbieter auf dem Medienmarkt fördert eine letzten Jahrzehnte haben gezeigt, dass die Digitalisierung Vielfalt von Inhalten, Perspektiven und Meinungen – so eine echte vielfaltspolitische Wende in der Regulierung er- weit die Theorie. fordert, bei der Europa-, Bundes- und Länderebenen einer- seits und bisher getrennte Rechtsgebiete, wie das Kartell- und das Medienrecht, andererseits stärker zusammenge- dacht werden müssen. Es ist allerhöchste Zeit für eine zeitgemäße Regulierung, die alte Zöpfe abschneidet und Wir brauchen neue Themen schnell mit ausreichenden Ressourcen an- neue Konzepte, die zu geht. Mit dieser Publikation möchte die Friedrich-Ebert- mehr V ielfaltssicherung Stiftung die Verantwortlichen darin bestärken, die Weiter- führen, quasi eine entwicklung der Vielfaltssicherung noch mutiger als bis- lang zu gestalten: ganzheitlich, medienkonvergent und an vielfaltspolitische Wende den Nutzer_innen orientiert. Diese Analyse bietet in ihrem Fazit Bausteine für eine konvergente Medienregulierung, einleiten. die auf Vielfaltssicherung abzielt und über den Tellerrand hinausblickt: Regulierung ist nur so gut wie ihre Durchset- zung. Daher wird eine „effiziente Rechtsdurchsetzung“ mit den dazu notwendigen Ressourcen und Reformen gefor- Wie ist es aber aktuell um die Vielfalt bestellt? In dert. Im 21. Jahrhundert muss Regulierung zudem wis- Deutschland eigentlich ganz gut. Der mit Unterstützung sensbasiert erfolgen. „Flächendeckende Studien zum der EU herausgegebene Media Pluralism Monitor des L okaljournalismus“ sind genauso wichtig wie eine enge C entre for Media Pluralism and Media Freedom prüft Zusammenarbeit zwischen Regulierung und Wissenschaft. Pluralismus unter anderem anhand von Marktvielfalt. Dies sind nur einige der vorgeschlagenen Bausteine. Mit Deutschland wird ein mittleres Risiko (37 Prozent) bei der den hier erarbeiteten Empfehlungen hoffen wir dem Aus- Marktvielfalt bescheinigt (Holznagel/Kalbhenn 2021: 8). tausch zwischen Medien- und Digitalpolitik, Wissenschaft, Noch sieht es also einigermaßen gut aus auf dem Medien- Medien und Zivilgesellschaft weiteren Schwung zu verlei- markt. Allerdings müssen wir sicherstellen, dass das so hen. Denn wir brauchen neue Konzepte, die zu mehr bleibt. Und hier lauern einige Herausforderungen. Bei- Vielfaltssicherung führen, quasi eine vielfaltspolitische spielsweise im Lokalen: Insbesondere durch die Krise der Wende einleiten. Tageszeitungen nimmt die Zahl originärer lokaler Angebo- te immer weiter ab. Blogs oder Podcasts können diese Lü- 4 WIE MEDIENVIELFALT Z UKUNFTSFEST MACHEN? MÄRZ 2022 FES diskurs
2 ANALYSE: DATEN, DATEN, D ATEN Die gute Nachricht: Medienvielfalt ist messbar. Dazu gibt aten daher nicht unbedingt als Grundlage für Regulie- D es unterschiedliche Methoden, qualitativ und quantitativ, rungsentscheidungen geeignet sind, zeigen sie doch Ten- nutzungs- oder gattungsspezifisch, bezogen auf informie- denzen und Entwicklungen. Die folgende Analyse kann rende Nutzung oder jeden Medienkonsum, durch reprä- also helfen, ein besseres Bild der aktuellen Medienmarkt- sentative Befragung oder Ermittlung der Eigentumsver- situation zu geben. hältnisse oder Marktstärke. Bei Letzterer können auch kar- tellrechtliche Überlegungen eine Rolle spielen. Die schlechte Nachricht: Es bleibt kompliziert. Die un- 2.1 AKTUELLE MARKTSITUATION: ALLES terschiedlichen Messmethoden sind kaum miteinander IM GRÜNEN BEREICH? vergleichbar und beantworten sehr unterschiedliche Fra- gen. Der Medienvielfaltsmonitor der Landesmedienanstal- Der Media Pluralism Monitor fragt nach der Nachrichten- ten erhebt zweimal im Jahr die Anteile von Medienkonzer- konzentration. In der Terminologie der Medienanstalten nen am Meinungsmarkt (zuletzt MVM 2021-I). Dabei wer- wäre das Pendant die informierende Nutzung.2 Um hier den verschiedene Studien und Marktforschungstools mit- etwas mehr Licht ins Dunkel zu bringen, fragen die Lan- einander verzahnt.1 Allerdings ist es nicht einfach, so die desmedienanstalten Nutzer_innen, wie sie sich informie- aktuelle Marktsituation tatsächlich zu erfassen. Dazu fehlt ren3 und was sie subjektiv für ihre wichtigste Informati- es schlichtweg an medienübergreifenden Standards. Die onsquelle halten (MVM 2021-I). Anhand einer Kombina- Zahlen der Zuschauer_innen, Zuhörer_innen, Nutzer_ tion aus Zuschauer_innen- und Reichweitenzahlen, der innen und Leser_innen werden nach unterschiedlichen informierenden Tagesreichweite und der subjektiven Be- Messmethoden erhoben. Das macht die Ermittlung von deutung einer Gattung als Informationsquelle wird dann Medienkonzentration für einen Gesamtmarkt schwierig die Meinungsbildungsrelevanz einzelner Medienunterneh- (kritisch dazu Stark/Stegmann 2021). Auch wenn die men und ihrer Eigentümer ermittelt (zum Ganzen siehe 1 Die Ergebnisse der Mediendatenbank der Landesmedienanstalten und verschiedener Reichweitenermittlungen (AGF/GfK, ma Audio, ma Pressemedien und Nielsen) werden zueinander in Bezug gesetzt und entsprechend ihrer Bedeutung für die Meinungsbildung gewichtet. Das Meinungsbildungsgewicht wird durch die GIM-Mediengewichtungsstudie ermittelt. 2 Gemeint sind damit Informationen über das Zeitgeschehen in Politik, Wirtschaft und Kultur. 3 Frage: „Haben Sie gestern … Tageszeitung gelesen / eine oder mehrerer Zeitschriften, Nachrichtenmagazine oder Wochenzeitungen / ferngesehen / Radio gehört / das Internet genutzt und dabei Informationen …?“ (MVM II: Folie 13). FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG 5
ABB. 1 Meinungsbildungsgewicht der Medien im Trend Die Online-Medien bauen ihren Vorteil gegenüber den klassischen Medien weiter aus. Aktueller Zugewinn geht vor allem zulasten von Radio. Tageszeitung und Zeitschriften vergleichsweise stabil. 40 35,7 33,5 Internet 30 30,6 Fernsehen 22,3 20,7 20 Radio 18,7 17,1 15,7 Tageszeitung 10 2,6 3,1 Zeitschriften* 0 2016-I 2016-II 2017-I 2017-II 2018-I 2018-II 2019-I 2019-II 2020-I 2020-II 2021-I Angaben in Prozent. * Zeitschriften, Wochenzeitungen oder Nachrichtenmagazine; die Daten beziehen sich jeweils auf die letzten beiden Halbjahre (2021-I = 2. Halbjahr 2020 und 1. Halbjahr 2021). Quelle: Mediengewichtungsstudie 2021-I der Landesmedienanstalten, GIM; Basis: 70,635 Mio. Personen ab 14 Jahre in Deutschland, n=3.660; Medienvielfaltsmonitor 2021-I ABB. 2 Anteile der Medienkonzerne am Meinungsmarkt – 1. Halbjahr 2021 (2021-I) Gleiche Top 5 vorne wie zuletzt. In den Top 15 ist SWMH neu dabei. In Summe beläuft sich der Anteil der Öffentlich-Rechtlichen am Gesamtmarkt auf 29,6 % (zzgl. Deutschlandradio mit 0,5 %). – 0,1* +0,4* Top 16–30 Top 5 DvH Medien 1,5 ARD 21,4 Discovery 1,2 Bertelsmann 11,5 Regiocast 1,0 53,9 ZDF Springer 7,8 6,8 ddvg 1,0 Disney 0,9 KKR 6,4 Verizon Communications 0,9 +0,7* Presse-Druck 0,9 23,2 13,1 26,6 Top 6–15 Rheinisch-Berg. Verlags-Ges. 0,9 ProSiebenSat.1 5,7 Comcast 0,8 Burda 3,8 Fazit-Stiftung 0,8 Funke 2,7 Verlagsgruppe Ebner Ulm 0,7 United Internet 2,4 Müller Medien 0,7 Medien Union 2,3 ZHH Zeitungsholding Hessen 0,7 Madsack 2,2 ZVD Mediengesellschaft 0,6 sonstige Bauer 2,2 Nordwest-Medien 0,6 – 0,1* SWMH 2,0 Ströer 1,8 F. Wolff & Sohn 1,5 * Veränderung 2021-I zu 2020-II in Punkten Angaben in Prozent. Hinweis: Die Summe der zurechenbaren Anteile beträgt mehr als 100 %, da Beteiligungs- anteile von ≥ 25 % dem Unternehmen jeweils voll zugerechnet werden. Die Reihenfolge bei gleichen Anteilen ergibt sich aus den ausgeblendeten Nachkommastellen. Medienvielfaltsmonitor 2021-I 6 WIE MEDIENVIELFALT Z UKUNFTSFEST MACHEN? MÄRZ 2022 FES diskurs
ABB. 3 Top 30 Medienangebote im Meinungsmarkt gesamt in Deutschland ZDF ARD Das Erste 3,8 4,5 BILD DEUTSCHLAND 3,0 RTL 2,3 SAT.1 1,6 VOX 1,5 web.de 1,2 ProSieben 1,2 gmx.net 1,1 chip.de Das ZDF (Hauptprogramm) ist (nach wie vor) 1,1 t-online.de 1,1 das relevanteste Einzelangebot im gesamten radio NRW 1,0 Meinungsmarkt vor Das Erste und BILD. Mit RTL, Kabel Eins 1,0 SAT.1, VOX und ProSieben platzieren sich weitere ZDFneo 0,8 Bayern 1 0,8 vier Fernsehprogramme in den Top 10. Insgesamt NDR Fernsehen 0,8 15 TV-Programme in den Top 30. RTL ZWEI 0,8 In den Top 10 sind zudem die Online-Portale WDR Fernsehen 0,8 NDR 1 Gesamt web.de und chip.de mit ihren (teilweise) 0,8 focus.de 0,7 publizistischen Angeboten. Die Relevanz von SWR3 0,7 Webportalen bestätigen gmx.net (9. Rangplatz) WDR 2 0,7 und t-online.de (11). Als weitere Online-Angebote SWR/SR Fernsehen 0,6 WDR 4 0,6 schaffen es focus.de und computerbild.de in die MDR Fernsehen 0,6 Top 30 der relevantesten Angebote. BR Fernsehen 0,6 computerbild.de 0,6 Internet Fernsehen Radio Tageszeitung WAZ (Funke Medien NRW) 0,6 ANTENNE BAYERN 0,6 Marktanteile in Prozent RTLplus 0,6 Medienvielfaltsmonitor 2021-I Berghofer 2021: 28; MVM 2021-I: Folie 8 ff.; zur Methodik Dies gilt noch viel mehr, wenn einzelne Medienangebo- siehe unter 3.1). Und hier kann Entwarnung gegeben wer- te betrachtet werden. Hier dominieren ZDF und Das Erste den. mit 4,5 Prozent und 3,8 Prozent Anteil am Meinungs- markt. Bild Deutschland liegt mit 3,0 Prozent auf Platz 3. 2.1.1 ANTEILE VON MEDIENKONZERNEN Andere Tageszeitungsverlage spielen eine deutlich geringe- AM MEINUNGSMARKT re Rolle. Laut Medienvielfaltsmonitor erreichen die Top-5-Konzer- ne ARD, Bertelsmann, ZDF, Springer und Kohlberg Kravis 2.1.2 ENTWICKLUNGEN EINZELNER MEDIEN- Roberts (KKR) zusammen einen Marktanteil von rund GATTUNGEN IM BUNDESGEBIET 53,9 Prozent.4 Der mit Abstand größte Anteil kommt dabei Die Marktanteile steigen, wenn man einzelne Mediengat- mit knapp 30 Prozent den öffentlich-rechtlichen Sendern tungen in den Blick nimmt. Dabei muss dann aber immer zu. Keines der Unternehmen kommt dabei in die Nähe ei- auch die Bedeutung der jeweiligen Mediengattung für die ner kartellrechtlich bedenklichen Grenze. Selbst eine Fu- Meinungsbildung mitgedacht werden. sion von Bertelsmann und Springer, der beiden größten privaten Player, würde (nur) zu einer Meinungsmacht von Fernsehen und Video deutlich unter 20 Prozent führen. Der Trend ist zudem seit Bewegtbild ist nach wie vor das am längsten genutzte Me- 2015 fast unverändert. Auf dem Gesamtmarkt ist eine dium. Personen ab 14 Jahren verbringen täglich im Durch- medienkonzentrationsrechtliche Gefahr folglich der- schnitt 222 Minuten mit dem Anschauen bewegter Bilder. zeit nicht ersichtlich. Das lineare Fernsehen ist mit 71 Prozent immer noch die wichtigste Nutzungsart (ARD/ZDF Forschungskommission 4 Der Medienvielfaltsmonitor geht aufgrund von Zurechnungen allerdings von einer Grundgesamtheit von 116,4 Prozent aus. Beteiligungen ab 25 Prozent können mehrfach zugerechnet werden. Um die Problematik zu verdeutlichen, hilft ein Blick auf die Bild: Sie wird Springer und dann noch einmal KKR zugerechnet, da KKR mehr als 25 Prozent der Anteile von Springer erworben hat. Ohne diese Zurechnung wären die Anteile deutlich kleiner. Die Top 5 etwa lägen rein rechnerisch nur bei 46,3 Prozent. FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG 7
2021a). Immerhin können sie dabei ein großes Angebot gerügt (siehe zum Beispiel Röper 2020: 331 ff.). Konzent- nutzen: Nach letzter Zählung sind auf dem Fernsehmarkt rationstendenzen sind vor allem im Lokalen erkennbar 21 öffentlich-rechtliche und rund 202 private Anbieter (siehe dazu unter 2.2.2). bundesweit tätig (KEK 2022, 88).5 Insbesondere den öffentlich-rechtlichen Sendern kommt mit Zuschauer_ Online-Medien innenanteilen von 31,9 Prozent (ARD) und 23,5 Prozent Die Bedeutung von Online-Medien für die Meinungs- (ZDF) eine starke Stellung zu, gefolgt von den Sendern der bildung steigt kontinuierlich. 2021 wurden sie täglich Bertelsmann-Gruppe (21,3 Prozent) und von ProSieben- 136 Minuten genutzt (Personen ab 14 Jahren, ARD/ZDF Sat.1 (16,1 Prozent) (MMV 2021-I: Folie 12). Forschungskommission 2021b). Die informierende Nut- In den letzten beiden Jahren hat der öffentlich-recht- zung ist von 20,6 Prozent im Jahr 2015 auf mittlerweile liche Rundfunk seine Dominanz stetig ausgebaut. Dies 33,5 Prozent gestiegen (GIM Mediengewichtungsstudie sollte der Gesetzgeber im Blick behalten, allerdings nicht 2021-I: Folie 34). Die Medienkonzentration ist gering. auf Grundlage des Medienkonzentrationsrechts. Das Au- Größter Anbieter ist Bertelsmann mit einem Marktanteil genmerk sollte hier einerseits der Erhaltung der Binnen- von zehn Prozent. 36,3 Prozent des Meinungsmarktes tei- pluralität und andererseits der Definition von Auftrag und len sich Unternehmen mit weniger als einem Prozent Struktur sowie der Finanzierung gelten. Marktanteil (Spittka 2020: 37). Suchmaschinen und soziale Medien bleiben dabei allerdings außen vor, da sie selbst Radio und Audio keine Inhalte anbieten (siehe dazu unter 2.2.1). Auch Audioangeboten kommt eine große Bedeutung bei der Mediennutzung zu. Die tägliche Nutzung liegt im Keine Konzentrationstendenzen Durchschnitt bei 177 Minuten, das lineare Radio ist dabei Die Medienlandschaft in Deutschland ist – insbesondere mit 75 Prozent die wichtigste Nutzungsart (ARD/ZDF For- wenn man aus der Vogelperspektive das Bundesgebiet in schungskommission 2021a). Das bestätigen die Studien der den Blick nimmt – vielfältig. Zwar gibt es einige größere Medienanstalten. 94,7 Prozent der Bevölkerung hören Medienunternehmen, allen voran die öffentlich-rechtli- R adio (Landesmedienanstalten/Kantar 2021: Folie 35). chen Sender und einige größere private Anbieter wie Ber- 70 Prozent nutzen regelmäßig Online-Audioangebote, telsmann und der Springer-Konzern. Im Gesamtmarkt also Musikstreaming, Webradio, Podcasts oder Hörbücher lassen sich derzeit aber keine besorgniserregenden (BLM et al. 2021: Folie 4). Audio ist damit ein wichtiger Konzentrationstendenzen erkennen. Tatsächlich befin- Faktor für die Vielfalt. det sich Deutschland hier im „grünen Bereich“. Der Hörer_innenmarkt ist durch plurale Eigentümer- Das ist eine wichtige Erkenntnis bei der Beantwortung strukturen und eine Vielzahl regionaler Anbieter geprägt. der Frage, auf welche Gebiete sich Medienregulierung kon- Insgesamt ist er recht vielfältig aufgestellt. Allerdings do- zentrieren sollte. Medienkonzentration auf einem bundes- minieren auch hier die öffentlich-rechtlichen Sender mit weiten Gesamtmarkt gehört nicht dazu. Gerade bei knap- einem Marktanteil von 51,8 Prozent sehr deutlich. Größter pen Ressourcen verlangen andere Bereiche dringender privater Anbieter ist die Regiocast mit 5,9 Prozent nach Aufmerksamkeit. Dies gilt insbesondere für Plattfor- (MVM I: Folie 21). Das Programmangebot ist in den letz- men und für das Lokale. ten 10 Jahren enorm gewachsen auf mehr als 400 UKW Sender, 300 DAB+ Sender und über 1000 Webradios (KEK 2022: 113). Trotz Verflechtungen innerhalb der Branche 2.2. TRENDS IN DER MARKTSITUATION: und auch gattungsübergreifend mit Fernseh- und Tageszei- NEUE VIELFALTSSICHERUNG GEFRAGT! tungsanbietern sind Gefahren für die Vielfalt im Bundes- gebiet nicht ersichtlich. Marktvielfalt setzt einen funktionierenden Medienmarkt voraus, der zum Beispiel durch geringe Nachrichtenkon- Presse zentration und keine zu großen Einflüsse von Online-Platt- Ganz anders stellt sich dagegen die Nutzung von Textan- formen gekennzeichnet ist. Der Media Pluralism Monitor geboten dar, sie werden im Durchschnitt nur 52 Minuten identifiziert unter anderem den Einfluss von Plattformen täglich genutzt. Gedruckte Zeitungen und Zeitschriften und ihre Tendenz zu Monopolen als Problem. Dementspre- erreichen dabei pro Tag 19 Prozent der Menschen. Etwas chend werden für den Medienpluralismus im Digitalen ten- mehr, nämlich 20 Prozent, lesen Text im Internet. Insbe- denziell höhere Risiken ausgewiesen (Holznagel/Kalbhenn sondere bei jüngeren Menschen sinkt das Zeitbudget für 2021: 19). Unabhängigkeit ist aber auch eine Frage der Fi- Text langsam, aber kontinuierlich (ARD/ZDF Forschungs- nanzierung. Nur finanziell gut aufgestellte Unternehmen kommission 2021a). können auf Dauer politische und wirtschaftliche Einfluss- Auch hier scheinen keine allzu großen Gefahren für die nahmen abwehren. Auch hier schneidet Deutschland der- Vielfalt zu lauern. So kommt dem größten Anbieter Sprin- zeit noch gut ab (Holznagel/Kalbhenn 2021: 8). Insbeson- ger (und damit KKR) zwar ein Marktanteil von derzeit dere im Lokalen wird die Finanzierung aber schwieriger. 21,6 Prozent zu, dieser ist aber recht stabil. Dennoch wer- Deshalb werden im Folgenden diese beiden Themenberei- den bei Tageszeitungen seit Jahren Vielfaltsgefährdungen che (Digitales und Lokales) näher beleuchtet. 5 2018 waren es noch 170 Anbieter (KEK 2018). Die Zahl ist damit deutlich gestiegen. 8 WIE MEDIENVIELFALT Z UKUNFTSFEST MACHEN? MÄRZ 2022 FES diskurs
ABB. 4 Tagesreichweite informierende Nutzung Intermediäre – DE/Welt und lokal (2021-I) DE/Welt lokal Facebook 11,9 11,7 Instagram 8,6 5,4 Twitter 2,9 1,4 LinkedIn 1,2 0,6 TikTok* 1,2 0,6 Snapchat 0,7 0,5 XING 0,9 0,4 Pinterest 0,8 0,2 Tumblr 0,1 0,1 Stayfriends 0,1 0,1 Sonstige 1,5 0,8 WhatsApp 4,6 3,2 Telegram 0,8 0,6 FB Messenger 0,6 0,5 Sonstige 1,7 1,0 YouTube 12,1 3,4 Dailymotion 0,1 0,1 Twitch.tv* 0,4 0,2 Vimeo 0,2 0,1 Sonstige 0,7 0,1 Google 32,7 21,3 Bing 1,6 0,6 AOL Suche 0,5 0,4 Yahoo 0,9 0,6 Angaben in Prozent; Tagesreichweite = Nutzung gestern, * erstmals 2020-II abgefragt / Twitch.tv oder eine andere Videoplattform für Gamer Ask.com 0,2 0,1 Basis: 70,635 Mio. Personen ab 14 Jahre in Deutschland, n=3.660; 2020-II: n=4.455; 2020-I: n=4.294 Sonstige 5,0 2,5 GIM Mediengewichtungsstudie 2021-I 2.2.1 MEDIENINTERMEDIÄRE UND per, denn ihre Algorithmen haben maßgeblich Einfluss da- P LATTFORMEN rauf, welche Inhalte wir zu sehen bekommen. Dabei wer- Der Media Pluralism Monitor hat ausgesprochen, was wir den sie immer häufiger für Informationen über Politik und subjektiv schon lange wissen. Bei der Frage nach der Mei- Zeitgeschehen genutzt. Während die Meinungsmacht von nungsmacht kommt Medienintermediären, häufig um- Rundfunk und Tageszeitungen angesichts schwindender gangssprachlich auch Plattformen genannt, eine ganz ent- Auflagen und zurückgehender Nutzung sinkt, wächst die scheidende Rolle zu. Dabei handelt es sich um Anbieter, Bedeutung von Medienintermediären erheblich. Mehr als die Zugang zu Inhalten vermitteln, aber bisher meist keine jede_r Zweite nutzt das Internet, um sich zu informieren eigenen Inhalte anbieten. Sie können und sollten daher (GIM Mediengewichtungsstudie 2021-I: Folie 16), dies er- auch nicht der Regulierung für Inhalteanbieter unterlie- folgt immer mehr über soziale Medien (siehe Gewich- gen. Ebenso wenig können sie medienkonzentrationsrecht- tungsstudie Intermediäre und Meinungsbildung 2021-I; lich den Marktanteilen von Inhalteanbietern zugerechnet Zimmer/Kunow 2020: 45 ff.). werden, jeder Versuch würde im Bereich des Spekulativen Soziale Medien sind nicht nur ein Schauplatz politi- landen.6 scher Debatten, sondern auch ein Ort für Desinformation Insbesondere Suchmaschinen und soziale Medien sind und Hass (Knuth/Nezik 2021: 23). Nach einer Datenana- einerseits Gateopener, verschaffen sie doch Zugang zu ei- lyse von Correctiv sind YouTube und Facebook die am ner neuen Vielfalt von Angeboten, andererseits Gatekee- häufigsten gemeldeten Plattformen für Falschinformatio- 6 Das hat die Kommission zur Ermittlung der Konzentration im Medienbereich (KEK) in der Vergangenheit zwar durchaus anders gehandhabt und Rundfunkprogrammen eine vermeintliche Meinungsmacht von Plattformen wie Deutsche Telekom oder KDG/Vodafone zugerechnet (zum Beispiel KEK-Beschluss, KEK 915/2017, Ziffer 2.3). Methodisch ist das aber nur schwer zu begründen, zudem lässt sich kaum gerichtsfest bestimmen, welche Meinungsmacht der Plattform durch die Weiterverbreitung eines Programms tatsächlich zukommt. FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG 9
nen (Echtermann 2021).7 (Bewusste) Falschinformationen lokalen Radio- oder Fernsehsender gibt, von lokaler und Verschwörungstheorien können toxische Wirkungen Medienvielfalt ganz zu schweigen. Das Internet hilft hier für die Meinungsfreiheit haben. Und auch wenn Interme- wenig. Originäre lokale Angebote, die sich wirtschaftlich diäre diese Informationen nicht selbst bereitstellen, son- tragen, sind dünn gesät (vgl. Kunow 2019: 39). Gleichzeitig dern nur an ihrer Verbreitung mitwirken, kommt ihnen ist das Informationsbedürfnis der Bevölkerung hoch. An eine große Verantwortung für den demokratischen Diskurs einem Durchschnittstag informieren sich 71,6 Prozent der zu. Bevölkerung über das lokale Zeitgeschehen (Kunow/Mey- 39 Prozent der 14- bis 29-Jährigen können für einzelne er-Tippach 2021: 41). Informationen nicht mehr präzise sagen, wo sie diese ge- Trotz des großen Interesses befinden sich lokale Me- lesen oder gehört haben. Mehr als jede_r zehnte Nutzer_in dien in einer seit Jahren andauernden wirtschaftlichen nennt als Quelle einen Intermediär und nicht den eigent- Krise. Die Rubrikenmärkte sind schon lange ins Internet lichen Urheber oder die Urheberin der Inhalte (Zimmer abgewandert, auch die Werbung verlagert sich immer mehr 2021b). Das zeigt, wie sehr wir publizistische Relevanz neu zu Unternehmen wie Facebook und Google. Pay-Modelle denken müssen. Das hat Auswirkungen auf die Medien- haben es schwer. Die Abonnementzahlen von Zeitungen vielfalt. Und der Disruptionsprozess wird weitergehen. gehen dramatisch zurück. Zwar steigt gleichzeitig die Nut- Ohne Gegenmaßnahmen wird sich Journalismus wahr- zung der Online-Angebote, allerdings die Zahlungsbereit- scheinlich nicht behaupten können. Zu diesem Ergebnis schaft nicht im gleichen Maße. Kostenpflichtige digitale kommt auch die Bundesregierung in ihrem Medien- und Produkte können die Abo- und Werberückgänge (noch) Kommunikationsbericht (Bundesregierung 2021: 28). nicht auffangen. In vielen Bereichen wird daher der Ruf nach Förderung immer lauter. Die Probleme zeigen sich in fast allen Mediengattungen: Der Medienstaatsvertrag (MStV) unterscheidet zwischen Medienplattformen und Medienintermediären, sie werden — Der Lokalfernsehmarkt ist vergleichsweise schwach in Artikel 2 MStV definiert. Umgangssprachlich – und auch ausgeprägt. Zwar sind mehr als 200 regionale und loka- im Kartellrecht – wird der Begriff „Plattform“ als Oberbe- le private Anbieter lizenziert.8 Sie senden häufig nur griff für beides verwendet, so auch in diesem Text. stundenweise und verfügen oft über eine eher geringe Reichweite und auch keine hohe Resonanz bei den Zu- Medienplattformen schauer_innen (Meinungsbildungsgewicht 12,7 Pro- Bei Medienplattformen handelt es sich um Angebote, die zent, GIM Mediengewichtungsstudie lokal 2021-1: Folie Rundfunk, rundfunkähnliche Telemedien und andere Tele- 10 f.; siehe auch Kunow/Meyer-Tippach 2021: 42). Die medien zu einem Gesamtangebot zusammenfassen. Typi- Veranstalter sind teilweise von Förderungen, nicht zu- sche Beispiele sind das digitale Kabelangebot von Voda- letzt der Landesmedienanstalten, abhängig. fone oder Magenta TV der Deutschen Telekom. — Wichtiges Medium sind nach wie vor die Tageszeitun- Medienintermediäre gen und ihre digitalen Angebote (Meinungsbil- Als Medienintermediäre werden Anbieter verstanden, die dungsgewicht 28,8 Prozent, GIM Mediengewichtungs- (journalistisch-redaktionelle) Informationen aggregieren, studie lokal 2021-1: Folie 10 f.; dazu kommt die große selektieren und allgemein zugänglich präsentieren. Von Bedeutung der digitalen Angebote, die ein wichtiges Medienplattformen unterscheiden sie sich durch ihre Zu- Informationsmedium sind; siehe auch Kunow/Meyer- gangsoffenheit – oder wie der Medienstaatsvertrag sagt: Tippach 2021: 44). Hier zeigen Langzeitstudien einen Informationen werden nicht zu einem Gesamtangebot zu- massiven Rückgang an Vielfalt durch Redaktionsschlie- sammengefasst. Beispiele sind Suchmaschinen und soziale ßungen und Kooperationen und Zulieferungen von Medien (Facebook, Twitter, YouTube). ehemaligen Wettbewerbern, die zu identischen, zumin- dest aber weitgehend identischen Lokalteilen führen. Lokaljournalismus wird so zu einem raren Gut (Röper 2.2.2 LOKALE MEDIEN 2020: 331). Auch auf lokaler Ebene sieht es für die Medienvielfalt nicht überall rosig aus. Während über 100 Fernsehkanäle und — Die insgesamt höchste Nutzung, wenn auch nicht die zahlreiche überregionale Tages- und Wochenzeitungen subjektiv höchste Relevanz kommt dem Internet zu über das Zeitgeschehen in Deutschland und der Welt be- (Meinungsbildungsgewicht 32,5 Prozent, GIM Medien- richten, ist man im Lokalen an vielen Orten froh, wenn es gewichtungsstudie lokal 2021-1: Folie 10 f.). Diese Zahl überhaupt noch eine Lokalausgabe der Zeitung oder einen ist allerdings mit Vorsicht zu genießen. Häufig wird 7 Allerdings sind zumindest bei YouTube-Empfehlungen Falschinformationen deutlich zurückgegangen. Eine Studie im Auftrag verschiedener Medienanstalten und der Berliner Senatskanzlei vom Februar 2021 kommt zu dem Ergebnis, dass die untersuchten YouTube-Empfehlungen kaum desinformative Inhalte verbreiten, auch wenn diese durchaus vereinzelt sichtbar gemacht wurden (Kantar 2021). Laut Correctiv spielt auch Telegram eine große Rolle bei der Verbreitung von Falschinformationen, allerdings werden sie wohl nur selten gemeldet (Echtermann 2021). 8 Regional sind sie vor allem in Bayern, Baden-Württemberg und in den ostdeutschen Bundesländern tätig. 10 WIE MEDIENVIELFALT Z UKUNFTSFEST MACHEN? MÄRZ 2022 FES diskurs
ABB. 5 Wichtigstes Informationsmedium lokal – Marktanteile Tageszeitung und Internet liegen bei der subjektiven Bedeutung für lokale Infos mit deutlichem Abstand auf Platz 1 und 2. Sie vereinen zusammen knapp drei Viertel auf sich. Das Radio liegt auf Platz 3. 2,8 7,5 6,8 Fernsehen 6,3 11,7 Radio 10,8 100% = Internet 31,1 100 % = Umgerechnet auf wichtigstes Tageszeitung 34,5 100 % ohne 37,4 „Keines davon“ Informations- Zeitschriften* 2,6 medium Anzeigenblätter 7,0 33,7 Keines davon 6,1 Gewicht für die lokale Meinungsbildung Aufgrund der hohen subjektiven Relevanz sind Internet und Tageszeitung auch insgesamt mit Abstand am „gewichtigsten“ für die lokale Meinungsbildung. Marktanteil Tagesreichweite 18,5 25,2 31,2 20,2 3,2 2,8 informierende Mediennutzung + Marktanteil wichtigstes 6,8 11,7 33,7 37,4 2,8 7,5 Informationsmedium = 25,3 25,3 : 2 Mittelwert Potenzielles Gewicht für die 12,7 18,4 32,5 28,8 3,0 4,7 Meinungsbildung lokal Angaben in Prozent; * Zeitschriften, Nachrichtenmagazine, Wochenzeitungen Basis: 70,635 Mio. Personen ab 14 Jahre in Deutschland, n=3.660 GIM Mediengewichtungsstudie 2021-I Fernsehen Radio Internet Tageszeitung Zeitschriften* Anzeigenblätter eine bereits anderweitig veröffentlichte Information so R egel erfolgreich. Allerdings finden sich häufig Ver- auf einem weiteren Verbreitungsweg zum Nutzer ge- flechtungen mit anderen Mediengattungen. In Bayern bracht, neue Quellen sind dagegen selten. Weiter zu und Nordrhein-Westfalen (NRW) lassen sich durch nimmt die Nutzung von Wikipedia (Folie 37 ff.). eine enge Verbindung mit den Tageszeitungen Konzen- trationstendenzen erkennen (KEK 2018). Diesen wird — Wirtschaftlich stabil ist der Radiomarkt. Die Bedeutung teilweise regional gegensteuert. Am weitesten geht von Radioangeboten für die lokale Information darf NRW. Ein Zweisäulenmodell, das gesellschaftlichen nicht unterschätzt werden (18,4 Prozent Meinungsbil- Gruppen über Veranstaltergemeinschaften die Pro- dungsgewicht, GIM Mediengewichtungsstudie lokal grammentscheidungen zuweist, soll den Einfluss von 2021-1: Folie 10 f.), auch wenn sie deutlich hinter der Tageszeitungsverlegern im Lokalfunk begrenzen. Ob von Tageszeitungen und dem Internet liegt. Radiosen- dies in Zeiten der Digitalisierung noch der richtige der sind schon immer eher regional aufgestellt. Insbe- Weg ist, wird in den nächsten Jahren geprüft werden sondere wer über eine UKW-Frequenz verfügt und von müssen. einem der beiden großen Vermarkter vermarktet wird, war in der Vergangenheit auch wirtschaftlich in der FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG 11
3 RECHTSLAGE: SICHERUNG VON MEDIENVIELFALT In der deutschen Rechtstradition wird die Konzentration (BVerfGE 73, 118, 172 ff.; siehe auch Schulz/Held 2006: von Medienunternehmen als publizistische Gefahr für die 9 f.). Meinungsbildung gesehen. Dies geht unter anderem auf Auf die Frage, wie mit Medienkonzentration und Me- die Weimarer Republik und den Hugenberg-Konzern zu- dienmacht umgegangen werden soll, gibt es viele über un- rück, der durch die Parteinahme seiner Publikationen dem terschiedliche Rechtsgebiete verteilte Antworten. Ange- Nationalsozialismus Vorschub geleistet hat. Medienkon- knüpft wird dabei entweder ganz allgemein an der starken zentrationskontrolle gilt daher als unverzichtbar (siehe Stellung eines Anbieters oder konkreter an bestimmten Beckmann/Müller 2021: Rz. 19). Verhaltensweisen. In der digitalen Gesellschaft kommt da- Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfas- bei – anders als zur Zeit der Entscheidung des Bundesver- sungsgerichts hat der Gesetzgeber zwar einen weiten Er- fassungsgerichts – Medienintermediären eine besondere messensspielraum bei der Ausgestaltung der Rundfunkord- Bedeutung zu. Sie werden, ebenso wie größere Medien- nung. Allerdings muss er die notwendigen Vorkehrungen unternehmen, von vielen Seiten kritisch begleitet. treffen, um vorherrschende Meinungsmacht zu verhin- dern. Was das konkret heißt, hat das Bundesverfassungs- gericht in seinem vierten Rundfunkurteil von 1986 erläu- 3.1 KONZENTRATIONSKONTROLLE tert: Verlangt werden effektive Maßnahmen zum Erhalt der Meinungsvielfalt. Das können auch Vorabmaßnahmen Wie mit Unternehmen umgegangen werden soll, denen sein, da vorherrschende Meinungsmacht nur schwer wie- eine zu große Macht zukommt, wird in der Medienregulie- der rückgängig gemacht werden kann. Vorkehrungen sind rung und im Kartellrecht adressiert. Medienkonzentrati- insbesondere dann notwendig, wenn die Entstehung multi- onsrechtlich wird dabei an die Rundfunkzulassung ange- medialer Meinungsmacht droht. Das kann etwa dann der knüpft, das Kartellrecht schaut sich Fusionen an. Beides Fall sein, wenn Medienunternehmen aus verschiedenen erfolgt ex ante, also vorab. Damit ist es – zumindest in der Medienmärkten ihren Einfluss kombinieren. Strengere An- Theorie – ein scharfes Schwert. forderungen bestehen zudem im regionalen und lokalen Bereich, weil hier bereits zahlreiche Monopolstellungen Kartellrechtliche Fusionskontrolle, §§ 35 ff. GWB von Zeitungsunternehmen entstanden sind. Daher ist hier Das Kartellrecht ist hier breiter aufgestellt. Es knüpft an der Gefahr eines »Doppelmonopols« entgegenzuwirken die Stellung im Markt an. Ab einer Umsatzschwelle von in 12 WIE MEDIENVIELFALT Z UKUNFTSFEST MACHEN? MÄRZ 2022 FES diskurs
der Regel 500 Millionen Euro weltweit oder 50 Millionen recht Konzentrationstendenzen bei Medienunternehmen Euro im Inland sind Fusionen zu untersagen, wenn ande- wirksam begegnen kann. renfalls eine marktbeherrschende Stellung begründet oder verstärkt würde. Für Medienunternehmen existieren dabei Medienkonzentrationsrecht einige Sonderregelungen: Vielfaltssicherung ist die DNA der Medienregulierung. Ein wichtiger Aspekt ist dabei der Umgang mit Unternehmen, — Niedrigere Umsatzschwellen: die großen Einfluss auf die Meinungsbildung haben. Auf Aufgrund der im Vergleich zu anderen Wirtschafts- Ebene der Inhalteanbieter soll das Medienkonzentrations- sparten kleineren Unternehmensgrößen, etwa aufgrund recht zu große publizistische Macht beschränken. Der Me- von Regionalisierung und Lokalisierung, wurde die dienstaatsvertrag der Länder will dies mittels eines fern- Aufgreifschwelle erhöht. Für Zeitungs- und Zeitschrif- sehspezifischen Konzentrationsrechts erreichen, das sich tenverlage werden die tatsächlichen Umsätze mit dem vor allem am Anbieter orientiert. Es greift, wenn ein Un- Faktor 4 multipliziert, das Kartellrecht greift also be- ternehmen (auch) Fernsehen anbietet (§§ 59 ff. MStV). reits bei einem Viertel der Umsätze ein.9 Im Rundfunk Ausgangspunkt ist der Zuschauer_innenanteil. Ab einem gilt sogar der Faktor 8, und das nicht nur für Werbe- Zuschauer_innenanteil von 30 Prozent auf dem Fernseh- und Aboeinnahmen von privaten Sendern, sondern markt bzw. von 25 Prozent, wenn gleichzeitig auf einem auch für Rundfunkbeiträge der Öffentlich-Rechtlichen. medienrelevanten verwandten Markt eine marktbeherr- Damit dürfte beispielsweise eine Fusion von ARD und schende Stellung besteht, wird vorherrschende Meinungs- ZDF ausgeschlossen sein (zum Ganzen Bechtold/Bosch macht vermutet. Der Zuschauer_innenanteil kann aber 2021, § 38 GWB, Rz. 7 f.). durch sogenannte vielfaltsichernde Maßnahmen, wie Drittsendezeiten oder einen Programmbeirat, reduziert — Sanierungsfusionen: werden. Eine Sonderregelung gilt für Nachrichtenpro- Eine Erleichterung oder, wie das Kartellrecht sagt, eine gramme, die ab einem Zuschauer_innenanteil von zehn sektorspezifische Ausnahme, gibt es für die „Sanie- Prozent vielfaltsichernde Maßnahmen ergreifen müssen. In rung“ von Zeitungs- und Zeitschriftenverlagen. Markt- der Theorie ist die Regelung ziemlich effektiv, denn es dro- beherrschende Unternehmen sollen kleine oder mittle- hen mit dem Entzug der Zulassung und dem Verbot, weite- re Verlage übernehmen können, wenn diese Verluste re Programmbeteiligungen zu erwerben, harte Sanktionen. schreiben oder gar in ihrer Existenz gefährdet sind. Die In der Praxis kommt den Regelungen aber keine Rele- Anforderungen an den Sanierungsfall sollen dabei vanz zu. Die Zuschauer_innenanteile der Fernsehveran- nicht zu hoch angesetzt werden. Damit sollen vor allem stalter liegen deutlich unter den Grenzen des Medien- Probleme lokaler Tageszeitungen gelöst werden, bei- staatsvertrags. Das einzige jemals erlassene Verbot, die Fu- spielsweise indem der Erstzeitung erlaubt wird, die sion von Springer und ProSieben.Sat1, haben die Verwal- Zweitzeitung zu übernehmen. Anders als ursprünglich tungsgerichte wieder aufgehoben. Derzeit einziger angedacht, enthält die Vorschrift keine Verpflichtung, Anwendungsfall wäre eine Fusion von Bertelsmann und die redaktionellen Einheiten nach dem Zusammen- ProSiebenSat.1. Man darf aber davon ausgehen, dass eine schluss aufrechtzuerhalten (zum Ganzen Bechtold/ solche Fusion auch kartellrechtlich nicht zulässig wäre und Bosch 2021, § 36 GWB, Rz. 53 ff.). Auf Grundlage die- daher sehr schnell vom Bundeskartellamt untersagt würde. ser Vorschrift hatte das Bundeskartellamt den Zusam- menschluss von FAZ und Frankfurter Rundschau ge- Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 29.1.2014 – nehmigt (BKartA, Fallbericht B6 – 9/13). 6 C 2.13 –, siehe dazu auch Schulz/Held (2006): Die KEK rechnete in ihrer Entscheidung die Marktanteile auf me- Das Bundeskartellamt will wirtschaftliche Macht verhin- dienrelevanten verwandten Märkten in Zuschauer_innen- dern. Prüfungsgegenstand des Kartellrechts sind immer marktanteile um, indem sie den Einfluss auf die Meinungs- Märkte. Geschützt wird nicht die Vielfalt, sondern zum macht im Vergleich zum Fernsehen gewichtete. Dies hatte Beispiel der Anzeigenmarkt oder der Lesermarkt (siehe vor Gericht keinen Bestand. Reinemann/Zieringer finden in Bechtold/Bosch 2021, § 18 GWB, Rz. 20). Maßstab ist re- einer neuen Untersuchung zur Meinungsmacht „erheb- gelmäßig die Austauschbarkeit von Produkten. Dabei kön- liche konzeptionelle, theoretische und empirische nen aber auch Verbraucherschutzthemen eine Rolle spie- Defizite“, die so gravierend sind, dass „der Nutzen der len, sodass das Bundeskartellamt in vielen Fällen zwar an- Maßnahmen im Hinblick auf die formulierten Ziele be- dere Prämissen anwenden, aber letztlich zum gleichen Er- grenzt ist“. Gerügt werden unter anderem begriffliche Un- gebnis kommen wird. Denn letztlich werden schärfen, das Festhalten an einer einheitlichen Öffentlich- wirtschaftliche Macht und Meinungsmacht im Regelfall keit, die alleinige Fokussierung auf das Fernsehen, die un- zusammenfallen. Lediglich bei sehr kleinen Märkten oder terschiedslose Berücksichtigung aller Inhalte unabhängig bei internem Wachstum mögen die Ergebnisse voneinan- von ihrer politischen Relevanz oder die Verwendung frag- der abweichen. Insgesamt gibt es aber derzeit wenige bis würdiger Berechnungsmodelle (2021: 6). keine Fälle, in denen Zweifel bestehen, dass das Kartell- 9 Ein Rechenbeispiel: Die kartellrechtliche Schwelle ist ein Umsatz von 50 Millionen Euro. Im Pressebereich wird der tatsächliche Umsatz mit dem Faktor 4 multipliziert. Die Eingriffsschwelle läge in diesem Beispiel bereits bei einem Umsatz von: 12,5 Millionen Euro = ¼. FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG 13
Im Kreis der Länder ist umstritten, wie künftig mit dem — Überragende Marktmacht Thema Medienkonzentration umgegangen werden soll. Große Plattformen können künftig als „Unternehmen Zwar wird seit Jahren über ein Gesamtmarktmodell disku- mit überragender marktübergreifender Bedeutung für tiert, das andere Medienmärkte berücksichtigen soll. Bis- den Wettbewerb“ (§ 19a GWB) bestimmt werden. Kri- her ist es aber nicht gelungen, ein solches Modell sinnvoll terien dafür sind unter anderem Marktbeherrschung, so mit Leben zu füllen, dass tatsächlich auf dem Markt be- Finanzkraft, Zugang zu wettbewerbsrelevanten Daten stehende Probleme gelöst werden (siehe dazu unter 3.1). und Einfluss auf die Geschäftstätigkeit Dritter. Das Der Koalitionsvertrag der Regierung von Rheinland-Pfalz, Bundeskartellamt hat das schnell aufgegriffen: Bereits dem Land, das seit jeher den Vorsitz der Rundfunkkom- im Januar hat es die überragende Marktmacht von mission innehat, wird nun die Bedeutung der Netz- und Google festgestellt (Fallbericht vom 5.1.2022, B7- Plattformökonomie internationaler Medienkonzerne her- 61/21). Und auch Facebook dürfte absehbar unter diese vorgehoben, die – auch mithilfe von Algorithmen – Kon- Kategorie fallen (Meldung vom 28.1.2021). zentrations- und Monopolisierungstendenzen befördern. Wenn es die überragende Bedeutung eines Unterneh- Diese Entwicklung mache „ein starkes Gegengewicht in mens festgestellt hat, kann das Bundeskartellamt weit- der deutschen Medienlandschaft immer notwendiger“ gehende Verbote verhängen. So kann es einem Unter- (SPD et al. 2021). Das ist richtig. Allerdings stellt sich die nehmen untersagen, eigene Angebote zu bevorzugen, Frage, ob das Medienkonzentrationsrecht hier der richti- andere Unternehmen beim Zugang zu behindern, eige- ge – und durchsetzbare – Weg ist. Vieles spricht dafür, dass ne Angebote zu koppeln, bestimmte Produkte vorzuins- eine Kombination aus Kartellrecht und Missbrauchsregu- tallieren oder die Interoperabilität zu verweigern. Auch lierung zu besseren Ergebnissen führt. dürfen durch Daten keine Marktzutrittsschranken er- richtet oder andere Unternehmen behindert werden, etwa indem Nutzer_innen gezwungen werden, einer 3.2 MISSBRAUCHSKONTROLLE weitreichenden Datennutzung zuzustimmen. Damit werden unter anderem die Verfahren des Bundeskar- Auch zur Missbrauchskontrolle finden sich Regelungen im tellamts gegen Amazon oder Facebook auf eine neue Kartell- und Medienrecht. In beiden Fällen erfolgt sie ex und bessere Rechtsgrundlage gestellt. Und auch für ein post, also im Nachhinein. Eingriffe sind dadurch weniger Missbrauchsverfahren gegen Google, in dem überprüft schwerwiegend, betreffen sie doch nicht das gesamte Un- wird, was das Unternehmen mit den Daten der Nutzer_ ternehmen, sondern im Regelfall nur bestimmte Aspekte. innen macht, dürfte das relevant werden. Gerade für Plattformen und Intermediäre mit ihrer Ten- denz zu Monopolen ist die Missbrauchskontrolle ein wich- — Überlegene Marktmacht tiges Regulativ. Aber auch ohne dass eine überragende Marktmacht festgestellt wird, verbietet das Kartellrecht Diskriminie- rung und unbillige Behinderung durch Unternehmen Kartellrechtliches Behinderungs- und Diskriminie- mit überlegener Marktmacht (§§ 19, 20 GWB). Mit der rungsverbot 10. GWB-Novelle sind einige zusätzliche Fallbeispiele Im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) dazugekommen. So wurde erstmals die Intermediati- wurden in den letzten Jahren sehr weitgehende Änderun- onsmacht geregelt, also der „Vermittler“ ins Visier ge- gen beschlossen, die sehr deutlich Suchmaschinen und nommen. Er darf, wenn keine zumutbaren Ausweich- s oziale Netze adressieren. Der Rechtsrahmen soll so der möglichkeiten bestehen, den Zugang unter anderem zu „digitalen Ökonomie angepasst werden (Bundestagsdruck- Absatzmärkten nicht unnötig erschweren. sache 18/10207, 1). Die 9. GWB-Novelle 2017 adressiert erstmals ausdrücklich Netzwerkeffekte (§ 18 Abs. 3a — gesund.bund.de GWB). Welche weitreichenden Folgen sich aus kartellrechtli- chen Verboten ergeben können, zeigen zwei Entschei- dungen des Landgerichts München, die es Google un- Netzwerkeffekte sind immer dann gegeben, wenn die tersagen, bei der Suche nach Krankheiten in prominent Anzahl der Nutzer_innen unmittelbare Auswirkungen auf hervorgehobenen Infoboxen (sogenannten Knowledge die Nützlichkeit des Produkts hat (Bacher et al. 2021, § 18 Panels) ausschließlich Informationen des Bundesge- GWB, Rz. 62). Ein typisches Beispiel sind Suchmaschinen, sundheitsministeriums anzuzeigen (Entscheidungen die von der Anzahl an Suchanfragen und vorhandenen vom 10.2.2021, 37 O 15721/20 und 37 O 15720/20). Daten profitieren, oder soziale Medien, deren Attraktivität Das Gericht sieht darin, dass die bestmögliche Position sich unmittelbar aus der Anzahl von Nutzer_innen ergibt. auf der Ergebnisseite der Google-Suche privaten Anbie- tern von Gesundheitsportalen von vornherein nicht zur Verfügung steht, eine Beschränkung des Wettbewerbs. Noch weitreichender ist die im Januar 2021 in Kraft getre- tene 10. GWB-Novelle. Der Gesetzgeber hat hier ganz be- — Google News Showcase wusst große Plattformen wie Google, Apple, Facebook und Mit Google News Showcase wird ein weiteres, auch me- Amazon (GAFA) ins Visier genommen. dienregulatorisch relevantes Verfahren gegen ein 14 WIE MEDIENVIELFALT Z UKUNFTSFEST MACHEN? MÄRZ 2022 FES diskurs
AFA-Unternehmen geführt. Das Bundeskartellamt G Erstmals spricht der Medienstaatsvertrag auch Public- überprüft ein neues Nachrichtenangebot von Google, Value-Angebote an. das Presseverlagen die Möglichkeit gibt, ihre jeweiligen Inhalte in sogenannten Story-Panels in hervorgehobe- — Google News Showcase ner Darstellung zu präsentieren. Geprüft wird, ob das Plattformregulierung ist geübte Praxis der Medienan- fair passiert. Gesichtspunkte sind unter anderem eine stalten. Künftig könnten aber auch Unternehmen wie mögliche Selbstbevorzugung Googles bzw. eine Behin- Google in den Anwendungsbereich fallen, wenn sie derung konkurrierender Angebote Dritter. Das umfasst zum Beispiel in einzelnen Bereichen ihres Angebots be- auch die Frage, ob ein diskriminierungsfreier Zugang wusst einzelne Inhalteanbieter auswählen. Auch hier für Presseverlage gewährleistet ist. Dabei kommt auch dient Google News Showcase als Präzedenzfall. Ur- Fragen des Leistungsschutzrechts große Bedeutung zu. sprünglich unter dem Stichwort „Intermediärsregulie- rung“ gestartet, haben die Medienanstalten das Ange- Wie immer im Kartellrecht geht es bei alldem nicht um bot letztlich als Plattform bewertet. Da redaktionell- Medien- oder Meinungsvielfalt. Im Vordergrund steht im- journalistische Inhalte verschiedener deutscher Verlage mer die Frage, ob einem Anbieter ein Marktzugang er- in einem personalisierten Newsfeed bereitgestellt wer- schwert wird. Ein solcher Anbieter kann aber, wie der Fall den, handelt es sich um ein „geschlossenes Gesamtan- Google News Showcase zeigt, auch ein Medienunterneh- gebot“. Noch wichtiger: Verlage erhalten für ihre Inhal- men sein, dessen wirtschaftliche Aktivitäten beeinträchtigt te eine Vergütung. In einem Vertrag werden die Rah- werden. Auch wenn Auswirkungen auf die Informations- freiheit oder die Meinungsbildung dabei bestenfalls indi- rekt berücksichtigt werden, kann das Kartellrecht trotzdem sehr schnell zu einfach durchsetzbaren Ergebnissen kom- men. Die Medienregulierung wird in vielen Fällen nur nachgelagert tätig werden, dennoch kann sie andere Punk- Im Vordergrund steht te aufgreifen und so zu wichtigen Erkenntnissen führen. beim Kartellrecht immer Wie das Zusammenspiel funktioniert, wird anhand der beiden Google-Fälle illustriert. die Frage, ob einem Plattform- und Intermediärsregulierung Anbieter ein Marktzugang Die Macht der Vermittler soll mithilfe einer medienregula- erschwert wird. torischen Missbrauchskontrolle begrenzt und so mehr Chancengleichheit bei der Verbreitung hergestellt werden. Die Regelungen sind teilweise deutlich schwächer ausge- prägt, als dies im Kartellrecht der Fall ist. Teilweise scheint es hier an Vertrauen zu fehlen. Dennoch stellt der seit No- menbedingungen, etwa Auswahl und Aktualisierungs- vember 2020 geltende Medienstaatsvertrag der Länder frequenz, geregelt. Das muss transparent und zu diskri- (MStV) für die europäische Medienregulierung ein Vorbild minierungsfreien Konditionen erfolgen (siehe dazu die dar, das nun in Teilen von der EU-Kommission aufgegrif- Kommission für Zulassung und Aufsicht [ZAK] vom fen wird. Der Medienstaatsvertrag unterscheidet zwischen 25.11.2021). Die Medienanstalten schauen sich hier Plattformen und Intermediären: ebenso wie das Bundeskartellamt etwaige Diskriminie- rungen an. Allerdings kommt es hier weniger auf Leis- — Medienplattformen (§§ 78 ff. MStV) tungsschutzrechte oder Anzeigenmärkte an, entschei- Als Medienplattformen gelten Angebote, die über den dend ist die Vielfalt. Damit müsste geprüft werden, Zugang von Rundfunk- und anderen Medienangeboten nach welchen Kriterien über die Nichtaufnahme von entscheiden. Sie unterliegen schon lange der Regulie- Angeboten entschieden wird. Auch Chancengleichheit rung. Begründet lag dies in ihren knappen Ressourcen. und der Umgang mit lokalen Angeboten dürften dabei Jahrzehntelang mussten die Medienanstalten über die eine Rolle spielen. Auch wenn die Entscheidung dann Belegung zum Beispiel von Kabelnetzen entscheiden. länger dauert, dass solche Fragen überhaupt geprüft Heute ist dies nur noch bei knappen terrestrischen Fre- werden können, ist insbesondere in Zeiten schwieriger quenzen wie UKW oder DAB+ der Fall. So analog, wie Finanzierung von journalistischen Angeboten ein wich- die Plattformen lange Zeit waren, ist auch die Regulie- tiges Signal. rung. Nach Wegfall der Belegung durch die Medienan- stalten wurden sogenannte Must-carry-Verpflichtungen — Medienintermediäre (§§ 91 ff. MStV) geschaffen, die bis heute gelten. Daneben tritt eine Zu- Anders als Plattformen entscheiden Medienintermediä- gangsregulierung, die Diskriminierung und unbillige re nicht über den Zugang, sondern aggregieren, präsen- Behinderung verbietet. Angeschaut werden sollen dabei tieren und selektieren (auch) journalistisch-redaktio- zum einen Zugangsbedingungen und Entgelte und zum nelle Inhalte. Das klingt nach wenig, dennoch darf ihre anderen die eingesetzte Technik. Sie soll so verwendet Bedeutung für die Meinungsvielfalt nicht unterschätzt werden, dass sie ein vielfältiges Angebot ermöglicht. werden. Algorithmen von Suchmaschinen und sozialen FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG 15
ABB. 6 Regulierung von Medienintermediären Sicherung der Meinungsvielfalt Informierte Teilhabe Verhinderung von an der öffentlichen Ungleichbehandlung Meinungsbildung Sachlich nicht Transparenzverpflichtung gerechtfertigte § 93 MStV Abweichung von den Verbot systematischer Transparenzkriterien Diskriminierung journalistisch- redaktioneller Inhalte Keine unbillige § 94 MStV Behinderung durch die angewendeten Kriterien Medien entscheiden nach eigenen Vorstellungen und mit soll die Grundlage für die Diskriminierungsfreiheit vor allem Geschäftsmodellen darüber, welche der vie- gelegt werden. len im Netz verfügbaren Inhalte wie gefunden werden Verboten ist ferner die systematische Diskriminie- können. Für Intermediäre wurden daher mit dem neu- rung journalistisch-redaktioneller Inhalte. Auch sie hat en Medienstaatsvertrag erstmals Mindeststandards ge- zwei Facetten: schaffen, die allerdings nur deutlich abgeschwächte Re- gelungen enthalten. Neben Transparenz verlangt der — Einerseits dürfen Intermediäre nicht systematisch und Medienstaatsvertrag ein Mindestmaß an Diskriminie- ohne sachlich gerechtfertigten Grund von den veröf- rungsfreiheit (zum Ganzen Zimmer 2021a: 492 ff.). fentlichten Transparenzkriterien abweichen, sie müssen Kernstück der Regulierung ist die Transparenzver- sich also an ihre eigenen Aussagen halten. Nach wel- pflichtung. Sie verlangt, wesentliche Kriterien für Aus- chen Kriterien sie gewichten, ist ihnen dabei zunächst wahl und Sortierung offenzulegen. Dabei hat sie zwei freigestellt. Etwas polemisch kann man hier von einer Stoßrichtungen: Art „AGB-Kontrolle“ durch die Medienanstalten spre- chen. — Zum einen sollen Nutzer_innen in die Lage versetzt werden, die algorithmische Entscheidungsfindung bes- — Andererseits werden die Kriterien selbst einer rudi- ser zu verstehen. Ob das in der Praxis funktioniert, darf mentären Kontrolle unterzogen, sie dürfen journalis- allerdings bezweifelt werden. Ein Großteil der Nutzer_ tisch-redaktionelle Angebote nicht systematisch unbil- innen wird die Transparenzhinweise kaum wahrneh- lig behindern, also beispielsweise Angebote exklusiv men. Laut einer Umfrage zu Datenschutzhinweisen besser platzieren. l esen beispielsweise 73 Prozent der Nutzer_innen von Internetdiensten die Datenschutzerklärungen nicht Als zusätzliche Hürde hat der Gesetzgeber den Amts- (Allensbach 2019). ermittlungsgrundsatz eingeschränkt. Die Medienanstal- ten dürfen nur auf Antrag eines Anbieters oder bei of- — Zum anderen soll Anbietern journalistisch-redaktionel- fensichtlichen Verstößen tätig werden. ler Inhalte die Möglichkeit eingeräumt werden, Funkti- Trotz all dieser Hürden gibt es auch zur Intermedi- onsweisen von Medienintermediären zu erkennen. Da- ärsregulierung eine erste Entscheidung. Die bereits 16 WIE MEDIENVIELFALT Z UKUNFTSFEST MACHEN? MÄRZ 2022 FES diskurs
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